C. L. Moore – Der Kuss des schwarzen Gottes. Phantastische Erzählungen

Lilith, Jirel und der Kuss des Schwarzen Gottes

In dieser Erzählsammlung sind zum ersten mal die besten zehn Novellen von C.L. Moore vereint, die meisten erstmals in deutscher Sprache. Herausgegeben wurde die Sammlung von dem bekannten SF-Autor und –Verleger Lester del Rey („DelRey Books“, das jetzt zu Randomhouse gehört) und von der Autorin mit einem Nachwort versehen. Johann Peterka versah das Buch mit interessanten Illustrationen. Der Band „Shambleau“ von 1990 ist identisch mit dem Band „Der Kuß des schwarzen Gottes“ von 1982.

Die Autorin

Catherine Lucille Moore, die Grand Old Lady der amerikanischen SF und Fantasy, wurde 1911 geboren und war die erste Autorin der USA, die regelmäßig für die Magazine des Genres schrieb. Das war in einer Zeit – den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts – als die Herausgeber ausschließlich Männer beschäftigten. Frauen wurden allenfalls mit potenziell männlichen Initialen (C.L. A.R. usw.) oder uneindeutigen Vornamen wie „Leslie“ veröffentlicht.

Ihre Erzählung „Shambleau“ erschien 1933 in „Weird Fiction“ und war ein voller Erfolg, der sie augenblicklich bekannt machte. Es folgten jährlich ein bis zwei Erzählungen, später in Zusammenarbeit mit dem SF-Autor Henry Kuttner, den sie 1940 heiratete. Ihr gemeinsames Pseudonym lautete meist „Lewis Padgett“.

C.L. Moores schriftstellerisches Werk ist schmal, aber gewichtig. Sie setzte Maßstäbe, vor allem in der meisterlichen Schilderung und Charakterisierung nichtmenschlicher Lebewesen. Ihr Einfluss auf die Schriftstellergeneration der siebziger und achtziger Jahre, so etwa bei tanith Lee, Roger Zelazny, Terry Carr und John Varley.

Die Erzählungen

1) Shambleau (1933)

Der am Rande der Legalität lebende Northwest Smith gerät in einer marsianischen Siedlerstadt in eine Verfolgungsjagd. Doch er kann sich davor rechtzeitig in Sicherheit bringen und wartet ab, wer denn da verfolgt wird: Es ist eine junge Frau in einem scharlachroten Lederdress, die einen Turban trägt – eine recht ungewöhnliche Aufmachung. Der Mob schreit: „Shambleau!“, als ob sie eine Hexe wäre und verbrannt werden müsste. Smith nimmt die Frau in Schutz und sagt, den Anführern, sie gehöre ihm. Man schaut ihn voll Mitleid und Verachtung an, geht dann fort. Smith ist erstaunt. Was hat die Leute so aufgebracht?

Er nimmt sie mit sich nach Hause in seine schäbige Absteige. Dort merkt er, dass sie eine fremde Lebensform sein muss, denn sie hat Katzenaugen, und unter ihrem Turban lugt im Dämmerlicht eine scharlachrote Locke hervor – die sich bewegt! Hat er sich getäuscht? Etwas in ihm sträubt sich dagegen, sie zu küssen. Zu groß ist der Abscheu vor dem absolut Fremden. In der Nacht hat er seltsame Träume voller Lust und Ekel.

Nachdem er am nächsten tag seine Erledigungen gemacht hat, kehrt er heim und bemerkt, dass Shambleau nichts gegessen hat. Hm, wovon ernährt sie sich denn dann, will er wissen. Von… anderen… Dingen, meint sie ausweichend. Sie spricht die terranische Sprache sehr schlecht, und so hält sich Smith zurück.

Doch mitten in der Nacht erwacht wegen einer Ahnung, dass etwas nicht stimmt. Im schwachen marsianischen Mondlicht sieht er, wie Shambleau, die Frau mit dem verführerischen Mädchenkörper, ihren Turban abwickelt. Darunter kommen Dinger zum Vorschein, die er zunächst für rote Locken hält, doch sie krümmen sich, wachsen, glänzen schleimig und bedecken bald ihren ganzen Körper. Er kann seinen Blick nicht abwenden, fasziniert und entsetzt. MEDUSA, schreit sein Geist, doch ein etelepathischer Befehl von der Kreatur verhindert, dass der Mann die Flucht ergreift. Und als sie ihren mit ihrem Katzenauge anschaut, ist es für ihn zu spät, um zu fliehen.

Mein Eindruck

Als diese Erzählung 1933 veröffentlicht wurde, hatte sie weitreichenden Einfluss auf das Schaffen vieler Autoren im phanatastischen Umfeld. Ohne sie wären geniale Stories wie „Black Destroyer“ von A.E. van Vogt, diverse „Star-Trek“-Episoden und der Roman „Die Feuerschneise“ von James Tiptree jr. nicht denkbar gewesen. Denn diese schildern wie „Shambleau“ die Essenz des absolut Fremdartigen, das mit dem Menschen nichts gemeinsam hat – außer vielleicht der äußerlichen Gestalt.

Das Besondere an der Kreatur Shambleau ist zudem, dass sie die Verkörperung eines uralten Menschheitsmythos ist – ja, sogar dessen Grundlage, weil die Rasse der Shambleaus schon uralt ist. Somit schließt sich also ein Kreis, und die Idee, dass Aliens usnere Vorbilder für gewisse Ideen sein könnten, ist ebenso folgenreich wie die Darstellung des Fremdartigen.

Drittens berührt das Shambleau einen tiefen Zwiespalt in Northwest Smith, der in allen Menschen existiert: Die Lust, die die Gorgo erzeugt, ist dem Fleisch willkommen und erfüllt das Bedürfnis nach Befriedigung der Libido. Doch die begegnung mit dem absolut Fremden jagt unserer Seele eine grundlegende Angst ein, die den Geist zum Kontrahenten des Fleisches macht. Dieser Zwiespalt bringt Smith fast um. Nur sein Freund kann ihm das Leben retten, doch er selbst ist dazu nicht mehr imstande: Das Shambleau hat ihm die Lebensenergie ausgesaugt….

2) Schwarzer Durst (1934)

Auch in dieser Story ist Northwest Smith die Hauptfigur. Der beinharte Raumfahrer ist im Raumhafen Ednes auf der Venus gelandet und treibt sich im Hafen herum, als ihm eine wunderschöne junge Frau über den Weg läuft. Eigentlich spürt sie ihn sogar auf, denn er verbirgt sich im Schatten. Sie ist eine Minga, eine für Schönheit gezüchtete Liebessklavin, die vom Herrn der Burg von Minga gezüchtet und an Könige und Staatsoberhäupter verkauft wird. Diese Minga hier ist äußerst mutig, sich nachts in einer verrufenen Gegend sehen zu lassen. Doch die Strafen, eine Minga anzurühren, sind bekanntermaßen drakonisch. Er soll sie in der Burg besuchen. Parole: „Vaudir“.

Als er sich Stunden später an der bezeichneten Tür der Burg einfindet, führt ihn ein Eunuch durch seltsam verlassene Gänge, vorbei an stimmenerfüllten Gemächern, in das Gelass, in dem Vaudir endlich ihre Bitte äußert. Er soll den Alendar töten, den Herrn der Burg der Minga. Sie weiß, dass er dazu fähig ist. Doch plötzlich wird Vaudir von einer Art Hypnose ergriffen und folgten einem unhörbaren Ruf. Hinab in die Tiefen der Burg.

Dort wartet bereits der Alendar auf Vaudir und Northwest Smith. Dieser will seine Strahlenwaffe heben, doch ein geistiger Angriff macht dies unmöglich und lässt ihn schwach zurück. Der Alendar, ein selbstsicherer Mann mit dolchartigem Blick, fordert beide auf, ihm zu folgen. Während sie bereits ahnen, dass ihr Tod nahe ist, veranstaltet der Alendar eine kleine Schönheitsshow für Smith. Jede gezüchtete Minga wird in Sachen Schönheit von der nächsten übertroffen. Der Anblick der schönsten ist Smith kaum erträglich, denn das vergebliche Begehren ist unerträglich und droht, ihn in den Wahnsinn zu treiben.

Die Tour endet an einem Balkon, unter dem ein schleimiges schwarzes Meer endlos wogt. Der Alendar erzählt, dass er schon immer hier war, seit seine Rasse von den Sternen kam, und er begann, für jede andere Rasse spezielle Mingas zu züchten. Wozu wohl? Um durch sie seinen Durst zu stillen, der wie sein eigener SCHWARZER DURST nach der Lebensenergie der Minga-Opfer lechzt. Und nun sei Smith an der Reihe…

Mein Eindruck

Auch dies entpuppt sich wieder als eine Art Vampirstory, doch sie ist erstens sehr kunst- und stimmungsvoll erzählt und zweitens tritt hier mit Vaudir eine mutige und intelligente Frau auf, die dem Helden, Smith, das Leben rettet, ohne ihres eigenen Weiterlebens zu achten. Ja, er soll sie sogar erschienen, um ihre Seele zu retten, sie vor dem SCHWARZEN DURST zu bewahren.

Die Stimmung hat mich immer wieder an H.P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos erinnert, insbesondere in den Beschreibungen des „Abscheulichen, Lästerlichen, Schleimigen“ usw. Man kennt ja die Adjektive, mit denen Lovecraft um sich wirft, und in dieser Story ist Moore keinen Deut besser. Allerdings zieht sich die Geschichte nicht ewig ziellos hin, sondern hat einen Anfang, einen zentralen Wendepunkt und einen Schluss. Daher ist sie leicht und befriedigend zu lesen. Die Spannung resultiert aus der Frage, ob und wie es dem Helden gelingen wird, sein Leben zu retten. Die Antwort ist einigermaßen überraschend.

3) Das glänzende Trugbild (1934)

Dixon hat sich, einem Impuls folgend, in die Wüste begeben und stößt dort auf den Ausgangspunkt des Impulses, eine glänzende Kugel. Als er daneben lagert, umfängt sie ihn mit geheimnisvollen Kräften, denn in Wahrheit handelt es sich um ein außerirdisches Lebewesen. Kein niederes Wesen, sondern ein Gott. Und der nimmt ihn mit auf eine Reise, die ihn weit fort führt.

Über einer bestimmten Welt kommt die Kugel zum Halt, und mit Hilfe geistiger Eindrücke kann Dixon diese Welt beobachten: schreiende Farben treiben ihn schier zum Wahnsinn, bevor der Gott sie für ihn dämpft. Dann erfährt Dixon, dass der Gott den vorherrschenden Gott IL, der als bleiche Flamme auf der Spitze einer schwarzen Säule verehrt wird, stürzen möchte, um sich an seine Stelle zu setzen. Und er schickt Dixon als seinen Abgesandten auf diese Welt.

Damit Dixon nicht völlig durchdreht und mit den nichtmenschlichen Bewohnern dieser Welt kommunizieren kann, kleidet der Gott ihn äußerlich in die Gestalt der Fremden und die Fremden in die Gestalt von Menschen. Dixon begegnet auf diese Weise einer wunderschönen jungen Frau, die sich als Hohepriesterin des IL vorstellt. Als er sie auf ihren unwiderstehlichen roten Mund küsst, fasst sie dies lediglich als eine neue Begrüßungsform von IL’s halbgöttlichem Abgesandten auf und erwidert den Kuss.

Sie soll Dixon in den Tempel des hiesigen Gottes führen, damit Dixons Auftraggeber dort dessen Schwachstelle herausfinden kann. Im Tempel, der von unzähligen Gläubigen umringt wird, findet er die Schwachstelle: Die Verbindung zwischen der schwarzen Säule, auf der die bleiche Flamme lodert, und dem schwarzen, unheimlichen Teich darunter – eine helle Lichtsäule, in die sich Gläubige stürzen, um den Gott mit ihrer Essenz zu nähren. Was würde passieren, wenn man diese Verbindung unterbräche?

Würde er die Hohepriesterin, in die er sich verliebt hat, verlieren? Das kann er nicht zulassen. Und wundervollerweise ist auch sie nicht bereit, ihn zu verlassen, sondern würde lieber ihren Gott verraten. Da spricht Dixon das geheime Wort aus, das die Verbindung unterbricht und den Kampf zwischen den beiden Göttern auslöst…

Mein Eindruck

Die Autorin stellt hier die u.a. die Frage, ob Liebe etwas Absolutes ist, das unabhängig von unterschiedlichen Körpern und Geistesverfassungen, die nur Trugbilder sind, zustandekommen und bestehen kann. Im Universum des Gottes IL ist so etwas Menschliches wie Liebe natürlich völlig unbekannt. Und doch manifestiert sie sich in dem Wunsch, nicht mehr ohne den anderen sein wollen, weil es wie ein Tod der eigenen Seele wäre. Dieser Funke ist die Grundvoraussetzung – doch wie soll Dixons Liebe realisiert werden? Darauf gibt es nur eine Antwort: jenseits der Mauern des Todes.

Stilistisch ist diese Erzählung grundverschieden von den anderen und äußerst abstrakt in ihren Schilderungen. Kein Wunder, denn es geht ständig um Illusionen und Trugbilder. Liebe als ein Abstraktum, für das es sich zu sterben lohnt – diese Vorstellung ist uns heute extrem fremd, weil es ein romantisches Ideal ist, das kaum noch jemand anstrebt. Vielleicht war das ja auch schon 1934 so, als diese Story veröffentlicht wurde.

4) Der Kuss des schwarzen Gottes (1934)

Der Krieger Guillaume hat die Armee von Joiry geschlagen und den Stammsitz derer von Joiry erobert. Als er seinem Gefangenen, dem Oberkommandierenden der Joiry-Truppen, den Helm abnehmen lässt, erwartet ihn eine Überraschung: Es ist eine Frau. Und was für eine hübsche. Guillaume lacht auf. Und obwohl sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, gelingt es ihm, der Kratzbürste einen Kuss auf die widerspenstigen Lippen zu drücken. Dann wirft er sie in den Kerker.

Jirel von Joiry sinnt auf Rache. Diesen Kuss soll ihr Guillaume büßen. Schnell hat sie die Wache überlistet und schleicht sich durch Geheimgänge zu ihrem Zimmer, um sich umzuziehen und zu bewaffnen. In der Kapelle findet sie Pater Gervase, ihren Beichtvater, und verrät ihm, was sie vorhat: eine Waffe des Teufels aus der Hölle zu holen, um Guillaume zu vernichten. Gervase ist entsetzt. Er hat diese Reise bereits einmal mit Jirel unternommen und bangt um ihr Seelenheil. Sie lässt sich nicht umstimmen und bricht auf.

Durch mehrere Mauern zu einem schweren Verschluss, einen steilen Schacht hinab zu einer spiralförmig gewundenen Pasage – immer tiefer führt Jirel ihr Weg, bis sie die Talsohle erreicht. Sie fühlt sich leichter, sieht aber nichts. Ein Wesen aus Dunkelheit, in dessen Kehle tausende von Stimmen verzweifelt um Erlösung wimmern, greift sie an, doch es ist schnell wieder abgeschüttelt. Da begreift sie: Sie muss ihr Kreuz abnehmen, um das Nachtland sehen zu können. Tatsächlich erblickt sie einen fremden Sternenhimmel über einem nachtdunklen Land. Einzige Landmarke ist eine hoch aufragende Lichtsäule, auf die sie automatisch zuläuft.

Weitere verzweifelte Wesen lassen sich mit dem Schwert und unter Tränen des Mitleids aus dem Weg schubsen, bis sie endlich an den Turm aus Licht gelangt. Eine Frau, die wie ihr Ebenbild aussieht, bittet sie, durchs Portal zu treten. Doch die Bitte lässt sich mit einem geworfenen Dolch, der sich in Licht auflöst, leicht als Lug und Trug entlarven. Die Frau fragt sie spöttisch nach ihrem Begehr. Jirel verlangt eine Waffe gegen Guillaume, was sonst. Es sei ihr Herzenswunsch. Sie werde, was sie suche, im Tempel der Nacht finden, schickt die Frau sie weiter.

Tatsächlich scheint sich unter den Sternen inmitten eines Sees aus Dunkelheit ein schwarzer Tempel zu erheben, zu dem eine Brücke aus Dunkelheit führt. Im Tempel selbst weisen alle Linien und Winkel auf ein einziges Objekt hin: die Statue des schwarzen Gottes. Ein stärker werdender Drang veranlasst sie, das Gesicht des Statuenkopfes auf die Lippen zu küssen. Eine Kälte erfasst und das Unbehagen, unrein zu sein. Schnellstens macht sie sich auf den Rückweg. Schon breitet sich das Unbehagen, das ihr der Kuss einflößt, auf ihrer Seele aus.

Sie muss sich beeilen. Denn als der Morgen dämmert, fürchtet sie, was sie in diesem Nachtland, das nicht zu ihrer Welt gehört, erblicken könnte. Kaum hat sie das abgelegte Silberkreuz wieder umgehängt, verschwindet das Land, und sie schlüpft wieder in die Höhle, wo der spiralförmige Schacht nach oben in ihre eigene Welt führt.

Was wird die Begegnung mit Guillaume ihr diesmal bringen? Und wird sie rechtzeitig zu ihm gelangen, bevor die Gabe des schwarzen Gottes ihre Seele verschlingt und sie der Verzweiflung preisgibt, wie es allen Kreaturen, die sie traf, ergangen sein muss?

Mein Eindruck

Obwohl der Plot recht simpel ist, so sind doch zwei Dinge bemerkenswert: Eine Frau ist es, die gegen die drohende Vergewaltigung durch Guillaume, den Eroberer, aufbegehrt, und sie dafür und für ihre Vergeltung bereit, ihre Seele zu opfern. Zweitens ist die Waffe, die sie beschafft, kein äußerliches Ding wie etwa ein besonderes Schwert, sondern etwas Immaterielles, das, wenn sie es nicht schleunigst einsetzt, auch ihre Seele verschlingen wird.

Um was kann es sich dabei handeln? Die Antwort auf dieses Rätsel ist spannend und faszinierend, denn schließlich geht es dabei um die Natür des Bösen. Jirel muss durch die Begegnungen auf dem Weg zum Tempel der Finsternis auf die Natur des Bösen schließen. Sie sieht eine blicklose, nackte Frau, die wie ein Frosch hüpft. Sie sieht blinde Pferde, die bis zur völligen Erschöpfung vor etwas davonlaufen. Auch das Wesen vor dem Höhleneingang, aus dessen Kehle verzweifelte Seelen um Erlösung zu flehen scheinen, ist ein Hinweis – allesamt Reflexionen auf die zentrale Kraft, die jedes Leben in diesem Nachtland beeinflusst.

Dieses Nachtland nicht als traditionelle biblische Hölle zu schildern, sondern fremden Planeten, ist ein Geniestreich. Hier ist die Schwerkraft geringer, und Jirel springt über die Wiesen dahin wie ein anmutiges Reh. Ein schöner Anblick, wenn nur die Sonne gelb, der Himmel blau und die Wiesen grün wären – nichts davon erwärmt ihr Herz. Das Nachtland beraubt alle Wesen jeder Hoffnung, senkt Verzweiflung in sie, betrügt und verrät jeden Plan. Einzig der Rachedurst und der Hass treiben Jirel voran. Solche mächtige Emotionen findet man selten in der zu 99% von Männern geschriebenen Fantasy und Science Fiction des Jahres 1934.

Die Pointe besteht natürlich in der Wirkung des Kusses des schwarzen Gottes, doch sie darf hier nicht verraten werden.

5) Stelldichein in der Zeit (1936)

Eric Rosner ist ein Abenteurer, der zwischen seinem 20. und 30. Lebensjahr alles von der Welt gesehen hat. Folglich ödet ihn das Leben an, weil es nichts mehr zu entdecken gibt. Er erwähnt diese Tatsache gegenüber Prof. Walter Dow, und der meint, es könnte eine Abhilfe geben – aber eine sehr riskante. Rosner ist sofort ganz Ohr. Dow hat sich lange dem Phänomen der Trägheit der Masse gewidmet und ist auf den Gedanken verfallen, dass es eine Grundträgheit aller Dinge geben müsse, die sich nicht mit der Zeit bewegt. Daher könne sich ein Mensch, der sich an dieser Grundmasse verankere, quasi durch die Zeit bewegen und in anderen Epochen landen, wenn er den Anker wieder löse. Der Mechanismus dafür lässt sich einfach wie ein Rucksack umschnallen, die Schalter vor der Brust erlauben die jederzeitige Betätigung. Das könnte in gefährlichen Momenten nötig sein.

Drei Monate benötigt Rosner, um Dow davon zu überzeugen, dass er, Rosner, das Risiko eingehen kann, diese Zeitmaschine zu testen. Denn von Dows Objekten sei noch keines jemals zurückgekehrt: Es ist eine Art Himmelfahrtskommando. Also genau das, was Rosner sucht. Er drückt den Schalter und verschwindet – um in einer elisabethanischen Umgebung zu erscheinen. Die Reise geht also in die Vergangenheit. Ihm fällt ein lachendes Mädchen mit „rauchblauen“ Augen auf. In der nächsten Epoche, dem alten Rom, sieht er sie wieder. Mit einer hochmütigen, befehlsgewohnten Geste ordnet sie seinen Tod an. Doch dem herabsausenden Speer kann er durchaus entgehen.

In einer vorzeitlichen Dschungelwelt blickt sie ihn erstmals lange an. Sie lächelt, als erkenne sie ihn wieder. Doch sie tötet sich selbst mit einer Art Laserpistole, bevor die Urmenschen, die sie verletzt haben, sie bekommen können. Eric begreift, dass sie eine Aristokratin ist, die einer höherstehenden Zivilisation angehört. Sehnsucht nach ihr ergreift ihn. Endlich sieht er sie in einem Dorf von Eingeborenen wieder, die sie gefangengenommen haben. Kaum hat er sie befreit, führt sie ihn zu einem sicheren Höhlenversteck, wo sie endlich miteinander reden können. Sie heißt Maia in ihrer urbaskischen Sprache. Enttäuscht muss er erfahren, dass sie bereits durch einen göttlichen bzw. priesterlichen Beschluss einem Mann versprochen ist. Sie geht zurück in ihre alte Stadt.

Doch diese Treffen können kein Zufall sein, erkennt Eric. Er weiß, dass er Maia wiedersehen wird, in anderen Epochen, in anderer Gestalt. Sie wird sich seiner erinnern. Aber kann er sie dann erringen?

Mein Eindruck

Auch dies ist wieder eine unendlich romantische Geschichte. Die Liebenden finden sich in zahlreichen Epochen wieder, die sie über ihre Zeitreisen besuchen. Eigentlich reist nur er, während sie in ihren Töchtern wiedergeboren wird. Interessant (und wenig plausibel) ist allerdings der Gedanke, dass Maia über ein Rassegedächtnis verfügt, das es ihren Nachkommen und Verkörperungen erlaubt, Eric, quasi als den blonden Gott, wiederzuerkennen und spontan zu lieben. Das Konzept des Rassegedächtnisses hat übrigens auch Frank Herbert in seinem Wüstenplanet-Zyklus verwendet, so etwa bei den geheimnisvollen Bene Gesserit.

Die Idee, in der Zeit zu reisen, indem man sich ihrem Fluss entgegenstemmt, ist allerdings hier erstmals zu finden gewesen. Ich fand den Gedanken faszinierend, aber wenig überzeugend. Plausibler fand ich dann den Schluss, der mit einer Pointe aufwartet, die ich sehr passend fand. Natürlich werden die beiden, die füreinander bestimmt sind, vereint, allerdings unter Umständen, die unerwartet erscheinen.

6) Größer als die Götter (1939)

Am 7.7.2240 steht der Biochemiker und Genetiker William Cory vor einer schicksalsschweren Entscheidung: Welche von zwei Frauen soll er heiraten: die fähige Wissenschaftlerin Marta Mayhew oder die lebenslustige Sallie Carlisle? Der Telepathieforscher Ashley, ein guter Kumpel, erzählt ihm etwas von der Wahrscheinlichkeitsebene. Demzufolge beeinflusst Corys Entscheidung, in welche Richtung sich die Weggabelung der Ereignisse verzweigen wird. Das macht die Wahl nicht leichter, sondern schwieriger.

Auf Corys Tisch stehen zwei Holowürfel mit den Porträts der Kandidatinnen. Cory ist verblüfft, als sich zuerst im Würfel Sallies ein neues Gesicht zeigt: Sue meldet sich aus einer Zukunft im 30. Jahrhundert. Sie stammt von Sallie ab und zeigt Bill ein friedliches Eden, das von einem Matriarchat beherrscht wird, welches allem Krieg abgeschworen hat. Doch leider ist Eden in Trägheit erstarrt, die Menschheit hat es nicht zu den Sternen geschafft. Was, wenn Cory sein aktuelles Projekt der pränatalen Geschlechterbestimmung zu Ende geführt hätte statt sich seiner Familie zu widmen?

Genau diese Zukunft zeigt ihm das Gesicht im anderen Würfel, ebenfalls aus dem 30. Jahrhundert. Die Menschheit hat das Sonnensystem erobert und schickt sich an, nach Mars und Venus auch die Jupitermonde zu besiedeln. Fantastisch! Hingerissen ist Cory auch vom Antlitz des blonden und blauäugigen Jungen, der gute Chancen hat, der nächste Führer der Vereinigten Menschheit zu werden – sein entfernter Sohn! Stolz schwellt Cory Brust.

Doch der Mann hinter dem Jungen ist Dunn, der aktuelle Präsident. Der grüßt Cory mit dem römischen Gruß, den nicht nur Cäsaren entgegennahmen, sondern auch italienische und deutsche Faschisten. Dunn bedankt sich bei Cory für das System der Geschlechtsbestimmung, das zu einem enormen Überschuss an Jungen in der Weltbevölkerung geführt haben – Jungen, denen jede Initiative fehlte. Nur die Corys selbst unterwarfen nicht der Selektion. Und siehe da: Sie sind die geborenen Führer der nach Unterwerfung strebenden Massen. Cory beschleicht ein übler Verdacht, der sich bestätigt: Die Gesellschaft des 30. Jahrhunderts ist in faschistischem Totalitarismus erstarrt. Kaum noch sind Individualismus und Kreativität zu finden, Paranoia beäugt solche Menschen mit Misstrauen.

Doch wie soll sich Cory zwischen diesen beiden widerstreitenden Polen der möglichen Entwicklung entscheiden? Da fällt ihm ein dritter Weg ein.-

Mein Eindruck

Die Story weist zwar Logiklöcher auf, durch die ein Zeppelin passen würde, und die Technik grenzt an Zauberei, aber dennoch ist die Geschichte ein repräsentativer Spiegel ihrer Zeit. Die Faschisten beunruhigen die Schriftstellerin offensichtlich, aber sie traut auch dem Matriarchat nicht zu, dem Menschen das größte Heil zu bringen. Lächerlich, aber zeittypisch sind die Aussagen, dass Frauen nicht zu Architekten, Ingenieuren usw. taugen würden. Putzig ist die Erwähnung von Siedlungen auf der „supertropischen“ Venus und dem warmen Mars, wo die „dekadenten Eingeborenen“ besiegt werden konnten. Man fühlt sich gleich in Edgar Burroughs’ Mars-Abenteuer zurückversetzt. Und schließlich verbeugt sich Moore noch vor der Kirche, indem sie den Großen Plan, den Kosmischen Planer postuliert; man fasst sich heute an den Kopf, aber damals war das nötig. – Ein langer Essay hätte es auch getan, aber eine Story ließ sich einfach besser verkaufen. Moore hat Besseres geschrieben, besonders „Shambleau“ (s.o.).

7) Frucht der Erkenntnis (1940)

Am siebten Tag der Schöpfung ruht Gott von seinem Werk aus. Es ist Sabbat, und die Seraphim singen seinen Lobpreis. Unterdessen gehen im Garten Eden jedoch unerhörte Dinge vor sich. Jenseits des Lichts, das bei Gott ist, liegt die Dunkelheit, und in der Dunkelheit existieren die Geister. Einer dieser Geister heißt Lilith. Als sie sich in dieser Geschichte ihrer Anwesenheit im Garten bewusst wird, bemerkt sie mit Verwunderung den Körper, der ihre Substanz bekleidet. Fleisch, wie seltsam. Und es hat interessante Regungen. Doch wer hat es gemacht, wenn Gott es nicht war?

Ein kleiner Cherub bemerkt den unerlaubten Gast in Eden zuerst. Er warnt sie vor dem Moment, da Gott sie erblicken würde. Sie ist ja nicht Teil seiner Schöpfung. Und er warnt sie vor dem Baum der Erkenntnis, der in der Mitte des Gartens steht. Sie solle Adam ja nicht dorthin führen. Adam, der erste Mensch, der alle Tiere und Dinge benannt hat und aus der roten Erde Edens geformt wurde. Sie geht zu ihm und bewundert seine vollkommene Gestalt. Er ist in einen leichten Nebel des Lichts getaucht, ein Inbild der Unschuld, das noch ganz vom Willen Gottes erfüllt ist und nichts von Gut oder Böse weiß. Ihr „Fleisch“ sehnt sich nach seinem.

Er fragt sie, ob sie Eva sei, nach der ihn verlangt habe. Sie stellt sich als Lilith vor. Sie weiß nun, dass Adams Geist war, der ihren Körper geformt hat. Welch eine erstaunliche Kraft! Was könnte er sonst noch tun? Wie kann sie verhindern, dass Gott den Eindringling erblickt und sie in seinem Zorn aus Eden vertreibt? Doch Gott ist abgelenkt durch die Tatsache, dass im Himmel Krieg ausgebrochen ist. Ein erster Schritt, sich zu retten, besteht in Liliths Verführung Adams. Sie schmiegt sich an ihn, an sein wundersames „Fleisch“. Es ist viel zu vergänglich, findet sie, für ein unsterbliches Wesen wie sie, und erzählt Adam vom Baum des Lebens. Dessen Früchte verleihen Unsterblichkeit. Adam liest ihren Geist und stellt sich diesen Baum vor und – schwups! – existiert er. Silbern schimmernde Früchte hängen daran…

Am nächsten Morgen erwacht Lilith zuerst von der Liebesnacht, doch um dieses lästige „Fleisch“ loszuwerden, schwingt sie sich in die Unendlichkeit des Äthers. Endlich wieder frei! Doch sie verspürt eine zunehmende Sehnsucht nach den sinnlichen Empfindungen des „Fleisches“ und kehrt in den Garten Eden zurück. Als sie Adam erblickt, packt sie jedoch grausiges Entsetzen: Ihre zurückgelassene körperliche Hülle ist schon wieder besetzt! Von einem goldhaarigen, kuhäugigen Weibsbild, das sich „Eva“ nennt – offensichtlich das Werk Jehovahs.

Eifersucht und Wut toben durch Lilith, doch Adam hört ihr körperloses Rufen kaum. Und als er sie doch vernimmt, stört schon wieder Eva. Lilith sinnt auf Vergeltung – an Gott. Da kommt ihr Luzifer, der soeben den Krieg im Himmel verloren hat und ebenfalls auf Rache sinnt, gerade recht. Wenn sie dafür Adam zurückbekommt, darf sich Luzifer an Gottes Werk vergreifen. Aber um Gott zu treffen, bietet sich als beste Zielscheibe – na, wer wohl? – Eva an…

Mein Eindruck

Während sich die Autorin einerseits ziemlich genau an das biblische Drehbuch aus der Genesis hält, erzählt sie doch ihre Geschichte aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel: Lilith, Adams erste Frau, wird in eine Dreiecksgeschichte verwickelt, als Eva auftaucht. Doch Eva, wir ahnen es, fällt der Verführung des schönen Luzifer zum Opfer. Sie isst von der verbotenen Frucht. Die Folgen dieser revolutionären Tat werden als sehr drastisch geschildet: Ein Donnerschlag hallt durch Eden, der in dieser Geschichte ein eigenständiges Wesen darstellt. Die Erkenntnis vertreibt den göttlichen Heiligenschein – und natürlich Unschuld. Erstmals nimmt sich Eva als nackt war.

Aber wir müssen auch Adam verstehen, wenn er es Eva nachtut und die Frucht der Erkenntnis isst. Denn Eva ist Fleisch von seinem Fleische – sie wurde ja aus seiner Rippe gemacht. Wie könnte er sich da nicht eins mit ihr fühlen? Soll sie alleine die Erkenntnis besitzen und er die Unschuld? Natürlich nicht, selbst wenn es die Vertreibung aus Eden bedeutet. Lilith wird dadurch immer frustrierte, denn alle ihre Pläne – auch der mit Luzifer ausgeheckte – scheitern. Nur Luzifer erreicht seine Rache an Gott und seinen Menschengeschöpfen: Eva soll ihren Sohn Kain nennen, und Kains Kinder soll auf ewig ein Feind von Adams Kinder sein.

Dieser umgeschriebene Schöpfungsmythos ist trotz seines romantischen Themas doch einemitreißende und ziemlich dramatische Geschichte, die sich leicht und schnell liest. Besonders witzig fand ich Liliths ungewohnten Blickwinkel, der nur am Schluss etwas in den Hintergrund gerät.

8) Nie wurde eine solche Frau geboren (1944)

Deirdre ist das Opfer eines Theaterbrandes geworden. Davor war sie eine berühmte und bewunderte, auch geliebte Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin gewesen. Doch beim Brand verbrannte nur ihr Körper, nicht aber ihr Gehirn. Ihr Freund und Agent John Harris betritt jetzt erstmals die Büros von Professor Maltzer, der für dieses Gehirn einen künstlichen Körper geschaffen hat. Beklommen fragt sich John, was er vorfinden wird – ein Monstrum, oder gar eine Karikatur der einstigen Diva?

Nichts von beidem: Deirdre steckt jetzt in einem goldenen, von einem Kettenhemd verhüllten Metallkörper, den der Professor so geschmeidig und gelenkig gestaltet hat, dass sich die katzenhafte Bewegungsweise Deirdres darin unverkennbar zeigt. Doch der behelmte Kopf, der Kopf – hat kein Gesicht. Nur ein silbern schimmerndes Oval erhebt sich auf dem goldenen Hals, bedeckt von einem Helm, und wo das Gesicht sein sollte, erblickt John nur Glas. Sie wirkt wie ein mittelalterlicher, etwas elfisch anmutender Ritter auf ihn. Er betrachtet sie voller Zweifel, bis er endlich ihre Stimme hört – und ihren Gesang. Beides ist original Deidre. Und auch ihr Lachen ist noch gleich. Nur ein leiser metallischer Nachhall stört den positiven Gesamteindruck.

Aber werden die Menschen, das Publikum sie ebenso akzeptieren wie er? John, so überlegt sie, wird von ihrem Geist und den Gefühlen, die diese Begegnung auslöst, fasziniert, Prof. Maltzer fast nur von ihrem Körper, den er ja selbst schuf. Für was werden sich die Menschen entscheiden? Sie will schon an diesem Abend bei einem Auftritt in einer Fernsehshow herausfinden, ob sich ein Jahr Mühen und Anpassung gelohnt haben – oder ob alles vergebens war.

Aber warum, fragt sich John entsetzt, verfällt Professor Maltzer auf die Idee, sie abschalten zu wollen?

Mein Eindruck

Dies ist laut Greenberg nicht die erste Geschichte über einen Kyborg, die je geschrieben wurde. Vielleicht könnte man ja auch schon die künstliche Maria aus Fritz Langs „Metropolis“ (1928) als kybernetischen Organismus ansehen. Robotergeschichten gab es jedenfalls schon bevor Asimov seinen positronischen Robbie (in der Story „Ein seltsamer Spielgefährte“) und den „Zweihundert-Jahre-Mann“ erfand.

Maltzer spielt die Rolle des Dr. Frankenstein fast bis zum Ende durch. Er hadert mit der Kreatur, die er geschaffen hat. Aber nicht etwa, weil er sie hasst, sondern weil er sie liebt und um sie fürchtet. Was werden die Menschen da draußen, sobald die erste Faszination am Neuen verflogen ist, ihr alles antun? Sie ist das gefürchtete Andere, mag auch noch so menschlich auftreten. Und wenn sie sich nicht wehren kann, so wird man sie demütigen, wie es die Art des Pöbels von jeher gewesen ist. Und dann wird man sie kreuzigen.

Doch Deirdre beruhigt ihren Schöpfer. Er mag zwar auf eine gewisse Weise ein Dr. Frankenstein sein, aber ihr Gehirn ist original Natur, wenn es auch nicht danach aussieht. Und es macht sie sterblich. Deirdre demonstriert den beiden verblüfften Zuschauern, über welche Fähigkeiten sie verfügt. Sie ist ein Übermensch, ja, aber sie ist auch einsam. Denn es gibt niemanden, der so ist wie sie, auf der ganzen Welt nicht. So wie ihr mythisches Vorbild, die legendär schöne Prinzessin Deirdre aus Irland, ist auch diesmal niemand so wie sie: weder so schön noch so vielseitig. Und nicht geboren, sondern geschaffen.

Und was John Harris schon die ganze Zeit argwöhnte, kündigt sich bereits an. Er hört es in dem metallischen Wispern ihrer Stimme. Die Maschine beginnt ihren menschlichen Gast zu formen…

Wie man sieht, bildet „Nie wurde eine solche Frau geboren“ quasi die Antithese zu der Terminator-Saga, die voller Action ist. In Moores Erzählung geht es vielmehr um Kunst, Menschlichkeit vs. Künstlichkeit, Schöpfung und Verantwortung, aber auch die Möglichkeit, Neues zu wagen – mit allen Risiken. Es ist eine sehr menschliche Geschichte, voller psychologischer Einsichten, die für ihre Zeit und ihr Medium erstaunlich wirken, und überraschend modern. Darum wird diese Geschicht bis heute immer wieder in Anthologien der Klassiker aufgenommen.

9) Der Dämon (1946)

Der Brasilianer Luiz der Einfältige (el Bobo) erzählt einem Pater seine seltsame Geschichte, die von Segelschiffen, einsamen Inseln und Dämonen handelt. Luiz wuchst als Waisenkind bei seiner Großmutter in Rio de Janeiro auf, doch als diese starb, musste er sich allein durchschlagen und geriet in eine Kneipe am Hafen. Kaum hatten ihn die Matrosen besoffen gemacht, bis er die Besinnung verlor, wurde er auch schon auf den Segler „Dancing Martha“ verschleppt, der mit der nächsten Tide auslief. Bobo entdeckt, dass er schanghait worden ist.

Hier entdeckt Bobo erstmals die Dämonen. Sie stehen, wie schon in der Taverne, neben den Matrosen und starren Bobo an. Der schlimmste Dämon ist aber der des amerikanischen Kapitäns Jonah Stryker: Er ist scharlachrot, blind und freut sich stets, wenn er etwas Boshaftes tun kann. So wie in jedem Fall, in dem Bobo ein ungeschriebenes Bordgesetz bricht, von denen es unzählige gibt. Bobo muss beim Koch Zuflucht suchen, auch wenn er dort nur Reste zu essen bekommt. Der einzige, der über keinen Dämon verfügt, ist Bobo selbst. Nur vor dem des Kapitäns hat Bobo Angst, doch er hat auch Mitleid für Stryker, und den macht dieses Mitleid noch wütender.

Einziger Lichtblick an Bord ist der Passagier Shaughnessy, ein todkranker Ire mit der Schwindsucht. Dieser Reisende hat viel von Griechenland gesehen, einem sagen haften Land, von dem Bobo noch nie gehört hat und von dem ihm „der Shaughnessy“ viele Geschichten erzählt: von Odysseus und dessen Irrfahrten, von Zauberinnen, Meeres- und Baumnymphen sowie vom Meeresgott Poseidon. Sind das auch Dämonen?

Um dem Zorn des Kapitäns zu entgehen, springt Bobo nahe einer Insel über Bord. Hier wollen die Männer frisches Wasser fassen. Bobo versteckt sich. Als er erwacht, ist nur noch der Shaughnessy da. Der Ire weiß, dass er nicht mehr lange zu leben hat und bringt Bobo bei, wie er auf der einsamen Insel überleben kann. Der Dämon des Shaughenessy wird immer heller, je schwächer sein Wirt wird, und als dieser stirb und Bobo ihn begräbt, erreicht der Dämon die Helligkeit eines Sterns, so dass Bobo die Augen schließen muss.

Danach ist die Insel nicht mehr die gleiche. Der Dämon ist zwar weg, aber dafür sieht Bobo ein Einhorn, das keine Angst vor ihm hat, und Nymphen überall: in Bäumen, in Wassern, auf dem Berg. Diese griechischen Götter nennen sich „ninfas“ und unterstehen dem „Meister“, dem Großen Gott Pan. Doch alle fürchten sich vor den Menschen, die über eine Seele verfügen. Da Bobo diese nicht vorzuweisen hat, wird er einer von ihnen.

Alles ändert sich, als Jonah Stryker zur Insel zurückkehrt, um alle Zeugen zu beseitigen. Shaughnessy ist tot, doch Fußspuren verraten ihm, dass Bobo lebt. Doch sobald Stryker, das Kreuz vom Grab des Iren verbrannt hat, zeigt sich Bobos mächtiger Verbündeter: Pan spielt seine Flöte und bewirkt seine ihm eigentümliche Macht – Panik…

Mein Eindruck

Das Erstaunlichste an dieser Story nicht so sehr das Auftreten griechischer Götter, sondern die Darstellung von Seelen als Dämonen. Das Wort „daímon“ hat zahlreiche Bedeutungen, wie das „Lexikon der griechischen und römischen Mythologie“ erklärt – von Homer über die volkstümliche Auffasung bis zur philosophischen Idee. Keinesfalls aber ist hier die christliche Bedeutung als „böser Geist, Teufel“ gemeint. Vielmehr kommt die volkstümliche Auffassung vom Daímon als einem persönlichen Schutzgeist der Darstellung der Autorin am nächsten. Wichtig ist das Merkmal, dass der daímon an sich weder gut noch böse ist. Die einzige Ausnahme bildet der Dämon, den Jonah Stryker sein Eigen nennt. Dieser Dämon zeigt im Finale seine wahre Macht…

Das Auftreten der altgriechischen Götter erinnert mich an die Fantasygeschichten, die der amerikanische Autor Thomas Burnett Swann in den siebziger Jahren schrieb. Sie sind einzigartig in ihrer romantische Verklärung jener versunkenen Welt Pans, die, so die auch hier wiederholte Legende, mit der Geburt Jesu ihr Ende fand. Tatsächlich vertrieb das unter Petrus und Paulus aufkommende Christentum die alten Götter aus dem Mittelmeerraum. Daraus resultiert die Tragik der alten Götter: Sie mussten fliehen, an Orte, wo sich keine getauften Seelen befanden, so wie die Insel, auf der Bobo, der Seelenlose und Einfältige, ihnen begegnet und an sie glaubt. Nur der Glaube verleiht ihnen Substanz. Solche Orte werden jedoch immer seltener, und Swann schrieb wunderbare Geschichten über letzte Einhörner und Meeresgötter.

Das Finale der Geschichte könnte glatt von Poe stammen. Der scharlachrote Dämon macht sich über seinen Wirt her, von dem er zeit seines Lebens abhängig war. Die poetische Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf. Aber wird dies auch die Wiedergeburt der alten Götter bedeuten? Wohl kaum, denn Bobo erzählt seine Geschichte nicht Pan, sondern einem christlichen Pater, der mit Strykers Schiff gekommen ist…

10) Traubenlese (09/1946)

Oliver Wilson wundert sich über die drei Leute, die sein Haus für den Monat Mai gemietet haben. Sie reden in hochgestochenem, deutlich artikulierendem Akzent und tragen ihre feinen, bunten Kleider, als wären sie Schauspieler und trügen Kostüme. Der Mann, als einziger ganz in Schwarz, nennt sich Omerie, die Damen heißen Klia und Kleph. Keine Nachnamen. Und sie möchten nur dieses eine Haus, möglichst alleine für sich. Aber sie gestehen Oliver zu, dass er ein Zimmer bewohnen darf.

Das Trio führt sich auf wie Touristen, mit einem beobachtenden, unbeteiligten Blick. Als Klia und Omerie auf Fotosafari sind, wagt sich Oliver in das Zimmer von Kleph, denn er hat sich in sie verliebt. Ihr Zimmer ist jetzt extravagant eingerichtet, mit Chaiselongue und einer Überdecke auf dem Bett, die laufend andere Bilder zeigt. Interessanter Effekt. Noch interessanter ist allerdings Klephs Tee: Das Getränk euphorisiert, vertreibt alle Sorgen.

Zu schade, dass die Lady keinerlei Fragen beantwortet. Was wollen die Herrschaften hier und woher kommen sie? Warten sie auf etwas Bestimmtes, vielleicht auf das Eintreten eines Ereignisses? Allmählich schwant Oliver, dass diese Leute nicht nur aus einem anderen Land, sondern auch aus einer anderen Zeit kommen.

Das Trio ist nicht das Volk, das bunt gekleidet ist und in Olivers Haus wohnen will. Eine „Madame Hollia“ will mitsamt ihrem Lakaien Kara das Haus kaufen. Nicht bloß mieten. Um das Trio zu vertreiben, lassen sie ein Gerät im Haus verstecken. Bevor es aktiviert wird, macht Oliver in Klephs Zimmer eine erschütternde Entdeckung. Madame Hollia hat Kleph ein Kästchen mit einem Kunstwerk eines gewissen Cenbe überreicht. Oliver hört Musik und schaut nach, woher sie kommt. Kleph schaut sich eine Multimediashow an. Es ist aber nicht die Musik, die Oliver umhaut, sondern die visuelle Präsentation. Die Bilder zeigen Katastrophengebiete, Kriegsgebiete, Leidende aller Alter und Geschlechter. Was soll das? Ist das eine Art Passionsgeschichte? Und was hat Kleph in Canterbury getan? Wieder vertreibt Kleph Olivers verwirrte Sorgen durch ihren Spezialtee.

Die Nacht ist kurz. Oliver wird von Infraschallwellen geweckt, die Madame Hollias verstecktes Gerät erzeugt. In Panik und Angst suchen alle Bewohner nach diesem Gerät; als es deaktiviert ist, kehrt erleichterte Ruhe ein. Oliver hat herausgefunden, wann das Lied modern war, das Kleph aus Canterbury mitgebracht hat. Es stammt aus Chaucers „Canterbury Tales“: vom Ende des 14. Jahrhunderts! Diese Leute müssen Zeitreisende sein. Fragt sich nur, was sie hier wollen, auf was sie hier warten.

Oliver steht unter Hausarrest und unter Drogentee. Erst in tiefer Nacht weckt ihn ein ungeheurer Donnerschlag, der die Erde beben lässt. Ist dies das Ereignis, auf das die Touristen aus der Zukunft gewartet haben? Wird der Künstler Cenbe auch hiervon eine Symphonie komponieren?

Mein Eindruck

Man stelle sich einfach mal vor, WIR wären diese Zeittouristen, die sich an dem Anblick von Katastrophen und Kriegen ergötzen. Jeden Tag bekommen wir solche Bilder vorgesetzt – die Autorin war 1946 in der gleichen Lage, denn der 2. Weltkrieg war gerade vorübergegangen. Diese Zeittouristen vergnügen sich nicht nur an historischen Momenten – das tun die Dilettanten -, sondern schaffen daraus auch Kunstwerke – das tun die Kenner, solche wie Cenbe.

Die Frage, die für Opfer wie Oliver Wilson die entscheidende ist: Rechtfertigt der Wert dieses Kunstwerks, das in der Zukunft für künftige Zuschauer geschaffen wird, die vielen, vielen Opfer und ihre Leiden, die dafür fotografiert werden? Oliver verneint diese Frage natürlich. Es ist eine immens wichtige Frage, denn letzten Endes geht es hier um die Pornografie des Krieges und der Gewalt.

Ebenso wichtig ist Olivers Frage an Kleph und Cenbe, ob diese Reisenden, die ja in der Zeit reisen können, nicht auch die Ereignisse in der Vergangenheit ändern könnten? Könnten sie nicht das Schlimmste verhindern, indem sie die sicheren Opfer vor der kommenden Katastrophe warnen? Wäre dies nicht ihre moralische Pflicht gegenüber ihren Mitmenschen? Cenbe ist in der Lage, den Grund für sein Nichtstun in dieser Hinsicht zu erklären: Veränderungen in der Vergangenheit könnten die Zukunft ändern – und das dürfe niemand zulassen.

Achja, um welche Katastrophe es sich handelt? Ein Meteor schlägt in San Francisco ein, das in Flammen aufgeht – sehr malerisch, wie die Besucher finden. Sie sind schon längst beim nächsten Mega-Event (Kaiser Karls Krönung im Jahr 800), als die nachfolgende Seuche die Welt beinahe entvölkert…

„Traubenlese“ ist eine der erschütterndsten, am besten geschriebenen und klügsten Zeitreisegeschichten. Sie hat nur ein Manko. Oliver Wilson, der Chronist, hat so gut wie keine eigenen Charaktereigenschaften.

11) Vorwort des Herausgebers

Lester del Rey erzählt von der Bewunderung, ja, Begeisterung der Konferenzbesucher, mit der die Autorin begrüßt wurde, als ihr 1973 der Grand Master Award für ihr Lebenswerk verliehen werden sollte. Er zählt die Gründe für diese Begeisterung und findet einige Aspekte an ihren geschichten, mit denen sie das Fantasy- und SF-Genre in den Jahren 1933 und 1934 revolutionierte: Emotionalität, Stimmung, Lebendigkeit und Psychologie. Eine Story mit diesen Eigenschaften, wie sie „Shambleau“ aufwies, hatte es bis dahin nicht gegeben. Und es gab weibliche Heldinnen, die über Männer obsiegten. Nach einigen biografischen Notizen würdigt er jede Erzählung des Bandes einzeln.

12) Nachwort der Autorin

Auf sehr spannende und amüsante Weise erzählt die Autorin, wie ihre erste Erzählung „Shambleau“ entstand, gar nicht so viel anders als Tolkiens „Hobbit“. Sie tippte Übungssätze in die Schreibmaschine, er schrieb einen Nonsenssatz auf den Rand einer Studentenhausarbeit: „in a hole in the ground there lived a hobbit“. Sie fantasierte etwas von einer roten, laufenden Gestalt (nänlich der Titelfigur) und ließ ihr von einem Typen namens Northwest Smith helfen. Diesem wiederum hilft ein noch zwielichtigerer Typ namens Yarol.

Recht interessant sind auch ihre Anmerkungen zu „Nie wurde eine solche Frau geboren“ und „Traubenlese“. Zu guter Letzt räumt sie noch mit dem gerücht auf, sie habe mit dem „Shambleau“-Manuskript hausieren gehen müssen. Nein, sie schickte es einfach an „Weird tales“, es wurde angenommen, und sie erhielt einen dicken Scheck über 100 Dollar – das war während der großen Depression ein schöner Batzen Geld.

Die Übersetzung

Zweimal im gleichen Satz das Wort „glänzend“ zu verwenden, gilt gemeinhin als schlechter Stil. Und das ist es auch, gibt der Thesaurus zahllose Alternativen zu „glänzend“ an (die ich jetzt nicht aufzuzählen brauche). Das Problem, das sich der Übersetzerin Irene Holicki stellte, bestand in den zahllosen beschreibenden Eigenschaftswörtern (Adjektiven und Adverbien), die die Autorin verwendet. Diese Eigentümlichkeit des Stils erfordert ein Feingefühl für die Nuancen von Bedeutungen, die ein Wort annehmen kann. Bei der Übertragung hätte sich die Übersetzerin noch ein wenig mehr anstrengen können, dann wären solche Doppelungen wie zweimal „glänzend“ nicht vorgekommen.

Im Nachwort heißt es zweimal „Nie WÜRDE eine solche Frau geboren“ statt „Nie WURDE…“. Und „das Ineinanderfließen der Stille“ ergibt auch keine Sinn, bis man „Stille“ durch „Stile“ ersetzt, nämlich den von Moore und den ihres Gatten Henry Kuttner.

Auf Seite 339 ist die Rede von den „Gesichten des Shaughenessy“ (in „Der Dämon“), gemeint sind aber „Geschichten“. Auf Seite 344 wird ein männliche Bergoreade erwähnt, doch das ergibt keine Sinn, weil alle Bergoreaden, also Bergnymphen, weiblich sind – sofern sie überhaupt ein Geschlecht besitzen. Und „Bergoreade“ ist schon doppelt gemoppelt. Über die zahllosen Tipp- und Endungsfehler sei der Schleier des Vergessens gebreitet.

Unterm Strich

Von Moores vielen wunderbaren Erzählungen gefielen mir am besten „Shambleau“, weil sie die mitreßendste ist, „Traubenlese“, weil sie die schockierendste, und „Frucht der Erkenntnis“, weil sie die durchaus witzigste Geschichte ist.

Sicher, auch „Schwarzer Durst“ und „Kuss des Schwarzen Gottes“ haben ihre dramatischen und erotischen Seiten, doch sie verdanken ihre Faszination einem versunkenen Zeitalter, nämlich den 1930er und 1940er Jahren, als die Epoche der dunklen, abenteuerlichen Fantasy, die mit Henry Rider Haggards „SIE“ begann und von Edgar Rice Burroughs zur Serienreife entwickelt wurde, mehr oder weniger ihr Ende fand.

In der Nachkriegszeit war solche Romantik weniger gefragt, denn die Menschen waren über sich selbst und ihre Fähigkeit, mit einer einzigen Bombe eine Stadt auszulöschen, doch ziemlich desillusioniert. Das 1946 veröffentlichte „Traubenlese“ interpretiere ich als direkte Reaktion auf Hiroshima: Zukünftige Zeitreisende besichtigen die Katastrophengebiete der Erdgeschichte – ein zynischer Kommentar auf die Geisteshaltung, die den Einsatz der Bombe befürwortet. Wird man eines Tages auch das zerbombte Washington derart als Attraktion besichtigen können?

Es lohnt sich also auf jeden Fall, diese wunderbare, zum Grand Master ernannte Erzählerin wiederzuentdecken, wenn schon nicht als Klassikerin, so doch als eine der Pionierinnen für Phantastik, in der erstmals starke, einfallsreiche und selbstbewusste Frauen auftreten.

Taschenbuch: 415 Seiten.
O-Titel: The Best of C.L. Moore, 1975
Aus dem US-Englischen von Irene Holicki (außer „Traubenlese“, die Uwe Anton übersetzte)
ISBN-13: 9783453307605

www.heyne.de

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