Lothar-Günther Buchheim – Der Abschied

Der Buchumschlag lässt schon erahnen, dass es wohl um tiefsinnige Rekapitulation der Vergangenheit zweier vom Seekrieg gezeichneter und geprägter Männer geht. Auch hier gilt wieder die Devise, dass Buchheim selbst, wie schon bei „Das Boot“ und dem inoffiziellen zweiten Teil „Die Festung“, das Werk als „fiktiv, aber nicht erfunden“ tituliert. Den Leser erwartet ein sehr zäher, fast 600-seitiger Reisebericht einer Fahrt, die irgendwann – so oder so ähnlich – um 1980 stattgefunden haben muss. Buchheim reist mit dem „Alten“ ein letztes Mal auf einem zivilen Schiff nach Südafrika. Es ist seine letzte Fahrt als aktiver Kapitän und Buchheim ist als sein Gast an Bord.

Der Autor

Buchheim, geboren 1918 in Weimar, galt schon als 14-Jähriger als künstlerisches Talent und Wunderkind. Seine Kindheit verbrachte er in Chemnitz, machte Abitur und studierte später Kunst in Dresden. Bereits in seiner Jugend waren seine Zeichnungen und Malerarbeiten in diversen Zeitungen und Kollektiv-Ausstellungen anzutreffen. In der NS-Zeit besuchte er die Marineschule und wurde als Leutnant vom OKM (Oberkommando Marine) bzw. der PK (Propaganda Kompanie) als Marinekriegsberichter auf unterschiedlichen – vom Zerstörer bis hin zu den U-Booten – Einheiten eingesetzt.

Kurz nach dem Krieg eröffnete er eine Kunstwerkstätte und Kunstgalerie – 1951 gründete der nicht immer vom Schicksal begünstigte Buchheim (Augen- und Beinverletzung, Zuchthaus, gescheiterte Ehe) sogar einen eigenen Kunstverlag, der sich heute zu einer der größten privaten Kunstsammlungen des deutschen Expressionismus gemausert hat. Im bayrischen Feldafing, in welchem er in den Wirren der Nachkriegszeit sogar (unfreiwillig) Polizeichef war, lebte Buchheim seit Kriegsende.

Neben seinen (teils autobiographischen) Geschichten rund um den Seekrieg und vor allem den der U-Boote, schrieb Buchheim auch Werke über Malerei/Expressionismus. Seit seiner Zeit auf U-96 hat Buchheim immer wieder Kontakt zu dem damaligen Kapitänleutnant (bürgerlich: Heinrich Lehmann-Willenbrock), der auch für die Figur des „Alten“ in „Das Boot“ Pate stand.

Zum Inhalt

Von einer Story im herkömmlichen Sinn kann man eigentlich nicht reden, das Buch ist eher Reisebericht und Vergangenheitsbewältigung zweier Kriegsveteranen zugleich. Auf der einen Seite haben wir den „Alten“, der mittlerweile das Kommando auf seiner letzen Fahrt der „Otto Hahn“ (einem Nuklear-Forschungsschiff) innehat und Buchheim auf der anderen Seite, der seinen alten Kaleun und langjährigen Freund auf dieser Reise nach Durban (Südafrika) als Passagier begleitet. Buchheim als Künstler und Fotograf interessiert sich immer noch für die Schönheit des Meeres und des Himmels – aber auch ganz besonders für die technischen Aspekte des Reaktors des Schiffes.

Dadurch scharwenzelt Buchheim auch quer durch das Schiff, lässt sich alles en detail zeigen und erklären, beobachtet die Besatzung und vergleicht die Seefahrt damals und heute. Wobei „heute“ so auch nicht stimmt, denn diese Reise muss schon etwas länger her sein und fällt definitiv hinter die Veröffentlichung von „Das Boot“ aber noch vor jene von „Die Festung“. Die Reise ist natürlich durchzogen von Gesprächen der beiden, die sich gegenseitig bei jeweils kleinen Umtrunken unter vier Augen Informationsbrocken hinschmeißen.

So erfährt der Leser, was nach den Ereignissen auf U-96 nach „Das Boot“ alles mit ihnen in den Nachkriegsjahren passiert ist. Drei Wochen haben die beiden Zeit, sich über dieses und jenes zu unterhalten, denn so lange dauert die Fahrt der „Otto Hahn“ in den Zielhafen, wo sie (neben einigen auf der Reise stattfindenden Tests der Manövrierfähigkeit) eine Ladung Steinkohle übernehmen soll. Da dies die offensichtlich letzte Fahrt des „Alten“ sein soll, der schon seinen Ablöser hinter sich weiß, muss Buchheim sich sputen, wenn er Antworten haben will…

Kritik

Mit einem Wort: Langatmig! Dies ist eigentlich kein Roman, sondern ein Reisebericht, denn es fehlt die Handlung. Action oder außergewöhnliche Zwischenfälle finden nicht statt, die „Otto Hahn“ tuckert zusammen mit den Protagonisten und dem Leser gemächlich in Richtung Südafrika, wobei man sich irgendwie an den Gammeldienst an Bord von U-96 erinnert fühlt. Die Gespräche der beiden sind zunächst nicht besonders ergiebig, ist der Alte doch eh als extrem wortkarger Mensch bekannt. Er druckst bei ihm unangenehmen Themen seiner Vergangenheit gerne rum und beschwert sich dafür lieber subtil über die neuen gesellschaftlichen Zeiten in der Seefahrt. Als Angehöriger einer ganz anderen Generation und der Kriegsmarine seinerzeit, sind ihm so manche der demokratischen Gepflogenheiten an Bord scheinbar zuwider.

Er fühlt sich wohl damit leicht überfordert, denn als Kapitän eines zivilen Handelsschiffes ist man nicht mehr die mächtige Gestalt des Kaleun, der die alleinige Herrschaft über ein Schiff hat. Gewerkschaften, Krankmeldungen und die im Grunde genommene Sinnlosigkeit eines Nuklearschiffes und speziell der „Otto Hahn“ (sie ist ja kein reines Handels- sondern eher ein Versuchsschiff und muss daher auch nicht wirtschaftlich fahren) zehren an seinen Nerven. Im tiefsten Inneren ist er doch froh, dass dies seine letzte Fahrt als Kapitän ist und er sich dann zur Ruhe setzen kann – ohne auf diesen neumodischen Kindergarten aufpassen zu müssen.

Dazu insistiert Buchheim immer wieder mit Fragen betreffend der gemeinsamen Vergangenheit und des Werdegangs des Alten, nachdem der Krieg gelaufen war. Diese Passagen sind dann wieder leidlich interessant zu lesen. Doch auch der Alte will im Gegenzug ein paar Informationen aus Buchheim herausholen, so ist jeder von ihnen mal dran, die Ereignisse von damals aufzurollen – Übrigens duzen sich die beiden, seit wann, ist nicht erwähnt – doch ist dies auch schon die zweite Reise von Buchheim mit dem Alten auf der „Otto Hahn“. Wenn das Gespräch auf das Thema „Simone“ kommt, mauern beide bis fast zum Schluss (Simone ist Buchheims erste Frau, die wohl auch was mit dem Alten gehabt zu haben scheint, sie wird zum ersten Mal bereits im Roman „Das Boot“ immer wieder erwähnt).

Apropos: „Das Boot“ und eventuell auch „Die Festung“ sollte man schon gelesen haben, denn solche „Nebenkriegsschauplätze“ in der Biographie der beiden bekommt man sonst nicht mit und überliest sie unter Umständen, was die Geschichte dann noch öder werden lässt. Überhaupt eignet sich „Der Abschied“ nicht als Stand-Alone-Lektüre, trotz Buchheims krampfhaften Versuches durch seine ansonsten trefflichen – fast schon legendär prosaischen – Beobachtungen seiner Umwelt und Mitmenschen an Bord. Das mag auch einen guten Kontrast zu den Schilderungen der Kriegsgeschehnisse darstellen, doch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass etwas an Zeit und Text zu schinden versucht wird, um von den nur sehr spärlich fließenden Informationshäppchen abzulenken.

Übertragbar sind die Zustände an Bord sowieso nicht vollständig auf unsere Zeit heute, diese Reise muss sich etwa um 1980 oder eher kurz davor angespielt haben, wenngleich Buchheim keinerlei Datumsangaben macht, sondern nur von den „Seetagen“ an Bord spricht. Einige Sätze enthalten dennoch Hinweise auf das _wann_ der Tour: Aktuelle Nachrichten, seine Uhr (die er „seit 40 Jahren“ – also auch schon 1941 auf U-96 – hat) oder auch die Tatsache, dass laut meiner Internetrecherche, die „Otto Hahn“ 1968 offiziell in Dienst gestellt wurde und der Alte 10 Jahre lang der Kapitän des Schiffes war. Somit ergibt sich ein Zeitfenster von 1978 – 1981, denn der Alte ist nur noch ehrenhalber der Kapitän an Bord dieser Reise und nicht mehr der offizielle Schiffsführer.

Warum Buchheim jedoch erst 2000 das Buch veröffentlichte, kann ich nur raten, vielleicht aus Pietätsgründen seinem Freund Heinrich Lehmann-Willenbrock und dessen Familie gegenüber, der aber auch schon bereits im November 1986 verstarb. Brisante Enthüllungen sind augenscheinlich jedenfalls nicht zu entdecken und somit bleibt das „Warum?“ reine Spekulation, eine weitere Möglichkeit ist, dass Buchheim mit sich selbst vielleicht auch erstmal ins Reine kommen musste, um diesen Roman zu verfassen – Von ihm erfahren wir auch eine Menge Privatkram, der aber auch nicht unbedingt skandalös, sondern allenfalls interessant ist. Nix Genaues weiß man nicht.

Alles in allem ja ganz nett, und ein paar wissenswerte Informationen und Anekdoten aus den Biographien finden sich auch, doch ist der insgesamte Stoff arg trocken und übertrieben in die Länge gezogen. Außerdem wären da noch die bildhaften Beschreibungen des Schiffes, des Meeres und des Himmels (und seine bekannten, leicht sexistisch gefärbten Einlagen zum weiblichen Teil der Bevölkerung), in denen sich Buchheim auch schon in seinen anderen Büchern so gern verliert. Streicht man dieses ganze belanglose Drumherum auf ein vernünftiges Maß runter, dann bliebe ein Buch mit vielleicht 150 Seiten übrig, die restlichen 400 hätte er sich gerne sparen können – so hart das auch klingt.

Fazit

Ein für Nichtkenner der Materie rund um U-96 bestimmt nicht geeignetes Buch über den Nachkriegswerdegang Buchheims und des Alten. Zwar kann man diesen „Roman“ auch als Reisebericht lesen, der Einblick in das erste (und letzte) deutsche Nuklear-Testschiff „Otto Hahn“ gewährt, Schwerpunkt sind jedoch die Erinnerungen der beiden Kriegsveteranen. Zumindest sollte es so sein. Diese ziehen sich aber stellenweise wie Kaugummi dahin, weil beide Hauptakteure bei bestimmten Themen sich gegenseitig erstmal Nebelkerzen zuwerfen, sich vor Antworten drücken und diese dann auf spätere Kapitel vertagen.

Immer wieder muss der jeweils Andere seitenlang nachbohren zu irgendeinem Punkt in der Vita des Gegenübers, und zwischendrin wird dann wieder über die „Jetztzeit“ schwadroniert, was die zivile Schiffsführung und deren Probleme anbelangt. Das unterbricht den ohnehin zähen Lesefluss oftmals zusätzlich und hinterlässt einen konfusen Beigeschmack, da irgendwie kein klarer, konzeptioneller Erzählstrang zu finden ist bzw. wenn sich denn doch mal eine erkennbare Linie abzeichnet, diese sofort wieder unnötig verwässert wird. Resümee: Allenfalls für Fans empfehlenswert.

Gebundene Ausgabe: 559 Seiten
www.piper.de