Brian Sibley: Der Hobbit – Smaugs Einöde. Das offizielle Filmbuch

In Konversation mit dem Drachen: der rasende Reporter von Mittelerde

„Geh auf Reisen in die magische Welt des Hobbit Bilbo Beutlin. Mit dabei sind in exklusiven Interviews Regisseur Peter Jackson, die Schauspieler Martin Freeman und Orlando Bloom sowie die wichtigsten Macher des Films. Außerdem begegnest du allen Darstellern der neuen großen Filmrollen: Stephen Fry als Bürgermeister von Seestadt, Evangeline Lilly, die wunderschöne Elbe Tauriel, und natürlich Benedict Cumberbatch, der die Geheimnisse seiner Rolle als Drache Smaug preisgibt.

Dieses offizielle Filmbuch ist reich bebildert, darunter viele Aufnahmen, die hinter den Kulissen entstanden: Fotos von Schauspielern, Fabelwesen und Kostümen sowie zahlreicher Szenen mit Spezialeffekten. Ein Muss für alle Fans der preisgekrönten Filmtrilogie.“ (Verlagsinfo)

Der Autor

Der Brite Brian Sibley hat bereits die Bücher über die filmhistorischen Hintergründe von Peter Jacksons „Herr der Ringe-Trilogie“ geschrieben. Die Bücher wurden verdientermaßen internationaler Bestseller.

Der Filmfan findet darin – die einzigen! – wirklich nützlichen Filminformationen, die in Buchform vorliegen, also nicht im Internet oder im Magazin des offiziellen LOTR-Fanclubs veröffentlicht wurden.

Tiefer gehen nur die „Chroniken“, die sich aber jeweils nur mit einem Teilaspekt der Entstehung befassen und von denen jedes Buch rund 30 Euro kostet – falls es nicht schon vergriffen ist.

Inhalt und Eindruck

Brian Sibley ist so etwas wie der offizielle Hofberichterstatter für dieses Filmprojekt von New Line Cinema/MGM. Er achtet auch darauf, dass Tolkiens Werk nicht entstellt wird. Er war in den Weta-Werkstätten und den Studios in Neuseeland vor Ort – viele schöne Fotos zeugen davon. Dementsprechend authentisch sind die Infos, die er mitgebracht hat: alle aus erster Hand – im Gegensatz zu manchem Zeug, das man im Web so findet.

In den schön gestalteten und mit zahlreichen Fotos illustrierten Kapiteln beschreibt er haarklein, was es zu dem jeweiligen Thema zu wissen gilt und stellt die Verantwortlichen mit Bild vor. Ob das nun Sounddesigner, Kostümbildner oder die Hersteller von Zwergenohren sind – alle kommen mit ihren speziellen Ansichten zu Wort. Sie sagen, was sie tun, wie sie es tun – und vor allem, was sie dabei fühlen.

Der Hersteller von Zwergenohren beispielsweise erlebt jede Nacht Albträume: Er träumt von der Ohrenherstellung, die in der Tat mehr Ähnlichkeit mit Kochen und Backen hat als etwa mit Modellierung. Auch der Sounddesigner ist ein witziger Kauz: Wie und wo er die Geräusche eingefangen und zusammengesetzt hat, ist ein kleiner Roman, der dem Leser die Augen – und Ohren – öffnet. Das Grollen von Smaug etwa: Es ist das sechsfach verstärkte Knurren eines Alligators in Florida. Mittelerde ist eben überall.

Freeman und McKellen

Die wichtigsten und nicht weniger interessanten Interviews führte der Autor mit den Hauptdarstellern. Martin Freeman spielt die Titelfigur nicht nach einem 08/15-Schema – dafür ist er viel zu gut. Vielmehr spielt er jede Szenenwiederholung anders. Das stellt den Regisseur vor die Qual der Wahl, welche Variante er auswählen soll. Ian McKellen, der Gandalf-Darsteller, kommentiert Martin Freemans Spiel so: „Man sieht genau, dass Bilbo an zwei Dinge gleichzeitig denkt – etwas, das ich gerne darzustellen lernen würde.“ Umgekehrt darf auch Freeman mal Sir Ian kommentieren.

McKellen hatte am Anfang der Dreharbeiten ja eine sehr harte Zeit: Er muss an einem anderen Set vor einem Greenscreen agieren – was sehr frustrierend war. Er wollte schon den ganzen Bettel hinschmeißen, als Jackson ihn noch einmal motivierte. Dabei war alles Jacksons Schuld: Erst nach 100 von 266 Drehtagen (für alle 3 Filme) fiel ihm der Trick ein, wie die vermaledeite Darstellung der Größenunterschiede viel einfacher geht: mit dem Rotoscope-Verfahren (frage mich bitte keiner, was das ist). Jackson entschuldigt sich im Audiokommentar zur Blu-ray von „Eine unerwartete Reise. Extended Version“.

Da die Extended Version endlich auf dem Markt ist, kann auch Sibley auf die Zusatzszenen eingehen. Dazu gehört „Die erste Begegnung“ (S. 22/23) zwischen dem kleinen Bilbo und dem großen Gandalf. Sie ist der Grund, warum der Zauberer ausgerechnet diesen Hobbit und keinen anderen zum Meisterdieb auswählte. Und Bilbos Mutter Belladonna Tuk ist auch im Bild.

Fässer unverzollt

Eine der besten Szenen zeigt die 13 Zwerge bei ihrer Fässerfahrt, die vom Kerker des Waldelbenkönigs zum Fluss führt, an dem Bard, der Fischer und Bogenschütze, sie nach Seestadt mitnimmt. Der wässrige Parcours wurde einerseits im Studio aufgebaut, aber auch an einem realen Fluss genutzt – mit Sicherheitsleinen, versteht sich. Die Zwergendarsteller genossen die zahlreichen Einstellungen, in denen sie in Fässern durcheinandergeworfen wurden, angeblich – meistens: Es war wie ein Joyride in einem Erlebnispark gewesen, versichern sie.

Das Ulkige dabei: Ihre Perücken, die aus wasserabweisendem Yak-Haar geflochten war, wurden dabei nicht nass. Das durfte nicht sein. Also mussten es die Maskenbildner mit einem Spezialgel wieder auf nass trimmen, damit es glaubwürdig aussah. Das ist nur ein Beispiel für den Wahnsinn des modernen Filmemachens. Sibley zählt noch viel weitere auf, so etwa die oben erwähnte Sache mit der Herstellung von Ohren, künstlichen Gliedmaßen, der Belüftung eines Fatsuits und vieles mehr.

Seestadt

Etliche Seiten verwendet der Autor auf Seestadt, denn dies ist die letzte Station vor der Besteigung des Erebor und dem Kampf mit dem Drachen (S. 120-155). Stephen Fry spielt den Bürgermeister von Esgaroth aus unnachahmlich abstoßende Weise, und Alfrid, sein Faktotum, weiß einiges über ihn und seine eigenen Ambitionen zu sagen. Das Porträt des nach wie vor namenlosen Bürgermeisters findet der Sammler am Schluss von „CHRONIKEN III: Kunst und Gestaltung“ zum Ausklappen. Auf S. 123 sieht man die beiden Chefdesigner John Howe und Alan Lee als Stadtmusikanten – das Foto ist im „Begleitbuch“ wesentlich größer abgedruckt.

Food-Nöte

Damit die lange Strecke aus Texten und Fotos über Seestadt nicht so monoton wirkt, hat der Autor zahlreiche Nebenaspekte unterbracht. Das vierseitige Kapitel (S. 136ff) über das Design und die Herstellung von Lebensmitteln zeigt Foodstylistin Debbie Logan in ihrem Reich und schildert ihre Nöte, etwa mit den unterschiedlichen Größen für Zwerge, Zauberer und ihre jeweiligen Stunt- und Größen-Doubles. Dass sich die Darsteller über die ausgelegten Leckereien hermachten, war wohl noch das geringste Ungemach.

Bard & Co.

Sehr schön fand ich, dass nicht nur der BARD-Darsteller Luke Evans porträtiert wird, sondern auch seine Filmkinder Bain (John Bell) sowie Tilda und Sigrid, die beiden Töchter Peggy und Mary von „Bofur“ James Nesbitt. Ein besonderes Problem hatte John Bell: Ohne Entwasser zu trinken, wuchs er während der 266 Drehtage um rund 18 Zentimeter (siehe dazu die Übersetzungsfehler unten). Wie sollte man dies dem Zuschauer plausibel machen? Man verfiel auf eine witzige Lösung.

„Gold! Wir brauchen mehr Gold!“

Es war den Filmemachern nie genug Gold für Smaugs Hort vorhanden, und dabei hatten die Requisiteure schon einige Tricks angewandt, um das Gold üppiger erscheinen zu lassen. Das Dumme mit Gold ist allerdings, dass man in einer extrem hochauflösenden Aufnahme (48 frames/sec, 3D, HD) sofort sieht, wenn es aus Plastik oder gar Bronze gemacht wurde. Also mussten die Macher sämtliche neuseeländischen Vorräte an Goldfarbe aufkaufen, um Bronze etc. mit Goldfarbe und Messingfarbe zu überziehen. Alle Kelche, Schalen usw. wurden extra hergestellt – die Schmiede, die abgebildet ist, war rund um die Uhr beschäftigt.

„Du entsetzlichste Katastrophe unseres Zeitalters“

Benedict Cumberbatch durfte den Rockstar des Films, den Drachen Smaug, nicht nur sprechen, sondern auch mimisch in Szene setzen. Seine Gesichtsbewegungen mussten ja mit seinen Sprachäußerungen synchron erfolgen. Wie ausgerechnet der SHERLOCK-Darsteller zum Drachen kam? Sein Vater, der ihm in seiner Kindheit den HOBBIT vortrug, muss ein großartiger Schauspieler sein. Und dessen mimische und stimmliche Drachendarstellung ist es, die Cumberbatch zum Besten gibt – also secondhand, wie er scherzhaft mitteilt.

Dol Guldur

Gandalf ist währenddessen ja auf Abwegen unterwegs, um in Dol Guldur gegen den Totenbeschwörer zu kämpfen. Hier darf nicht verraten werden, wie sein Kampf gegen Sauron ausgeht. Aber das Design der verfallenen Elbenfestung im Süden des Düsterwaldes ist recht nah dran an den Orkfestungen Minas Morgul und Cirith Ungol. Auf sechs tollen Seiten wird ab S. 72 dieses Kapitel dargestellt.

Schriften, magische und andere

Viel schöner fand ich das Kapitel direkt davor (S. 68-71) fand ich die Darstellung über Daniel Reeve, den Grafikdesigner, der alle schriftlichen Dokumente und Zeichnungen erstellte. Er ist im wahren Leben Bankangestellter, aber durch Tolkien schon seit seiner Kindheit ein Fan von Runen und Elbenschriften. Als er mal zaghaft bei den Produzenten anfragte, ob man so einen wie ihnen brauchen könne, würde er sofort mit Handkuss eingestellt. Statt Millionen von seiner Sorte, wie er dachte, gibt es nämlich weltweit nur eine Handvoll. Interessant ist auch zu erfahren, wie die Mondrunen auf Thrors Karte erzeugt wurden.

Die Übersetzung

Der Text ist erfreulich flüssig zu lesen, und der gewählte Sprachstil ist weder akademisch noch leutselig, sondern sowohl sachlich als auch von menschlicher Wärme geprägt. Immer arbeitet der Autor die allzu menschliche Seite einer Rolle, einer Aufgabe heraus, was vielfach amüsant ist. Die Zahl der Druckfehler – immer ein heikler Punkt in solchen schnell produzierten Begleitbüchern – hält sich erfreulicherweise in Grenzen.

S. 29: „Gegenwert“ statt „Gegenwart“

S. 131: „Als es losging [sagt der Darsteller des Bain], war ich 1,55 m groß. Jetzt bin ich 1,73 m groß. Ich bin also fast fünf Zentimeter gewachsen!“ Vielleicht sollte John Bell (Bain) nochmal zurück in den Mathe-Unterricht: Erst 18 cm gewachsen.

S. 162: „Sie sagten: ‚Er [B. Cumberbatch] ist ein arroganter Mitkerl [ – ] der ist genau der Richtige für Smaug.'“ Der Gedankenstrich fehlt.

Es ist immer knifflig, ein Buch, das derart viele Werktitel zitiert, ins Deutsche zu übertragen. Viele erwähnte Titel sind noch unübersetzt oder nur in Neuseeland / Australien bekannt. Die Übersetzerin hat daher nicht jeden Werktitel übertragen, sondern vielfach den O-Titel stehen lassen. Aber wichtig war natürlich, jeden einzelnen Tolkientitel mit deutschem Titel zu nennen – Tolkien ist ja fast komplett ins Deutsche übertragen worden (mit Ausnahme von acht Bänden der „History of Middle-Earth“). Die Credits am Anfang des Buches nennen die von Klett-Cotta verwendete HOBBIT-Fassung.

Unterm Strich

Für Filmfreunde, die wissen wollen, wie das Riesenprojekt der HOBBIT-Trilogie, die ja bereits komplett abgedreht worden ist, verwirklicht wurde und welche digitalen und künstlerischen Tricks dabei zum Einsatz kamen, ist dieses Buch ein Muss. Allerdings kommen wirkliche Fachleute hier ein wenig zu kurz. Um wirklich technische Details zu erfahren, sollten sie die „Chroniken“ zum HOBBIT erwerben. Die ersten drei dieser CHRONIKEN sind erhältlich, sie kosten aber jeweils nochmal zehn Euro mehr als der vorliegende Band, nämlich knapp 30 Euro. Im Mai/Juni folgt nochmal so ein Schmankerl für Sammler.

Leute, die einen Sinn für Humor haben, werden sich an den zahlreichen kuriosen Fakten und Aussagen der Schauspieler und Crew-Mitglieder ergötzen, die Brian Sibley zusammengetragen hat (und die bei einem Projekt dieser Dimension nicht ausbleiben können). Aber sie seien auch gewarnt: Der Humor, den angelsächsische Schauspieler besitzen, ist mitunter pechschwarz.

Die heimlichen Stars in einem Film sind stets die Schurken, denn sie haben die besten Zeilen. Leider fehlen auch in diesem Band die im Rechner erzeugten Schurken, nämlich Smaug, Sauron (der Nekromant) und Azog. Das mag daran liegen, dass man digital existente Figuren schlecht interviewen kann. Oder daran, dass die Produzenten diese Geheimnisse nicht preisgeben wollten. Auch in den anderen Büchern zu „Smaugs Einöde“ glänzen Smaug und Sauron durch Abwesenheit.

Broschiert: 168 Seiten
Originaltitel: The Hobbit: The Desolation of Smaug. Movie Guide (2013)
Aus dem Englischen von Katrin Harlaß
ISBN-13: 978-3608960457

www.klett-cotta.de

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