Archiv der Kategorie: Horror & Unheimliches

Algernon Blackwood – Besuch von Drüben. Gruselgeschichten

Inhalt:

Eine Sammlung acht klassischer Gruselgeschichten, die zum Besten gehören, was das Genre zu bieten hat:

Der Horcher (The Listener, 1907), S. 7-43: Der arme Schriftsteller bezieht eine ungewöhnlich billige Wohnung. Allerdings muss er die feststellen, dass der tragisch aus dem Leben geschiedene Vormieter sein Domizil noch nicht verlassen hat.

Die Spuk-Insel (A Haunted Island, 1899), S. 44-64: Auf eine Insel in der Wildnis Kanadas zieht sich ein Student zurück, um fern aller Ablenkung zu lernen. Dies missglückt, weil ihm geisterhafte Indianer auflauern.

Besuch von Drüben (Keeping His Promise, 1906), S. 65-82: Nach vielen Jahren treffen die Freunde Marriott und Field sich wieder. Erst spät erinnert Marriott sich ihres alten Schwurs: Wer zuerst stirbt, kommt den Überlebenden besuchen.

Gestohlenes Leben (With Intent to Steal, 1906), S. 83-110: Der große Abenteurer Shorthouse erfährt von einer Scheune, in der es umgeht. Für den neugierigen Geisterjäger und seinen Gefährten beginnt eine Nacht, an die sie noch lange denken werden – falls sie überleben.

Kein Zimmer mehr frei (The Occupant of the Room, 1909), S. 111-121: Minturn ist froh, in dem überfüllten Schweizer Hotel noch ein Zimmer zu bekommen. Die Vormieterin ist vor ein paar Tagen auf einer Bergwanderung verloren gegangen, doch in der Nacht zeigt sich, dass sie dem müden Reisenden näher ist als diesem lieb sein kann.

Ein gewisser Smith (Smith: An Episode in a Lodginghouse, 1906), S. 122-141: Es ist aufregend, ein Haus zu bewohnen, in dem ein Hexenmeister seine magischen Künste betreibt; das gilt ganz besonders dann, wenn dieser mächtigere Geister heraufbeschwört, als er unter Kontrolle zu halten vermag.

Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York (The Strange Adventures of a Private Secretary in New York, 1906), S. 142-181: Der wackere Shorthouse (s. o.) soll für seinen Brotherrn einen Erpresser austricksen. Dieser lebt in einem überaus einsam gelegenen Haus und lauert bereits darauf, seinem Gast den Aufenthalt unvergesslich zu gestalten.

Griff nach der Seele (A Psychical Invasion, 1908), S. 182-246: Ein übereifriger Schriftsteller versucht, seinen geistigen Horizont mit Hilfe von Drogen zu erweitern; tatsächlich öffnet er die Pforte zu einer Dimension böser Geister, von denen ihm einer nun im Nacken sitzt. Dr. John Silence, der berühmte Psychologe und Fachmann für das Okkulte, nimmt sich des Falles an.

Wo Geister richtig zur Sache gehen

Diesen „Besuch von drüben“ laden wir uns gern ein, wenn die Nächte wieder länger werden und zum Lesen einladen. Hier spukt es noch richtig, weil für den Verfasser nie der Wunsch, sich bei der Literaturkritik, die handgreiflich auftretende Gespenster nicht sonderlich schätzt, lieb Kind zu machen, im Vordergrund stand. Stattdessen wollte Algernon Blackwood sein Publikum unterhalten, ohne es gleichzeitig als Schar dummer Tröpfe abzuqualifizieren, denen es nur einen möglichst großen Schrecken einzujagen gilt.

Blackwoods Erzählungen sind deshalb spannend und unterhaltsam, denn ihr Verfasser war kein versponnener, weltabgeschieden hausender, sondern ein neugieriger, weit gereister Mann, der fest mit beiden Beinen im Leben stand. In gewisser Weise spiegelt „Besuch von Drüben“ sogar Blackwoods Biografie wider. Unglücklichen Familienverhältnissen entfliehend, reiste der junge Algernon nach Kanada („Die Spuk-Insel“, seine erste und schon meisterhafte Geistergeschichte überhaupt!) und ging später in die Vereinigten Staaten („Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York“), wo er sich u. a. als Farmer, Hotelier, Journalist und Schauspieler versuchte. 1899 kehrte er nach England zurück, unternahm aber auch später ausgedehnte Europareisen („Kein Zimmer mehr frei“). Die daraus resultierenden Erfahrungen flossen in sein Werk ein: Jedem Leser ist sogleich klar, dass Blackwoods kanadische Wildnis oder seine Alpendörfer keine Hirngespinste sind.

Ist da noch etwas?

Diese Ortskenntnisse werden ergänzt durch ein immenses Wissen des Okkulten und Übersinnlichen, für das sich Blackwood seit seiner Kindheit brennend interessierte. Im Jahre 1900 trat er dem „Hermetic Order of the Golden Dawn“ bei, was seine mystischen Kenntnisse enorm erweiterte; „Ein gewisser Smith“ zeigt einen Magier bei der Arbeit, die dem Verfasser zumindest theoretisch vertraut war.

Hinzu tritt schließlich die Faszination über die neue, noch höchst umstrittene Wissenschaft der Psychologie. Blackwood glaubte an eine Welt des Okkulten, die bevölkert wird von bösen oder besser: der menschlichen Moral nicht unterworfenen, fremdartigen Geistwesen auf der einen und den klassischen Gespenstern auf der anderen Seite – Manifestationen im Leben wie im Tode kraftvoller, von starken Emotionen getriebener Seelen oder auch nur den Gefühlen selbst, die sich durchaus selbstständig machen und blindwütige („Gestohlenes Leben“) oder ziellose („Kein Zimmer mehr frei“), aber nicht wirklich intelligente Phantome formen können.

Alle diese Wesen leben normalerweise in ihrer eigenen Sphäre. Dort können sie zufällig gestört oder angelockt („Griff nach der Seele“), aber auch gezielt gerufen werden („Besuch von Drüben“, „Ein gewisser Smith“). Das theoretische Fundament, wie es hier skizziert wurde, lässt Blackwood in „Griff nach der Seele“ stellvertretend Dr. John Silence, „Physican Extraordinary“ – eine Mischung aus Sigmund Freud oder C. G. Jung und Sherlock Holmes – erläutern. Blackwoods Konzept ist auch deshalb zu interessant, weil es schon deutlich die Grenzen der klassischen viktorianischen Schauerliteratur sprengt, die das Gespenstsein primär als Strafe für diverse Verfehlungen wertete, derer sich der Geist im Leben strafbar gemacht hatte.

Geister klassisch und modern

Der frühe Blackwood ist noch nicht gänzlich frei von dieser Haltung: Der unglückliche Blount in „Der Horcher“ hat sich seinem schrecklichen, ohne jedes eigene Verschulden erlittenen Schicksal durch Selbstmord entzogen. Weil er so Gott, der aus unerfindlichen Gründen ein natürliches aber qualvolles Ende für ihn vorgesehen hatte, ins Handwerk pfuschte, muss er seine nun doppelt elende Existenz im Tode fortsetzen: ein wahrlich alttestamentarische Weltsicht, die im Kontext freilich nicht zwangsläufig befürwortet, sondern von Blackwood, dem Okkultisten, der wahrlich kein Bilderbuch-Christ war, auch angeprangert wird.

Ein wenig aus dem Rahmen fällt die Story „Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York“. Hier lässt Blackwood das Grauen nicht schleichend auftreten, sondern entwirft – dem amerikanischen Schauplatz wohl angemessen – eine aktionsbetonte, teilweise witzig überzogene Grusel-Groteske im Stile Edgar Allan Poes. Zur Abwechslung wird nichts erklärt, sondern einfach nur geschildert. Dem Leser bleibt es dieses Mal selbst überlassen, sich einen Reim auf die Erlebnisse des unerschrockenen Jim Shorthouse zu machen.

Leider wird bei dieser Gelegenheit einer der weniger angenehmen Wesenszüge Blackwoods offenbar: Die Figur des Juden Marx trägt unverkennbar antisemitische Züge. Sollte dies keine ‚Zugabe‘ des Übersetzers sein, hätte der Verfasser der latenten, alltäglichen Judenfeindlichkeit der britischen Gesellschaft ein Denkmal gesetzt, so wie wenige Jahre später Hollywood Amerikas Indianer in aller vermeintlichen Unschuld als blutrünstige Wilde und Bilderbuch-Bösewichte zu missbrauchen begann. Unerfreulich bleiben die für die Geschichte völlig unnötigen und daher noch deutlicher ins Auge stechenden Unterstellungen aber allemal.

Autor

1869 wurde Algernon Blackwood in Shooter’s Hill in der Grafschaft Kent (heute ein Teil Londons) geboren. Seine Eltern gehörten einer strengen calvinistischen Splittergruppe an, doch Algernon betrachtete die ‚etablierten‘ Religion skeptisch. Er verließ sein behütetes aber gefühlskaltes Elternhaus, sobald er volljährig war, und emigrierte nach Kanada. Später ging er in die Vereinigten Staaten und versuchte sich u. a. als Farmer, Hotelier, Journalist und Schauspieler. Die während dieser Lehr- und Wanderzeit gewonnenen Erfahrungen, die er später auf ausgedehnten Europareisen vertiefte, flossen in Blackwoods schriftstellerische Arbeit ein, mit der er 1899, dem Jahr seiner Rückkehr nach England, begann.

In rascher Folge veröffentlichte Blackwood mehrere Sammlungen mit Kurzgeschichten, die sich mit dem Okkulten und Übersinnlichen beschäftigten. Auch hier konnte er auf persönliche Kenntnisse zurückgreifen. Schon als 17-jähriger hatte Blackwood in Kent die Sagen und Mythen seiner Heimat studiert und sich mit den Lehren der klassischen Okkultisten und Kabbalisten vertraut gemacht. Im Jahre 1900 trat Blackwood dem berühmten „Hermetic Order of the Golden Dawn“ bei.

Natur- und Elementargeister, verschüttete Erinnerungen, Wiedergeburt: Dies sollten die Themen sein, auf die Blackwood in seinen Geschichten immer wieder zurückkam. Sie belegen außerdem sein Interesse an der neuen, noch höchst umstrittenen und daher umso faszinierenderen Wissenschaft der Psychoanalyse.

Die Hypothese, dass Geister – sollte es sie denn geben – nicht einfach ‚sind‘, sondern Ausgeburten der menschlichen Psyche sein könnten, floss rasch in die Arbeiten zeitgenössischer Schriftsteller eine. Blackwood gehörte zu den Pionieren, die einen psychologischen Blick auf die Welt des Okkulten warfen. Besonders deutlich manifestierte sich dies in der Figur des „Physican Extraordinary“ Dr. John Silence (1908), der sich am Vorbild Sigmund Freud orientierte, aber mit dem okkulten Wissen seines Schöpfers ausgestattet war.

Algernon Blackwood starb hoch betagt und als Schriftsteller halb vergessen 1951. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens war (der 1949 geadelte) alte Mann jedoch als Radiosprecher und Hörspielautor noch einmal ungemein populär geworden. Blackwood hinterließ etwa 200 Kurzgeschichten und 14 Romane, dazu Schau- und Hörspiele, Gedichte und Liedtexte.

Die Algernon-Blackwood-Sammlungen des Suhrkamp-Verlags:

(1969) Das leere Haus (TB 30 u. 1664/Phantastische Bibliothek 12 u. 339)
(1970) Besuch von Drüben (TB 411 u. 2701/Phantastische Bibliothek 10 u. 331)
(1973) Der Griff aus dem Dunkel (TB 518/Phantastische Bibliothek 28)
(1982) Der Tanz in den Tod (TB 848 u. 2792/Phantastische Bibliothek 83 u. 355)
(1989) Die gefiederte Seele (TB 1620/Phantastische Bibliothek 229)
(1993) Rächendes Feuer (TB 2227/Phantastische Bibliothek 301)

Taschenbuch: 247 Seiten
Originalausgabe
Übersetzung: Friedrich Polakovics
http://www.suhrkamp.de

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 4,00 von 5)

Maturin, Charles Robert – Melmoth der Wanderer

Gegen Ende es 18. Jahrhunderts erblickte in England das Genre der |gothic novel| den Buchmarkt und erfreute sich alsbald großer Beliebtheit. Zwar ging es darum, dem Leser wohlige Schauer über den Rücken laufen zu lassen, doch verdankte die |gothic novel| auch viel dem Gedankengut der Aufklärung und des Rationalismus. Oftmals wurde in den Romanen eine mystifizierte Welt vorgestellt, in der übernatürliche Dinge vor sich gingen, nur um am Ende mit natürlichen und rationalen Ursachen wegerklärt zu werden. Dem heutigen Leser mögen Romane wie Walpoles „The Castle of Otranto“ oder Radcliffes „The Mysteries of Udolpho“ kaum noch Schrecken verursachen. Zu allgemein bekannt sind die Konventionen des gotischen Schauers, als dass verlassene Burgruinen oder mondbeschienene Friedhöfe tatsächlich zum Fürchten wären. Doch dies heißt nicht, dass diese Romane nach 200 Jahren ihren Reiz verloren hätten. So wird auch „Melmoth der Wanderer“ von Charles Robert Maturin keinem Leser schlaflose Nächte bescheren, allerdings ist der Roman gleichzeitig ein besonders gutes Beispiel dafür, dass die |gothic novel| viel mehr bietet als den Schauer von Ruinen und alten Klöstern.

Maturin, 1780 in Dublin geboren, ist dem Liebhaber wohl höchstens durch „Melmoth der Wanderer“ (1820) oder sein Drama „Bertram“ (1816) bekannt, mit dem er noch zu Lebzeiten einen bescheidenen Erfolg erzielte. Sorgenfrei lebte er jedoch nie, meist musste er mit den bescheidenen Geldmitteln, die ihm zur Verfügung standen, genauestens haushalten. Sein erster Roman, den der Hilfsgeistliche Maturin noch ganz in der Tradition Radcliffes 1807 veröffentlichte, blieb weitgehend unbeachtet. Doch ein namhafter Rezensent fand sich dennoch: Der Schotte Walter Scott, der hauptsächlich mit phantastisch durchsetzten historischen Romanen Erfolg hatte („Waverley“ oder „Ivanhoe“ stammen aus seiner Feder). Scott setzte sich in Zukunft für Maturins Werk ein; er plante eine Biographie und eine Ausgabe von Maturins gesammelten Werken. Doch das Schicksal kam dem zuvor: Scotts Verlage gingen pleite und er musste die letzten Jahre seines Lebens buchstäblich um sein Leben schreiben, um die Schulden abzubezahlen. Maturin erging es finanziell kaum besser.

Seinem „Melmoth“ stellt er eine Vorwort voran, in dem er bündig zusammenfasst, was er im Roman auf fast 800 Seiten ausarbeiten wird: |“Gibt es in diesem Momente wol Einen unter uns“|, fragt er den Leser, |“ob wir uns gleich von dem HErrn entfernet haben mögen, nicht achtend Seines Willens und ohneingedenk Seines Worts – giebt es wol Einen unter uns, welcher in eben diesem Augenblicke und um der Eitelkeit menschlicher und irdischer Güter willen hingeben wollte die Hoffnung auf seine ewige Seeligkeit? – Nein, kein einziger ist hier, kein solcher Thor hienieden, und versuchte auch der Leibhaftige selbst, ihn in seine Fallstricke zu locken.“| Auf der Suche nach einer solche Person nämlich ist Melmoth, eine faustische Figur, die über 150 Jahre lang die Welt durchstreift, um Menschen zu versuchen. Melmoth selbst wurde von seinem Wissensdrang („Habe doch ach …“, hört man Goethe im Hintergrund deklamieren) dazu verführt, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Ihm wird Erkenntnis zuteil und eine verlängerte Lebensspanne. Doch am Ende der 150 Jahre wird der Teufel Melmoths Seele als Unterpfand einfordern. Außer natürlich, und das ist der entscheidende Unterschied zu Goethes „Faust“, Melmoth fände jemanden, auf den er seinen Kontrakt „übertragen“ könnte.

So zieht er denn durch die Welt, halb Mensch und halb Geist, und wendet sich an Menschen in verzweifelten Notlagen, um sie zu verführen, eine Linderung ihres Leides gegen ihre Seele einzutauschen. Bis auf eine indische Insel verschlägt es ihn, doch nirgends findet sich jemand, dessen Verzweiflung ihn zu solch drastischen Maßnahmen treiben würde. Und so muss Melmoth, nachdem die 150 Jahre abgelaufen sind, seine Seele dem Teufel überantworten und die Strafe für seinen Erkenntnisdrang annehmen.

Dabei ist Melmoth eine sehr widersprüchliche Figur. Er ist hin- und hergerissen zwischen Mitleid mit seinen Opfern und einem beißenden Zynismus gegenüber deren Notlagen. Doch seine Situation verlangt, zuerst an sich zu denken und so stürzt er auch Isidora, die Person, der er wohl die meisten Gefühle entgegenbringt, ins Unglück. Nachdem er sie heimlich geehelicht und geschwängert hat, sterben sie und ihr Kind in den Fängen der Inquisition, die das Kind für einen Satansbraten hält.

„Melmoth der Wanderer“ ist kein einfaches und schon gar kein geradliniges Buch. Es ist aufgebaut wie eine Matrioschka, eine dieser russischen Holzfiguren, in denen sich immer noch eine neue, kleinere Figur versteckt. So verschachtelt Maturin immer neue Erzählungen ineinander, stellt immer neue Schicksale und Verführungsszenen vor, bis der Leser den Überblick über die Erzählstruktur zu verlieren droht. Rahmen- und Binnenerzählungen sind nicht auszumachen, auch hat keine Erzählung wirkliche Priorität vor den anderen. Die verschachtelte Erzählstruktur gemahnt eher an einen überspannten Spleen des Autors, seiner Geschichte freien Lauf zu lassen und die Geschichten untereinander über komplizierte Gemeinsamkeiten zu verbinden. Melmoth, der alle diese Erzählungen als böser Geist heimsucht, bildet den roten Faden, die Verbindung zwischen all den menschlichen Schicksalen, die Maturin in weit ausholenden Handlungsbögen schildert. Und doch ist er es, den am Schluss das bedauernswerteste Schicksal ereilt, können doch alle anderen Charaktere auf ein besseres Dasein im Jenseits vertrauen.

Maturins groß angelegter Roman eignet sich kaum zum Gruseln. Stattdessen wechseln sich handlungs- und spannungsintensive Passagen mit philosophischen und gesellschaftskritischen ab. Besonders Maturins scharfe Religionskritik (auf die Katholiken und die Kalvinisten hat er es insbesondere abgesehen) scheint fast immer durch. Religion, für ihn das bloße Abarbeiten von Riten, stellt er einem natürlichen Glauben gegenüber, der durch ein tiefes Empfinden für Gott geprägt ist und ohne den Pomp katholischer Regeln auskommt. Allein seine deutlichen Ansichten zu Religion und Staatskirche machen „Melmoth der Wanderer“ zu einer lohnenden Lektüre.

Der |area|-Verlag hat eine ganze Reihe bekannter Horrorklassiker neu in preiswerten Hardcovern aufgelegt. Im Verlagsprogramm finden sich nicht nur moderne Autoren wie Clive Barker („Die Bücher des Blutes“) oder Dean Koontz („Nackte Angst“), sondern auch ältere Schriftsteller wie Matthew Gregory Lewis („Der Mönch“) oder eben Maturin. Damit werden diese Texte endlich wieder auf Deutsch verfügbar und für ein breites Publikum zugänglich. Es lohnt sich durchaus, sich durch die erschwinglichen Hardcover von |area| zu lesen. Die Auswahl des Verlags garantiert: Jeder Griff ein Treffer.

Martin, Jack – Halloween III. Ein Zombie-Roman

Ende Oktober (vermutlich) 1982: Die britische Insel ist um eine Sehenswürdigkeit ärmer. Unbekannten ist es gelungen, die steinzeitliche Kultstätte Stonehenge des Bluestones zu berauben – eine staunenswerte Leistung, weist dieser Stein doch das stolze Gewicht von mehr als neun Tonnen auf! Niemand weiß, wie die Tat gelingen konnte, und die Aufregung ist groß.

Auf der anderen Seite des Erdballs, in einer kleinen Stadt im Norden des US-Staates Kalifornien, ist Dr. Daniel Challis das Schicksal des Bluestones herzlich gleichgültig. Er hat gerade eine schmutzige Scheidung hinter sich, die ihn nicht nur an den Bettelstab, sondern vor allem um das Sorgerecht für die beiden Kinder – die neunjährige Bella und den siebenjährigen Willie – gebracht und allen Lebensmut gekostet hat. Unbemerkt stolpert er daher in ein unheimliches Geschehen, das nichts Geringeres als die Eroberung dieser Welt durch die Mächte der Finsternis zum Ziel hat. Stichtag soll der 31. Oktober sein: Halloween, denn in dieser Nacht dürfen die Toten ihre Gräber und böse Geister die Hölle verlassen und sich unter die Lebenden mischen.

Einer dieser Finsterbolde, vor zwei Jahrtausenden von keltischen Druiden zu seinem dämonischen Dasein verflucht, sucht die Menschheit seither immer wieder heim. Bisher hat er sich allerdings darauf beschränkt, ein unglückliches Opfer zu suchen, dessen Hirn zu übernehmen und den Körper allerlei Übeltaten verrichten zu lassen. Zuletzt war dies im Jahre 1963 gelungen, als besagter Geist in den sechsjährigen Michael Myers aus Haddonfield, Illinois, fuhr und dieser zwei Jahrzehnte messerschwingend und mordend Furcht und Schrecken verbreitete, bis er endlich gestellt und vernichtet werden konnte.

Ein fataler Irrtum, denn das Böse entwich aus Myers Körper – und es hat dazugelernt! In der nächsten Zeit hält es sich mit dem Messer zurück und bereitet seinen nächsten Coup geradezu generalstabsmäßig vor. Dr. Challis, wahrlich ein Pechvogel, wird in dieses Komplott hineingezogen, als er mit ansehen muss, wie einer seiner Patienten grausam erstochen wird; der Killer übergießt sich seelenruhig mit Benzin und sprengt sich samt Auto in die Luft.

Ellen Grimbridge, die Tochter des Ermordeten, bittet Challis um Hilfe. Ihr Vater glaubte in den letzten Wochen seines Lebens, dass eine Invasion aus dem Jenseits unmittelbar bevorstehe. Als Instrumente oder Träger des Bösen dienen offenbar die neuartigen Halloween-Masken der Firma |Silber-Kleeblatt|, die in Santa Mira, einem Nest im Süden des Landes, hergestellt werden. Ellen überredet den Arzt, sie dorthin zu begleiten. Sie kommen in einen Ort, der etwas zu verbergen hat. Die Firma ist eine hermetisch abgeriegelten Festung. Über allem thront der mysteriöse Conal Cochran, und ihm gehorcht man besser, denn sonst könnte einem ein schlimmer Unfall zustoßen … Schlimmer noch: Pünktlich zu Halloween werden die |Silber-Kleeblatt|-Masken aktiviert und ihre Träger in seelenlose Zombies à la Michael Myers verwandelt, die anschließend die Welt ins Chaos stürzen werden …

… wobei die Welt wie so oft nur aus den Vereinigten Staaten von Amerika zu bestehen scheint, obwohl im großen Finale gnädig Erwähnung findet, dass der böse Keltendämon seine Horror-Masken auch ins Ausland verkauft. Aber bevor wir nun beginnen, uns über solche Details aufzuregen, sollten wir einen Blick auf das Gesamtwerk werfen – dies bietet nämlich mehr als genug echte Gründe sich zu ärgern.

Die „Halloween“-Bücher zu den ersten drei Filmen gehören allesamt zum Bodensatz nicht nur der phantastischen Literatur. Des schnell verdienten Dollars wegen ebenso billig heruntergeschrieben wie die ersten beiden Teile der Saga, stellt „Halloween III“ als Film wie als Roman doch ein gewisses Novum in der Geschichte des Horrors dar: Sehr richtig von der Prämisse ausgehend, dass eine weitere Wiederbelebung des unverwüstlichen Michael Myers sogar den langmütigsten (bzw. geistig ärmsten) Gruselfan auf eine vielleicht zu harte Probe stellen würde, planten die Produzenten (deren Namen wir hier gnädig verschweigen wollen, da ihre Vergehen inzwischen verjährt sind) nichts weniger als den radikalen Neuanfang. Michael blieb tatsächlich Toast, auch von seiner Nemesis Dr. Loomis blieben nur die Krümel, und Laurie Strode alias Jamie Lee Curtis hatte zur Abwechslung wohl einmal das neue Drehbuch gelesen, bevor sie den Vertrag unterschrieb.

Also besann man sich auf ein Element, das man in Teil 2 der „Halloween“-Mythologie eingeflochten hatte; es war überhaupt die einzige echte Idee gewesen: Michael Myers wurde demnach von einem 3000 Jahre alten keltischen Geist besessen, dessen einziger Lebensinhalt darin besteht, Tod und Verderben über die Menschenwelt zu bringen. Es steht uns nicht zu, über Sitten und Gebräuche der Höllenvölker zu urteilen; bescheiden sei dennoch angemerkt, dass die oben erwähnte Motivation unter Umständen das Interesse wecken, aber nicht die Faszination der Gruselfreunde lebendig erhalten kann.

Solange Michael Myers das Messer schwang und vor allem den Mund hielt, waren des Dämons Eskapaden leidlich vergnüglich. Doch in der Inkarnation des Conal Cochran wird er leider geradezu geschwätzig und verrät uns sogar, was ihn dazu trieb, a) Stonehenge zu schänden, b) eine Firma beachtlicher wirtschaftlicher Potenz aufzubauen, c) sich eine Roboterarmee zu schaffen und d) die Welt mit 150 Millionen (!) Halloween-Masken zu überschwemmen: |“Ich will Unruhe stiften … Ich liebe tatsächlich einen guten Witz. Die Witzbolde sind die großen Gestalten der Geschichte, und Witze sind unsere eigentliche Stärke. Darin beherrschen wir die Welt. Und wenn wir sie endlich nach unserem eigenen Bild umformen …, dann wird das der größte Witz aller Zeiten sein.“| (S. 181)

Fragt sich nur, wer dann noch bleibt, um darüber zu lachen; der Leser tut es jedenfalls nicht, und der Zuschauer verweigerte sich 1982 ebenfalls: „Halloween III – Season of the Witch“ gehört (verdient) zu den ganz großen Flops der Filmgeschichte. Kein Wunder, dass Michael Myers für den vierten Teil schleunigst wieder zusammengeklebt wurde! (Zu diesem ob seiner ebenso dreisten wie misslungenen Plagiate der erfolgreichen ersten beiden Teile fast vergnüglichen Streifen gibt es übrigens auch einen Roman, zusammengemüllt von einem gewissen Nicholas Garbowsky, doch dieses Mal blieben wir zumindest hierzulande verschont.)

Muss noch eigens erwähnt werden, dass die Zeichnung des „Halloween III“-Personals schlicht verheerend ist? Eine auch nur in Ansätzen differenzierende Charakterisierung gibt es nicht; die Guten sind unsympathisch, die Bösen lächerlich, und über alle zusammen würde man selbst in einem Kasperle-Theater Auftrittsverbot verhängen. Erneut kann die deutsche Übersetzung das unterirdische Niveau mühelos halten, wobei Wolfgang Crass, dem wir auch die Ein“deutsch“ung der ersten beiden Teile verdanken, insofern dazugelernt hat, als er inzwischen seinen Doktortitel verschweigt.

Aber der Untertitel – „Ein Zombie-Roman“ – trifft dieses Mal den Nagel auf den Kopf. Da in der gesamten Geschichte nicht einmal von weitem ein Zombie zu sehen ist, muss man ihn wohl auf den Verfasser beziehen – und auf den Leser, der dieses schräge Machwerk bis zum bitteren Ende durchgehalten hat.

Graham Masterton – Der Ausgestossene

Das geschieht:

John Trenton trauert: Vor einem Monat kam seine junge Gattin bei einem Autounfall ums Leben. Der Antiquitätenhändler bleibt allein zurück im Quaker Lane Cottage, gelegen auf der Halbinsel Granitehead des US Staats Massachusetts und muss psychologisch betreut werden. Er glaubt daher an eine Halluzination, als sich des Nachts etwas zu manifestieren beginnt, das man für den Geist seiner Ehefrau halten könnte. Allerdings stellte Trenton, dass Nachbarn und Freunde ihm dies ein wenig zu eifrig einreden wollen. Eigene Recherchen ergeben Merkwürdiges: Granitehead stand Ende des 17. Jahrhunderts im Brennpunkt der berüchtigten Hexenprozesse von Salem. Esau Haskett, ein ebenso reicher wie undurchsichtiger Reeder und Händler, der dem Satanismus anhing, konnte sich 1692 nach Granitehead in Sicherheit bringen.

Er kam nicht allein: An Bord der „David Dark“ wwar der aztekische Dämon Mictantecutli. Das Schiff erreichte seinen Hafen freilich nicht, sondern versank, und Haskett tilgte alle Spuren seiner Existenz. Seine Nachfahren folgten diesem Beispiel. Trotzdem ist es auf Granitehead seither nie geheuer gewesen. Graham Masterton – Der Ausgestossene weiterlesen

Dooling, Richard – Tagebuch der Eleanor Druse, Das

Eleanor Druse ist eine 75-jährige emeritierte Professorin für Esoterische Psychologie und stammt aus Maine. Sie schickt im Jahre 2003 eine Art Tagebuch an den Schriftsteller Stephen King, der ja auch aus Maine stammt, weil sie glaubt, dass der berühmte Phantastikschriftsteller ihrer Erzählung Glauben schenken wird.

So erzählt sie vom Tod einer alten Bekannten, die nach einem missglückten Selbstmordversuch ins alte |Kingdom Hospital| in Lewiston, Maine, eingeliefert wird. Als Eleanor Druse die alte Frau besuchen will, begegnet sie einem merkwürdigen alten Mann, der ihr seltsam bekannt vorkommt. Als sie dann zusammen mit einer Schwester das Krankenzimmer betritt, ist ihre alte Bekannte tot und Ameisen krabbeln aus ihrem Körper.

Eleanor fällt in Ohnmacht und wacht erst Tage später in einer Klinik in Boston wieder auf, wo sie den arroganten Chefarzt Dr. Stegman kennen und hassen lernt. Dieser möchte Eleanor am liebsten gleich operieren, hält ihre Beobachtungen für einen epileptischen Anfall.
Indem Eleanor brav bei einer medikamentösen Therapie mitwirkt, erreicht sie ihre Rückverlegung nach Lewiston, wo sie den rätselhaften Geschehnissen auf den Grund gehen will, was nicht ganz ungefährlich zu sein scheint, denn die Schwester, die sie ins Krankenzimmer der alten Bekannten begleitet hatte, ist inzwischen durch äußerst merkwürdige Umstände ums Leben gekommen …

Stephen Kings neueste Schöpfung ist das Begleitbuch zu einer amerikanischen TV-Serie, in dem der Autor zwar einerseits einige nette Seitenhiebe und Anspielungen eingebaut hat, welches aber andererseits auch phasenweise sehr nervig wirkt und vor allem zu Beginn (in den Sequenzen, die leider ziemlich ausgedehnt in der Bostoner Klinik spielen) den Leser auf eine harte Probe stellt.

So wird die Geisterjagd im alten Kingdom Hospital erst einmal zurückgestellt zugunsten der intensiven Vorstellung zweier Protagonisten, wie sie enervierender kaum sein könnten.

Da ist zum einen der überaus arrogante, völlig von sich selbst überzeugte Chefarzt der Klinik in Boston. Dr. Stegman, seines Zeichens Gott in Weiß, dabei dermaßen überheblich, dass er reihenweise Patienten zu Tode operiert, weil er aus Selbstüberschätzung mehrere Operationen quasi gleichzeitig durchführt, hat schon viele Gehirntote auf dem Gewissen, ist jedoch jedweder Selbstzweifel abhold. Die hier eingeführte Figur ist dermaßen überzogen bösartig und arrogant, dass sie sogar in einem Comic lächerlich wirken würde.

Dabei wird nicht klar, wer eigentlich widerwärtiger ist, der arrogante Chefarzt oder die spleenige Protagonistin, die weitaus mehr als nur einen Sprung in der Schüssel hat. Denn Eleanor Druse ist überzeugte Esoterikerin, spricht regelmäßig in Gebeten und Meditationen mit dem kosmischen Strom, hat sich selbst vom Krebs geheilt und formuliert angesichts einer gehirntoten Mutter von drei Kindern auf der Intensivstation der Krankenschwester gegenüber Sätze wie: |“Wissen Sie, meine Liebe, mit solchen Tragödien können wir nicht alleine fertig werden, die müssen wir in die Hand Gottes legen. Sie glauben doch an Gott, nicht wahr?“| (Seite 100).

Den arroganten Dr. Stegman erkennt sie in ihrer unendlichen religiösen Weisheit schnell als das, was er ist, nämlich: |“… dass der physische Leib dieses Mannes nichts anderes als eine Hülle für einen abgrundtief bösen Geist darstellt“| (Seite 106). Da kann man ja wohl nur von einer „Achse des Bösen“ reden oder doch vielleicht eher von der „Achse der Blöden“? Wie gut, dass die Protagonistin nicht zu Dämonisierungen und Schwarz-Weißer-Weltsicht neigt!

Während Frau Druse noch ihre Chakren sortiert und alles Böse an die Wand betet, begeht Dr. Stegman eine Schurkerei nach der anderen und der verzweifelte Leser fragt sich händeringend, wann die Handlung endlich wieder ins gespenstische Kingdom Hospital zurückkehrt. Erst auf Seite 129 wird der Leser erlöst, und hätte es King nicht geschafft, zu Anfang der Geschichte ein gerüttelt Maß Spannung aufzubauen, der Rezipient hätte das Werk wahrscheinlich längst frustriert in die nächste Flohmarktkiste gedroschen.

Andererseits muss festgestellt werden, dass es King meisterhaft gelingt, die primitive Sichtweise der Welt durch seine Protagonistin darzustellen. Die religiöse Beschränktheit der Weltsicht vieler Menschen in den USA (vor allem im sogenannten „Bible Belt“) ist auch bei uns mittlerweile bekannt und Stephen King selbst hat z. B. in seinen Werken „Carrie“ und „Children of the Corn“ diesen Hintergrund immer wieder in genialer Weise als Nährboden für unendliches Grauen genutzt. So weiß man als Leser nicht, ob man Kings Ausarbeitung bewundern soll, oder der enervierenden Charaktere wegen die Lektüre sofort beenden sollte.

Dass es dem Autor in der zweiten Hälfte der Geschichte gelingt, die Spannungsschraube wieder anzuziehen, spricht ebenso für ihn wie die eine oder andere köstliche Anspielung. So heißt eine der Schwestern im bespukten Kingdom Hospital z. B. Carrie von Trier (wobei „Carrie“ Kings erster verkaufter Roman war, Lars von Trier wiederum jener Regisseur ist, der bereits eine Fernsehserie über ein gruseliges Krankenhaus gedreht hat, in dem übernatürliche Dinge vor sich gehen).

Vollends bizarr wird es dann auf Seite 187, wo folgendes steht: |“Später erfuhr ich, dass Brick und Liz gerade in die Notaufnahme beordert worden waren, wo höchste Alarmstufe herrschte. Ein berühmter Künstler – einer der bedeutendsten Bürger Maines – war beim Joggen auf der Route 7 bei Warrington’s Inn von einem Kleinbus erfasst und schwer verletzt ins Kingdom Hospital eingeliefert worden, wo sich, mochte es nun Zufall oder eine Fügung des Schicksals sein, bereits die Hauptakteure eines bevorstehenden Dramas sammelten wie von einem Magneten angezogene Eisenspäne.“|

Wer von Stephen Kings schwerem Unfall weiß, der wird unschwer erkennen, wer da gerade eingeliefert worden ist. Während diese Stelle einerseits eine makabere Art von Humor darstellt und zeigt, dass die vorliegende Geschichte wohl auch eine Art Traumabewältigung für den Autor darstellt, so sprechen die hier gewählten aufgesetzten und klischeehaften Metaphern ebenfalls für sich. Sie machen das vorliegende Buch ebenfalls eher schwer zugänglich, wobei andererseits der schlechte Stil der Erzählung eine gewisse Authentizität verleiht, so als habe tatsächlich eine alte Dame mit erheblichem Dachschaden den ganzen Unsinn verzapft und dabei sprachlich immer wieder ganz tief in die Klischeekiste gegriffen.

Genau dies macht die Beurteilung des vorliegenden Werkes so schwer: Ist es nun einfach genial oder einfach nur genial daneben? Wie dem auch sei, das unbefriedigende offene Ende lässt befürchten, dass Fortsetzungen geplant sind. Wie auch nicht anders zu erwarten bei einem Roman von Stephen King mit nur 287 Seiten, sind wir doch vom Meister sicherlich ganz andere Seitenzahlen gewöhnt.

_Gunther Barnewald_ © 2004
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Michael Marrak – Imagon

Aus H. P. Lovecrafts Elder Gods-Mythos entstand eine Geschichte, die eindrucksvoller nicht sein könnte. Nichts könnte die unheimlichen Großen Alten deutlicher, glaubhafter schildern, nichts vor der Gefahr eindringlicher warnen, die dem Cthulhu-Mythos innewohnt.

Der Autor

Michael Marrak wurde 1965 in Weikersheim geboren, ist gelernter Großhandelskaufmann und besuchte das Berufskolleg für angewandte Grafik in Stuttgart. Mittlerweile lebt und arbeitet er als freier Schriftsteller und Illustrator in Hildesheim.

Inhalt

Der dänische Geophysiker Poul Silis hasst Schnee. Eines Tages wird er von seinem Institut auf eine merkwürdige Sache angesetzt: In Grönland wurde ein Krater im ewigen Eis entdeckt, dessen Ausmaße nur von einem gigantischen Meteoriten herrühren können – doch keine Station auf der Erde hat seinen Einschlag beobachtet. Es gibt weder die typischen Aufwerfungen des verdrängten Substrats, noch die charakteristische Impaktwolke über dem Gebiet.

Man behandelt den Vorfall mit strengster Geheimhaltung. Silis wird nach Grönland verschifft und trifft auf das Team seines ehemaligen Mentors, Professor DeFries. Es stellt sich heraus, dass der Krater die Spitze eines uralten Tempels in der Front eines Berges freigelegt hat – älter als das intelligente Leben auf der Erde! Unheimliche Symbole zieren den einzig erreichbaren Eingang. Und ebenso unheimlich ist: Silis wird von Alpträumen geplagt, in denen er den Tempel (in seiner Gänze) sieht – mit seinen Bewohnern, grauenhaften Wesen, die das Tageslicht scheuen …

In der Mitte des Kraters findet man ein mehrere Meter durchmessendes Schluckloch, durch welches das Schmelzwasser von den Freilegungsarbeiten am Tempel zurück unter das Eis fließt. Wieder beobachtet Silis unheimliche Phänomene: Das Wasser fließt in der arktischen Kälte kilometerweit und schert sich dabei um keinerlei physikalische Gesetze. So fließt es in einem breiten, flachen Rinnsal schnurgerade zum Schluckloch und überwindet dabei sogar meterhohe Hindernisse.

Ein Experiment am Schluckloch zeigt, dass es seinen Namen zu Recht trägt. Es verschluckt sowohl Rauch (der sich in Spiralen abwärts dreht) als auch Schall! Zwei sich gegenüberstehende Menschen mit dem Loch zwischen sich vermögen sich nicht mehr zu hören. Als eine Magnesiumfackel von Silis in das Loch geworfen wird, bebt der Boden und eine gewaltige Fontäne befördert die Fackel zurück ans Licht. Silis‘ Begleiter wird von einem geleeartigen Klumpen der Masse berührt, die in seinen Körper eindringt. Er verliert das Bewusstsein und Silis erfährt von DeFries merkwürdige Geschichten über die Großen Alten, die Älteren Götter und unheilige Wesen.

Silis‘ Begleiter ist dem Tode geweiht, Silis selbst zweifelt an seinem wissenschaftlichen Verstand wie auch an dem seines ehemaligen Mentors DeFries. Ein Inuit-Schamane verhilft ihm zu einer Traumbegegnung mit Sedmeluq – danach ist nichts mehr, wie es vorher war. Silis steigt in den Tempel hinab, auf der Suche nach Antworten. Er betritt eine gigantische Halle, die er aus seinen Träumen zu kennen glaubt. In ihrer Mitte befindet sich eine Mulde, in der sich eine tiefschwarze Masse bewegt, die Silis sofort als Qur identifiziert: Das unheilige Medium, dem die Älteren Götter entstiegen. Hier ist das Tor zur anderen Seite, das nicht geöffnet werden darf. Doch keiner der Wissenschaftler zieht Silis endgültig ins Vertrauen, denn sie wissen, dass er ein Imagone ist, der als Schlüssel zu dieser Welt von Sedmeluq ausersehen wurde …

Kritik

Man rätselt mit dem Protagonisten. Es gibt Bücher, in denen man stets mehr weiß als die Handlungsträger und allzu oft denkt: Oh Mann, dies und das ist doch so und so, siehst du das nicht?
In „Imagon“ ist das anders. Man weiß immer nur so viel wie Poul Silis, und das ist deutlich weniger als die meisten anderen in der Geschichte wissen. Es scheint, als würde das Wissen vor ihm verborgen werden, und so erfährt man nur Schritt um Schritt die erklärenden Verhältnisse, Erzählungen aus dem von DeFries zusammengetragenen ‚Taaloq‘ und eigenen Gedanken aus den Erlebnissen des Ich-Erzählers, eben Poul Silis.

Man wird ebenso wie er vor den Kopf gestoßen von Dingen, die in unserem Verständnis der Welt unmöglich sind. Aber man rutscht auch ebenso wie er in die Finsternis hinein und beginnt, an diese Dinge zu glauben, zweifelnd erst, dann mit wachsender Überzeugung. Es ist unheimlich, wie Marrak es schafft, uns Lesern über unwirkliche, aber äußerst plastische Erlebnisse des Erzählers einen Pseudomythos als wirklichen, uralten Mythos vorzulegen und uns schließlich glauben zu machen, dass die wichtigen Details des Mythos wahr sein könnten …

Was schließlich wirklich mit Poul Silis geschieht, will ich hier nicht verraten, denn das würde eine Menge der Spannung nehmen, die dem Buch innewohnt. Wer Marraks „Lord Gamma“ gelesen hat, kann eine Ahnung von der Vielfalt und Abstrusität haben, die zu dem mitreißenden und ebenso kalten, unheimlichen Roman werden, der mich nicht mehr losgelassen hat, bis ich mit den letzten Seiten an einem Ende angekommen war, das mich für einige Minuten hilflos zurückließ, ehe es mit seiner ganzen Aussagekraft durchdrang und als Ende bedeutungsschwer stehen blieb.

Vor einigen Jahren schrieb Michael Marrak eine Novelle mit dem Namen „Der Eistempel“, deren Plot wohl nach Größerem rief. Auf ihr basiert der vorliegende Roman, wobei die Novelle wiederum von Lovecrafts Elder Gods- oder Cthulhu-Mythos inspiriert wurde. Wenn man sich jetzt an Lovecrafts Roman „Berge des Wahnsinns“ erinnert (so man ihn kennt), wird man in „Imagon“ kein simples Remake finden, sondern eine echte, hervorragende, eigenständige Geschichte zu einem gemeinsamen Thema, dem Mythos um die Älteren Götter.

Fazit

„Imagon“ ist kalt, hart, unheimlich, bizarr und spannend, aber in keinem einzigen Moment wirkt er unglaubwürdig, zäh oder plakativ. Man glaubt dem Erzähler, dass er seine Geschichte erlebt hat und von ihr geprägt wurde; man glaubt auch dem Autor jegliche Details, als wäre er gar nicht vorhanden, sondern als handle es sich um Fachwissen des Geophysikers Poul Silis. Man ist geneigt, einen Punkt für das Ende abzuziehen, bis man noch einmal darüber nachgedacht und die Geschichte sich hat setzen lassen. Ich zumindest bin der Überzeugung, dass es kein anderes Ende hätte geben können. Darum Hut ab vor Michael Marraks Leistung – und volle Empfehlung!

Wer es gern solider mag, findet das Buch übrigens auch noch in der Originalausgabe von Festa (2002) als Hardcover unter der ISBN 3-935822-12-X.

Das Titelbild stammt übrigens von Marrak selbst, und der Roman wurde ausgezeichnet mit dem Kurd-Laßwitz-Preis für den besten deutschen SF-Roman des Jahres 2002!

Clive Barker – Hellraiser

Frank Cotton hat auf der Jagd nach dem ultimativen Vergnügen das Tor zur Hölle der Zenobiten aufgestoßen. Sie setzen Lust mit Schmerzen gleich und verschaffen Frank einen unvergleichlichen Abgang. Aber aus dem Jenseits begehrt er die Rückkehr in seine Welt. Seine ihm hörige Schwägerin Julia lockt ihm Menschenopfer in seine Höhle, von denen er sich nährt, bis die Zenobiten bemerken, dass ihnen ein Opfer entkommen ist … Horror-Novelle von bemerkenswerter Intensität, düster, böse, blutig, konsequent auf ein Happy-End verzichtend – eines der besten Werke des sonst gern allzu wortgewaltigen Clive Barker.
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Martin, Jack – Halloween II – Das Grauen kehrt zurück

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind, dort in der kleinen Stadt Haddonfield im US-Staat Illinois? Dr. Sam Loomis ist’s, Psychiater von Beruf und aus Berufung Wächter am Portal der Hölle. Dieses stand bisher hinter den dicken Mauern von Smith’s Grove, der Anstalt für geisteskranke Kriminelle, und dahinter lauerte fünfzehn Jahre geduldig Michael Myers auf seine Stunde. Am 31. Oktober 1963 war er im zarten Alter von sechs Jahren zum Schwestermörder geworden, nachdem ein böser Geist aus keltischer Vorzeit in ihn gefahren war; es musste wohl so kommen, ist doch der Tag vor Allerheiligen, Halloween genannt, nichts als das notdürftig christianisierte, aber uralte, im Kern absolut heidnische und grimmige Samhain-Fest, das die Lebenden mit den Toten und Dämonen feiern, die in dieser Nacht auf die Erde zurückkehren dürfen.

Pünktlich zu Halloween 1978 ist Michael Myers zurück in Haddonfield, wo er dort anknüpft, wo er vor anderthalb Jahrzehnten vom Arm des Gesetzes unterbrochen wurde. Durch eine Maske gut getarnt, mischt er sich unter die feiernde Jugend, massakriert drei allzu lebenslustige Teenager und will sich gerade dem vierten widmen, als Dr. Loomis, der seiner blutigen Spur gefolgt ist, dem mörderischen Treiben mit sechs Pistolenkugeln ein Ende bereitet. Doch er hat sich zu früh gefreut; während die junge Laurie Strode, Michaels letztes Opfer, verletzt ins Haddonfield Memorial Hospital transportiert wird und die überforderte Polizei des Ortes im Bund mit der Presse die Stadt endgültig in ein Tollhaus verwandelt, muss Loomis feststellen, dass Michael sich auch körperlich zum Unmenschen entwickelt hat: Er ist schon wieder auf den Beinen und meuchelt auch durchlöchert unerbittlich weiter.

Die wilde Verfolgungsjagd wird fortgesetzt und endet im Feuer eines explodierenden Benzintanks, nachdem der Flüchtige dem Kühler eines Streifenwagens in die Quere kam. Doch ist die völlig verkohlte Leiche wirklich die des Michael Myers? Das herauszufinden wird Zeit kosten – Zeit, die der natürlich quicklebendige Maskenmann nutzen kann, sich unbemerkt ins weiter oben erwähnte Krankenhaus zu schleichen. Während der stets misstrauische Dr. Loomis die tranige Polizei noch vor dem Ergebnis der Obduktion zu einer neuerlichen Fahndung bewegen will, tappt Michael bereits durch die Gänge. Er sucht Laurie, um sie ihren verblichenen Freunden hinterherzuschicken. Dafür hat er gute Gründe, die er aus unerfindlichen Gründen, aber zur Freude des Lesers sogar bekannt gibt: In seiner alten Schule hat er sich zwischen zwei Morden die Zeit genommen, ein schönes Bild zu malen, das die 1963 so rüde voneinander getrennte Familie Myers zeigt. Seltsamerweise lassen sich darauf nicht zwei, sondern drei Kinder erkennen. Der entsetzte Loomis erfährt erst jetzt, dass Michael noch eine weitere Schwester hat, deren Identität von den Behörden bisher sorgfältig geheim gehalten worden war. Doch Michael erinnert sich ihrer sehr wohl und rüstet zu einem Wiedersehen der unvergesslichen Art …

Tja, ich denke, wir müssen hier nicht dreimal raten, wer denn besagte Schwester sein könnte. Es zu verraten, heißt allerdings auch den einzigen originellen Gedanken zu enthüllen, mit dem diese missratene Fortsetzung des Horror-Klassikers „Halloween“ von 1978 aufwarten kann. Der unerwartete, aber deshalb nicht weniger spektakuläre Erfolg des Erstlings machte die Rückkehr des Michael Myers unvermeidbar; Hollywood ist da unerbittlich. („Halloween IX“ ist in Vorbereitung …) Drei Jahre dauerte es trotzdem; Zeit genug, sich eine plausible Story auszudenken, sollte man meinen, doch in dieser Hinsicht erwartete das Publikum eine schlimme Enttäuschung – es sollte nicht die einzige bleiben. Für „Halloween II“ nahm nicht mehr John Carpenter, sondern der weitgehend unbekannte Rick Rosenthal im Regiestuhl Platz; für ihn sollte dies das fragwürdige Debüt und der Höhepunkt seiner ansonsten bis heute im B-Movie-, Video- und TV-Bereich dahindümpelnden Karriere sein. Carpenter ist von einer Mitschuld am „Halloween II“-Desaster aber nicht freizusprechen, weil er ein „Drehbuch“ verbrach, das nichts als eine Nummernrevue myerscher Metzeleien präsentiert und diesem fragwürdigen Konzept den im ersten Teil so klug und kundig ins Leben gerufenen Mythos opfert.

Dem Roman zum Film gelingt es indes, das Niveau der Vorlage noch weit zu unterbieten. Zunächst gilt es den Autoren zu verteidigen: Welche Funken konnte Jack Martin aus dem Drehbuch-Desaster „Halloween II“ schlagen? Michael Myers stolpert durch die Nacht und killt, wer ihm dabei über den Weg läuft, während er sein kleines Schwesterlein sucht. Dabei legt er sein Messer bald beiseite und arbeitet mit den Instrumenten, die er am jeweiligen Tatort vorfindet. Weil die Handlung schließlich in einem Krankenhaus spielt, bietet sich Michael eine breite Palette hervorragend zweckentfremdbarer Instrumente, deren Einsatz die Kamera liebevoll in den Mittelpunkt rückt. Für den Splatter-Fan hat das einen gewissen Unterhaltungswert, zumal die Spezialeffekte auf diesem Gebiet auch 1981 schon einen hohen Standard besaßen.

(Dem deutschen Grusel-Freund fiel es lange Jahre schwer, dies nachzuvollziehen, da „Halloween II“ zu den Filmen gehört, derer sich die Zensur – hierzulande euphemistisch „Bundesprüfstelle“, „Freiwillige Selbstkontrolle“ usw. genannt – besonders liebevoll annahm.) Das gilt allerdings nur im Kino oder vor dem Bildschirm, während ein Buch schon ein wenig mehr Substanz verlangt. Das hatte sogar Curtis Richards, minderbegabter Zeilenschinder und Autor des Romans zum ersten „Halloween“-Streifen, begriffen (und sich dann zwecks Erweiterung der Story allerlei hanebüchenen Schwachsinn einfallen lassen, der in dieser Fortsetzung natürlich wieder kommentarlos unter den Tisch fällt).

Martin versucht indessen nicht einmal, das Drehbuch zu einer eigenständigen Geschichte aufzubessern, sondern beschränkt sich auf die lieblos-schlampige Nacherzählung der ohnehin schlichten Handlung. Da rächt es sich wohl, dass Filmroman-Autoren in der Regel nicht nur notorisch unfähig, sondern auch unterbezahlt sind, aber mussten denn schon wieder die arglosen Leser die Zeche bezahlen? (Achtung: Das ist eine rhetorische Frage. Natürlich mussten sie, und sie tun es ja freiwillig immer wieder.)

Die groben Schnitzer der Vorlage stechen in diesem trübsinnig stimmenden (und kongenial übersetzten!) Machwerk immerhin nicht so deutlich ins lektüregelähmte Hirn. Mir persönlich gefällt in Sachen unfreiwilliger Komik Michael Myers‘ weiter oben beschriebener Ausflug in seine Schule am besten. Selbstverständlich ist der einzige Zweck dieser hirnrissigen Episode, Dr. Loomis stellvertretend für uns Zuschauer/Leser auf die verlorene Schwester hinzuweisen und die keltischen Wurzeln des Dämons, der Michael steuert, offen zu legen. Loomis selbst ist bis zur Karikatur des besessenen Wissenschaftlers degeneriert, Laurie Strode wirkt wie ein übrig gebliebener Gast in ihrer eigenen Geschichte, und das übrige Personal wird so rasch von Michael Myers abgeschlachtet, dass dem Verfasser keine Zeit mehr für eine auch nur halbwegs überzeugende Figurenzeichnung blieb. Immerhin sorgt Martin im Vergleich zum ersten Teil für Gerechtigkeit: Michael Myers erwischt nicht mehr nur die ungehorsamen, bösen, geilen Jungs und Mädchen – er killt sie nun alle ohne Ansehen von Rasse, Religion oder Leumundszeugnis.

Es soll dem Leser erspart bleiben, auf weitere Defizite dieses Bändchens hingewiesen zu werden – die Liste wäre gar zu lang und ermüdend. Bleibt noch anzumerken, dass Martin unverdrossen wieder angeheuert wurde, als es darum ging, die „Halloween“-Blutwurst im Jahre 1982 zum dritten Mal aufzuwärmen. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte …

E.-E., Marc-Alastor – Adulator (De Joco Suae Moechae 2)

Mit „Adulator“ setzt Marc-Alastor E.-E. seinen Dark-Fantasy-Zyklus „De Joco Suae Moechae“ fort. Wieder steht sein Antiheld Kriecher im Mittelpunkt, der schon in dem nach ihn benannten Vorgänger [„Kriecher“ 319 mit einem glänzenden Einstand überzeugte. „Adulator“ schließt nahtlos an den Vorgängerband an, ist jedoch keine Sammlung miteinander verknüpfter Kurzgeschichten in Episodenform, sondern diesmal ein zusammenhängender Roman mit ungewöhnlichen, wechselnden Erzählperspektiven. Der Autor nennt „Adulator“ ein Schauerspiel, und damit verspricht er nicht zu viel…

Knapp sechzig Jahre sind vergangen, seit Kriecher die Stadt Innocenz als einen Zufluchtsort für Verfemte und Ausgestoßene gründete. Mittlerweile ist die Stadt verfallen, die einstige Zuflucht wird nur noch von untoten Monstern bevölkert. Denn Fürst Adulator – niemand anders als Kriecher – ernährte sich in seinem Tempel von der Lebensenergie der Bewohner.

Die damals von Kriecher verschonte Elfenkönigin Gvynlane Keridwen hat mittlerweile Zuflucht im Kaiserreich der Menschen gefunden. Sie sendet den Druiden Frater aus, um Adulator um Hilfe zu bitten und erneut in mit ihm in Kontakt zu treten. Denn die Göttin Medoreigtulb hat ihren Vernichtungsfeldzug erfolgreich forgesetzt und droht nun dem dekadent und selbstherrlich gewordenen Kaiserreich mit Krieg, fordert die Herausgabe der Elfenkönigin. Die Menschen unterschätzen die Boshaftigkeit und Finesse Medoreigtulbs, deren Kreuzzug bereits schon etliche Götter zum Opfer gefallen sind.

Kann Kriecher wirklich helfen, baut die Elfenkönigin ihre Hoffnungen auf Sand? Bis Kriecher in Aktion tritt, wird Medoreigtulb schon viel Unheil angerichtet haben, das Leben Gvynlanes wird nur noch von dem Scaintysten (entspricht in etwa einem Templer) Clacharc beschützt, der mit ihr im Netz der Verräter unterzugehen droht.

Die Geschichte ist, wie nach „Kriecher“ nicht anders zu erwarten, angenehm düster und bedrohlich. Die böse Göttin Medoreigtulb fasziniert erneut mit ihrer Verderbtheit, während die das Licht und Hoffnung symbolisierende Elfenkönigin nur von schwachen, zerstrittenen und untereinander intrigierenden, zum Teil bereits auf Seiten der Göttin stehenden Menschen beschützt wird. Der naive Kaiser der Menschen lädt mit ihr quasi den Teufel in seine Hallen ein, und lässt sich von ihm verführen.

Wieder werden zahlreiche neue Charaktere eingeführt, die Welt des Geisterdrachen erweitert. Das hat leider ein wenig den Verlust des Fokus auf Kriecher zur Folge, den ich neben Medoreigtulb für die faszinierendste Figur halte. Stattdessen werden die unheimlich komplexe Welt Praegaia und viele ihrer zahlreichen Figuren wieder nur angerissen, man spürt deutlich: Das hier ist alles nur die Spitze eines Eisbergs, die leider so ein wenig im luftleeren Raum hängen bleibt. Der Leser kann jedoch über ein Schlüsselwort im Roman Zugang zum [Geisterdrachen-Archiv]http://www.geisterdrache.de/ erhalten und so ein wenig mehr über die Welt und die oft nur skizzierten Charaktere erfahren.

„Adulator“ bedient sich einer anderen Erzählperspektive als Kriecher. Aus der Ich-Perspektive des Druiden Frater werden seine Erlebnisse in Innocenz und mit Kriecher beschrieben. Frater steht zu Kriecher in einer besonderen Verbindung, die sich erst am Ende des Romans offenbaren wird und die Geschichte in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt, was gut zum zwiespältigen Wesen Kriechers passt. Auch schlechte, alte Bekannte Kriechers aus seinem Leben als Mensch, wie sein Rivale Colubridas, werden ihm auf Seiten der dunklen Göttin begegnen.

Die hoffnungslos-düstere Atmosphäre ist es, die „Adulator“ auszeichnet. Eine faszinierende, düstere Vielfalt an Wesen, Religionen, Göttern und menschlichen Schwächen, die von der boshaften Medoreigtulb ausgenutzt werden, was für einige geradezu perfide Überraschungen sorgen wird.

Gespannt wartet man ab, wie Kriecher sich entscheiden und weiterentwickeln wird. Ist er noch zu retten oder doch nur einfach ein Mörder ohne Hoffnung? Wie wird die Geschichte enden? So viel sei verraten: Ein Happy-End gibt es genretypisch nicht. Dafür aber einige Überraschungen, die Lust auf mehr machen.

So empfiehlt es sich nicht nur, es ist zwingend erforderlich, den ganzen Zyklus „De Joco Suae Mochae“ zu lesen. Denn sonst verpasst man den die Romane überspannenden Handlungsbogen der Metamorphose Kriechers. Sprachlich ist Marc-Alastor E.-E. der Konkurrenz weit voraus, was seinem innovativen Werk nur gut tut. Für sich kann „Adulator“ gefallen, aber nicht vollständig überzeugen. Ein wenig der undankbare Mittelband des Zyklus, der hoffentlich bald seinen Abschluss mit „Tetelestai!“ finden wird. Künftige Zyklen bieten hoffentlich mehr Einblicke in die faszinierende Welt des Geisterdrachen, umfangreichere Romane würden hier vielleicht Abhilfe schaffen. So wird oft Interesse geweckt und auf ein „Später“ ohne Garantie vertröstet, was ein wenig bedauerlich ist, so hält sich zum Beispiel der namengebende Geisterdrache wieder einmal sehr im Hintergrund.

Das schöne, düster wirkende Cover ist im Stile „Kriechers“ gehalten, insofern verwundert ein wenig die im Buch verwendete Formatierung: Dieselbe Schriftart wie im Vorgänger, nur kleiner, dafür hat man innen und außen einen wesentlich breiteren Rand, was besonders störend auffällt, wenn man Kriecher und Adulator nacheinander liest.

Mit „Adulator“ beweist Marc-Alastor E.-E. erneut sein Talent für atmosphärische, düstere Szenarien mit episch breitem Hintergrund. Wer eine düstere, anspruchsvolle Lektüre sucht, findet wohl kaum eine bessere Alternative in der deutschen Fantasy. Man wünscht sich nur, der Autor würde einmal eine etwas umfangreichere (Adulator hat 328 Seiten) Geschichte in Angriff nehmen, die faszinierende Welt Praegaia schreit geradezu danach, endlich ihre vielen Geheimnisse zu offenbaren.

_Der „De Joco Suae Moechae“-Zyklus:_
[Kriecher 319
(exklusiv über den [Blitz-Verlag]http://www.blitz-verlag.de/ zu beziehen)
Adulator (ISBN 3-89840-482-X)
Tetelestai! (noch nicht erschienen)

Wer mehr über die Welt Praegaia, den Autoren Marc-Alastor E.-E. sowie die Dark-Fantasy-Serie „Geisterdrache“ und ihre Zyklen wissen möchte, wird hier fündig:

http://www.geisterdrache.de/
http://www.marc-alastor.de/
http://www.praegaia.de/

Bitte beachtet auch mein [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=22 mit dem Autor Marc-Alastor.

King, Stephen – Tommyknockers – Das Monstrum

Mitten im schönen US-Staat Maine liegt dort, wo die Wälder tief und die Menschen recht rustikal sind, das kleine Städtchen Haven. Viel los ist hier nicht, die Bürger bleiben gern unter sich, und Touristen verirren sich nur selten in diese Gegend. So gefällt es Roberta „Bobbi“ Anderson, beliebte Autorin viel gelesener Western-Romane, aber privat nach schwerer Kindheit und Jugend in persönlichen Dingen eher auf Abstand bedacht und daher recht zufrieden in der einsam gelegenen Waldhütte eines verstorbenen Onkels hausend. Gesellschaft leisten ihr dort wenigstens zeitweise Jim Gardener, einst ein viel versprechender Dichter und erfolgreicher Universitätsdozent, heute ein ausgebrannter Alkoholiker und ungebremst auf dem Weg in den Untergang, sowie der Beagle Peter, doch Letzterer wohl nicht mehr lange, denn er ist im ehrwürdigen Hundealter von zwölf Jahren eindeutig auf die Zielgerade des Lebens eingebogen.

Bobbi streift nach einem harten Tag hinter der Schreibmaschine (wir schreiben das Jahr 1988) gern durch die ausgedehnten Wälder hinter ihrem kleinen Haus. Bei einem dieser Spaziergänge stößt sie zufällig auf ein merkwürdiges metallenes Artefakt, das harmlos aus dem Boden ragt. Erst neugierig geworden, dann aber erfasst von einem seltsamen inneren Drang, beginnt Bobbi zu graben. Sie legt Teile eines Objektes frei, das offensichtlich riesengroß und rund ist. Obwohl Bobbi es nicht glauben mag, drängt sich ihr die Schlussfolgerung auf, hier auf eine der berühmten Fliegenden Untertassen gestoßen zu sein, die vor vielen, vielen Jahren abgestürzt ist und vom Schutt der Äonen begraben wurde, aber dabei völlig unbeschädigt blieb – außen und vor allem innen …

Was nun tun? Die Frage stellt sich Bobbi nur kurz, denn sie ist längst in den Bann ihres Fundes geraten, der auf unheimliche Art ihr Denken und Handeln bestimmt. Zwar registriert sie durchaus, dass der klapprige Peter sich plötzlich verjüngt, aber das hält sie nicht davon ab, im Wald zu graben … und zu graben … und zu graben. Auch der entsetzte Jim Gardener kann den unheiligen Zauber nicht brechen, als er Bobbi wieder einmal besucht. Das Verhängnis ist längst über Haven und seine Bewohner gekommen: Die „Tommyknockers“, Geister oder Dämonen, die den Menschen der Sage nach des Nachts in böser Absicht auflauern, treten in der Gestalt außerirdischer Untoter auf. Erst ist es nur die unglückliche Bobbi, die Stück für Stück ihren freien Willen verliert, um sich dann in einer aberwitzigen Metamorphose in ein Wesen aus einer anderen Welt zu verwandeln. Dann kommen die Tommyknockers auch über die unglücklichen Bürger des gar nicht mehr idyllischen Haven – und sie planen schon für die Zukunft, um endlich zu vollenden, was ihnen einst misslang: die biologische Unterwanderung und Übernahme der gesamten Menschenwelt …

|“Es war eine Fliegende Untertasse. Sie waren von der Air Force abgetan worden, von denkenden Wissenschaftlern, von Psychologen. Kein Science-Fiction-Autor mit einem Funken Selbstachtung baute eine in seine Geschichten ein … Sie waren der älteste Heuler in einem Buch. Fliegende Untertassen waren mehr als passé; allein schon die Vorstellung war ein Witz, und nur Wirrköpfe und religiöse Exzentriker räumten ihnen überhaupt noch Platz ein, und selbstverständlich die Regenbogenpresse …“|

Klar, dass ein mit allen Wasser der Schriftstellerei gewaschener Vollprofi wie Stephen King da nicht widerstehen konnte und ausprobieren wollte, ob er quasi mit einer auf den Rücken gebundenen Schreibhand das uralte Klischee mit neuem Leben erfüllen konnte. Nun, in gewisser Weise ist es ihm zweifellos grandios gelungen, doch in den Chor der Begeisterung mischt sich die Stimme der Kritik, die da verkündet, dass nicht nur die Tommyknockers schon lange mausetot sind.

Aber Vorsicht: „The Tommyknockers“ entstand bereits im Jahre 1984. Da lagen „Akte X“ und tausend Epigonen noch in der Zukunft. Kings spukiges Alien-Garn ist daher längst nicht so abgedroschen, wie es dem heutigen Leser erscheinen mag. Trotzdem blieb dem Roman schon damals das Wohlwollen der Kritik versagt (nichts Neues für Stephen King). Auch die Resonanz des Publikums blieb verhalten. Das hieß noch lange nicht, dass es sich beim Buchkauf zurückhielt: Auch die „Tommyknockers“ fuhren wieder einmal Rekord-Geldernten ein. Und doch schien dieser Geschichte das gewisse Etwas zu fehlen, das King-Werke wie „Shining“ oder „Salem’s Lot“ (dt. „Brennen muss Salem“) in den Rang ewiger Klassiker erhob.

Was es ist, lässt sich nur nach langem Nachsinnen in Worte fassen. Unvoreingenommen (neu) gelesen, ist „The Tommyknockers“ nämlich eine sehr vergnügliche Tour-de-force durch Science-Fiction u n d Horror, was ja an sich schon gar nicht so einfach ist. Doch King lässt hier etwas geschehen, was er bis dato besser im Griff hatte: Er verschleppt die Geschichte, überfrachtet sie mit überflüssigen Nebenhandlungen und bläht sie dadurch unnötig auf. Daran mussten wir Fans uns nach 1990 leider gewöhnen, denn Kings Romane wurden zunehmend geschwätziger und seelenloser. Nach eigenem Geständnis war dies eine Folge seiner zunehmend schlimmer werdenden Alkohol- und Drogensucht. Nachträglich versteht man natürlich besser, wieso King den quälenden Seelennöten und Delirien des Jim Gardener so viel Spielraum gibt: In gewisser Weise schrieb er gegen ganz persönliche Dämonen an.

Die seltsame Episodenhaftigkeit wird durch die eigentümliche Dreiteilung der Geschichte unterstrichen. Teil 1 schildert die Entdeckung des Raumschiffs durch Bobbi Anderson und führt Jim Gardener ein. Teil 2 – mit Abstand der bessere – wirft einen Blick auf das Kleinstadtleben von Haven, das durch die Tommyknockers einen bemerkenswerten, wenn auch unguten Aufschwung erfährt. Teil 3 leitet zwar das große Finale ein, wechselt aber noch einmal die Perspektive und wirft Bobbis Schwester Anne, den Schrecken ihrer Kindheit, in die Handlung. Das führt zu weiteren, jetzt störenden Verzögerungen: Anne hätte eindeutig früher auftreten müssen, wenn sie nicht überhaupt als Figur überflüssig ist. Jetzt sollte sich alles nur noch um die Apokalypse in Haven drehen, die weiß Gott spektakulär genug ausfällt. Die böse Schwester kann vor dieser Kulisse kein Profil gewinnen, und ihr schauriges, verdientes Ende lässt den Leser kalt.

„The Tommyknockers“ erzählt eine recht zeitlose Geschichte. Auch heute bleibt die völlige Abwesenheit von Handys, PCs oder des Internets praktisch unbemerkt: Selbst wenn es das alles schon 1988 gegeben hätte, wäre es in dieser Story überflüssig gewesen. Eindeutig anachronistisch wirken dagegen die besonders im ersten Teil beschworenen Visionen vom drohenden Untergang der Menschheit durch außer Kontrolle geratende Atomkraftwerke. 1988 waren Tschernobyl und Harrisburgh brutale Gegenwart, die wenig Gutes für die Zukunft hoffen ließ. Die daraus erwachsenden Ängste fanden Eingang auch in die Unterhaltungsliteratur dieser Zeit. Solche Passagen fallen auch heute noch auf, aber sie regen nicht mehr zum Nachdenken an (Sagen denn den Jüngeren unter uns die beiden gerade genannten Ortsnamen überhaupt noch etwas?), weil die Katastrophe dann doch ausblieb. In den aktuellen King-Werken werden uns später ähnliche Anachronismen amüsieren.

Ganz der Alte ist King mit seiner Prämisse geblieben, dass Außerirdische auch nur Menschen (und nicht zwangsläufig die Elite des Universums) sind. Als solche ließ er sie nach 1988 nun schon mehrfach über die Erde herfallen. Mal laden sie High-Tech-Schrott ab und bescheren den neugierigen Findern die Überraschung ihres Lebens („From a Buick Eight“, 2002, dt. „Der Buick“), dann wieder planen sie eine Invasion der etwas offensiveren, aber einfältigen Art („Dreamcatcher“, 2001, dt. „Duddits – Dreamcatcher“) – und manchmal rammen sie eine Fliegende Untertasse unangespitzt in den Waldboden des schönen, aber dank King von Vampiren, Zombies und ähnlichen Unholden ohnehin viel geplagten US-Staates Maine. Die Parallelen zwischen „The Tommyknockers“ und den beiden anderen Werken sind erstaunlich, wenn man sie in kurzem Abstand liest. Sie können mit Fug und Recht als Variationen desselben Themas bezeichnet werden, ohne dass King deshalb ein Vorwurf gemacht werden könnte. Er ist stets der erste (kluger Mann …), der darauf hinweist, dass ihm schon lange nichts wirklich Neues mehr einfällt … eigentlich nie eingefallen ist, denn auch die viel gelobten Frühwerke stützten sich stets auf Genreklassiker. Vampire, Werwölfe, Mutanten: Wenn King überhaupt jemals ein „neues“ Monster erfunden hat, dann den (schon wieder außerirdischen) Gestaltwandler, den er in „It“ (dt. „Es“) 1986 in die dankbare Welt setzte, die offenbar schon auf ihn gewartet hatte: Heute ist man seiner freilich auch längst überdrüssig, nachdem er in viel zu vielen B- und C-Movies sein Unwesen getrieben hat.

Pennywise, der finstere Clown aus „It“ bekommt übrigens auch in „The Tommyknockers“ seinen Cameo-Auftritt, und dieselbe Ehre erfährt David Bright, Rasender Reporter aus „The Dead Zone“ (1979, dt. „Das Attentat“). Die wenigen überlebenden Tommyknockers erleiden ein Schicksal, das man selbst ihnen nicht gewünscht hätte: Sie fallen dem wiedererstandenen „Shop“ in die Hände, den 1980 das „Feuerkind“ Charlie („Firestarter“) in Schutt und Asche gelegt hatte. King liebt es, zwischen seinen Werken solche Verbindungen herzustellen (auch etwas, das er inzwischen übertreibt). Er greift dabei aber auch auf die Schöpfungen von Kollegen zurück; so ist Hugh Crane, der zwielichtige Gründervater Havens, natürlich eine Reminiszenz an den gleichnamigen Erbauer des furchtbaren „Hill House“, dem Regisseur Robert Wise 1962 ein filmisches Denkmal setzte („The Haunting“, dt. „Bis das Blut gefriert“)..

„The Tommyknockers“ wurde inzwischen (und wie die meisten Stephen-King-Geschichten schlecht) verfilmt: 1993 als aufwändig in Szene gesetzter TV-Zweiteiler mit Marg Helgenberger als Bobbi Anderson und Jimmi Smits als Jim Gardener – drei Stunden lähmender Langeweile, die den Zuschauer wünschen lassen, selbst von den Tommyknockers überfallen zu werden, damit das Elend endlich sein Ende hat.

King, Stephen – Achterbahn

Dieser Telefonanruf beschert Alan Parker, Student an der University of Maine, den Schock seines 21-jährigen Lebens: Ein Schlaganfall hat seine Mutter Jean niedergestreckt. Kritisch sei ihr Zustand nicht, wird ihm versichert. Trotzdem macht sich der junge Mann sofort auf den weiten Weg nach Hause. Dummerweise steht sein Wagen in der Werkstatt; er entschließt sich zu trampen. Eine Weile geht alles gut. Alan nähert sich seinem Ziel, bis er schließlich doch auf einem einsamen Wegstück mitten in der Nacht strandet. Seine Stimmung hebt sich nicht, als er bemerkt, dass er am Rande eines alten Friedhofs steht. Ein Grabstein scheint ihn magisch anzuziehen – wie Alan der Inschrift entnehmen kann, liegt hier ein gewisser George Staub begraben, der zwei Jahre zuvor umgekommen ist.

Staubs Grab versetzt Alan in unerklärliche Furcht. Er verlässt den Friedhof fluchtartig und beglückwünscht sich, als er auf der einsamen Straße endlich ein Auto näher kommen sieht. Der Fahrer hält und lässt ihn einsteigen, doch schon nach wenigen Minuten kriecht in Alan die Angst hoch, den Fehler seines Lebens begangen zu haben. Sein Chauffeur ist unzweifelhaft tot, offensichtlich bei einem furchtbaren Unfall ums Leben gekommen. Alan erhält Gewissheit, als sich sein Gegenüber ihm vorstellt: Es ist George Staub, der als Bote des Todes aus dem Jenseits berufen wurde, um Alan vor eine grausame Wahl zu stellen: Er soll entscheiden, wen er mit sich nehmen soll – den Studenten oder seine kranke Mutter. Alan kämpft mit sich, bis die Angst siegt und er Staub das Leben der Mutter anbietet. Staub wirft ihn aus dem Wagen und verschwindet. Alan steht wieder dort, wo die unheimliche Reise begann – am Friedhof.

Er ist fest davon überzeugt, seine Mutter nur noch tot anzutreffen, als er Stunden später das Krankenhaus seines Heimatortes erreicht. Doch Jean lebt; sie erholt sich langsam, und Alan erkennt den wahren Schrecken, den er durch seine Entscheidung heraufbeschworen hat: Staub wird seine Mutter holen – nur eben nicht sofort! Die nächsten Jahre widmet Alan der ängstlichen Sorge um Jean, aber allen Bemühungen zum Trotz steigt sie eines Tages doch in die Achterbahn des Todes …

Ein weiterer Titel des Multimedia-Phänomens Stephen King wird angezeigt – jedes Mal scheint sich bei dieser Gelegenheit über die Büchertische dieser Welt eine Sturzflut zu ergießen, die alle anderen Titel fortreißt und nur die Werke des Meisters zurücklässt. Normalerweise wirft dies keine Probleme auf; der durchschnittliche King-Roman weist allein aufgrund seiner Dickleibigkeit ein enormes Beharrungsvermögen auf.

Aber King war und ist immer für eine Überraschung gut. Dieses „Buch“ zählt gerade 95 Seiten und ist eigentlich gar keines, sondern eine Novelle (eine Literaturform, die man als Kreuzung zwischen Roman und Kurzgeschichte bezeichnen könnte). „Riding the Bullet“ – im Deutschen höchst einfallslos mit „Achterbahn“ übersetzt – kommt durch seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte zur Ehre einer separaten Veröffentlichung. King hat diese Novelle ursprünglich exklusiv für das Internet geschrieben.

„Achterbahn“ stellt also so etwas wie einen Versuchsballon dar. Das Ergebnis ist entsprechend: ein Nichts von einer Geschichte, die eine dürftige Idee inspirationsarm auswalzt. Sollte sich King über die Vermarktungsfrage hinaus überhaupt den Kopf über „Achterbahn“ zerbrochen haben, gipfelten seine Gedanken offenbar höchstens in der fatalistischen Erkenntnis, dass das Leben von einem Moment auf den anderen vorbei sein kann; und zwar unabhängig davon, was wir Menschen dafür oder dagegen tun. An sich eine ziemliche Binsenweisheit, aber dass King über dieses Thema ins Grübeln gekommen ist, lässt sich durchaus nachvollziehen. Im Sommer des Jahres 1999 ist er während eines Spaziergangs von einem betrunkenen Autofahrer überfahren und schwer verletzt worden.

Sein Novellchen hat inzwischen in der Kurzgeschichten-Sammlung „Im Kabinett des Todes“ seinen endgültigen Platz gefunden. Dort gehört es auch hin. Es zwischen eigene Bücherdeckel zu pressen, kann man nur als Geschäftemacherei im Vertrauen darauf werten, dass die Stephen-King-Gemeinde nicht an sich halten kann, sobald sie den Namen ihres Idols liest. Allerdings hält sich bei einem niedrigen Verkaufspreis der Verdruss immerhin in Grenzen.

Koontz, Dean – Phantom – »Unheil über der Stadt«

Snowfield, ein Städtchen hoch in den Bergen des US-Staates Kalifornien, der nicht nur aus verbrannter Wüste und Hollywood besteht, sondern auch des Winters touristisch einiges zu bieten hat. Folgerichtig herrscht in Snowfield in der zweiten Jahreshälfte Hochbetrieb, und der kleinen Schar emsig im Fremdenverkehr tätiger Einheimischer steht eine zehnfache Übermacht vergnügungssüchtiger Urlauber gegenüber.

Noch herrscht jedoch die Ruhe vor dem Sturm an diesem schönen Spätsommertag, den die Ärztin Jennifer Paige für die Rückkehr nach Snowfield gewählt hat. Nach dem Tod der Mutter hat sie beschlossen, ihre erst vierzehnjährige Schwester Lisa zu sich zu nehmen. Der Empfang könnte allerdings schlechter gar nicht sein: Die Straßen des Ortes sind wie ausgestorben, und dann entdeckt Lisa in der Küche des schwesterlichen Hauses die Leiche der Haushälterin, die dort vor ganz kurzer Zeit unter mysteriösen, sichtlich unerfreulichen Umständen ihr Leben verloren haben muss.

Der Sheriff muss her – oder müsste, denn außerhalb der Saison hält nur Deputy Paul Henderson, gerade 24 Jahre alt geworden, die Stellung in Snowfield. Aber auf seine Hilfe kann ohnehin nicht gerechnet werden, denn die Paige-Schwestern finden auch ihn tot in der Polizeistation. Stichprobenartige Exkursionen in die Häuser der Stadt führen entweder in verlassene Räume – oder zu weiteren Leichen, die zum Teil grausam verstümmelt wurden. Außerdem mehrt sich für Jennifer und Lisa der Verdacht, aus den Schatten beobachtet zu werden.

Hilfe von außen wird gerufen. Aus Santa Mira, dem nicht weit entfernten Sitz der County-Verwaltung, macht sich Sheriff Bryce Hammond mit fünf erfahrenen Deputies auf den Weg nach Snowfield. Als sie dort ankommen, lässt der unsichtbare Gegner die Deckung allmählich fallen – und beginnt die Neuankömmlinge brutal zu verfolgen. Während sich die Reihen lichten, igelt man sich ein und hofft auf Rettung und Aufklärung durch General Galen Copperfield und die örtliche Zivilschutzeinheit, der Sheriff Hammond mehr Kompetenz zutraut als der eifrigen, aber schlecht ausgebildeten Nationalgarde. Eine Spur hat man inzwischen auch entdeckt: eine mysteriöse Nachricht, die da lautet |“Timothy Flyte. Der Alte Feind“|.

Ahnungslos fragt sich eben dieser Timothy Flyte im weit entfernten London gerade, ob er wohl endlich wieder auf die Gewinnerseite des Lebens überwechseln kann. Vor Jahren hat er seine akademische Karriere und seinen Professorentitel verspielt, als er mit seiner gewagten Theorie an die Öffentlichkeit trat, die Menschheit sei weder die einzige noch die erste Intelligenz auf dieser Erde. Seit Urzeiten müsse sie sich den Planeten mit einer Art protoplasmatischer Riesenamöbe ausgesprochen fremd- und bösartigen Charakters teilen, die jedes Lebewesen perfekt zu imitieren weiß, sobald sie es absorbiert und dabei seinen Intellekt und seine Fähigkeiten übernommen hat. In regelmäßigen Zyklen falle dieser quasi unsterbliche „Alte Feind“ über die meist ahnungslosen Menschen her und mäste sich an ihren, bevor er sich wieder in eine Art Winterschlaf zurückzöge, bis man ihn vergäße – so Professor Flytes These. Ihm wird bald die Chance geboten, sie in der Realität zu überprüfen, denn die Presse bekommt Wind von seiner Existenz und lässt ihn kurzerhand nach Snowfield einfliegen, wo ihn auch die Behörden gespannt erwarten. Im inzwischen großräumig abgeriegelten Ort beginnt ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Rollenverteilung wechselt, denn der Alte Feind schlägt zwar gern aus dem Hinterhalt zu, aber er wird mächtiger und verliert bald seine Scheu vor einer offenen Konfrontation – und er liebt es, wenn Todesangst seine menschliche Beute würzt, bevor er sie sich schnappt …

Der typische Koontz-Bestseller besonders der letzten Jahre ist eine vielhundertseitige Verfolgungsjagd, hinter der eine notdürftig zusammengezimmerte Allerweltsstory und grob geschnitztes Schablonen-Personal zum Vorschein kommen, sobald die Handlung einmal zur Ruhe kommt. Rau und irgendwie unfertig wirken diese Romane, als habe sie ihr Verfasser noch im Entwurfsstadium auf den Buchmarkt geworfen: Wieso sich unnötige Arbeit mit einer Überarbeitung machen, wo doch die Verkaufszahlen stimmen, mag sich Koontz sagen, während er sich dem nächsten Werk zuwendet; möglicherweise spielt auch die Ungeduld des Workaholics, der in schlampiger Hast mindestens zwei voluminöse Neutitel pro Jahr produziert, wie man es wohl nennen muss, eine gewichtige Rolle.

Der Ärger des erfahrenen Lesers wird um so größer, als er weiß, dass Koontz viel mehr zu Stande bringt, wenn er gut aufgelegt ist bzw. sich Zeit nimmt, seine Geschichte zu erzählen. „Watchers“ (1987, dt. „Brandzeichen“) war so ein Titel, und auch „Phantom“ gehört dazu. Die Geschichte ist sauber konstruiert, wird spannend und trügerisch einfach erzählt und besticht durch eine kunstvoll geschürte, lange am Leben erhaltene Atmosphäre stetiger Bedrohung. Hier treibt Koontz das Konzept des Monsters, das am intensivsten dort wirkt, wo es sich der Leser im Hinterkopf selbst zusammenbauen muss, fast schon auf die Spitze, aber er kommt durch damit!

1983 war H. P. Lovecrafts |Cthulhu|-Saga dem Mainstream-Publikum weiterhin unbekannt, und Stephen Kings Brachial-Epos „It“ (1986; dt. „Es“) lag noch in der Zukunft. So konnte Koontz mit dem „Alten Feind“ praktisch Neuland betreten und die Galerie der literarischen Ungeheuer (Frankenstein-Monster, Vampir, Werwolf, Mumie etc.) mit ihrem vielleicht letzten Archetypus bereichern: dem urzeitlichen Gestaltwandler – ein Zwischending aus Außerirdischem und Mutanten, wie es schon wenig später die Gen-Labore des Z-Films (u. a. daran zu erkennen, dass Lance Henrikson oder Doof Lundgren mitspielen) zu Hunderten ausspeien würden. Diese Chance hat er gut genutzt!

„Phantoms“, der Film von 1998, prunkt mit einem Drehbuch von Koontz persönlich und einer ebenso hochkarätigen wie interessanten Besetzung, die aktuelle Jungstars (Ben Affleck, Rose McGowan) und Hollywood-Altstars ohne abgesicherten Rentenanspruch (Peter O’Toole) vor der Kamera vereint. Die Regie von Horror-Routinier Joe Chappelle („Halloween“ 5 u. 6) ist handwerklich sauber, die Effekte sind sorgfältig (und zum Teil überraschend deftig) in Szene gesetzt, aber der Gruselspaß bleibt trotzdem aus, weil der Zuschauer jedes Bild, jede Figur, jeden Dialog schon aus tausend anderen mittelmäßigen Phantastik-Streifen zur Genüge kennt. Fatal ist zudem die formale Nähe zu den TV-Miniserien, die um die Romane des angeblichen Koontz-Konkurrenten Stephen King gesponnen werden. Statt eigene Wege zu gehen, folgte man dem bewährten, aber wenig aufregenden Muster.

Koontz ist da nicht von Schuld frei zu sprechen, denn gar zu offensichtlich treten im Film die Sünden zu Tage, die auch das Buch kennzeichnen. Die Figuren werden weniger eingeführt und entwickelt, sondern in ihre literarische Welt geworfen, wo sie primär vor dem Phantom fliehen und sich verstecken müssen. Sobald sie zur Ruhe kommen, wird es heikel, denn wirklich echt wirken sie nicht. Gänzlich misslungen ist Koontz zum Beispiel die Figur der jungen Lisa Paige. Sie verhält sich wenig kindgerecht ihrer mehr als doppelt so alten Schwester absolut ebenbürtig, redet auch so und hält sich im Übrigen wie ihre Mitstreiter strikt an das Klischeemuster, das für die Bewohner von Monstern belagerter amerikanischer Kleinstädte obligatorisch zu sein scheint und sie zuverlässig dorthin neugierig ihre Nase stecken lässt, wo es dunkel ist und garantiert das Böse lauert.

Rätselhaft bleibt die Klärung der Neuausgabe von „Phantoms“. Dean Koontz hat die Aktualisierung seiner alten Romane (die sich auf diese Weise ein weiteres Mal gut vermarkten lassen) fast zu einem Markenzeichen erhoben. Mit dieser Praxis bewegt er sich im Einklang mit dem Zeitgeist, für den die Grenzen zwischen Original, Urversion, Neufassung oder Remake eines Werkes sich immer rascher auflösen. Was noch irgendwie verständlich ist, wenn zum Beispiel zwischen „Prison of Ice“ von 1976 und dem Relaunch „Icebound“ von 1995 (dt. „Eisberg“) die bösen Sowjet-Kommunisten als von der Geschichte inzwischen aus dem Rennen geworfene Bösewichter weichen mussten, bleibt hier unklar: Stichproben machen deutlich, dass es zwischen „Unheil über der Stadt“ von 1983 und „Phantom“ von 1998 so gut wie keine Unterschiede gibt.

Was hat Koontz hier also „bearbeitet“? Hier und da hat er die Geldausgaben seiner Protagonisten der Inflation angepasst, die Rechenleistung der eingesetzten Computer-Software oder den Gentechno-Bubble auf den neuesten Stand gebracht. Aber einschneidende Veränderungen sind unterblieben, was sein Werk weiterhin recht anachronistisch wirken lässt – was ist von einer Geschichte zu halten, die jetzt angeblich auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert spielt, in der aber an keiner Stelle ein Handy auftaucht? Kein Wunder, denn in diesem Fall müsste die Phantomjagd ganz anders aussehen!

Genauso seltsam ist das Mysterium der doppelten Übersetzung. Während 1986 Wolfgang Crass „Phantoms“ ins Deutsche übertrug (und dabei gute Arbeit leistete), löste ihn nun Ulrike Laszlo ab. Angeblich stützte sie sich auf Koontz‘ Neufassung, doch auch hier stellt sich bei der Nachprüfung heraus, dass die neue Übersetzung der alten praktisch Wort für Wort folgt! Auch Kürzungen oder Auslassungen lassen sich im alten Text nicht feststellen.

Dean Koontz besitzt eine offizielle Website, die – wie es einem Erfolgsautor seines Kalibers zukommt – von seinem Hausverlag opulent gestaltet und mit Inhalten (und Werbung) bestückt wird: http://www.randomhouse.com/features/koontz. In Deutschland erweist das Publikum dem Meister seine Referenz; hier ist die wohl beste (wenn auch nicht unbedingt g u t e …) Seite wohl http://www.deankoontz.de.

King, Stephen – Danse Macabre – Die Welt des Horrors

Im Jahre 1978 feierte Stephen King just seinen Durchbruch als Schriftsteller. Zu diesem Zeitpunkt konnte er noch nicht ahnen, welches Ausmaß sein Ruhm und vor allem die Verkaufszahlen seiner Bücher in den folgenden Jahren erreichen würden. Der junge King hatte deshalb ein offenes Ohr für seinen damaligen Verleger, der ihm, dem besten, aber noch jungen Pferd in seinem Autorenstall, einen Vorschlag machte: Er sollte eine Abhandlung über das Unheimliche in seinem gesamten Spektrum – Bücher, Filme, Fernsehen etc. – schreiben!

So absurd war der Gedanke nicht. Zum einen sollte das spätere „Danse Macabre“ kein „richtiges“ Fachbuch werden, das akademischen Ansprüchen genügen musste, sondern durfte populärwissenschaftlich und allgemeinverständlich gehalten werden. Zum anderen war Stephen King durchaus prädestiniert für eine solche Aufgabe. Seit frühester Jugend liebte er den unterhaltsamen Horror in allen seinen Spielarten. Mit der gesunden Neugier des wahrhaft Wissbegierigen hatte er Berührungsängste vor „Schund“ und Trash gar nicht erst aufkommen lassen: Der junge Stephen sah, las und hörte alles mit derselben Neugier. Gleichzeitig begann er bald, sich Gedanken über das zu machen, was ihm so große Freude bereitete. Auf dem College lernte King schließlich, wie man Fakten sammelt, auswertet und präsentiert; die Fans wissen selbstverständlich, dass der Meister seine berufliche Laufbahn als Universitätsdozent begann. Dass er damit ziemlich erfolglos blieb, war wohl nicht seine Schuld. So schlecht kann er aber nicht gewesen sein, wenn man „Danse Macabre“ als Maßstab für den Seminarleiter King werten möchte.

Ein „Insider“, der seine Arbeit reflektieren, in ihren thematischen Gesamtzusammenhang stellen und das Ergebnis auch noch verständlich ausdrücken kann, ist ein Geschenk für jene, die sich über diese Arbeit informieren möchten. „Danse Macabre“ ist weit mehr als der Beweis für Kings immenses Wissen über die Welt und das Wesen des Horrors, sondern darüber hinaus ein Sachbuch, das sich trotz seines eindrucksvollen Umfangs genauso spannend wie ein King-Roman lesen lässt. Kein Wunder: Weil ihn das Medium Sachbuch der Verpflichtung zu akademischer Sachlichkeit enthebt, kann King es sich leisten, seine Ausführungen mit autobiografischen Einsprengseln anzureichern.

Wo viel Licht, da viel Schatten, wie es so schön heißt … So lehrreich und unterhaltsam Kings Plaudereien über die Welt des Unheimlichen sich lesen – eine grundsätzliche Frage bleibt nach der Lektüre unbeantwortet: Welchen Sinn macht „Danse Macabre“ heute eigentlich noch? Entstanden ist dieses Buch im Jahre 1981. Seit dem „Redaktionsschluss“ hat sich der Inhalt nicht mehr geändert. Kings allgemeingültige Ausführungen über das Wesen des Horrors bleiben davon weitgehend unberührt. Doch zwei Jahrzehnte sind eine kleine Ewigkeit, wenn sie in der populärkulturellen Welt verstreichen.

Zudem kannte schon 1988, als die erste Erstausgabe von „Danse Macabre“ erschien (damals im |Heyne|-Verlag), das deutsche Publikum die meisten Filme, auf die King sich bezieht, höchstens vom Hörensagen. Dank der Freiwilligen Selbstkontrolle und ähnlicher Einrichtungen (die vorgeben, keine Zensur auszuüben, die es ja offiziell in diesem unseren Lande nicht mehr gibt …) wird sich daran auch nichts ändern.

Noch einmal viele Jahre später sind Kings Referenzwerke, die ihm der Verdeutlichung seiner Aussagen dienen, endgültig im Museum (bzw. auf der Müllkippe) für Filmgeschichte gelandet. Schlimmer noch: Die Zeit ist nicht stehen geblieben. Ob gedruckt oder gedreht – die Historie des Horrors hat sich seit 1981 mehr als nur entwickelt, sondern ist durchaus ganz neue Wege gegangen. Darüber hinaus haben viele Schlüsse, die King einst guten Gewissens und nicht selten genial gezogen hat, in der Zwischenzeit eine Neubewertung erfahren.

Es ist müßig darüber zu spekulieren, wieso ein hoffnungslos veraltetes Buch in neuem Gewande, aber inhaltlich völlig unverändert neu aufgelegt wird: Sein Autor heißt Stephen King, und der gehört heute genauso zu den Stars der Horrorszene wie 1981. Die seither (bzw. seit der deutschen Ausgabe von 1988) herangewachsenen Fan-Generationen werden die Gelegenheit, neue, d. h. bisher nie gelesene Worte aus der Feder des Meisters zu lesen, begeistert wahrnehmen. Erst während der Lektüre wundert sich der oder die Leser/in womöglich darüber, dass gleich zwei Dezennien (Freddy! Jason! Michael Myers 2ff.!) durch völlig Abwesenheit glänzen. Bedauerlich, denn was hätte King wohl zur „Scream“-Trilogie, zum „Blair Witch“-Phänomen, usw. zu sagen – die Liste der wichtigen oder „nur“ interessanten Etappen auf dem Weg zum Horror von Heute ist schier endlos.

Leider ist Stephen King schon lange dem Stadium entwachsen, in dem man ihn mit Geld oder sanfter Überredung zu literarischem Schaffen veranlassen könnte – in unserem Fall ist damit natürlich die vollständige Überarbeitung und Ergänzung von „Danse Macabre“ gemeint. So wird vor allem ein nostalgisches Interesse befriedigt, wobei diese Zielgruppe womöglich eher schmal bleibt.

Stephen King – Christine

Das geschieht:

Es ist Liebe auf den ersten Blick, als Arnie Cunningham, gerade 17 geworden, Christine begegnet – einem feuerrot-weiß lackierten, haifischflossengezierten Plymouth Fury des Baujahres 1958. In Libertyville, einem Städtchen im US-Staat Maine, ist Arnie, der intelligent aber keine Sportskanone ist sowie von heftiger Akne heimgesucht wird, der Prügelknabe seiner Highschool. Nur die Freundschaft zum baumlangen Football-Spieler Dennis Guilder verhindert, dass die Jugend von Libertyville den Außenseiter endgültig ausradiert.

Niemand weiß, dass Arnie hinter einer Maske aus Gleichmut sehr wohl seinen Groll nährt und Rachepläne schmiedet. Das macht sich Christine zunutze, die weniger ein Auto, sondern eine Metall gewordene und von einem bösen Geist beseelte Todesmaschine ist und sich als Instrument der Vergeltung anbietet, die Arnie in Libertyville üben will. Stephen King – Christine weiterlesen

Richards, Curtis – Halloween

Haddonfield, ein kleines Städtchen im US-Staat Illinois, Heimstatt braver Bürger, die das Schicksal in dieser Halloween-Nacht des Jahres 1978 auf eine harte Probe stellt. Sie werden dieses Mal endgültig begreifen, dass es den Schwarzen Mann wirklich gibt, nachdem er hier schon einmal eine Kostprobe seines Könnens geliefert hat: Am 31. Oktober 1963 war das Böse in den sechsjährigen Michael Myers gefahren. Stimmen hatte er schon vorher gehört, die ihn zu üblen Taten verleiten wollten, aber erst in dieser seltsamen Nacht, in der die Toten ihre Gräber und böse Geister die Hölle verlassen dürfen, übernahm ein uralter, aus Nordirland angereister keltischer Geist das Kommando über sein Hirn und ließ ihn die große Schwester meucheln. Sie hatte es aber verdient, denn sie war ein böses Mädchen, das mit dem nichtsnutzigen Freund Schlüpfriges trieb, statt brav zu bleiben und sich für den zukünftigen Ehemann aufzusparen.

Sein dämonischer Auftrag, das US-Kleinbürgertum von verdorbenen Elementen zu reinigen, sowie das Wissen darum, dass dies mit einem großen Tranchiermesser am eindrucksvollsten gelingt, hilft Michael über die langen, öden Jahre hinweg, die er in Smith’s Grove, der Anstalt für geisteskranke Kriminelle, schmachten muss. Er entwickelt sich zum Schrecken der übrigen Insassen – und zum Lebensinhalt des Psychiaters Sam Loomis, der bis auf den Grund von Michaels Seele schaut und dort unten Satan winken sieht. Zukünftig fühlt sich der Doktor berufen, seinen Lieblingspatienten von der Welt fernzuhalten. Auf Lebenszeit will er Michael in Smith’s Grove eingesperrt wissen, doch leider findet der einsame Rufer in der Wüste kaum Unterstützung, was auch daran liegen mag, dass Dr. Loomis selbst kein besonders einnehmendes Wesen ist, sondern ein ungehobelter Fanatiker, der den Behörden ob seiner ständigen Eingaben und Warnungen vor dem angeblich vom Teufel besessenen Michael Myers mehr oder weniger als Querulant gilt. Derweil entwickelt sich Michael recht unbehelligt zu einem schweigsam brütenden jungen Mann mit erstaunlichen Körperkräften, aber ohne Moral und Mitgefühl. Nicht lange nach seinem 21. Geburtstag bricht er aus und macht sich daran, Haddonfield einen Besuch abzustatten.

Noch schneller als der berüchtigste Sohn der Stadt ist allerdings Dr. Loomis, der sogleich ahnt, wohin es Michael zieht. Den typisch begriffsstutzigen Kleinstadt-Sheriff nur widerwillig an der Seite, streift er mit gezückter Waffe durch das nächtliche Haddonfield, wo ein inzwischen leider maskierter Irrer zwischen den allgegenwärtigen Halloween-Gauklern gar nicht mehr auffällt. Dessen Auge ist inzwischen mit mordlüsternem Wohlgefallen auf Laurie Strode, süße 17, und ihre jugendlichen Freunde gefallen. Auch diese denken leider immer nur an das Eine und müssen daher bestraft werden – eine Aufgabe, der sich Michael Myers mit der ihm eigenen Kompromisslosigkeit zu widmen beginnt …

„Halloween“, der Horrorfilm von 1978, gehört zu den großen Erfolgen der Kinogeschichte. Seit einem Vierteljahrhundert spült er viel Geld in diverse Kassen, ist zeitlos spannend und kann mit Fug und Recht als Kultklassiker seines Genres gelten. Dafür ist weniger die schon damals nicht gerade originelle Geschichte vom blutrünstigen Buhmann, der nicht zu stoppen ist, verantwortlich, sondern ein John Carpenter auf der Höhe seiner Fähigkeiten, dem es als Drehbuchautor gelang, die Story virtuos auf das Wesentliche zu beschränken, während er als Regisseur alle Register des Filmhandwerks zog. Was weiter wurde, wissen wir nur zu gut. Maskierte Munkelmänner schwärmten in Legionsstärke aus, um ansehnlichen Teenagern mehr oder weniger einfallsreich das Lebenslicht auszublasen. Auch Michael Myers wurde zum cineastischen Wiedergänger, der inzwischen zum achten Male eine ganz neue Generation von Gruselfans heimsuchte.

Die enorme (aber im Gegensatz zu den Aufgüssen verdiente) Popularität des ersten „Halloween“-Streifens scheint das eigene Studio überrascht zu haben. Wie sonst lässt sich erklären, dass das unvermeidliche „Buch zum Film“ letzterem erst mit einjähriger Verspätung folgte? Geschrieben hat es Curtis Richards aber offensichtlich sehr viel früher, denn es beinhaltet Szenen aus Drehbuchfassungen, die den Weg in das endgültige Script nicht fanden. Hinzu kommen Episoden, die er sich selbstständig aus dem Hirn gewrungen hat, um der wie gesagt simplen Story Tiefe zu verleihen.

Freilich ist dieser Curtis Richards ein jämmerlicher Schriftsteller oder besser Schreiberling, der es sich förmlich zur Aufgabe gemacht hat, gegen sämtliche Regeln zu verstoßen, die eine logische oder wenigstens spannende Geschichte entstehen lassen könnten. So ist es zwar verständlich, wenn er Michael Myers als Individuum zeichnet und mit einer Vergangenheit ausstattet, doch er vergisst darüber, dass diese Figur überhaupt nur funktioniert, solange sie dem Zuschauer oder Leser fremd und rätselhaft und dadurch unheimlich bleibt. Nun zu lesen, wie Michael sich in seiner Zelle angeregt mit Dr. Loomis unterhält (!) und diesem enthüllt, dass einst der Geist eines pubertierenden Druiden-Jünglings (!!) Gewalt über ihn gewann, zerstört nachhaltig den Eindruck des untoten Bösen, das einfach nur ist und Unheil über die Welt bringt. Wieso setzte Carpenter seinem Film-Michael wohl eine Maske auf und ließ ihn nie ein Wort verlieren? Auf diese Weise wurde die letzte Verbindung zum Menschen Michael Myers gekappt, der sich in eine Unperson verwandelte. Richards scheut dagegen nicht einmal davor zurück, immer wieder hinter diese Maske zu blicken, uns Michaels Gedanken und Gefühle zu schildern und ihn als Ausgeburt der Hölle gründlich zu entzaubern.

„Halloween“ lebt vom Reiz des nicht Erklärten. In Haddonfield haben sich tatsächlich die Pforten der Hölle geöffnet. Die Konsequenzen sind schlicht und ergreifend furchtbar – und im Film kommt dies auch wunderbar über. Bewegung, Licht und Schatten und die geniale Musik (noch einmal Carpenter) lassen vergessen, dass „Halloween“ nichts als eine Hetzjagd über Tisch und Bänke ist. Insofern hatte Richards natürlich einen schweren Stand, denn auf dem Papier wird diese Eindimensionalität gnadenlos offengelegt. Michael Myers darf keine Persönlichkeit besitzen, und seine Gegner und Opfer benötigen sie nicht.

Aber halt, in einem Punkt weichen Carpenter und – auf den Spuren des Meisters – notgedrungen auch Richards von diesem Muster ab. Schon die zeitgenössische Kritik war bass erstaunt, welchen konservativen bis reaktionären Ton „Halloween“ anschlägt. Vom „New Cinema“ der 70er Jahre keine Spur; stattdessen müssen wir Wertvorstellungen erkennen, die ungefiltert den Geist der Fünfziger atmen. Michael Myers jagt und tötet stets die „schlechten“ Jungs und vor allem Mädels – jene, die nicht auf ihre Eltern, die Lehrer, den Pfarrer, den Sheriff hören, sondern gegen die Regeln verstoßen, ungehorsam sind, nicht fleißig lernen, sich aufreizend kleiden, schminken, rauchen, haschen oder dem Sex vor der Ehe frönen und – das schlimmste Verbrechen – womöglich Vergnügen daran finden: |“Während Lauries Reize bescheiden unter unauffälligen Kleidern und einer eigentlich biederen Frisur versteckt waren, trug Linda hautenge Jeans und Pullover, bunte Bänder im Haar und schrie mit ihrem gesamten Erscheinungsbild praktisch jedem, der es sehen wollte, ‚Hier gibt’s Sex!‘ zu.“| (S. 76) Das ist anscheinend ein todeswürdiges Verbrechen in Haddonfield. Die angepassten, vernünftigen, langweiligen Kids kommen dagegen durch, um ihre freudlose Existenz fortsetzen zu können.

Tritt uns die hölzerne Laurie Strode nicht in Gestalt der fabelhaften Jamie Lee Curtis, sondern als literarische Figur des Curtis Richards entgegen, ist sie einfach nur unerträglich in ihrem selbstgefälligen Puritanismus. Sie überlebt letztlich, weil sie mit dem Höschen auch das Hirn frei hält und ihr daher im entscheidenden Moment einfällt, wie der aufrechte Amerikaner dem Bösen entgegentritt: schwer bewaffnet und noch brutaler als der Gegner nämlich. Sollte Carpenter dies alles ironisch gemeint haben (wofür allerdings keine Indizien sprechen), hat sich dieser Ansatz im „Buch zum Film“ in Luft aufgelöst.

Doch selbst dort, wo Richards sich darauf beschränkt, die Filmstory nachzuerzählen, erleidet er kläglich Schiffbruch. Ihm gelingt es, jegliche Spannung zu töten und die wunderbare, gleichermaßen morbide wie kitschige Halloween-Kulisse links liegen zu lassen. Allerdings wird er dabei hierzulande kräftig unterstützt von einem geradezu kriminell unfähigen Übersetzer, der nie auch nur das geringste Gespür für den Text erkennen lässt, den er anscheinend Wort für Wort in eine dem Deutschen ähnliche Sprache übertragen hat. Eine schauerliches Lese-Erlebnis fürwahr, aber keines, das für den gewünschten Gruselspaß sorgen könnte!

Stephen King – Duddits: Dreamcatcher

Das geschieht:

Das Leben hat sie gebeutelt: Joe „Biber“ Clarendon, den Hippie-Tischler, der zwanghaft Zahnstocher zerkaut; Pete Moore, den alkoholsüchtigen Autoverkäufer; Henry Devlin, den depressiven Psychiater, für den der Selbstmord bereits beschlossene Sache ist, und Gary „Jonesy“ Jones, den College-Dozenten, der sich gerade langsam von einem schweren Autounfall erholt. Seit einem Vierteljahrhundert kennen sie sich und haben sich niemals aus den Augen verloren. Ein unsichtbares Band verbindet sie – und das buchstäblich, denn das Quartett verfügt über gewisse hellseherische Kräfte.

Trotzdem waren Biber, Pete, Henry und Jonesy nur Waisenknaben gegen den Fünften im Bunde: Douglas Cavell, genannt „Duddits“, ihren geistig behinderten, telepathisch begabten Freund aus der Kleinstadt Derry im US-Bundesstaat Maine, Neuengland. Ihn hat das Quartett aus den Augen verloren. Stephen King – Duddits: Dreamcatcher weiterlesen

King, Stephen – Buick, Der

Statler, eine kleine Stadt im Westen des US-Staates Pennsylvania, keine besonderen Attraktionen, einfach ein Ort, an dem Menschen zusammenleben – mal friedlich, mal auch wieder nicht. Dass zumindest auf den Straßen zwischen beiden Polen die Balance gewahrt bleibt, sichert die Pennsylvania State Police. In der kleinen Polizeikaserne von Statler residieren die Männer (und – der Fortschritt findet schließlich auch die Provinz – seit einigen Jahren einige Frauen) des Troop D. Ihr Dienst ist bei aller Routine hart und nicht ungefährlich; erst im Vorjahr hat ein betrunkener Autoraser den allseits beliebten Kollegen Curt Wilcox umgebracht.

Dessen Sohn Ned ist es, der die einzige echte Sehenswürdigkeit der Stadt entdeckt. Der junge Mann, gerade der High School entwachsen, verdient sich in der Telefonzentrale das Geld für sein Studium, als er im Schuppen B hinter der Kaserne eine erstaunliche Entdeckung macht: Dort steht gut versteckt ein fabelhaft erhaltener Oldtimer der Marke |Buick Roadmaster|, Baujahr 1958, genannt „Buick Eight“, denn acht Zylinder verleihen dem mächtigen Motor Schwung.

Theoretisch jedenfalls, denn tatsächlich ist die Maschine gar keine, wie überhaupt dieser |Buick| kein Auto ist. Statt dessen ist er eine Attrappe in Pkw-Gestalt, das rätselhafte Artefakt einer Intelligenz, die ganz sicher nicht von dieser Welt ist: Obwohl der |Buick| sich aus eigener Kraft überhaupt nicht bewegen kann, öffnet er das Tor in eine andere Dimension, wie sie fremdartiger kaum vorstellbar ist. Troop D ist 1979, vor mehr als zwei Jahrzehnten, in den Besitz des Buick gekommen. Es hatte damals nicht lange gedauert, bis die Polizisten begriffen, dass sie vom Schicksal zu Hütern dieses infernalischen Gefährts bestimmt waren: Der unglückliche Trooper Ennis Rafferty geriet noch am Abend des Fundtages in den Bann des |Buicks|, der eine eigentümliche Anziehungskraft auf Menschen ausübt – und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Seine entsetzten Kollegen beschlossen, die Tragödie zu vertuschen, und das Rätsel selbst zu lüften. Zwanzig Jahre gelingt es erfolgreich, den Wagen vor den vorgesetzten Behörden und der Öffentlichkeit zu verbergen; zwanzig Jahre, in denen besonders Curt Wilcox sich verbissen müht, hinter die Kulissen des |Buicks| zu blicken. Doch dieser bleibt ein Mysterium – ein hochgradig gefährliches dazu, denn obwohl der Buick nicht fahren kann, funktioniert er als Materietransmitter weiterhin hervorragend – und zwar in beide Richtungen! Ohne Vorwarnung sind in diesen beiden Jahrzehnten immer wieder Besucher aus der „Twilight Zone“ im Schuppen B aufgetaucht – unendlich fremde, grässlich anzusehende Kreaturen, die in der für sie giftigen Erdluft rasch zugrunde gingen, aber manchmal lange genug lebten, um ihre unfreiwilligen Gastgeber in Angst und Schrecken zu versetzen.

Das ist die Geschichte, die der faszinierte Ned zu hören bekommt. Es zeigt sich, dass der junge Wilcox von dem |Buick| genauso besessen ist wie der alte: Ned will Gewissheit erzwingen, wo sein Vater scheiterte. Mit vollem Wissen öffnet er die Schleuse zu jener anderen Welt. Darauf hat der |Buick| nur gewartet, und zum ersten Mal spielt er seine Macht voll aus. Die Folgen sind buchstäblich unglaublich …

Schon mit „Duddits – Dreamcatcher“ hatte es sich 2001 angekündigt: Nach seinem schweren Unfall 1999, vor allem aber nach Überwindung seiner langen Alkohol- und Drogenabhängigkeit findet der Schriftsteller Stephen King zu einer Form zurück, die man ihm nach den vielen enttäuschenden Werken der jüngeren Vergangenheit (unter denen das wirr-komplizierte, hohl-geschwätzige Endlos-Epos „Wizard and Glass“, 1997 – dt. „Glas“ – einen traurigen Spitzenplatz einnimmt) gar nicht mehr zugetraut hatte. „From a Buick Eight“ stellt zu „Duddits“ sogar noch einmal eine deutliche Steigerung dar.

Da ist zunächst einmal die wohltuende Kürze des Werkes. Nun sind 500 Seiten nicht gerade wenig, doch im Vergleich zu den immer umfangreicher werdenden King-Geschichten der Jahre bis ca. 2000 eben doch deutlich weniger. (Auch „Duddits“ war bei allen Qualitäten deutlich zu lang.) Nachdem endlich der Profi und Horror-Spezialist Stephen King sein Alter Ego, den Koks-König gleichen Namens, ersetzt hat, wird nun wieder deutlich, was diesen Mann so beliebt und berühmt gemacht hat: Hier ist ein Autor, der das Unheimliche nicht nur in einzelnen Szenen heraufzubeschwören weiß, sondern es in eine Gesamtgeschichte integriert, die kundig die Spannung aufbaut, meisterhaft hält und stetig intensiviert, um in einem furiosen Finale die Fetzen fliegen zu lassen. Da ist es um so erfreulicher, dass es ihm inzwischen gelingt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Überhaupt ist „Der Buick“ im Grunde ein Roman ohne Handlung – da sitzen einige Männer und Frauen und erzählen Geschichten, die sich längst ereignet haben. Und der Buick, der doch die Rolle der Chef-Monsters übernimmt, fährt aus eigener Kraft keinen Millimeter. Das ist von King ebenso boshaft wie klug ausgedacht; er nimmt dadurch vor allem auch den Kritikern den Wind aus den Segeln, die sich darüber mokieren, dass der ohnehin von ihnen gern Geschmähte „schon wieder“ ein Geisterauto ins Zentrum stellt. Dabei sind seit „Christine“ knapp zwei Jahrzehnte verstrichen; bezieht eigentlich Anne Rice soviel Prügel wie King, weil sie seit Jahr und Tag Vampirreißer am Fließband produziert? King selbst hat die (rhetorische) Frage gestellt, welcher wirklich neue Plot denn einem Schriftsteller noch einfallen könnte, der fünfzig Romane verfasst hat. Nüchtern kann er sich jedenfalls heute müheloser denn je gegen die schreibende Konkurrenz wie Dean Koontz oder James Herbert (oder ihr klägliches deutsches Surrogat Wolfgang Hohlbein) behaupten!

So begibt sich Profi King zwangsläufig auf bereits beackerte Felder. Der |Buick Roadmaster| ist eindeutig das Transportmittel eines der legendären „Männer in Schwarz“ (oder „Men in Black“ – die klamottige Variante verbreitet von Zeit zu Zeit in Gestalt des Duos Will Smith/Tommy Lee Jones im Kino Ärger und Langeweile), die als tölpelhafte Kundschafter angeblich außerirdischer Besucher untrennbar zur UFO-Hysterie ab 1950 gehören.

Macht man ihm solche „Anleihen“ nicht zum Vorwurf, bietet „Der Buick“ Spaß und Grusel für viele angenehme Lektüre-Stunden. Natürlich ist dies nicht der fein gesponnene, „psychologische“ Horror (möglichst ohne Gespenst), den die Literaturkritik ebenso wehmütig wie scheinheilig einzufordern pflegt. Der ist aber auch gar nicht Kings Metier, wie er selbst nie müde wird zu erwähnen. Trotzdem lässt sein gern zitiertes Bild vom „Hamburger mit einer großen Portion Fritten“ als Pendant zum typischen King-Roman viel Koketterie erkennen: Er weiß sehr gut, was er kann. Auch „Der Buick“ ist nicht einfach „nur“ spannend. Das Drumherum stimmt: Wieder hat King mit den Männern und Frauen des Troop D nicht nur Pappkameraden geschaffen, sondern echte Menschen, keine Helden oder Schurken, sondern Durchschnittsamerikaner, wie sie so authentisch (und sympathisch) wenigen anderen Autoren gelingen würden.

Apropos Kritik: Ja, es trifft zu, dass King (wieder) zu viel des Guten tut, wenn er seinem Publikum die aus dem Kofferraum des Buicks schlüpfenden Ungetüme in allen Details vor Augen führt. H. P. Lovecraft wurde derselbe Vorwurf gemacht. Seltsamerweise liest man seine Geschichten deshalb heute nicht wenig gern und oft. Es kommt auch hier darauf an, dass man es richtig macht – und der alte Mann aus Maine zieht noch manchen Trumpf aus dem Ärmel; die Episode mit dem im eigenen Saft kochenden Polizeihund Mr. Dillon ist in ihrer Mischung aus Tragödie, Grauen und schwarzer Komik King at his best: Volldampf im Kessel, wenn’s sein muss, und zum Teufel mit den Nörglern!

David A. Stern – Blair Witch: Die Bekenntnisse des Rustin Parr

Die Suche nach einer legendären Hexe endet übel, als diese quicklebendig die Gelegenheit nutzt, in einen neuen Körper zu schlüpfen … – Der künstlich ins Leben gerufene „Blair-Witch“-Mythos erfährt eine spannende Ausschmückung, die wie im Film als „Mockumentary“ präsentiert wird: geschickt gemacht und unterhaltsam.
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Jeff Long – Im Abgrund

Long Abgrund Cover kleinDas geschieht:

Auf einem der vielen Schlachtfelder des ehemaligen Jugoslawiens untersuchen 1996 NATO-Ärzte ein Massengrab. Die Leichenberge werden aufgewühlt – und zwar von unten! Als Blauhelm-Major Elias Branch dem nachgeht, wird seine Gruppe ausgelöscht. Nur Branch überlebt. Seine Geschichte von gehörnten Leichenfressern mag ihm niemand glauben. Doch Branch kehrt zurück nach Bosnien und findet einen alten Minenschacht. Er öffnet sich in tiefe Höhlen und Gängen, die sich über Kilometer hinziehen – und das ist nicht das Ende: Die Basaltsockel, auf denen die Kontinente ruhen, sind durchlöchert wie ein Schweizer Käse! Weltweit werden unter der Erde unglaubliche Entdeckungen gemacht, von denen die Öffentlichkeit wenig erfährt. Die Armeen der Welt schicken Truppen in den unterirdischen Kosmos.

Branch, der Entdecker, warnt vor den unheimlichen Bewohnern, die er in der Tiefe vermutet. In der Tat ist die Unterwelt bewohnt. Die „Hadal“ üben seit Jahrtausenden ihr Schreckensregiment aus. Immer wieder kommen sie an die Oberfläche kommen, wo sie rauben und Menschensklaven verschleppen. Auch jetzt wollen sie sich ihre Herrschaft nicht streitig machen lassen.

Die Existenz der Hadal lässt sich nicht mehr geheim halten. Im Untergrund bricht ein erbitterter Krieg aus, denn der Mensch will sich nicht vertreiben lassen. Bodenschätze und Ölfelder locken große Konzerne. Im Zusammenspiel mit den örtlichen Regierungen und dem Militär pumpen sie Geld in die Erschließung der Unterwelt. C. C. Cooper. Eigentümer des „Helios“-Konzerns, träumt gar von einem eigenen Reich im Inneren der Erde. Er rüstet eine Expedition aus. Sie soll die Grenzen ‚seines‘ Landes abstecken – und die Hadal durch eine neu entwickelte Virenwaffe ausrotten. Wissenschaftlich beschäftigt sich die „Beowulf-Gruppe“ mit den Hadal. Sie geht der Frage nach, ob sich hinter den Bewohnern der Unterwelt womöglich der biblische Satan verbirgt. Dabei kommt man der tragischen Geschichte einer „zweiten Menschheit“ auf die Spur.

An der Oberfläche eskaliert der Konflikt. Kranke Hadal suchen Asyl und werden umgebracht. Andere Hadal tragen den Krieg unter die Menschen und offenbaren dabei die erschreckende Fähigkeit der „bewussten Wiedergeburt“ im Körper des Feindes. Der Countdown läuft – „Helios“ kann die biologische Zeitbombe im Inneren der Erde jederzeit zünden, während die Hadal eigene, weiterhin völlig undurchschaubare aber für ihren menschlichen Gegner lebensbedrohliche Kriegspläne verfolgen …

Fantasie schlägt Routine

Der Liebhaber phantastisch-unheimlicher Romane ist wird in der heutigen Buchwelt theoretisch gut versorgt. Deutlich mehr Titel, als der Leser verkraften kann, werden Jahr für Jahr auf den Buchmarkt geworfen. Allerdings entstehen dabei vor allem Monokulturen. Das Publikum wird mit immer denselben pseudo-erotischen Vampiren, dem schleimigen Bösen aus der Urzeit oder telepathischen Serienmördern gelangweilt; dies schon seit Jahren und gern in Serie. Die Stars des handfesten, das Grauen nicht ausschließlich in den Abgründen der menschlichen Psyche ortenden Horrors spulen routiniert ihr Standardprogramm ab und vermeiden es sorgfältig, ihr Publikum durch neue Ideen zu verschrecken.

Jeff Long unternimmt den Versuch, die ausgetretenen Pfade wenigstens ansatzweise zu verlassen. Zwar hat „Im Abgrund“ kaum die Chance, als Meilenstein der phantastischen Literatur in die Geschichte einzugehen, da der Plot weist noch tiefere Löcher aufweist als die bodenlosen Katakomben, in denen die Hadal hausen. Jeff Longs Reise zum Mittelpunkt der Erde ist ebenso ‚realistisch‘ wie die klassische Vorlage von Jules Verne, auf die der Autor immer wieder anspielt. Aber das macht nichts, denn Long erzählt seine Geschichte so rasant, dass man sich gern von ihm manipulieren lässt. Besonders die ersten 160 Seiten – Elias Branchs bizarre Erlebnisse auf einem bosnischen Gräberfeld – gehören zum Besten, was das Genre in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat.

Die Kunst, eine Geschichte richtig zu erzählen, ist eine offensichtlich seltene Gabe, die man deshalb gar nicht hoch genug wertschätzen kann. Wenn dieser Rezensent – der viele gewollt (und noch mehr unfreiwillig) unheimliche Romane gelesen hat – sich an Titel erinnern möchte, die das gerade Gesagte beherzigen, sieht die Bilanz düster aus. Die Kombination von High Tech und Grusel ist an sich nichts Neues; man denke beispielsweise an Douglas Preston und Lincoln Child, die eine ganze Schriftstellerkarriere mit dieser Formel bestreiten.

Bewährtes und Neues in gelungener Mischung

Jeff Long kann sich mit „Im Abgrund“ nicht nur sehen lassen. Dabei war er als Autor ein Neuling und sein erster (in Deutschland erschienener) Roman „The Ascent“ („Tödliches Eis“) ein konventioneller Polit- und Abenteuer-Thriller, der den furiosen Nachfolger an keiner Stelle ahnen ließ. Ohnehin sorgte der Lebenslauf des Autors zunächst für Misstrauen: Hier schrieb ein ehemaliger Extrem-Bergsteiger, der offensichtlich allmählich zu alt für seinen seltsamen Job wurde und nun versuchte, seine Erfahrungen auf anderem Gebiet zu Geld zu machen.

Aber Long verfügt über echtes erzählerisches Talent, und er hat seine Hausaufgaben gemacht. Das phantastische, oft geradezu irreale Ambiente wirkt dank sorgfältiger Recherchen durchweg überzeugend. Natürlich bleiben gewisse inhaltliche und formale Schwächen bei einem Roman dieses Seitenumfangs nicht aus. Abgesehen von der Schwierigkeit, vor die Longs Konzept einer ‚hohlen‘ und von allerlei Getümen bevölkerten Unterwelt jeden Leser stellt, der sich in der Geologie unseres Heimatplaneten nur ein bisschen auskennt, überzieht der Autor immer dort, wo er vom roten Faden seiner Geschichte abweicht.

Da trifft die Menschheit nicht nur ihr (in jeder Beziehung) dunkles Gegenstück; nein, die unheimlichen Hadal praktizieren auch noch aktive Seelenwanderung und werden womöglich vom Teufel höchstpersönlich regiert! Hier manifestiert sich wohl die für schriftstellernde Bergsteiger typische Mischung aus epiphanischer Naturmystik und höhenbedingtem Sauerstoffmangel.

Die (nicht ganz) üblichen Verdächtigen

Im Rahmen eines reinen Unterhaltungs-Thrillers ist Long die Figurenzeichnung gut gelungen. Natürlich sind Militärs beschränkt, Konzerne böse, Wissenschaftler weltfremd und Politiker immer verdächtig. Aber dennoch entgleist Long eigentlich nur ein einziger Charakter wirklich: Ali, die aufsässige Nonne – ein Zugeständnis an die politisch korrekte Feministinnen-Front oder die im Hinblick auf einem mögliche Verfilmung unbedingt notwendige ‚starke‘ Frauenrolle? Ansonsten glaubt man Long aufs Wort, wenn er den dämonischen Hadal die nur scheinbar ‚normalen‘ Menschen gegenüberstellt, die rücksichtslos in das profitable Innere der Erde vordringen und sich bald von ihren Gegnern kaum mehr unterscheiden lassen.

Vom einem grundsätzlichen Problem unheimlicher Geschichten (und Filme) musste Long ebenfalls kapitulieren: Seine Hadal sind nur solange wirklich geheimnisvoll und furchterregend, wie sich ihr Schöpfer auf Andeutungen beschränkt. Sobald sie persönlich auftreten, kommen sie rasch zum „Monster der Woche“ diverser TV-Serien herunter. Doch an diesem Punkt sind schon weitaus größere literarische Geister als Jeff Long gescheitert!

„Im Abgrund“ ist trotz dieser kleinen Einschränkungen ein rundum gelungenes Stück Unterhaltungsliteratur, das einem möglichst breiten Publikum als Lesetipp ans Herz gelegt werden kann. Deshalb ist es doppelt schade, dass „Deeper“, die 2007 veröffentlichte Fortsetzung von „Im Abgrund“, hierzulande bisher nicht erschienen ist.

Autor

Jeffrey B. Long wurde am 24. November 1951 in Bay City, US-Staat Texas, geboren. Dank eines ausgeprägten publizistischen Talents wurde er schon vor in den 1970er Jahren bekannt – als Reisender und Bergsteiger, der Tibet und den Himalaja erforschte und einige der höchsten Gipfel erklomm. 1976 verbrachte Long drei Monate in einem nepalesischen Gefängnis. Man bezichtigte ihn des Schmuggels – und weckte dadurch sein Interesse am der unterdrückten und verfolgten politischen Opposition des Landes, mit dem er sich seitdem oft und ausführlich als kritischer Journalist beschäftigt hat.

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre begann Long Romane zu schreiben. „Angels of Light“ (1987) und „The Ascent“ (1992, dt. „Tödliches Eis“) spielten im vertrauten Bergsteiger-Milieu. „The Descent“ (1999, dt. „Im Abgrund“) entstand nach einem ausgedehnten Aufenthalt in Bosnien, wo Long 1996 im Auftrag der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) die ersten demokratischen Wahlen beobachtete.

1986 entstand nach Longs „True-Crime”-Biographie „Outlaw” der TV-Spielfilm „Manhunt for Claude Dallas”. Für Furore sorgte in den USA der Tatsachen-Roman „Duel of Eagles: The Mexican and U.S. Fight for the Alamo“, der viele, oft rassistisch gefärbte Fakten und Schuldzuweisungen korrigierte.

Taschenbuch: 544 Seiten
Originaltitel: The Descent (New York : Crown Publishers/Random House 1999)
Übersetzung: Gerald Jung
http://www.randomhouse.de/blanvalet

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Graham Masterton – Die Opferung

Das geschieht:

David Williams steckt in der Krise. Die Gattin hat ihn Danny, den siebenjährigen Sohn, verlassen. Der Schock hat den einst erfolgreichen Innenausstatter aus der englischen Küstenstadt Brighton erst gelähmt und dann in den Ruin getrieben. Nun wird das Geld knapp. Da kommt dieses Angebot gerade recht: Bryan Tarrant besitzt auf der Kanalinsel Wight Fortyfoot House, ein stattliches Anwesen, das lange leer steht und daher instandgesetzt werden soll.

Dass Tarrant bestimmte Fakten vorenthalten hat, erfährt David erst, nachdem er und Danny im kleinen Ort Bonchurch auf der Isle of Wight eingetroffen sind. Hier weiß jeder Bescheid über Fortyfood House, das angeblich keineswegs leer steht, seit hier vor einem Jahrhundert der Zaubermeister Mr. Billings und seine böse Buhle, die Hexe Kezia Mason, ihr Schreckensregiment ausgeübt haben. Graham Masterton – Die Opferung weiterlesen