Archiv der Kategorie: Kinder- und Jugendliteratur

John Flanagan – Der eiserne Ritter (Die Chroniken von Araluen 3)

Enttäuschender Übergangsband

Sein ganzes Leben hat der 15-jährige Waisenjunge Will davon geträumt, ein Ritter zu werden wie sein Vater. Weil er aber zu klein und schmächtig ist, wird er dem geheimnisvollen Waldläufer Walt als Lehrling zugeteilt. Als das Königreich Araluen von einem altem Feind und dessen ungeheuerlichen Kreaturen angegriffen wird, muss Will sich bewähren und stellt fest, dass das Leben eines Waldläufers viele Herausforderungen, aber auch besondere Möglichkeiten birgt …

Band 2: Der Angriff Morgaraths geht weiter, doch die Waldläufer wissen nicht, wo. Will ist bereits einige Zeit bei den Waldläufern König Duncans, die sowohl Krieger als auch Späher und Agenten sind. Da schickt sein Lehrmeister Walt den jungen Bogenschützen auf eine Mission in das entlegene Nachbarland Celtica. Aber Celticas Dörfer und Kupferminen liegen ausgestorben da. Doch mitten in der Wildnis erhebt sich eine gigantische neue Brücke über einer Schlucht, die das Land Morgaraths begrenzt. Sie wurde offensichtlich erbaut, um heimlich in Araluen einfallen zu können. Wenn Will nicht schnell handelt, ist das Königreich, das Morgarath woanders erwartet, in höchster Gefahr.

Band 3: Der Waldläuferlehrling Will ist mit der Prinzessin Cassandra, die sich Evanlyn nennt, in die Gefangenschaft von nordischen Söldnern Morgaraths geraten. Auf einer stürmischen Insel in Skandia hofft Evanlyn darauf, dass sie freigekauft wird, doch dann erfährt Will, dass Jarl Ragnak ihrem Vater einen Racheschwur geleistet hat. Erführe er, wer Evanlyn in Wahrheit ist, wäre das ihr Ende – und wohl auch das von Will. Unterdessen reitet Walt zusammen mit Wills Freund Horace los, um Will zu suchen und zu befreien.

Der Autor
John Flanagan – Der eiserne Ritter (Die Chroniken von Araluen 3) weiterlesen

Feldkirchner, Jennifer – Paule das kleine Stinktier

Literarisch wurden Stinktiere bislang arg vernachlässigt, und wenn sie doch einmal in Büchern oder Filmen auftauchten, so nur als stinkende Wesen, die keine Sympathiepunkte sammeln konnten. Diesen Missstand will Jennifer Feldkirchner mit ihrem ersten Kinderbuch, in dem ein kleines Stinktier die Hauptrolle spielt, nun beheben.

Bevor wir aber das kleine Stinktier Paule kennenlernen, erfahren wir zunächst einiges über die Gewohnheiten und Eigenarten von Stinktieren – und das sogar farbig bebildert. Doch schon auf Seite zwölf treffen wir endlich Paule und erfahren sein großes Geheimnis: Paule hat nämlich eine wunderschöne Höhle entdeckt, die er nun seiner besten Freundin Lisa zeigt. In der Höhle, die sich hinter dichtem Gestrüpp versteckt, leuchten viele bunte Lichter, die den Ort zu etwas ganz Besonderem machen, und so wird aus Paules großem Geheimnis auch Lisas Geheimnis. Doch die Höhle ist nicht immer so beschaulich wie bei Lisas erstem Besuch, denn bald sucht ein wildes Tier die beiden in ihrem Versteck heim. Nur mit Glück und einem stinkenden Pups kann Paule das gefährliche Tier verscheuchen.

Gemeinsam erleben Paule und Lisa noch viele weitere Abenteuer: So geht ein mysteriöser Dieb in Müffelsdorf um, der sich komischerweise nur die wollenen Unterhosen der weiblichen Dorfbewohner schnappt. Wer hinter diesen Diebstählen steckt, finden Paule und Lisa schließlich mit einer kleinen List heraus, doch am Ende haben sie sogar großes Mitleid mit dem Dieb und lassen ihn laufen … Kurz darauf bekommen die beiden kleinen Stinktiere eine neue Mitschülerin, die aufgrund ihres Aussehens schnell zur Außenseiterin abgestempelt wird, doch so etwas duldet Paule nicht und beschließt daher, auf Bella zuzugehen. Fortan haben Lisa und Paule eine neue Weggefährtin, die auch bald in das Geheimnis der Höhle eingeweiht wird.

Unterbrochen wird diese Rahmengeschichte durch Paules wilde und kuriose Träume und durch seine Abstecher zu seinem Großvater, der in seinem Leben schon unglaublich viel erlebt hat und nur zu gerne von all seinen Abenteuern berichtet.

Schon auf dem Titelbild winkt uns ein fröhlicher Paule entgegen und auch Bella und Lisa können wir gleich erblicken, und diese drei sind es auch, die wir bei ihren Abenteuern begleiten. Paule hat eine kleine liebenswürdige Eigenschaft, die ihm ausgesprochen peinlich ist, die ihm und Lisa allerdings auch das Leben rettet. Denn Paule kann nicht immer kontrollieren, wann er seinen übel riechenden Pups ab“feuert“; so passiert es mitunter ganz ungewollt, dass Paule sich und seine Gefährten in eine Stinkwolke einhüllt. Alleine diese Eigenart macht ihn mir schon sympathisch, weil sie zeigt, dass unser kleiner Held alles andere als perfekt ist.

Jennifer Feldkircher zeichnet – und das ist hier wörtlich gemeint – liebevoll einige sehr sympathische und tierische Charaktere. Auf nahezu jeder Doppelseite findet sich passend zur jeweiligen Situation eine Zeichnung, manche auch in Farbe. Manchmal sind es nur einfache Strichzeichnungen in schwarzweiß, die aber dennoch im Detail sehr viel Aussagekraft besitzen. Denn auch wenn die Stinktiere aus nur wenigen Strichen bestehen, so haben sie doch immer einen zur Situation passenden Gesichtsausdruck – seien es Lisas strahlende Augen, als sie das erste Mal die Höhle betritt, oder sei es die Todesangst in Paules Blick, als er vor einem riesigen Kraken flüchtet. Immer kann man den Gesichtern ablesen, in welcher Gemütsverfassung sich die kleinen Stinktiere gerade befinden! Besonders ins Auge fallen natürlich die Farbzeichnungen, die in satten Farben gehalten sind und allen Kindern und Junggebliebenen ausgesprochen gut gefallen dürften. Alle Bilder wirken dadurch fröhlich, und die Stinktiere strahlen sehr viel Lebensfreude aus. Durch die vielen liebevollen und aussagekräftigen Zeichnungen wird das Buch zu einem optischen Hochgenuss, der einem die beschriebenen Szenen noch deutlicher vor Augen führt.

Aber auch inhaltlich überzeugt „Paule, das kleine Stinktier“, denn die Geschichten sind lustig, kindgerecht und unterhalten sogar ältere Leser. Mit Paule, Lisa und Bella hat Jennifer Feldkirchner drei (stink)tierische Charaktere geschaffen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, denn Bella mit ihrem extravaganten Aussehen ist eine ganz andere Persönlichkeit als die kleine Lisa mit ihren blonden Zöpfen. Besonders gut hat mir gefallen, wie Paule und Lisa ganz selbstverständlich Bella in ihrem Freundeskreis aufnehmen, sie in ihr Geheimnis einweihen und gleich zu Weggefährten werden, obwohl die anderen Stinktiere Bella schneiden. Freundschaft ist somit ein ganz wichtiger Aspekt, der natürlich in einem Kinderbuch auch nicht fehlen sollte. Jedenfalls bin ich mir sicher, dass die meisten Erwachsenen noch viel lernen könnten von Paule und Lisa.

Die Autorin beweist eine blühende Fantasie mit ihren Geschichten, und das sei hier durchaus positiv gemeint. Denn gerade die Abenteuer, die Paule in seinen Träumen erlebt (und die ihn meist vor seinem Bett aufwachen lassen), und auch die Erlebnisse aus Großvaters reichhaltigem Erfahrungsschatz sind dermaßen lustig und spannend, dass ich gerne noch viel mehr darüber erfahren möchte. Zu bemängeln ist eigentlich nur eines, und das ist die etwas zu sparsame Verwendung diverser Satzzeichen, denn so manch ein fehlendes Komma hätte die Sätze leichter lesbar gemacht.

„Paule das kleine Stinktier“ ist eine rundum gelungene Geschichte. Jennifer Feldkirchner beweist mit ihrem Erstlingswerk ihr hervorragendes Zeichentalent, mit dem sie auch in auf den ersten Blick ganz simplen Zeichnungen viele Details unterbringt und die Szenen lebendig werden lässt. So werden uns die handelnden Stinktiere nicht nur durch die geschriebenen Geschichten sympathisch, sondern auch durch die zum Teil sehr farbenfrohen Bilder. Damit kann ich nur hoffen, dass es möglichst bald eine Fortsetzung geben wird, in der wir weitere Geschichten von Paule und seinen Freunden zu lesen bekommen werden.

Atwater-Rhodes, Amelia – Vampirjägerin, Die

Turquoise ist Mitglied einer Organisation von Auftragskillern, die sich auf das Übernatürliche spezialisiert hat. Der Einfachheit halber gibt es in den Räumen dieser Organisation ein schwarzes Brett, an dem ganz praktisch ausgehängt ist, welches schlimme Übel gerade zur Strecke gebracht werden muss. Turqouise hat jedoch zunächst andere Sorgen, denn mit Ravyn kämpft sie – buchstäblich bis aufs Blut – um den Führungsposten bei Bruja, so der Name des elitären Grüppchens. Die beiden sind allerdings relativ gleichstark, sodass der Kampf ergebnislos auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wird.

Turquoise und Ravyn können sich zwar nicht ausstehen, doch als sie Bruja verlassen, bekommen sie beide denselben Job angeboten: In Midnight einzudringen und die Vampirin Jeshickah zu töten. Da der Auftraggeber bei Erfüllung des Jobs ein nettes Sümmchen in Aussicht stellt, beschließen Turquoise und Ravyn, sich als Sklavinnen nach Midnight verkaufen zu lassen, um dort an ihr Zielobjekt zu kommen.

Midnight ist der Traum eines jeden Vampirs: Ein hübsches Anwesen, geschmackvoll eingerichtet und mit reichlich menschlichen Snacks zu jeder Tages- und Nachtzeit bestückt. Einmal dort angekommen, müssen Turquoise und Ravyn jedoch feststellen, dass ein paar Überraschungen aus der Vergangenheit dort auf sie warten. Turquoise trifft dort Daryl wieder, den Vampir, der einst ihre Familie tötete und sie als Sklavin verkaufte. Von Rachegedanken besessen, vergisst sie allerdings ihren eigentlichen Auftrag.

Amelia Atwater-Rhodes ist eine junge amerikanische Autorin (Jahrgang 1984), die mit dreizehn Jahren ihren ersten Roman schrieb und seither stetig Jugendbücher für Leser veröffentlicht, die sich für Dark Fantasy begeistern können. „Die Vampirjägerin“ ist nach „In den Wäldern tiefer Nacht“ (2000) und „Die Nacht der Dämonen“ (2002) Atwater-Rhodes‘ dritter auf deutsch erschienener Roman. Es fällt schwer, nicht der Versuchung zu erliegen und das zarte Alter der Autorin zu thematisieren – schließlich war sie bei der Erstveröffentlichung von „Die Vampirjägerin“ erst achtzehn Jahre alt. Sicher ist es zu bewundern, wenn jemand schon in so jungen Jahren vom Erzählfieber gepackt ist und Geschichten zu Papier bringt. Doch sollte eine Geschichte nicht nach dem Alter des Autors bewertet werden, sondern von sich aus überzeugen. Und das schafft „Die Vampirjägerin“ leider nicht. Atwater-Rhodes hat zwar durchaus Fantasie (das beweist nicht zuletzt ihr bereits sehr umfangreiches Œuvre), nur hapert es an der Übersetzung ihrer Ideen in wirklich lesenswerte Prosa. Dieses Problem jedoch lässt sich wohl nur durch Übung und Reife überwinden.

Schon den Inhalt von „Die Vampirjägerin“ zusammenzufassen, ist keine leichte Aufgabe. Denn eigentlich beginnt Atwater-Rhodes mit einer Geschichte – nämlich dem Auftrag, Jeshickah zu töten -, um dann nach der Hälfte des Romans eine Kehrtwende zu machen und eine zweite Geschichte zu erzählen. Plötzlich geht es nämlich um Turquoises persönliche Vendetta an Daryl. Dieser hatte, das erfährt der Leser nur aus sporadisch gesähten Rückblenden, Turquoises Familie ermordet. Turquoise selbst, die damals noch Cathy hieß, wurde zu seiner Sklavin und konnte sich erst viel später aus seinen Fängen befreien, um daraufhin zur Vampirjägerin zu werden.

Daryls Eingreifen in Cathys behütetes Familienleben ist also der Knackpunkt in Turquoises Psyche. Aus diesem Grund ist sie Vampirjägerin geworden und hat sich sozusagen aus der „normalen“ Gesellschaft ausgeklinkt. Mehr und mehr spürt sie nun aber die Einsamkeit, die das mit sich bringt. Als sie einen ehemaligen Schulfreund trifft, wird ihr klar, wie wenig die heutige Turquoise noch mit der kleinen Cathy gemein hat. Das alles erinnert ganz stark an ein Dilemma, das eine viel bekanntere Vampirjägerin auch schon hatte. Auch Joss Whedons |Buffy| musste immer wieder feststellen, dass nur eins geht: Vampire jagen oder Cheerleader sein. Doch im Gegensatz zu Buffy glaubt Turquoise, die Lösung für das Problem gefunden zu haben. Wenn sie schon nicht mehr in die menschliche Welt passt, kann sie sich doch den Untoten anschließen! Und prompt offeriert ihr auch ein Vampir das ewige Leben. Na, wenn das keine Alternative ist! Da muss man sich schon fragen, aus welchem Grund Turquoise eigentlich Vampire jagt, wenn sie so wenig Skrupel hat, selbst einer zu werden.

Dieses Beispiel legt den Finger an die Wunde: Atwater-Rhodes‘ Charaktere sind blass, oberflächlich und schablonenhaft. Dabei ist Turquoise als Protagonistin noch die Figur, auf die Atwater-Rhodes die meiste Zeit verwendet. Aber auch ihre Geschichte mag den Leser kaum zu berühren, wird das ganze Ausmaß von Turquoises Vergangenheit doch immer nur schüchtern angedeutet, aber nie wirklich ausgeleuchtet. Selbst dieses zweifelhafte Glück bleibt den anderen Figuren, und sie sind durchaus zahlreich, im Roman verwehrt. Ravyn ist als Charakter vollkommen entbehrlich. Die Obervampirin Jeshickah hat kaum mehr als zwei Szenen und auch der Vampir Jaguar, auf den Turquoise natürlich sofort nach ihrem Eintreffen in Midnight ein Auge wirft, ist nichts weiter als ein untoter Posterboy – gutaussehend, aber ansonsten ohne Tiefe.

Am sympathischsten hätte da noch Nathaniel werden können. Er ist für Turquoise offensichtlich so etwas wie der Vampir für alle Notlagen. Er war derjenige, der sie damals aus Daryls Fängen befreit hat und auch jetzt hilft er ihr wieder aus etlichen Gefahrensituationen. Turquoise dagegen hat nichts als Verachtung für Nathaniel übrig. Für sie ist er nur ein Sklavenhändler, der nichts umsonst macht. Nur fragt sich der Leser, wo Turquoise diese tiefgreifende Erkenntnis her hat. Der Text jedenfalls stützt sie nicht. Immer, wenn Nathaniel auftaucht, handelt er aus Freundschaft und Loyalität. Womit Turquoise diese jedoch verdient haben mag, wird nicht geklärt.

Nicht nur ihre Charaktere behandelt Atwater-Rhodes stiefmütterlich. Ihr ganzer Plot hat unter diesem Defizit zu leiden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Handlung in einem Vakuum spielt, so wenig gibt sich Atwater-Rhodes mit Exposition und Beschreibung ab. Viele Fragen werden viel zu spät oder gar nicht geklärt: Wie alt ist Turquoise? Was ist diese Bruja-Organisation und wie ist sie aufgebaut? Leben Vampire offen als Teil der menschlichen Gesellschaft? Hat Turquoise noch einen normalen Job? Hat sie überhaupt irgendwelche normalen Sozialkontakte (Freundschaften)? Und vor allem: Wozu brauchen Vampire Sklaven? Atwater-Rhodes versäumt es, diese zentrale Frage hinreichend zu klären. Zwar schreibt sie einen Roman über menschliche Sklaven in einer vampirischen Parallelgesellschaft, doch gleichzeitig schreckt sie davor zurück, was das in seiner Konsequenz wohl bedeuten mag. Da rächt sich dann auch, dass es sich bei „Die Vampirjägerin“ so offensichtlich um ein Jugendbuch handelt. Sie lässt zwei Dutzend Sklaven in Midnight wohnen, gibt ihnen aber nichts zu tun. Dass einen Vampir in der Regel nur drei Dinge interessieren – nämlich Blut, Gewalt und Sex – kann sie wohl kaum so drastisch sagen. Daher zieht sie es vor, ihre Sklaven in einer Grauzone agieren zu lassen, die nicht weiter hinterfragt wird.

Vielleicht sollte man für den Roman eine Empfehlung nach dem Motto „eine einfache Geschichte für junge Leser“ aussprechen. Doch haben auch Jugendliche gute und überzeugende Geschichten verdient. „Die Vampirjägerin“ ist höchstens eine knappe Vorlage, die dem jugendlichen Leser eine Fläche bietet, um seine eigene Fantasie spielen zu lassen und die Handlung weiterzuspinnen. Die schablonenhaften Charaktere eignen sich dafür jedenfalls hervorragend. Über den Roman als solchen lässt sich leider nur sagen: ausgelesen und sofort wieder vergessen.

http://www.cbj-verlag.de
http://www.nyeusigrube.com

John Marsden – Ein endloser Albtraum

Der Australier John Marsden konstruiert in dem Buch „Ein endloser Albtraum“ ein ‚Was wäre wenn?‘-Szenario. Er konfrontiert eine Gruppe von Jugendlichen damit, dass in ihrem Land plötzlich ein Krieg ausbricht und sie lernen müssen, damit umzugehen. Das Besondere dabei ist, dass es sich nicht um irgendein Land in der dritten Welt handelt, sondern um Australien, also nicht unbedingt eine Krisenregion.

John Marsden – Ein endloser Albtraum weiterlesen

Patterson, James – Maximum Ride: Der Zerberus-Faktor

_Showdown mit der Doppelgängerin_

Die Tierärztin Frances O’Neill entdeckt eines Tages in Colorados Wäldern ein genmanipuliertes Wesen, das aussieht wie ein Mädchen mit Engelsflügeln. Tatsächlich kann Maximum, so nennt sich diese Kombination aus Mensch und Vogel, fliegen, wie man sich das von Engeln vorstellt. Der Haken dabei ist natürlich, dass es sich bei Max um das Ergebnis verbotener Experimente eines illegalen Genlabors handelt, das den Decknamen „Die Schule“ trägt. Und dass Max und ihresgleichen enorm wertvolle Organismen darstellen, die entsprechend gejagt werden. Frances gewährt Max und ihren Freunden Unterschlupf und Schutz, wodurch sie selbst in die Schusslinie gerät.

|Das Pandora-Projekt:|

Nachdem Frances O’Neill und ihr FBI-Freund Kit Brennan mit ihren sechs Schützlingen, den engelsgleichen Wesen aus den illegalen Versuchslabors „der Schule“, vier unbeschwerte Monate in einem Refugium namens „Lake House“ verbracht haben, nimmt man ihnen die liebgewonnenen Kinder wieder weg. Diese gewinnen ihre Freiheit wieder zurück, doch um den Preis gefährlichen Wissens. Es gibt nicht nur „Engel“, sondern auch „Eraser“, die gezüchtet wurden, um „Engel“ zu vernichten. Damit die Welt nie von ihrer Existenz erfährt.

|Der Zerberus-Faktor:|

Max und ihre Geschwister sind weiterhin auf der Flucht vor den Erasern, einer Kreuzung aus Mensch und Wolf. Doch gerade, als sie glauben, entkommen zu sein, wird einer von ihnen schwer verletzt, und nur das FBI kann ihnen noch helfen. Das Haus, in dem man ihnen Unterschlupf gewährt, ist für die Kinder wie ein Paradies. Auch wenn sie nun zur Schule gehen. Doch Max hat noch andere „Hausaufgaben“ zu erledigen: die in New York City gefundenen Dokumente entschlüsseln, herauszufinden, wie sie die Welt retten soll, und zu lernen, sich dem gefährlichsten Gegner zu stellen – sich selbst. Denn ihr Spiegelbild trägt die Züge eines Erasers …

_Der Autor_

James Patterson, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor zahlreicher Nummer-1-Bestseller. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt.

Patterson ist extrem fleißig. Sein letzter Solo-Roman in Deutschland hieß „Ave Maria“, ein Alex-Cross-Roman. Davor erschienen neue Alex-Cross-Romane mit den Titeln „The Big Bad Wolf“ und „London Bridges“. Im Original sind bereits „Cross“ und „Double Cross“ erschienen. Seit 2005 sind weitere Patterson-Kooperationen veröffentlicht worden, darunter „Lifeguard“ sowie „Judge and Jury“; am 3. Juli 2007 erschien die Zusammenarbeit „The Quickie“. Im Frühjahr 2003 (deutsch Mitte 2005) erschien auch eine Kollaboration mit dem Titel [„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149 (The Jester), deren Story im Mittelalter spielt.

Nähere Infos finden sich unter http://www.twbookmark.com und http://www.jamespatterson.com. Patterson lebt mit seiner Familie in Florida.

Mehr zum Flügelmädchen Maximum findet sich auf der Website http://www.maximumride.com.

Max erscheint bislang in folgenden Romanen:
1) Wenn der Wind dich trägt (When the wind blows)
2) Das Ikarus-Gen (The Lake House)
3) Das Pandora-Projekt (Maximum Ride: The Angel Experiment)
4) Der Zerberus-Faktor (Maximum Ride: School’s Out Forever)
5) Der Prometheus-Code (Maximum Ride: Saving the World and Other Extreme Sports)
6) The Final Warning (US-Ausgabe: März 2008)

Und wie uns die Pressemitteilung des Verlags verrät, planen die Filmemacher bereits die „Verfilmung der Geschichten um Max und ihre Geschwister“.

_Handlung_

Die Ich-Erzählerin ist die vierzehnjährige Max, ein Hybridwesen aus Mädchen und Vogel, mit vier Metern Flügelspannweite – und sie ist noch nicht mal ausgewachsen. Sie und ihresgleichen wurden in den Laboren der SCHULE mittels Gen-Spleißen erschaffen. Doch in wessen Auftrag und zu welchem Zweck? Sie kennen alle ihre Eltern nicht mehr.

Max und die anderen Vogelwesen, die der SCHULE vor zwei Jahren entkommen sind, werden von anderen Hybridwesen namens „Eraser“ gejagt: Wolfsmenschen, die der SCHULE als Wachen, Polizisten und Henker dienen. Sie wurden auf die sechs Angehörigen von Max‘ Familie angesetzt. Ihr Anführer heißt Ari und war Max‘ Bruder. Sie hat ihn im „Institut“ in New York getötet. Denkt sie jedenfalls.

Die Familie bzw. der Schwarm besteht aus:

Max, 14, weiblich, „Mutter“ des Schwarms, Telepathin;
Gazi alias Gasman, weil er unter Blähungen leidet, 8, männlich, kann jedes Geräusch & jede Stimme nachmachen;
Angel, 6, weiblich, Telepathin, Gasmans Schwester;
Nudge, 11, weiblich, hieß früher Monique;
Iggy, männlich, blind, hört dafür gut;
Fang, 14, männlich, stark und schweigsam.

Der Schwarm fliegt von New York nach Washington, D.C., doch bevor sie dort eintreffen, werden sie von Erasern angegriffen. In der Luft! Die Eraser haben Flügel erhalten und fliegen gelernt. Ein noch größerer Schock für Max: Ari ist wiederauferstanden! Dabei hatte sie ihn doch getötet, oder? Der Luftkampf wird zwar siegreich beendet, doch Fang stürzt ab. Sie tragen ihn auf eine Stelle am Meeresstrand, wo gerade ein Jogger vorbeikommt. Er ruft für sie einen Krankenwagen, damit Fang operiert werden und von Max eine Bluttransfusion erhalten kann. Leider muss Max ihre Identität als Vogelmensch offenbaren, und daher wundert es sie nicht, dass wenig später ein paar Typen vom FBI auftauchen.

Der Schwarm tischt den Regierungsheinis eine Menge Lügen auf, was richtig Spaß macht. Gasman nennt sich beispielsweise „Captain Terror“ und Fang „Nick“. Vor allem geht es den Agenten darum, mehr über Jeb Batchelder herauszufinden, den Leiter des Forschungsprojekts, das Hybridmenschen wie Max produziert. Dann taucht eine hübsche Blondine namens Ann Walker auf, die sich als Psychologin vorstellt. Wow! Aber wenigstens bietet sie dem verfolgten Schwarm eine feste Bleibe an, wo alle verschnaufen können und Fang von seiner Operation genesen kann. Die Frage ist aber, ob Ann es ehrlich meint.

Jeder im Schwarm bekommt sein eigenes Zimmer – was für ein Luxus! Aber eines Morgens erblickt Max im Spiegel nicht ihr eigenes Gesicht, sondern die Zerberus-Fratze eines Erasers! Und am nächsten Tag wieder. Wird sie jetzt verrückt? Die Stimme in ihrem Kopf ermahnt sie, sich nicht auf die Eraser zu fixieren, sondern das große Ganze zu betrachten. Leichter gesagt als getan. Unterdessen suchen sie nachts die Adressen, die sie als Koordinaten aus den Instituts-Unterlagen entschlüsselt haben. Durch hartnäckige Recherche gelingt es ihnen, die echten Eltern Iggys ausfindig zu machen. Sie geben ihn seinen ungläubigen Eltern zurück, gerade als Ann Walker alle selbst adoptieren will. Ann tobt frustriert.

Sie hat die Kinder allesamt in eine nahe Schule geschickt, damit sie endlich eine normale Kindheit und Jugend erleben können. Und tatsächlich fangen die ältesten des Schwarms, Fang und Max, romantische Beziehungen mit dem anderen Geschlecht an. Was haben sie das vermisst – falls sie es überhaupt schon einmal erlebt haben! Doch Unheil naht, denn die Schule ist alles andere als eine normale Schule; sie war früher ein Irrenhaus und der herrische Rektor scheint etwas vor seinen Schützlingen zu verbergen.

Die Eraser haben nicht aufgegeben. Da jedes Mitglied von Max‘ Schwarm einen implantierten Chip trägt, sind alle leicht aufzuspüren. Ari hat sie längst in der Schule lokalisiert. Noch hält er sich im Hintergrund, doch an seiner sitzt ein Mädchen, das für Max eine böse Überraschung bereithält. Es sieht nämlich genauso aus wie die echte Max …

_Mein Eindruck_

„Der Zerberus-Faktor“ ist ein Science-Fiction-Thriller, der für Jugendliche geschrieben wurde, und zwar von einem Routinier des Fachs. Schon dreimal hat er über die künstlich im Labor geschaffenen Rekombinanten geschrieben (siehe oben), nun führt er die unterhaltsame und erfolgreiche Reihe fort, aber in einem anderen Markt: dem für Jugendliche. Wenn sie so alt sind wie die Hauptfigur, nämlich 14, dann ist das ideal.

Pattersons Garn für Jugendliche ist im Grunde eine Warnung vor solchen Experimenten, hebt aber nicht den Zeigefinger, sondern schildert mit erzählerischen Mitteln, wie man sich die Folgen eines solchen Experiments für die Betroffenen vorzustellen hat. Die herrlichen Gefühle bei einem Flug im Schwarm stehen den Ängsten gegenüber, die die Hybriden bei den Angriffen durch die Menschen und ihre Wachhunde, die Eraser, ausstehen müssen.

|Mutanten|

Der Autor nimmt sich die in der SF üblichen Freiheiten bei künstlich geschaffenen Menschen oder Mutanten heraus. Er verleiht ihnen besondere Eigenschaften, die „normale“ Menschen nicht besitzen, so etwa die telepathische Verständigung und Beeinflussung anderer Personen. Philip K. Dick hat zahlreiche Geschichten und Romane über Telepathen und andere Psi-Fähige geschrieben, so etwa über Präkogs in [„Minority Report“. 142 So weit geht Patterson jedoch keineswegs. Bei ihm sind Max‘ Schwarmmitglieder nicht auf Verbrechensaufklärung aus, sondern von Motiven beseelt, die alle Waisenkinder haben: Sie suchen ihre Eltern und wollen herausfinden, warum diese sie alleingelassen haben.

|Die Chance eines Heims|

Nachdem sie in New York City die Adressen gefunden haben, stoßen sie nun in der Region Washington, D.C., auf ein Elternpaar. Iggy erhält endlich ein eigenes Heim, wie es jedem Kind zusteht. Doch was passiert nach einer Phase der Ungläubigkeit und Eingewöhnung? Seine Eltern wollen ihn auch bloß wieder ausbeuten, indem sie seine Geschichte an die Medien verkaufen. Bloß weil er so eine Art Freak ist. Offenbar ist der Schwarm, den Max anführt, auch für Iggy das einzige Zuhause, in dem er nicht als Missgeburt, sondern als vollgültiger Mensch angenommen wird. Da fragt man sich doch wirklich, wer eigentlich die wahren Freaks sind – die Hybriden oder die sogenannten „Normalen“.

Aber der Schwarm besteht immer noch aus Außenseitern: aus Andersartigen, die obendrein noch alle Waisen sind, die in einer Geheimeinrichtung aufwuchsen. Kein Wunder, dass sie „normale“ soziale Verhaltensweisen wie etwa Liebe, Küssen und mit dem anderen Geschlecht Ausgehen erst noch üben müssen. Dabei haben sie zusätzlich das Handicap, dass der Junge oder das Mädchen sich plötzlich in einen Eraser verwandeln könnte. Für genügend Paranoia ist also gesorgt.

|Peter Pan|

Ann Walker, die FBI-Psychotante, müht sich auf rührende Weise für ihren Schwarm ab, will sie sogar adoptieren. Das ruft befremdete Blicke hervor. Und als der Hund Total zu sprechen anfängt, hört auch für sie allmählich der Spaß auf. Sie ist eine Wendy, die auf verlorenem Posten steht. Anns Haus verwandelt sich zwar in ein Peter-Pan-haftes Nimmerland, doch nicht für lange, denn die Eraser liegen im Garten schon wieder auf der Lauer. Schließlich können sie die mit Funkchips (RFID) versehenen Hybriden überall orten.

|Doppelgänger|

Als sich herausstellt, dass es eine Niederlassung der „Schule“ in der Nähe gibt, muss diese Zentrale des „Bösen“ natürlich ausspioniert werden. Allerdings ist die echte Max gegen ihre Doppelgängerin ausgetauscht worden. Max #2 hat ihr Original lange genug beobachtet, dass sie sich überzeugt hat, dass sie den Schwarm jederzeit wie Max #1 unter Kontrolle halten und überallhin lotsen kann. Beispielsweise in eine vorbereitete Falle, um alle einzufangen.

An dieser Stelle wird es höchst interessant. Welche Mitglieder der Schwarms kann die geklonte Max-Kopie täuschen bzw. für wie lange? Als sie anbietet, ihnen Frühstück zu machen, merken einige zwar, dass etwas nicht stimmt, aber sie sagen noch nichts, sondern warten lieber ab, was diese seltsame Max-Kopie vorhat. Schließlich muss man den Feind erst kennen, bevor man ihn bekämpfen kann. Und solange Max #2 sie anführt, werden sich die Eraser hüten, den Schwarm anzugreifen.

|Showdown|

Von jetzt an wird es für den Autor eine Gratwanderung, wenn er das weitere Schicksal des Schwarms schildert. Der Leser bzw. Hörer darf nicht wissen, was die Schwarm-Mitglieder über Max #2 wissen oder ahnen, denn sonst wäre sofort die Frage relevant, warum sich der Schwarm so weit von Max #2 führen lässt, obwohl doch etwas nicht stimmt. Und warum sagt die telepathisch begabte Angel nichts über Max #2, deren schwarmverachtende Gedanken sie doch höchstwahrscheinlich lesen kann? Das sind eine ganze Menge Einwände, die verhindern könnten, dass es zu jenem furiosen Showdown kommt, den der Erzähler von Anfang geplant hat. Erst steigert er die Anspannung und das Bangen um den Schwarm, der offenbar von Max #2 in eine Falle gelotst wird, ins Unermessliche. Dann lässt er die Spannung sich in einer Actionorgie entladen und einen Joker auftreten. Ein Schelm, wer ihm dabei Böses unterstellt.

|Der deutsche Titel|

So wird einigermaßen erklärlich, warum der deutsche Titel „Zerberus-Faktor“ heißt, obwohl nichts am Original darauf hinweist. Es geht darum, was Max in ihrem Spiegel sieht. Es ist das Hundegesicht eines Erasers. In einer wackeligen Übertragung des Zerberus-Mythos auf Eraser und Hundegesichter. Von hier wiederum findet eine Übertragung auf Max‘ zweite Identität als Eraser statt, genauer gesagt: auf die ihrer Doppelgängerin. Da nichts davon logisch ist, handelt es sich um eine gewagte poetische Metapher, die der Verlag da bemüht. Ich finde sie nicht sonderlich befriedigend. Aber |Lübbe/Ehrenwirth| zieht eben sein Marketingkonzept durch, um vom Projekt auf den Faktor und wer weiß was noch zu kommen.

_Unterm Strich_

Für jugendliche Hörer ist „Der Zerberus-Faktor“ ein spannendes Abenteuer mit interessanten Figuren, die eine faszinierende Eigenschaft haben: Sie können wie Vögel ohne Hilfsmittel fliegen. Dennoch sind sie Außenseiter, und da sich so mancher Pubertierender ebenfalls wie einer fühlt, dürften Max und Co. viel Sympathie ernten. Erwachsene Hörer könnten die Handlung vielleicht für etwas zu trivial halten, bloß weil Kinder darin vorkommen.

Aber auch Kinder werden missbraucht, in aller Welt. Sie werden versklavt und missbraucht, denn ihnen werden allzu häufig keine Rechte zugestanden. Der Autor warnt vor Kindesmissbrauch im Dienste der Wissenschaft, denn Profitjäger dürfte es auch unter den Weißkitteln geben. Und wenn denen dann auch noch ein Mutant unters Messer kommt, ist es mit den Menschenrechten gleich Essig. Mutanten stehen in der Welt, die Patterson schildert, auf einer Stufe mit Tieren.

Der Autor vertritt also unterschwellig berechtige Interessen für die Opfer solcher illegalen Praktiken und warnt vor den Folgen, wenn Experimente an Menschenkindern durchgeführt werden. Die Produkte der SCHULE sind genetisch labil und müssen feststellen, dass sie nur eine begrenzte Zeit zu leben haben. Die psychologischen Folgen einer solchen Entdeckung sind naturgemäß verheerend.

Diesmal gibt der Autor den Vogelkindern die Chance, ein „normales“ soziales Leben zu führen. Doch Iggy wird von seinen echten Eltern für die Medien ausgebeutet, und die Schule und das Ausgehen mit Angehörigen des anderen Geschlechts werden von der andauernden Paranoia überschattet. Der Verrat der Gesellschaft nimmt seine extremste Form mit dem Austauschen der Schwarmchefin Max an. Der Schwarm soll also von innen heraus zerstört werden. Das stellt alle Vogelkinder auf ihre bis dato schwerste Probe und macht diesen Band der Trilogie ganz besonders spannend, wenn auch erst im letzten Drittel.

In die spannende Unterhaltung hat der Autor also ernste Themen gewoben, und dies hebt wohl das Buch ein wenig aus der Masse der Bücherflut heraus, die jährlich für jugendliche Leser produziert wird. Da Patterson ein Routinier ist, kann man sich darauf verlassen, dass er sein Garn ausgezeichnet zu spinnen versteht.

|Originaltitel: Maximum Ride: School’s Out Forever, 2006
283 Seiten
Aus dem US-Englischen von Edda Petri|
http://www.ehrenwirth.de

Miéville, China – Un Lon Dun

China Miéville – ein britischer, aufstrebender Autor, der gleich mit seinem Debüt „King Rat“ im Jahr 1998 von sich reden machte. Sein Rezept: Er beschränkt sich in seinen Werken nicht auf ein Genre. Er mischt kräftig Fantasy mit Sciencefiction-Elementen, dazu gibt er gerne eine Spur Horror bei und – wenn man so will, sein Markenzeichen – grotesken Humor. Dieser kommt auch in seinem Jugendroman „Un Lon Dun“ nicht zu kurz, steht aber nicht im Zentrum einer abenteuerlichen Geschichte um Freundschaft und die Rettung einer ganzen Welt.

_Inhalt_

Zanna ist ein ganz normales Mädchen. Sie besucht die Kilburn-Gesamtschule in London, schreibt gute Noten und verbringt ihre Freizeit mit ihren besten Freundinnen, allen voran Deeba aus ihrer direkten Nachbarschaft. Seit einiger Zeit häufen sich jedoch Ereignisse, die das aufgeweckte Mädchen durcheinanderbringen. So sehr sie diese auch nicht überbewerten möchte, an Zufälle glaubt Zanna schon lange nicht mehr.

Fremde Personen sprechen das Mädchen auf offener Straße an und begrüßen sie als Schwasie, später entdeckt sie an einer Hauswand ein Graffiti mit der Aufschrift „Zanna for ever“. Und Tiere beobachten sie mit einem außergewöhnlich großen Interesse, vor allem Hunde blicken ihr hinterher. Auf dem Schulgelände hat sie sogar eine kurze Begegnung mit einem Fuchs. Nur Deeba kann sie sich anvertrauen, doch obwohl ihre Freundin zu ihr hält, will sie nicht so recht glauben, was da passiert.

Bis zu dem Tag, als sich das Leben der beiden Jugendlichen ändert. Angezogen von einer offen stehenden Kellertür, die die beiden Mädchen eines Tages in einer ruhigen Nebengasse Londons entdecken, folgen sie den dunklen Korridoren bis zu einer Sackgasse. Nur ein verrostetes Ventilrad befindet sich in dem Raum. Aus reiner Neugierde drehen Zanna und Deeba an dem Rad, und ehe sie sich versehen, finden sie sich in einer neuen Welt wieder: Müll und weggeworfener Elektroschrott, der zu Leben erwacht, menschenähnliche und menschenunähnliche Gestalten, die auf der Straße mit im normalen London als Schrott bezeichneten Gegenständen Handel treiben, und Kinder, die als geisterhafte Wesen durch die Straßen huschen, beherrschen das Stadtbild. Und darüber, über der ganzen Szenerie, schwebt eine Sonne in Donutform.

Ein Passant klärt die zwei Londonerinnen schließlich auf: sie befinden sich in Un Lon Dun, einer Parallelwelt, die auf paradoxe Weise das Leben in London persifliert. Hier funktioniert alles nach ähnlichen, aber doch ganz anderen physikalischen Gesetzen. Vieles scheint vertraut, doch auf so absurde Weise ins Lächerliche verkehrt, dass Zanna und Deeba nicht wissen, ob sie nun lachen oder weinen sollen.

Viel Zeit zum Grübeln bleibt ohnehin nicht. Ein Mann namens Obaday Fing, der sich in die Romanseiten literarischer Klassiker gekleidet hat, nimmt sich der Mädchen an. Als er auf Zannas Travelcard entdeckt, wen er dort vor sich hat, will er die Mädchen schnell in Sicherheit bringen. Denn in Zanna sieht er die Schwasie, die Auserwählte, die Un Lon Dun von dem Smog retten soll. Doch wenn die Geschichte mit der Schwasie auf einer Prophezeiung Un Lon Duns beruht und eben jener Name auch schon im richtigen London gefallen ist, dann muss, so hoffen die Mädchen, mehr als ein Weg zwischen ihren Welten existieren. Die Chance auf eine baldige Rückkehr treibt sie an.

Zunächst gilt es jedoch, zu den Prophezeiern zu gelangen, die laut Obaday den Mädchen alles erklären und ihre Fragen, auch zu ihrer Heimkehr, beantworten können. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn ihre Verfolger, die der Smog um sich versammelt hat, haben sich bereits an ihre Fährte geheftet. Geister, die sie nach Nebulos, in eine leere Welt ziehen wollen, Zyklopsbrummer und Aerobanditen, die auf den Brummern durch die Gegend jagen. Doch zum Glück, nachdem sie sich bei einer hektischen Verfolgungsjagd von Obaday trennen müssen, bekommen Zanna und Deeba unterwartete Hilfe. Endlich bei den Prophezeiern angelangt, geht das Abenteuer aber erst richtig los.

Denn der Smog wagt einen verzweifelten Angriff, dringt in Zannas Lunge ein und lässt sie bewusstlos zu Boden gehen. Unschirme, lebende Regenschirme, können die giftige Smogwolke wieder vertreiben, doch die Auserwählte ist erst einmal außer Kraft gesetzt. Ist die Prophezeiung also nur ein Hirngespinst, das auf Hoffnung, aber nicht auf Tatsachen beruht? Gibt es die Schwasie vielleicht gar nicht? Die Mädchen und die Bewohner Un Lon Duns müssen Antworten erhalten und sich entscheiden, ob sie trotzdem den Kampf gegen den Smog aufnehmen wollen.

_Bewertung_

China Miéville erschafft mit Un Lon Dun eine Parallelwelt, die an eine moderne Form von Alices Wunderland erinnert. Fantastische Elemente finden sich zuhauf, doch sind sie ins Absurde gezogen und persiflieren Alltäglichkeiten der normalen Welt. Der Einfallsreichtum des Autors ist enorm. Auf fast jeder Seite baut er neue Geschöpfe ein, die in Un Lon Dun aus entsorgten Elektrogeräten oder weggeworfenem Müll zum Leben erwachen. Der Milchkarton Krissel etwa begleitet die Mädchen als eine Art Haustier auf ihrer Reise durch die Parallelwelt, und mit dem Fledderschrimm steht ein tapferer Regenschirm an ihrer Seite, der sich mehr als einmal zwischen sie und den Smog wirft. Und wenn die Protagonisten nicht auf lebendige Gegenstände treffen, dann auf verrückte Menschen oder Tiere, die auf gleicher Augenhöhe durch die skurrile Welt wandern.

So viele farbenfrohe Wesen auch durch Un Lon Dun wuseln, so wenig plastisch fügen sie sich in Miévilles Roman ein. Die Figuren sind zwar einfallsreich gestaltet, hinterlassen allerdings keinen bleibenden Eindruck, da sie meist genauso schnell verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Auch den Nebencharakteren, von denen sich im Laufe der Handlung eine stattliche Anzahl ansammelt, mangelt es an Charaktereigenschaften, die sie liebens- oder verabscheuenswert machen. Ihr absonderliches Erscheinungsbild oder Verhalten ist das Einzige, was dem Leser im Gedächtnis bleibt, wesentliche Charakterzüge fehlen leider. So bleiben die Figuren austauschbar und wirken nur als Fassade einer Welt, in die man nicht so recht einzutauchen vermag, trotz grandioser und zahlreicher Einfälle, Un Lon Dun zum Leben zu erwecken.

Auch die Protagonisten erscheinen blass und austauschbar. Zanna Und Deeba sind anfangs kaum voneinander zu unterscheiden, wäre da nicht die Prophezeiung, die Zanna auf eine scheinbar höhere Stufe stellt. Zwar baut sich im Laufe der Handlung eine angenehm überraschende Wendung auf, die Hauptfiguren bieten aber insgesamt nur selten Identifikationsmöglichkeiten, um den Leser dauerhaft packen zu können.

So als wolle Miéville diese meist nur oberflächliche bleibende Figurendarstellung und Entwicklung unterstützen, ist das mit knapp 600 Seiten wahrlich nicht dünne Buch von einem hektischen, flüchtigen Stil geprägt. Die einzelnen Kapitel sind selten mehr als zehn Seiten lang. Kurze Sätze sowie der häufige Gebrauch einer elliptischen Satzstruktur prägen den Roman. Hinzu kommt ein ausgeprägter Nominal-Stil samt zahlreichen Wortneuschöpfungen, um den Un Lon Duner Geschöpfen und Gegenständen einen neuen Namen zu verleihen. Das wirkt stellenweise komisch, behindert in der Häufung aber eher den Lesefluss und fällt im Handlungsverlauf eher störend auf. Schieferläufer, Unschirmissimo, das Faselland, Graffel-Häuser und Miefschniefer klingen gekünstelt. Statt Namen, die sich selbst beschreiben und selbsterklärend sein sollen, wäre ein beschreibender, verbaler Stil angebrachter gewesen. Auch, oder sogar gerade ein Jugendbuch benötigt Raum zur Entfaltung.

Das ist schade, denn die Handlung kann überzeugen und durchbricht gekonnt die Konventionen des fantastischen Genres. Eine Auserwählte, die zusammen mit ihrer besten Freundin in eine Parallelwelt gelangt, scheint auf den ersten Blick altbekannt. Miéville spielt allerdings mit den altbewährten Mustern eines unfreiwilligen Helden und gibt nicht viel auf Prophezeiungen, die irgendwann und irgendwo einmal aufgestellt worden sind. In Un Lon Dun wird nur der zum Helden, der sich selbst dazu berufen fühlt, und das ist in diesem Fall nicht die Person, die auf den ersten zweihundert Seiten als vermeintliche Hauptfigur in Erscheinung tritt.

Durchweg rasant zieht sich die Handlung durch den Roman, dem Leser bleibt kaum Zeit, sich auf die Eindrücke einzulassen. Das entspricht zwar dem bereits ausgeführten Stil des Buches, der wie der rasante Schnitt eines schnellen Films daherkommt, verschenkt aber die Möglichkeiten, in ruhigen Passagen neu an Fahrt zu gewinnen. „Un Lon Dun“ macht Spaß, verschenkt aber zu viel, denn hier wäre deutlich mehr drin gewesen.

http://www.bastei-luebbe.de

_China Miéville auf |Buchwurm.info|:_

[„Perdido Street Station“ 695
[„Die Narbe“ 591
[„Leviathan“ 612
[„Der Eiserne Rat“ 2293

Brittney, Lynn – Nathan Fox – Im Auftrag Ihrer Majestät

Ob es Zufall ist, dass der Serienheld von Lynn Brittney Fox – zu deutsch ‚Fuchs‘ – mit Nachnamen heißt? Schließlich sagt man dem Fuchs List und Schläue nach. Diese Eigenschaften kann Nathan Fox gebrauchen, denn er arbeitet als Spion für Königin Elisabeth I.

Eigentlich ist der Dreizehnjährige Mitglied einer Schauspieltruppe, doch eines Tages bekommt er Besuch von zwei hohen Herren: Sir Francis Walsingham, dem Leiter des englischen Geheimdienstes, und John Pearce, seinem wichtigsten Mann. Die beiden haben das Talent des Schauspielers, der auch einige artistische Kunststücke beherrscht, entdeckt und wollen ihn nun zu ihresgleichen machen, einem Spion.

Nathan, der ohne Eltern aufgewachsen ist, ist zunächst skeptisch, doch dann stimmt er zu. Dieses Abenteuer will er sich nicht entgehen lassen! Nach aufreibenden Übungsstunden geht es auch schon auf die erste Mission: Zusammen mit John Pearce soll Nathan nach Venedig segeln, um den Dogen davon zu überzeugen, mit England gegen Spanien zu kämpfen. Doch der Doge lässt sich nicht so einfach überreden. Seine Bedingung ist, dass John Pearce und Nathan Fox vorher das umkämpfte Zypern für ihn einnehmen. Doch das erweist sich als problematisch. Als John Pearce anstelle des zwielichtigen Jagos einen hohen Posten erhält, setzt dieser alles daran, um den Spion in Schwierigkeiten zu bringen. Nathan muss all seine Fähigkeiten darauf verwenden, Jago auf die Schliche zu kommen und großes Unglück abzuwenden …

„Nathan Fox – Im Auftrag des Königs“ ist ein anschaulich geschriebenes, spannendes Jugendbuch, das im elisabethanischen Zeitalter spielt. Dieser historische Hintergrund ist sehr interessant und wird anschaulich und vor allem sehr verständlich dargestellt. Ein Glossar am Ende des Buches erläutert wichtige Begriffe, während auch innerhalb der eigentlichen Geschichte immer wieder bestimmte historische Gegebenheiten des Alltags erklärt werden. Die Autorin hat gut recherchiert und ihre Ergebnisse jugendgerecht aufgearbeitet, sie aber zusätzlich so gestaltet, dass auch ein Erwachsener Freude daran hat und Neues entdecken kann.

Die Handlung erweist sich als sauber konstruiert, auch wenn sie am Anfang ein kleines Wagnis eingeht. Brittney erzählt in mehreren Kapiteln, wie Nathan bei Meister Robey zum Spion ausgebildet wird. Das ist insofern mutig, da es die eigentliche Geschichte hinauszögert. Brittney rafft Nathans Lehrzeit aber stark und berichtet von ihr mit interessanten Details, so dass sie nicht langweilig wird und genug Raum für die eigentliche Geschichte bleibt. Dennoch erweist sich die Handlung an einigen Stellen als etwas zu lang. Die Ränke und Intrigen, denen John und Nathan ausgesetzt sind, sind manchmal ein wenig zu verzwickt und nicht actionreich genug, um spannend zu bleiben. Das zögert die Handlung ein wenig hinaus, aber aufgrund der liebevollen und detailreichen Erzählweise sieht man darüber gern hinweg.

Die Hauptfigur Nathan Fox ist wie geschaffen für den Job des Spions. Er ist ein einfacher Junge mit großer Intelligenz und Mut. Jugendliche können sich sicherlich gut mit ihm identifizieren und bei seinen Abenteuern mitfiebern. Bei den anderen Charakteren verhält es sich ähnlich. Sie sind interessant und originell und passen in die historische Zeit, in welcher der Roman spielt. Negativ anzumerken ist höchstens die leichte Schwarz-Weiß-Zeichnung des Ensembles: Die Bösen werden als böse und die Guten als gut dargestellt. Nun leben die Bücher für jüngere Leser ja häufig gerade davon, dass sich einfache Identifikationsbilder festmachen lassen, aber es wäre doch schön gewesen, wenn Brittney dies umgangen hätte.

Der Schreibstil kann sich dafür sehen lassen. Einfach, wortreich und mit vielen Einzelheiten angereichert, erzählt Lynn Brittney die Abenteuer von Nathan Fox. Sie legt ein flottes Erzähltempo vor und hält sich nicht mit ellenlangen Beschreibungen auf. Wenn sie etwas erklären möchte, tut sie dies in wenigen und knappen, aber dennoch verständlichen Sätzen.

„Nathan Fox – Im Auftrag Ihrer Majestät“ ist ein interessantes, sehr klug erzähltes Jugendbuch aus dem elisabethanischen Zeitalter. Die Handlung kann zwar nicht immer überzeugen, aber die sympathische Hauptfigur und der Hintergrund der Reihe – nämlich Nathans Job als Spion – versprechen weitere, vielleicht spannendere Bücher.

|Aus dem Englischen von Frank Böhmert
304 Seiten, gebunden
Empfohlen ab 12 Jahren|
http://www.oetinger.de

Johanna Driest – Das Blaue vom Himmel

Vielleicht liegt es ja wirklich in der Familie, das Schriftstellerdasein. Johanna Driest ist die Tochter von Burkhard Driest, der unter anderem auch Romane und Drehbücher geschrieben hat. Ihre ersten Schreibversuche veröffentlichte die damals Fünfzehnjährige mit „Crazy for Love“ im Jahr 2005. Drei Jahre später ist die damalige Protagonistin Mona immer noch aktuell. Mittlerweile sechzehn Jahre alt, lernt Mona in „Das Blaue vom Himmel“ weitere Hoch- und Tiefpunkte des Teenagerdaseins kennen.

Johanna Driest – Das Blaue vom Himmel weiterlesen

Seidel, Stefan / Niessen, Susan – kleine Bauer im Einsatz, Der

In der bereits 2006 gestarteten Bilderbuchreihe „… im Einsatz“ begleiten Zeichner Stefan Seidel und Texterin Susan Niessen die verschiedensten Kinderidole während ihrer alltäglichen Arbeit. Vom Feuerwehrmann bis hin zum Piloten reicht die nunmehr bereits achtteilige Edition, die über den |Coppenrath|-Verlag vertrieben wird und in jeweils sechs doppelseitigen Illustrationen den Tagesablauf im Berufsleben der jeweiligen Person nachzeichnet.

Im Rahmen der zweiten Auflage wird nun auch der vielseitige Beruf des Landwirts in einer kleinen Geschichte beleuchtet, die vielleicht sogar die detailreichste der gesamten Serie ist. Der gute Mann, der hier durch den Alltag begleitet wird, hört auf den Namen Bernd und gewährt den kleinsten Leuten unter den Lesern einen Einblick in sein vielseitiges, allerdings auch anstrengendes Leben als Bauer. Dies beginnt bereits mit der ersten doppelseitigen Zeichnung, die das bekannte Gesicht – hier bedient sich Stefan Seidel munter bei den Skizzen aus der vorangegangenen Ausgabe – vor seinem ganzen Stolz, einem recht modernen Traktor, zeigt. Mit seinem wichtigsten Arbeitsgerät führt er im weiteren Verlauf einen Pflug, um das Getreide auszusäen, nutzt ihn aber später auch als Zuggerät für den Getreideanhänger, der auf dem Feld von einem Mähdrescher beladen wird.

Natürlich gestalten Niessen und Seidel die Geschichte des Bauern auch mit allerhand Tieren. Die Schweinezucht wird begutachtet, und auch ein kleiner Blick auf den Melkprozess im Kuhstall sei erlaubt. Und obwohl der fleißige Bernd während seines langen Arbeitstages stets lächelnd bei der Sache ist, so gebührt auch ihm ein Feierabend, jedoch zumeist erst in der Dunkelheit, nachdem er die Bestallungen allesamt noch einmal geprüft hat. Schön, dass hier auch berücksichtigt wurde, dass dieser Beruf einerseits eine Menge Spaß bringen kann, andererseits aber auch knüppelhart ist. Mit den steten Vorurteilen, die ja leider immer noch die hiesige Landwirtschaft belasten, räumt Seidel jedenfalls auf und stellt den Protagonisten stattdessen als vorbildlichen Sympathisanten vor, der sich auch von den schwersten Aufgaben nicht beeindrucken lässt – wobei alles andere im Rahmen dieses Bilderbuchs natürlich auch unpassend gewesen wäre.

Das Bauer-Buch ist aber gerade daher so wertvoll, weil es so viele kleine Details zu entdecken gibt. Die Bilder sind nicht nur farbenfroh dekoriert, sondern auch mit vielen Einzelheiten bestückt, die nicht dringend auf den ersten Blick ins Auge stechen, daher aber immer wieder einen weiteren Durchgang anregen. Außerdem sind Tiere natürlich immer ein nettes Motiv, wenn es darum geht, das Erzählpublikum bzw. die eigenen Kinder aus der Reserve zu locken. Und genau dies gelingt mit dem facettenreichen Buch um Bernd den sympathischen Bauern wirklich unheimlich gut.

Aus den genannten Gründen würde ich „Der kleine Bauer im Einsatz“ auch als Einstieg in die Reihe empfehlen. Der kleine Bilderband zeigt sehr anschaulich, was so alles auf dem Bauernhof geschieht, ohne dabei mit Informationen oder grafischen Reizen zu überfordern. Nicht zuletzt wegen der liebevollen Detailzeichnungen ist es als Vorlesewerk für das ganz kleine Publikum sogar fast schon ein Muss.

http://www.coppenrath.de/

Seidel, Stefan / Niessen, Susan – kleine Lokführer im Einsatz, Der

In der bereits 2006 gestarteten Bilderbuchreihe „… im Einsatz“ begleiten Zeichner Stefan Seidel und Texterin Susan Niessen die verschiedensten Kinderidole während ihrer alltäglichen Arbeit. Vom Feuerwehrmann bis hin zum Piloten reicht die nunmehr bereits achtteilige Edition, die über den |Coppenrath|-Verlag vertrieben wird und in jeweils sechs doppelseitigen Illustrationen den Tagesablauf im Berufsleben der jeweiligen Person nachzeichnet.

Das jüngste Buch dieser Auflage beschäftigt sich mit dem Beruf des Lokführers, der ja aufgrund der ständigen Streiks in den vergangenen Monaten arg an Popularität eingebüßt hat. Derartige Inhalte sollen aber natürlich in diesem kleinen Bilderbuch nicht aufgegriffen werden. Stattdessen dürfen die jungen Leser bzw. Zuhörer hier den Bahnbeamten bei seiner alltäglichen Arbeit begleiten. Wie für diese zweite Auflage üblich, hat man dem Zugführer auch einen Namen gegönnt; er heißt Ludwig und gleicht in seinem Äußeren recht deutlich den Figuren, die Seidel und Niessen in der gesamten Reihe bereits in die Rolle des Protagonisten gehoben haben – was aber natürlich legitim und als Orientierung äußerst hilfreich ist. Indes sind Parallelen zur beliebten TV-Serie „Es war einmal …“ in diesem Zusammenhang sicherlich nicht zu übersehen. Die Ähnlichkeiten sind jedenfalls verblüffend, was man angesichts der freundlichen Ausstrahlung der Figuren aber sicherlich nicht negativ auslegen darf.

Das Berufsleben des Lokführers wird unterdessen recht lebendig vorgestellt. Auf den sechs Doppelseiten erfährt man von der morgendlichen Außenpflege der Lokomotive, bekommt einen kleinen Einblick in das rege Treiben an den Bahnhöfen und darf auch einmal hinter die Armaturen des Fahrzeugs blicken. Weiterhin wird die Funktion eines Bahnübergangs erklärt und mit der doppelseitigen Panorama-Illustration einer Brückenlandschaft ein Ausblick darauf gegeben, was der Lokführer an einem Tag so alles zu sehen bekommt. Zwar hätte man sich an dieser Stelle vielleicht noch eine Seite über die Bedeutung einer Weiche oder vielleicht auch eine Zeichnung des Lokschuppens gewünscht (und dafür ggf. eines der drei Anfangsbilder vom Bahnhof eingespart), jedoch ist dies natürlich Geschmackssache und auch schon wieder irrelevant, da der Aufbau des Büchleins auch in dieser Form keine Makel aufweist.

Sehr positiv empfinde ich persönlich auch den fortlaufenden Strang der Erzählung. Die jüngsten Betrachter sollten dem Geschehen recht gut folgen können und sich anhand der wirklich simpel strukturierten Lektüre alsbald mit dem Geschehen innerhalb der Lok vertraut machen. Hierzu trägt auch der erneut witzige Erzählstil bei, der den ziemlich lockeren Rahmen der Geschichte liebevoll untermalt und somit das Seinige zum Gelingen beiträgt.

Selbiges gilt auch für das zeichnerische Gesamtbild. Erneut hat Stefan Seidel recht viele Details auf den einzelnen Seiten versteckt, die es dem Publikum erlauben, ständig Neues zu entdecken.

All diese Umstände machen „Der kleine Lokführer im Einsatz“ zu einem weiteren wertvollen Beitrag dieser Serie, von der zu hoffen bleibt, dass sie auch im neuen Jahr mit weiteren Exemplaren aufwarten wird. Derart homogene, sympathische Reihen findet man nämlich selbst bei den größeren Kinderbuchverlagen äußerst selten.

http://www.coppenrath.de/

Nimmo, Jenny – Charlie Bone und das magische Schwert (Die Kinder des roten Königs 6)

Band 1: [„Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ 1992
Band 2: [„Charlie Bone und die magische Zeitkugel“ 2448
Band 3: [„Charlie Bone und das Geheimnis der blauen Schlange“ 3308
Band 4: [„Charlie Bone und das Schloss der tausend Spiegel“ 3464
Band 5: [„Charlie Bone und der rote König“ 3468

Ein Schüler, der aufs Bloor geht, hat wahrhaftig kein ruhiges Leben, zumindest nicht, wenn er sonderbegabt ist. Zwar hat Charlie seinen Vater wiedergefunden, aber deswegen geben die Bloors sich noch lange nicht geschlagen. Und so kommt es, dass Charlie plötzlich einen sogenannten Patenschüler hat! Sein Name ist Dagbert, ein sonderbegabter Junge aus dem hohen Norden. Und er scheint es darauf abgesehen zu haben, Charlie und seine sämtlichen Freunde zu entzweien.

Aber das ist nicht das einzige Problem: Asa ist verschwunden, seltsame Leute mit gelben Augen verfolgen Charlie, und seine Tante Venetia hat es sich in den Kopf gesetzt zu heiraten. Denn der kleine Sohn ihres Zielobjektes hat offenbar eine mächtige Sonderbegabung, und schon bald vergöttert er seine Stiefmutter …

_Das sind wieder mal eine Menge Neuzugänge._ Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Dagbert. Ein Junge mit kalten blaugrünen Augen, der, wenn ihn die Bosheit überkommt, penetrant nach Fisch stinkt. Seine Sonderbegabung besteht darin, dass er Leute ertränken kann, selbst an Orten, wo überhaupt kein Wasser in der Nähe ist. Allerdings scheint Dagbert eine recht wankelmütige Natur zu sein, gelegentlich ist er regelrecht freundlich. Der kleine Eric, Stiefsohn von Charlies Tante Venetia, dagegen ist nur eine Randfigur ohne eigenes Profil, zumindest bisher. Mrs. Kettle gibt auch nicht viel mehr her. Die große, stämmige Verkäuferin von Kesseln aller Art ist eine Freundin der Köchin und stellt sich schon bald als Schmiedin und Nachfahrin eines mächtigen Zauberers heraus. Das ist allerdings auch schon alles.

So wäre die Charakterzeichnung reichlich dünn geraten, wäre da nicht die seltsame Wankelmütigkeit in Dagberts Charakter, die der ganzen Sache ein wenig Pfiff verleiht. Dagbert könnte auch für die folgenden Bände noch eine Menge interessanter Verwicklungen bereithalten. Allerdings konnte man das bereits von einigen Figuren sagen, die im Laufe der fünf Vorgängerbände aufgetaucht sind, und die meisten davon verschwanden einfach wieder in der Versenkung oder waren für die künftige Handlung kaum noch von Belang.

Andererseits ist Dagbert der Sohn von Lord Grimwald, der bereits in den Erzählungen der Köchin vorkam und dessen Auftauchen im Bloor die gute Frau völlig aus der Fassung bringt. Vor allem aber wurde Lord Grimwald dafür, dass das Bloor seinen Sohn Dagbert aufnimmt, eine Aufgabe übertragen: Er soll Charlies Eltern ertränken, die in ihren zweiten Flitterwochen aufs Meer hinausgefahren sind, um Wale zu beobachten! Am Ende des Buches scheint aber noch alles in Ordnung zu sein, denn Charlie erhält Post von seinen Eltern. Vielleicht werden also Dagbert und sein Vater im kommenden Band doch noch eine Rolle spielen.

Abgesehen davon ist dieser Auftrag der Bloors an Grimwald mehr als ein einfacher Racheakt. Charlies Vater Lyell hat offenbar von Billys Vater Rufus ein Kästchen zur Aufbewahrung erhalten, das ein Dokument mit einem brisanten Geheimnis enthält. Weil Lyell den Bloors das Versteck dieses Dokuments damals nicht verraten wollte, wurde er von Manfred hypnotisiert und seines Gedächtnisses beraubt. Jetzt, da Lyell wieder aufgewacht ist, fürchten sie, dass er sich erinnern und dem Geheimnis des Kästchens auf den Grund gehen könnte.

Jenny Nimmo liefert hier nicht nur ein weiteres Puzzleteil der Vorgeschichte um den Tod von Billys Eltern und Lyells Entführung, sondern auch die Basis für eine neue Hintergrundgeschichte, um die der Suche nach Charlies Vater zu ersetzen. Gleichzeitig bildet dieser Aspekt die Verbindung zum Erzählstrang um Asas Verschwinden. Dem Leser ist natürlich klar, dass Asa deshalb verschwunden ist, weil er im Band „… der rote König“ zu Charlie und seinen Freunden übergelaufen ist. Und natürlich ist Charlie fest entschlossen, Asa jetzt nicht im Stich zu lassen. Wieder mal ist also eine Rettungsaktion angesagt, welche die vordergründige Handlung liefert.

_Vom Erzählfluss her_ ist Jenny Nimmo die Mischung aus Vorder- und Hintergrund gut gelungen. Allerdings muss ich sagen, dass dem Vordergrund diesmal ein wenig der Pep fehlte. Trotz der etwas dramatischeren Szene auf der Eisenbrücke über dem Fluss blieben die Aktivitäten insgesamt ein spürbares Stück hinter den Turbulenzen des letzten Bandes zurück. Dabei ist nicht unbedingt etwas dagegen einzuwenden, wenn der Handlungsverlauf mal etwas ruhiger daherkommt, nur wäre es in diesem Fall vielleicht gut gewesen, die Autorin hätte zum Ausgleich ihre neu eingebrachte Ideen etwas deutlicher ausgebaut. So werden die Leute, bei denen Dagbert am Wochenende wohnt, nur ein einziges Mal erwähnt, ohne jemals selber aufzutauchen, nicht mal bei Dagberts Konfrontation mit Mrs. Kettle, und ich fragte mich allmählich, ob Dagbert nicht womöglich allein dort wohnt!

Diese Straße, in der Mrs. Kettle und auch Dagbert wohnen, stellt sich mit der Zeit als eine Art Zauberergasse heraus, in der wohl die gleichen Rivalitäten herrschen sollen wie im Bloor. Davon ist aber zu keiner Zeit wirklich etwas zu spüren. Die Sache mit dem geheimnisvollen Roten Ritter hat die Autorin wohl absichtlich so vage gelassen, um auf diese Weise die Spannung ein wenig zu steigern, erstaunlich war aber doch, dass der kleine Eric offenbar einfach so eine der Steinstatuen aus einem Geschäft in der „Zauberergasse“ zum Leben erwecken konnte, ohne dass der Besitzer des Ladens auftaucht und zumindest Fragen stellt. Und nirgendwo wird ein Wort darüber verloren, was genau für ein Volk die Merolinge sind.

_So war dieser Teil des Zyklus_ zwar nicht wirklich langweilig, dank Dagbert. Ich hoffe trotzdem, dass es im nächsten Band wieder etwas lebhafter zugeht. Das Gerangel um das brisante Dokument bietet da weit mehr Möglichkeiten als die Suche nach Charlies Vater, und zu retten gibt es dank der Bosheit der Bloors ja immer jemanden. Um das Potenzial der losen Fäden, die Jenny Nimmo nach jedem Band ungenutzt im Sande verlaufen lässt, ist es zwar einerseits schade; andererseits erhält sie sich dadurch genügend Raum für neue Ideen und verhindert, dass ihre Geschichte sich mit der Zeit zu einem unübersichtlichen Koloss aufbläht, was den jüngsten unter den Lesern zugute kommt. Jenny Nimmo bleibt ihrem Publikum treu, und das ist auch was wert.

_Jenny Nimmo_ arbeitete unter anderem als Schauspielerin, Lehrerin und im Kinderprogramm der |BBC|. Geschichten erzählte sie schon als Kind, Bücher schreibt sie seit Mitte der Siebziger. Unter anderem stammt der Zyklus |Snow Spider| aus ihrer Feder, sowie „Im Garten der Gespenster“, „Der Ring der Rinaldi“ und „Das Gewächshaus des Schreckens“. „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ ist der erste Band des Zyklus |Die Kinder des roten Königs| und hat sie auch in Deutschland bekannt gemacht. Der neueste Band der Charlie-Bone-Reihe mit dem Titel „Charlie Bone and Enchanter of Badlock“ soll im Juni dieses Jahres in England erscheinen.

http://www.jennynimmo.me.uk
http://www.ravensburger.de

Westerfeld, Scott – Pretty – Erkenne dein Gesicht

Band 1: [„Ugly – Verlier nicht dein Gesicht“ 4650 (April 2007)
Band 2: „Pretty – Erkenne dein Gesicht“ (September 2007)
Band 3: „Special – Zeig dein wahres Gesicht“ (Mai 2008)
Band 4: „Extras“ (noch kein dt. Titel, Originalausgabe Oktober 2007)

Der Schönheitswahn geht weiter: Nachdem Tally Youngblood aus [„Ugly“, 4650 dem ersten Band der mittlerweile zur Quadrologie ausgewachsenen Science-Fiction-Geschichte von Scott Westerfeld, sich dazu entschieden hat, sich der Schönheitsoperation zu unterziehen, lebt sie nun in New Pretty Town, wo die meiste Zeit gefeiert und getrunken wird. Alltagssorgen kennt man hier nicht. Solche Probleme haben die Jugendlichen zusammen mit ihrer ehemals hässlichen Hülle zurückgelassen. Das Leben als Pretty könnte so einfach sein, doch Tally hat das Gefühl, dass sie verfolgt wird – von ihrer Vergangenheit.

Auf einer Kostümparty verfestigt sich dieses Gefühl. Tally versucht, die Pretties mit ihrer ‚kriminellen‘ Vergangenheit zu beeindrucken und dadurch Zutritt zu den Krims, einer elitären Pretty-Clique, zu erhalten. Ihre Chancen stehen gut, immerhin hat sie einen Ruf als Ausbrecherin, der sie sogar mit den gefährlichen Specials, der im Verborgenen arbeitenden Polizei von New Pretty Town, in Kontakt gebracht hat. Nicht viele haben von diesem Vorfall erfahren, doch der mysteriöse Junge auf der Party, der sich als Special verkleidet hat und ständig in Tallys Blickfeld gerät, scheint es zu wissen. Tally fühlt sich verfolgt und beschließt, den Jungen zu stellen.

Als er seine Maske entfernt, erkennt sie Croy, einen Ugly aus ihrem früheren Leben, der sich der Operation entzogen hat und nun mit einer Gruppe weiterer Abtrünniger versteckt außerhalb der Stadt lebt. Die beiden werden von einem Kommando der Specials gestört, doch später lässt Croy Tally eine Nachricht zukommen, und als sie den Hinweisen darin folgt, findet sie heraus, dass die Schönheitsoperationen nicht nur die Körper der Menschen verändern, sondern auch ihr Gehirn. Dies alles hatte sie während ihrer Zeit bei den Abtrünnigen herausgefunden, nach der Operation aber vergessen. Allerdings gibt es ein Heilmittel gegen die Gehirnveränderungen, das Croy ihr zukommen lässt. Nun ist es an Tally, New Pretty Town zu verlassen und sich den Abtrünnigen erneut anzuschließen. Doch die Specials sind wachsam. Sie haben Tally im Auge. Gut, dass ihr Freund Zane, der Anführer der Krims, der ein waches Interesse an ihrer rebellischen Vergangenheit zeigt, ihr zur Seite steht …

„Pretty – Erkenne dein Gesicht“ setzt genau da an, wo der Vorgängerband aufgehört hat. Ohne großartige Erklärungen steigt der Autor Scott Westerfeld in die Geschichte ein. Eines hat sich allerdings geändert: Tally ist nun eine Pretty. Das bedeutet nicht nur ein Leben voller Spaß und Nichtstun, sondern auch eine andere Persönlichkeit. Dies drückt der Autor dadurch aus, dass er Tally und ihren schönen Freunden besonderes Vokabular in den Mund legt. In New Pretty Town dreht sich dementsprechend alles darum, ob etwas „Pfusch“, also schlecht ist oder „prickelnd“. Für die Pretties gibt es nichts Besseres, als prickelnd zu sein, was man am besten durch Feiern und das gegenseitige Übertrumpfen bei der Kostümierung erreichen kann.

Die Oberflächlichkeit dieser Welt weiß Westerfeld sehr plastisch darzustellen. Dank Tally, die das Ganze auf eine leise Art und Weise in Frage stellt – so weit ihre Pretty-Persönlichkeit es zulässt -, kann der Leser einen Blick hinter die Kulissen werfen, so dass New Pretty Town eben nicht nur aus der schönen Perspektive geschildert wird. Während man im ersten Band kritisieren konnte, dass die Schauplätze teilweise etwas unscharf dargestellt waren, so scheint Westerfeld in New Pretty Town etwas sicherer zu sein. Als Tally die Stadt allerdings verlässt, verlässt sie auch das sichere Gebiet. Nicht alles, was sie in der Wildnis erlebt, wirkt plausibel. Manches ist zu sehr auf Kritik an den Zuständen ausgerichtet, anderes passt einfach nicht in die Geschichte, da es zu abwegig wirkt. Insgesamt hat diese Reise auch nicht wirklich viel mit dem eigentlichen Kern der Handlung zu tun. Diese Abschweifungen kosten die Geschichte einiges an Spannung.

Dabei zieht die Handlung am Ende noch einmal richtig an, wenn Tally erneut auf die Abtrünnigen trifft. Hier kommen Spannung, Abenteuer, zwischenmenschliche Reibereien und eine Menge offene Fragen zu einem grandiosen Finale zusammen. Den ersten Teil von Tallys Reise kann man inhaltlich mehr oder weniger unbeschadet überspringen, weshalb es schade ist, dass er überhaupt in dieser Länge Eingang in die Geschichte gefunden hat.

Tally Youngblood bleibt trotz ihrer Operation eine Sympathieträgerin. Obwohl sich ihre Persönlichkeit eigentlich verändert haben sollte, merkt sie, dass das Leben in New Pretty Town nicht alles sein kann, und wehrt sich dagegen. Sie wird dabei als Rebellin aus Verzweiflung gezeichnet, da sie nie offen gegen das System vorgeht. Dadurch hat sie aber nicht unbedingt weniger Biss, sondern wirkt sehr menschlich. Sie besitzt Schwächen und Fehler, nicht jeder mag sie, sie wirkt authentisch, und obwohl die Geschichte in einer nicht näher datierten Zukunft spielt, kann man sich auch aus heutiger Sicht mit ihr identifizieren.

In der Summe hat Scott Westerfeld ein zugängliches Jugendbuch mit einer ansprechenden Hauptfigur und einer nicht immer spannenden Handlung geschrieben. Seine Kritik am gängigen Schönheitswahn fällt angenehm differenziert aus und wird nicht übertrieben, ist aber trotzdem klar erkennbar. Dass das Buch letztendlich nicht überdurchschnittlich gut geworden ist, hängt mit den Längen in der Handlung zusammen und damit, dass es zwar junge Leser anspricht, aber, anders als beispielsweise ein Harry Potter, kaum Eindruck auf ältere Leser macht.

|Übersetzt von Gabriele Haefs
Empfohlen ab 12 Jahren
396 Seiten, Klappenbroschur|
http://www.carlsen.de
[Verlagsseite zur Serie]http://www.carlsen.de/web/jugendbuch/ugly__pretty__special
http://scottwesterfeld.com/

|Siehe ergänzend dazu auch unsere [Rezension 3307 zu Westerfelds Science-Fiction-Epos „Weltensturm“.|

Colfer, Eoin – Cosmo Hill: Der Supernaturalist

Wenn man den Autor Eoin Colfer mit einem seiner Werke verbindet, dann ist es zwangsläufig seine „Artemis Fowl“-Reihe, die den irischen Schriftsteller über Nacht zum Bestsellerautor gemacht hat. Wer über den Rand des „Artemis Fowl“-Universums hinausblickt, wird darüber hinaus aber noch andere Romanserien und Einzeltitel aus der Feder des Iren finden, die unbegründeterweise in dessen Schatten stehen. Denn sie kopieren „Artemis Fowl“ nicht, sondern gehen in eine ganz andere Richtung: mal mehr zur Kriminalgeschichte, mal zur Science-Fiction. Dem letzteren Genre ist „Cosmo Hill“ zuzuordnen, der 2004 im Original als „The Supernaturalist“ erschienen ist. Weltraumschlachten oder Außerirdische finden sich im Buch allerdings nicht. Vielmehr geht es um eine düstere Zukunftsvision, in der Anleihen beim Cyberpunk mit einem jugendlichen Abenteuerroman gekoppelt werden.

_Inhalt_

Die Handlung spielt in der Millionenmetropole Satellite City. Der Name ist Programm, denn ein Satellit, von den Straßen aus nicht zu erkennen, steuert einen Großteil des alltäglichen Lebens. Darüber hinaus bestimmen Wolkenkratzer und flimmernde Werbetafeln das Stadtbild. Doch das ist mehr Schein als Sein. Das wird umso deutlicher, je weiter man sich vom Stadtzentrum entfernt und in die heruntergekommenen Außenbezirke gelangt. Hier kontrollieren Jugendbanden die heruntergekommenen Viertel, und wer sich nicht in die Gangs einfügt, darf kaum darauf hoffen, bei einem Überfall oder Angriff auf offener Straße Unterstützung zu erhalten.

Das Leben ist hart und unpersönlich. Wer nicht egoistisch denkt, kommt nicht weit, doch ist es immer gut, auf ein paar wahre Freunde zählen zu können. Nur diese sind rar gesät. Cosmo Hill muss diese soziale Kälte am eigenen Leib erfahren. Er ist ein Sponsorloser, ein Waisenkind, dessen Eltern ihn in einer Kiste in Satellite City zurückgelassen haben, bevor sie die Stadt verließen. Bei ihrem Wunsch nach einem neuen Leben hatte Cosmo keinen Platz. So wächst der Junge im Clarissa-Frayne-Heim auf, einem Heim für Waisenkinder. Von Fürsorge und Erziehung kann aber keine Rede sein. Das Heim finanziert sich nämlich durch Produkttests und verdient nicht schlecht daran, die Kinder als Versuchskaninchen zu missbrauchen. Wer sich gegen den Missbrauch nicht auflehnt, bekommt immerhin geregelte Mahlzeiten und hat ein Dach über dem Kopf. Das reicht den meisten Waisen, um stillzuhalten. Cosmo hat, mittlerweile 14 Jahre alt, allerdings genug von auf der Haut ätzenden Kosmetikprodukten und Nahrungsmitteln, die innere Blutungen hervorrufen. Um noch seinen nächsten Geburtstag mitzuerleben, fasst er den Plan, bei der nächsten Gelegenheit die Flucht zu ergreifen. Und er hat Glück, denn diese ergibt sich schon bald.

Bei einem routinemäßigen Transport mehrerer Sponsorlosen durch Satellite City versagt plötzlich die automatische Steuerung des Wagens. Die Verbindung zum Satellit ist unterbrochen, das Chaos vorprogrammiert. Der Bus mit den Kindern kommt von der Straße ab und kracht mitten in einen Häuserblock. Obwohl durch den Unfall verletzt, zögert Cosmo nicht lange und sucht zusammen mit seinem Freund Ziplock das Weite. Dicht auf ihren Fersen ist jedoch der Aufseher Redwood, der sich die Flucht zweier Kinder nicht erlauben kann. Mittels elektronischer Sensoren, die in der Haut der Sponsorlosen stecken, verfolgt er die Kinder. Doch eine waghalsige Aktion über den Dächern der Stadt und ein damit verbundener Kurzschluss der Peilsender bringt die ersehnte Freiheit. Allerdings nur für Cosmo, denn sein Freund stirbt bei der waghalsigen Aktion.

Viel Zeit zum Trauern bleibt Cosmo nicht. Während er, erschöpft und mittlerweile noch stärker verletzt, ein eigenartiges blaues Wesen auf seinen Körper erscheinen sieht, das an seinen Wunden zu saugen beginnt, taucht eine Gruppe Jugendlicher auf, die das Wesen vertreibt und, während Cosmo verwirrt von dem blauen Wesen spricht, sich seiner annimmt. Wenig später stellen sich seine Retter vor: Stefan, der achtzehnjährige Anführer, die südländische Mona und der kleinwüchsige Dito, der mit den Folgen eines misslungenen Experiments leben muss. Die drei nennen sich die Supernaturalisten, und was sie verbindet, ist die Gabe des Sehens, denn nur sie können die blauen Wesen wahrnehmen – für alle anderen Menschen sind diese unsichtbar. In jeder Nacht streifen diese Parasiten durch die Straßen und saugen Verletzten oder Kranken ihre Lebensenergie aus. Die Supernaturalisten konnten Cosmo vor diesen Parasiten mit Elektroschockern retten, und da Cosmo das Wesen auch sehen konnte, darf er sich von nun an zu dem kleinen Kreis der Auserwählten zählen.

So sieht sich Cosmo jeden Abend mit heiklen Aufträgen konfrontiert, bei denen die Supernaturalisten zum Wohle der Bürger die Parasiten jagen. Leider dankt es ihnen keiner; vielmehr werden sie als wahnsinnige Jugendliche tituliert, die sinnlos durch die Gegend ballern. Und eine weitere Tatsache schmälert die Motivation ihrer aufopferungsvollen Taten: Egal, wie viele sie von den Parasiten auch vernichten, es kommen immer mehr. Bei einem fast routinemäßigen Einsatz eskaliert die Situation schließlich. Die Supernaturalisten geraten in die Fänge der |Myishi Corporation|, eines skrupellosen Unternehmens, das seine eigene Spezialpolizei unterhält. Cosmo und Stefan können mit Ellen Faustino, der Leiterin einer Unterabteilung, verhandeln und Wissenswertes über die Parasiten in Erfahrung bringen. Doch sie bemerken erst zu spät, dass ihnen Ellen Faustino keineswegs nur aus Nächstenliebe hilft, sondern auf ihren eigenen Vorteil pocht. Und dieser sieht keinen Fortbestand der Supernaturalisten vor.

_Bewertung_

Obwohl, vor allem ausgelöst durch eine Besprechung in der |Times|, „Cosmo Hill“ als Mischung zwischen [„Blade Runner“ 1663 und „Oliver Twist“ bezeichnet wird, ist eine literarische Kategorisierung zu eng gefasst. Zu wenig wird dabei nämlich bedacht, mit welch grandiosen Ideen Eoin Colfer hier vorgegangen ist. Ohne Frage findet sich eine Vielzahl von Verweisen auf die erwähnten Referenzen, vor allem die düsteren Cyberpunk-Elementen lassen Ridley Scotts filmisches Meisterwerk während der Lektüre vor den Augen entstehen. Doch Colfer geht keineswegs so vor, die besten Szenen zu kopieren und neu zu verwerten. Vielmehr liefert er einen eigenständigen, beachtenswerten Beitrag, indem er mit Satellite City eine moderne Form der stilisierten Mega-Großstadt erschaffen hat, eine Stadt, wie sie aus heutiger Sicht und unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen theoretisch denkbar wäre. Facetten des Überwachungsstaats, Umweltprobleme, die Macht riesiger Konzerne und Schwierigkeiten einer generell gefühlslosen und kalten Gesellschaft kommen im Roman immer wieder zum Vorschein. Das vermittelt ein schauerliches, aber plastisches Bild der Welt von „Cosmo Hill“.

Trotz allem ist der Roman aber ein Jugendbuch, weil er sich eine leichte Sprache bewahrt und auch für die junge Generation flüssig zu lesen ist. Zudem vermeidet Eoin Colfer den moralischen Zeigefinger und überlässt es dem Leser zu entscheiden, welche Schlüsse er ziehen will. In Nebensätzen gibt er zwar seine Ansichten zu verstehen, wer möchte, kann den Roman aber problemlos als spannende Unterhaltungslektüre lesen. Denn die leichte Sprache und die äußerst sympathisch und glaubhaft dargestellten Hauptfiguren, die trotz ihrer nicht immer ganz sauberen Methoden liebenswert rüberkommen, bieten eine hervorragende Identifikationsbasis. Das ergibt unterm Strich ein kurzweiliges Lesevergnügen in einer grandios umgesetzten düsteren Zukunft, über die jeder selbst urteilen kann.

_Eoin Colfers „Cosmo Hill“_ hat alles, was ein guter Roman benötigt: Eine durchdachte Handlung, überraschende Wendungen, plastische Charaktere und einen Hintergrund, der zum Denken anregt, die Geschichte aber nicht überlagert. Ein Roman für Jung und Alt, der mit gut 300 Seiten lediglich etwas zu kurz geraten ist. Bleibt zu hoffen, dass der Nachfolgeband etwas dicker wird. Dass Eoin Colfer nach Satellite City zurückkehren wird, hat er nämlich bereits verlauten lassen.

|Originaltitel: The Supernaturalist
Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet
352 Seiten, gebunden|
http://www.cosmo-hill.de
http://www.ullsteinbuchverlage.de

_Eoin Colfer auf |Buchwurm.info|:_

[„Artemis Fowl“ 172
[„Artemis Fowl – Die Verschwörung“ 180
[„Artemis Fowl – Der Geheimcode“ 569
[„Artemis Fowl – Die Rache“ 1279
[„Artemis Fowl – Die verlorene Kolonie“ 4025
[„Artemis Fowl – Die Akte“ 3135
[„Fletcher Moon, Privatdetektiv“ 4463
[„Meg Finn und die Liste der vier Wünsche“ 742

Hoffman, Mary – Stravaganza – Stadt der Masken (Band 1)

_Traumreise in ein schillerndes Bellezza_

Lucien ist schwer krank. Er hat einen Gehirntumor und liegt deshalb im Krankenhaus. Da er durch die Chemotherapie sehr geschwächt ist und ihn das Sprechen zu sehr anstrengt, bringt ihm sein Vater eines Tages ein altes Notizbuch mit, damit er alles, was er gerne sagen möchte, hineinschreiben kann.

Als er vor Erschöpfung mit dem Buch in den Armen einschläft, wacht er plötzlich in einer anderen, wunderschönen Welt auf, die Venedig sehr ähnelt. Und nicht nur das: Er fühlt sich topfit, und die Haare, die er bei seiner Chemotherapie verloren hat, sind wieder da.

Lucien ist in „Bellezza“ gelandet, einer schillernden Wasserstadt im 16. Jahrhundert unserer Parallelwirklichkeit. Doch schon bald erfährt er, dass er gar nicht hier sein dürfte: Es ist ein bellezzanischer Feiertag, an dem es jedem Nicht-Bellezzaner untersagt ist, die Stadt zu betreten. Wer sich nicht an diese Regelung hält, dem droht sogar der Tod. Doch es ist noch jemand illegal in der Stadt – Arianna, ein junges Mädchen, das sich in der Stadt versteckt und als Junge verkleidet hat, um Mandolier zu werden.

Durch Luciens Auftauchen gerät Ariannas Plan durcheinander. Sie fühlt sich verpflichtet, ihm zu helfen, da er offensichtlich nicht aus Bellezza ist, und gibt ihm ihre Jungenkleider, was ihr eigenes Vorhaben zunichte macht. Zusammen mit ihm geht sie zu der Auswahl der Mandolier, wo die Duchessa, die Herrscherin von Bellezza, die neuen Mandolier auswählt. Ihr Blick fällt auf Lucien und sie erwählt ihn tatsächlich. Er wird von Arianna fort und auf ein neues Zimmer geführt.

Es dauert nicht lange, bis Rodolfo, Ratsherr und Geliebter der Duchessa, nach Lucien schicken lässt. Er hat Lucien durch einen Zauberspiegel beobachtet und erklärt ihm, dass dieser ein Stravagante sei – was heißt, dass Lucien mithilfe seines Notizbuches zwischen seiner Welt und Bellezza hin- und herreisen kann. Rodolfo ist ebenfalls ein Stravagante und hat das Notizbuch, das es Lucien ermöglicht, nach Bellezza zu kommen, in Luciens Welt versteckt, damit bald Hilfe nach Bellezza kommt, denn der Stadt droht Gefahr. Der Botschafter von Remora versucht Bellezza, die einzig freie Stadt in Talia, in einen Städtebund zu drängen, der von der mächtigen Familie di Chimici beherrscht wird, die nicht einmal vor Mord zurückscheut, um zu erreichen, was sie will.

Schon bald werden die Spitzel des Botschafters auf Lucien aufmerksam und merken, dass er nicht aus Talia kommt. Sie wollen um jeden Preis an das Notizbuch gelangen. Die Besuche in Bellezza werden für Lucien immer gefährlicher, denn ohne das Notizbuch kann er nicht wieder in seine Welt zurückkehren …

Hoffmans Geschichte ist zwar nicht gerade eine besondere Leseerfahrung, hat jedoch das gewisse Etwas, das eine Geschichte zu etwas Eigenständigem macht. Obwohl es heutzutage in der Fantasy nichts Neues mehr ist, wenn ein Junge oder ein Mädchen aus der normalen Welt in eine Traumwelt oder eine Parallelwelt reist, war das Buch nicht zu sehr nach dem typischen Muster gestrickt, das man gemäß der Inhaltsangabe vielleicht erahnen könnte.

Es geht um den krebskranken Lucien, der mithilfe eines Notizbuches in die Parallelwelt Talia gelangt. Anfangs geht es noch nicht so sehr zur Sache, denn etwa bis zur Mitte des Buches geht es hauptsächlich darum, wie Lucien die neue Welt mit seiner neu gewonnenen Freundin Arianna entdeckt. Er lernt Bellezza besser kennen und merkt, dass die Stadt, bis auf einige Kleinigkeiten, Venedig ziemlich ähnlich ist. Obwohl er in seiner Welt todkrank und geschwächt im Bett liegt, fühlt er sich in Talia pudelwohl und hat sogar die Haare, die er bei der Chemotherapie verloren hat, zurück.

Nur langsam und anfangs mehr im Hintergrund bahnt sich das Unglück über Bellezza an. Doch nicht nur in Bellezza droht Gefahr. In Luciens Welt muss er bald erfahren, dass sein Gehirntumor wächst und dies natürlich kein gutes Zeichen für ihn und seine Eltern ist.

In „Stadt der Masken“ geht es eher zweitrangig um vordergründige Spannung, weil die meiste Zeit über nichts Aufregendes passiert. Auch wenn dies mal etwas anderes ist als in den üblichen Fantasybüchern, in denen sich die Abenteuer und die Spannung nur so aufreihen, war die Lektüre stellenweise doch wenig fesselnd. Es ist interessant, einiges über Bellezza zu erfahren, doch ein wirklicher Spannungsbogen hat mir schon ziemlich gefehlt.

Bei Talia handelt es sich eigentlich um ein perfektes Abbild unseres italienischen Mittelmeerraumes im 16. Jahrhundert. Bellezza ist dabei ein klares Ebenbild von Venedig, das sich aber dadurch unterscheidet, dass alles noch viel prachtvoller und reichlich mit Silber statt des sonst verbreiteten Blattgoldes ausgekleidet ist. Alle Frauen über 16, die nicht verheiratet sind, tragen Masken – auf Befehl der Duchessa. Ebenfalls durch eine Regelung der Duchessa dürfen ausschließlich junge, gut aussehende Männer Mandolier werden, was Arianna gehörig gegen den Strich geht.

Der Schreibstil von Mary Hoffman passt sich gut der Geschichte an. Es handelt sich hier eher um ein Jugendbuch, was heißt, dass die Sprache, die Mary Hoffman benutzt, nicht allzu schwer zu verstehen und recht flüssig zu lesen ist. Sie schreibt sehr detailreich und beschreibt alles genau, wenn auch nicht zu genau, damit der Leser noch genug eigene Fantasie einbringen kann. Mary Hoffman hat in „Stravaganza – Stadt der Masken“ nicht nur aus verschiedenen Sichten erzählt, sondern auch abwechselnd aus Luciens Welt und Bellezza. Dafür hat der Verlag einen Schrifttypenwechsel verwendet, sodass man die Erzählungen aus Luciens Welt und aus Bellezza gut auseinanderhalten kann.

Ich kann nicht behaupten, dass man die Charaktere großartig an verschiedenen Sprachstilen wiedererkennen könnte, aber bei einem Stravaganten, der ebenfalls von England aus nach Bellezza gekommen ist, der allerdings noch zu der Zeit der Hexenverbrennungen dort lebte und nun nicht mehr zurück in seine Welt gelangen kann, gibt sie sich große Mühe, ihn in altertümelnder Weise reden zu lassen.

Was ich allerdings am gelungensten finde, ist, dass das Ende nicht so kommt, wie man es erwartet hätte. Ich möchte auf keinen Fall zu viel verraten, allerdings habe ich mich über das Finale wirklich gewundert, und das zeigt, dass es auch mal eine nette Abwechslung ist, wenn ein Jugendbuch nicht zwangsläufig in einem Happy-End mündet.

_Fazit:_ Auch wenn „Stadt der Masken“ an manchen Stellen ein wenig die Spannungselemente gefehlt haben, habe ich es gerne gelesen. Der Schreibstil ist sehr passend und leicht verständlich, die Geschichte verwendet zwar ein typisches Gerüst, ist aber trotzdem etwas Eigenständiges und weist auch viele eigene Ideen der Autorin auf.

_Mary Hoffman_ wurde 1945 in England geboren und lebt heute zusammen mit ihrem Mann zusammen in West Oxfordshire. In England ist sie eine sehr bekannte und erfolgreiche Jugendbuchautorin, die bereits 80 Werke herausgebracht hat. Sie ist überdies eine begeisterte Italien-Liebhaberin und verbringt ihre Freizeit so oft wie möglich dort. Ihre Liebe zu Italien führte auch dazu, dass sie sich für die |Stravaganza|-Trilogie von Italien, insbesondere von Venedig im 16. Jahrhundert, inspirieren ließ.

Die |Stravaganza|-Trilogie:

1. Band: Stravaganza – Stadt der Masken
2. Band: Stravaganza – Stadt der Sterne
3. Band: Stravaganza – Stadt der Blumen

http://www.arena-verlag.de
http://www.maryhoffman.co.uk
http://www.stravaganza.co.uk

Caveney, Philip – Sebastian Dark – Der falsche König

Um Geld für sich und seine Mutter zu verdienen, will Sebastian Dark in die Fußstapfen seines Vaters treten, der ein begnadeter Narr war. Nur hat Sebastian von seinem Vater diese Kunst leider nicht geerbt – niemand lacht über seine Witze. Trotzdem macht er sich zusammen mit dem sprechenden Büffelop Max hoffnungsvoll auf den Weg nach Keladon, wo er Hofnarr am Königshof von König Septimus werden will.

Auf dem Weg dorthin trifft er auf Cornelius, der zwar sehr klein ist, aber sehr gut kämpfen kann. Da dieser ebenfalls nach Keladon will, um dort in die Armee des Königs einzutreten, reisen sie zu dritt weiter. Auf dem Weg durch die Prärie werden sie Zeugen, wie eine Kutsche von einer Horde wilder Briganten überfallen wird. Ohne lange zu überlegen, greifen die beiden ein und jagen die Räuber in die Flucht. Erst als sie einen Blick in die Kutsche werfen, wird ihnen klar, wen sie da gerettet haben: Prinzessin Kerin von Keladon, die Nichte von König Septimus!

Obwohl Kerin anfangs sehr zickig reagiert, erklären sich Cornelius und Sebastian bereit, sie zurück nach Keladon zu bringen. In Keladon angekommen, wird die freudige Nachricht sofort König Septimus überbracht, der sehr erleichtert zu sein scheint, seine Nichte heil wiederzubekommen. Doch obwohl König Septimus Kerins Rettern gegenüber so zuvorkommend ist, traut Sebastian ihm nicht, und bald schon wird sein Verdacht, dass der König die Prinzessin eigentlich aus dem Weg schaffen will, bestätigt …

Obwohl Philip Caveney mit „Sebastian Dark – Der falsche König“ die Jugend-Fantasy sicherlich nicht neu erfindet, ist die Story doch interessant und weiß von Anfang an zu fesseln. Die Geschichte ist nicht besonders anspruchsvoll, sodass man während der Lektüre auch als jüngerer Leser nicht allzu viel nachdenken muss und sich entspannen kann.

Die Charaktere sind nicht besonders tiefgründig ausgearbeitet, aber trotzdem kann man mit dem Protagonisten wunderbar mitfiebern, und auch die restlichen Charaktere wirken sympathisch. Obwohl Prinzessin Kerin anfangs wie eine verzogene Göre beschrieben wird, ändert sich das immer mehr, je weiter die Lektüre voranschreitet und sich die Prinzessin mit ihren Gefährten anfreundet. Sehr gut hat mir auch der Charakter des sprechenden Büffelops gefallen (erklärt, was genau ein Büffelop ist, wird in dem Buch nicht, aber ich schätze mal, dass es irgendeine Art Fabelbüffel oder Minotaurus ist). Er redet am laufenden Band, und die Dialoge zwischen ihm und Sebastian haben mich häufiger zum Lachen gebracht. Der einzige Charakter, der mir nicht allzu gut gefallen hat, war König Septimus. Zwar wird erklärt, weshalb er böse ist und Prinzessin Kerin aus dem Weg schaffen will, aber einige Charakterzüge sind dann doch irgendwie unpassend. Außerdem wird der König an einigen Stellen ins Lächerliche gezogen, was mir für einen Bösewicht auch nicht gerade zugesagt hat.

Wie schon erwähnt, hat das Buch einige sehr amüsante und witzige Stellen vorzuweisen, vor allem wenn sich Sebastian und Max unterhalten. Die beiden mögen sich zwar, streiten und diskutieren aber beständig miteinander. Eine sehr lustige Unterhaltung, an der aber Cornelius auch beteiligt ist, spielt sich beispielsweise ab, als es um die Frage geht, was für eine Form die Welt hat. Dabei kamen Theorien auf wie: Die Welt ist ein großes Schild, das von einem mächtigen Krieger gehalten wird, der auf einem Teppich durch das All fliegt. Irgendwann wird er keine Lust mehr haben, den Schild zu halten, und wird ihn wegwerfen, was das Ende der Welt bedeuten wird. Eine andere Theorie ist, dass die Welt ein großer Ring ist, der durch die Nase eines riesigen Büffelops führt. Solche amüsanten Stellen finden sich des Öfteren.

Der Schreibstil weist keine Besonderheiten auf, so wie man es von den meisten Jugendbüchern eben gewohnt ist. Er ist nicht sehr kompliziert gehalten und die Schrift ist auch relativ groß, sodass das Buch sehr flüssig und schnell lesbar ist. Wie schon bei dem Büffelop, gibt es zu unbekannten Daseinsformen allerdings kaum Erklärungen, was aber nicht wirklich der Rede wert ist. Wie bei dem Büffelop kann man sich eigentlich sehr gut vorstellen, worum es sich dabei handelt. Philip Caveney lässt, was derlei angeht, Freiraum für die eigene Fantasie.

Was sich kritisieren lässt, ist, dass „Der falsche König“ einfach ein wenig kurz geraten ist und man aus der Geschichte ein wenig mehr hätte machen können. Wäre das Buch ein wenig länger gewesen und gäbe es mehr Umwege und Abenteuer zu bestehen, wäre der Gesamteindruck ein besserer gewesen. So hatte man eher das Gefühl, dass den Protagonisten nie irgendein Stein in den Weg gelegt wird und sie alles mit Links erreichen.

_Fazit:_ Auch wenn das Buch jetzt nicht zu den Besten seiner Art gehört, hat es mir doch überraschend gut gefallen. Es ist sehr humorvoll und interessant geraten. Lustig finde ich auch die Idee mit dem Spiel im Schutzumschlag. Außerdem kann man das Spielfeld noch als Karte verwenden, um sich in der Gegend, in der sich die Protagonisten gerade befinden, zu orientieren.

_Der Autor_ dieses Buches ist Philip Caveney. Er wurde 1951 in Nord-Wales geboren und lebt heute mit seiner Frau und seiner Tochter in Manchester. In seiner Kindheit reiste er viel herum, und das nicht nur in Großbritannien und Nordirland, sondern auch Malaysia und Singapur. Er schreib zahlreiche, erfolgreiche Romane für Erwachsene, „Sebastian Dark – Der falsche König“ ist sein erstes Jugendbuch und Fortsetzungen sind in Planung.

|Originaltitel: Sebastian Darke – Prince of Fools
Originalverlag: Random House UK
Aus dem Englischen von Mareike Weber
Ab 10 Jahren
Gebundenes Buch, 352 Seiten|
http://www.randomhouse.de/specialskids/caveney__sebastiandark/

Westerfeld, Scott – Ugly – Verlier nicht dein Gesicht

Band 1: „Ugly – Verlier nicht dein Gesicht“ (April 2007)
Band 2: „Pretty – Erkenne dein Gesicht“ (September 2007)
Band 3: „Special – Zeig dein wahres Gesicht“ (Mai 2008)
Band 4: „Extras“ (noch kein dt. Titel, Originalausgabe Oktober 2007)

Die Pubertät ist keine einfache Phase. Es verändert sich nicht nur der Körper an und für sich, sondern auch das Selbstbild. Man findet sich zu hässlich, zu dick, zu dünn … Die Palette der pubertären Selbstvorwürfe ist endlos. Der amerikanische Autor Scott Westerfeld hat eine Jugendbuchserie geschrieben, die genau diese Problematik aufgreift. Allerdings benutzt er an keiner Stelle den Begriff „Pubertät“. Stattdessen hat er eine Science-Fiction-Welt erschaffen, die den radikalen Weg wählt: Zum sechzehnten Geburtstag sorgt eine obligatorische, rundumerneuernde Schönheitsoperation dafür, dass sämtliche Probleme mit dem eigenen Aussehen von einem Tag auf den anderen verschwinden.

Doch bevor es so weit kommt, leben die Menschen in dieser Welt als Uglies, also „Hässliche“, in einem separaten Stadtteil. Erst nach der Operation, die sie an den geltenden Schönheitsstandard angleichen soll, dürfen die jungen Menschen in New Pretty Town leben, wo die ganze Zeit nur gefeiert und getrunken wird. Tally Youngblood steht kurz vor ihrem langersehnten sechzehnten Geburtstag, doch die Zeit bis dahin möchte nicht so recht vergehen. Ihr bester Freund Peris wurde bereits operiert und lebt nun auf der anderen Seite des Flusses, bei den Schönen.

Tally langweilt sich, doch eines Tages trifft sie Shay, die es, genau wie Tally, liebt, nachts verbotenerweise durch die Gegend zu streifen. Gemeinsam verlassen sie immer öfter die Stadt und fliegen auf ihren Hubbrettern in die Wildnis, vor der man Tally immer gewarnt hat. Dort gibt es nichts außer ein paar Industrieruinen der Rusties, wie man die heutige Menschheit in Tallys Welt nennt. Das dachte Tally jedenfalls, denn Shay erzählt ihr von Menschen, genauer gesagt von Uglies, die in dieser Wildnis versteckt leben, weil sie sich bewusst gegen eine Schönheitsoperation entschieden haben.

Tally kann das gar nicht glauben, doch kurz bevor Shay und Tally operiert werden sollen, ist Shay verschwunden. Sie hat nur einen Zettel mit einer chiffrierten Wegbeschreibung dagelassen, der ihr zum Verhängnis wird. Die Specials – das Ordnungskommando der Stadt, eine eiskalte Elitetruppe – wollen, dass Tally Shay folgt und die Specials damit zu den Abtrünnigen führt. Tally möchte ihre Freundin nicht verraten, aber man stellt ihr ein Ultimatum: Entweder folgt sie Shays Anweisungen oder sie wird für immer eine Ugly bleiben. Tally muss sich entscheiden …

Westerfelds Idee, dass in weiter Zukunft nur noch die schönen als „richtige“ Menschen gelten, ist nicht neu, sondern häufiger Stoff für Science-Fiction-Bücher. Konsequent setzt er diese Idee auf einer jugendfreundlichen Ebene um, geht dabei aber leider nicht besonders in die Tiefe. Alles wirkt ein bisschen steril, obwohl gut erdacht und sauber konstruiert. Die Idee mit den Schönheitsoperationen und wie dieses Ereignis die Uglies beeinflusst, ist sehr interessant, doch manchmal fühlt man sich als erwachsener Leser ein bisschen unterfordert. Es wäre schön gewesen, wenn der Autor die Abgründe dieser Welt noch etwas deutlicher dargestellt hätte, denn letztendlich bekommt man nur einen sehr oberflächlichen Einblick in New Pretty Town oder Smoke, die Stadt der Ausreißer.

An der Geschichte selbst gibt es allerdings nichts zu meckern. Sie ist fesselnd erzählt und aufgebaut. Obwohl manchmal etwas unscharf umrissen, sind die Schauplätze interessant, und neben einer gehörigen Portion Abenteuer bieten auch die zwischenmenschlichen Beziehungen Spannendes. Routiniert webt Westerfeld Krisen und Konflikte ein, die immer wieder für Aufhänger sorgen. Neben einer Dreiecksgeschichte ist es vor allem Tallys Status als Spionin der Specials, der immer wieder für Gewissenskonflikte und Probleme sorgt.

Überhaupt ist Tally eine wunderbar ausgearbeitete Hauptperson. Sie erzählt aus der dritten Person, ist sehr zugänglich und lässt den Leser an ihrem Gefühlsleben und ihrer Gedankenwelt teilhaben. Obwohl das Buch in einer anderen Zeit spielt, können sich Jugendliche sicherlich mit Tally identifizieren, da ihre Probleme trotz ihres anderen Lebensstils den heutigen doch sehr ähnlich sind, allein schon ihre Klagen über ihr Ugly-Aussehen oder eben das Hin- und Hergerissensein zwischen Verrat, Freundschaft und Liebe. Diese Themen sind jugendbuchtypisch und werden angenehm kitschfrei und authentisch aufbereitet.

„Ugly – Verlier nicht dein Gesicht“ von Scott Westerfeld ist ein sauberer Auftakt seiner Serie um Tally Youngblood. An der einen oder anderen Stelle ist die Welt, die er entworfen hat, vielleicht ein wenig zu seicht geraten, aber die abenteuerliche Handlung in Verbindung mit der sympathischen und schicksalsgebeutelten Heldin sorgt für gute Unterhaltung, die allerdings stark auf Jugendliche zugeschnitten ist und nicht, wie derzeit andere phantastische Bücher für junge Leser, auch Erwachsene wirklich anspricht.

|Übersetzt von Gabriele Haefs
Empfohlen ab 12 Jahren
432 Seiten Klappenbroschur|
http://www.carlsen.de
[Verlagsspezial zur Serie]http://www.carlsen.de/web/jugendbuch/ugly__pretty__special
http://scottwesterfeld.com/

|Siehe ergänzend dazu auch unsere [Rezension 3307 zu Westerfelds Science-Fiction-Epos „Weltensturm“.

Anmerkung: Die „Trilogie“ ist mittlerweile zur Quadrologie geworden. Eine deutsche Veröffentlichung des vierten Bandes „Extras“ ist noch nicht angekündigt.|

Matthew Skelton – Endymion Spring: Die Macht des geheimen Buches

Mainz, 1452:

Zwei Gestalten – eine davon zieht eine schwere Truhe durch den Schnee – erscheinen in einer Winternacht in Mainz. Einer der beiden stellt sich als Johann Fust heraus, der andere als sein Gehilfe. Die beiden sind auf dem Weg zu Johannes Gutenberg, der in seiner kleinen Werkstatt erste Druckversuche der Bibel anfertigt. Johann Fust unterbreitet ihm einen Vorschlag: Er finanziert Johannes Gutenbergs Druckerei, wenn er die Druckerei anschließend ebenfalls benutzen darf.

Matthew Skelton – Endymion Spring: Die Macht des geheimen Buches weiterlesen

Stroud, Jonathan – Spur ins Schattenland, Die

_Die Grenzen von Fantasie und Realität_

Als Charlie mit ihrem Freund Max eine Radtour an den Mühlteich unternimmt, geschieht etwas Schreckliches: Max, der auf einen Baum über dem Mühlteich geklettert ist, fällt ins Wasser und wird von Wesen mit grünen Haaren, die wie Wassernixen, in die Tiefe gezogen. Charlie versucht, ihren Freund zu retten, bekommt aber bald keine Luft mehr und muss aufgeben.

Wegen eines Lungenschadens kommt Charlie ins Krankenhaus. Dort versucht sie ihrer Mutter, ihrem Bruder James und den Ärzten zu erklären, was vorgefallen ist. Da diese ihr ihre Geschichte aber nicht glauben und denken, Charlie hätte wegen des Todes ihres Freundes und des traumatischen Erlebnisses, selbst beinahe zu ertrinken, Halluzinationen, hüllt sich Charlie fortan in Schweigen. Die anderen glauben, Max wäre in dem Mühlteich ertrunken, doch Charlie weiß es besser: Die seltsamen Wassernixen mit den grünen Haaren haben ihren Freund Max in eine andere Welt, ins Schattenland, entführt, und nur Charlie vermag es, ihren Freund zu retten und wieder in die ‚richtige‘ Welt zurückzuholen.

Als sie wieder zu Hause ist, besucht sie nachts in ihren Träumen einen Ort, von dem sie glaubt, dass sich Max dort aufhält. Jede Nacht sucht sie ihn dort, bis sie auf einen jungen Mann namens Kit trifft, der ihr einiges erklärt: Max habe großes Glück, hier sein zu dürfen, und er befinde sich auf einer langen Wanderschaft. Auf der Wanderschaft zur Großen Kirmes, wo er sich dem Großen Tanz anschließen möchte und dadurch komplett in die Welt des Schattenlandes abtauchen und seine ganze Vergangenheit damit vergessen wird.

Doch Charlie gibt nicht auf. Sie versucht, Max zu folgen, was beinahe unmöglich ist, da Max einen immer größeren Vorsprung gewinnt, da er auch tagsüber weiterläuft. Kit versucht ihr auf ihrer Suche zu helfen und gibt ihr den Tipp, auch tagsüber Orte zu besuchen, die Max früher gerne aufgesucht hat. Und tatsächlich: An bestimmten Orten fühlt sie sich Max nahe und kommt ihm immer näher. Doch sie muss sich beeilen, denn die Große Kirmes findet schon bald statt …

Während Charlie verbissen versucht, Max zu finden, machen sich ihre Mutter und ihr Bruder James immer mehr Sorgen um sie. Sie verstehen ihr Verhalten nicht und glauben, dass Charlie nicht wahrhaben will, dass Max tot ist. Als James, der sich besonders um seine kleine Schwester kümmert, dann Charlies Traumtagebuch liest und diese ein immer seltsameres Verhalten an den Tag legt, merkt er, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Und bis er erkennt, was los ist, ist es schon beinahe zu spät …

_In „Die Spur ins Schattenland“_ vermischen sich Realität und Fantasie zusehends. Anfangs wird beides noch stark getrennt und der Leser glaubt, dass Charlie Recht hat und Max wirklich in ein anderes Reich entführt wurde, doch je weiter die Geschichte voranschreitet und sich dem Ende zuneigt, desto mehr beginnt man daran zu zweifeln und glaubt, Charlie hätte sich das aufgrund ihres Traumas vielleicht doch alles nur eingebildet. Sie versucht immer verbissener, Max zu finden und wieder in die richtige Welt zu führen, und dadurch wird dem Leser klar, wie sehr Charlie an ihrem Freund Max doch hängt. Bildet sie sich das also alles nur ein, weil sie die Tatsache, dass ihr Freund Max tot ist, nicht verkraften kann, oder hat Charlie Recht und es gibt wirklich ein Reich namens Schattenland, wohin Max entführt wurde?

Realität und Fantasie verschwimmen nicht nur indirekt, denn während des Verlaufes der Geschichte gelingt es Wesen aus der anderen Welt, in die reale Welt hinüberzusteigen, und zum Ende hin verschwimmen die beiden Wirklichkeiten ganz und gar, sodass Charlie beide Existenzen zugleich durchläuft. Sie sieht beide Ebenen gleichzeitig, für sie sind die beiden eins. Sie wird immer mehr vom Schattenland beeinflusst und wandelt irgendwann nur noch somnambul durch die Gegend.

Ganz verbissen versucht sie, Max zu finden, und gibt nicht auf. Dabei bemüht sie sich anfangs noch, auf ihre Familie und ihr Umfeld einen normalen Eindruck zu machen, was ihr allerdings bald nicht mehr gelingt. Vor allem ihrem Bruder kann sie nichts vormachen, und er versucht, hinter Charlies Geheimnis zu gelangen. Er merkt, wie Charlie immer seltsamer wird, und macht sich zunehmend Sorgen um sie.

Das Buch scheint auf den ersten Blick nichts allzu Besonderes zu erzählen und hat auch von der Handlung her nicht wirklich etwas Spannendes oder Neues zu bieten. Die ganze Geschichte lebt eigentlich ausschließlich von den Charakteren und der Frage, ob Max wirklich in eine andere Welt entführt wurde oder ob Charlie sich das bloß einbildet. Vor allem am Schluss spitzt sich diese Situation zu und der Leser kann nicht mehr genau sagen, wer jetzt gut oder böse, was richtig oder falsch ist.

Die Charaktere sind allesamt sehr glaubwürdig und tiefgründig geraten, vor allem Charlie, die in James‘ Augen seit dem „Tod“ von Max in einer völlig anderen Welt zu leben scheint und sich immer noch seltsamer verhält. Charlies Mutter hingegen scheint nicht recht zu wissen, wie sie mit ihr umgehen soll. Sie hatte schon vor Max‘ Tod kein gutes Verhältnis zu ihrer Tochter und pendelt zwischen Sorge und dem Glauben, dass mit ihrer Tochter alles wieder in Ordnung ist. Eigentlich hat sie ihr eigenes Leben, das sie nicht vernachlässigen will, aber man merkt, dass sie dennoch versucht, für ihre Tochter da zu sein. Zu guter Letzt wäre da noch Kit. Er wirkt sehr freundlich und scheint Charlie helfen zu wollen. Dennoch hat man immer wieder das Gefühl, dass Kit auch irgendetwas im Schilde führt …

Ein paar Handlungsstränge werden angedeutet, jedoch nicht so recht zu einem Ende geführt. Einmal bietet Kit Charlie eine Beere im Schattenland an, die angeblich ihr tiefstes Begehren erfüllen soll. Jedoch wird Charlie kurz davor geweckt und damit aus der Schattenwelt in die Realität gerissen. Die Beere wird danach nie wieder erwähnt. Man erfährt nicht wirklich, warum Kit ihr die Beere anbietet, und fragt sich im Nachhinein, warum die Passage in dem Buch überhaupt vorhanden ist …

Der Schreibstil ist stets in Ich-Form gehalten, und zwar immer abwechselnd aus Charlies Sicht und aus der ihres Bruders James. Man erfährt immer, wie Charlie und andererseits James ein und dieselbe Situation erleben. Das passt sehr gut zur Erzählung, da es sehr wichtig ist, die Situation aus verschiedenen Sichten wahrzunehmen. Erst dadurch verschwimmen die beiden Welten zum Ende hin komplett ineinander und man ist sich nicht sicher, was nun Fantasie und was Wirklichkeit ist. Die ganze Zeit über wird dabei, wie zumeist üblich, in der Vergangenheit erzählt, nur die Tagebucheinträge von Charlie sind im Präsens gehalten.

_Fazit:_ „Die Spur ins Schattenland“ von Jonathan Stroud ist ein gelungenes und angenehm zu lesendes Buch. Es ist tiefgründig und ein wenig nachdenklich. Allerdings hat das Buch mich nicht wirklich zu fesseln vermocht und bietet, was die Story angeht, nicht wirklich viel Bemerkenswertes.

_Jonathan Stroud_ wurde 1970 in Bedford, England geboren. Jetzt wohnt er mit seiner Frau Gina, die Grafikerin und Illustratorin für Kinderbücher ist, und der gemeinsamen Tochter Isabelle in St. Albans. Seid er sieben Jahre alt war, schrieb er eigene Geschichten. Es war schon immer sein Wunsch, Jugend- und Fantasybücher zu verfassen. Nach einem Studium machte er Karriere in einem Verlag und war dort Herausgeber von Sach- und Spielbüchern für Kinder. Danach hat er sich das Schreiben von eigenen Romanen zu seinem Beruf gemacht. Seinen großen Durchbruch schaffte er mit der „Bartimäus“-Trilogie, die von einem sarkastischen, oft schlecht gelaunten Dämon handelt. Danach folgten die Romane „Die Eisfestung“ und „Drachenglut“, die allerdings nicht ganz an den Erfolg von „Bartimäus“ anknüpfen konnten.

|Originaltitel: The Leap
Originalverlag: Random House UK
Aus dem Amerikanischen von Bernadette Ott
Taschenbuch, 320 Seiten
Empfohlen ab 11 Jahren|
http://www.omnisbus-verlag.de

_Jonathan Stroud auf |Buchwurm.info|:_
[„Bartimäus – Das Amulett von Samarkand“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=353
[„Bartimäus – Das Auge des Golem“ 1861 (Lesung)
[„Drachenglut“ 3381
[„Die Eisfestung“ 3513

Seidel, Stefan / Niessen, Susan – kleine Baggerfahrer im Einsatz, Der

In der bereits 2006 gestarteten Bilderbuchreihe „… im Einsatz“ begleiten Zeichner Stefan Seidel und Texterin Susan Niessen die verschiedensten Kinderidole während ihrer alltäglichen Arbeit. Vom Feuerwehrmann bis hin zum Piloten reicht die nunmehr bereits achtteilige Edition, die über den |Coppenrath|-Verlag vertrieben wird und in jeweils sechs doppelseitigen Illustrationen den Tagesablauf im Berufsleben der jeweiligen Person nachzeichnet.

Den Auftakt macht das Buch um den Baggerfahrer, der an dieser Stelle jedoch namenlos bleiben soll. Dies sei gesondert erwähnt, da das Gros der Serie ihren kleinen Helden einen leicht nachvollziehbaren Namen gibt, mit dem sich die Kinder schließlich auch identifizieren können bzw. der einfach nur als weitere Orientierungshilfe dienen soll. So zum Beispiel Bauer Bernd oder Lokführer Ludwig. Aber natürlich ist hier auch die Kreativität des Lektors gefragt, wobei man sich zum Beispiel nach einem bekannten Mike-Krüger-Hit richten könnte.

Wie auch immer, in „Der kleine Baggerfahrer im Einsatz“ beschreiben Seidel und Niessen zunächst einmal die beiden Protagonisten, sprich den Titelhelden und sein Arbeitsgerät, und zeigen einige der Einsatzorte, an denen das Zweigespann beschäftigt ist. Ein Teich wird ausgehoben, ein Lastwagen beladen und natürlich auch die typische Mittagspause im Bauwagen aufgezeigt. In der Nachmittagsschicht werden noch einige Steine aufgeladen, bevor der Bagger dann samt Tieflader an seinen Einsatzort für den nächsten Ort gebracht wird.

Der Aufbau des Buches ist wirklich toll, die Geschichte sowie der Ablauf an den einzelnen Stationen absolut leicht nachvollziehbar. Dabei achtet Seidel in seinen Illustrationen ständig darauf, viele wiedererkennbare Elemente einzufügen, die sich in späteren Lesungen dann immer deutlicher festigen und für das kleine Publikum prägnant haften bleiben. Des Weiteren ist gerade die Bagger-Edition ein sehr gutes Beispiel für die optimale Übersichtlichkeit eines solchen Projekts; die Bilder werden nicht mit Gegenständen überwuchert, die Farbgebung bleibt basisch und avanciert in keinem Teil der Geschichte zur Überforderung für die Kleinsten. Letzteres lässt sich in diesem Fall auch für die Verbindung aus Bild und Text sagen; die Aktionen werden in leichter Sprache wiedergegeben und sind auf Anhieb verständlich, wenngleich man in dieser Reihe auf kein Reimschema zurückgreift. Diesbezüglich waren zwar zunächst Befürchtungen ob der Einprägsamkeit der Story vorhanden, jedoch konnten diese „im Einsatz“ recht bald wieder ausgeräumt werden.

Insgesamt hinterlässt der erste Titel der Serie daher auch einen rundum überzeugenden Eindruck. Sprache, Illustrationen und die vielen netten Ideen wurden harmonisch zusammengefügt, die Darstellungen sind sympathisch und für die ersten Leseerfahrungen im Kleinkindalter bestens geeignet. Da „Der kleine Baggerfahrer im Einsatz“ zudem recht erschwinglich ist, kann man den Titel wirklich uneingeschränkt empfehlen!

http://www.coppenrath.de/

Hennen, Bernhard – Alica und die Dunkle Königin

|Alica reist zum Rittergut ihrer Großeltern und damit mitten hinein in ein Fantasy-Märchen der etwas anderen Art: In dem Gemäuer treibt ein Geisterfalke sein Unwesen und Alica verliebt sich bald in einen jungen Husaren, der ihr im Spiegel erscheint. Und dann taucht auch noch der Heinzelmann Wallerich auf, von Köln in die Eifel strafversetzt, um den Falken mit Magie, modernster Technik und Alicas Hilfe nach ‚Nebenan‘ zu bringen – der Welt der Fabelwesen. Auf dem Rücken der Möwe Schnapper stürzen sich die beiden ins Abenteuer und rufen damit die Dunkle Königin hinter den Spiegeln auf den Plan.|

Bernhard Hennen ist den Fantasy- und Phantastiklesern längst ein Begriff. Nun hatte ich bisher nur Texte für Erwachsene von ihm gelesen und „Alica und die Dunkle Königin“ war mein erstes |Jugend|fantasybuch des Autors. Die Atmosphäre, die den Seiten entströmt, ist märchenhaft, oftmals mit einer gehörigen Prise Humor gewürzt und merklich auf die Zielgruppe ausgerichtet. Besonders jugendliche Leser|innen| werden sicher ihre wahre Freude an dem Titel haben.

Angesiedelt ist die Rahmenhandlung in der Eifel: ein Spuk, der sich um das Herrenhaus Greifenstein rankt, das Alica Bäuers Großeltern gehört und auf das sie geschickt wird. Der Beginn des Romans liest sich beschaulich, eher herkömmlich und mit einer gewissen Antriebsschwäche – aber schon bald entwickelt sich die Handlung in eine spannend-romantische Richtung und nimmt an Tempo zu, denn Alica gerät in eine wahre Welt der Fabelwesen.

Da ist Wallerich, der Heinzelmann, der Alica, die wegen familiärer Probleme bei ihren Großeltern weilt, einen Ring gibt, der es ihr ermöglicht, Märchenfiguren wie Feen und andere Geschöpfe zu sehen. Von Wallerich erfährt sie auch, dass diese für alle unsichtbar sind, die den Glauben an das Wunderbare verloren haben.

Und eben jene Wesen und deren besondere Welt und Eigenarten, die Bernhard Hennen liebevoll in Szene setzt, machen den Reiz dieses Buches aus, seien es Wallerichs „Spionagetechnik“ – natürlich ist wie er sein Computerraum ebenfalls in Heinzelmanngröße (seit Wallerichs Auftauchen steckt Alica mitten in einer „Heinzelmännergeheimdienstoperation“) – oder Schnappers Flugkünste. Jene Möwe, auf deren Rücken sich Wallerich und Alica, die dank des Zauberrings ihre Größe verändern kann und dann ebenfalls auf Wallerich-Maße schrumpft, durch die Lüfte bewegen – hinein in eine Wirklichkeit gewordene Märchenwelt. Alica erfährt von Trollsöldnern, die nicht so leicht in Großstädten wie Köln einzusetzen sind, weil sie dann immer „die halbe Zeit vor dem Fernseher hocken und sich Actionfilme ansehen, weil sie auf Prügeleien und Autocrashs stehen“, begegnet einer waschechten Hexe und hört mit Erstaunen, dass selbst Zauber ein Verfallsdatum haben, weil „normale Gebrauchszauberei“ irgendwann nicht mehr wirksam ist, sich Saucenbinder besser als anderes zum Binden von verschiedenen Zaubern eignet, man die Sprache aller Tier versteht, wenn man die Schwanzspitze einer weißen Schlange isst … und vieles mehr.

Doch richtig phantastisch wird es, als Alica den Zauberspiegel im Bad entdeckt, durch den man nach „Nebenan“ gelangt – was sie dann auch mutig vollbringt. Dort hört sie von der Dunklen Königin, Arduinna Silva, der Göttin der dunklen Wälder und der Jagd – geheimnisvoll und unbarmherzig -, die im Laufe der Jahre zur Dunklen Königin wurde und um die sich die Sage rankt, dass „wer sie erblickt, des Todes ist“.

Alica begegnet „General Lollejan“, dem Oberbefehlshaber aller Kobolde, Soldat „Knochenheiß“, „Buddel“, dem Reithasen, „Kleereißer“, dem Feigling, der, sobald er einen Schuss hört, auf und davon hoppelt und darüber hinaus zu blöd ist, um Erbsen und Hasenköttel zu unterscheiden, Kobolden, die Nussschalen als Sturzhelme tragen und vielen weiteren wundersamen Gestalten. So auch dem Geist der Freifrau Magdalena von Greifenstein, die nicht eher ruhen kann, bis sie Gewissheit darüber hat, warum ihr Verlobter Johannes Reisigendorf von einer Reise nach Cöln nie zu ihr zurückkehrte, und die Alica davor warnt, sich zu sehr zu verlieben, weil es das Leben zerstören kann. Doch genau dieses allumfassende Gefühl befällt Alica, als sie einem „Reiter in stürmischer Nacht“ begegnet – dem Husarenjungen Francois Ibrahim de la Croix, der sich ebenso in sie verliebt, wie sie sich in ihn … Mehr sei an dieser Stelle nicht über den weiteren Verlauf der Handlung verraten!

Die Mixtur von „Alica und die Dunkle Königin“ ist eine geschickte Verknüpfung historischer Ereignisse und Fantasyelemente – selbst die erste Liebe wird hier einmal anders eingebettet – und entführt den Leser auch in eine Handlung im Jahre 1812. Und genau diese Mischung macht den Reiz aus. Es sind die liebevollen ‚Kleinigkeiten‘, die in die Story einfließen und die sie letztendlich zu Leben erwecken; sei es der „Orden der Goldenen Haselnuss“ oder das „Altenheim für irregeleitete Kobolde“, um nur zwei zu nennen.

So viel zum Text des Buches, komme ich zur Aufmachung, die wie immer bei |Ueberreuter| souverän und ansprechend ist, das Papier bestens, Layout und Schriftgröße sehr augenfreundlich sind – einzig das Lektorat ist nicht optimal und hätte etwas sorgfältiger sein dürfen. Besonders negativ ins Auge stachen die „ganz“-Kombinationen, die sich durch den gesamten Text ziehen und auf die ein guter Romantext im Gros verzichten sollte: ganz unverhohlen, ganz verzweifelt, ganz kalte Hände, ganz zufrieden, ganz offensichtlich, ganz übel, ganz frisch … etc pp. Aber auch stilistische Stolpersteine wie „Sie wirkten wirklich ergriffen“, die aber eher die Seltenheit waren.

Das ist aber auch das einzige (kleine) Manko dieses Bandes, der jedem empfohlen werden kann, der Jugendliche zu beschenken hat oder sich selbst ein märchenhaftes Lesevergnügen bereiten will – ein humorvolles, märchenhaftes Fantasyabenteuer für Jung und Alt.

|Titelillustration Jill Baumann
Titelgestaltung von Nele Schütz Design, München
323 Seiten, Hardcover|

Home


http://www.bernhard-hennen.de

_Bernhard Hennen auf |Buchwurm.info|._
[„Die Elfen“ 2169
[„Die Elfen“ 2962 (Hörbuch)
[„Elfenwinter“ 2185
[„Elfenlicht“ 3505
[„Der Wahrträumer“ 390 (Magus Magellans Gezeitenwelt)