Lois McMaster Bujold – Im Schatten des Wolfes (Chalion 3)

Band 1: „Chalions Fluch“
Band 2: „Paladin der Seelen“

Handlung

Prinz Boleso ist tot. Was nicht gerade bedauerlich ist, denn nach dem Mord an einem Dienstboten, dessen Leiche er danach gehäutet und in Stücke geschnitten hat, ist die königliche Familie froh, das im Exil lebende schwarze Schaf los zu sein, bevor es ihren Ruf weiter beschmutzen kann.

Leider ist der Prinz zu einem ungelegenen Zeitpunkt gestorben: Der Geheiligte König selbst kränkelt und Prinz Boleso ist unter alles andere als normalen Umständen gestorben. Er wurde erschlagen – von seiner eigenen Gespielin, Lady Ijada dy Castos, einem Kammerfräulein seiner Schwester, Prinzessin Fara.

Lord Ingrey von Wolfengrund soll die Schöne zu ihrem Tribunal in der Hauptstadt bringen. Er ist besorgt, denn Ijada könnte politischen Interessen geopfert werden, der Fall könnte dem Königreich schaden. Neben Prinz Bolesos Leichnam wurde auch noch der eines strangulierten Leoparden gefunden, offensichtlich wollte der Prinz ein uraltes und verbotenes Ritual ausführen, bei dem der Geist eines Tieres mit dem eines Kriegers verschmolzen wird, um diesem seine Stärke zu geben. Die versuchte Vergewaltigung danach sollte die Krönung darstellen.

Vor 150 Jahren wurde das „Weald“ von den darthacischen Quintariern, Anhängern der fünf Götter, erobert. Der letzte wahre Geheiligte König wurde auf dem treffend benannten Blutfeld mit einer ganzen Generation Weald-Krieger vom Feind überrascht und bis auf den letzten Mann abgeschlachtet. Mit dem König starb auch seine Naturreligion, die fünf Götter der Sieger nahmen ihren Platz ein. Heute existiert sie nur noch in Form von Kinderreimen und Aberglauben.

Bis heute – denn der alte Glaube kehrt zurück. Dies war nicht das erste verbotene Ritual dieser Art. Gerade jetzt, wo der Tod des Königs nahe ist. Lord Ingrey selbst ist unwohl zumute, denn sein Geist wurde in seiner Jugend wider Willen von seinem Vater mit dem eines jungen Wolfs verschmolzen. Während die Verschmelzung beim alten Grafen misslang und in Wahnsinn endete, gelang sie bei Ingrey – der fortan unzählige Exorzismen über sich ergehen lassen musste, bis man ihn für geläutert, wenn auch nicht geheilt erklärt hatte.

Ingrey verneint und drängt den immer noch in ihm lauernden Wolf zurück, doch in Ijadas Nähe kann er ihn nicht beherrschen. Denn auch Ijada ist von einem Tiergeist besessen, dem des geopferten Leoparden. In Ingrey keimt der Verdacht auf, dass dies alles kein Zufall sein kann. Warum weiß der mit Prinzessin Fara verheiratete Graf Wenzel, ein Jugendfreund Ingreys, so viel über diese Rituale? Ingrey muss dunkle Geheimnisse aus ferner Vergangenheit enthüllen, um das Königreich zu schützen, das in falsche Hände zu fallen droht.

Im Schatten des Wolfes

Im selben Universum, wenn auch an anderer Stelle, in dem an uralte südenglische Wälder angelehnten „Weald“ mitsamt den Ritualen und der Religion der dortigen Britannier, die sich mit Waid ihre Gesichter blau färbten und mit Tierhäuten behangen in die Schlacht zogen, spielt „Im Schatten des Wolfes“, im Original treffender „The Hallowed Hunt“. Für „Weald“ und einige andere Ausdrücke fand der ansonsten gute Übersetzer Alexander Lohmann wohl keinen passenden deutschen Ausdruck und beließ sie deshalb im Original.

Mein Eindruck

Tierfantasy sollte man trotz des wieder einmal bei George R. R. Martin geklauten Titelbilds der |Das Lied von Eis und Feuer|-Serie mit einem unübersehbaren Wolf in der Mitte nicht erwarten. „Im Schatten des Wolfes“ orientiert sich vielmehr am ersten Teil der Chalion-Serie, ein alter Fluch steht im Mittelpunkt. Dabei kommen jedoch starke religiöse Bezüge ins Spiel, die an „Paladin der Seelen“ erinnern. Die historischen Konflikte bei der Christianisierung Britanniens dienen hierbei als Vorlage. Es ist nicht nötig die beiden ersten Bänder der Reihe zu kennen, Bujold hält sich an ihr viel versprechendes Konzept in sich abgeschlossener Romane in einer nur lose geschlossenen Welt.

Leider fehlt auch diesmal eine Karte, was man jedoch verschmerzen kann: Die Handlung spielt offensichtlich in Britannien, eine Europakarte scheint als Vorlage für diese fiktive Welt zu dienen. Es kann aber auch in Bujolds Absicht liegen, den Fokus auf die Geschichte selbst zu lenken und sich vom Seriencharakter ihrer mittlerweile inoffiziell als „Chalion“-Serie benannten Romane zu distanzieren, denn gerade dies lag nicht in ihrer Absicht, als sie dieses Universum schuf.

„Im Schatten des Wolfes“ lehnt sich vom Aufbau her wie gesagt eher an „Chalions Fluch“ an; obwohl es eine relativ schwache Romanze zwischen den Hauptcharakteren Ingrey und Ijada gibt, liegt der Schwerpunkt auf einer sich langsam immer mehr entfaltenden und komplexer werdenden Verschwörung mit düster-religiösem Hintergrund. Die verschlungene Handlung unterhält mit komplexen und überraschenden Wendungen, die Bujold wie üblich meisterhaft inszeniert. Weniger rühmlich ist ihr überraschenderweise diesmal die Charakterisierung der Hauptfiguren gelungen. Ingrey ist ein braver Mann, Ijada eine schöne und starke junge Frau. Damit hätte man die beiden auch bereits vollständig charakterisiert, denn sie werden von der Geschichte erdrückt und erhalten keine Chance, zu runden Charakteren zu werden, bleiben so leider blass und können nicht an die interessante Entwicklung Cazarils oder gar den legendären Myles Vorkosigan heranreichen.

Auch die Nebencharaktere bleiben nicht verschont; aus den sonst oft amüsanten Kumpanen werden blasse oder gar irritierende und ersetzbare Nebenfiguren. So muss alleine die Story die Spannung und den Unterhaltungsfaktor aufrechterhalten, was bemerkenswert gut gelingt. Leider jedoch nicht vollständig. Der religiös und mythisch angehauchte Plot lebt von der Ungewissheit des Lesers, das Ende der Geschichte ist ab einem gewissen Punkt absehbar und nicht mehr überraschend, geschweige denn befriedigend. Uninispirierter Mystizismus beendet unrühmlich eine geschickt und spannend aufgezogene Handlung. Schade, denn mit stärkeren Charakteren hätte man Bujold das schwache Ende wohl verzeihen können.

Fazit:

„Im Schatten des Wolfes“ erscheint wie der Versuch, die besten Seiten von „Chalions Fluch“ und „Paladin der Seelen“ miteinander zu verbinden, scheitert dabei jedoch kläglich. Eine raffinierte und unterhaltsame Handlungsführung um eine Art uralten Fluch, den es aufzuklären gilt, zeichnet diesen Roman aus. Im Gegensatz zu „Chalions Fluch“ können jedoch die Charaktere nicht überzeugen, die Handlung ist wie in „Paladin der Seelen“ auf wenige Orte beschränkt. Bei allem Können Bujolds kann sie die relative dünne Geschichte nicht endlos strecken. „Im Schatten des Wolfes“ ist zwar immer noch gut und lesenswert, aber der bislang schwächste Teil der Chalion-Reihe.

Die Autorin

Lois McMaster Bujold (* 2. November 1949) ist eine erfolgreiche SciFi- und Fantasy-Autorin, die bereits fünfmal mit dem hoch angesehenen Hugo Award und dreimal mit dem Nebula Award ausgezeichnet wurde.

Zu ihren bekanntesten Werken gehört die |Barrayar|-Space-Opera mit ihrem Helden Miles Vorkosigan. Doch auch im Fantasy-Bereich hat die Autorin beachtliche Erfolge aufzuweisen. Dem historisch stark an das mittelalterliche Italien angelehnten |Fiamettas Ring| folgte 2001 „Chalions Fluch“, der den Mythopoeic Award für Erwachsenenliteratur gewann und für den World Fantasy Award 2002 nominiert wurde. Der Nachfolger „Paladin der Seelen“ gewann sowohl den Hugo als auch den Nebula Award 2004.
Die offizielle Homepage der Autorin: www.dendarii.com

Taschenbuch: 509 Seiten
Verlag: Bastei-Lübbe
Auflage: 1 (Oktober 2006)
ISBN-13: 9783404205479