Myra Çakan – Dreimal Proxima Centauri und zurück

Nicht zuletzt die ambitionierte Internetseite deutsche-science-fiction.de machte auf Myra Çakan und ihren neuesten Roman aufmerksam, dessen Titel sich etwas eigentümlich liest in unserer Zeit der reißerischen Schlagworttitel. Er lässt eine humorvolle Geschichte erwarten und klingt gleichzeitig nach einer klassischen Oper – zwei Erwartungen, die die Autorin nicht enttäuscht.

Die deutsche Publizistin Myra Çakan wurde – Zufall oder nicht? – an Halloween geboren. Sie absolvierte ein Schauspiel- und Musikstudium und nahm u.a. an einem Workshop über Sit-Com-Writing sowie an Drehbuch- Seminaren bei Don Bohlinger teil. Myra Çakan ist definitiv die erste deutschsprachige Vertreterin des Cyberpunk. Als freie Autorin und Journalistin (schrieb sie u. a. für Die Woche, Konrad, c’t, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung; MAX, Marie Claire und Cinema) lebt sie mit ihren Burmakatzen in der Nähe von Hamburg.
(Presseinfo Argument Verlag)

Mimsi Mimkovsky tritt an Bord der Stern von Beteigeuze die Reise zum Planeten Proxima Centauri Zwei an – so heißt es im Klappentext. So überrascht es den Leser, wenn im ersten Kapitel die Ereignisse aus dem Blickwinkel des Kabinenstewards Hurriberto geschildert werden. Hurriberto bleibt dabei im weiteren Verlauf der Geschichte ein Nebendarsteller, auch wenn er sich über seine Rolle an Bord des Kreuzfahrtschiffes eine andere Meinung bildet. Mimsi wird schließlich doch zu einem der Haupthandlungsträger, Gleiches gilt für ihren Verehrer Schalck von Schnabel und die Diva Banamarama Halcion, deren Stern bereits am verblassen ist. Ihr sogenannter Impresario, Herr von Luna, offenbart Mimsi gegenüber ein zwiespältiges Wesen, und die Kronprinzessin Silber von Sirius, dreizehn Jahre alt und als Blinder Passagier an Bord in einer Herzensangelegenheit, hat mehr Durchblick in der konfusen Ermittlungssituation, als man ihr zutraut.

Ermittlungssituation? Genau, denn auf diesem Luxusliner passieren während der wochenlangen Reise ungehörige Dinge: Während der Probem zur traditionellen Bordrevue „Schieß mich zum Mars, Liebling“, bei der Madame Halcion die Direktion übernimmt, verschwindet das entscheidende Requisit, ein Dolch, der schließlich im Körper eines undercover reisenden Mafiabosses steckend wieder auftaucht. Leider sind Mimsis Fingerabdrücke auf der Waffe (schließlich soll sie die Hauptrolle in der Revue spielen), so dass sich zu ihrem Leidwesen auch die Bordsicherheit für sie interessiert.

Wir sehen, es herrschen undurchsichtige Zustände auf dem Schiff, auf dem sich eine explosive Anhäufung verdeckt reisender Passagiere befindet, die irgendwie miteinander in Verbindung zu stehen scheinen. Herr von Luna wird als unfähiger Impresario geschildert, der immer im passenden Moment verschwunden ist, so dass die Missstimmung der Diva sich allein auf Mimsi konzentriert, die obendrein auch von Luna schikaniert wird. Dabei stellt sich der Eindruck ein, dass er erstens irgendetwas im Schilde führt, zweitens gar kein Impresario ist, sondern sich mit dieser Rolle Zutritt zum engsten Bereich der Diva – und nicht zuletzt ein Ticket nach PC2 – verschaffte, und drittens über Mimsis nebelhafte Vergangenheit mehr weiß, als ihr vorstellbar erscheint.

Die Diva wird in typischer Art völlig egozentrisch dargestellt, so dass in ihrer Weltsicht gar kein Platz für die Probleme des Lebens außer ihrer eigenen ist, und so geht der ganze Trubel um den Mord weitgehend an ihr vorbei. Einzig die häufigen Störungen der Revue-Proben reizen ihr Gemüt.

Mimsi Mimkovsky ist schließlich doch das Zentrum der Geschichte, denn ihre Vergangenheit, durch ein kindheitliches Trauma verschleiert, wird zwischen Proben, Mord und Liebesglück zum zentralen Aufhänger allen Trubels. Dann ist es immer wieder die kleine Silber, die sich einmischt und der Rätsel Lösungen mit Kinderzunge verkündet, ohne beachtet zu werden. Nur Schalck von Schnabel misst ihr eine tiefere Bedeutung bei und kümmert sich …

Die Lektüre ist wie ein Theaterstück. Szenenwechsel, dabei eine eingeschränkte Auswahl an Bühnenbildern, vor denen sich das Schauspiel entfaltet, diverse Blickwinkel und dabei der witzige Ton der Dialoge und Szenen, wie für ein reales Publikum inszeniert. Vor dieser Erkenntnis gewinnt der Roman eine ganz andere, herausragende Qualität, denn im Vergleich mit einer klassischen Space Opera sucht man hier die typischen Elemente vergeblich. Es gibt keine Raumschlachten, keine außergewöhnlichen innovativen Technikbeschreibungen, kein Sense of Wonder – wobei Letzteres erst den Flair einer klassischen Space Opera ausmacht. Çakan nutzt diesen eigentlich typischen klassischen Krimiplot (eine abgeschlossene Gesellschaft ohne die Möglichkeit für den Täter, sich zu verbergen, also weilt er unter den Anwesenden), um eine wortwörtliche Space Opera zu inszenieren. Das ist ein Kunststück, und sie schafft es, ihre Darsteller im Laufe der Aufführung so zu entwickeln, dass jeder seinen eigenen Charakter bekommt, Sympathie oder Antipathie ausstrahlt oder ein Mysterium wird, dessen Geschichte man erfahren will.

Erwartet man einen typischen, handfesten Roman, kann Çakan nicht mit großen neuen Ideen punkten; lässt man sich dagegen auf das Erlebnis eines Romans als Theaterstück ein, erkennt man mit einem großartigen Gefühl, wie dieses literarische Werk funktioniert und wo seine Stärken liegen. Nämlich nicht in Action und kosmischen Rätseln, sondern in den Gefühlen und im menschlichen Leben, das konzentriert in diesem abgeschlossenen System des Raumschiffs stattfindet.

Ach, und Hurriberto Wicknack, der Kabinenstewart, erhält schließlich als großer Schauspieler und Beobachter noch die Möglichkeit, das Drama dieses Fluges in Form eines Theaterstückes zu verarbeiten – einen Titel hat er ja schon …

Klappenbroschur, 208 Seiten
ISBN 978-3937897479
ORIGINALAUSGABE
Leseprobe auf der Autorenseite
http://www.edition-phantasia.de

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