Archiv der Kategorie: Belletristik

Austen, Jane – Northanger Abbey

Wertvolle Anmerkungen: Parodie auf den Schauerroman

England um 1798: Die junge Catherine Morland wird in die Gesellschaft der Kurstadt Bath eingeführt und wird im Zuge eines Missverständnisses als wohlhabende Erbin angesehen. Sie verliebt sich in Henry Tilney, doch es wird kompliziert, als dessen Vater entdeckt, dass Catherine nur eines von zehn Kindern eines relativ armen Landpfarrers ist. Catherines Blütenträume drohen sich in Luft aufzulösen …

Die Autorin
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Anonymus – Abenteuer einer Pariser Kokotte. Erotischer Roman

Abwechslungsreiche Abenteuer der Erotik

Die junge Léna de Mauregard ist eine Frau, die jeden Mann, der ihr begegnet, in ihren Bann schlägt. Leidenschaftlich, schön und anmutig, erregt sie das Verlangen der Kenner – und sie wäre keine Evastochter, keine Pariserin, wenn sie ihm nicht entgegenkäme… (Verlagsinfo) Auch dieser Roman der EROTIKON-Reihe des Goldmann-Verlags weist zeitgenössische Illustrationen auf.

Der Autor

Wahrscheinlich schrieb der produktive Monsieur J. Le Nismois diesen Roman Ende des 19. Jahrhunderts in Paris, aber um die Polizei der Zensurbehörde irrezuführen, gab der Verlag als Ort „San Francisco 1900“ an. Die deutsche Übersetzung erschien bereits 1908 als Privatdruck.
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Per Meurling – Münchhausens erotische Abenteuer

Die Schlacht im Boudoir und andere kuriose Anekdoten

Baron Karl Friedrich Hieronymus von Münchhausen hat viele Abenteuer erlebt, über die es auch ausführliche Berichte gibt. Über seine großartigen Liebesabenteuer, die seinen mannigfaltigen anderen Erlebnissen in nichts nachstehen, wurde jedoch bisher kaum geredet. Diese bedauerliche Lücke schließt das vorliegende Buch, in dem die zahlreichen erotischen Begegnungen, die der liebenswerte Baron im Laufe seines langen Lebens hatte, wahrheitsgemäß geschildert werden.

Hier berichtet der Lügenbaron ausführlich, was bisher noch niemand von ihm wusste. Er beschreibt die „Wölfin“ von Petersburg, verrät, was er bei seinem Flug mit der Kanonenkugel wirklich sah, wie es ihm beim Sultan in Wahrheit erging und wie er sich mit der „Frau mit den Eisenkugeln“ vergnügte.
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José Pierre – Die Strandnymphe. Erotischer Roman

Lehrstunden der Liebe im Dreieck

Dominique ist Malerin – und Mutter einer bildschönen Tochter namens Catherine. Dominique malt am liebsten erotische Bilder – nach fotografischen Vorlagen, und Cathy steht ihr oft Modell. Beim gemeinsamen Urlaub in Biarritz bittet Dominique ihren Liebhaber, am Strand zusammen mit Cathy vor der Kamera zu posieren – ein gefährliches Spiel, das dramatischen Höhepunkten zustrebt, als Dominique ihren Liebhaber und Cathy allein lässt… (Verlagsinfo)
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Patricia Koelle – Wo die Dünen schimmern

Worum gehts?

Jessieanna arbeitet in der Kosmetikfirma ihrer Großmutter und gerade dabei eine Körperlotion herzustellen. Ihr großer Wunsch ist es, dass die Komponenten dieser Lotion nicht nur äußerlich auf der Haut, sondern auch von innen heraus auf die Seele wirken. Doch das Tüpfelchen auf dem i fehlt ihr noch.

Nach einer Erkrankung der Atemwege, soll sie sich auf Anraten ihres Arztes, auf der Nordseeinsel Amrum auskurieren. Doch Jessieanne ist gar nicht angetan von dieser Idee. Was soll sie in der alten Heimat ihres Vaters? Wo sie niemanden kennt und es viel zu windig und kalt ist?

Dass sie jedoch auf der Insel vielleicht die letzte perfekte Komponente für ihre Lotion trifft und zudem noch jemanden kennenlernt, der sie mehr als verwirrt ahnt sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

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E. D. – Evasduft. Erotischer Roman

O là là! Odor di femina

Die wirklich aufregenden Genüsse sucht und findet der Kenner bei den Frauen und Mädchen auf dem Lande. – Auf seinem großen Landgut im südlichen Frankreich sucht der Held des Buches, des Großstadtraffinements müde, neue Liebesabenteuer in den Armen draller Landmädchen und Bäuerinnen. Bei ihnen findet er den wahren „Evasduft“, den „Geruch, der mit dem Geschlecht des Weibes untrennbar verbunden“ ist.

Für einen Louisdor sind die Frauen und Mädchen ihrem gnädigen Herrn froh zu Diensten: die erfahrene Pächtersfrau Colette, der feurige Rotkopf Janine, und die hübsche Marianne (Janine und Marianne treiben es auch miteinander), die noch unschuldige Susanne und Madelon, die Verlobte eines Knechts aus dem Nachbardorf. Sie alle kommen dem Gebieter gern entgegen: und da die Frauen auf dem Lande keine Hosen tragen, macht man auch keine Umstände – man hebt einfach die Röcke…

Aber da sind auch noch die Baronin Hermine von K. mit ihrem Windhund Mirza und die durchtriebene Zofe Graziosa. Das Trio begeht geradezu Tollheiten. (Verlagsinfo)…
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Anonymus – Eine Sommerliebe. Erotischer Roman

Abwechslungsreiche Amouren am Wolfgangsee

Ein Sommer voller Liebe steht dem jungen Wiener bevor. Er kommt an den Wolfgangsee, wo er all das erlebt, was er sich schon immer so sehnsüchtig gewünscht hat. (Verlagsinfo) Die geschilderte Epoche liegt irgendwo zwischen 1920 und 1938, denn in den Hotels von St. Wolfgang geben sich Österreicher, Franzosen und Amerikaner die Klinke in die Hand.
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Marianne Cronin – Die hundert Jahre von Lenni und Margot


Worum gehts?

Die siebzehnjährige Lenni leidet an einer unheilbaren Krankheit und diese wird ihrem Leben ein viel zu frühes Ende bescheren. So früh, dass längst nicht genug Zeit bleibt um auf alle Fragen, die Lenni beschäftigen eine Antwort zu bekommen. Kein Wunder, dass Lenni die Gesellschaft Gleichaltriger meidet. Dann trifft sie während eines Malkurses im Krankenhaus auf die 83-jährige lebenserfahrene Margot. Auch sie weiß, wie es sich anfühlt im letzten Kapitel seines Lebens angekommen zu sein. Sie haben direkt einen Draht zueinander und als Lenni feststellt, dass sie beide gemeinsam genau 100 Jahre alt sind, haben sie eine wunderbare Idee: Gemeinsam Bilder malen – und zwar für jedes Lebensjahr eines. Dabei durchleben sie die bereits vergangenen Momente mit all ihren Emotionen ein zweites Mal. Eine Achterbahn der Gefühle für beide Frauen.

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Franz Stütz – Die schöne Wanda (Zwei Romane)

Junge Frauen im Liebestaumel

Am Anfang macht der schönen Wanda die Liebe keinen Spaß. Doch plötzlich findet sie Gefallen an den Männern und ist nun unersättlich. Ihre schönsten Liebeserlebnisse verdankt sie Max und seinem Freund Felix. (Verlagsinfo) Dieser Band enthält zwei erotische Romane eines unbekannten Autors, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielen.
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Raymond Spencer – Schlaflose Nächte. Erotischer Roman

Zickenkrieg in Sausalito

Das Nachtleben von San Francisco und Sausalito ist der Hintergrund für die amourösen Abenteuer des Mulattenburschen Joady Sinclair. Er treibt es mit einer Weißen und wird ertappt, gerät im illustren Sausalito in eine Lesben- und Schwulenbar, fällt ins Meer und wird von der Besatzung einer Riesenjacht aufgefischt, die ein paar recht schräge Passagiere an Bord hat und eine sehr spezielle Vorrichtung aufweist…

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Mende Nazer / Damien Lewis – Befreit. Die Heimkehr der Sklavin

Inzwischen ist Mende Nazer befreit und hat nur noch einen Wunsch – ihre Familie wiederzusehen. In ihrem Debütroman „Sklavin“ schildert sie ihre dramatische Geschichte, in der sie als Kind verschleppt und von ihrer Familie getrennt wurde, um als Sklavin ihr Dasein zu fristen – und das im 21. Jahrhundert!

Nazers Geschichte ist erschütternd, ergreifend und fast unglaublich. Später kommt sie zu einer Familie nach London, mitten in die westliche und ach so fortschrittliche Welt, doch auch dort wird sie weiterhin als Sklavin gehalten. Allerdings gelingt ihr dann die Flucht. Um all dies zu verarbeiten, schreibt sie ihr Buch „Sklavin“, das den Leser sprachlos und nachdenklich zurücklässt. Ein Wunsch jedoch ist für Mende Nazer bis zum Erscheinen ihres ersten Buches nicht in Erfüllung gegangen: Das ersehnte Wiedersehen mit ihrer Familie, von der sie inzwischen weiß, dass sie alle noch leben und sie vermissen. Um dieses Wiedersehen dreht sich nun ihr zweites Buch „Befreit“.

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Knud Berand & J.C. Bladon – Das Ehebett. Erotische Erzählungen

Schwedische Liebesabenteuer in Palermo, Torremolinos und Stockholm

Dieser Erotikband aus dem Heyne-Verlag enthält die beiden Erzählungen „Hochzeit in Palermo“ und „Walpurgisnacht“. Sie schildern entsprechende Abenteuer und Erlebnisse junger Schweden, sei es in Übersee oder in Stockholm, allerdings in erstaunlich wenig Ehebetten.
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Eco, Umberto – Baudolino

Von wem wird Geschichte gemacht? Wer darf darüber schreiben? Sind ’story‘ und ‚history‘ manchmal dasselbe? Müssen wir allem glauben, was man uns als „historischen Moment“ vorsetzt? Hoffentlich nicht. Aber dass Geschichts-Schreiber und Geschichten-Erzähler manchmal das Gleiche sind, das demonstriert uns Umberto Eco in seinem schelmischen Abenteuerroman „Baudolino“.

|Der Autor|

Umberto Eco, geboren 1932 in Alessandria, dessen Großvater als Findelkind erst den Namen Eco bekam, wurde weltbekannt durch seinen mit Sean Connery verfilmten Mönchskrimi „Der Name der Rose“. Weitere Bestseller folgten, erreichten diesen Erfolg aber nie. Mit „Baudolino“ machte Eco wieder auf sich aufmerksam; der Schelmenroman erhielt lobende Kritiken. Eco lehrt als Professor für Semiotik (Kunde von den Zeichen) an der Universität Bologna, der ältesten in Europa. Mehr unter http://www.umberto-eco.de.

_Handlung_

Baudolino wächst im 12. Jahrhundert als schlitzohriger Bauernbengel im oberitalienisch-lombardischen Piemont auf. Mit seinen dreisten Lügen biegt er den Lauf der Dinge – meist erfolgreich – zu seinen Gunsten um. Zum Beispiel im Jahr 1154, als der 13-jährige Baudolino dem großen Kaiser Friedrich Barbarossa einen Bären aufbindet: Er könne wahrsagen. Außerdem hilft er dem Kaiser, der sich in den Nebeln Piemonts verirrt hat, wieder zu seinen Mannen zu gelangen. Ein richtiges Aha-Erlebnis.

Fortan ist Baudolino der kaiserliche Adoptivsohn, lernt lesen und schreiben und darf sogar in Paris studieren: Theologie, Poetik und Rhetorik. Dort lernt er nette Studenten kennen: Abdul, der von einer irischen Mutter und einem provenzalischen Vater abstammt, aber in Syrien aufwuchs; und „den Poeten“, der natürlich seinem Spitznamen hohnspricht und so wenig Poesie besitzt wie ein Zaunpfahl.

Aber als Kaiser Friedrich die schöne Beatrix von Burgund zu seiner zweiten Frau macht, schlägt das Herz Baudolinos so hoch, dass er umgehend ein paar Verse schmieden muss – für die er aber den „Poeten“ als Urheber angibt. So verschafft er diesem eine Stelle als Hofpoet in Köln beim Reichskanzler Rainald von Dassel.

Baudolino ist in Begleitung Friedrich Barbarossas stets dabei, wenn Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes „geschrieben“ wird – und er lehrt uns die auch noch heute gültige Einsicht, dass Geschichtsschreibung in erster Linie die Fälschung von Geschichte ist (siehe die drei Golfkriege). Warum wollte Kaiser Friedrich wirklich ins Heilige Land? Und war es tatsächlich ein Badeunfall in Kleinasien, bei dem er unterwegs umkam? Schließlich schwamm der Kaiser wie ein Fisch im Wasser. Daraus wird noch ein richtiger Krimi, in dem Baudolino den Sherlock Holmes spielt.

Wenn Baudolino und seine Kumpels in Paris einen Brief des mythischen Priesterkönigs Johannes von Indien fingieren, er falsche Reliquien (den „Gradal“) in Umlauf bringt, die Gebeine der Heiligen Drei Könige ausgräbt und für den Transport nach Köln aufmotzt, die Heiligsprechung Karls des Großen vorschlägt – dann wird klar, dass die ausgefuchsten Medien- und Pressestrategien der Moderne ihren Ursprung im Mittelalter haben.

_Mein Eindruck_

„Baudolino“ ist viele Dinge gleichzeitig: ein Schelmen-, Geschichts- und Reiseroman, in dem auch Phantasiewesen auftreten, wie sie in jeder mittelaterlichen Weltbeschreibung zu finden waren. „Eco verknüpft historische Fakten des 12. Jahrhunderts, Fabelwesen, saftige Liebesromanzen (die Hypatia-Episode), aktuelle Politik und Glaubensfragen zu einem sprühenden Feuerwerk“, schrieb die „Welt am Sonntag“. Auch wahr. „Umberto Ecos Roman ist ein wunderlicher Mix aus Historie und Fantasie, Gelehrsamkeit und Kinderei“, meinte die „Stuttgarter Zeitung“. Aber klar doch! „Ein Schelmenroman, wie man ihn sich praller, einfallsreicher und kurzweiliger nicht wünschen kann“ – Bayern2 Radio. Sowieso, liebes Radio!

Aber „Baudolino“ illustriert auch die Macht des Geschichtenerzählens an sich. Schon die ersten Infos, die der junge Ich-Erzähler seinem Ziehvater Barbarossa auftischt, sind eine Lüge. Aber eine wirksame, und darauf kommt es ihm an. Im Lauf des Buches werden noch so viele Unwahrheiten produziert, zum Teil sogar im Namen der Staatsräson, dass man mit dem Zählen gar nicht mehr nachkommt. Die Herkunft der drei Könige im Sarg zu Köln, die Liebesgedichte an Barbarossas schöne Frau, sämtliche Storys über den Priesterkönig Johannes – alle diese Fabrikationen haben einen Zweck für den Verfasser. Oft geht es um Status, Rechtfertigung, Machterhalt, mitunter auch um die Gunst einer Frau, doch stets ist die fabrizierte Wahrheit Mittel zum Zweck.

Leider kann das aber auch ins Auge gehen, wie der Held erfahren muss. Nicht nur dann, wenn einer – wie im Fall Zosimos – mindestens genauso schlau ist wie er selbst, sondern auch, wenn die Interpretation der Wahrheit und der vermeintlichen Wirklichkeit auf den Sucher selbst zurückfällt.

Hier wird die Fabel vom Schelm Baudolino zur Detektivgeschichte: Wer hat den Kaiser in Kilikien getötet, im Schloss des Fürsten Ardzrouni? Wie ging das zu in diesem ausgetüftelten Gebäude mit seinen Verbindungsröhren, Gasen und geheimnisvollen Vorrichtungen? Und diese Fragen führen natürlich auch zu der nach dem Motiv – warum sollte der Kaiser sterben? Er wollte doch bloß ein sagenhaftes Reich suchen, hatte sich also auf eine Reise ohne Wiederkehr begeben. Die Antwort erhält Baudolino, unsere wackere Intelligenzbestie, erst ganz am Schluss. Die Wahrheit macht ihn ironischerweise nicht frei, wie es die Bibel verspricht. Sie bringt ihn beinahe um.

Umberto Eco, dessen Name selbst ein von einem Beamten erfundener ist, setzt sich mit den Geschichten, den Erzählern und ihrer Macht nicht nur zum Amüsement einer bürgerlichen Gesellschaft auseinander. Baudolino folgt dem Auftrag des Bischofs Otto von Freising, und er befolgt ihn nach Treu und Glauben, egal was er damit alles anrichtet. (Er vernichtet als erstes des Bischofs mühselig erstellte „Weltgeschichte“, indem er das Pergament abkratzt und neu beschreibt!) Und dass die Geschichten sich rächen können, wenn man nicht aufpasst, muss er am eigenen Leib erfahren.

_Unterm Strich_

„Baudolino“ ist ein schönes Buch, das nicht nur heitere Unterhaltung, Action und Fantasy bietet, sondern auch eine Detektivgeschichte liefert, auf deren Auflösung man gerne bis zum Schluss wartet.

Natürlich wird man sich fragen, warum Eco die Reise nach Indien derartig ausgewalzt hat. Ganz einfach: Der Erfinder von Geschichten dringt in ein Reich vor, wo die Realität phantastischer ist, als er es sich ausmalen könnte. Und sie erweist sich für manchen seiner Begleiter als tödlich. Dass er den Priesterkönig nie zu Gesicht bekommt, mag daran liegen, dass es sich nur um eine Erfindung von dessen Unterpriestern handelt, die sich eine Existenzberechtigung zurechtgeschnitzt haben. Schließlich ließen sich die europäischen Könige ja auch ihren Herrschaftsanspruch göttlich und kirchlich legitimieren. Geschichts-Schreibung ist also nicht nur eine Angelegenheit, die Bauernlümmel für sich reklamieren können, sondern findet auf oberster Ebene statt. Man hat dies ja am Beispiel des Irakkrieges 2003 gut ablesen können. Die Frage ist vielmehr, was gegen solche Vorspiegelungen hilft.

Seine Geschichte erzählt Baudolino selbst, seinem Freund und Gönner Niketas von Byzanz. Ob wir dieser Informationsquelle wohl trauen können? Aber kommt es darauf überhaupt an? Schließlich hat jede Geschichte einen Zweck. Ihr Urheber heißt diesmal ironischerweise „Eco“, also Echo …

Charlene Teglia – Wächter der Lust (Shadow Guardians 1)

Verbotene Experimente in Liebe und Magie

Fünf Wächter an den Portalen zum Schattenreich.
Fünf Meister der Lust …
Das alte Buch vom Flohmarkt muss magische Kräfte besitzen: Als die junge Hexe Sybil es zu Hause ansehen will, ergreift es Besitz von ihr. Versehentlich öffnet sie eines der fünf Portale zum Schattenreich, eine Invasion böser Dämonen droht.

Doch seit grauer Vorzeit werden die Tore von fünf Wächtern der Liebesgöttin Innana bewacht. Um die Magie der Schatten in Sybils Körper wieder unter Kontrolle zu bringen, müssen Drache, Werwolf, Dämon, Elf und Vampir sie in einen nie gekannten Sinnesrausch versetzen. Die erste Nacht verbringt sie mit dem Werwolf Kenric, der sie in ein Reich der animalischen Lüste entführt … (Verlagsinfo)

Die Autorin
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Antoine S. – Florian der Genießer. Erotischer Roman

Bei Wein und Weib immer der Nase nach

Wie gewinnt man dem Leben den größten Genuss ab? Florian Nazulis bedient sich seiner Nase, um von dem, was das Leben zu bieten hat, das Beste zu erschnuppern – und das sind allemal die weiblichen Düfte. Frauen sind für ihn wie Früchte. Und so pflückt er sie alle, die Blondinen und die Rothaarigen, die Schüchternen und die Verführerinnen. (Verlagsinfo)
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Pierre Assouline – Dessous. Erotischer Roman

Wider den Eros: das Verschwinden der Intimsphäre

Rémi hat seit zwei Jahren ein Verhältnis mit Victoria, von der seine Frau, eine Scheidungsanwältin, offenbar nichts ahnt. Doch eines Tages ist Victoria ohne ersichtlichen Grund verschwunden. Er ahnt lange Zeit nicht, dass er bei seiner Suche nach der Geliebten auf Schritt und Tritt überwacht wird. Aufgrund dieser erschütternden Entdeckung dreht er den Spieß jedoch kurzerhand um.

„Ein fulminanter Auftakt, gefolgt von Bravourstücken. Amüsant und unbarmherzig. Assouline liebt die spöttische Unverblümtheit. Er nimmt en passant alles aufs Korn, was sich bewegt, eine Konstante des Buchs, das sehr pikante Szenen liefert und damit entfernt an Philip Roth erinnert.“ Quelle: Le Figaro Magazine

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Giordano, Giovanna – Zauberflug

_|Der kleine Prinz| von Abessinien_

Eine poetische Mischung aus „Der kleine Prinz“, „Jenseits von Afrika“ und Kriegsroman, so lautet der erste Eindruck nach rund 50 Seiten.

Doch ein zweiter Blick enthüllt, dass dieses Bild der Tiefe des Erzählten nicht ganz gerecht wird: Es geht um die Erfahrungen, die das Abendland in der Begegnung mit den Wundern Afrikas macht, genauer: die italienische Eroberung und Besetzung Äthiopiens von 1935 bis 1941.

_Die Autorin_

Es besagt einiges, dass die junge Autorin am Fuße des größten Vulkans Europas in Catania Ästhetik unterrichtet. Die Schönheit der Dinge, verteidigt und verehrt angesichts des ständigen Bedrohung, so begegnet auch Äthiopien der jungen Hauptfigur des Romans, dem Piloten Giulio von der Vulkaninsel Stromboli.

Die Danksagung der Autorin enthüllt, dass ihr Großvater der Präfekt der abessinischen Stadt Gondar war und ihr seine Aufzeichnungen überließ. Sie weiß also aus erster Hand, was in Gondar, dem Hauptschauplatz der Handlung, geschah. Gondar, das die Italiener als eine Art Utopia umgebaut hatten, fiel 1941 als letzte Festung in die Hand der anrückenden Briten. Da herrschte schon eine bittere Hungersnot, und Giordano schildert die Zustände sehr realistisch, ohne jedoch melodramatisch zu werden.

_Handlung_

1935 hat das faschistische Italien unter dem Duce, der hier schlicht „der Capo“ bezeichnet wird, beschlossen, seinen Traum von einem zweiten Imperium Romanum zu verwirklich. Folglich beschloss es, Äthiopien zu erobern, eines der letzten unabhängigen Königreiche Afrikas. Alle anderen gehörten entweder den Briten oder den Franzosen.

Pilot Giulio von der Insel Stromboli hat nun die zweifelhafte Ehre, die italienische Kriegserklärung zu überbringen und generell als Postbote zu fungieren. Sein Flugzeug heißt „Vita Nuova“, das ’neue Leben‘. Treu begleitet es ihn bis zum Schluss, um ihn über die Wunder der Landschaft des Bergkönigreichs zu tragen, zu fremdartigen Wesen und Völkern, die manchmal anmuten, als wären sie den antiken Reisebeschreibungen des Herodot entstiegen. Jeder Stamm ist anders als sein Nachbar, mal mit großen Köpfen, mal mit kleinen, mal ohne Füße und Hände (hält die Sklavenhändler fern).

Bei seiner Begegnung mit dem König der Könige, dem „Negus“ Haile Selassie, beschreibt Giulio zwar das Outfit des Herrschers und seines Hofstaats, tut dies aber in so märchenhaften Worten, dass man sich in einem Märchen aus 1001 Nacht wähnt. Dies ist das grundlegende Prinzip der Erzählweise: Mit der Unschuld eines Kindes und dessen Begeisterungsfähigkeit vermag sie selbst schönste, bitterste und schrecklichste Details zu berichten, ohne davor zurückzuschrecken oder kitschig zu wirken.

Giulio lernt einen weisen Meister, Beba, kennen und lieben und dessen sprechenden, ebenso weisen Papagei, Pappamondo (‚Vater der Welt‘). Der Negus lässt eine Weile seinen Hofnarren Meleku den weißen Italiener begleiten. Zahlreiche Begegnungen vermitteln dem Piloten einen Eindruck von der Klugheit der Äthiopier und bieten seinen Begleitern Gelegenheit, kluge Bemerkungen zu machen, wie sie wohl auch „der kleine Prinz“ hätte machen können. Natürlich geht es um das Steckenpferd der Autorin, die Künste, aber auch darum, was die richtige Lebensweise sei. Hier gibt’s viel Stoff für das Poesiealbum.

Als die italienischen Truppen einmarschieren, hagelt es Bomben, und der Kaiser flieht nach England. Die Dörfer werden zerstört, die Krieger in den Widerstand getrieben, Graf Graziani veranstaltet ein Massaker nach dem anderen und brennt die schöne Hauptstadt nieder. KZs entstehen, und Hunger breitet sich aus.

Doch Giulio findet während dieser Vorgänge, die er nur aus der Ferne beobachtet, die Liebe seines Lebens in der abessinischen Fee Tigist, die an einem See wohnt, wo Giulio einmal abgestürzt ist. Die beiden haben einen Sohn, Kalid, dem Giulio Papierdrachen bastelt. Zusammen leben sie in Gondar während der Besatzungszeit, wo Giulio die ersten Briefe seines Sohnes Nicola erhält, der bei seiner Familie in Stromboli lebt. (Natürlich war Giulio schon verheiratet, bevor er losflog.)

Die schöne Zeit endet, als Italien dem britischen Empire 1940 den Krieg erklärt und die Briten von allen Seiten einmarschieren. Der letzte Statthalter in Addis Abeba, der adlige Herzog von Aosta, gibt in seinen letzten Tagen in Freiheit eine geradezu Don-Quichotte-hafte Figur ab: der letzte Ritter auf verlorenem Posten. Giulio verliert alles: seine Freunde und seine Freiheit, doch Tigist und Kalid kann er nach Kenia in Sicherheit bringen.

_Mein Eindruck_

Dies ist wahrscheinlich der ungewöhnlichste und poetischste Kriegsroman, den man sich vorstellen kann. Wie schon gesagt, erzählt die Autorin die Wunder Afrikas und die Schönheiten und Seltsamkeiten, denen der junge Held begegnet, in einer anschaulichen Bildersprache. Mit einem gewitzten Kniff vermag sie auch schrecklichste und dramatischste Momente zu berichten, ohne übertrieben zu wirken: Sie setzt einen symbolischen Vorgang oder Eindruck als Entsprechung ein. Durch das Interpretieren des Symbols (der Metapher) vermag der Leser den angedeuteten eigentlichen Vorgang zu kommentieren und zu bewerten.

Im Zentrum des Gefühls der Freiheit und des Lebendigseins, das Giulio in Äthiopien erfüllt, steht das Fliegen: das Darüberhinschweben, das Erobern des Himmels, das Überblicken der Erde, aber auch das Durchmessen großer Entfernungen und das Überbringen geheimer und nicht so geheimer, aber umso liebevollerer Botschaften. Giulio ist kein Tourist, der vorbeischlendert, ohne sich auf das Land einzulassen. Er ist ein Reisender, der sich vom Land verwandeln lässt – und der einen kleinen Beitrag in dessen Not leistet.

Natürlich beschreibt die Autorin auch die Italiener, die nach Afrika gekommen sind, um erstens Krieg zu führen – das sind die Krieger – und zweitens um das neue Utopia zu errichten, besonders in Gondar. Den kampfgeilen Kriegern wie einem gewissen Uragano wird bald ihr verdientes Ende zuteil. Doch auch den Träumern – Astronomen, Architekten, Musikern usw. – geht es nach ein paar Jahren an den Kragen. Schließlich planen die Architekten selbst Gefängnisse, Städte unterm Meer und sogar Luftschlösser. Dann haben sie nichts mehr zu beißen und ergeben sich den Briten.

Auf diese subtile Weise übt die Autorin leise Kritik an den faschistischen Machthabern, die eine ganze Generation von Italienern zu blenden vermochten – so wie in Deutschland Hitlers „braune Horden“. Ich bin nicht darüber informiert, ob der italienische Staat jemals Wiedergutmachung an den äthiopischen Staat gezahlt hat. Doch eine Neubewertung der einst so brutal eroberten Kolonie ist der erste Schritt in die richtige Richtung: „the splendour that was Africa“.

Und wenn man Abessinien als stellvertretend für das restliche Afrika ansieht, so erkennt man, dass es an ein Verbrechen grenzt, Afrika sich seiner eigenen Selbstzerfleischung zu überlassen, so wie es aktuell geschieht.

Man sieht: Dieser so harmlos poetisch daherkommende Roman kann durchaus etwas im Leser bewirken: eine Sehnsucht zumindest nach jenen Wundern des Paradieses, die Äthiopien/Afrika vor dem Einbruch des Westens jeden Tag bereithielt – zumindest für jenen Reisenden, der dafür empfänglich ist. Es kommt nicht von ungefähr, dass das Titelbild des Buches eine tropische Flusslandschaft zeigt, wo sich zwischen blauen Bäumen und Pfauen nackte Badende erfrischen: das Urbild der Unschuld.

|Originaltitel: Un volo magico, 1998
Aus dem Italienischen übertragen von Christiane von Bechtolsheim|

Francoise Rey – Die Papierfrau. Erotischer Roman

Erotische Phantasien

Eine Frau, deren Liebesleben eher von bescheidener Natur ist, beginnt schreibend ihre sexuellen und erotschen Phantasien und Träume auszuleben. Die sexuellen Obsessionen, die auf dem Papier entstehen, ergreifen jedoch zunehmend Besitz von ihr… (Verlagsinfo)

Mit Klassikern wie der „Geschichte der O“ und „Emmanuelle“ vergleicht der Verlag diesen 1989 veröffentlichten Roman. Das soll dieses Buch wohl in die Nähe des moralischen und gesellschaftlichen Skandals rücken. Und wirklich gemahnt die Erzählung zuweilen an de Sades „Justine“, denn das Bauprinzip ist ähnlich: möglichst viele „anstößige“ Szenen aneinanderzureihen, um den Leser anzuregen.

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Henry Miller – Stille Tage in Clichy. Erotischer Roman

«Stille Tage in Clichy» ist nicht, wie der Titel vermuten lassen könnte, eine Idylle im Werk des „obszönsten Schriftstellers der Weltliteratur“ (Sir Herbert Read). Doch sei es, dass sich sein Erzähler Joey dem Mädchen Nys nähert, das er im Café trifft, sei es Mara-Marignan, die sich auf dem Champs-Élysées nach ihm umdreht: Joeys Abenteuer sind von erstaunlicher Heiterkeit. Ganz gleich, ob eine Mutter unter dem Gekreisch ihrer Kinder entblößt wird oder ob Joey mit zwei Dirnen in der Badewanne Brot und Wein zu sich nimmt, fast immer sind seine Handlungen von Gelächter begleitet, gehen unter in wilder Ausgelassenheit. Zugleich beschwört Henry Miller das Paris der dreißiger Jahre und seiner Atmosphäre überschäumender Lebenslust. (Amazon.de)

Dieser Klassiker der erotischen Literatur ist ein idealer, kurzweiliger Einstieg in Henry Millers Werk. „Clichy“ entstand 1940 und wurde 1956 überarbeitet. Doch die erotischen Abenteuer, die Millers Alter Ego Joey erzählt, ereignen sich vor dem Hintergrund des Paris der dreißiger Jahre (genauer: 1933). Ein Abstecher in das deutschsprachige und -gesinnte Luxemburg vermittelt einen Einblick in den aufkommenden Antisemitismus jenseits der französischen Grenzen.

Handlung

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Ian McEwan – Saturday

Etwa zeitgleich mit der Veröffentlichung der deutschen Ausgabe von Ian McEwans zehntem Roman „Saturday“ wurde selbiger auch schon von der Realität eingeholt. „Es könnte zu Vergeltungsanschlägen auf London kommen,“ mutmaßt Henry Perowne, Hauptfigur in „Saturday“, während im Monat der Veröffentlichung dieser Zeilen der Terror die britische Hauptstadt heimsucht. Einen prophetischen Charakter muss man deswegen aber weder Autor noch Buch andichten, denn dass der Tag kommen würde, war abzusehen und wohl eher eine Frage der Zeit. Dennoch trägt es zur Magie von McEwans vielgepriesenem neuen Roman bei, dass er Gedanken und Befürchtungen manifestiert, während sie gleichzeitig Realität werden. So verbinden sich Roman- und Zeitgeschehen auf beklemmende Art und Weise.

„Saturday“ ist das, was auch der Titel schon aussagt. Ein Buch über einen Samstag. Der Samstag, der letzte Tag vor dem Feiertag der Woche, ist eine Art Bindeglied, ein Übergang von der Arbeitswoche zum Sonntag. Zugleich schon Wochenende, aber immer noch ein Werktag. Weder ein richtiger Arbeitstag noch ein richtiger freier Tag.

Handlung

McEwan schildert das Leben des Henry Perowne anhand eines einzigen Samstags. Es geht nicht um irgendeinen Samstag, sondern um den 15. Februar 2003. Nicht nur für Perowne ein besonderer Tag, weil er zum ersten Mal seit langem am Abend wieder seine gesamte Familie um sich haben wird, sondern auch für London ist der 15. Februar ein besonderer Samstag. Hunderttausende Demonstranten wälzen sich durch die Stadt, um gegen eine bevorstehenden Invasion im Irak zu protestieren.

Perowne betrifft das jedoch eher weniger. Er will morgens mit einem Kollegen Squash spielen, Fisch für das familiäre Festessen am Abend einkaufen, den Pflichtbesuch bei seiner demenzkranken Mutter hinter sich bringen und das Essen für seine Familie vorbereiten. Henry Perowne ist ein durchaus bodenständiger und glücklicher Mann. Seine Arbeit als Neurochirurg macht im Freude, seine Ehe verläuft glücklich, das Liebesleben durchaus noch erfüllend, er bewohnt ein hübsches, luxuriöses Haus am Fitzroy Square im Herzen von London und auf seine beiden erwachsenen Kinder kann er stolz sein. Daisy studiert in Paris und ist kurz davor, ihren ersten Gedichtband zu veröffentlichen, Theo steht als Gitarrist einer Bluesband eine vielversprechende Karriere bevor.

Dennoch stellt dieser spezielle Samstag sein Glück und seine heile Welt auf die Probe. Als Henry früh morgens am Fenster steht, sieht er zufällig ein brennendes Flugzeug am Nachthimmel vorbeifliegen und befürchtet genau das, was nach dem 11. September vermutlich jeder bei diesem Anblick befürchten würde. Doch die Nachrichten wenig später vermögen Perownes Befürchtungen zu zerstreuen. Alles halb so wild. Bei einer Frachtmaschine ist ein Triebwerk in Brand geraten. Niemand wurde verletzt, niemand wurde getötet. Dennoch denkt Perowne im Laufe des Tages noch oft an dieses Ereignis zurück und schon wenige Stunden später hält dieser spezielle Samstag ein weiteres Ereignis bereit, das Henry Perownes heile Welt ins Wanken bringt.

Als Perowne versucht, den Demonstrationszug in der Londoner Innenstadt mit seinem Mercedes S 500 weiträumig zu umfahren, streift er versehentlich den Außenspiegel des roten BMW des Kleinganoven Baxter. Baxter und seine zwei Kumpanen steigen aus dem Auto und schon nach kurzer Zeit droht die Situation zu eskalieren …

Mein Eindruck

Wie schon so oft in seinen Romanen, beschreibt McEwan Figuren, deren Leben durch ein plötzliches, unerwartetes Ereignis aus den Fugen gerät. Er konfrontiert seine Protagonisten mit einer völlig neuen Situation und demonstriert eindrucksvoll anhand seiner Charakterstudien, wie selbige darauf reagieren. Er beschreibt Figuren in einem Übergang, so wie auch der Samstag einen Übergang markiert. Henry Perowne wirkt wie ein Mann, den so schnell nichts erschüttern kann – gefestigt in Job und Gesellschaft, gut situiert und charakterfest. Und doch lässt sich auch so ein Leben erschüttern: durch ein vorbeifliegendes brennendes Flugzeug und einen demolierten Seitenspiegel.

Perowne wirkt auf seine Art zunächst unnahbar. Der Erfolgstyp, der in seinem eleganten Mercedes durch die Stadt braust. Doch McEwan blickt auch hinter die Fassade. Er entblättert, wenn auch nur ein bisschen, das Innenleben seiner Hauptfigur, die ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht durch die Handlung taumelt.

Anhand des Henry Perowne zeigt McEwan recht deutlich die Verwundbarkeit des Menschen und der westlichen Gesellschaft ganz allgemein. Für den Leser kann die Familie Perowne auf zweierlei Ebenen eine Projektionsfläche sein. Einerseits für die kleinste gesellschaftliche Einheit – die Familie – zum anderen für die Gesamtheit der westlichen Gesellschaft. Jedes der Familienmitglieder der Perownes kann für sich allein gesehen werden oder als Symbol für eines der Standbeine der westlichen Kultur. Henry Perowne, der brillante Neurochirurg, steht für die Fortschrittlichkeit von Wissenschaft und Medizin, seine Frau Rosalind, die als Anwältin arbeitet, steht für Gesetz und Rechtssystem, die Kinder Theo und Daisy repräsentieren die kulturellen Errungenschaften – Musik und Literatur. So gesehen, liegt in den Figuren der Perownes eine gewisse Allgemeingültigkeit und Übertragbarkeit.

Doch nicht nur als Symbol, auch als Familie an sich sind sie ein wichtiger Bestandteil der Geschichte. Man mag ihnen vorwerfen, sie wären zu perfekt. Jeder ist etwas Besonderes, jeder ist auf seinem speziellen Gebiet ein Ass, keiner ist bloß Durchschnitt. Als Identifikationsfiguren können sie daher nur bedingt fungieren. Es bleibt stets eine gewisse Distanz, auch wenn McEwan sein ganzes literarisches Gewicht in die Figurenskizzierung legt. Dennoch können die Beschreibungen des Familienalltags überzeugen. Ein wenig fühlt man sich an [„Die Korrekturen“ 1233 von Jonathan Franzen erinnert, dessen brillante Familienskizzierung ähnlich packend ist.

Mit der Figur des Kleinganoven Baxter erschafft McEwan einen sehr krassen Gegenpol. Baxter ist all das, was die Perownes nicht sind, und entsprechend hart fällt der Zusammenprall dieser beiden unterschiedlichen Welten aus. Baxter, dem im Roman eine Schlüsselrolle zukommt, ist unausgeglichen, ungebildet, einsam und nicht zuletzt unheilbar krank. Ein radikaler Kontrast, der für die Handlung einigen Sprengstoff bereithält. So entwickelt sich der Roman in seinem letzten Drittel schon fast wie ein Thriller und lässt den Spannungsbogen weiter ansteigen.

Das Aufeinandertreffen dieser Gegensätze, dieser Figurenkonstellation ist aber der einzige Moment, in dem McEwan auf spannungssteigernde Elemente setzt. Ansonsten lebt der Roman größtenteils von McEwans ausgefeilten Schilderungen. Perownes Arbeit im OP wird genauso detailbesessen beschrieben wie das Squashspiel zwischen Perowne und seinem Kollegen. Egal, welche Teile von Perownes Leben McEwan schildert, es liest sich stets mehr oder weniger packend.

Der zeitliche Rahmen, der von dem im Hintergrund lauernden Angriff auf den Irak dominiert wird, bietet stetigen Stoff für politische Gedanken und Diskussionen. McEwan ist dabei bemüht, beide Seiten zu zeigen. Perowne selbst ist unentschlossen. Er sieht Saddam als beseitigenswertes Übel an, ist aber auch besorgt aufgrund der Folgen, die ein Krieg haben könnte. Seine Tochter Daisy ist entschieden gegen einen Krieg. Und so kommt es folgerichtig zu einer hitzigen Diskussion zwischen beiden – einer Diskussion, in der eigentlich beide Recht haben und McEwan keine wirkliche Lösung anbieten kann. So bleibt das Buch ein lesenswerter Denkanstoß, ohne dass McEwan sich für einen Standpunkt entscheidet.

Er spielt gedanklich das Szenario der ständigen Bedrohung durch den Terror durch. Damit trifft er vieles sehr markant auf den Punkt, z. B.: |“Die Warnung der Regierung vor einem Angriff auf eine europäische oder amerikanische Stadt ist nicht bloß der Versuch, die Verantwortung abzuwälzen, sondern zugleich eine berauschende Verheißung. Alle fürchten sich davor, doch kennt die kollektive Psyche diese dunklere Sehnsucht, das krankhafte Verlangen nach Selbstbestrafung und eine blasphemische Neugier. So wie Krankenhäuser Katastrophenpläne haben, stehen die Fernsehsender bei Fuß, und ihr Publikum wartet. Noch größer, noch schrecklicher das nächste Mal. Bitte, lass es nicht dazu kommen. Aber wenn doch, lass es mich sehen, noch während es passiert, aus jedem Blickwinkel, und lass mich unter den ersten sein, die davon erfahren.“| (S. 244)

Auch auf kultureller Ebene gibt es stetige Diskussionen zwischen den Protagonisten. McEwan nutzt die künstlerischen Berufe der beiden Perowne-Kinder als Kulisse für Diskussionen zu Musik und Literatur – jeweils geschildert aus der Sicht des laut Daisy „unrettbaren Materialisten“ Henry. Perowne geht von einer „grundlegenden, aber verzeihlichen Unehrlichkeit der Kunst“ aus, während seine Kinder stetig versuchen, ihm das Gegenteil zu beweisen. So bietet „Saturday“ Raum für Gedanken, die in vielerlei Richtungen weisen.

Unterm Strich

Faszinierend ist die Tatsache, dass das Buch trotz all der Tiefe und trotz der vielschichtigen Gedanken und medizinischen Fachsimpelei Perownes sehr schön zu lesen ist. McEwan hat einen sehr flüssigen und packend zu lesenden Stil, bei dem man wie von selbst weiterliest, mit einer stetig wachsenden Neugier darauf, was aus den Protagonisten wird. McEwan fesselt anhand von Figuren, Gedanken und Beschreibungen.

An einem einzigen Samstag schafft McEwan es, auf ein ganzes Leben und eine ganze Gesellschaft zu blicken – tiefgreifend, vielschichtig, fesselnd und nachdenklich stimmend. Und genau das macht „Saturday“ zu einem wirklich großartigen Buch.

Der Autor

Ian Russell McEwan, CBE, FRSA (* 21. Juni 1948 in Aldershot, England) ist ein britischer Schriftsteller.

Romane und Kurzgeschichten

1975: First Love, Last Rites; dt. Erste Liebe, letzte Riten, übersetzt von Harry Rowohlt, Diogenes, Zürich 1982, ISBN 3-257-01602-6.
1978: The Cement Garden; dt. Der Zementgarten, übersetzt von Christian Enzensberger, Diogenes, Zürich 1982, ISBN 3-257-20648-8.
1978: In Between the Sheets; dt. Zwischen den Laken, übersetzt von Michael Walter, Wulf Teichmann und Christian Enzensberger, Diogenes, Zürich 1983, ISBN 3-257-01631-X.
1981: The Comfort of Strangers; dt. Der Trost von Fremden, übersetzt von Michael Walter, Diogenes, Zürich 1983, ISBN 3-257-01652-2.
1985: Rose Blanche.
1987: The Child in Time; dt. Ein Kind zur Zeit, übersetzt von Otto Bayer, Diogenes, Zürich 1988, ISBN 3-257-01776-6.
1990: The Innocent; dt. Unschuldige. Eine Berliner Liebesgeschichte, übersetzt von Hans-Christian Oeser, Diogenes, Zürich 1990, ISBN 3-257-01858-4.
1992: Black Dogs; dt. Schwarze Hunde, übersetzt von Hans-Christian Oeser, Diogenes, Zürich 1994, ISBN 3-257-06007-6.
1994: The Daydreamer; dt. Der Tagträumer, übersetzt von Hans-Christian Oeser, Diogenes, Zürich 1995, ISBN 3-257-06071-8.
1997: Enduring Love; dt. Liebeswahn, übersetzt von Hans-Christian Oeser, Diogenes, Zürich 1998, ISBN 3-257-06183-8.
1998: Amsterdam; dt. Amsterdam, übersetzt von Hans-Christian Oeser, Diogenes, Zürich 2000, ISBN 3-257-06220-6.
2001: Atonement; dt. Abbitte, übersetzt von Bernhard Robben, Diogenes, Zürich 2002, ISBN 3-257-23380-9.
2005: Saturday; dt. Saturday, übersetzt von Bernhard Robben, Diogenes, Zürich 2005, ISBN 3-257-06494-2.
2007: On Chesil Beach; dt. Am Strand, übersetzt von Bernhard Robben, Diogenes, Zürich 2007, ISBN 3-257-06607-4.
2010: Solar; dt. Solar, übersetzt von Werner Schmitz, Diogenes, Zürich 2010, ISBN 978-3-257-06765-1.
2012: Sweet Tooth; dt. Honig, übersetzt von Werner Schmitz, Diogenes, Zürich 2013, ISBN 978-3-257-06874-0.
2014: The Children Act; dt. Kindeswohl, übersetzt von Werner Schmitz, Diogenes, Zürich 2015, ISBN 978-3-257-06916-7.
2016: Nutshell; dt. Nussschale, übersetzt von Bernhard Robben, Diogenes, Zürich 2016, ISBN 978-3-257-06982-2.
2016: My Purple Scented Novel; dt. Mein parfümierter Roman, übersetzt von Matthias Fienbork, Diogenes, Zürich 2018, ISBN 978-3-257-79116-7.
2019: Machines Like Me; dt. Maschinen wie ich, übersetzt von Bernhard Robben, Diogenes, Zürich 2019, ISBN 978-3-257-07068-2.
2019: The Cockroach; dt. Die Kakerlake, übersetzt von Bernhard Robben, Diogenes, Zürich 2019, ISBN 978-3-257-07132-0.
2022: Lessons; dt. Lektionen, übersetzt von Bernhard Robben, Diogenes, Zürich 2022, ISBN 978-3-257-07213-6

Libretti

1983: Or Shall We Die?; dt. Oder müssen wir sterben?. Text für ein Oratorium von Michael Berkeley, Diogenes, Zürich 1984, ISBN 3-257-21212-7.
2008: For You: The Libretto For Michael Berkeley´s Opera; dt./engl. For You: Libretto für eine Oper von Michael Berkeley. Diogenes, Zürich 2009, ISBN 3-257-06684-8.

Theaterstücke

1981: The Imitation Game

Drehbücher

1976: Jack Flea’s Birthday Celebration
1985: The Ploughman’s Lunch
1989: Soursweet, nach einem Roman von Timothy Mo; dt. Chinese Blues.
1993: The Good Son; dt. Das zweite Gesicht.
2017: The Children Act; dt. Kindeswohl

Aufsatzsammlung

2020: Erkenntnis und Schönheit: über Wissenschaft, Literatur und Religion, aus dem Englischen von Bernhard Robben und Hainer Kober, Diogenes, Zürich 2020, ISBN 978-3-257-07126-9

Taschenbuch: 387 Seiten
Aus dem Englischen von Bernhard Robben.
ISBN-13: ‎978-3257064940

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