Sandra Brown – Crush – Gier (Lesung)

Dank der angesehenen Ärztin Rennie Newton wird der Berufskiller Lozada in Texas freigesprochen. Doch dann geschieht ein Mord, der Rennie sehr gelegen kommt, und alle Hinweise deuten auf Lozada als Täter. Steckt sie mit ihm unter einer Decke? Polizist Threadgill, der sich in die Verdächtige verliebt, hält sie für unschuldig und begibt sich in die Schusslinie zwischen der Ärztin und dem Killer, der ihr seine Liebe etwas zu aufdringlich mitteilt. Aber liegt er auch richtig?

Die Autorin

Sandra Brown arbeitete als Schauspielerin und TV-Journalistin, bevor sie 1990 ihren Roman „Trügerischer Spiegel“ schrieb. Mittlerweile gehört sie zu den erfolgreichsten Autorinnen in den USA und in Europa. Jedes ihrer Bücher stand laut Verlag monatelang auf den Bestsellerlisten. Ihren Durchbruch als Thrillerautorin erzielte Brown mit dem Roman „Die Zeugin“. Diesen Erfolg konnte sie mit „Envy – Neid“ noch steigern. (Verlagsinfo)

Die Sprecherin

Franziska Pigulla war Moderatorin bei n-tv, SAT.1 und bei der BBC in London. Als eine der bekanntesten Sprecherinnen synchronisiert sie Gillian Anderson aus „Akte X“, Demi Moore, Fanny Ardant und Sharon Stone. Auch als Erzählerin bei „Galileo“-Dokumentation ist sie regelmäßig im Off zu hören. Für Hörbuchverlage hat Pigulla bereits mehrere Romane vorgetragen.

Handlung

Tief in Texas. Mitten in der Nacht bekommt der Chirurg Dr. Lee Howell einen Anruf, der ihn wegen eines Notfalls auf der Autobahn in die Klinik der Großstadt Fort Worth ruft. Doch es gab in Wahrheit keinen Notfall, und so bietet sich dem Parkplatzwächter Malcom Looty am nächsten Morgen ein Anblick, der ihn zum Dauerkotzen bringt: Howell liegt blutüberströmt und mausetot über dem Steuer seines BMW.

Das ruft natürlich die Polizei vom FWPD auf den Plan, allen voran Detective Oren Wesley. Um mehr Hilfe bei diesem Fall zu erhalten, fährt er drei Stunden an die Südküste nach Galveston. Dort haust sein früherer Kollege Wick Threadgill in einem besseren Rattenloch, seitdem man ihn beurlaubt hat. Er hat einen wichtigen Fall verbockt. Als Oren Wesley den Namen Ricky Roy Lozada nennt, schrillen bei Wick sämtliche Alarmglocken. Wegen seines Fehlverhaltens hat nämlich der Berufskiller Lozada einen Freispruch vor Gericht erhalten: aus „Mangel an Beweisen“.

Bei ihren Ermittlungen im Umfeld des getöteten Chirurgen stoßen Wesley und Wick auf die attraktive Chirurgin Dr. Rennie Newton, 36, die ein schlagkräftiges Motiv für den Mord an Howell hat: Sie war seine Hauptkonkurrentin um den Posten des Chefs der Chirurgie gewesen, und der Mord erfolgte nur wenige Tage, nachdem man sich für Howell entschieden hatte.

Oren zeigt Wick das Video, in dem das Police Department die Chirurgin zur Mordsache Lee Howell vernahm. Die Blondine mit den grünen Augen sieht umwerfend aus, gibt sich aber kühl wie die Eiskönigin. Sie schmettert mit ihrem Anwalt sämtliche Fragen ab. Ganz besonders aber jene Unterstellung, die eigentlich nahe liegt: Hat sie den Killer Lozada angeheuert, um das Dreckgeschäft zu machen? Sie hatte ihn ja als Sprecherin der Jury vor Gericht kürzlich freigesprochen. Da muss sie doch einen starken Eindruck bei ihm hinterlassen haben, oder?

Rennie Newton macht sich keineswegs unverdächtiger, als bei einer heimlichen Hausdurchsuchung herauskommt, dass sie rote Rosen von einem unbekannten Verehrer bekommen hat. Dem Strauß war eine Karte beigefügt: „I’ve got a crush on you – Ich bin verrückt nach dir“. Lozada, der Killer, ist, wie später die Bullen, in ihre Wohnung eingedrungen, um ihr seine Verliebtheit zu gestehen. Sie verschweigt der Polizei nicht nur dies, sondern auch, dass sie von Lozada entsprechende Anrufe erhält. Prompt wird sie observiert. Überall …

Nicht nur Lozada wird zum Stalker, wenn es um Rennie geht, sondern auch Wick Threadgill. Er passt sie auf einem Hochzeitsempfang ab, gibt sich als Programmierer aus und geleitet sie zu ihrem Wagen. Unabsichtlich erreicht er zwei Dinge: Er schützt Rennie vor Lozadas Zugriff, bringt sich aber zugleich in die Schusslinie des Killers, dessen Eifersucht geweckt ist. Und Lozada ist ein betuchter Mann, der über Mittel und Wege verfügt, alles über Rennie und Threadgill herauszufinden. Nicht, dass er nicht schon ziemlich viel über Wick wüsste: Schließlich hat der Finsterling Wicks Bruder Joe auf dem Gewissen.

Wick hat sich in Rennie verliebt und erkennt seine prekäre Lage zwischen ihr, Lozada und der Mordkommission, wo ihn Oren Wesley misstrauisch im Auge behält. Er fährt in Rennies Heimatstadt Dalton, denn er ist von ihrer Unschuld überzeugt. Diese Überzeugung wird jedoch erheblich erschüttert, als er im Restaurant den lokalen Klatsch über Rennie sammelt. Sie soll in ihrer Jugend ein heißer Feger gewesen sein, der nichts anbrennen ließ und sogar bei Rodeos mitritt? Und mit sechzehn soll sie einen Mann, den Partner ihres Daddys, erschossen haben, wurde aber nie verurteilt? Wick kann es kaum glauben.

Wie passt dieses Bild zu jener unnahbaren Eiskönigin, die er in Fort Worth kennen gelernt hat? Irgendetwas stimmt hier überhaupt nicht. Aber auch Lozada, der Freund von Skorpionen und Schnappmessern, ist inzwischen nicht untätig und flüstert seiner Angebeteten ins Ohr, von wem sie beim Zubettgehen observiert wird …

Mein Eindruck

Als ich merkte, wie in dieser Story der Hase lief, schrillten bei mir selbst die Alarmglocken: Nicht schon wieder eine Stalker-Story! Erbarmen! Und sollte ich wirklich glauben, dass ein Berufskiller eine Chirurgin zur Lebensgefährtin haben möchte, damit er sich in Ehren zur Ruhe setzen kann? Ein Mann, der sich tödliche Skorpione in der Wohnung hält und sein Zimmermädchen zum Oralsex zwingt? Nein, danke!

Während für mich Lozada immer unglaubwürdiger wurde, erhielten Wick und Rennie immer mehr Reiz, denn der zwiespältige Eindruck, den die Ärztin bei ihm hinterlassen hat, stellt ein Rätsel dar. Wicks Bemühungen, das Geheimnis zu lüften, führen zu einer interessanten, fast schon kuriosen Gegenbewegung im Plot des Buches. Während sich die unausweichliche Konfrontation zwischen Wick und Lozada um den Besitz von Rennie anbahnt, arbeitet sich Wick Schritt für Schritt in Rennies Vergangenheit vor.

Da die spröde Schöne nur ganz allmählich auftaut und nicht gerade begeistert davon ist, dass sich der „Programmierer“ Threadgill als Ex-Bulle Threadgill entpuppt, der bei ihr eingebrochen ist, erhalten Wick und wir nur häppchenweise Informationen über Rennies angeblichen ersten Mord. War es Notwehr, als sie seinerzeit Raymond Collier erschoss? Wollte er sie vergewaltigen? Warum machte sie dann ihre Aussage ganz kühl und beherrscht, als man sie vernahm? Immerhin war sie ja erst sechzehn Jahre alt.

Wann immer ihr der fesche Wick an die Wäsche will, legt Rennie ein zwiespältiges Verhalten an den Tag. Einerseits wehrt sie sich zunehmend weniger gegen seine Liebesbezeigungen, andererseits stößt sie ihn weg, wenn er sie küssen oder mehr will. Wenn sie, wie sie behauptet, seit zwanzig Jahren keinen Mann mehr im Bett gehabt hat, wieso ist sie dann nicht völlig ausgehungert nach Zärtlichkeiten? Genau wie Wick müssen auch wir bis zur allerletzten Szene warten, bis wir die Besonderheit um jenen schicksalhaften Tag erfahren, als die 16-jährige Rennie ihrer Heimatstadt für immer den Rücken kehrte.

Während also die Haupthandlung sich in die Zukunft bewegt, muss sich Wick in die Vergangenheit vor zwanzig Jahren vorarbeiten, um das Mysterium um Rennie Newton, die geliebte Verdächtige im Mordfall Howell, verstehen und sie vielleicht sogar entlasten zu können. Dumme Sache: Je besser er sie versteht, desto größere Risiken nimmt er auf sich. Er bietet sich – und Rennie – zweimal als Köder dar. Einmal geht er dabei fast drauf.

Der glorreiche Höhepunkt besteht aber darin, dass Wick und Wesley einen Plan einfädeln, von dem weder wir noch Lozada auch nur ahnen, dass es eine Falle ist. Als Lozada in die Falle tappt, erfahren wir erst hinterher, dass auch wir hinters Licht geführt wurden. Na klar, sonst wäre ja die Spannung perdu gewesen!

Der Titel

Einige Worte zum Titel: Wie kann man „crush“ bloß mit „Gier“ übersetzen? „To have a crush on someone“ bedeutet nämlich „in jemanden verknallt sein“. Und das trifft ja bekanntlich mehr auf junge Menschen zu. Wenn nun ein gestandener Mann sich in eine Ärztin verknallt, macht er sich mehr oder weniger zum Narren, weil er sich weit unterhalb dessen verhält, was seiner Altersstufe angemessen wäre: ein Killer auf Freiersfüßen? Ja, sicher doch.

Um diesem lächerlichen Eindruck entgegenzutreten, muss die Autorin ihren Schurken zu einem gefühlskalten und obendrein paranoiden Monster machen, das seinen Willen mit Skorpionen und Messern durchsetzt. Nicht gerade subtil, wie die Autorin hier vorgeht. Der Gipfel wird erreicht, als sie uns einen von Lozadas wichtigsten Helfern vorstellt: Der Hacker „Weenie“ heißt so, weil er sich selbst bepinkelt, wenn er nervös ist und/oder Angst hat. Plumper kann man seine Figuren eigentlich nicht mehr zeichnen.

Die Sprecherin

Franziska Pigulla kann sowohl Besoffene und Wütende als auch Selbstmordkandidaten realistisch darstellen. Das könnte man durchaus von ihr erwarten (obwohl sie keine Schauspielausbildung zu haben scheint). Auch Brüllen, Kreischen und Säuseln habe ich schon einmal von ihr gehört – im Hörbuch zu dem Thriller [„Die Leopardin“ 111 von Ken Follett.

„Crush“ bietet ihr Gelegenheit, sämtliche Höhen und Tiefen ihrer umfangreichen Stimme auszuloten. Da wäre beispielsweise der alte Bullenreiter-Champion, den Wick im tiefsten Texas an der Theke des Restaurants kennen lernt. Der Alte erzählt von der jungen Rennie mit der tiefsten Stimme, derer sich Pigulla befleißigen kann. So wird die Szene viel humorvoller, als sie wahrscheinlich im Buch ausfallen würde. Und Gus ist nicht mal betrunken.

Dies ist allerdings bei der feschen Sally Horton der Fall, die sich in einer Bar an Wick heranmacht, der sich gerade volllaufen lassen will. Sally hat offenbar Ambitionen, ins Prostitutionsgeschäft einzusteigen und lässt ihre Stimme entsprechend verführerisch klingen. Da sie dabei über Mister Lozada spricht, dem sie das Bett macht und Blowjobs besorgt, lullt sie Wick aber nicht ein, sondern weckt ihn vielmehr auf. Hier hört man die Sprecherin so richtig zweideutig daherreden. Auch diese Szene ist ziemlich komisch.

Dass ihre Stimme höchste Höhen erreichen kann, stellt sie kurioserweise nicht an einer Frau unter Beweis, sondern an einem Mann: Weenie. („Weenie“ ist übrigens ein umgangssprachlicher Begriff für „Schwanz“ oder „Schlappschwanz“.) Der Bettnässer wird von Lozado so in Angst und Schrecken versetzt, dass er klingt, als habe ihm der Killer schon die Eier abgeschnitten – und nicht bloß damit gedroht.

Bemerkungen über Musik und Geräusche entfallen von wegen „is nich“. Ich habe schon unterhaltsamere Produktionen gehört, so etwa bei |Lübbe Audio|, wo man wenigstens Intro und Extro mit Musik garniert hat.

Unterm Strich

Für die geschickte und den Leser überlistende Handlungsführung und die psychologisch halbwegs plausible Figurenzeichnung – außer Lozada – bekommt Brown von mir eine insgesamt gute Wertung, doch für den abgedroschenen Stalker-Plot und das langweilige Gelaber im vierten Akt gibt es Punktabzug. Aber für den exzellenten Vortrag von Franziska Pigulla vergebe ich an das Hörbuch gerne einen Bonus, so dass der Gesamteindruck wieder ausgeglichen ist. Wer sich das Produkt kaufen will, erhält bei Amazon.de einen erklecklichen Preisnachlass.

420 Minuten auf 6 CDs
Originaltitel: Crush, 2002
ISBN-13: ‎978-3898309257

www.luebbe.de

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