Harry Carmichael – Geflohen aus Dartmoor

Ein flüchtiger Gefangener will nach einem letzten erfolgreichen Coup aussteigen, doch seine Pläne zerschlagen sich sämtlich: Er ist verdammt, sein Schicksal wird ihn richten … – Konventioneller Krimi mit recht penetranter „Crime-doesn’t-pay!“-Moral, der in seinem letzten Drittel eine überraschende Wende nimmt und an Tiefe gewinnt: kein Klassiker, nur angetrocknetes Lesefutter.

Das geschieht:

Sieben Jahre Haft im gefürchteten Gefängnis Dartmoor! Terence Millward muss zahlen für den Überfall auf einen Juwelier, der dabei sein Leben ließ. Nur ihn hat man gefasst, während seine drei Spießgesellen entkamen. Inspektor Bartram weiß, dass Millward nicht ‚singen‘ wird. Der erfahrene Polizist verkennt indes, wie sehr Millward die Gefangenschaft hasst. Der Gefangene bereitet seine Flucht vor. Mit der Beute aus einem sich anschließenden Banküberfall will er England verlassen und ein neues Leben beginnen.

Millward bricht aus, dabei stirbt ein Aufsichtsbeamter. Dadurch wird Millward zum Vogelfreien. Unwillig helfen seine Kumpane, doch nur auf „Doc“ Moore kann er sich verlassen, während Leslie Gregson und Jack Humphrey die Polizei fürchten. Geldgier lässt sie dennoch an dem Bankraub teilnehmen. Wieder wendet sich das Glück gegen Millward. Der übereifrige Humphrey erschießt den Bankdirektor, und die Beute besteht aus nagelneuen Scheinen, deren Seriennummern sämtlich notiert wurden.

Bis ein Hehler gefunden und das ‚heiße‘ Geld eingetauscht ist, muss Millward in London bleiben. Von Inspektor Bartram und der Polizei gnadenlos verfolgt und mit Recht zunehmend misstrauisch, was die Zuverlässigkeit seiner Bande angeht, lässt sich der gehetzte Mann trotzdem auf eine Liebesbeziehung mit der einsamen Christine Ross ein. Doch das Pech bleibt ihm treu, und neue Tote säumen Millwards Weg, der geradewegs in den Untergang führt …

Und immer die Moral von der Geschicht‘ …

„Verbrechen lohnt nicht“ – ein Sprichwort und eine Binsenweisheit, die von Regierungen und politisch korrekten Interessengemeinschaften gern als Warnung ausgesprochen wird. Es gab Zeiten, in denen diese Behauptung sogar Gesetz wurde; der „Hayes Code“ verankerte sie beispielsweise zwischen 1934 und 1968 in Hollywood und forderte eine ‚saubere Leinwand‘, auf der erfolgreiche Gangster im Finale demonstrativ stürzen und böse enden mussten.

Die Saubermänner der Nationen wollten ihre Überzeugungen selbstverständlich möglichst vielen Mitmenschen aufzwingen. Auch wo dies offiziell nicht möglich war, bevorzugten nicht nur Filmstudios, sondern auch Buchverlage den Weg des geringsten Widerstands: Wenn die „Moral Majority“ ein „Crime doesn’t pay“ forderte und den Kunden solche Geschichten gefielen, wurden sie gedruckt. Die Abwesenheit womöglich verkaufshinderlicher Proteste, wie sie weniger pflegeleichte Literatur heraufbeschwört, war ein zusätzlicher Bonus.

Vor allem die Vielschreiber ließen sich in diesen Rahmen pressen. Für Autoren wie Harry Carmichael war es normal, jährlich drei oder vier Romane auf den Markt zu bringen. Diese Bücher wurden keine Bestseller, die Entlohnung war vergleichsweise schmal, aber die Leser waren treu und die Einnahmen sicher, so lange der Verfasser ‚lieferte‘, was Verlag und Publikum wollten.

Steil hinab auf dem Weg zur Hölle

„Geflohen aus Dartmoor“ ist ein perfektes Beispiel für den typischen Krimi-Mainstream, der auf diese Weise entstand. Die Geschichte ist nichts als eine Abfolge bewährter Klischees, die passagenweise moralinsauer eingelegt werden. Der Untergang des eher traurigen als tragischen (Anti-) Helden steht von vornherein fest. Ohne diesen Weg konsequent zu beschreiten und „Geflohen aus Dartmoor“ als ‚richtigen‘ „Noir“-Krimi zu erzählen, klammert Carmichael Aspekte wie Verrat und Verdammnis aus bzw. weicht sie auf oder ersetzt sie durch den Zufall.

Im „schwarzen“ Krimi wäre Millward eine dem Untergang geweihte Seele, seine Spießgesellen die Werkzeuge des Schicksals und Christine der Auslöser für die finale Höllenfahrt. Doch die entsprechende Unbarmherzigkeit, die ihn dies als Verfasser überzeugend darstellen ließe, bringt Carmichael nie auf. Immer wieder schwächt er das Konzept, lässt Inspektor Bartram als weise Vaterfigur seufzend den Niedergang Millwards kommentieren, den er zu allem Überfluss auf dem Totenlager ausführlich bereuen lässt, bevor er endlich seinen Geist aufgeben darf.

Routine als Rettungsanker

Das ist schade, denn als Autor ist Carmichael ein Routinier, der sein Handwerk – und mehr ist es hier nicht, soll es nicht sein – versteht. Wenn er die Moral beiseite lässt, macht die Lektüre Spaß. Die Geschichte ist einfach, die Figurenzahl überschaubar. Carmichael holt heraus, was der Plot hergibt.

Zumindest untereinander dürfen die Ganoven ihrer niederen Gesinnung freien Lauf lassen. Während Bartram zum langweiligen (und unsympathischen) Gutmenschen mutiert und als solcher auf ein Podest gestellt wird, zerfleischen sich Millward und seine drei Kumpane, dass es für den Leser eine wahre Freude ist. Je enger die Polizei ihr Netz zieht, desto heftiger toben Betrug und Verrat. Unter Verbrechern gibt es keine Ehre, sondern nur den Willen zum Überleben. Zumindest das arbeitet Carmichael heraus.

Zu den Verlierern gehört schließlich auch Christine. Ihr Schicksal soll den Leser vermutlich rühren. Als „Geflohen aus Dartmoor“ erschien, mag diese Wirkung eingetreten sein. Im deutlich zynischer gewordenen 21. Jahrhundert kann man über die angeblich erwachsene, tatsächlich jedoch naive Frau und ihr Verhalten nur den Kopf schütteln. Das gar dramatische, heute unfreiwillig komisch wirkende Ende komplettiert die im Laufe der Lektüre aufkeimende Erkenntnis, dass mancher alter Krimi nur noch für das Kaminfeuer taugt …

Autor

„Harry Carmichael“ ist das Pseudonym des viel beschäftigten Kriminalschriftstellers Leopold Horace Ognall (1908-1979), der auch als „Hartley Howard“ sehr aktiv war. Obwohl seine Geschichten oft in den USA spielten, war Ognall Brite und erfolgreich als Autor vor allem in seiner Heimat, während relativ wenige Romane den Weg über den Atlantik in das Land fanden, in dem sie spielten. Auf dem europäischen Kontinent wurden Ognalls Bücher dagegen gern gelesen; in Deutschland wurde sogar fast das gesamte Werk übersetzt, was angesichts der Länge der Bibliografie bemerkenswert ist.

Die leichtgewichtige und serientaugliche aber handwerklich durchaus achtbare Machart sowie die (möglicherweise unfreiwillige) Mischung aus traditionellem britischen Krimi und (nicht allzu hartem) US-Thriller sprach das hiesige Publikum offensichtlich an, solange der Verfasser neue Romane liefern konnte. Als Ognall 1979 starb, ließ die Resonanz stark nach. Heute ist Ognall sowohl als Hartley Howard als auch als Harry Carmichael aus der deutschen Krimi-Szene verschwunden.

Taschenbuch: 146 Seiten
Originaltitel: The Condemned (London : Collins 1967)
Übersetzung: Hans Bernhard
http://www.randomhouse.de/goldmann

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