Carol O‘Connell – Es geschah im Dunkeln (Mallory 11)

In einem Broadway-Theater sorgt erst ein „Ghostwriter“ für Verwirrung und Verdruss, bevor er den eigentlichen Autor des gespielten Stückes umbringt. Weitere Versuche, es trotzdem aufzuführen, führen zu neuen Leichen … – Ihr 11. Fall führt die ebenso geniale wie soziopathische Polizistin Mallory in eine Welt der professionellen Täuschung, die sich als mörderische Spiegelung einer alten Bluttat erweist: Der verwickelte Plot ächzt spürbar unter der Last originell und schräg gemeinter Einfälle, dennoch bringt die Autorin ihr Werk routiniert über die Runden.

Das geschieht:

An einem der vielen Theater des New Yorker Broadways wird ein neues Stück aufgeführt. „Das Messingbett“ erregt enormes Aufsehen, denn am Premierentag wird nach dem Ende des ersten Aktes im Zuschauerraum der Autor entdeckt: Man hat ihm die Kehle durchgeschnitten, ohne dass jemand im Publikum oder auf der Bühne etwas bemerkte – angeblich, denn die Polizei ist dieses Mal besonders misstrauisch: Detective Mallory von der „Special-Crimes“-Einheit reißt den Fall an sich.

Wieso sie hier ein außergewöhnliches Verbrechen wittert, kann oder will sie nicht sagen: Mallory ist einerseits eine ungemein fähige Ermittlerin, andererseits jedoch eine nur mühsam kontrollierte Soziopathin, die auf Disziplin oder Vorschriften pfeift, Kollegen wie Freunde manipuliert oder fallenlässt, wenn diese gegen Mallorys Kodex verstoßen.

Hinter seiner Kollegin räumt wie üblich der erfahrene Riker auf. Er hält ihr auch dieses Mal den Rücken frei und liegt richtig, denn schon während der nächsten Vorstellung des „Messingbetts“ findet sich die nächste Leiche. Die Ermittlungen sind schwierig, denn die Theaterleute sind eine verschrobene und verschworene Gemeinschaft, die schwer zu durchschauen ist.

Jedermann und jede Frau hütet Geheimnisse, die Mallory ohne Rücksicht auf die Folgen aufdeckt. Dabei sollte sie sich selbst bedroht fühlen: Auf einer alten Schiefertafel hinterlässt der „Ghostwriter“ kryptische Botschaften, die Mallorys Ableben ankündigen. Die Polizistin lässt sich nicht einschüchtern. Stück für Stück enthüllt sie eine Verbindung zwischen den Ereignissen im Theater und einem grausigen Massenmord, der sich vor Jahren weit entfernt ereignete. Wer meldet sich zurück: der Täter oder eines der überlebenden aber irre gewordenen Opfer …?

Bretter, die den Tod bedeuten

Das Theater ist als Schauplatz kapitaler Verbrechen einfach unwiderstehlich. Wie uns Carol O’Connell beweist, gilt dies noch heute, obwohl es sicherlich kein Medium gibt, das ‚analoger‘ als das Theater funktioniert. Genau das ist es aber, was auch im 21. Jahrhundert ein Publikum findet: Auf der Bühne und ungefiltert sorgen leibhaftige Menschen für Unterhaltung. Auf der Bühne geht es nicht erst seit Shakespeare hoch her. Mord und Totschlag waren und sind elementare Bestandteile vieler Stücke. Gefühlsbetont geht es ohnehin dort oben zu, wohin die Scheinwerfer gerichtet sind.

Diese unmittelbare Vermittlung von turbulenten Inhalten benötigt eine besondere Sparte von Schauspielern. Anders als die Kollegen von Film und Fernsehen ruft auf der Bühne niemand „Schnitt“, wenn sie patzen oder etwas Unvorhergesehenes geschieht. Dann gilt es zu improvisieren, denn das Publikum soll keineswegs merken, dass etwas schiefläuft. Dies schließt den plötzlichen Bühnentod eines Darstellerkollegen durchaus ein; die Theatergeschichte ist reich an solchen ‚Zwischenfällen‘.

Der Mord auf offener Bühne und damit quasi unter den Augen zahlreicher Zuschauer = Zeugen ist ein Plot, der Krimi-Autoren locken muss. Wie kann so etwas geschehen, wenn alle sich auf das Stück und damit die Übeltat konzentrieren? Natürlich geht es darum, dass genau diese Offensichtlichkeit für Irrtümer und Fehlinterpretationen sorgt, die spannend aufgelöst werden. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass Schauspieler ihren Lebensunterhalt mit der überzeugenden Täuschung ihrer ‚Kundschaft‘ verdienen, weshalb man sie als Verdächtige schwer knacken kann.

Ebenso gefährlich: das Umfeld

O’Connell variiert ‚ihren‘ Theater-Krimi, indem sie die kriminellen Ereignisse außerhalb der Bühne stattfinden lässt. Sie ist keineswegs die erste Autorin, der auffällt, dass ein Theater generell ein fabelhafter Tatort ist: Hinter, über und unter der Bühne existiert ein aufwändiger Maschinenpark, der u. a. das plötzliche Erscheinen oder Verschwinden von Darstellern gewährleistet. Falltüren, Seitenein- und ausgänge, verborgene Schlupfwinkel, sogar Geheimgänge: Im Bühnenumfeld geht es unübersichtlich zu. Dahinter erstreckt sich das Reich der Magazine, Garderoben und Werkstätten; ein weiteres Labyrinth, in dem sich ausgerechnet die Hauptverdächtigen am besten auskennen. Zum Theater-Krimi gehört deshalb die Feststellung, dass mindestens eine Tür ins Freie zu spät von den Ermittlern entdeckt wird, weshalb sich der eigentliche Schurke womöglich längst davongemacht hat oder – auch O’Connell greift darauf zurück – sich unbemerkt Zugang verschaffen kann, um weiteres Unheil zu stiften.

Auch „Es geschah im Dunkeln“ beinhaltet ein ‚Phantom der Oper‘, das hier „Ghostwriter“ genannt wird, ansonsten aber hinter den Kulissen seine Schlingen legt. O’Connell hat keine Hemmungen, jenen alten Aberglauben, nach dem es in einem Theater eigentlich immer spukt, für ihre Geschichte zu instrumentalisieren. Es unterstützt sie in der ihr wichtigen Schaffung einer Atmosphäre, dem auch außerdem des Theatermilieus ein Moment der Unwirklichkeit innewohnt.

Mallory ist kein ‚normaler‘ Mensch, weshalb auch ihre Fälle stets den Rahmen üblicher = langweiliger Polizeiarbeit sprengen. Zwar spielen viele Szenen auch dieses Falls außerhalb des ‚verfluchten‘ Theaters, doch auch im Polizeirevier, in den Behausungen diverser Verdächtiger und selbst in der U-Bahn geht es merkwürdig zu. Das ist ebenso faszinierend wie riskant, weil es für die Autorin ein Tanz auf Messers Schneide darstellt. Dies fällt genau dort auf, wo O’Connell ins Straucheln gerät und sich das Mysteriöse als Selbstzweck entlarvt. In solchen Momenten der Klarheit erkennt der Leser zudem, dass sich in einem langen Mittelteil die Handlung nur insofern bewegt, als sie sich um sich selbst dreht, statt voranzukommen. O’Connell reiht Rätsel an Rätsel, lässt sich aber mit den Antworten (zu) viel Zeit.

Die kalte Königin und ihr Hofstaat

Ihre Hauptfigur ist für die Autorin eine schwer im Griff zu behaltende Herausforderung. Mallory ist im Grunde serienuntauglich, weil ihr eine Entwicklung verwehrt bleibt. Eine emotionale Mallory wäre keine Mallory mehr. Gefühlsnähe darf sie nach O’Connells Willen nicht kennen oder zeigen. Eine verliebte Mallory ist erst recht keine Option. Serien leben jedoch von ‚Privatleben‘ der dort auftretenden Personen. In dieser Hinsicht treten die Mallory-Romane auf der Stelle.

Nicht nur die Heldin steckt fest. Auch Mentor Riker, Nerd-Clown Charles Butler oder Polizist Coffee als dauergenervter ‚Chef‘ einer unkontrollierbaren Mallory ziehen ihre gewohnten Bahnen. Entweder räumen sie hinter ihrer Königin auf, oder sie buhlen um ihre Aufmerksamkeit. Diesen Faszinationsaspekt ihrer Hauptfigur kann O’Connell seit jeher schwer oder gar nicht vermitteln: Mallory ist das Licht, um das die Motten tanzen und in dem sie verbrennen, wenn sie ihr zu nahe kommen.

Dies führt immerhin zur Abwesenheit jener seifenoperlichen Nebensächlichkeiten, die bei vielen Autoren die eigentliche Krimi-Handlung überfrachten. „Es geschah im Dunkeln“ mag sich in vielen seltsamen Abschweifungen verlieren, doch zwischenmenschliches Phrasendreschen kann man O’Connell nicht vorwerfen. Nichtsdestotrotz opfert sie der Grundstimmung bedenkenlos die Handlungslogik. So verfolgen wir über viele Seiten ein krudes Psychospielchen zwischen Mallory und einem Provinz-Sheriff. Es wird über Telefon geführt, während besagter Sheriff sich durch mehrere US-Bundesstaaten zum Primärschauplatz durchkämpft, wo er pünktlich zum dramatischen Finale eintrifft.

Erwartungsgemäß findet die Auflösung im Rahmen einer weiteren Aufführung des ‚gefährlichen‘ Stücks statt. Sie zieht sich, denn es gilt eine lange Reihe von ungelösten Fragen zu beantworten. Dabei stellen sich die Querverbindung enals recht schütter heraus. Grundsätzlich geht es um zwei Kapitalverbrechen, zwischen denen kein echter Zusammenhang existiert. Es wird dem Schauplatz entsprechend sehr theatralisch; O’Connell greift in einem Epilog sogar weit in die Zukunft vor, um Mallorys komplizierten, nur ihrer privaten Vorstellung von Gerechtigkeit folgenden Schlichen zu verklären. Das ist eindeutig zu viel zu Guten bzw. Schlechten, denn SO überlebensgroß ist Mallory eben doch nicht (mehr), sondern (nur noch) sehr unterhaltsam.

Autorin

Carol O’Connell (geb. 1947) verdiente sich ihren Lebensunterhalt viele Jahre als zwar studierte aber weitgehend brotlose Künstlerin. Zwischen den seltenen Verkäufen eines Bildes las sie fremder Leute Texte Korrektur – und sie versuchte sich an einem Kriminalroman der etwas ungewöhnlichen Art.

1993 schickte O’Connell das Manuskript von „Mallory’s Oracle“ (dt. „Mallorys Orakel“/„Ein Ort zum Sterben“) an das Verlagshaus Hutchinson: nach England! Dies geschah, weil Hutchinson auch die von O’Connell verehrte Thriller-Queen Ruth Rendell verlegte und möglicherweise freundlicher zu einer Anfängerin sein würde.

Vielleicht naiv gedacht, vielleicht aber auch ein kluger Schachzug (und vielleicht nur eine moderne Legende). Hutchinson erkannte jedenfalls die Qualitäten von „Mallory’s Oracle“, erwarb die Weltrechte und verkaufte sie profitabel auf der Frankfurter Buchmesse. Als der Roman dann in die USA ging, musste der Verlag Putnam eine aus Sicht der Autorin angenehm hohe Geldsumme locker machen.

Seither schreibt O’Connell verständlicherweise hauptberuflich; vor allem neue Mallory-Geschichten, aber auch ebenfalls erfolgreiche Romane außerhalb der Serie. Carol O’Connell lebt und arbeitet in New York City.

Taschenbuch: 478 Seiten
Originaltitel: It Happens in the Dark (New York : G. P. Putnam’s Sons/Penguin Group USA 2012)
Übersetzung: Judith Schwaab
www.randomhouse.de/btb

E-Book: 1347 KB
ISBN-13: 978-3-641-19983-8
www.randomhouse.de/btb

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