Bujold, Lois McMaster – Barrayar – Gefährliche Missionen (alternativ: Cetaganda)

Mit dem |Barrayar|-Zyklus schreibt sich Lois McMaster Bujold seit 1986 in die Herzen nicht nur amerikanischer SF-Fans. Die vielfach ausgezeichnete Autorin verdankt der Space Opera um den körperlich missgebildeten Miles Vorkosigan vier ihrer fünf |Hugo| sowie zwei |Nebula Awards|. Auch im Fantasy-Bereich hat Bujold mit „Chalions Fluch“ sowie dem mit |Hugo| und |Nebula Award| ausgezeichneten [„Paladin der Seelen“ 973 Erfolge aufzuweisen.

Der ungewöhnliche Held Miles besticht in seinen Romanen mit Humor und Verstand, in der traditionellen und rückständigen Kriegergesellschaft der Barrayaner ist sein scharfer Verstand für den kaiserlichen Geheimdienst unentbehrlich, doch offiziell wird er als Diplomat und Günstling des Kaisers geführt, der nur aufgrund seines berühmten Vaters trotz Glasknochen und verkrüppeltem Wuchs in der körperbetonten Gesellschaft der Barrayaner einen Platz gefunden hat.

Der kluge Miles erhält so einen tragisch-komischen Touch, der ihn sehr sympathisch macht, man leidet mit ihm, wenn seine spröden Knochen im ungünstigsten Moment brechen, oder er in der Liebe wegen seines Mangels an Attraktivität frustriert ist. Seine Karriere im Geheimdienst beginnt, nachdem er an der körperlich zu schweren Aufnahmeprüfung der Flotte scheitert – um sich kurze Zeit später unter dem Pseudonym Admiral Naismith eine eigene Söldnertruppe aufzubauen, die Dendarii-Söldner, die unwissend somit im Dienst des Kaiserreichs Barrayar steht.

Auch in diesem Sammelband, der die vielfach prämierten Romane „Cetaganda“, „Ethan von Athos“ sowie die Novelle „Labyrinth“ enthält, wird die Söldnertruppe von Bedeutung sein. Dieses Mal werden jedoch die Genetik und ihre Folgen und Auswirkungen für einzelne Personen sowie die gesamte cetagandische Gesellschaft im Mittelpunkt stehen.

Die Neuauflage des |Barrayar|-Zyklus in Sammelbänden durch |Heyne| ermöglicht es SF-Fans, eine chronologisch geordnete Gesamtausgabe des Barrayar-Zyklus zu erwerben. Diese sind in sich abgeschlossen, man muss also nicht gezwungenermaßen bei Band 1 beginnen, zumal jeder einzelne Sammelband einen anderen Schwerpunkt setzt, wie in diesem Fall auf Genetik. Wer es sich nicht nehmen lassen will, den Zyklus in chronologischer Reihenfolge zu lesen, sollte mit den ebenfalls ausgezeichneten Sammelbänden „Cordelias Ehre“ und [Der junge Miles 953 beginnen.

|Cetaganda|

Miles Vorkosigan stellt zusammen mit seinem Cousin Ivan Vorpatril die Trauerdelegation des barrayanischen Kaiserreichs anlässlich des Staatsbegräbnisses der Kaiserin Cetagandas, dem Erzfeind Barrayars.

Bereits bei der Ankunft wird ihre Fähre in ein abgelegenes Terminal umgeleitet und Miles von einem offensichtlich sehr nervösen und ungeschickten Attentäter attackiert, der auf der Flucht zudem noch einen aufwändig kodierten Datenspeicher verliert. Miles bittet Ivan, den Vorfall vorerst für sich zu behalten – denn offenkundig ging dieser Anschlag nicht vom cetagandischen Sicherheitsdienst aus, der selbst nichts davon zu wissen scheint …

In der Folge lernt Miles die komplizierte cetagandische Gesellschaft besser kennen, während Ivan sich am liebsten Vorreedi, dem barrayanischen Sicherheitschef auf Cetaganda, anvertrauen würde, denn auf Miles und ihn werden immer weitere Mordanschläge verübt. Schlimmer noch: Man findet die Leiche des Terminal-Attentäters mit aufgeschlitzer Kehle am öffentlich ausgestellten Sarg der Kaiserin!

Erst die Haud Rian, Hüterin der Sternenkrippe, offenbart Miles die Tragweite der Ereignisse: Eine Verschwörung gegen das cetagandische Kaiserreich, die auch Barrayar mit ins Verderben reißen könnte, ist im Gange! Deshalb fordert sie energisch von Miles den „Schlüssel“, den sie in seinem Besitz weiß. Miles ist zugleich ihre letzte Hoffnung, denn der berüchtigte Sicherheitsdienst kann ihr nicht helfen, auch er ist in den Wirrwarr aus Verrat und Intrige verwickelt … Es geht um nichts Geringeres als die Kontrolle über das Haud-Genom, dem die herrschende Schicht Cetagandas entstammt.

|Ethan von Athos|

Der Planet Athos ist eine reine Männergesellschaft – es gibt keine Frauen, alle Männer werden in Uterus-Replikatoren gezüchtet, Homosexualität ist die Norm und das Recht auf Kinder muss man sich durch soziale Verdienstpunkte erwerben. Doch dem Männerplanet droht eine Existenzkrise: Die für die Uterus-Replikatoren verwendeten Eierstöcke altern und sterben ab. Eine Lieferung frischer Eierstöcke sollte dieses Problem lösen, doch man hat die Athosianer hereingelegt: Totes Gewebe, teilweise von Kühen und anderer Unrat wurde ihnen für eine horrende Summe angedreht. Dr. Ethan Urquhart, Leiter der Abteilung für reproduktive Biologie, soll den Fall auf der Raumstation Kline klären und unter allen Umständen umgehend neues Gewebe für die Replikatoren besorgen.

Ethan ist mit dieser Aufgabe völlig überfordert: Er wird als Schwuchtel und Perversling verprügelt, kommt mit der fremdartigen Umgebung einer Raumstation nicht klar, und zu allem Überfluss gibt es auf dieser auch noch Frauen!

Völlig verstört und eingeschüchtert, wird Ethan von der hübschen Eli Quinn von den Dendarii-Söldnern unter ihre Fittiche genommen. Denn seltsamerweise hat auch der cetagandische Geheimdienst Interesse an der Lieferung für Athos und beginnt mit der Jagd auf Ethan. Eli findet heraus, dass es ihnen um das Genmaterial des entlaufenen Klons Terrence Cee geht, der sich angeblich auch auf der Raumstation befindet – und tot oder lebendig für den Geheimdienst von höchster Bedeutung ist …

|Labyrinth|

Miles soll in seiner Tarnidentität als Admiral Naismith von den Dendarii-Söldnern für den barrayanischen Geheimdienst einen Genetiker in Sicherheit bringen. Leider arbeitet dieser auf Jackson’s Whole, dem korruptesten Gangsterloch der ganzen Galaxis, für eines der hohen Häuser. Diese aus Verbrechersyndikaten hervorgegangenen Pseudoaristokratien stellen die recht eigenwillige „Regierung“ dieser Welt. Traditionell widmen sich die Häuser bevorzugt einem Gebiet, das von Waffenhandel bis hin zur Prostitution reichen kann – oder eben der Schaffung künstlicher Lebewesen ohne moralische Einschränkungen jeglicher Art.

Seine Mission bringt Miles in Kontakt mit den Baronen und ihren bedauernswerten Opfern. Bei der Rettung des Wissenschaftlers stellt sich dieser ebenfalls als Scheusal heraus, entgegen seinen Anweisungen befreit Miles eines seiner „Experimente“, nebst der von den Baronen als einer Art exotisches Schaustück gehaltenen Quaddie Nicol.

_Geheimagenten und Genetiker_

Man mag es kaum glauben, aber zwischen „Cetaganda“, dem neuesten der drei Romane, und „Ethan von Athos“ liegen ganze elf Jahre. Die Thematik dieses Sammelbandes ist trotzdem erstaunlicherweise aus einem Guss, alles dreht sich um Genetik und ihre Einflüsse auf Einzelpersonen und ganze Gesellschaften, vortrefflich demonstriert an dem Kaiserreich Cetaganda, dessen Kultur japanische Einflüsse aufweist, aber dennoch so vollkommen anders ist. Besonders interessant fand ich das Machtverhältnis zwischen Kaiser und Kaiserin und ihren Gouverneuren. Miles wird von der übermenschlichen Schönheit der cetagandischen Haud-Frauen, die sich normalerweise nur in ihren weißen Energiekugeln quasi verschleiert zeigen, geradezu geblendet, und darf sich anstelle des Lesers beängstigt fragen, wohin die Perfektion und Zuchtauswahl der Haud sie führen wird – Werden sie sich im weiteren Verlauf ihrer Entwicklung überhaupt noch als Teil der gewöhnlichen menschlichen Rasse ansehen? „Cetaganda“ ist mit Abstand der spannendste Roman des Sammelbands und mein Favorit, der Mix aus Agententhriller, SciFi und Genetik ist vortrefflich gelungen.

„Ethan von Athos“ ist die humorvollste Geschichte, sie entstand bereits vor der Veröffentlichung des ersten |Barrayar|-Romans bei |Baen Books|. So trägt Ethan einige Charakterzüge des späteren Helden Miles; mit der smarten Eli Quinn, die bereits im ersten Sammelband Plasmaverbrennungen im Gesicht erlitten hat, taucht zudem eine dank betanischer Biotechnologie wiederhergestellte strahlende Schönheit auf, die in einer ursprünglichen Konzeption der Serie wohl Miles Gefährtin hätte werden sollen. Neben der amüsanten Männergesellschafts von Athos gefällt vor allem der Kontrast zu der Raumstation. Originell stellt Bujold das Leben an Bord von Station Kline dar: So machen sich Eli und Ethan des Öfteren die Sicherheitsorgane der Station zunutze, fingieren einen Brand oder geben der Biokontrollwartin der Station Hinweise auf eine eingeschleppte Krankheit oder eine Kakerlake, auf die sie sich mit dem Zorn und Eifer einer Furie stürzt. Mit der Ernährung an Bord der Station hat Ethan auch einige Probleme, werden doch tote Menschen zum Düngen der Pflanzenkulturen verwendet, ebenso scheint die Speisekarte fast nur aus Wassermolch zu bestehen: Wassermolch-Creole, Molch-Mousse in Aspik, gebratene Wassermolcheier, Molch mit Fritten oder Molch im Topf hängen allerdings auch den Stationsbewohnern zum Hals heraus, welche die in der atmosphärischen Wiederaufbereitungsanlage als Nebenprodukte entstandenen Molche massenweise als Froschschenkel an planetarische Restaurants verkaufen.

Doch es geht nicht nur abstrus und lustig zu auf Station Kline, denn Oberst Millisor vom cetagandischen Sicherheitsdienst versteht überhaupt keinen Spaß – ohne die smarte Eli hätten der gesuchte Klon Terrence sowie Ethan keine Chance. Hier setzt auch meine Kritik an, denn Eli ist nicht ganz so sympathisch oder glaubwürdig wie andere Figuren; wie viele weibliche Hauptfiguren Bujolds (wie z. B. Miles Mutter Cordelia) ist sie ein wenig zu perfekt, wo bei den männlichen klare Schrullen und Macken vorhanden sind. Der Spaßfaktor überwiegt in dieser Geschichte den Thriller-Anteil, allerdings ist Bujolds Humor wirklich köstlich genug, um die durch die Blödelei etwas fehlende Spannung zu kompensieren.

Der Titel „Labyrinth“ enthält eine Anspielung auf den Klon, den Miles aus seinem Kerker befreit: |Taura| ist eine Mischung aus Mensch und Stier – quasi ein Minotaurus, ein gezüchteter Superkriegerprototyp, der leider nicht zur vollständigen Zufriedenheit ausfiel. In dieser Novelle wird die Skrupellosigkeit von Wissenschaftlern im Dienst noch skrupelloserer Verbrecher, den Baronen des verkommenen und ultrakorrupten Planeten Jackson’s Whole, angeprangert. Aber auch normale Menschen sind gegenüber exotischen Wesen herablassend oder reduzieren sie auf den Status eines Lustspielzeugs, wie es Baron Ryoval mit der Quaddie Nicol tut. Quaddies sind übrigens beinlose, dafür vierarmige Menschen, die an Nullgravitation angepasst wurden. Auch auf Miles wirkt Taura sehr befremdlich, aber er selbst ist an Gehässigkeiten und herablassende Kommentare wegen seiner körperlichen Defizite gewöhnt; gerade auf Barrayar wird alles von der Norm Abweichende abgelehnt. Darum setzt er alles daran, nicht nur sie, sondern auch Nicol zu retten.

Um seinen Auftrag, den Genetiker sicher nach Barrayar zu bringen, zu erfüllen, muss Miles sich auf einige krumme Deals mit den Baronen Fell und Ryoval einlassen und sie gegeneinander ausspielen – was gar nicht so einfach ist, denn auch wenn man sich untereinander inoffiziell um die Macht rangelt, von einem dahergelaufenen Söldnerkommandanten lässt man sich nun wirklich nicht an der Nase herumführen – und so landet Miles schließlich im Labyrinth bei Taura …

Als Novelle ist |Labyrinth| nicht ganz so umfangreich wie die beiden vorhergehenden Romane, die Geschichte passt dennoch hervorragend in das große Thema des Romans, die Genetik, und setzt dabei wieder andere Akzente. War |Cetaganda| spannend und faszinierend, |Ethan von Athos| vor allem humorvoll, macht das |Labyrinth| in erster Linie nachdenklich.

_Unterhaltsamer kann eine Space Opera kaum sein_

Lois McMaster Bujold wurde und wird nicht umsonst mit Auszeichnungen überhäuft. Sie hat ein Talent als Geschichtenerzählerin, das seinesgleichen sucht. Mit Miles Vorkosigan hat sie einen liebenswerten Antihelden geschaffen, dessen Abenteuer einen unwiderstehlichen Mix aus Science-Fiction, Agententhriller und Komödie bieten. Ihr Sinn für Humor und die ironische Weise, in der die Charaktere in ihren Dialogen Ereignisse kommentieren, sind einfach köstlich.

Neben einer Sternenkarte sowie einer nützlichen Zeittafel des Zyklus enthält der Sammelband auch ein aufschlussreiches Nachwort der Autorin. Für die exzellente Übersetzung zeichnet wieder einmal Michael Morgental verantwortlich, der bereits zahlreiche andere Romane des Barrayar-Universums übersetzt hat. Ebenso zahlreiche in den Originalausgaben vorhandene (Sinn-)Fehler der Übersetzung wurden für „Gefährliche Missionen“ dankenswerterweise korrigiert.

Ich kann die Barrayar-Sammelbände jedem SciFi-Fan nachdrücklich empfehlen. Man erhält nicht nur in Deutschland schwer erhältliche Novellen aus dem Barrayar-Universum; die Möglichkeit, eine hervorragende Neuausgabe dieser mit Preisen wahrlich überschütteten Serie zu erhalten, sollte man sich nicht entgehen lassen. Wie auch die anderen Barrayar-Romane konnte ich dieses Buch einfach nicht aus der Hand legen.

Der Titel „Gefährliche Missionen“ ist vermutlich eine Last-Minute-Entscheidung des Verlags, ursprünglich wurde der dritte Barrayar-Sammelband mit „Cetaganda“ tituliert, deshalb findet man selbst auf den Seiten des Verlags „Gefährliche Missionen“ noch mit dem alten Covertitel „Cetaganda“.

Die offizielle Homepage der Autorin:
http://www.dendarii.com/