Jim Butcher – Sturmnacht [Harry Dresden 1]

Detektiv und Magier Harry Dresden kommt einem mörderischen Hexer auf die Spur, den er unbedingt fassen und ausschalten muss, da man sonst ihm die Untaten anhängen wird … – Auftakt einer erfolgreichen Serie, die erfolgreich, unterhaltsam und unter Einsatz trockenen Humors den „Private Eye“-Krimi mit dem Horror-Thriller kombiniert.

Das geschieht:

Harry Blackstone Copperfield Dresden ist Privatdetektiv in einem Chicago, das in einer parallelen Welt existiert. Die ist mit der unseren fast identisch, allerdings ist Zauberei real. Dresden ist ein Magier. Mehr schlecht als recht schlägt er sich beruflich durch; meist engagieren ihn seine Kunden, um verlorene Wertgegenstände oder untergetauchte Ehemänner bzw. -frauen aufzuspüren. Gerade hat die junge Monica Sells ihn angeheuert; Gatte Victor ist verschwunden.

Reine Routine, denkt Dresden, der deshalb einen weiteren Fall übernimmt. Die Kriminalpolizei beschäftigt ihn manchmal als Berater in Fällen, in denen Zauberei im Spiel ist. Karrin Murphy, Leiterin einer Sonderermittlungseinheit, führt ihn an einen grausigen Tatort: Tommy Tomm, Leibwächter des Mafia-Bosses Johnny Marcone, wurde förmlich das Herz aus der Brust gerissen. Dresden erkennt die Folgen eines Fluches, was ein Verbrechen ist, das der „Weiße Rat“, dem sich alle Magier zu beugen haben, äußerst streng bestraft.

Freilich wissen nur Magier von seiner Existenz, und so soll es nach dem Willen des Rates bleiben. Dresden weiß das gut, denn er ist schon mehrfach mit dem Rat in Konflikt geraten und steht dort quasi unter Bewährung. Dennoch wird er Murphy unterstützen. Damit fordert er nicht nur den Rat heraus. Auch Marcone setzt sich mit ihm in Verbindung und fordert ihn auf sich herauszuhalten.

Nun steckt Dresden zwischen Hammer und Amboss. Und weil aller schlechten Dinge drei sind, muss er auch noch feststellen, dass es zwischen dem mörderischen Magier, dem brutalen Marcone und seiner Klientin Monica Sells Verbindungen gibt, die ihn endgültig zum Freiwild für Freunde und Feinde werden lassen. Mit Schusswaffen und Zauberei ist man hinter ihm her und schickt ihm Dämonen auf den Hals, während Dresden verzweifelt versucht herauszufinden, wie er seinen Fall lösen und womöglich am Leben bleiben kann …

Genre-Mix mit Doppel-Wirkung

Doppelt gemoppelt hält besser – ein albern klingendes Sprichwort, das indes mehr Weisheit enthält als man zunächst annimmt. Die Unterhaltungsliteratur kennt Krimis und Horror-Thriller. Beide Genres sind beliebt. Warum sie nicht kombinieren? Sie lassen sich in der Tat verschmelzen, und das Ergebnis kann reizvoll ausfallen, auch wenn es ansonsten – ein weiterer Anreiz für den Verfasser – an originellen Plot-Ideen fehlt: Im ungewöhnlichen Gewand wirkt auch das Bekannte aufregend.

Mord und Magie traten schon vor Jim Butcher gemischt auf. Schon 1910 ließ William Hope Hodgson (1877-1918) „Carnacki the Ghost Finder“ ermitteln. Zu nennen ist auch Randall Garrett (1927-1987), der seinen magischen Ermittler Lord Darcy ab 1966 in einer alternativen Welt auf Gauner- und Dämonenjagd gehen ließ. In den USA der 1930er Jahre schickt Patricia N. Elrod den Vampir-Detektiv Jack Fleming auf Spurensuche. Film und Fernsehen betreiben den Genremix noch intensiver.

Okkulte Detektive sind erstaunlich tauglich für Abenteuer gleich in Serie. Diese Erfahrung konnte auch Jim Butcher mit seinen „Dresden-Files“ machen, von denen er seit 2000 mindestens einen jährlich auf den Buchmarkt bringt.

Verkehrte aber alltägliche Welt

Die Originalität erschöpft sich bei nüchterner Betrachtung im Genre-Mix. Der erfahrene Leser wird sehr schnell erkennen, wie der Plot-Hase läuft, während der Verfasser Harry Dresden ein wenig zu auffällig und lange im Dunkeln tappen lässt. Der eigentliche Reiz geht von der Eleganz und dem Witz aus, mit denen Butcher seine parallele Welt gestaltet. Er stellt Magie einerseits als alltägliches Element und andererseits als Talent dar, das keine Übermenschen schafft und strengen Regeln unterliegt. Zauberer müssen ihren Job erlernen, und manchen gelingt das besser als anderen. Butcher ‚erklärt‘, wie Magie ‚funktioniert‘, ohne dabei allzu sehr ins Detail zu gehen und sich dadurch zu blamieren. Er geht genauso so weit, wie er gehen darf, und so wirkt es durchaus plausibel, wenn Dresden und sein Schädelgeist Bob Liebes- oder Fluchttränke brauen, Zaubersprüche wahrlich magische (oder katastrophale) Folgen zeitigen oder ein Prostituierten-Ring von einer Vampirfrau geleitet wird.

Sehr hilfreich ist dabei Butchers Hang, seine Geschichte nicht wirklich ernst zu nehmen. Er wandelt hier erfolgreich auf einem schmalen Grat: „Sturmnacht“ erzählt eine Geschichte, die mit zahlreichen (gelungenen & weniger gelungenen) Gags und Anspielungen auf literarische und filmische Vorbilder angereichert wird. (Dafür gibt’s im Angelsächsischen den schönen Ausdruck „tongue-in-cheek“.) Die Leser werden spannend unterhalten und wissen doch jederzeit, dass genau dies und nichts anderes Ziel des Verfassers ist. Richtig gruselig wird es nie, spannend aber oft, zumal Butcher immer einen Dreh findet, eigentlich todsichere Zaubersprüche spektakulär schiefgehen zu lassen.

Ärger, nichts als Ärger

Zum Erfolg einer hoffentlich lang laufenden Reihe ist nicht nur eine tragfähige Handlung wichtig, sondern auch der Held, der sie bestreitet. Mit Harry Dresden hat Tom Butcher ihn zweifellos gefunden. Dabei geht er freilich gleich doppelt auf Nummer Sicher: Wie es sich für einen zünftigen Detektiv gehört, ist Dresden eine grundehrliche Haut und daher sowohl stets pleite als auch in Schwierigkeiten, wenn er erneut wider besseres Wissen einen Fall übernimmt, der ihm nur Ärger und wenig Einkommen bescheren wird. Er ist ein sympathisches Opfer seiner Rechtschaffenheit, die ihn zwingt, die Partei der Schwächeren zu ergreifen: ein Sam Marlowe des 21. Jahrhunderts – mit außergewöhnlichen Fähigkeiten freilich.

Aber auch als Magier steckt Dresden in Schwierigkeiten. Ohne eigenes Verschulden ist er mit dem mächtigen, sehr unflexiblen „Weißen Rat“ aneinandergeraten, der ihn wegen der in Notwehr erfolgten Tötung eines bösartigen Zauberers fast hingerichtet hätte. Gerade ist Dresden noch davongekommen, doch seither sitzt ihm der Apparatschik Morgan im Nacken, der ihn im Auftrag des „Rates“ überwacht und fatalerweise zu jenen gehört, die Dresden zu gern aus dem Verkehr ziehen würden.

Auch ohne Magie droht Körperverletzung

Noch mehr Ungemach droht Dresden in der ‚realen‘ Welt. Als Berater der Polizei verdient er zwar Geld, doch er muss sich mit dem Misstrauen seiner normalmenschlichen Kolleginnen und Kollegen auseinandersetzen, die verständlicherweise nervös werden angesichts eines Mitarbeiters, der ihre Gedanken lesen oder ihnen einen Eselskopf anhexen könnte. Sie wissen nicht vom „Weißen Rat“, was wiederum Dresdens Problem ist, denn er kann sogar der ihm grundsätzlich gewogenen Karrin Murphy nicht erklären, wieso er manchen magischen Weg bei polizeilichen Ermittlungen einfach nicht nehmen darf.

Murphy sorgt für die Verbindung zwischen den Welten der Magie und der Menschen. Butcher schildert sie vielleicht ein wenig zu taff und in ihren Job verliebt, aber auch das mag zu seinem Spiel mit den Elementen des Genres zu gehören. Selbstverständlich gibt es darüber hinaus allerlei knorrig-abgebrühte Cop-Figuren, die den Außenseiter Dresden ihr Misstrauen deutlich spüren lassen, und einen chronisch unzufriedenen Polizeichef, dessen Arbeit sich offenbar darin erschöpft zu schimpfen und Druck zu machen.

Monster sind auch nur Menschen

Zu großer Form läuft Butcher auf, wenn er Dresden auf Bewohner der ‚anderen‘ Welt treffen lässt. Luftgeist Bob, der in einem Schädel wohnt, wurde bereits erwähnt. Gut charakterisiert als Verkörperung der Lust und des Grauens ist die Vampirin Bianca. Für den erwünschten Leserärger sorgt Dresdens Nemesis, der humorlose Ratsknecht Morgan. Ansonsten sind auch Dämonen oder Elfen nur Menschen; Dresden geht mit großer Selbstverständlichkeit mit ihnen um, weil sie berechenbar und im Grunde nicht wirklich übernatürlich sind. Auch im Jenseits wird nur mit Wasser gekocht. Trotzdem gibt es Unwägbarkeiten genug, die immer wieder für jene Überraschungen sorgen, die Harry Dresden zur Freude seiner zahlreichen Fans zu weiteren Auftritten zwingen.

„Sturmnacht“ stellt als erster Teil einer Serie Weichen für die Fortsetzungen. Butcher hält sich mit Enthüllungen klug zurück, viele Fragen bleiben. Zukünftige Konflikte werden vorbereitet. Johnny Marcone oder seine neue Todfeindin, die Vampirfrau Bianca, werden Harry Dresden in späteren Episoden wieder unterhaltsam zu schaffen machen.

Autor

Jim Butcher wurde 1971 in Independence, einer Kleinstadt im US-Staat Missouri, geboren. Er wuchs mit den populären Mythen des späten 20. Jahrhunderts auf, unter denen er „Star Wars“ und den „Herrn der Ringe“ besonders heraushebt. Auf dem College studierte Butcher Englische Literatur. In dieser Zeit heiratete er, das Paar bekam einen Jungen. Um die junge Familie durchzubringen, nahm Butcher diverse Brotjobs an. Nachdem er seinen Abschluss gemacht hatte, kam er als Englischlehrer unter.

Butchers Karriere als Schriftsteller begann nach einer endlosen Reihe von Ablehnungen und nachdem er gleich mehrere Romane für die Schublade geschrieben hatte. Die „Dresden Files“ um einen Detektiv und Magier galt zunächst als Geheimtipp, entwickelte sich aber bald zum Erfolg, zumal Butcher kontinuierlich neue Abenteuer folgen und eine deutliche Qualitätssteigerung erkennen ließ. Bereits 2007 wurde die Serie vom TV-Sender Syfy (damals noch Sci-Fi-Channel) verfilmt, brachte es jedoch nur auf eine Staffel mit zwölf Folgen.

2004 begann Butcher die „Codex-Alera“-Serie, die abenteuerliche Science Fiction bietet und womöglich noch erfolgreicher als die „Dresden Files“ ist. 2015 startete Butcher die Serie „Cinder Spires“, ein Steampunk-Abenteuer.

Privat ist Butcher, der mit seiner Familie nach wie vor in Missouri lebt, ein versierter Kampfsportler und Reiter, der auch öffentlich seine Künste auf dem Pferderücken vorführt. Über sein Werk informiert er auf der stets aktuellen Website www.jim‑butcher.com. Mehr Infos über Leben und Karriere gibt es hier  bzw. hier.

Taschenbuch: 320 Seiten
Originaltitel: Stormfront (New York : Roc 2000)
Übersetzung: Jürgen Langowski
http://www.feder-und-schwert.com

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