Carolyn Wells – Der Wiedergänger (Gruselkabinett 130)

Der Revenant von Labrador

New York 1920: Peter Crane bricht mit Freunden zu einer Expedition in die unerforschten Weiten Labradors auf. Durch die Weissagung einer alten Zigeunerin war ihm in Kindertagen prophezeit worden, dass er einmal fernab der Heimat zu Tode komme würde, aber anschließend als Wiedergänger seiner Familie erscheinen würde … (Verlagsinfo)

Die Autorin

Carolyn Wells (1862-1942) war eine amerikanische Dichterin und Schriftstellerin, die sowohl zahlreiche Erzählungen für Erwachsene auch für Kinder verfasste. Die Millionärsgattin begann 1896 zu veröffentlichen, begeisterte sich aber bereits 1897 für das Krimi-Genre, in dem sie nicht weniger als 61 ihrer über 170 Bücher verfasste. Sie schrieb auch für Zeitungen und gründete ein eigenes Krimi-Magazin.

Zu ihren Geschichten mit Pennington Wise gehören:

• The Room with the Tassels (1918)
• The Man Who Fell Through the Earth (1919)
• In the Onyx Lobby (1920)
• The Come-Back (1921)
• The Luminous Face (1921)
• The Vanishing of Betty Varian (1922)
• The Affair at Flower Acres (1923)
• Wheels Within Wheels (1923)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Dirk Stollberg: Detektiv Pennington Wise
Jannik Endemann: Peter Crane
Matthias Lühn: Kit Shelby
Uschi Hugo: Julie Crane
Marie Bierstedt: Carlotta Harper
Tom Raczko: Tom Douglas
Louis Friedemann Thiele: Gilbert Blair
Thomas Balou Martin: McClellan Thorpe
Horst Naumann: Benjamin Crane
Dagmar von Kurmin: Madame Parlato
Reinhilt Schneider: Zizi
Bodo Primus: Portier Hastings

Regie führte Marc Gruppe, der auch das Drehbuch verfasste, und das Hörspiel mit Stephan Bosenius realisierte. Die Aufnahmen fand in den Titania Studios und den Planet Earth Studios statt. Die Illustration stammt von Ertugrul Edirne.

Handlung

Peter Crane ist anno 1920 der Erbe einer wohlhabenden New Yorker Familie, geliebt von der hübschen Carlotta Harper. Doch Carly wird auch von seinen Freunden Gilbert Blair und dem Autor Kit Shelby verehrt. Als das Trio den Plan verkündet, eine Expedition ins Innere des unerforschten Labrador zu wagen, sind Carly und Peters Schwester Julie besorg. Nur Vater Benjamin Crane erteilt seinen Segen – solange sie einen zuverlässigen Führer dabei haben. Joshua sei so einer, versichert Peter. Und falls irgendwas schiefgehen sollte, dann träten die Zigeunerweissagungen in Kraft: Er werde als Wiedergänger zurückkehren. Keine der Damen findet die Bemerkung besonders lustig.

Schneesturm

Die Expedition bricht Ende Juli auf, gerät aber schon Mitte Oktober in einen schweren Schneesturm. Peter fällt in eine Schneespalte und bricht sich beide Beine. Seine verzweifelten Rufe um Hilfe reißt der wilde Wind mit ins Nichts. Die Freunde kehren nach vergeblicher Suche niedergeschmettert zurück nach New York. Mit Erstaunen bemerken sie, dass Peters Vater bereits Bescheid weiß. Wie das, wundern sie sich. Seit November weiß er aufgrund der Séancen von Madame Parlato von Peters Tod – was ihn nach der Zigeunerweissagung nicht wundere. Auch Carly trägt die Nachricht von Peters Tod, die Gilbert ihr überbringt, mit erstaunlicher Fassung. Doch sie erkennt wenigstens die Bedeutung, die Peter für ihr Leben hat: Ihr Herz ist anderen Männern gegenüber verschlossen, seit sie es Peter am Vorabend seiner Abreise verspracht. So kommt es, dass sie sowohl Gilberts als auch Kits Anträge abweist.

Seltsame Séancen

Während ihr Vater Madame Parlato zuhört, konsultiert Julie Crane das Ouija-Brett. Sie liebt McClellan Thorpe, den Architekturkommilitonen von Gilbert Blair, doch „Mac“ glaubt nicht an Esoterik. Als Gilbert Wochen später vergiftet aufgefunden wird, fällt der Verdacht von mehreren Seiten auf Thorpe, was Julie in Verzweiflung stürzt. Der von Madame Parlato beschworene Geist Peters beschuldigt aber Thorpe, und Kit tut desgleichen. Nach Thorpes Verhaftung – man findet ein Fläschchen Blausäure in seinen Räumen – wäre Julie unglücklicher denn je. Deshalb engagiert Crane senior zwei Detektive.

Gewiefte Ermittler

Pennington Wise und seine gewitzte Assistentin Zizi untersuchen die mysteriöse Angelegenheit und finden ein Motiv: Carlys Hand – jeder des Trios wollte sie zur Frau haben, nur Thorpe nicht – der ist auf Julies Seite. Inzwischen hat Kit Shelby Erfolg als Drehbuchautor des Films „In den Weiten Labradors“, und da auch sein Film ein Hit wird, bietet er sich erneut Carly als Versorger an. Sie lehnt empört ab.

Unterdessen tauchen zwei Briefe auf, die von Zizi als Fälschungen entlarvt werden, einer von dem Analphabeten Joshua und einer von Peter an Carly. Zusammen mit den Damen geht Zizi zu Madame Parlato, und auf einer weiteren Séance ändert Peters Geist seine Meinung – was für eine Überraschung. Zum Zeichen, dass er wirklich Peter ist, lässt die Wahrsagerin ein Taschentuch mit seinem Monogramm materialisieren.

Der Wiedergänger

Louis Bartram nennt sich der Mann, der in New York City an Land geht und beginnt, Nachforschungen in Sachen Peter Crane anzustellen. Nachdem er einen Schauspieler als Reporter vorgeschickt hat, ist über die Lage im hause Crane im Bilde. Zeit, sich selbst vor Ort nach Beweisen zu suchen. Doch er wird ertappt…

Mein Eindruck

Das Motiv der Revenants gibt es schon seit viktorianischen Zeiten und wird in vielfach abgewandelter Form bis heute verwendet, z.B. in der Oper „Der fliegende Holländer“ oder in dem gleichnamigen Western mit Leonardo di Caprio. Wiedergänger sind nicht mit Zombies oder gar Vampiren zu verwechseln, denn erstens sind sie keineswegs zersetzt und zweitens bei vollem Verstand. Und dieser Verstand verfolgt eine Absicht, in den meisten Fällen besteht diese in Rache und Vergeltung.

Ohne zu viel über Louis Bartrams Absichten verraten zu wollen, so gilt es doch im Hause Crane einiges zu klären – und womöglich die Ungerechtigkeit, die an Thorpe, Julies Freund, begangen wurde, ungeschehen zu machen bzw. Schlimmeres zu verhindern. Außerdem gilt es den Mord aufzuklären, der Thorpe offenbar angehängt wurde. Woher kommen all die falschen Briefe? Tragen die irreführenden Séancen und Ouija-Sitzungen wirklich zur Wahrheitsfindung bei, fragen sich die beiden Detektive Wise und Zizi. Es sieht eher nach dem Gegenteil aus.

Man sieht also, dass es hier einiges aufzuklären gilt, nicht zuletzt die wahren Absichten von Madame Parlato. Ihre Séancen werden ebenso völlig objektiv-neutral dargestellt wie die Ouija-Sitzungen Carlys. Die Autorin fällt kein vorschnelles Urteil über „Schwindel oder nicht Schwindel“, sondern lässt den Hörer pfiffig bis zum Schluss im Unklaren. Ein ungewöhnliches Motiv ist jedoch ihre angebliche Fähigkeit, Dinge von verstorbenen, ja sogar deren Gesichter materialisieren zu lassen. Davon ist in den Geschichten von M.R. James, die voller Revenants sind, kein Wort zu lesen.

Die Sprecher/Die Inszenierung

An den Stimmen der Sprecher fiel mir lediglich auf, dass es zu Anfang schwerfällt, die der drei jungen Männer und der beiden jungen Damen auseinanderzuhalten. Dass hier mit Reinhilt Schneider (als Zizi) und Dagmar von Kurmin zwei Theaterveteraninnen auftreten, kommt der Qualität sehr zugute. Witzigerweise bringt Schneider als Zizi die Grande Dame von Kurmin alias Madame Parlato ins Schwitzen. Horst Naumann stellt die graue, aber nicht allzu weise Eminenz dar, die eines Besseren belehrt wird.

Natürlich wird einiges gelacht und geschluchzt, zwischendurch um Hilfe geschrien, aber am besten sind die Séancen und Ouija-Sitzungen gelungen. Das liegt nicht bloß an der Stimmung, sondern auch an den Sprecherinnen. Verblüffend ist der Effekt der Überlagerung zweier Stimmen: der von „Madame Parlato“ mit der von „Peter Crane“. Interessant ist auch der Toneffekt einer verzerrten Stimme am Telefon und der Hall in Peters „Geisterstimme“.

Geräusche

Für die richtige Stimmung sorgen die Geräusche und insbesondere die Musik. Nach einem heimeligen Tee und einem romantischen Kuss brechen die jungen Männer in die Wildnis auf, wo der Wind heult und das Lagerfeuer knistert. Hilferufe verhallen ungehört im tobenden Sturm. Daheim klappern bald schon wieder die Teetassen, kontrastiert vom unheimlichen Ouija-Brett, auf dem die „Palette“ verschoben wird, um eine Reihenfolge von Buchstaben auf dem Brett anzuzeigen. Kein Wunder, dass schon bald der Verdacht geäußert wird, das Verschieben geschehe nicht durch Geisterhand, sondern mit hinterlistiger Absicht.

Musik

Die Musik ist von höchster Bedeutung für die Wirkung der Geschichte auf den Hörer, zumal den weiblichen. Sie wird in erster Linie mit klassischen Instrumenten bestritten, unter denen ein Piano auffällt. Es spielt in tiefer Tonlage eine wehmütige Melodie, so als würfe das kommende Unheil seine Schatten voraus.

Nach der Katastrophe von Peters Verschwinden beginnen die Séancen, unterlegt mit Chören und tiefen Saiteninstrumenten, ergänzt von unheilvollem Glockengeläut. Der Hörer soll merken, dass er es mit der Welt der Toten zu tun hat. Viel Abwechslung weist der dritte Akt auf, der den großen Showdown enthält. Die Musik beginnt mit einem munteren Tanzrhythmus, wird zwischendurch dissonant, um am Schluss heiter zu werden: Das anfänglich Piano ertönt diesmal in wesentlich fröhlicherer Stimmung.

Musik, Geräusche und Stimmen wurde so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

Das Booklet

…enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien: für das Gruselkabinett und die Sherlock-Holmes-Reihe. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher. Die Titelillustration von Ertugrul Edirne fand ich passend und stimmungsvoll.

Ab Herbst 2017

Nr. 126: Lovecraft: Kalte Luft
Nr. 127: Poe: Der Fall Valdemar
Nr. 128: Charles Dickens: Der Streckenwärter
Nr. 129: Ulrichs: Manor
Nr. 130: Carolyn Wells: Der Wiedergänger
Nr. 131: Flagg: Die Köpfe von Apex

Ab Frühjahr 2018

Nr. 132/133: Sweeney Todd 1+2
Nr. 134: Willy Seidel: Das älteste Ding der Welt
Nr. 135: Amyas Northcote: Brickett Bottom
Nr. 136: H.G. Wells: Das Königreich der Ameisen
Nr. 137: Robert E. Howard: Aus finsterer Tiefe

Unterm Strich

Nach einem abenteuerlichen Auftakt geht die Geschichte in eine teils übernatürliche, teils kriminalistische Phase über. Geisterjäger findet man hier keinen, aber Pennington Wise und seine Zizi stehen Kollegen wie Aylmer Vance (Gruselkabinett Folgen 54-57) in nichts nach. Die Methode der Detektive sind indes die üblichen: fragen und forschen, wachen und ertappen.

Trotz all der kriminellen Vorfälle bleibt doch stets auch das romantische Motiv der Liebe von Julie und Carly nie vergessen. Die Autorin wollte ein weibliches Publikum ohne Zweifel ebenfalls ansprechen und stellt bange Fragen: Wird Carly ihrem verschollenen Verlobten Peter untreu werden? Muss Julie ihr Leben fürderhin ohne ihren lieben Mac Thorpe fristen? Nicht auszudenken!

Und wer ist dieser mysteriöse Mr. Bartram, der sich heimlich ins Crane-Haus einschleicht? Ob seine Absichten wirklich ehrenhaft zu nennen sind, bleibt offen. Aber früher oder später, über kurz oder muss die Wahrheit ans Licht kommen, soviel ist sicher. Und sofern sich Amor, Venus und Eros einig sind, werden auch Julie und Carly schon bald glücklich in den Hafen der Ehe segeln.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Stimmen wie Matthias Lühn, Timmo Niesner und Rolf Berg sind deutschen Filmfreunden von zahlreichen amerikanischen und britischen Darstellern bekannt. Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Für Sammler ist die Reihe inzwischen ein Leckerbissen.

Fazit: 4,0 von fünf Sternen.

Audio-CD mit über 73 Minuten Laufzeit
Info: The Come-Back (1921)
www.titania-medien.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 3,50 von 5)