Bulwer-Lytton, Edward / Gruppe, Marc – verfluchte Haus, Das (Gruselkabinett 6)

_Schaurig-romantisches Geister-Hörspiel_

London, 1865: Daniel Douglas ist vom Wunsch besessen, einmal eine Nacht in einem Spukhaus zu verbringen. Durch seinen Freund Timothy Collins erfährt er von einem wohl mehr als geeigneten Objekt: In dem offenbar verfluchten Haus in der Oxford Street hat es Timothy nur wenige Tage ausgehalten.

Seit Jahren blieb dort kein Mieter länger als ein paar Tage. Doch der zynische Geisterjäger Daniel glaubt nicht an Gespenster und beschließt, dennoch die Nacht dort zu verbringen, begleitet nur von seinem unerschrockenen Diener Edward und seinem Terrier Mermaid.

Zusammen kommen sie einer Tragödie und einem doppelten Verbrechen auf die Spur, was ihr Nervenkostüm bis zum Äußersten strapaziert, wenn nicht sogar überfordert …

_Der Autor_

Edward George Bulwer-Lytton, 1803-73, war ein adliger Londoner, dessen politische Karriere ihn ins House of Lords brachte., das parlamentarische Oberhaus. Als Autor wurde er vor allem durch das verfilmte „Die letzten Tage von Pompeji“ (1834) bekannt. Aber er verfasste auch einige interessante SF-Romane, darunter die reaktionäre Utopie „The Coming Race“ (1879, dt. als „Geschlecht der Zukunft“, bei |dtv|) und „The Haunted and the Haunters“ (1905).

_Die Sprecher & Macher_

Der besondere Reiz der Schauerromantikreihe bei [Titania Medien]http://www.titania-medien.de/ liegt darin, dass hier vor allem Sprecher zum Einsatz kommen, die wir mit bekannten Hollywoodstimmen verbinden. So tritt beispielsweise Claus Wilcke auf, dessen Stimme bei uns Alain Delon und Omar Sharif synchronisiert. Er selbst trat in der 70er-Detektiv-Reihe „Percy Stuart“ auf, die ich immer recht witzig fand, weil die Sprüche der Hauptfigur so cool waren.

William Jacobs, Vermieter: Claus Wilcke (s. o.)
Daniel Douglas: Patrick Winczewski (Hugh Grant)
Timothy Collins: Torsten Michaelis (diverse Stimmen, darunter Wesley Snipes)
Marian Wilcox: Dagmar Altrichter (Elizabeth Taylor)
Florence: Evelyn Maron (Ornella Muti)
Und sechs weitere Sprecher.

Das Skript für das Hörspiel stammt wie in der ganzen Reihe von Marc Gruppe. Zusammen mit Stephan Bosenius führte er auch Regie und produzierte das Hörbuch. Der gute Sound stammt von AudioCue & Kazuya und wurde von Kazuya c/o Bionic Beats abgemischt.

_Handlung_

Als der Ich-Erzähler Daniel Douglas seinen Freund Timothy Collins im Klub besucht, erschrickt er über dessen abgezehrtes Aussehen. Der Gute ist offenbar völlig mit den Nerven fertig. Die Rede kommt auf das Londoner Modethema Esoterik und Spuk. Oh, Tim weiß ganz genau, dass es Häuser gibt, in denen es spukt: Er war selbst in einem und sieht deshalb so fertig aus. Er hatte es vor sechs Wochen mit seiner Frau gemietet und hielt es dort nur drei Tage aus. Daniel, der Geisterjäger, ist trotz Timothys ernster Warnung sofort interessiert, in dem „verfluchten Haus“ in der Oxford Street seine Standfestigkeit auf die Probe zu stellen.

Er bietet dem derzeitigen Verwalter William Jacobs an, das Haus zu „untersuchen“. Dafür verlangt Jacobs kein Geld, denn Daniel täte ihm einen Gefallen, könnte er den Spuk dort aufklären, wenn nicht sogar vertreiben. Die vorherige Hausverwalterin Mrs. Wilcox ist leider keine Hilfe, denn sie verstarb drei Wochen zuvor. Schon 35 Jahre besteht der Spuk, Jacobs selbst hielt es dort nur drei Stunden aus.

Das wird ja immer besser! Tatendurstig zieht Daniel mit seinem unerschrockenen Diener Edward und seinem Terrierweibchen Mermaid ein. Es dauert nicht lange, und trotz des prasselnden Kaminfeuers laufen den Besuchern kalte Schauer über den Rücken. Ein Luftzug, Schritte, ein kindliches Flehen: „Helft mir!“ Der Hund führt zur richtigen Tür im Keller. Sie öffnet sich zu einem rundum von hohen Mauern umgebenen Hinterhof. Daniel sieht, wie Fußabdrücke auf ihn zukommen, ihn passieren und im Nichts verschwinden. Im Wohnzimmer huscht ein Gespenst vorbei, das mit Frauenstimme „Elliott!“ ruft.

Soso: ein Junge namens Elliott und eine Frau – vielleicht Mrs. Wilcox selig? Hinauf geht’s in jenes ominöse Zimmer, von dem ihm Timothy erzählt hat. Und in der Tat ist es dort am grausigsten. Der Raum ist eiskalt, mal verschlossen, mal nicht, das Zimmer liegt direkt über dem Hinterhof, und die Stimmen von Elliott und Mrs. Wilcox sind zu hören. Etwas Schreckliches hat sich hier zugetragen. Unterm Dachboden entdeckt er endlich Mrs. Wilcox’ Mansardenzimmer und findet dort zwei alte Briefe.

Das hätte er aber bleiben lassen sollen, denn ein dritter Unsichtbarer von gewalttätiger Natur will die Briefe unbedingt zurückhaben und versetzt Daniel mit seiner eiskalten Hand in Angst und Schrecken. Doch er widersteht dem ersten Angriff und gelangt so in den Besitz der Kenntnis über eines der grausamen Verbrechen, deren Geheimnis im verfluchten Haus gehütet wird.

Dies ist erst der Anfang, und bevor der Spuk vorüber ist, muss Daniel mit Edward noch so manche Probe bestehen. Denn auf dem Haus lastet seit seiner Erbauung vor 80 Jahren ein Fluch – und somit auf allen seinen Bewohnern, ob lebendig oder tot …

_Mein Eindruck_

Die Erzählung ist spannend wie eine Detektivgeschichte, in der die Wahrheit ebenfalls erst durch hartnäckige Ermittlungen ans Tageslicht befördert werden muss. Und doch folgt sie auch den Gesetzen der Horrorgeschichte, in der in der Regel ein uralter Fluch aufgehoben werden muss, um die Welt von einem alten Übel zu befreien, das immer neue Opfer fordert.

Am interessantesten ist dabei stets die Figur des Geisterjägers, der die Aufgabe hat oder übernimmt, die Welt zu erlösen. Mit welchen Überzeugungen und Mitteln wird er (oder seltener sie) ans Werk gehen? Wird er auf die höheren Mächte des Guten vertrauen? Oder vermag er ganz aus eigener Rationalität heraus den Kampf mit dem Bösen aufzunehmen? Braucht er dazu nicht ebenfalls irgendeine Art von Glauben, an den er sich klammern kann? Genauso wie sich die Zeiten ändern, so auch die Geisterjäger. Durch sie als Stellvertreter stellt der Autor die eigene Zeit auf den Prüfstand: Wird sie dem Bösen standhalten und es vielleicht sogar beseitigen?

Zweifel sind von vornherein bei Daniel Douglas angebracht. Zu selbstsicher erscheint uns seine zynische Manier. Und da er die Geschichte seiner Heldentaten selbst erzählt, können wir seinem Bericht vielleicht nicht einmal trauen. Wenigstens heißt der Autor nicht Henry James, denn sonst hätten wir es von vornherein mit einem „unzuverlässigen Chronisten“ zu tun.

Doch Daniel können wir trauen, selbst wenn er in seinem Bericht schließlich doch gesteht, tatsächlich Angst gehabt zu haben. Schließlich besteht er ja auch nicht aus Eis, wenn er auch ein hartgesottener Zyniker zu sein scheint. Seine Neugier und das Mitgefühl mit dem Jungen Elliott bringt ihn dazu, nach dem Schlüssel zu suchen, wie er den Geist des armen Jungen erlösen kann. Das ist aber nur die erste Phase. Wie Dante, so muss auch Daniel in den untersten Kreis der Hölle, um den Fluch aufzuheben. Solch einen Geisterjäger loben wir uns, auch wenn wir mit Indiana Jones viel mehr Spaß hätten.

Immer wieder gelingt es dem Autor, eine konkrete Szene aufzubauen und wie einen Film ablaufen zu lassen. Das mutet uns recht modern an und ist vielleicht auf den Einfluss des immens erfolgreichen Charles Dickens zurückzuführen, dem es ja auch immer gelang, in seinen Zeitungsromanen den Leser durch emotionale Szenen zu fesseln. (Vielleicht liegt es aber am dramaturgischen Geschick von Marc Gruppe.) Die Kette der Szenen dient dazu, die Geheimnisse des verfluchten Hauses zu lüften, bis in einem packenden Finale der Urheber des Fluches, den wir aus dem Prolog kennen, dorthin zurückgeschickt wird, wo er hingehört.

|Die Sprecher|

Die Macher dieser Hörspiele suchen ihren Vorteil im zunehmend schärfer werdenden Wettbewerb der Hörbuchproduktionen offensichtlich darin, dass sie dem Zuhörer nicht nur spannende Gruselunterhaltung bieten, sondern ihm dabei auch noch das Gefühl geben, in einem Film voller Hollywoodstars zu sitzen. Allerdings darf sich niemand auf vergangenen Lorbeeren ausruhen: bloßes Namedropping zieht nicht, und So-tun-als-ob ebenfalls nicht.

Die Sprecher, die vom Starruhm der synchronisierten Vorbilder zehren, müssen selbst ebenfalls ihre erworbenen Sprechfähigkeiten in die Waagschale werfen. Zum Glück machen sie dies in hervorragender und glaubwürdiger Weise. Statt gewisse Anfänger zu engagieren, die mangels Erfahrung bei den zahlreichen emotionalen Szenen unter- oder übertreiben könnten, beruht der Erfolg dieser Hörspielreihe ganz wesentlich darauf, dass hier zumeist langjährige Profis mit schlafwandlerischer Sicherheit ihre Sätze vorzutragen wissen. (Wir wissen allerdings nicht, welche Pannen ihnen dabei unterlaufen sind. Fest steht aber, dass keine Pannen oder Fehler zu hören sind.)

|Musik und Geräusche|

Schauerromantik lebt von den entsprechenden Emotionen, die von ausgefallenen Szenen, die über die übliche Realität hinausweisen, hervorgerufen werden. Es ist die Qualität dieser Emotionen, die unser Erleben, unsere „Unterhaltung“ ausmacht. Während die Geräusche für einen gewissen Realismus in der Präsentation der Handlung sorgen, ist es hingegen die filmische Musik, die die Emotionen direkt steuert.

Das Hörspiel hebt sich von der Konkurrenz darin ab, dass sich die Musik ziemlich zurückhält. Das bedeutet, dass es keine längeren Pausenfüller gibt, in denen bombastische Klänge so tun, als gäbe es etwas Aufregendes zu bewundern. Fehlanzeige. Gut so. Aber auch bei hochdramatischen Szenen wie etwa dem Angriff des Unsichtbaren auf unseren Helden, tritt die Musik nicht unbedingt in den Vordergrund, denn das würde auch stören. Wie man sieht, ist auch der Einsatz von Musik eine Frage der Dosierung. Dieses Hörspiel bietet genau die richtige Dosis.

_Unterm Strich_

„Das verfluchte Haus“ bietet eine Geschichte, die sich ausgezeichnet für diese Hörspiel-Reihe eignet – zumindest in der von Marc Gruppe redigierten Fassung. Die Originalerzählung, die mir leider nicht bekannt ist, könnte ganz anders aussehen. Der Geisterjäger jedenfalls mutet uns ziemlich modern an: unerschrocken, rational, zynisch, dann aber wieder mit einem sympathischen Eifer, wenn es um das Seelenheil des Geisterjungen geht. Dabei hat er aber wenig mit dem jugendlichen Übermut eines (jungen!) Indiana Jones gemeinsam, sondern wandelt vielmehr in den Fußstapfen eines Sherlock Holmes – obwohl dieser, als die Story entstand, noch gar nicht erfunden worden war.

Das Hörspiel bietet wie ein Gruselfilm eine sich steigernde Abfolge horrormäßiger Szenen. Dabei kann es mitunter recht handgreiflich zugehen, was die Action angeht. Daher ist die Produktion von ihren Machern erst ab 14 Jahren empfohlen. Für die Game-Junkies dürfte das wenig abschreckend erscheinen. Sie sind meist schon an eine härtere Dosis Gewalt gewöhnt.

|1 CD, ca. 63 Minuten|

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
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[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)