Archiv der Kategorie: Horror & Unheimliches

Kurt Singer (Hg.) – Horror 1: Klassische und moderne Geschichten aus dem Reich der Dämonen

singer-horror-1-cover-klein14 Gruselgeschichten aus guter, alter Zeit. Es wird lustvoll handfest und ohne psychologische Sperenzchen gespukt, gerächt & gemordet, denn hier werden vor allem Storys aus der großen Zeit der US-amerikanischen Pulp-Magazine präsentiert. Echte Klassiker mischen sich unter vergessene Kleinodien des Genres, dazwischen muss man sich durch (wenig) Mittelmaß kämpfen.
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Clive Barker – Das erste Buch des Blutes

Band 1 der „Bücher des Blutes“, mit denen Clive Barker in den frühen 1980er Jahren seinen Durchbruch als Verfasser phantastischer Geschichten und Romane erlebte: sechs Storys, einst bahnbrechend, noch heute bemerkenswert in ihrer Mischung aus virtuoser, atmosphärisch dichter Handlung und drastischem Nebeneinander von Sex & Splatter, aber unverdient darunter leidend, dass allzu viele Nachahmer den ‚Barker-Stil‘ aufgegriffen haben.  Clive Barker – Das erste Buch des Blutes weiterlesen

Festa, Frank (Hg.) – Necrophobia – Meister der Angst

Diese Buchbesprechung könnte sich der Rezensent sehr einfach machen. Zwanzig Horrorgeschichten präsentiert uns Herausgeber Festa. Es gibt kein Thema („Spukende Friedhofskaninchen“, „Zombie-Verschwörer aus dem Vatikan“ o. ä.), unter das diese Storys gestellt wurden. Auch eine chronologische Reihenfolge fehlt; „Necrophobia“ deckt etwa ein Jahrhundert phantastischer Kurzliteratur ab. Der Kitt, der diese Erzählungen zusammenhält, ist laut Frank Festa allein ihr Unterhaltungswert. Auf eine Vorstellung der einzelnen Geschichten wird an dieser Stelle deshalb verzichtet; sie wäre wenig sinnvoll und würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen.

Den Puristen, der seinen Lesestoff systematisch gegliedert vorzieht, mag die scheinbare Beliebigkeit stören, doch wieso eigentlich? Das eigentlich Verblüffende an „Necrophobia“ ist die reine Existenz dieser Sammlung. Es ist schon eine Weile her, dass Kollektionen wie diese regelmäßig erschienen. Ihr „Sinn“ besteht darin, dem Freund des Phantastischen im Guten wie im Schlechten das Spektrum „seines“ Genres vor Augen zu führen. Die jüngere Generation von Horrorfreunden (und –freundinnen) ist weitgehend in einer Monokultur aufgewachsen. King, Koontz, Hohlbein, Rice – das soll angeblich moderner Horror sein.

Von den alten Meistern ganz zu schweigen. H. P. Lovecraft ist noch präsent, aber William Hope Hodgson, der Verfasser grandioser Seespuk-Storys? Oder Clark Ashton Smith? Wer weiß, dass Bram Stoker nicht nur „Dracula“, sondern auch ausgezeichnete Kurzgeschichten geschrieben hat? Oder ein Gustav Meyrink zumindest symbolisiert, dass es auch in Deutschland eine echte Geschichte klassischer Gruselliteratur gibt?

Zugegeben: Objektiv ist die Auswahl natürlich nicht. Guter Horror entsteht seit jeher nicht nur im angelsächsischen Sprachraum. Die im |Festa|-Verlag veröffentlichten Autoren dominieren auch „Necrophobia“. Aber würden ohne besagten Verlag Namen wie Richard Laymon, Jeffrey Thomas oder Brian Lumley hierzulande überhaupt einen Klang besitzen? Diese und andere |Festa|-Hausautoren weiten das Feld der Phantastik für die deutschen Leser. Das zählt stärker als jeder potenzielle „Vorwurf“ einer selektierenden Eigenwerbung.

Zumal „Necrophobia“ auch haptisch ein echtes Geschenk an sein Publikum ist. Mehr als 400 eng bedruckte Seiten für weniger als 10 Euro – das ist ein echtes Schnäppchen in der heutigen Hochpreis-Ära. Die Übersetzungen lesen sich flüssig, das Cover macht neugierig. Nein, auch hier gibt es keinen Grund zur Klage.

Was die Kriterien der Auswahl angeht, so ließe sich natürlich ausgiebig diskutieren. Storys wie „Die Stimme in der Nacht“ (W. H. Hodgson), „Pickmans Modell“ (H. P. Lovecraft), „Die Rückkehr des Hexers“ (C. A. Smith) oder „Die Squaw“ (B. Stoker) gelten mit Recht als zeitlose, bewährte Meisterstücke des Genres. Sie sind es wert, wieder einmal gedruckt und vor dem Vergessen bewahrt zu werden.

Die modernen Gruselgarne müssen sich ihre Sporen noch verdienen. Seien wir ehrlich: Den meisten wird es kaum gelingen. Das Zeug zum echten Klassiker haben u. a.
– „Summertime“ (S. P. Somtow mit einer wirklich üblen Story über ein psychopathisches Vater-Sohn-Serienmördergespann);
– „Der Mann, der Clive Barker sammelte“ (K. Newman mit einer schwarzhumorigen Satire auf Bücherfreunde, die ihr Hobby allzu ernst nehmen);
– „Puppen“ (R. Campbell mit einer Geschichte, die von einer Hexen- und Hexerschar in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erzählt; selten wird die übliche Differenzierung zwischen Christentum = „gut“ und Teufelsglaube = „böse“ so überzeugend in Frage gestellt).

Ansonsten regiert das Mittelmaß, was hier keineswegs als Abwertung zu verstehen ist: Michael Marshall Smith, Brian McNaughton oder Graham Masterton sind einfach viel zu gute Horror-Handwerker, als dass ihre Storys den eigentlichen Zweck zu unterhalten nicht erfüllen könnten. Es ist zum Weinen, mit welcher Leichtigkeit die vorgestellten Autoren die deutschen Grusel-„Schriftsteller“ sogar dann deklassieren, wenn es „nur“ um das Abspulen eines ganz einfach gestrickten Gruselgarns geht. „Trentino Kid“ (J. Ford mit einer wunderbaren Spuk-auf-See-Geschichte), „Schluck die üble Saat“ (S. Clark variiert das uralte Thema des unausweichlichen Fluchs) oder „Die Hütte im Wald“ (R. Laymon mit einer richtig guten und unaufdringlichen Hommage an H. P. Lovecraft) seien als Lesetipps hervorgehoben. Aber auch Brian Lumley („Die dünnen Leute von Barrows Hill“) kann überraschen: Wenn er sich nicht gerade als zweitklassiger Lovecraft-Imitator („Titus-Crow“-Reihe) versucht oder als „Totenhorcher“-Fließbandautor tätig ist, bringt der Mann wirklich Lesbares zustande! Das gilt auch für Paul Busson, der die kürzeste Story dieser Sammlung („Rettungslos“) schrieb und uns mit seiner 1903 (!) entstandenen Schauermär vom lebendig Begrabenen und einem wirklich haarsträubenden Schlussgag in Angst & Schrecken versetzt.

Selbst Fehlschläge wie „In der letzten Reihe“ (B. Lumley versucht uns einen Uralt-Schlussschock anzudrehen, den noch der dümmste Leser bereits nach wenigen Absätzen erahnt), „Von Heiligen und Mördern“ (B. Hodge – lang & langweilig) und vor allem „Eine Halloween-Überraschung“ (F. Paul Wilson mit einem ganz legitim auf Ekel und Provokation setzenden, doch lächerlichen Machwerk; wie man Kotzgrusel richtig inszeniert, zeigt G. Masterton mit „Ein gefundenes Fressen“, seiner boshaft witzigen Story vom besessenen Hausschwein) ändern nichts am positiven Eindruck von „Necrophobia“. Es ist wirklich für jede/n etwas dabei – und die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.

„Necrophobia“ – das ist übrigens nicht nur diese Sammlung von Kurzgeschichten, sondern auch der Titel einer Hörbuch-Reihe aus dem Hause |Festa|. Einige der nun gedruckt vorliegenden Storys gibt es – neben anderen – auch professionell vorgelesen auf zwei Doppel-CDs. Viel Potenzial also für eine Fortsetzung des „Necrophobia“-Projekts – als Hör- und Lesebuch.

Die Hörbücher:
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Haining, Peter (Hg.) – Visionen des Grauens

Peter Haining: Einleitung (Introduction) – Der Herausgeber reflektiert über den literarischen Wahnsinn als Thema dieser Sammlung und stellt die Autoren kurz vor.

Robert Bloch: (Lizzie Borden Took an Axe, 1946) – Guter, alter Wahnsinn trifft auf dämonische Besessenheit; das Ergebnis sind allemal schädelgespaltene Leichen …

Patricia Highsmith: Der Schneckenforscher (The Snail-Watcher, 1964) – Der langsamen Schnecke einzige Verteidigung ist die Vermehrung – und Sex kann eine tödliche Waffe sein, wie der allzu sorglose Hobbyforscher erfahren muss …

Harry Harrison: Die wahre Geschichte Frankensteins (At Last, the True Story of Frankenstein, 1965) – Der Sohn des großen Monsterbastlers verteidigt vor einem Reporter den Ruf des genialen Vaters und besorgt bei dieser Gelegenheit Ersatzteile für dessen beste Schöpfung …

W. C. Morrow: The Monster Maker (The Surgeon’s Experiment, 1928) – Der verrückte Wissenschaftler beschert einem Selbstmörder ein bizarres Nachleben, das dieser weder erwartet hatte noch begrüßt …

Edgar Allan Poe: Das ovale Portrait (The Oval Portrait, 1842) – Der große Maler saugt seinem schönen Modell das Leben förmlich aus, bis er es endgültig auf die Leinwand gebannt hat …

Fredric Brown: Der Napoleon-Komplex (Come and Go Mad, 1949) – Ist Wahnsinn eine Krankheit oder bedeutet er einen Riss in der gnädigen Geistesbarriere, die uns Menschen vor dem nicht zu verkraftenden Einblick in das wahre kosmische Geschehen bewahrt?

Nathaniel Hawthorne: Dr. Heideggers Experiment (Dr. Heidegger’s Experiment/The Fountain of Youth, 1837) – Wieder jung zu sein, ist der Herzenswunsch vieler Senioren; sind sie es dann, beweisen sie umgehend, dass sie die Erfahrung rein gar nichts gelehrt hat …

Henry Slesar: Wessen Krankheit? (Whosit’s Disease, 1962) – Der Arzt, der sie entdeckt und beschreibt, darf einer neuen Krankheit ihren Namen geben. Das findet der Patient empörend und verlangt seinen Anteil an solchem Ruhm – eine Reaktion, deren mögliche Folgen er besser hätte durchdenken müssen …

Harold Lawlor: (Mayaya’s Little Green Men, 1946) – Tropische Heinzelmännchen unterstützen ein Kindermädchen bei der Arbeit. Die kleinen Wichte tragen Waffen und können im Notfall sehr gut damit umgehen …

Neun Storys, in denen das Grauen nicht Ketten rasselnd um Mitternacht daherkommt, sondern sich vorwiegend im Kopf der Figuren abspielt. Mögliche Fehlfunktionen des Menschenhirns werden hier zu Auslösern dramatischer und tragischer Ereignisse. Ganz „normale“ Irre treten ebenso auf wie der immer beliebte „mad scientist“. Die Lust des Lesers am Horror mischt sich mit mehr Unbehagen als sonst, weil dieser Grusel der Realität nicht völlig enthoben ist. Wahnsinn flößt Furcht ein, da der Geisteskranke als solcher nicht zwangsläufig sofort erkannt wird und verdachtfrei sein Unwesen treiben kann. Noch immer erschrecken diejenigen Ungeheuer am besten, die ganz unscheinbar und unverdächtig wirken. Die Autoren dieser Kollektion verstehen es dies zu vermitteln.

Wenn es um literarischen Wahnsinn mit Realitätsspaltung geht, ist Robert Bloch (1917-1994) nie weit. Seit er Weltruhm mit seinem (von Alfred Hitchcock verfilmten) Roman „Psycho“ erlangte, waren mörderische Mehrfachpersönlichkeiten sein Markenzeiten, das er, ein schneller, ökonomisch arbeitender Unterhaltungsschriftsteller, in vielen Variationen immer wieder pflegte. Blochs „Interpretation“ des tatsächlichen Lizzie-Borden-Mehrfachmords von 1892 (http://ccbit.cs.umass.edu/lizzie ist eine schöne Website für diejenigen, welche es interessiert) ist nicht gerade eine seiner besten Arbeiten, aber der Schlussgag sitzt blochtypisch wieder einmal im Ziel.

Patricia Highsmithes (1921-1995) Schneckenforscher ist ein „sanfter“ Irrer, ein von öder Ehe und langweiliger Arbeit geistig und seelisch verkümmerter Mann. Als er einen Weg findet, den Teufelskreis, zu dem sein Leben geworden ist, zu durchbrechen, verliert er es, weil er sich und sein „Werk“ nicht unter Kontrolle halten kann – ein unfreiwilliger Frankenstein, der nie wirklich begreift, was er da tut. (Anekdotisch aber interessant ist die Tatsache, dass Highsmith selbst eine passionierte Schneckenforscherin war und diese Weichtiere in ihrem abgeschiedenen Haus bei Ascona hielt und studierte.)

Harry Harrison (geb. 1925) erzählt irgendwie passend dazu die „richtige“ Geschichte vom „echten““Frankenstein. Er verschafft uns einen witzigen Einblick in die alltäglichen Schwierigkeiten, denen sich ein wahrlich genialer, aber etwas zu unkonventioneller Wissenschaftler ausgesetzt sieht, und schließt mit einem grimmigen Schlussgag, der einmal mehr beweist, dass zu viel Neugier der Katze Tod sein kann. In dieselbe humoristische Kerbe schlägt Henry Slesar (1927-2002) mit einer seiner berühmten Storys, die ein frivoles oder eigentlich geschmackloses Thema kurz und elegant auf den Punkt bringen.

Normalerweise ist Fredric Brown (1906-1972) der Witzbold vom Dienst, er schrieb aber auch ernst gemeinte und dann sehr ideenreiche Geschichten mit verblüffender Auflösung. „Der Napoleon-Komplex“ fällt in diese Kategorie und bewegt sich hart an der Grenze zur Science-Fiction. Das Universum als Spielball quasi göttlicher Kräfte ist so menschenfeindlich, wie es Brown hier entwirft, tatsächlich wohl nur im Wahn zu ertragen.

Nathaniel Hawthorne (1804-1864) und Edgar Allan Poe (1809-1849) gehören zu den „Urvätern“ der Phantastik. Die Kurzgeschichte als literarische Form haben sie mit aus der Taufe gehoben. Mehr als anderthalb Jahrhunderte ist dies her, so dass man den Autoren ihre altmodische Schwerfälligkeit nicht vorwerfen darf. Dies trifft besonders auf Hawthorne zu, der seiner Epoche wesentlich stärker verhaftet war als der geradezu „modern“ erscheinende Poe. „Dr. Heideggers Experiment“ enthält denn auch mehr als ein Quäntchen moralische Belehrung: Das Alter ist nur Last für den, der sein Leben vergeudet hat; wieder jung zu sein, bedeutet deshalb höchstens die Gelegenheit zu bekommen, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Indes fasst Hawthorne dies mit trockenem Humor in Worte und schließt mit einem unerwarteten Schlussgag, der die Moral von der Geschicht’ umgehend in Frage stellt.

Poe ist hier mit einer seiner weniger bekannten und – seien wir ehrlich – ganz sicher nicht mit einer seiner besseren Kurzgeschichten vertreten. Er schrieb für wenig Geld für Zeitschriften (hier „Graham’s Lady’s and Gentleman’s Magazine“) und oft mit dem Drucker um die Wette. Dennoch ist „Das ovale Portrait“ eine beeindruckende Studie über (künstlerische) Besessenheit und ihre bösen Folgen.

William Chambers Morrow (1853-1923) und Harold Lawlor (1910-1992) sind zwei Autoren aus der „Pulp“-Ära der Unterhaltungsliteratur. Sie schrieben für die grellbunt aufgemachten Magazine der Jahre vor und kurz nach dem II. Weltkrieg. In diesem Umfeld gediehen durchaus Klassiker, aber Morror und Lawlor gehören zum „literarischen Fußvolk“, das vor allem Seiten mit actionbetonten, vordergründig spannenden Storys füllte. Morrow „bedient“ sich dabei mehr als deutlich bei M. W. Shelleys „Frankenstein“ und bringt die hochphilosophische Vorlage auf reinen Grusel herunter. Lawlors Geschichte liest sich wesentlich moderner, kann aber ebenfalls nie wirklich überraschen.

„Visionen des Grauens“ gehört zu den Büchern, die mit der Originalausgabe nur mehr marginal identisch sind. 160 Seiten hatte ein „Vampir“-Taschenbuch der frühen 1970er Jahre aufzuweisen – nicht weniger, nicht mehr. „Beyond the Curtain of Dark“ umfasst die doppelte Seitenzahl. Also blieben Storys für die Übersetzung unberücksichtigt, bis es „passte“ – ein völlig normaler Vorgang in dieser Zeit. Man durfte als Leser noch froh sein, dass dieses Schicksal eine Kurzgeschichtensammlung traf – Romane wurden nämlich durchaus und manchmal ebenso rigoros wie sinnentstellend gekürzt. Was „Beyond the Curtain …“ betrifft, so geht allerdings der rote Faden verloren, an den Herausgeber Haining die einzelnen Storys in ihrer absichtsvollen Abfolge geknüpft hatte. Der verbleibende Torso ist dennoch eine Kollektion, welche die Lektüre lohnt.

Lin Carter – Die Xothic-Legenden

Das geschieht:

Seit Jahrmillionen tobt in Zeit und Raum ein unerbittlicher Kampf zwischen diversen ‚Gottheiten‘. Ein Schauplatz dieses Krieges ist die Erde, auf der die „Götter“ noch immer ihr boshaftes Spiel treiben. Wer ihnen auf die Spur kommt, ist verloren:

Robert M. Price: Vorwort, S. 7-22

Die rote Opfergabe (The Red Offering), S. 23-30: Im vorzeitlichen Reich von Mu sichert sich der ehrgeizige Jungmagier Zanthu zaubermächtige Beschwörungstafeln aus dem Grab eines Vorgängers, der indes weder tot ist noch auf seine Beigaben zu verzichten gedenkt.

Der Bewohner der Gruft (The Dweller in the Tomb), S. 31-46: Viele Jahrzehntausende später – im Jahre 1913 – steht ein wagemutiger Forscher in der Gruft des besagten Zanthu und stiehlt seinerseits die uralten Tafeln, was neuerliches Grauen zur Folge hat.

Das Ding in der Tiefe (The Thing in the Pit), S. 47-62: Zanthu plant seinen Herrn Ythogtha aus dessen Knechtschaft zu befreien, doch Götter kennen keine Dankbarkeit, was dem Kontinent Mu ein atlantisähnliches Schicksal beschert.

Aus der Tiefe der Zeit (Out of the Ages), S. 63-96: Der Kontakt mit einer rätselhaften Götzenstatue verschafft einem Historiker 1928 nicht nur üble Träume, sondern schließlich sogar eine persönliche Begegnung mit lauernden Urzeit-Übeln.

Der Schrecken in der Galerie (The Horror in the Gallery), S. 97-156: 1929 setzt ein weiterer Pechvogel die Untersuchung der seltsamen Statue fort und gerät ebenfalls in ihren verderblichen Bann.

Der Winfield-Nachlass (The Winfield Heritance), S. 157-188: Sieben Jahre später wird ein etwas weltfremder Jüngling vom verschrobenen Erbonkel mit diversen wertvollen Zauberbüchern bedacht – und mit jenen Kreaturen, die er zu Lebzeiten damit heraufbeschworen hat.

Vielleicht ein Traum (Perchance to Dream), S. 189-204: Mit Anton Zarvak wird ein ‚guter‘ Magier in das „Xothic“-Geschehen verwickelt, der sich seiner Haut nachdrücklich zu wehren weiß.

Das seltsame Manuskript aus den Wäldern von Vermont (Strange Manuscript Found in the Vermont Woods), S. 205-230: Eine gemütliche Waldhütte verliert ihre Anziehungskraft, weil sie in der Nachbarschaft einer vorzeitlichen, immer noch rege besuchten Kultstätte errichtet wurde.

Etwas im Mondlicht (Something in the Moonlight), S. 231-250: Nicht jeder Irrenhäusler ist tatsächlich geisteskrank, weil er sich vor mörderischen Echsen vom Mond fürchtet.

Die Fischer von draußen (The Fishers from Outside), S. 251-272: Noch ein allzu tief schürfender Forscher kommt im tiefen Afrika einem Hilfsvolk der Alten auf die Schliche, das daraufhin die üblichen Maßnahmen zur Wahrung ihrer Anonymität trifft.

Hinter der Maske (Behind the Mask), S. 273-294: Ein unbedarfter Nachwuchs-Wissenschaftler liest einige Bücher, die er hätte meiden sollen, da sie ihm Träume bescheren, die ganz & gar keine Schäume bleiben wollen.

Die Glocke im Turm (The Bell in the Tower), S. 295-317: Ein englischer Lord entdeckt die Möglichkeit, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, die sich indes als Zweibahnstraße erweist.

(In der deutschen Ausgabe fehlen der Sonnett-Zyklus „Dreams from R’lyeh“ sowie die Storys „The Strange Doom of Enos Harker“ – begonnen von Lin Carter, vollendet von Robert M. Price – und „The Soul of the Devil-Bought“, eine Art Carter/Xothic-Parodie von Price. „The Bell in the Tower“ ist Carters postume ‚Zusammenarbeit‘ mit H. P. Lovecraft, der eine Reihe unvollendeter Storys und Entwürfe hinterließ.).

Bruchstücke einer schrecklichen Vergangenheit

Lin Carters „Xothic-Legenden“ bilden eine eigenartige Lektüre – ein Buch ohne eigentliche Handlung, sondern eine Lose-Blatt-Sammlung (fiktiver) Protokolle, historischer Bücher, bruchstückhafter Artefakt-Beschriftungen, Berichte, Tagebücher, Notizen usw., die für sich selbst stehend nur Mosaiksteinchen darstellen. Erst in der zeitlichen Ordnung und vor allem im Zusammenhang enthüllt sich das Geschehen: Die Geschichte der Welt ist so, wie wir ‚zivilisierten‘ Menschen sie ‚wissenschaftliche‘ rekonstruiert haben, falsch bzw. unvollständig. Wir sind längst nicht die Herren unseres Planeten, der seinerseits nur Spielball kosmischer Entitäten ist, deren Motive nur ansatzweise erfassbar sind.

Die ‚Fragmentarisierung‘ des „Cthulhu“-Mythos‘ geht auf seinen Schöpfer zurück. H. P. Lovecraft (1890-1937) kannte die Regeln für literarischen Horror sehr gut. Er erfand eine alternative Weltgeschichte, die sich dem erschrockenen Betrachter immer nur zufällig und in Bruchstücken enthüllt. Dem Leser ergeht es nur marginal besser, denn auch die Kenntnis aller Cthulhu-Storys ergibt kein Gesamtbild. Ob dies so geblieben wäre, hätte Lovecraft nicht ein frühes Ende ereilt, muss Spekulation bleiben. Auf jeden Fall fand der Mythos seine Anhänger, von denen nicht wenige ihm selbst Kapitel ein- und anfügten.

Hierbei stellt Robert M. Price, Lin-Carter-Biograf und Kenner des Horrors à la Lovecraft, mehrere Varianten fest. Da gibt es den „Kopisten“, der möglichst eng am Original bleibt, den „Erklärer“, der die Lücken tilgt, die der Mythos aufweist, sowie den „Neuerer“, der mit ihm ‚spielt‘, ihn sich zu eigen macht und entwickelt, ohne ihn zu entzaubern.

Lin Carter gehört zweifellos zu den „Erklärern“. Er steht ganz in der Tradition von August Derleth (1909-1971), der Lovecraft noch persönlich kannte und nach dessen Tod nicht nur sein Werk bewahrte, sondern es vermehrte. Anders als sein ‚Meister‘ wollte oder konnte Derleth das Prinzip eines rudimentären „Cthulhu“-Mythos’ nicht begreifen. Er war es, der systematisch damit begann, Lovecrafts (nicht grundlos) schemenhaft bleibenden Hintergrundinformationen zu sammeln, zu katalogisieren und in eine chronologische Reihenfolge zu bringen. In einem zweiten Schritt füllte Derleth die Leerstellen, die er bei dieser Arbeit festgestellt hatte. Er schuf einen Stammbaum der ‚Götter‘ aus dem All und ihrer Helfershelfer. Darüber hinaus erfand er neue Kreaturen, neue Orte des Grauens, neue Bücher verbotenen Wissens.

Enthüllungen im Salventakt

Lin Carter geht mit seinen „Xothic-Legenden“ noch einen großen Schritt weiter. Er greift nicht nur auf Lovecraft- und Derleth-Werke zurück, sondern berücksichtigt auch die Beiträge von Schriftsteller-Kollegen und -Epigonen wie Clark Ashton Smith, Frank Belknap Long, Seabury Quinn, Basil Copper oder Brian Lumley, die sich an Cthulhu versuchten (bzw. vergingen). Vor allem Derleths Bemühen um Ordnung im Dämonenhimmel verblasst vor Carters geradezu enzyklopädischem Wissen um den Mythos, der unter seiner Schreibhand endgültig zur ‚Tatsache‘ gerinnt.

Carters Enthusiasmus ist Segen und Fluch zugleich. Zu bewundern ist die Meisterschaft, mit welcher der Autor ‚Fakten‘ und selbst Erdachtes zu einer ‚neuen‘ Weltgeschichte fügt. Andererseits ordnet Carter diesem Ziel die Unterhaltung, die doch eigentlicher Zweck einer Geschichte sein sollte, konsequent unter. Im Vordergrund steht immer der Mythos. Die Enthüllung läuft allzu schematisch ab: Der Entdeckung rätselhafter Artefakte oder Bücher folgt die allmähliche Enträtselung, was allerlei Monster auf den Plan ruft, die für ein grausames Finale sorgen, das neue Fragen aufwirft. Deshalb ist es primär der Hardcore-Cthulhuist mit einem Faible für Mystery-Puzzles, der mit Carter auf seine Kosten kommt. Am Stück sollte man dieses Buch jedenfalls nicht lesen, da das wenig innovative Strickmuster nicht einmal vom Herausgeber bestritten wird.

Viele interessante Hintergrundinfos zum Mythos und zur Entstehung der „Xothic-Legenden“ liefert Robert M. Price, im Hauptberuf Professor für Theologie und Bibelwissenschaft, ohne den es diese Sammlung wohl nicht gäbe. Lin Carter selbst hat mit ihrer Entstehung nichts mehr zu tun; sie wurde fast ein Jahrzehnt nach seinem Tod zusammengestellt. Zwar plante Carter einen Episodenroman zum Thema, der aber längst nicht alle Storys umfassen sollte, die Price hier vorstellt. Dies spricht für Carter, der offenbar selbst erkannt hat, dass die Qualität seiner „Xothic“-Erzählungen arg schwankt.

So ist es eigentlich Price, der die „Xothic-Legenden“ schuf. Seine Chronologie, seine Bearbeitungen, seine verbindenden Texte formen aus ihnen ein Gesamtwerk, das einen gewissen roten Faden aufweist. Prices Gesamteinleitung sowie die einleitenden Texte zu den einzelnen Storys legen außerordentlich penibel deren Entstehungsgeschichten, Intentionen und ihre Stellung im Mythos dar. Gern holt Price weit aus und versucht sich an literaturkritischen, -historischen und -psychologischen Deutungen der Carter-Erzählungen. Dabei fördert er oft Unerwartetes und Interessantes zutage, übertreibt es jedoch einige Male gewaltig. Als Verfasser der Carter-Biografie („Lin Carter: A Look Behind His Imaginary Worlds“, 1992) und Lovecraft- bzw. Cthulhu-Experte verfügt Price über ein profundes Wissen, das er gern & reichlich mit seinen nicht immer begeisterten und überzeugten Lesern teilt.

Die Nase zu tief hineingesteckt

Es sind (bis auf eine Ausnahme) keine Helden, die wir in den „Xothic“-Geschichten mit den außerirdischen Unholden ringen sehen. Vergeistigte Hohepriester, Bücherwürmer und elfenbeinturmhoch entrückte Forscher entdecken Spuren einer gänzlich unerwarteten Frühgeschichte. Sie ahnen, was sie da entdeckt haben, begreifen aber stets zu spät, dass dieses Wissen handfeste Konsequenzen nach sich ziehen wird. Treten dann mordlustige Riesenschnecken, Froschmenschen oder berggroße Schleimgötzen auf den Plan, ist der Reue groß aber vergeblich; die unmittelbare Konfrontation mit Kreaturen, die es nicht geben dürfte, zieht den grausamen Tod oder zumindest den Wahnsinn nach sich.

Dabei sind diese (Un-) Wesen prinzipiell nicht ‚böse‘ in dem uns bekannten Sinn, sondern unendlich fremd. Deshalb ist es ratsam, sich ihnen fernzuhalten. Unterwerfung stimmt sie nicht gnädig, Unbotmäßigkeit strafen sie ebenso hart wie Versagen, Gehorsam belohnen sie nicht. Sie locken mit Versprechungen von Wissen, Macht und Geld, die sie nie halten oder auf eine Weise erfüllen, die den Fordernden nicht mit Freude erfüllt. Überhaupt benehmen sie sich wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen – über die Statur verfügen sie -, wenn sie sich bemerkbar machen. Nach Lin Carter sind es ihrer zudem so viele, dass man sich wundert, wieso es ihnen immer wieder gelingt, ihre Spuren zu verwischen; schließlich hausen sie nicht alle in Tiefseeschluchten, Urwäldern oder auf hohen Bergen, sondern schleimen & morden durchaus in den zivilisierten Regionen dieser Erde umher.

Ja, es fällt manchmal schwer, am Ball (oder ernst) zu bleiben, wenn Carter uns, seine Leser, mit zungenbrecherisch benamten alten, hohen & minderen Göttern konfrontiert oder bombardiert. Allein Cthulhu kann plötzlich auf eine Gattin und drei Söhne – natürlich ebenso missraten wie der Vater – verweisen. Leicht verliert man da die Übersicht, sodass es hilfreich ist, dass Carter und Price die verwandtschaftlichen Konstellationen und Konfrontationen vielfach wiederholen.

Denn die xothischen Götter sind notorische Streithähne, die ihren äonenlangen Krieg bis in die Gegenwart fortsetzen. Sie alle haben ihre ‚Reviere‘, speziellen Fähigkeiten und Motive. Carter setzt sie und uns ins Licht und ignoriert dabei, dass dies eine Entzauberung darstellt: Der sterbliche Leser ‚begreift‘ die Götter schließlich doch. Lovecraft hätte das nicht gefallen.

Autor

Linwood Vrooman Carter wurde am 9. Juni 1930 in St. Petersburg, gelegen im US-Staat Florida, geboren. Er wuchs hier auf, ging hier zur Schule und kehrte kurz hierher zurück, nachdem er in den Koreakrieg gezogen, verwundet und mit einem „Purple Heart“ ausgezeichnet worden war. 1953 ging Carter nach New York und studierte zwei Jahre an der Columbia University. Anschließend arbeitete er anderthalb Jahrzehnte für diverse Agenturen und Verlage, bis er, der 1965 mit „The Wizard of Lemuria“ sein Romandebüt im Phantastik-Genre gegeben hatte, ab 1969 Vollzeit-Schriftsteller wurde – ein überaus fleißiger, der mehrere Romane pro Jahr sowie diverse Kurzgeschichten veröffentlichte und sich als Herausgeber von Fantasy-Kollektionen einen Namen machte.

Der Fantasy und hier der Sparte „Sword & Sorcery”, die Muskel bepackte Barbarenkrieger gegen Monster, Mumien & finstere Zauberer antreten ließ, galt Carters ganze Liebe. Schon als Schüler verfasste er Storys im Stil von L. Frank Baum („Der Zauberer von Oz“), Edgar Rice Burroughs („Tarzan“, „John Carter vom Mars“) oder Robert E. Howard („Conan“, „Red Sonya“). Letzterem verhalf er zur literarischen Auferstehung, indem er mit Lyon Sprague de Camp und Björn Nyberg die ‚alten‘ Conan-Storys sammelte, ordnete und Lücken mit eigenen Geschichten und Romanen füllte.

Der private Lin Carter war ein unsteter, getriebener Mensch, der sich durch unmäßiges Rauchen und Alkohol gesundheitlich ruinierte. Mitte der 1980er Jahre erforderte ein zu lange unbeachteter Lippenkrebs eine radikale Operation, die Carters Gesicht entstellte und ihn erst recht isolierte. Immer öfter unterbrochen von Krankenhausaufenthalten setzte der unterdessen auch an einem Lungenemphysem erkrankte Schriftsteller seine selbstzerstörerischen Sauftouren fort. Am 7. Februar 1988 starb er, gerade 57-jährig, in einem Veteranen-Hospital.

Website „In Memoriam Lin Carter“
Website von Robert M. Price

Gebunden: 317 Seiten
Originaltitel: The Xothic Legend Cycle: The Complete Mythos Fiction of Lin Carter (Oakland, CA : Chaosium 1997)
Übersetzung: Andreas Diesel, Hans Gerwin, Ralph Sander, Malte S. Sembten
http://www.festa-verlag.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Peter Straub – Esswood House

Das geschieht:

Der US-amerikanische Universitätsprofessor William Standish ist in seinem Leben festgefahren. Die Karriere an einer Provinzuniversität stagniert, daheim wartet Jean, die hochschwangere, hysterische Gattin, die ihn vor gar nicht langer Zeit betrogen hat. Da kommt ein Angebot aus dem englischen Esswood House gerade richtig: Standish wird eingeladen, in der Bibliothek des Hauses, das ein Treffpunkt berühmter Literaten und Poeten war, nach ungehobenen Schätzen zu suchen. Er arbeitet an einem Buch über seine Stiefgroßmutter Isobel Standish, eine unbekannt gebliebene Schriftstellerin des frühen 20. Jahrhunderts, um deren Schicksal sich ein Geheimnis rankt.

Esswood House ist seit jeher der Stammsitz der Seneschals. Die Familie ist auf zwei Mitglieder geschrumpft, die seit Jahren nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten sind. Standish wird nach komplizierter Anreise von Robert Wall, dem Verwalter, empfangen, einem mysteriösen Mann unbestimmbaren Alters. Er passt gut in die Atmosphäre von Esswood House, das sich als höchst merkwürdiges Anwesen erweist. Peter Straub – Esswood House weiterlesen

Krock, Jeanine – Wege in die Dunkelheit. Ein Vampirroman

Jeanine Krock hat mit ihrem Romandebüt „Wege in die Dunkelheit“ (die Ähnlichkeit des Titels mit dem Urgestein aller Vampirportale – pathwaytodarkness.com – ist nicht von der Hand zu weisen) einen dichten und wirklich spannenden Vampirroman vorgelegt, der gleichzeitig einen Einblick in die Gothic-Szene der 80er Jahre bietet und fast nebenbei einen ganzen Vampirmythos aufbaut. Daher bleibt kaum verhüllt, „wo“ die Autorin herkommt: Gothic-Szene und Vampirwirklichkeit bedingen sich in „Wege in die Dunkelheit“ gegenseitig – die Faszination an der dunklen Seite der Existenz, das theatralische Pathos, das Kokettieren mit melancholischen Zuständen und tiefen Gefühlen bringen Vampire und Mitglieder der Subkultur unweigerlich zusammen.

Die Geschichte startet in Deutschland mit dem jungen Nik, der auf einem Konzert an die überirdisch schöne Shamina gerät. Selbige Shamina ist natürlich eine Vampirin und ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts grünäugig, sinnlich und unwiderstehlich. Nik ist sofort Feuer und Flamme und vergisst darüber seine – zugegebenermaßen – nervtötende Freundin Katharina. Shamina wiederum, durchaus von Nik angetan, hat keine Möglichkeit, aus den Verpflichtungen ihres Vampirismus auszubrechen, wird sie doch von ihrem Master Sylvain aufgefordert, ihm bei der Vernichtung eines urbösen Vampirs zu helfen.

So wandert die Handlung von der westdeutschen Provinz ins brodelnde Berlin, ins absolut überschäumende London und auf Sylvains englischen Landsitz. In Flashbacks erfährt der Leser darüberhinaus so einiges über die handelnden Vampire. Vor einer farbenfrohen historischen Kulisse gibt es da rauschende Feste und Straßenräuber, unsterbliche Diener und einen nie enden wollenden Vorrat an Blut.

Es ist schwierig zu entscheiden, wo man bei „Wege in die Dunkelheit“ ansetzen soll. Das Buch ist so voll von Ideen, Handlungssträngen und Themenkomplexen, dass man daraus ohne Probleme eine ganze Romanreihe hätte machen können, ohne dass dem Leser langweilig würde. Mehr noch, es hätte der Autorin die Möglichkeit gegeben, bestimmte Situationen nicht nur anzureißen und den historischen Hintergrund der Vampire deutlicher auszuleuchten. So aber werden ganze Handlungsstränge (beispielsweise Shaminas Vampirwerdung) nur kurz rekapituliert und damit Potenzial verschenkt. Ebenso ergeht es dem eigentlichen Knackpunkt des Romans, nämlich der geplanten Vernichtung des Oberschurken Ludovico, die blass und schablonenhaft bleibt und auf minimalem Raum abgehandelt wird. Auf die Charakterisierung der Gefahr, die von Ludovico (der nie wirklich auftaucht) ausgehen soll, wird überhaupt keine Tinte verwandt und man wird den Eindruck nicht los, dass er nur ein |plot device| ist, um die Vampire zusammenzuführen.

Wirklich gelungen ist dagegen die Beschreibung der deutschen und englischen Subkultur. Von der Darstellung von Bands bis zur ausführlichen Beschreibung von Hairstyles und Klamotten ist alles vertreten. Der dazugehörige Lebenstil komplett mit übertriebenen Gefühlen und plötzlichen Liebesbezeugungen durchtränkt den gesamten Roman und man ist klar im Vorteil, wenn man eine Gothic-Affinität besitzt. Ansonsten kann einem beim hohen Pathos-Grad schnell schwindelig werden. Hier werden sich jedoch auch die Leser finden, für die „Wege in die Dunkelheit“ wie auf den Leib geschneidert ist. Das Buch ist eine relativ unverhüllte, zweihundert Seiten lange Wunschvorstellung vom Vampirismus, die sich nicht damit abmüht, die damit verbundenen Problematiken zur Sprache zu bringen. Krocks Vampire sind durchweg menschenliebende Humanisten, die zur Blutbeschaffung natürlich nie jemanden töten würden – zumindest wenn es sich um die richtige Gruppe Menschen handelt. Einen Pulk Skins genüsslich um die Ecke zu bringen, bereitet ihnen dagegen keine moralischen Kopfzerbrechen.

Für Anhänger der schwarzen Subkultur sollte „Wege in die Dunkelheit“ also ein wahres Fest sein, der Durchschnittsleser wird aber ebenso gut unterhalten. Trotz der Schwächen (und der positiven Schwäche, dass das Buch ruhig hätte länger sein können), schafft es Krock, den Leser zu fesseln und zu unterhalten und ein breites Panoptikum an Schauplätzen und Figuren zu präsentieren. Die Verbindung des Vampirthemas mit der Gothic-Szene ist für das deutsche Genre ein Novum und schon daher die Lektüre wert.

Was abschließend noch erwähnt werden sollte, ist, dass dem Roman ein wirkliches Lektorat fehlt. Nicht nur hätte das den Stil an einigen Stellen geglättet, sondern dem Buch auch sonst eine „runde“ Form gegeben. Scheinbar war man sich aber bei |Ubooks| nicht ganz sicher, ob man nun die neue oder alte Rechtschreibung benutzen solle. Und um eine Entscheidung zu vermeiden, wurde einfach alles durcheinander verwendet. Das Gleiche gilt für die Zeichensetzung, besonders, wenn es um die wörtliche Rede geht. Da werden munter verschiedene Anführungszeichen verwendet, ohne darauf zu achten, wie diese mit den normalen Satzzeichen korrespondieren sollten. Man muss kein Grammatikgenie sein, um über solche wilden Satzkonstruktionen Verwunderung zu empfinden.

Festa, Frank (Hg.) – Omen – Das Horror-Journal Nr. 2

Dem Vorwort des Herausgebers Frank Festa (S. 4/5), der sich für die Leserresonanz auf den ersten Omen-Band bedankt und dem Horror auf dem deutschen Buchmarkt eine optimistische Prognose stellt, folgt mit „Mister Bradbury“ (S. 25-28) ein erster Bericht der „Omen-USA-Korrespondentin“ Paula Guran, die einen öffentlichen Auftritt des Phantastik-Veteranen Ray Bradbury erlebte. Auch die nächsten drei Beiträge stammen von Guran: ein „Interview mit Clive Barker“ (S. 49-69), gefolgt von einer „Ergänzung“, die dem Schriftsteller den Maler und Zeichner Barker zur Seite stellt: „Die Kunst des Clive Barker“ (S. 89-96). Schließlich gibt es ein „Interview mit Neil Gaiman“ (S. 97-104). Konstantin Paustowski erinnert an das unglückliche Leben und das reiche Werk des russischen Schriftstellers Alexander Grin (S. 115-133). Dirk Berger führt das dritte Interview dieses Journals mit Tim Powers (S. 150-165).

|Storys:|

– Brian McNaughton: Meryphillia („Meryphillia“, 1990, S. 7-28): Ein weiblicher Friedhofsghoul verliebt sich in einen überspannten Dichter und beweist eindrucksvoll, dass Liebe tatsächlich durch den Magen gehen kann …

– Howard Phillips Lovecraft: Pickmans Modell („Pickman’s Model“, 1927, S. 30-44): Die schrecklichen Nachtmahre, die ein junger Maler auf die Leinwand bannt, wirken nicht grundlos so lebensecht …

– Daniela Klug & Stefan Krüger: Jack, der U-Bahn-Klopfer (2005, S. 45-48): Ein gelangweilter Streckenwärter verfällt tief unter der Erde seiner Angst vor der Finsternis …

– Henry Kuttner: Das Geheimnis von Schloss Kralitz („The Secret of Kralitz“, 1936, S. 70-77): Der 21. Nachkomme eines verderbten Adelsgeschlechts lernt den Familienfluch kennen …

– John Metcalfe: Das Ödland („The Bad Lands“, 1925, S. 78-88): Eine Art Raumfalte verschafft dem nervenschwachen Kurgast Zugang in eine fremde Dimension, deren böses Herz er mit einem reinigenden Feuer auszubrennen gedenkt …

– Tim Powers: Wo sie lauern („Where They Are Hide“, 1995, S. 166-191): Kreuz & quer springt der Zeitreisende durch die Jahrzehnte und tilgt unerfreuliche Handlungsträger aus der Weltgeschichte, welche sich indes nicht kampflos verdrängen lassen, sondern als übellaunige „Zeitgeister“ in die Gegenoffensive gehen …

– William Hope Hodgson: Die Insel des Ud („The Island of the Ud“, 1912, S. 192-214): Auf einer einsamen Südseeinsel steht ein mit Perlen geschmückter Totempfahl, auf den es ein habgieriger Kapitän abgesehen hat; freilich steht allerlei Monsterpack zwischen ihm und dem ersehnten Reichtum …

Brian Calvin Andersons Kurzcomic „Teddybär“ (S. 105-114) erzählt von den Schrecken, die in einem nächtlichen Kinderzimmer hausen können …

Unter dem Titel „Fenster zur Phantastik“ rezensieren Jan Gardemann, Malte S. Sembten und Uwe Vöhl verschiedene deutschsprachige Horrortitel der vergangenen Monate (S. 134-149, 219-222). Diverse Leserbriefe, die Herausgeber Festa selbst beantwortet, schließen „Omen 2“ ab (S. 215-218).

|Darstellung|

Gleich vierfach ist Paula Guran mit einschlägigen Horror-Beiträgen vertreten. Warum dies so bzw. wer diese Dame eigentlich ist, enthält uns das „Omen“-Team vor. Daher muss man sich selbst schlau machen, was glücklicherweise einfach ist, da Ms Guran äußerst aktiv ist (vgl. http://www.darkecho.com/darkecho/web/about.html#guran ). Ihr Ruf als Genre-Expertin lässt sich demnach begründen, wichtiger sind aber wohl ihre Verbindungen zu Autoren, Regisseuren und anderen Horror-„Machern“. Die Interviews mit Barker und Gaiman wurden professionell geführt und sind informativ (wenn auch bereits leicht angestaubt), der Artikel über den Künstler Clive Barker fällt zwar sehr subjektiv aus (woraus die Verfasserin keinen Hehl macht), ist aber ebenfalls interessant. Missfallen erregt hingegen der Beitrag über Ray Bradbury, welcher an mittelalterliche Heiligenverklärung grenzt, aber immerhin sehr schön den US-amerikanischen Hang zur organisierten Gefühlsduselei („Dennoch waren wir zu Tränen gerührt. Wir nahmen mehr mit, als wir mitgebracht hatten. Wir waren inspiriert worden.“ – S. 28) verdeutlicht. Wohltuend sachlich und konzentriert befragt Dirk Berger einen offensichtlich gut gelaunten Tim Powers.

Erst irritiert, dann zunehmend ärgerlich macht die Lektüre von „Über Alexander Grin“. Der Anlass ist (wahrscheinlich) der Geburtstag dieses russischen Schriftstellers (1880-1932), der sich heuer zum 125. Male jährt. (Vermerkt wird das an keiner Stelle.) Natürlich braucht es keinen direkten Grund, um an den Verfasser phantastisch-romantischer Meisterwerke wie „Purpursegel“, „Tod durch Ratten“ oder „Wogengleiter“ zu erinnern. Dies sollte dann freilich nicht durch einen Artikel geschehen, der völlig veraltet und höchstens noch – wenn überhaupt – als zeithistorisches Dokument lesbar ist. Konstantin Paustowski (1892-1968) schrieb als strammer (bzw. vorsichtiger) Bolschewist in einer Sowjetunion, die „Abweichler“ auch in der Kunst planvoll mundtot machte. Aus dem Menschen und Schriftsteller Grin, der sowohl im Zarenreich als auch nach der „Revolution“ trotz eher hilfloser Anbiederungsversuche ein missachteter und verfolgter Außenseiter blieb, macht Paustowski nachträglich einen Kulturrevolutionär im Geiste Lenins. Auch sonst müssen die wenigen biografischen und literaturgeschichtlichen Fakten aus einem Wust von Politkitsch, paustowskischen Treuebekenntnissen zum Sowjetregime und schwülstig literarisierten Episoden der Grin-Vita geklaubt werden. Ob Paustowski einst so schreiben musste, ist an dieser Stelle irrelevant. Im 21. Jahrhundert und Jahre nach dem Ende der Sowjetdiktatur des Geistes dürfte es bessere Artikel über Grin und sein Werk geben. Falls dies nicht zutrifft, sollte man lieber selbst einen schreiben oder besser ganz darauf verzichten. Wer Grin war und was seine Arbeiten (nicht nur unter phantastischen Aspekten) zu etwas Besonderem macht, bleibt hier jedenfalls ungesagt.

Die Kurzgeschichten übertreffen den redaktionellen Teil an Qualität. (Halbwegs) Modernes (McNaughton, Powers) mischt sich mit Klassischem (Lovecraft, Kuttner, Metcalfe, Hodgson), wobei wie in „Omen“ Nr. 1 echte Neu- bzw. Wiederentdeckungen zu verzeichnen sind. McNaughton balanciert mit seiner Story um eine in Liebe entflammte Leichenfresserin und ihren spinnerten menschlichen Schatz auf dem schmalen Grat zwischen Ernst und Parodie, wobei der fabelhafte Schwarzhumor dem grotesken Geschehen eine ganz besondere Note (darf man sagen: „Hautgout“?) verleiht. Kuttner – hier mit einem ansehnlichen Lovecraft-Pastiche vertreten – ist schon lange vom deutschen Phantastik-Buchmarkt verschwunden, Metcalfe praktisch ein Unbekannter; in beiden Fällen ist dies eine Schande. Besonderes Lob verdient Tim Powers mit einer vertrackten Zeitreise-Story, die neben den Robert-A.-Heinlein-Klassikern „By His Bootstrap“ (1941; dt. „Im Kreis“) und „All You Zombies“ (1959; dt. „Entführung in die Zukunft“) ausgezeichnet bestehen kann.

Ob H. P. Lovecrafts x-fach nachgedruckte Story um den Monster-Maler Pickman unbedingt an dieser Stelle Wiederauferstehung feiern musste, ist eine Frage, die mancher Leser, der sie vielleicht doch noch nicht kannte, sicherlich anders beantworten wird als Ihr Rezensent. Unbeeinflusst davon bleibt „Pickmans Modell“ natürlich ein Klassiker mit ungebrochener Gruselwirkung (auch wenn die Auflösung wohl niemanden mehr überraschen kann). Apropos Auflösung: Endlich erfährt der Leser auch, was auf der „Insel des Ud“ wirklich geschah. Technische Probleme (oder übernatürliche Sabotage) machten in „Omen Nr. 1“ aus W. H. Hodgsons Meeresschauer unbeabsichtigt einen Zweiteiler. Nun folgen nicht nur die unter den Tisch gefallenen Seiten, sondern noch einmal die gesamte Story, was sicherlich die richtige Entscheidung ist.

Zu den weisen Entscheidungen muss man auch diejenige zählen, dem deutschen Gruselnachwuchs dieses Mal nur eine Gelegenheit zur Lautäußerung zu gewähren. Obwohl gleich als Doppelpack aktiv, gelingt (bzw. misslingt) dem Autorenduo Klug & Krüger mit „Jack, der U-Bahn-Klopfer“ nur eine bis ins vorhersehbare Finale spannungslose Fanstory im Groschenheft-Stil („Keuchend stieß er den Atem aus.“), die zwischen dem Porträt eines frustrierten Nine-to-Five-Arbeitsroboters und (wohl psychologisch angelegtem) Horror dahinschlingert. Ebenfalls überraschungsarm, aber ansprechend schwarzweiß und wortlos umgesetzt, präsentiert Brian Calvin Anderson die Mär vom Kinderspielzeug, in das der Teufel fährt.

Die Leserbriefe äußern (positive wie negative) Kritik zur „Omen“-Ausgabe Nr. 1; sie dienen gleichzeitig Herausgeber Frank Festa als Podium für allgemeine Aussagen zu Form und Inhalt des Journals. So nimmt er beispielsweise zur „Festa-Lastigkeit“ der im Journal vorgestellten Autoren Stellung, die er weder bestreitet noch zu ändern gedenkt. Das „Omen“ ist in der Tat Informations- und Werbeträger gleichzeitig, was uns in der Nr. 3 eine Art Brian-Lumley-Sonderausgabe bescheren wird: keine Ankündigung, die Anlass zur generellen Freude gibt, aber die Bedeutung dieses nicht gerade begnadeten, aber überaus erfolgreichen Verfassers gerade für den Festa-Verlag widerspiegelt. Diplomatisch und mutig zugleich nimmt der Hausherr außerdem Morgenluft witternden Nachwuchsautoren aus deutschen Landen den Wind aus den Segeln und bittet vor der Einsendung einer mit Herzblut geschriebenen, aber oft Hirnschmalz (& grammatische Grundregeln) entbehrenden Story noch einmal Selbstkritik walten zu lassen. Dem kann man sich als Leser nur anschließen.

Was die Rezensionen angeht, so befassen sich diese ausschließlich mit deutschsprachigen aber nicht von |Festa| verlegten Werken – eine Zurückhaltung, die hier eigentlich unnötig ist, da das hauseigene Programm viele Titel umfasst, die einer Besprechung eher Wert wären als die hier ausgewählten, meist deutlich mittelmäßigen Romane und Kurzgeschichtensammlungen.

Bleibt abschließend die schwer oder gar nicht zu beantwortende Frage, welche Nische das „Omen“-Journal auf dem sekundärliterarischen Horror-Sektor eigentlich einnimmt. Noch sind (zu) viele Beiträge – hier seien vor allem die Guran-Texte genannt – für diverse Websites und Webzines entstanden. Sie wurden sichtlich für den „schnellen Verbrauch“ geschrieben, verlieren rasch an Aktualität oder haben – wie Gurans Bradbury-Eloge – eher Blog-Charakter. Ein Journal, das nur einmal jährlich erscheint, sollte doch Themen finden, die eines Berichtes würdiger sind, um es etwas pompös auszudrücken. So wird aus dem „Omen“ jedenfalls kein deutsches „Weird Tales“! (Ausgespart bleiben von diesem Tadel die nicht deutschsprachigen Storys, deren Wahl – und Übersetzung – zu keinen Klagen Anlass geben.)

An der Überpräsenz von „zweitverwerteten“ Artikeln wird sich wohl zukünftig wenig ändern, da das „Journal“ einerseits sehr zeitaufwändig in der Zusammenstellung ist und andererseits nur von einem kleinen Team realisiert wird. Deshalb wird es wohl nichts mit umfassenden Blicken auf den Horror fremder Länder, auf dass wir in Deutschland wenigstens erfahren, was anderswo geschrieben und gelesen, uns leider jedoch in der Regel vorenthalten wird.

Dessen ungeachtet füllt das „Omen“-Journal hierzulande eine Lücke für den Genrefan, dem ansonsten nur die Möglichkeit bleibt, sich auf die Informationssuche in den Weiten des WWW zu begeben. Das ist – vor allem, wenn man des Englischen mächtig ist und ein bisschen Qualitätsstudium betreibt – eine ergiebige und verlässliche Quelle, aber auch der nicht konservative Horrorfreund liebt halt noch immer das Papier bzw. die gebündelte Lieferung von Hintergrundinfos. Deshalb trotz einiger kritischer Worte abschließend ein uneingeschränktes „Ja“ zum „Omen“.

Edward D. Hoch – Schock um Mitternacht

hoch-schock-cover-kleinSeit 2000 Jahren jagt er die Vertreter des Bösen auf der ganzen Welt: Simon Ark, unsterblicher Ghostbuster mit ausgeprägten detektivischen Fähigkeiten, die er in den hier versammelten fünf Fällen auch dringend benötigt, da sein Wild bevorzugt Besitz von willensschwachen Menschen ergreift, die ausgesprochen kriminell vorgehen … – Fünf Storys im schattigen Bereich zwischen Realität und Jenseits, wobei auch der rein menschliche Wahnsinn nicht ausgespart bleibt: routinierter, etwas anderer und auch deshalb interessanter Grusel der metzelfreien Art.
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Romainczyk, Jürgen – Vampirwinter

Recht schmal ist das Bändchen, das Jürgen Romainczyk unter dem Titel „Vampirwinter“ 2004 als sein Romandebüt vorgelegt hat. Doch die 112 Seiten präsentieren ihren Inhalt so komprimiert und verdichtet, dass der Leser die Lektüre durchgehend genießen kann – vornehmlich während eines Sturms oder Gewitters, um die gotische Atmosphäre zu erhöhen.

Beatrice ist ein bisschen langweilig, ein bisschen bieder, ein bisschen schüchtern – eine Durchschnittsfrau, wie man sie überall findet. Als Landei ist sie – wegen des Jobs natürlich – widerwillig nach Heidelberg gezogen, wo sie keinen Anschluss findet und somit ihre Abende und Wochenenden brütend in ihrer Wohnung verbringt, wo sie mit ihrem Los hadert. Doch eines Tages trifft sie in der Kantine die faszinierende Malia – das genaue Gegenteil von Beatrice. Malia ist selbstbewusst, strahlend schön, abenteuerlustig und verführerisch und sie bietet Beatrice ihre Freundschaft an. Von nun an machen die beiden nächtens die Stadt unsicher; sie gehen gemeinsam essen, auf Partys, in Kneipen. Doch vor allem freuen sie sich auf den Vampirball, ein rauschendes Fest, das alljährlich in Heidelberg stattfindet. Und dort lernt die scheue Beatrice Christoph kennen. Zwischen den beiden sollen bald zarte Bande entstehen, doch Beatrice hat gleichzeitig den Eindruck, dass Malia mehr als Freundschaft von ihr will. Ihre geheimnisvolle Freundin verführt sie mit Finesse und Beatrice gerät in einen Strudel aus Liebe, Leidenschaft und Eifersucht.

Der Klappentext bietet den Schlüssel zu „Vampirwinter“: Romainczyk, der seine Magisterarbeit über das Vampirmotiv in der englischen Literatur schrieb, hat mit seinem Roman eine moderne Neuinterpretation von Sheridan Le Fanus Novelle [„Carmilla“ 993 abgeliefert. Seine liebenswerte Hommage katapultiert Carmilla alias Malia (die originale Carmilla nutzte als Namen immer Anagramme ihres eigenen Namens Mircalla – und auch der Name Malia lässt sich aus Mircalla zusammensetzen) ins 21. Jahrhundert und erforscht, wie die Vampirin wohl heute leben würde. Denn mal ehrlich, nur wenige widmen sich der weiblichen Ausprägung dieses Phänomens. Neben Dracula, Varney, Lestat und Konsorten verblasst die Vampirin meist zur Nebenfigur. Romainczyk jedoch versucht zu aktualisieren, was schon Le Fanu mit Meisterschaft beschrieben hat: die Verführerin und kaltblütige Vampirin.

Dass Malia nicht ist wie andere Frauen, wird schnell klar – gerade im Gegensatz zur sehr angepassten Beatrice. Malia ordnet sich keinen Regeln unter und schon gar keinem männlichen Diktat. Ihr Vampirismus ermöglicht ihr größtmögliche Freiheit. Als Christoph, der Mann, nachts im Park verfolgt wird, ergreift er die Flucht. Als Malia, die Frau, in der Nacht ausgeraubt wird, macht sie einen Schritt auf den Räuber zu und und schlägt ihn eiskalt in die Flucht. Malia fürchtet nichts, selbst menschliche Urängste wie die vor der Finsternis und Undurchdringlichkeit der Nacht sind ihr fremd geworden.

Ihr ganzes Un-leben konzentriert sich auf zwei Dinge: Verführung und Mord. Sie nimmt sich, wie auch schon „Carmilla“ vor mehr als einhundert Jahren, Zeit, ihre Erwählte zu umgarnen. Unter Malias Händen blüht Beatrice förmlich auf und die Berührung der Vampirin (die natürlich mit einem Biss an delikater Stelle einhergeht) macht Beatrice buchstäblich zur Frau, wie uns der Epilog nahelegt. Gleichzeitig jedoch holt sich Malia ihre Blutmahlzeit mit kalter Berechnung bei einem unsympathischen, eingebildeten Mann, dessen Ableben den Leser wohl kaum schmerzen wird.

Doch wie bei Le Fanu muss die Vampirin vernichtet werden. Denn obwohl Malia unendliche Freiheit von restriktiven Konventionen propagiert, eine Erlösung für die Frau von Regeln und Maßstäben, so kann diese Anarchie natürlich nicht zugelassen werden. Aber da heute längst niemand mehr an Vampire glaubt, beendet kein Vampirexperte das liederliche Treiben, sondern Malia wird durch einen bösen Zufall dahingerafft. Ihr Wirken in Beatrice allerdings lässt sich nicht rückgängig machen. Diese ist durch Malias Berührung erwacht und anstatt sich vom Leben treiben zu lassen, scheint es nun, als würde sie selbiges bei den Hörnern packen.

Romainczyk schildert seine Charaktere einfühlsam, in flüssigem Stil und wird besonders eindringlich und überzeugend, wenn er seine Heimatstadt Heidelberg beschreibt und sich bei der Schilderung des Vampirballs ordentlich austoben kann. Heidelberg als Kulisse für die Handlung gibt dem Roman eine seltsam surreale und gedämpfte Stimmung, gerade so, wie der winterliche Schnee die Stadt mit weißem Glanz und subtiler Stille überzieht.

„Vampirwinter“ ist eine Liebhaberarbeit; ein Roman, der für sich genommen durchaus unterhalten kann, der aber erst richtig aufblüht, wenn er in Korrespondenz mit Le Fanus „Carmilla“ genossen werden kann. Denn wie bei Le Fanu ruft Malia gegensätzliche Gefühle sowohl bei Beatrice als auch beim Leser hervor. Sie ist faszinierend durch ihre Furchtlosigkeit. Sie ist anziehend durch ihre Schönheit. Doch sie ist auch geheimnisvoll und daher nicht wirklich vertrauenswürdig. Sie ist kaltblütige Mörderin und Kind einer anderen Zeit. Sie ist Genießerin – in allem, was irgend genossen werden kann.

„Vampirwinter“ ist ein wunderbarer kleiner Roman für einen schwülen Sommernachmittag oder eine einsame Nacht. Und man hofft zwangsläufig, nicht das Letzte von Romainczyk gehört zu haben!

Basil Copper – Der Vampir in Legende, Kunst und Wirklichkeit

Legende und Literatur

In vier Großkapiteln nähert sich Copper seinem komplexen Thema. „Der Vampir in der Legende“ ist in erster Linie ein durch zeitgenössische Quellen gestützter historischer Rückblick. Der Glaube an nächtlich auftauchende Blutsauger kommt nicht von ungefähr, sondern hat Wurzeln, die erstaunlich weit zurückreichen. Copper unternimmt den Versuch, ein wenig Licht in das mythische Dunkel zu bringen. Er erinnert an den Drang, für jene Dinge, die der Mensch nicht versteht, eine „Erklärung“ zu konstruieren. Seltsame Krankheiten, merkwürdige Umtriebe an Grabstätten, dazu Vorurteile, üble Nachrede, Dummheit und Furcht bildeten den Nährboden für den Glauben an „Wiedergänger“ und „Nachzehrer“, der in praktisch allen Kulturen präsent war, sich durch alle gesellschaftlichen Schichten zog und die „gebildeten“ Stände keineswegs ausschloss. Der Verfasser präsentiert außerdem „echte“ Vampire – kleine Fledermäuse aus Südamerika – und einen kuriosen Schmetterling, der sich ebenfalls von Blut ernährt. Basil Copper – Der Vampir in Legende, Kunst und Wirklichkeit weiterlesen

Fried, Hel / Lancaster, Peter / Ninge, Joel E. / Först, Lukas / M., Manuel / Uffer, Matthias – Fleisch … und andere Appetitverderber

Leute, Kurzgeschichten sind einfach etwas Feines! Wenn sie von einem guten Autor ersponnen und verbrochen wurden, schaffen sie es in aller Kürze, den Leser zu fesseln und ihn in eine Parallelwelt zu entführen, in die man mal so zwischendurch entfliehen kann. In der Pause auf der Arbeit, beim Thronen auf der Schüssel oder zwischen den einzelnen Sexetappen. Solche Bücher zehre ich, sofern sie entsprechend gut geschrieben wurden, gern unter Volldampf in mich hinein, so dass es auch kein Wunder war, dass ich „Fleisch … und andere Appetitverderber“, eine Shortstory-Compilation des |Eldur|-Verlags, in null Komma nix verdaut hatte.

Siebzehn Geschichten von zehn verschiedenen Autoren, voller Leichenflederei, Sex, Gewalt, Tod, Blut und viel Gedärm; hier wird einem die fette Schlachtplatte |in personae| serviert. Herausragend im eigentlichen Sinne ist bei dieser Sammlung keine Story so recht, da sie alle auf einem ähnlich hohen Niveau kompetent verfasst wurden. Lediglich im Spannungsaufbau und letztendlich im Ekelfaktor stechen einige bestialisch hervor. So zum Beispiel „Der Messi“ von Salem Stoke, der von einem etwas unreinlichen Sammler allen Schrotts erzählt, der in seiner Wohnung aber auch Gütertrennung betreibt. Auch wenn ich dies im Falle von eigentlich zusammengehörigen Gliedmaßen reichlich merkwürdig finde.
Ein weiteres Highlight absoluten Ekels stellt „Das Bad“ dar, in dem der Protagonist für 30.000 Euro in einer Wanne umherschwimmen muss. Genauer gesagt, handelt es sich bei dieser Wanne jedoch um eine Kläranlage, was die Sache schon etwas erschwert und es dem Leser auch wirklich schwierig macht, seine Magensäfte bei sich zu behalten. ‚Widerlich und pervers‘ ist die treffende Umschreibung, doch ’spaßig und köstlich‘ passt in meinen Augen ebenso gut dazu.
Ein Sahnehäubchen des Sex-Gore stellt besonders die Titelgeschichte dar, in der man in der nahen Zukunft menschliches Fleisch für die oralen Bedürfnisse kaufen kann. Ein leicht verschrobenes Pärchen stellt aber noch bizarrere Dinge mit den Klumpen an. Als ob fressen nicht schon reichen würde …

Ich will und muss, denke ich, nicht jede Geschichte im Einzelnen auflisten, da sie sich in ihren Stilistiken sehr homogen zusammenfügen und sich im Schreib- und Lesefluss nicht großartig brechen. Mal werden Psychogramme kranker Seelen gezeichnet („Amputation“, „Ein Schmerz lang glücklich“, „Aeternitas“) und mal gehen die Storys deutlich ins Phantastische („Heinrichs Abendmahl“, „The Love Craft“). All diesen Geschichten ist aber definitiv der extreme Gorefaktor gemein, der manch einem Warmduscher die Kinnlade entgleisen lassen sollte.
Ich für meinen Teil hatte einhundertneunzig Seiten, die sich lesen wie ein paar geile Comics und runtergehen wie reines Olivenöl, puren Spaß.

Das ist nun einmal der Vorteil bei Kurzgeschichten: Die Autoren müssen sich nicht erst großartig Gedanken über einen komplexen Storyaufbau und ausführliche Charakterzeichnungen machen. Compuffter an und uff die Mutti! Genau so liest sich das Material auch.
Also wünsche ich viel Spaß und einen ordentlich fetten Happen verdorbenen Fleisches. Lasst es euch gut munden …

Sträter, Torsten – Postkarten aus der Dunkelheit (Jacks Gutenachtgeschichten 2)

„Postkarten aus der Dunkelheit“ ist Teil zwei der Kurzgeschichtensammlung aus der Feder Torsten Sträters, dessen erster Teil [„Hämoglobin“ 1416 im Jahre 2004 sensationelle Kritiken einheimsen konnte. Nun, was soll ich sagen? Teil eins fand ich schon sehr gelungen, aber stellenweise zu wenig im Bereich der Phantastik angesiedelt. Als hätte mich Herr Sträter in meinem Klagen erhört, erhöht er sogleich den Phantastikfaktor und hämmert einem zwölf ultraextreme Prosamonster vor die Birne, die in ihrer schreiberischen Bildgewalt in Deutschland ihresgleichen suchen. Man nehme als Beispiel die Geschichte ‚Heiliger Krieg: Einer muss es ja machen‘, bei der der Vatikan sich mit Hilfe freiwilliger, heiliger Krieger zum großen Schlagabtausch mit dem Bösen aufmacht. So schlicht sich dieses Grundgerüst auch anhören mag, so deftig heftig explodieren die Worte im Leserkopf. Man kann fast nicht anders und verschluckt Geschichte für Geschichte, in meinem Fall in nur knapp drei Stunden.

Wieder einmal balanciert Sträter seine Storys gut aus, hängt seicht gifttriefende, beißend ironische Geschichten und pure Splatterorgien hintereinander und bekommt so eine exzellent ausgewogene Mischung aus Grusel und purem Horror hin, die von der ersten Seite an fesseln kann. Ob da jetzt Geisterbahnwärter ihre Aufgabe etwas zu genau nehmen oder Luzifer höchstpersönlich in den Berliner Bunkern von zwei ahnungslosen Polizisten erweckt wird, ein Geist in einer Achterbahn verzweifelt darauf wartet, dass sich jemand das Genick bricht, damit ihm seine Seele fortan Gesellschaft leisten kann oder der klassische Serienmörder in ‚Der Kasper will kein Snickers‘ seine Huldigung erfährt – Sträter erweist sich als wahrer Künstler auf der Klaviatur des Grauens. Dabei fliegen einem die Knochenfetzen und Gewebestreifen recht blutig aus den Seiten entgegen, wenn Herr Sträter mit seinem Schreibstil richtig ausholt. Teilweise geht das schon ziemlich weit über meine Definition von Ekelgrenze hinaus, und die liegt bei mir weiß Gott nicht gerade niedrig.

Wer mit dem extrem bildgewaltigen Stil von Torsten Sträter klarkommt und auch mit bärbeißigem und pechschwarzem Humor leben kann, der sollte „Postkarten aus der Dunkelheit“ auf jeden Fall klemmen. Im Vergleich zum Erstling „Hämoglobin“ ist Band zwei eine weitere, einhundertprozentige Steigerung und ich wage es jetzt einmal ganz forsch, Torsten Sträter als den neuen deutschen |king of horror| zu bezeichnen. Für alle Horrorfans ist definitives Zugreifen angesagt.

Torsten Sträter- Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten 1)

Irgendwie ist Torsten Sträter ein kleines Phänomen, seines Zeichens Autor der beiden Kurzgeschichtensammlungen „Hämoglobin“ und „Postkarten aus der Dunkelheit“. Er ist deshalb ein Phänomen, weil er es blind schafft, in kürzester Zeit Schreckensszenarien ungeahnten Ausmaßes zu erschaffen und diese entweder zum guten oder auch zum bitteren Ende hin mit beißender Ironie und jeder Menge pechschwarzen Humors aufzulösen. Sträter holt sich dabei viele Ideen aus zeitgenössischer wie auch klassischer Zelluloidware, zieht sich aber auch Grundgerüste seiner Storys aus dem banalen Alltag. So ist zum Beispiel seine Geschichte ‚Mr. Daniels und ich an der Tankstelle der lebenden Toten‘ eine beißende Parabel auf die heutige Konsumgesellschaft und das Problem des Menschen, als Funktionsobjekt seinen täglichen Gang antreten zu müssen. Auf der anderen Seite steht mit ‚Der Mitbewohner‘ eine klassische Werwolfstory oder mit ‚Der Geruch von Blau‘ eine Geschichte, die dem Vampir sein unsterbliches und grauenvolles Gesicht zurückgibt. Der Protagonist in ‚Jägerlatein‘ gewährt einen kurzen Einblick in seine kranke, dem Wahnsinn verfallenen Psyche.

Anders als in seinem zweiten Band, begibt sich Sträter mit „Hämoglobin“ noch nicht so stark auf die phantastische Seite, sondern verwurzelt seine Kurzgeschichten überwiegend im Hier und Jetzt. Dabei forciert Sträter Kindheitsängste, wie die Angst vor der Dunkelheit oder die Verlustangst, bis ins Endlose und zieht meist sehr unterschwellig, aber letztendlich unaufhaltsam die dramaturgische Schlinge um den Leserhals zu. Die Auflösungen der Storys sind eigentlich immer sehr ironisch und tiefschwarz, wobei sich jeder Zyniker bei Sträter auf der sicheren Seite fühlen dürfte.

Hinzu kommt Sträters in meinen Augen unverwechselbarer Schreibstil, zu dem selbst der Begriff „blumig“ als Umschreibung mehr als untertrieben scheint. Wenn Herr Sträter so richtig loslegt und seine lyrischen Ergüsse durch Splatterfelder und Knochengebirge jagt, könnte Zartbesaiteten schon mal die Magensäure retour aus dem Hals quellen. Liebhaber klassischer Gruselkost sollten also die Finger von Torsten Sträter lassen. „Hämoglobin“ beherbergt zehn hundertprozentige Horrorstorys mit dem Blutgehalt einer Schlachtbank. Dabei werden einem die Bilder durch den hammerharten Schreibstil fast manifest im Kopf geparkt. Mann, was würde ich gerne mal die Verfilmung einer Sträter-Geschichte in der Flimmerkiste sehen! Das geht ganz sicher ab wie Schmitts Katz‘. Allerdings benötigte man dann einen Regisseur, der die leichenfledderige Ironie eins-zu-eins auf sein Medium übertragen könnte. Und da fällt mir leider Gottes kein einziger ein.

Lange Rede, gar kein Sinn: „Hämoglobin“ ist Horror, Spaß, Witz, Ekel und Gore im Überfluss. Zehn fremde Welten, die sich kurz und knapp vor dem geistigen Auge erschließen und einem das Grauen in seiner derbsten Form vorführen. Wer sich auf den sehr eigenen Witz von Torsten Sträter einlassen kann, wird an seiner horriblen Kost sicherlich mehrfach satt werden.
Da sehe ich auch gerne mal über die orthographischen und grammatikalischen Schnitzer hinweg, die mehr als nur einmal auf den Seiten verewigt sind.

Taschenbuch: 184 Seiten

Michel Parry (Hg.) – Raritäten aus des Teufels Küche

Parry Raritäten kleinSammlung von acht klassischen und jüngeren Geschichten, die sich mit Schwarzer Magie befassen. Naturgemäß geht bei der Beschwörung von Dämonen und Teufeln etwas schief, was grässliche Folgen für den unvorsichtigen Zaubermeister zeitigt. Die Storys sind unterhaltsam bis wirklich spannend, sie enden mit einem meist moralischen aber grimmigen Schlussgag. Eine besondere Erwähnung verdient das Titelbild der deutschen Ausgabe, das es so heutzutage wohl nicht mehr gäbe.

Michel Parry (Hg.) – Raritäten aus des Teufels Küche weiterlesen

Rice, Anne – Blackwood Farm

Band neun der nun schon Jahrzehnte umspannenden „Chronik der Vampire“ von Anne Rice halte ich in den Händen. Bereits 2002 in Amerika erschienen und nun auch endlich auf Deutsch erhältlich, wird „Blackwood Farm“ im Klappentext als „einer der besten Romane von Anne Rice“ gepriesen. Anne Rices florierende Buchproduktion ließ in den letzten Jahren qualitativ stark zu wünschen übrig – ewig das Gleiche, war man als Leser versucht zu denken. Da lassen die Vorschusslorbeeren für „Blackwood Farm“ zumindest aufhorchen. Frisch und faszinierend sei das Buch, was den langjährigen Fan ihrer Romane hoffen lässt, da die letzten Teile ihrer Reihe, [„Merrick“ 59 und „Blut und Gold“, an Spannung und Handlung kaum etwas vorzuweisen hatten.

Wer jetzt aber davon ausgeht, dass Anne Rice in ihrem neuesten Werk auf alte Tugenden zurückgreift, der liegt falsch. Weder wird ergründet, wie sich die Ereignisse aus „Merrick“ auf Louis ausgewirkt haben, noch ist unser aller liebster Vampir Lestat der Protagonist der Geschichte. Er kommt marginal in der Rahmenhandlung vor, darf sich väterlich geben und scheint auf seine alten Jahre gutmütig und leutselig geworden zu sein.

Denn eigentlich hatte er New Orleans zu seinem Gebiet erklärt und angedroht, Vampire, die sich dorthin trauen, gnadenlos zu vernichten. Quinn Blackwood, seines Zeichens frischgebackener Untoter, wagt es trotzdem. Für ihn ist Lestat nämlich so etwas wie der Guru der Vampire, was dazu führt, dass er bei ihrer ersten Begegnung ein ziemlich nervtötendes Fanverhalten an den Tag legt. Er hat alle Bücher Lestats gelesen und weiß über die Geschichte der Entstehung der Vampire bestens Bescheid. Der erste Vampir soll nämlich entstanden sein, als ein blutdurstiger Geist in die tödlichen Wunden eines ägyptischen Herrscherpaares eingedrungen war. Das stellt Quinn vor ein gefährliches Problem: Seit frühester Jugend nämlich begleitet ihn ein Doppelgänger in Form des Geistes Goblin. Seit Quinn zum Vampir geworden ist, hat sich auch Goblin verändert. Nachdem Quinn seinen Durst gestillt hat, wird er mit schöner Regelmäßigkeit von Goblin attackiert, der sich seinen Anteil der Blutmahlzeit abholt. Von Mal zu Mal erscheint Goblin stärker und Quinn plagen nun Ängste, ob sich durch Goblin eine neue Rasse von Vampiren entwickeln könnte.

Also wendet er sich an jemanden, der sich damit auskennt: Lestat soll ihm helfen, Goblin zu vernichten, um so eine Gefahr für Mensch und Vampir zu vermeiden. Doch anstatt Quinn zu vernichten, wie Lestat angekündigt hatte, nimmt er ihn unter seine Fittiche, führt mit ihm bedeutungsschwangere Gespräche, freundet sich mit dessen hochbetagter Tante Queen an und gesteht Quinn schlussendlich ziemlich abrupt seine Liebe.

Um Lestat nun genau zu erklären, was es mit diesem Geist auf sich hat, holt Quinn reichlich weit aus, klärt Lestat (und den Leser) zunächst über die komplette Familiengeschichte der Blackwoods auf und ergeht sich dann über mehrere hundert Seiten darin, sein junges Leben Revue passieren zu lassen.

Aufgewachsen ist Klein-Quinn als Einzelkind zwischen lauter Erwachsenen. Diese machten sich also zunächst keine Gedanken über den dazugehörigen Geist Goblin, da sie annahmen, es handle sich um einen eingebildeten Freund. Als steinreicher Erbe von Blackwood Farm entwickelt sich Quinn bald zu einem exzentrischen, egomanischen und geradezu unerträglich naiven jungen Mann. Mehrere Lehrer werden verschlissen, um ihm eine humanistische Bildung angedeihen zu lassen, die obligatorische Grand Tour durch Europa folgt, als er 18 Jahre alt ist und ebenfalls in diesem Alter entbrennt seine Liebe zur kleinen Mona Mayfair, obwohl er einen Tag zuvor noch davon überzeugt war, schwul zu sein. Ganz in der Tradition verklärter Romanzen, packt Quinn seine Liebeserklärungen in schwülstige Worte, versichert immer wieder, Mona heiraten zu wollen und verschwendet nun keine Gedanken mehr an Homosexualität (denn vorher hat er auch schon mal mit Geist Goblin unter der Dusche heiße Sexspielchen getrieben).

Eine gewisse Dynamik kommt in die Geschichte, als Quinn anfängt, das Familiengeheimnis um Sugar Devil Island aufzudecken, auf dem ein altes Haus steht, das offenbar immer noch bewohnt ist. Bei all seinen Besuchen findet er gelesene Taschenbücher vor, Asche im Ofen und – O Wunder! – eine goldgefasste Gruft. Der erfahrene Anne-Rice-Leser weiß nun, was Quinn erst noch schmerzlich erfahren muss; denn natürlich handelt es sich bei dem geheimnisvollen Bewohner des Eilands um einen Vampir.

Die Bewohnerin der Einsiedelei, Petronia – eine Figur ganz nach dem Riceschen Ideal eines Vampirs -, findet Gefallen am jungen Blackwood und fängt an, ihn zu bedrohen und mit ihm zu spielen. Der Ausgang der Geschichte ist klar – Quinn endet als Vampir.

Nach Quinns ausführlicher Biographie werden die letzten fünfzig Seiten noch darauf verwendet, das Geheimnis um seinen Geist zu lösen, diesen unschädlich zu machen und Mona von ihrer geheimnisvollen Krankheit zu heilen. Wo Anne Rice in Quinns Biographie weit ausgeholt und jedes Detail geradezu obsessiv beschrieben hat, wird die eigentlich viel spannendere Rahmenhandlung um Lestat, Quinn und den Geist wie eine unliebsame Aufgabe auf einer Mindestanzahl von Seiten abgehandelt.

„Blood refreshed for Rice“ (Denver Post) oder „a completely fresh story“ (Booklist) tönte die Fachpresse vor der Veröffentlichung in den USA. Und tatsächlich liest sich „Blackwood Farm“ aus verschiedenen Gründen unterhaltsamer als die zwei Vorgänger. Wenn Rice in „Merrick“ noch unerreichbare Dschungellandschaften beschrieb und in „Blut und Gold“ ins alte Rom eintauchte, so sieht sie in ihrem neuesten Roman ein, dass sie nur über ihr Bekanntes auch überzeugend schreiben kann. Die Darstellungen von New Orleans und vor allem dem magischen Blackwood Farm, das nicht nur ein Hort für Geister, sondern auch ein Symbol für Dinge wie Heimat, Geborgenheit und Familie ist, sind so bildlich, dass man sich als Leser förmlich in die Landschaft der Sümpfe um New Orleans versetzt fühlt. Dieses Talent lässt sichtbar nach, wenn sie sich aus dem Umkreis von New Orleans entfernt. Schon Reisen nach New York oder gar nach Italien wirken ungefähr so lebendig wie die Beschreibungen aus einem Reiseführer.

Ein weiterer Vorteil ist ihre Entscheidung, die Geschichte komplett in der Gegenwart anzusiedeln. So werden die Geschehnisse um Quinn Blackwood für den Leser erfahrbarer und es ergibt sich die Möglichkeit, Charaktere aus ihren beiden großen Serien, nämlich der „Chronik der Vampire“ und den „Mayfair“-Romanen miteinander zu verknüpfen. Wirkte dieser Versuch eines Crossovers in „Merrick“ bemüht und wenig durch die Geschichte determiniert, so erscheint es hier nur logisch, beide Familien zusammenzuführen und in einem Roman zu verweben.

Allerdings erreicht „Blackwood Farm“ lange nicht die Qualität ihrer ersten Bücher, vor allem [„Interview mit einem Vampir“ 68 und „Der Fürst der Finsternis“. In den letzten Jahren darauf verfallen, nur noch Vampir-Biographien zu verfassen, verfährt sie auch hier wie gehabt nach Schema F: Man nehme eine kurze Rahmenhandlung, setze zwei Vampire an einen Tisch und bringe einen von ihnen dazu, seine gesamte Lebensgeschichte zu rekurrieren. Vampir Nummer zwei ist zum Schweigen verurteilt, bis auf den höchstens letzten fünfzig Seiten die Rahmenhandlung wieder aufgegriffen und fix zu einem Ende gebracht wird. Noch zu beachten ist dabei, dass aufeinander folgende Bücher in keinem Fall aneinander anknüpfen dürfen. In dem Sinne bietet auch „Blackwood Farm“ nichts Neues und besonders beim erfahrenen Rice-Leser setzen daher bald Ermüdungserscheinungen ein.

Auch Quinn Blackwood wird dem Durchschnittsleser kaum nahe zu bringen sein. Seine anerzogene Exzentrik, seine Annahme, mit Geld alles lösen zu können und sein schwülstig-naiver Versuch, das Leben zu meistern, stoßen bestenfalls auf Unverständnis. Zwar möchte man ihm von Zeit zu Zeit über den Kopf streichen und ihm einen guten Rat geben, jedoch wird man den Gedanken nicht los, dass ein beherzter Tritt in den Allerwertesten ihm vielleicht einen besseren Dienst erweisen würde. Er passt damit genau in das Muster eines Charakters nach Riceschem Vorbild, da sie es offensichtlich mag, mit plakativen Stereotypen zu arbeiten. So sind ihre Helden reich und schön, und zwar so reich und schön, dass es außerhalb jeder Realität liegt. Quinn wirft mit dem Geld nur so um sich und hat mal ganz nebenbei mehrere Tausend Dollar in der sprichwörtlichen Zuckerdose liegen. Zwar mag Quinns sorgloser Umgang mit Geld beim Leser ein kurzes „hach, wenn ich nur so viel Geld hätte“, hervorrufen, doch auf lange Sicht ist sein dekadenter Lebensstil ein echtes Manko des Romans.

Somit krankt Anne Rice letztes Buch weiterhin an ihrem festgefahrenen Schreibschema und an der Tatsache, dass in früheren Büchern begonnene Handlungsstränge einfach nicht weitergeführt werden. Fans der Mayfair-Chroniken dagegen werden sich freuen, Rowan und Mona Mayfair sowie Michael Curry wiederzutreffen. Sogar Juliens Geist hat einen Auftritt und trinkt mit Quinn Kakao.

Doch „Blackwood Farm“ ist dennoch ein unterhaltsames Lesevergnügen – oder zumindest eines der besseren Rice-Bücher der letzten Jahre, vor allem durch die große Anzahl neuer, unverbrauchter Charaktere, die der eingefahrenen Riceschen Buchproduktion neuen Pepp verleihen. Und obwohl außerdem Charaktere aus ihren beiden großen Romanreihen fast unkommentiert eingeführt werden, sollte die Lektüre auch für Neueinsteiger gut zu bewältigen sein. Das plötzliche Auftauchen einiger Mayfairs macht höchstens neugierig auf die dazugehörigen Romane, einem Verständnis der Gesamthandlung wirken sie aber nicht entgegen. Nicht zuletzt ist „Blackwood Farm“ ein groß angelegter Schmöker – die fast 700 Seiten dürften selbst schnelle Leser für eine Weile beschäftigen.

Der neue große Coup ist Anne Rice nicht gelungen. Weiterhin sind ihre ersten Romane auch ihre stärksten und es scheint, sie werde ihrer Vampire langsam müde. Und so wurde 2004 auch das momentan letzte Buch aus der Reihe veröffentlicht, nämlich „Blood Canticle“ (in Deutschland noch nicht erschienen). Die Vampirchroniken werden also geschlossen und man darf gespannt sein, welchem Thema sich Anne Rice als nächstes zuwenden wird.

http://www.annerice.com/

Wilson, Justine – Blood Angel

Kaum gelingt Nachwuchs-Maltalent Jessamy Shepard aus New York der künstlerische Durchbruch, da stellt sich gleich ein ungebetener „Fan“ ein, der sich einfach nicht abschütteln lässt. Aber Jessamy irrt; kein lästiger Lüstling ist dieser Kai Youngblood, sondern ein prominentes Mitglied der „Sajae“, jener Gruppe fast unsterblichen Wächter, die seit Urzeiten neben den Menschen leben und mit magischen Fähigkeiten die „Traumfelder“ bewachen. Übergänge zwischen diversen Dimensionen sind dies, die immer wieder gern von fiesen Dämonen genutzt werden, die sich auf die Erde schleichen und dort viel Flurschaden anrichten.

Die schlimmste dieser Kreaturen ist Bakal Ashika, genannt Asha. Einst war sie eine junge Sajae-Sklavin, die sich das Wissen ihrer Herren aneignete, dann einen besonders üblen Dämonen ins Hirn lud und die Sajae zu vernichten trachtete. Viele Jahre tobte der Kampf, bis er Anno 1399 mit der Niederlage Ashas endete. Doch sie starb nicht, sondern konnte nur verbannt werden. Jetzt ist sie wieder da und begieriger denn je, die Welt zu zerstören.

Dazu benötigt sie zwei Dinge: die geistige Energie der Nachfolgerin jenes Sajae, der ihr einst den Rest gab, und die Kraft des „Engels“, dessen dieser sich dabei bediente. Die eine schlummert in der ahnungslosen Jessamy, die andere überdauerte im Körper des gedächtnislosen Teenagers Ramsey Doe. Diese beiden Menschen will sich Asha fangen, aber zumindest Jess entkommt ihren Schergen und wird von Youngblood aufgenommen. Mit Unterstützung des „gezähmten“ Dämonen Delkor Lokk bildet er sie in einem Sajae-Crashkurs zum weiblichen Heiland aus, der gegen Asha antreten kann. Doch diese – obwohl wahrlich nicht die Hellste – nutzt die derzeitige Schwäche der Wächter, unter denen zudem ein Verräter wühlt. Trotz verzweifelter Gegenmaßnahmen (die auch die Rekrutierung einer Rotte von den Toten erweckter „Hell’s Angels“-Rocker einschließt) der Verteidiger gewinnt Asha die Oberhand und gibt den Startschuss zum Ende der Welt …

Unbefangenheit ist für einen debütierenden Schriftsteller ein feine Sache. Man schreibt den ersten Roman frech & frei und mit nur vagen Vorstellungen davon, was schief gehen könnte. Gut so, denn wie übel man sich blamieren kann, das lehrt uns die Lektüre von „Blood Angel“, einem Mystery-Thriller, bei dem so ziemlich alles misslungen ist, was misslingen konnte.

Wo soll man anfangen mit der Kritik? Der Rezensent dreht sich im Kreise, zumal dieser „Roman“ sich ihm quasi mit dargebotener Kehle präsentiert. Alle drei Teile von „God’s Army“ gesehen und vom „Exorzisten“ zumindest gehört: Ob das zum Beispiel das Ausmaß der Recherche beschreibt, die Wilson für dieses Machwerk getrieben hat? Statt Vampire und Werwölfe treiben dieses Mal also Engel und Dämonen ihr Unwesen. Ein biblischer Hintergrund kann unter der literarischen Herrschaft von König Dan Brown dem I. (und hoffentlich Einzigen) nie schaden. Das alte Buch der Bücher taugt prima als Steinbruch für pseudo-sakrales Gewese mit Ehrfurchts-Schauder-Garantie.

Aber auch der skeptische Leser will überzeugt werden. Also konstruiert Wilson ein „wissenschaftliches“ Gefüge aus parallelen Welten (Science-Fiction kann den Genremischmasch nur schärfer würzen), in denen besagte Engel, Dämonen und ähnliche Überwesen hausen. Um die Geschichte in Gang zu bringen, postuliert die Verfasserin „Übergänge“ zwischen den Sphären, was allerlei finsteres Gruselpack nutzt, die Erde zu besuchen.

Selbstverständlich gibt es einen uralten Wächterorden, der diese Passagen überwacht und sich dabei so plumpfüßig weihevoll gibt wie die uns bekannten Jedi-Ritter. Auch eine „Macht“ – hier „Maga“ genannt – darf nicht fehlen. Weitschweifig und mit inbrünstigem Eifer erläutert uns Wilson ihr Konzept, das es an Dummschwurbeligkeit mit jedem New-Age-Geschwafel locker aufnimmt. Jedes Blättchen, das die Autorin greifen konnte, wird vom Mythenbaum gepflückt und in den Plotbrei gerührt; es entstand eine fade, geschmacklose Masse mit dicken Klumpen geballter Einfältigkeit, die den Leser würgen lassen.

Die eigentliche „Story“ lässt sich in einem Satz erzählen. Auf mehr als 400 (großzügig bedruckten) Seiten wird sie gnadenlos und absolut ironiefrei breit getreten. Eindimensionale Traumsequenzen, schwafelige Prophezeiungen gar grausiger Ereignisse, die zu Lachstürmen reizen, jämmerlich verdruckste Einschübe „perverser“ Dämonendekadenz und andere Überflüssigkeiten lassen die Handlung zusätzlich immer wieder stocken. Muss hinzugefügt werden, dass Wilsons Finale zwar als beklemmende Vision des Weltendes geplant war, in der Umsetzung jedoch nur ein fundamentalistisches Höllengetöse auf Kasperletheater-Niveau gelang?

Selbstverständlich fehlt nicht das offene Ende: Die böse Asha beißt zwar ins Gras, aber ihr Statthalter entkommt. Auf der letzten Seite sehen wir ihn schon wieder zu neuen Ränken ansetzen. Ob das eine Fortsetzung bedeutet? Das wäre freilich eine Rache, die man der tumben Asha in dieser Grausamkeit nicht zugetraut hätte …

Dem ganz und gar ungeplant schaurigem Getümmel entspricht eine schauderhafte Figurenzeichnung. Da gibt es nur eine halbwegs interessante Person, und das ist ein schleimig-intriganter Dämon, der die ganze Mischpoke der „Guten“ mit Bedacht an der Nase herumführt. Eine Welt, die von blutleeren Langweilern wie den Sajae bewacht wird, hat ihren Untergang allemal verdient. Wenn der weise Kai Youngblood – „sprechende“ Namen, deren Bedeutung wie Zaunpfähle auf des Lesers Schädel niedersausen, sind eine Spezialität Wilsons; so heißt Jessamy, die Rettung der Welt, selbstverständlich „Shepard“ – wieder einmal in kryptischen Andeutungen von „Bestimmung“ und „Schicksal“ faselt, möchte man ihm tüchtig in den Hintern treten, damit er endlich auf den Punkt kommt. Geschieht dies endlich, schafft es auch keine Zufriedenheit, weil da nichts ist, das Geheimnistuerei rechtfertigen würde.

Aus dem Reich der Menschen stoßen als Identifikationsfiguren eine Frau (schön, jung, schön, maßvoll selbstbewusst, schön & “Mr. Right” – und nur ihm! – jederzeit aufgeschlossen) und ein Teenager (schnuckeliger Superskater, aber – oh Weh! – Vollwaise) zu den Sajae. Ausgerechnet in ihren Hinterköpfen rumort leise die Macht, welche der Dämonin den Hals brechen könnte, aber sie muss erst geweckt werden, was viele, viele, viele Diskussionen zwischen „Schüler“ und „Meister“ und endlose Trainingslektionen in Sachen Schweben & Feuerballwerfen zur Folge hat.

Oft tragen in solchen verquasten „New Testament Reloaded“-Storys wenigstens die Bösen zum Unterhaltungswert bei. Da sei hier Wilson vor, die mit Bakal Ashika eine grotesk spießige Weltenzerstörerin ins Feld schickt. Gar fürchterbar will die schöne, aber unerbittliche „Asha“ uraltes Unrecht rächen. Was hat sie dann vor mit der Welt, die sie an sich reißen will? Männer will sie kopfüber an Telegrafenmasten nageln, andere Pechvögel durch das Hinterteil verbluten lassen. So geht das weiter, eine Liste naiver Kinderbibel-Grausamkeiten, die deutlich verraten, dass Asha in den fünf Jahrhunderten ihres Exils rein gar nichts dazugelernt hat und weiter in ihrer infantilen Vorzeithölle haust. In der „Realität“ des 21. Jahrhunderts wirkt sie nicht Furcht erregend, sondern lächerlich, womit sie immerhin – hier schließt sich der Kreis – perfekt in das Ensemble und einen weiteren Schuss-in-den-Ofen-Bestseller passt.

Aus unerfindlichen Gründen erscheint die deutsche Ausgabe von „Blood Angel“ vier Monate vor der nordamerikanischen. Ob dies ein Indiz für die fortschreitende Globalisierung des Buchgeschäfts ist? Oder sollen rasch die europäischen Gruselfreunde abgezockt werden, bevor kritische Stimmen von jenseits des Atlantiks laut werden? Diese werden nicht ausbleiben – und vielleicht lösen sie auch das Rätsel, wieso die Verfasserin (über die weiter nichts bekannt ist oder sein müsste) hierzulande als „Justine Wilson“ verkauft wird, während in den USA „Justine Musk“ auf dem Cover steht. (Es gibt ein Online-„Interview“, das im Auftrag des |Knaur|-Verlags und zu Werbezwecken mit Musk-Wilson geführt wurde. Es lohnt jedoch nicht, einen entsprechenden Link zu legen, da hier mit vielen, vielen Worten rein gar nichts Relevantes berichtet wird außer der Tatsache, dass „Blood Angel“ das Erstlingswerk einer fleißigen Schreibwerkstattbesucherin ist.)

Festa, Frank (Hg.) – Saat des Cthulhu, Die

Frank Festa: Vorwort, S. 7-10

Ramsey Campbell: „Schriftlich“ („Cold Print“, 1969), S. 11-30: Ein prügelfreudiger & pornografischer Lehrer findet in einem Hinterhof-Buchladen einen schmuddeligen Schatz – und den großen Cthulhu, der seinen neuen und unfreiwilligen Jünger freudig in die Tentakeln schließt …

Christian von Aster: „Yamasai“ (1999), S. 31-46: Auf Neuguinea hütet ein steinzeitlicher Stamm das düstere Geheimnis eines Urzeitwesens, das weitaus Schlimmeres treibt als Menschen umzubringen …

Kim Newman: „Der große Fisch“ („The Big Fish“, 1993), S. 47-86: Privatdetektiv Philip Marlow fahndet nach einem verschwundenen Vater und seinem Söhnchen, die er ausgerechnet im Kreise froschköpfiger Cthulhu-Anhänger findet …

Thomas Ligotti: „Harlekins letzte Feier“ („The Last Feast of Harlequin“, 1991), S. 87-134: In einem abgelegenen Ort haben die Bürger ihren eigenen Weg gefunden, die allzu nahe Nachbarschaft unliebsamer Mitbewohner zu verdrängen; ein neugieriger Forscher von „draußen“ schaut hinter die Tarnung und lernt mehr, als er verkraften kann …

Jens Schumacher: „Der Hügel von Vhth“ (1996/99), S. 135-178: In einer verfallenen Hafenstadt sucht der Historiker ein altes Zauberbuch. Er findet es – und im eisigen Meereswasser das unfreundliche Subjekt, über das da geschrieben wurde …

F. Paul Wilson: „Hinter dem Schleier“ („The Barrens“, 1990), S. 179-248: In einem abgelegenen Winkel des US-Staates New Jersey finden ein Privatforscher und seine allzu hilfsbereite Gefährtin einen „Nexus“, der diese Erde mit einer anderen, ebenso faszinierenden wie furchtbaren Welt verbindet, welche neugierige Besucher buchstäblich mit offenen Tentakelarmen empfängt …

Brian McNaughton: „Das Verderben, das über Innsmouth kam“ („The Doom That Came to Innsmouth“, 1999), S. 249-284: Vor sieben Jahrzehnten hat die US-Regierung versucht, die Cthulhu-Hochburg Innsmouth vom Erdboden zu tilgen. Es misslang, und nun sammeln sich die Nachfahren der damals vertriebenen Bürger mit dem typischen „Froschlook“, um uralte Traditionen aufleben zu lassen …

H. P. Lovecraft (1890-1937) gehört zu den wenigen Schriftstellern, denen die Erschaffung eines echten Kultes gelang. Die Cthulhu-Mär begann sich schon zu seinen Lebzeiten zu verselbstständigen. Ihren Schöpfer überlebte sie leicht, begann stattdessen zu wachsen, Seitentriebe auszubilden, sich zu verzweigen – oder anders ausgedrückt: Zahllose Lovecraft-Kollegen eiferten dem Meister nach und dachten sich neue Cthulhu-Untaten aus. Dabei half ihnen Lovecrafts ureigener, altertümlicher, von Fremdwörtern und Adjektiven überwucherter Schreibstil, der ihn gleichzeitig unverwechselbar und leicht imitierbar macht.

Wie Herausgeber Frank Festa in seinem knappen aber kundigen Vorwort erläutert, gliedern sich Lovecrafts Epigonen in drei Kategorien. Da ist der reine Kopist, der seinen Ehrgeiz daran setzt, das Vorbild in Handlung, Wortwahl und vor allem Stimmung zu „klonen“. Zur zweiten Gruppe zählen jene, die sich noch eng an Lovecraft halten, mit seinen Vorgaben jedoch zu „spielen“ beginnen. Noch einen Schritt weiter gehen die Angehörigen von Gruppe 3; sie lösen sich völlig vom Original, führen Cthulhu aus seiner urzeitlich-unterseeischen Abgeschiedenheit heraus und integrieren ihn in das reale Grausen der wirklichen, modernen Welt.

Herausgeber [Festa]http://www.festa-verlag.de/ nimmt für sich in Anspruch, nur Repräsentanten der Gruppen 2 und 3 in seine Sammlung aufgenommen zu haben. Die Übergänge sind indes fließend, das muss man ihm jedoch zugestehen. Tatsächlich sprechen die sieben hier vorgestellten Autoren mehr (Campbell, Ligotti, McNaughton) oder weniger (von Aster, Schumacher) mit eigenen Stimmen. (Newman und Wilson könnte man dagegen eher als „neutral“ bezeichnen.)

Ramsey Campbell (geb. 1946) legt eine der für ihn typischen Kurzgeschichten vor, in denen sich das Grauen fast unmerklich in den Alltag einschleicht. Da dieser meisterhaft so grau und öde dargestellt wird, wie dies kaum einem anderen Autoren gelingt, müsste der Tod im Grunde eine Erlösung für den Campbell-typisch seelisch verkümmerten und beschädigten „Helden“ bedeuten – dem ist ganz und gar nicht so, stattdessen ist sein Ende bitter und schmutzig; das Leben kennt halt keine Gewinner. Herausgeber Festa weist in seiner Einleitung zu dieser Story auf den sexuellen Aspekt des schleimig-fischigen Cthulhu-Monstrums mit den vielen bezahnten Körperöffnungen hin; der alte Lovecraft hatte offensichtlich einige Zwangsvorstellungen literarisch zu verarbeiten …

Kim Newman (geb. 1959), der Schöpfer der genialen [„Anno Dracula“-Parallelwelt, 1184 weiß dieses Mal kaum zu überzeugen. Während die Verknüpfung der Story mit dem Lovecraft-Werk akkurat gelungen ist, passen die typischen sarkastischen Schnüffler-Sprüche gar nicht ins eher gruselsteife Cthulhuversum. Übler ist dem Verfasser allerdings das abrupte Ende der Handlung anzukreiden, welches diese Story eher als Entwurf oder Kapitel eines größeren Werkes erscheinen lassen.

An einer modernisierten Wiederbelebung des alten Lovecraft-Szenarios vom allzu neugierigen Forscher, der in unheimlicher Umgebung mehr erfährt als er wissen wollte, versucht sich F. Paul Wilson (geb. 1946) mit „Hinter dem Schleier“. Der Verfasser ist durch seine Romane um den „Repairman Jack“ bekannt geworden, der sich ebenfalls in einer Welt sieht, die mit dem Übernatürlichen in Kontakt steht. Seine hier präsentierte Story fesselt nicht durch originelle Ideen, sondern durch die gelungene Umsetzung. Die Pine Barrens – eine Art weißer Fleck auf der Landkarte der USA – bilden eine eindrucksvolle, von Wilson behutsam und farbig in Szene gesetzte Kulisse mit kauzigen, aber nicht als tumbe Hinterwäldler bloßgestellten Bewohnern. Das Grauen entwickelt sich stimmungsvoll und endet in einem turbulenten Finale, dem sich ein lovecraftscher Schlussgag anschließt: Cthulhu lässt nicht mehr locker, hat er dich erst einmal am Schlafittchen.

Eine eigene Erwähnung verdienen die beiden deutschen Autoren, die in dieser Sammlung vertreten sind. Es ist dem regelmäßigen Lovecraft-Leser sicherlich, dem reinen Fan aber vielleicht weniger bekannt, dass der Meister und sein Geschöpf auch hierzulande manchen Autoren veranlasst, seinen Beitrag zum Cthulhu-Mythos zu leisten (oder es wenigstens zu versuchen). Christian von Aster (geb. 1973), der als Geheimtipp der hiesigen Phantastik-Szene gehandelt wird, legt mit „Yamasai“ eine handwerklich sehr schön geschriebene, aber letztlich auf den Schlusseffekt konstruierte Story vor, den man überzeugend finden kann, jedoch keineswegs muss, worauf die Geschichte förmlich versandet.

Auch Jens Schumacher (geb. 1974) nimmt sehr durch sein handwerkliches Geschick ein, das so viele Autoren, die sich in der (deutschen) Phantastik tummeln, schmerzlich vermissen lassen. Die ausgetüftelste Story muss verenden, wo blinder schriftstellerischer Eifer mit stilistischem Unvermögen und grammatikalischer Ignoranz zusammenfließen – eine Kombination, die längst nicht nur bei fannischen Feierabendproduktionen zu beobachten und dort entschuldbar ist, sondern vermehrt auch „richtige“ Buch- und Heftromane brandmarkt.

„Der Hügel von Vhth“ ist als Geschichte zwar hart an der Grenze zur Imitation – die Handlung folgt ausgesprochen eng dem Lovecraft-Novellenklassiker „The Shadow Over Innsmouth“ (1936; dt. [„Schatten über Innsmouth“) 506 -, kann aber durch die ebenso behutsam wie gelungen nachempfundene Atmosphäre einer klassischen Cthulhu-Story bis zum (typischen) Finale fesseln.

Gleich im Anschluss zeigt uns Brian McNaughton (1936-2004), wie man es wirklich gut macht. Auch er wählt sich „The Shadow Over Innsmouth“, doch er variiert nicht, sondern schreibt eine „Fortsetzung“. 1928 ließ Lovecraft die US-Regierung das Pestloch Innsmouth ausräuchern, die Bewohner austilgen, einsperren, vertreiben. Wie hätte es weitergehen können? Was geschah mit denen, die der großen Abrechnung entkamen? McNaughton beschreibt es ebenso spannend wie witzig aus der Sicht eines Betroffenen. Für Lovecraft waren Cthulhus Diener stets degenerierte, von Verdammnis gezeichnete Kreaturen. Hier lernen wir den Monsterjünger von nebenan kennen, in dessen Froschschädel recht profane Gedanken gewälzt werden. McNaughtons witzige Einfälle runden die Story perfekt ab. Wer hätte gedacht, dass US-Präsident John F. Kennedy sich für den „Innsmouth-Zwischenfall“ in einer (glänzend zitierten, natürlich fiktiven) Rede entschuldigt hat oder mit markanten Gesichtszügen ausgestattete historische Prominenz wie Gloria Swanson, die Geliebte des Kennedy-Vaters, der Schauspieler Edward G. Robinson („Der kleine Cäsar“) und FBI-Chef J. Edgar Hoover zu den Innsmouth-Leuten gehörten? „Das Verderben, das über Innsmouth kam“ ist in der Mischung aus Lovecraft & McNaughton die beste Geschichte dieser fabelhaften, endlich wieder aufgelegten Sammlung. (Nebenbei: Kommt denn das Verderben „nach“ oder „über“ Innsmouth? Inhaltsverzeichnis und Haupttext sind sich da uneinig …)

Harris, Charlaine – Club Dead

„Club Dead“ ist mittlerweile schon der dritte auf Deutsch erschienene Roman von Charlaine Harris um die Kellnerin Sookie Stackhouse (in den USA sind bereits fünf Bände der Serie zu haben). Sookie ist eigentlich ein Durchschnittstyp. Okay, sie ist offensichtlich recht attraktiv und weiß ihre langen blonden Haare und ihre gute Figur zu ihrem Vorteil einzusetzen, doch ansonsten gibt es eher wenig, was sie für den Leser auf Anhieb interessant macht: Sie hat nur eine minimale Schulbildung, lernt neue Vokabeln aus einem Abreißkalender und verdient ihr Geld als Kellnerin in einer Bar in dem Pronvinzkaff Bon Temps. Doch Sookie hat auch ihre faszinierende Seite: Sie kann nämlich Gedanken lesen und ihr Freund ist ein Vampir. In den beiden vorangegangenen Bänden, [„Vorübergehend tot“ 788 und „Untot in Dallas“, durfte die geneigte Leserin erfahren, wie Bill – nämlicher Vampir – und Sookie sich kennen lernten, sich näher und schließlich zusammenkamen, wie Sookies Gedankenleserei funktioniert und dass Vampire ganz normale Bürger in den USA sind. Hier im dritten Band hat sich also Harris‘ mit Vampiren und anderem übernatürlichem Getier bevölkerte Welt schon etabliert und so kann sich die Autorin voll und ganz auf ihre Charaktere und die Handlung konzentrieren.

In [„Untot in Dallas“ 939 verließen wir Sookie und Bill in trauter Zweisamkeit. Doch in „Club Dead“ ziehen die ersten Regenwolken am Horizont auf. Der biedere Bill, der Sookie bisher mit Liebesbeweisen überschüttet hat und eigentlich schon viel zu aufmerksam für einen heterosexuellen Mann in einer festen Beziehung ist, entwickelt sich nun schlagartig zum typischen Boyfriend: Er sitzt nur noch zu Hause, starrt auf seinen Computer und würdigt Sookie kaum noch eines Blickes. Die ist ziemlich angenervt und auch seine Erklärung, dass er von der Vampirkönigin mit einem Spezialauftrag bedacht wurde, kann sie nicht vertrösten. Dann muss Bill auch noch die Stadt verlassen und hinterlässt Sookie seltsame Anordnungen für den Fall seines Ablebens.

Es kommt, wie es kommen muss. Ein paar Wochen später taucht Eric bei Sookie auf – in der Vampirhierarchie Bills direkter Vorgesetzter – um ihr zu erklären, dass Bill vermisst wird. Sookie, die sich nicht ganz sicher ist, ob sie auf Bill sauer oder um ihn besorgt sein soll, beschließt, ihn ausfindig zu machen und dazu ihre Gedankenleserei einzusetzen. So schickt Eric sie nach Jackson in den Club Dead, damit sie sich dort in den Gedanken der Besucher umhören und vielleicht einen Hinweis auf Bills Verbleib erhaschen kann. Natürlich geht dieser Plan schon bei der erstbesten Gelegenheit schief und Sookie muss sich, wie immer, mit Untoten, Irren, Leichen und Werwölfen rumschlagen. Und als sie Bill dann endlich gegenübersteht, muss sie erst einmal herausfinden, ob sie ihn überhaupt noch will …

Wer am Ende von „Untot in Dallas“ dachte, Sookies und Bills Beziehung würde nun immer so idyllisch weitergehen, der hat aufs falsche Pferd gesetzt. Und mal ehrlich, so zuckersüß, wie es bei den beiden zuging, hätte der Durchschnittsleser nach vier Bänden Diabetis entwickelt. Dass sie jetzt wie jedes andere Paar auch mit dem Fluch des Alltags kämpfen müssen, bringt Schwung in ihre überirdische Beziehung und macht gleichzeitig Platz für andere Charaktere, die um Sookie buhlen dürfen. Da wäre zunächst der Vampir Eric, der schon in den letzten beiden Romanen auftauchte und mit seinen selbstbewussten Flirtversuchen und großem Sexappeal jedes Leserinnenherz höher schlagen lassen dürfte. Eric darf in „Club Dead“ viel mehr Zeit mit Sookie verbringen, und auch wenn diese seine Avancen immer wieder unterbinden will, spürt man in diesen Szenen ganz besonders das erotische Knistern zwischen den beiden. Und zum anderen wäre da noch der Werwolf Alcide, der sie in Jacksons Szene einführen soll. Nun erinnert Alcide zwar mit seiner grundsoliden, überaus netten Art sehr an einen ganz ähnlich angelegten Werwolf aus der Romanserie von Laurell K. Hamilton, doch bleibt Sookie ihrem Bill treu, selbst wenn sie stinkwütend auf ihn ist. So hält sich der erotische Overkill in Grenzen, auch wenn Alcide und Sookie in Jackson als Pärchen auftreten, um möglichst unverdächtig zu wirken.

Nun, es ist ziemlich klar, dass Sookie Bill am Ende der Geschichte finden und retten muss. Viel interessanter ist also, wie sie ihren Lover tatsächlich ausfindig macht und ihn aus den Fängen seiner Ex-Geliebten rettet. Wie immer gibt es viele Einblicke in die sozialen Vampirstrukturen und als Bonus kommt natürlich auch Bubba wieder vor (Leser der Serie werden wissen, wer hier gemeint ist – schließlich reagiert er auf seinen wahren Namen recht allergisch). „Club Dead“ erreicht zwar nicht den Grad an Action, den Harris noch in „Untot in Dallas“ aufgefahren hat, doch bietet der Roman eine ausgewogene Mischung aus Action, Mystery, Krimi, Horror und Erotik.

Die Übersetzung verbessert sich mit jedem neuen Roman aus der Serie merklich, was das Lesevergnügen ungemein steigert. Überhaupt, das Lesevergnügen: „Club Dead“ ist ein unterhaltsamer Schmöker, ein wunderbares Buch zum Abschalten mit genau dem Genremix, der besonders weibliche Leser ansprechen wird. Leider sieht man diesmal recht wenig von Bill, doch kann Eric den Verlust mit seiner lässigen Art mehr als wettmachen. Besonders Fans seines Charakters werden diesmal also auf ihre Kosten kommen.

Kurzum: „Club Dead“ wird Fans der Serie nicht enttäuschen!

|Originaltitel: Club Dead
Aus dem Englischen übertragen von: Dorothee Danzmann|

Newman, Kim – rote Baron, Der: Anno Dracula 1918

Ende des 19. Jahrhunderts war es Dracula, dem Erz-Vampir aus dem fernen Transsylvanien, gelungen, Königin Victoria von Britannien durch den „dunklen Kuss“ zu seiner untoten Sklavin zu machen und als Prinzgemahl die Kontrolle über das britische Weltreich an sich zu reißen. Unter seiner Herrschaft breitete sich der Vampirismus über alle gesellschaftlichen Schichten aus, nachdem bekannt wurde, dass der „Kuss“ ein praktisch ewiges „Leben“ garantierte. Dracula verwandelte Britannien in eine brutale Diktatur, deren Geschicke er – unterstützt von seinen „Kindern“, die er an den Schaltstellen der Macht strategisch günstig platzierte – mit eisernem Willen lenkte. In den späten Achtzigerjahren formierte sich eine Widerstandsbewegung, der es schließlich gelang, den Tyrannen vom Thron zu stoßen.

Dracula entkam den britischen Revolutionären; er floh auf den Kontinent, wo er umgehend damit begann, die verlorene Macht zurückzugewinnen. Während er von Königshaus zu Königshaus wanderte, verwandelte er die gekrönten Häupter Europas allmählich in Untote. 1905 schlug Draculas große Stunde, als er einen Bundesgenossen fand, der sich als idealer Strohmann erwies: Wilhelm II., deutscher Kaiser, der seinerseits von einem Weltreich träumte und bereit war, Deutschland wenn nötig mit Waffengewalt einen „Platz an der Sonne“ neben Britannien, Frankreich, Österreich-Ungarn und den anderen europäischen Groß- und Kolonialmächten zu verschaffen. Dracula wurde Wilhelms Vertrauter und stieg bis 1914 zum Kanzler des Deutschen Reiches und Oberbefehlshaber der Streitkräfte auf.

Im Zuge seiner Expansionspläne erklärte Wilhelm II. 1914 dem Balkanstaat Serbien den Krieg. Bündnisverträge und Beistandspakte lösten einen Domino-Effekt aus, der nach und nach sämtliche Staaten Europas in den Konflikt zog, der sich, als die Vereinigten Staaten an die Seite ihrer europäischen Verbündeten traten, schließlich zu einem Weltkrieg auswuchs.

Im Frühjahr des Jahres 1918 tobt der Krieg mit unverminderter Härte. Besonders im Westen sprengt das Morden jede Vorstellungskraft. Die Front zieht sich quer durch Holland, Belgien und Frankreich. Um ihren Verlauf wird von der Entente (Britannien und Frankreich und ihre Verbündeten) und den Mittelmächten (Deutschland und Österreich-Ungarn mit ihren Bundesgenossen) gleichermaßen erbittert wie erfolglos gerungen. Der Krieg hat sich in einen Grabenkampf verwandelt, der warmblütigen wie untoten Soldaten täglich zu Tausenden das Leben kostet.

In dieses Pandämonium wagt sich Charles Beauregard, ein hochrangiges Mitglied des britischen Geheimdienstes. Agenten haben herausgefunden, dass Dracula auf dem Château du Malinbois im deutsch besetzten Teil Frankreichs eine Geheimwaffe entwickeln lässt: Hier ist das berühmte deutsche Jagdgeschwader 1 – der „Fliegende Zirkus“ des Flieger-Asses Manfred von Richthofen – stationiert. Diese Elite ist Objekt eines bizarren Experiments. Unter der Leitung des fanatischen Arztes ten Brincken arbeitet ein Team von Wissenschaftlern daran, in den Fliegern jene gestaltwandlerischen Kräfte zu wecken und zu entwickeln, die sämtliche Untote zumindest latent besitzen. Das Projekt ist erfolgreich; die Angehörigen des JG1 können sich in gigantische, fledermausartige Flugwesen verwandeln, die an Kraft und Wendigkeit jedem Flugzeug weit überlegen sind. Im Frühjahr des Jahres 1918 behaupten sie den Luftraum über dem Château du Malinbois. Dennoch kann Beauregard ein noch größeres Geheimnis lüften: Das Schloss wird Draculas Befehlszentrale sein, von der aus er eine unmittelbar bevorstehende, gigantische deutsche Offensive leiten wird …

Eine ausführliche Inhaltsangabe, die dennoch nur einen Abriss der Handlung darstellt: Schon die Schwierigkeit, den Inhalt des Romans „Der rote Baron“ auch nur annähernd zu beschreiben, belegt eindrucksvoll, welches komplexe und in jeder Hinsicht reiche Werk dem amerikanischen Schriftsteller Kim Newman (geb. 1959) gelungen ist – und dies bereits zum zweiten Mal, stellt „Der rote Baron – Anno Dracula 1918“ doch die (lose) Fortsetzung von „Anno Dracula“ dar, das im Britannien des Jahres 1888 spielte. In diesem ersten Band treffen wir an prominenter Stelle einen noch jungen, energischen Charles Beauregard, der sich der Revolution gegen den Fürsten der Untoten anschließt und bei der Vertreibung Draculas eine entscheidende Rolle spielt. Drei Jahrzehnte später ist es erneut (ein stark gealterter) Beauregard, der sich bemüht, den Grafen zu stoppen, der sein böses Spiel nun mit dem Deutschen Reich treibt und die gesamte Welt in einen Krieg stürzt.

Man sieht: Wir haben es hier nicht mit einem altmodischen, aristokratisch-bleichen Blutsauger zu tun, der ein rotgefüttertes Cape trägt, des Nachts Jungfrauen überfällt und sich darauf beschränkt, seine Allmachts-Fantasien aus den Grüften baufälliger Burgen heraus zu verwirklichen; kein Wunder, dass dieser in einer modernen Welt verlorene Dracula, wie wir ihn aus zahllosen mehr oder minder (meistens minder) gelungenen Filmen kennen, immer recht bald mit einem Pflock im Herzen endet.

Dass Dracula weit mehr sein kann als der simple Buhmann unterhaltsamer Mitternachts-Vorstellungen, hat eindrucksvoll Francis Ford Coppola in den Rückblenden seines „Dracula“-Films von 1992 bewiesen. Der zeitgenössische Vlad Tepes II. (1433-1477) war zu seinen Lebzeiten nicht nur ein grausamer, sondern auch ein sehr erfolgreicher Herrscher, dem es als „Woiwode“ der (später rumänischen) Walachei über Jahrzehnte gelang, die mächtigen und expansionswütigen türkischen und bulgarischen Nachbarn in Schach zu halten. In der Wahl seiner Mittel war er gewiss nicht wählerisch, aber Kriegsherrn wie ihn gab es im Mittelalter viele. Der Erfolg gab ihm jedenfalls Recht und bewies, dass Vlad, der gefürchtete Pfähler, ein entschlossener und auch intelligenter Mann gewesen ist. Diese Eigenschaften sollte er sich eigentlich auch nach seinem Tode und der Wiederauferstehung als Vampir bewahrt haben. Insofern setzt Kim Newman dem „wahren“ Dracula ein literarisches Denkmal.

Newmans Dracula ist im Jahres 1918 noch immer ein rücksichtsloser, zu allem entschlossener Krieger – und ein Überlebenskünstler. Letztes lässt ihn immer wieder aus schier aussichtslosen Situationen entkommen. Ersteres wendet sich in „Der rote Baron“ allerdings zum zweiten Mal gegen Dracula. In der modernen Welt des 20. Jahrhunderts ist ein Kriegsherr nach mittelalterlichem Muster eindeutig ein Anachronismus. Dracula spielt geschickt die Königshäuser Europas gegeneinander aus, und als Oberbefehlshaber der deutschen Armee weiß er die technischen Errungenschaften seiner Zeit einzusetzen. Dennoch ist er in seinem Denken noch immer dem Mittelalter verhaftet, in das er geboren wurde. Der Krieg, den er 1914 entfesselte, wie er es seit Jahrhunderten tut, um sich zu nehmen, was er mehr als alles andere begehrt – die uneingeschränkte Macht nämlich -, entgleitet schließlich seiner Kontrolle, weil nicht einmal er einen Weltkrieg steuern kann. Am Ende steht Dracula einmal mehr vor den Scherben seiner Vision. Freilich wird ihn das nicht abhalten, es aufs Neue zu versuchen.

Mit erstaunlicher Sicherheit weiß Autor Newman die reale Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts mit seiner erfundenen Historie zu verquicken. Plötzlich scheint es durchaus logisch zu sein, dass die Schüsse auf Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajewo, die 1914 den Weltkrieg auslösten, fielen, weil seine serbischen Untertanen es nach jahrhundertelangem Kampf gegen die „Nosferatu“ nicht ertrugen, von einem Untoten regiert zu werden. Auch die Schrecken des Grabenkrieges werden plastisch geschildert. Dass in Newmans Welt „normale“ Menschen und Vampire mit- und gegeneinander kämpfen, wird beinahe nebensächlich angesichts der mörderischen Eigendynamik, die der Krieg längst entwickelt hat.

Vor dem grimmigen Kriegs-Spektakel muss Newmans eigentliche Geschichte notgedrungen ein wenig verblassen. Der „Fliegende Zirkus“ des Barons von Richthofen und seine Verwandlung in wahre Dämonen der Lüfte ist fast ein enttäuschend „normaler“ Einfall, wie man ihn in jedem x-beliebigen Horror-Roman finden könnte. Aber auch jetzt besticht „Der rote Baron“ durch die sorgfältige, beinahe dokumentarische Schilderung des Kampfes gegen den berüchtigten „Roten Baron“, der sich zwar als blutdürstige, gleichzeitig aber tragische Gestalt entpuppt, die um die Aussichtslosigkeit ihres Tuns durchaus weiß.

Wie der erste Teil der „Anno Dracula“-Serie gewinnt die Fortsetzung einen besonderen Reiz aus der Tatsache, dass Autor Newman nicht nur Personen der Zeitgeschichte auftreten lässt, sondern wie selbstverständlich Charaktere zum Leben erweckt, die völlig fiktiv sind und den Werken anderer Schriftsteller entnommen wurden. So kann es geschehen, dass in einem Feldlazarett der Entente H. G. Wells‘ Dr. Moreau neben H. P. Lovecrafts Herbert West, dem „Wiedererwecker“, am Operationstisch steht, Jules Vernes Ingenieur Robur seine Kampf-Luftschiffe über Paris schweben lässt oder Norbert Jacques‘ Dr. Mabuse das deutsche Kriegspresseamt leitet. Aber auch Personen, die tatsächlich gelebt haben, sieht man in Kim Newmans alternativen Welt des Jahres 1918 in völlig neuen Rollen; da kann es dann geschehen, dass der untote, im Exil lebende Schriftsteller Edgar Allan Poe in den Sälen des Prager Gerichts dem Schreiber Franz Kafka begegnet, bevor er im Auftrag Dr. Mabuses nach Frankreich reist, um dort eine Biographie des Flieger-Helden Manfred von Richthofen zu verfassen, dessen „Burschen“ Fritz Haarmann und Peter Kürten heißen … Solche an sich absurden Paarungen präsentiert Newman in rascher Folge, doch er konstruiert sie so geschickt, dass man ihrer niemals überdrüssig wird.

So ist „Der rote Baron – Anno Dracula 1918“ ein würdiger zweiter Band einer Reihe, die Kim Newman 1998 zu einer Trilogie ausgebaut hat: „Judgement of Tears – Anno Dracula 1959“ (auch unter dem merkwürdigen Titel „Dracula Cha Cha Cha“ veröffentlicht) beschreibt die Abenteuer des Vampirfürsten und seiner Gegner in der Ära des Kalten Krieges und des Rock ’n‘ Roll; allerdings spielt dieser Roman in Italien, ist vom Grundton wesentlich humorvoller angelegt und erinnert an eine Dario-Argento-Version von Fellinis „La Dolce Vita“.