Archiv der Kategorie: Kinder- und Jugendliteratur

Blazon, Nina – Maskenmörder von London, Der

Nina Blazon, Wolfgang-Hohlbein-Preisträgerin, ist vielen vielleicht nur wegen ihrer erfolgreichen Fantasybücher ein Begriff. Tatsächlich schreibt die Autorin aber auch historische Romane wie zum Beispiel „Der Maskenmörder von London“.

Die Geschichte spielt im 18. Jahrhundert. Die Stadt London steht Kopf, denn der italienische Staropernsänger Giacomo Maria Amorelli singt in Prinz Fredericks Theaterhaus. Auch Isobel Burlington, eine betuchte Witwe, ist großer Fan des Sängers, während ihr Neffe Lucius bei der bloßen Erwähnung des Namens die Augen verdreht.

Der junge Mann, der aus ärmeren Verhältnissen aus Dover stammt und in London seine Ausbildung zum Kaufmann machen soll, interessiert sich nicht sonderlich für Opern und das adlige Getue seiner Tante. Doch als bei der Premiere von Amorellis neustem Stück dessen Rivale Ferrante ums Leben kommt, ist Lucius‘ Neugierde geweckt.

Mithilfe der Schleifenmacherin Sisí und dem Volk auf der Straße versucht er den rätselhaften Fall zu lösen. Denn anders als die Polizei unter dem raubeinigen Constable Avory glaubt Lucius nicht daran, dass Amorelli der Mörder ist …

Erneut gelingt es Nina Blazon, in den Mittelpunkt ihrer Geschichte einen jungen, gewitzten Helden zu stellen, der eine knifflige Aufgabe lösen muss. Lucius ist frech und mutig und nicht gerade der Kaufmannslehrling, der er eigentlich sein sollte. Sein Charakter ist gut ausgearbeitet und weist Ecken und Kanten auf. Außerdem ist er sehr sympathisch und interessant, weil er gerne ein wenig über die Stränge schlägt.

Ihm zur Seite stehen weitere Figuren, die ebenfalls sehr schön und zeitgerecht gezeichnet sind. Um Spannung in die Besetzung zu bringen, lässt Blazon die eine oder andere Person etwas undurchsichtig erscheinen, webt persönliche Tragödien ein und stellt Lucius eine tapfere junge Dame an die Seite. Sisí, eine einfache Bürgerin, zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie sich gerne über ihre Standesgrenzen hinwegsetzt und Dinge tut, die einem jungen Mädchen eigentlich nicht gebühren.

Die ganze Handlung wird davon geprägt, dass Lucius und Sisí Dinge tun, die sie eigentlich nicht tun sollten. Munter brechen sie die Traditionen des 18. Jahrhunderts, um den wahren Mörder von Ferrante zu finden. Trotz dieser leicht verruchten Komponente und des schönen Erzählstils bleibt die Handlung aber recht blass. Den Ereignissen fehlt oft der zündende Funke. Dadurch kommt kaum Spannung auf beziehungsweise erst am Ende. Hier schlägt Blazon ein paar Haken und sorgt für die Überraschungen, die sie lieber vorher schon hätte einfließen lassen sollen.

Insgesamt lässt die Geschichte auch ein wenig an der Dichte missen, die man sonst von der Stuttgarter Autorin gewohnt ist. Ihre überbordende Fantasie, die ihre Fantasybücher zu kleinen Sensationen werden lässt, scheint in Angesicht einer realen Welt geschrumpft zu sein. Dadurch wirkt der Hintergrund, vor dem sich die Geschichte abspielt, etwas farblos und starr. Blazon bemüht sich zwar, witzige Besonderheiten des 18. Jahrhunderts in die Geschichte einzuweben, aber es gelingt ihr nicht, diese entsprechend zu präsentieren. Die Besonderheiten wirken lose und es fehlt der Geschichte an Dichte.

Immerhin der Schreibstil ist genauso gut wie in Nina Blazons Fantasybüchern. Leichtfüßig und beschwingt mit einer guten Prise Humor schreibt sie aus Lucius‘ Perspektive. Das Buch ist angenehm zu lesen, wenn auch ein wenig ernster als zum Beispiel Blazons „Die Taverne am Rande der Welten“-Reihe. Dieser neue Ernst tut dem Erzählstil aber keinen Abbruch. Nina Blazon beweist erneut, dass sie anspruchsvoll, aber doch jugendfreundlich schreiben kann.

„Der Maskenmörder von London“ gehört nicht zu Blazons besten Büchern. Die Handlung erzeugt dafür zu wenig Spannung und auch der geschichtliche Hintergrund ist vergleichsweise blass. Trotzdem kann sie mit ihrem leichtfüßigen Schreibstil und den sympathischen Charakteren punkten.

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Blazon, Nina – Im Land der Tajumeeren (Die Taverne am Rande der Welten 2)

Wenn man in der Taverne am Rande der Welten wohnt, kann man jeden Tag ein neues Abenteuer erleben. Nicht umsonst gibt es im Flur des Gasthauses eine Unmenge von Türen, die in alle möglichen Länder führen.

Das dreizehnjährige Findelkind Tobbs wohnt in der Taverne am Rande der Welten. Er arbeitet dort als Schankjunge und wundert sich den lieben langen Tag, wer seine Eltern sind und was der Wirt Dopoulos hinter der zugemauerten Tür versteckt. Nicht umsonst glaubt er, dass das Geheimnis der Tür etwas mit seiner Herkunft zu tun hat.

Eines Tages prescht ein dickes Botenpony mit einem von einem Pfeil durchbohrten Boten in die Taverne. Der Bote scheint an Gedächtnisverlust zu leiden, denn das Einzige, was er sagt, ist „Iwan!“ Nur Wanja, die starke Schmiedin in der Taverne, kann etwas mit dem Namen anfangen. Sie glaubt, dass ihre Tante Baba Jaga den Reiter geschickt hat. Das kann nur heißen, dass die Hexe, die in einem Haus mit Hühnerbeinen lebt, in Gefahr ist. Wanja sattelt ihr rotes Pferd Rubin und macht sich auf nach Rusanien – ohne zu wissen, dass Tobbs ihr folgt. Er hat sich das arbeitslose Botenpony gesattelt und reitet ihr hinterher, denn er hofft, auf diesem Weg etwas über seine Vergangenheit zu erfahren.

Damit liegt er nicht mal so falsch. Die Truhe, die Baba Jaga in ihrem Haus versteckt hatte, enthielt einen wichtigen Hinweis auf seine Herkunft, wie Wanja ihm erzählt. Doch die Kiste ist weg. Die Roten Reiter, die auch den Boten erschossen haben, haben sie mitgenommen und Baba Jaga ist ebenfalls verschwunden. Wanja und Tobbs finden sie in Tajumeer, einem Land, das an eine Südseetrauminsel erinnert. Dort lässt sich die Hexe die Sonne auf den Pelz scheinen. Als Wanja und Tobbs sie treffen, stellt sich heraus, dass ihr Schatz doch nicht den Roten Reitern in die Hände gefallen ist, sondern am Grund des Meeres liegt. Und das wird von den grausamen Haigöttern bewacht …

„Im Land der Tajumeeren“ ist in der Reihe |Die Taverne am Rande der Welten| erschienen. Wie im Vorgängerband [„Die Reise nach Yndalamor“ 3463 mischt Blazon auch dieses Mal heitere Fantasy mit alten Sagengestalten und ähnlichem.

Der eine oder andere mag den Namen Baba Jaga deshalb schon mal gehört haben. Es handelt sich dabei um eine mythologische Gestalt aus Russland, die in einem Mörser fliegen kann, wie Blazon im Anhang erzählt. Die Autorin, die slawische Sprachen studiert hat, orientiert sich aber nicht nur an diesem Kulturkreis. Ebenfalls mit von der Partie sind die Haselhexe aus Tirol und ein paar römische Gottheiten.

Nina Blazon mixt also alles wild durcheinander. Heraus kommt ein spritziges Fantasybuch, rasant erzählt und mit einem heiteren Unterton. Blazon schreibt leichtfüßig, treffsicher und humorvoll, was ihre Bücher auch für erwachsene Leser zu einem Genuss werden lässt.

Im Mittelpunkt steht wieder Tobbs, ein eher ängstlicher Junge, der auf der Suche nach einer eigenen Identität ist. Er ist kein richtiger Held, denn er hat Angst vor Pferden und kann nicht schwimmen. Ein tragischer Antiheld ist er aber auch nicht, denn er beweist sehr wohl Mut, wenn es brenzlig wird. Blazon stattet ihn mit einer Vielzahl verschiedener Wesenszüge aus und gestaltet ihn rund und anschaulich.

Ihm zur Seite stehen Freunde und Feinde, die durch ihre sauber ausgearbeiteten Charaktere und ihre Originalität bestechen. Blazon ist sich dabei nicht zu schade, ihre Figuren an der Grenze der Lächerlichkeit anzusiedeln. Baba Jaga zum Beispiel benimmt (und kleidet) sich bei den Tajumeeren so, wie man sich eine klischeehafte Seniorin auf einer Südseeinsel vorstellt. Durch solche mutigen Charaktere macht es besonders viel Spaß, das Buch zu lesen.

Die Handlung ist auch dieses Mal sehr rasant. Die Ereignisse passieren Schlag auf Schlag, und es werden nur wenige Absätze für gedankliche Ausschweifungen verschwendet. Blazons lobenswerter Einfallsreichtum ist verantwortlich dafür, dass man das Buch nicht aus den Händen legen möchte. Sie malt ihre Fantasywelt in den buntesten Farben und stattet sie liebevoll mit Details und Witz aus. Ab und an baut sie kleine Erinnerungen an die reale Welt ein, zum Beispiel auf Seite 32. Dort erzählt Dr. Dian von der neusten „Magie-Technologie“, dem „Magimnesie-Granulat“, das zu einer „magischen Amnesie“ führt.

Was Blazons Bücher, vor allem die aus der Reihe |Die Taverne am Rande der Welten|, besonders auszeichnet, ist ihre Leichtfüßigkeit in Bezug auf den Schreibstil. Sie tänzelt geradezu von einem Satz zum anderen. Sie benutzt ein einfaches Vokabular, dem sie mit ihrem heiteren Humor eine Menge Lebendigkeit einhaucht.

Allerdings ist das Lesevergnügen dieses Mal nicht völlig ungetrübt. An einigen wenigen Stellen benutzt Blazon Wörter, die für die angepeilte Zielgruppe ab elf Jahren noch etwas zu komplex sein dürften. |Salto mortale| (Seite 18) und |konspirativ| (Seite 29) dürften nicht gerade zum Wortschatz eines durchschnittlichen Fünftklässlers gehören.

Was auf der einen Seite amüsiert, auf der anderen aber leicht deplatziert wirkt, ist der Einsatz von Anglizismen. Die Begriffe |Drama-Queen| (Seite 26), |Cowboy| (Seite 49) oder |Playboy| (Seite 237) wirken ein bisschen fehl am Platze in der ansonsten sauber geschriebenen Geschichte.

Insgesamt hat die Wahlstuttgarterin Nina Blazon erneut ein entzückendes Fantasybüchlein für Kinder und Jugendliche abgeliefert. Die rasante Handlung, der heitere Schreibstil und vor allem die blühende Fantasie der Autorin sind Grund dafür, warum „Im Land der Tajumeeren“ ein einziges Lesevergnügen ist.

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Somper, Justin – Vampiraten 1: Der Fluch des Ozeans

Grace und Connor haben gerade ihren Vater und ihr Zuhause verloren. Jetzt haben sie die Wahl zwischen einem trostlosen Waisenhaus und einem reichen, aber verlogenen Bankiersehepaar. Da ihnen keines von beidem behagt, ziehen sie es vor, sich auf dem Boot ihres Vaters davonzumachen. Doch kaum haben sie den schützenden Hafen verlassen, bricht ein Sturm los und zertrümmert das Boot.

Die beiden haben Glück im Unglück: Sie werden gerettet. Allerdings jeweils von einem anderen Schiff.

Connor ist bei den Piraten gelandet und fühlt sich dort bald recht wohl. Grace dagegen findet sich auf einem Schiff voller Vampire wieder. Es dauert nicht lange, da gerät sie in Schwierigkeiten …

_Die Charaktere_

Connors herausragendste Eigenschaft ist seine sportliche Begabung, er ist kräftig und durchtrainiert. Aber segeln kann er offenbar nicht, und vom Wetter hat er auch nicht viel Ahnung. Dafür beweist er eine gewisse Hartnäckigkeit, aufzugeben ist nicht seine Sache. Abgesehen davon scheint er noch eine besondere Begabung zu haben, die sich vorerst am besten mit einem siebten Sinn umschreiben lässt: Er kann die Stimme seines toten Vaters hören und bis zu einem gewissen Grad Grace und ihre Umgebung wahrnehmen. Woher diese Begabung kommt und was genau es damit auf sich hat, bleibt noch unklar.

Grace ist diejenige mit Köpfchen, zumindest wird sie am Anfang als sehr intelligent und kenntnisreich beschrieben. Sie ist bei weitem nicht so sportlich wie ihr Bruder, aber auf ihre Weise genauso zäh. Ihr Angst zu machen, ist keine leichte Sache, und Resignation liegt ihr genauso wenig wie ihrem Bruder. Übernatürliche Fähigkeiten zeigt sie bisher keine. Und segeln kann sie offenbar genauso wenig wie ihr Bruder.

Mehr gibt es über die beiden vorerst nicht zu sagen. Die Charakterzeichnung bleibt ziemlich blass und flach. Die Vergangenheit der beiden fehlt völlig, wahrscheinlich, um der gewissen Aura des Geheimnisvollen willen. Das funktioniert sogar ein wenig. Abgesehen davon aber bleibt auch die Gegenwart recht unpersönlich und fad. Die beiden scheinen – von Connors sportlichen Aktivitäten abgesehen – keine Hobbys zu haben. Sie vermissen zwar ihren Vater, fragen aber nie nach ihrer Mutter. Die Schulden ihres Vaters haben sie zwar ihr Zuhause gekostet, aber offenbar keinerlei Träume oder Zukunftspläne zunichte gemacht. Das Einzige, woraus diese beiden zu bestehen scheinen, sind ihre äußerst enge Bindung zueinander und das alte Shanty über die Vampiraten, das sie von ihrem Vater gelernt haben und ständig zum Besten geben. Das ist nicht gerade viel, womit der Leser sich identifizieren könnte.

_Auch die Handlung_ fand ich nicht unbedingt mitreißend:

Die Piraten auf der |Diablo| sind erstaunlich gemütliche Gesellen. Zwar gibt es Spannungen zwischen dem Kapitän und seinem ersten Offizier, die sind aber vorerst noch recht harmloser Natur. Bösewichter scheint es auf diesem Schiff keine zu geben; eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass man es eigentlich mit Verbrechern zu tun hat. Nicht, dass Justin Somper aus seinen Seeräubern edle Ritter nach dem Vorbild eines Robin Hood gemacht hätte, das nicht. Aber diese Mannschaft, allen voran der Kapitän, wirkt, als ob sie nichts ernst nähme. Keiner von ihnen will reich werden oder etwas rächen oder gar seine Mordlust befriedigen. Das Einzige, worum es zu gehen scheint, ist, möglichst viel Spaß zu haben!

Konfliktstoff bietet da vorerst nur die Tatsache, dass die Piraten der Weltmeere sich dieselben offenbar in Einflusszonen aufgeteilt haben. Der Kapitän der |Diablo| findet das allerdings höchst albern und wildert ohne Rücksicht in fremden Gewässern, was die anderen Kapitäne und ihre Besatzungen ziemlich wütend macht. Das klingt fast ein wenig nach organisiertem Verbrechen, wo die einzelnen Paten ebenfalls ihre Sphären streng gegen Übergriffe von anderen schützen. Leider ist die Ausarbeitung in dieser Hinsicht bisher nicht über Andeutungen hinausgekommen.

Das gilt auch für Cheng Li, den ersten Offizier der |Diablo|. Cheng Li hat an der Piratenakademie studiert und redet ständig von einer neuen Art von Piratentum, das die Welt der Piraterie revolutionieren wird. Wie genau das allerdings aussehen soll, wird nicht genauer erläutert.

Ein wenig mehr zur Sache geht es da auf dem Schiff der Vampire. Wobei diese Mannschaft sich nicht als Vampire bezeichnet, sondern als Vampiraten. Eine nette Wortschöpfung. Ich fragte mich allerdings, warum sie sich so nennen, denn in all der Zeit, die Grace bei ihnen verbringt, haben sie offenbar kein einziges Schiff überfallen. Die Piraten der |Diablo|, die von Connor das Shanty über eben diese Vampiraten gehört haben, wissen nichts von einem solchen Schiff und halten es für eine Legende, was sicher nicht so wäre, wenn die Vampiraten entsprechend aktiv wären.

Genau genommen handelt es sich also doch um ganz gewöhnliche Vampire, die sich auf diesem Schiff vor den Nachstellungen durch den Rest der Welt in Sicherheit gebracht haben. Der Kapitän ist ein sehr kultivierter Mann, so kultiviert, dass er sogar ohne Blutsaugen auskommt. Er hat sehr zivilisierte Regeln aufgestellt, aber natürlich gibt es da einen Quertreiber, der sich nur äußerst ungern daran hält. Der Kapitän verspricht Grace Schutz. Warum er sie aber nicht einfach in der Nähe des nächst besten Hafens an Land setzt, was wahrscheinlich der beste Schutz wäre, wird nicht erklärt.

Um die Sache etwas spannender und geheimnisvoller zu machen, hat der Autor diese Details natürlich zunächst einmal nicht verraten. Stattdessen muss Grace einen Teil davon ihrem Bewacher/Beschützer Lorcan Furey mühsam aus der Nase ziehen und den Rest selbst herausfinden. Trotz des Shantys und der Klugheit, die ihr zu Anfang zugeschrieben wurde, hat sie dafür erstaunlich lange gebraucht. Ein Knacks in der Logik, der eine Steigerung der Spannung oder Dramatik sofort wieder untergräbt.
Erst als der Quertreiber unter den Vampiren, Sidorio, meutert, wird die Sache interessanter …

_Insgesamt betrachtet_, wirkt dieser erste Band der |Vampiraten|-Serie wie eine ellenlange Einleitung. Das versuchte Attentat auf den Kapitän der |Diablo| und der erste Kampfeinsatz Connors, die ein wenig Schwung in die Geschichte brachten, liefen so glatt und waren so schnell erledigt, dass es für den Aufbau eines echten Spannungsbogens nicht gereicht hat. Zwar deuten die vielen vagen Hinweise in der Geschichte – Connors ungewöhnliche Begabung, das seltsame Verhalten des Vampiratenkapitäns in Bezug auf Grace, Cheng Lis Andeutungen – sowie der Unmut der anderen Piratenkapitäne und Sidorios Ankunft an Land die Entstehung von ein paar größeren Verwicklungen an, die Auswirkungen werden allerdings erst dem nächsten Band zugute kommen.

Nun handelt es sich hier um ein Kinderbuch, und natürlich erwartet man in einem solchen Fall weder Ströme von Blutvergießen noch echten Grusel. Immerhin sollen die jungen Leser nach dem Ende des Buches noch einschlafen können. Aber auch davon abgesehen kann die Geschichte mit dem „Fluch der Karibik“, mit dem sie verglichen wird, nicht mithalten. Auch wenn der Kapitän der |Diablo| zugegebenermaßen ein sympatischer Kerl ist, kann er mit Käpt’n Sparrow nicht wirklich konkurrieren. Der Handlung fehlt es – zumindest in diesem ersten Band der |Vampiraten| – an Erzähltempo und turbulenten Wendungen, um dem Vergleich mit dem Filmvorbild standhalten zu können. Bisher zumindest sind die |Vampiraten| kein „Fluch der Karibik“ für Kinder.

Aber das kann sich ja noch ändern. Eigentlich hat Justin Somper genug Konfliktpunkte und Geheimnisse angelegt, um im nächsten Band für einige Bewegung im Handlungsverlauf zu sorgen und den Leser mit unerwarteten Erkenntnissen zu überraschen. Falls es ihm zusätzlich gelingt, seinen Figuren, vor allem den beiden Hauptpersonen, noch etwas mehr persönliches Profil zu geben, könnte sich dieser Zyklus vielleicht noch berappeln.

Justin Somper ist Hobbyschwertkämpfer und war in mehreren Verlagen als Kinderbuchlektor und PR-Manager tätig, ehe er selbst anfing zu schreiben. Die |Vampiraten|-Serie ist inzwischen bis Band vier gediehen. Auf Deutsch erschien Band zwei im Juni dieses Jahres, die Folgebände sollen ab Februar 2008 erhältlich sein.

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Pullman, Philip – Ich war eine Ratte

Der englische Autor Philip Pullman ist hauptsächlich durch seine Trilogie „His Dark Materials“ bekannt geworden, für die er viele Preise gewonnen hat und deren erster Teil Ende 2007 als opulentes Fantasyspektakel in die Kinos kommt. Dass er auch ansprechende Kinderbücher schreiben kann, beweist der Autor mit „Ich war eine Ratte“.

Das alte kinderlose Ehepaar Bob und Joan führt ein ruhiges, bedächtiges Leben, bis eines Abends ein mysteriöser Junge in einer dreckigen Pagenuniform vor ihrer Haustür steht. Als sie ihn fragen, woher er kommt oder wie seine Eltern heißen, antwortet er immer nur das Gleiche: „Ich war eine Ratte.“

Aus Mitleid nehmen die beiden den Jungen auf und nennen in Roger. Roger ist ein nettes, unbedarftes Kerlchen, auch wenn er sich manchmal ein wenig komisch verhält. Er kennt keine Tischmanieren, zerfetzt seine Bettwäsche und hat ein Faible für Bleistifte, an deren Spitzen er gerne herumknabbert.

Trotzdem wächst er dem Ehepaar ans Herz, und als sich herausstellt, dass der Junge nirgends vermisst wird, behalten sie ihn. Doch eines Tages will der königliche Hofphilosoph ihn untersuchen, doch Roger flieht aus dem Schloss und fällt Mr. Tapscrew in die Hände, der ein Kuriositätenkabinett leitet …

„Ich war eine Ratte“ ist ein niedliches kleines Märchen, das vor allem durch seinen heiteren Grundton und die originelle Grundidee besticht.

Die rasante, kurzweilige Handlung beinhaltet viele wunderbare Elemente, ohne sich allzu weit von der realen Welt zu entfernen. Trotzdem gibt es weder eine konkrete Orts- noch Zeitangabe, so dass die Geschichte sehr zeitlos wirkt. Sie ist aufgebaut wie ein Märchen, das bedeutet, sie beginnt mit einer friedlichen Ausgangssituation, die durch ein plötzliches Ereignis, das Verschwinden Rogers, gestört wird. Um die Ausgangssituation wieder zu erreichen, muss sich der Held, also Roger, durch eine Menge Missstände kämpfen.

Dadurch, dass bei Märchen darauf verzichtet wird, die Gedanken und Gefühle der Charaktere breitzutreten, legt „Ich war eine Ratte“ ein sehr flottes Tempo vor. Kurzweilig und witzig sind die Erlebnisse, in die Roger verstrickt ist. Sehr oft entstehen Missverständnisse, weil er auf das Verhaltensrepertoire einer Ratte zurückgreift. Er knabbert zum Beispiel gerne an allen möglichen Dingen herum und bringt eine Beamtin zur Verzweiflung, als er den gesamten Inhalt ihres Stiftbechers annagt. Als sie daraufhin sagt, dass ihre Nerven strapaziert sind, assoziiert der Junge das mit den Stiften und redet im weiteren Verlauf des Buches immer wieder von Nerven, wenn er Stifte meint.

Dieser Running Gag funktioniert vor allem dank der naiven Unbedarftheit Rogers. Der Junge, der keinem etwas tun möchte, aber ständig ins Fettnäpfchen tritt, wächst dem Leser schnell ans Herz und hat einen Großteil der Handlung zu tragen.

Auf ähnliche unschuldige und einfache Art und Weise schreibt Philip Pullman, und von der Schwermut, die bei „His Dark Materials“ vorherrscht, ist nur wenig zu spüren. Das Buch nimmt sich selbst nicht besonders ernst mit dem heiteren, oberflächlichen Humor, der hier zur Anwendung kommt. Da es immer noch ein Kinderbuch bleibt, auch wenn Erwachsene ebenfalls Spaß daran haben werden, benutzt Pullman einen simplen, aber runden Stil, der sich durch kurze Beschreibungen und unkomplizierte Satzbauten auszeichnet. Wirklich prägnant ist und bleibt aber das Augenzwinkern, mit dem der Autor erzählt und das sich in dem wunderbaren, da daueranwesenden und nicht überzogenen Humor manifestiert.

Das Gegengewicht zur Märchenhaftigkeit stellen die Zeitungsartikel des |Morgen-Echo| dar, die immer wieder eingestreut werden. Sie sind illustriert und ungefähr auf dem Niveau der Zeitung mit den vier Großbuchstaben gehalten. Die Themen sind entweder die Flitterwochen des Königspaars oder Volksverhetzung, aber Pullman nimmt sich an dieser Stelle erneut nicht ernst und gestaltet die Artikel so überspitzt und satirisch, dass sie die Geschichte unheimlich auflockern. Einige seiner Übertreibungen beinhalten dabei durchaus eine leichte Kritik an der heutigen Gesellschaft, zum Beispiel beim Thema der „Jugendkriminalität“. Aufhänger ist der Einbruch einer Kinderbande in ein Haus, worauf sich Experten zu Wort melden und wahlweise den Eltern, der Schule, der Kirche und der Regierung die Schuld an der Morallosigkeit der Jugend zuschieben. Nur das |Morgen-Echo| hat den Durchblick:

|»Unsinn! Unsere so genannten Experten haben wie gewöhnlich Unrecht. Das ewige Gejammer über die Lage der Welt, die ewigen Schuldzuweisungen – kein Wunder, dass unser Land im Chaos versinkt, wenn es von solchen Menschen geführt wird.
Und nun ein Wort zur Jugendkriminalität.
Es sind doch die Kinder, die das anstellen.
Also, warum weiter nach Ursachen suchen?
DIE KINDER SIND SCHULD!«| (Seite 111)

„Ich war eine Ratte“ ist ein vergnügliches, märchenhaftes Kinderbuch, das aufgrund seiner Originalität und der Spitzen gegenüber der heutigen Gesellschaft auch Erwachsenen Spaß macht. Pullmans flotter Erzählstil und der naive Humor sorgen dafür, dass keine Langeweile aufkommt und man immer wieder herzhaft lachen darf.

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|Siehe ergänzend dazu auch unsere Rezension von Philip Pullmans [„Graf Karlstein“. 3374 |

Berkeley, Jon – gestohlene Lachen, Das (Die unglaublichen Abenteuer von Miles und Little 1)

Der zehnjährige Miles lebt seit seiner Flucht aus dem Waisenhaus in einem Holzfass. Seine besten Freunde sind sein Teddybär Mandarine, den er stets bei sich trägt, und Lady Partridge, eine ältere Frau, die mit ihren hundert Katzen in einem riesigen Baumhaus lebt. Eines Nachts zieht der Wanderzirkus Oscuro in die Stadt. Der neugierige Miles schleicht sich in die Vorstellung und sieht dort die Hochseilnummer eines kleinen Mädchens.

Mitten im Auftritt stürzt die Artistin, doch sie rettet sich auf wundersame Weise durch ihre Flügel – was das Publikum für einen netten Trick hält, ist offenbar tatsächlich Realität. Später beobachtet Miles, dass das Mädchen vom Zirkusdirektor, dem skrupellosen Großen Cortado, gefangen gehalten wird. Es gelingt ihm, die kleine Artistin zu befreien und mit ihr zu Lady Partridge zu flüchten.

Dort erfährt er die unglaubliche Geschichte des Mädchens, das sich „Little“ nennt. Little ist ein Engel, gemeinsam mit ihrem Engelfreund Silverpoint aus den Wolken gestürzt und auf dem Zirkusplatz gelandet. Während Little als Hochseilartistin auftreten musste, wurde Silverpoint in den „Palast des Lachens“ verschleppt, der zum Zirkus gehört. Für Miles und Little steht fest, dass sie Silverpoint befreien müssen. Ein sprechender Tiger hilft den beiden auf ihrer Reise zu diesem unheimlichen Ort, an dem der Große Cortado regiert. Wer hier eine Vorstellung besucht, verliert die Fähigkeit zu lachen und glücklich zu sein …

Mit dem Auftakt zu einer Trilogie versorgt Jon Berkeley alle Freunde des phantastischen Kinderromans mit einem unterhaltsamen Lesestoff, der neugierig auf die folgenden Teile macht.

|Liebevolle Charaktere|

Im Mittelpunkt steht der zehnjährige Miles, ein Waisenjunge, dem nach sieben Versuchen endlich die Flucht aus dem ungastlichen Waisenhaus geglückt ist und der seitdem zufrieden in seinem Weinfass lebt. Sein Leben ist nicht komfortabel, aber annehmbar und sein größter Schatz ist sein geliebter Bär Mandarine, die letzte Erinnerung an die Zeit vor dem Waisenhaus. Wer seine Eltern waren, weiß er nicht, und manchmal stimmt ihn dieser Gedanke traurig. Sein unbekümmertes, neugieriges Wesen macht ihn sofort sympathisch, und für Kinder stellt er schnell eine ideale Identifikationsfigur dar – ähnlich wie Huckleberry Finn lebt er ohne große Zwänge und genießt die Freiheit, eine für Kinder natürlich beneidenswerte Situation.

Die kleine Little sieht zwar aus wie ein süßes Mädchen, doch da sie zum ersten Mal auf der Erde ist, sind ihr viele Dinge fremd, was Miles immer wieder in Verwirrung bringt. Sie kann mit Tieren sprechen und fliegen, unter Wasser atmen und Miles Teddybär Mandarine zu Leben erwecken. Über die Menschen wusste sie bislang nur die Gerüchte, die sich die anderen Engel erzählen – von zweiköpfigen Wesen und pelzigen Gesichtern, von Menschen, die essen, bis sie platzen, und von anderen, die wie Gerippe herumlaufen. Ihre naive und zugleich liebenswerte Art ist nicht immer leicht für Miles zu begreifen, doch schon bald stehen sich die beiden nah wie Geschwister und sie wissen, dass sie nur gemeinsam eine Chance haben, gegen den Großen Cortado zu bestehen.

Eine Reihe von nicht weniger sympathischen und orginellen Nebenfiguren ergänzt die Liste der Charaktere. Da ist die kugelrunde Lady Partridge, die mit ihren hundert Katzen in einem Baumhaus lebt und eine zuverlässige Helferin in schwierigen Lagen ist. Mit Vorliebe lacht sie über ihre eigenen Witze, die außer ihr sonst niemand wirklich komisch findet, aber davon abgesehen, ist sie eine rundum liebenswerte, wenn auch schrullige ältere Dame. Da ist der distinguierte, sprechende Tiger, der Miles und Little auf ihrem Weg zum Palast des Lachens auf dem Rücken trägt, der aber bei jeder Gelegenheit erwähnt, dass sie ihn bloß nicht als Freund betrachten sollen, falls er doch einmal hungrig werden sollte. Und da ist der alte Bolzenglas von Arabien, ein früherer Forschungsreisender und ehemaliger Werber um Lady Patridge, der Miles‘ Expedition mit Begeisterung unterstützt.

|Fantasievolle Details|

Es ist in Grundzügen die Welt, die wir kennen, die im Roman präsentiert wird, doch nach und nach schleichen sich die fantastischen Elemente ein. Den sprechenden Tiger hält Miles zunächst noch für einen Traum, und auch ein Engelsmädchen hat er nie zuvor gesehen, ganz zu schweigen davon, dass er auf einmal die Gespräche auf der Katzenversammlung verstehen kann. Es ist kein reiner Märchenroman, sondern die Grenzen zwischen der unserigen Realität und jener der Fantasy-Details verschwimmen. Immer ist man gespannt darauf, welche skurrile Figur als Nächstes auftauchen mag, welche Hindernisse sich Miles und Little in den Weg stellen oder vom wem sie überraschend Hilfe erhalten – auch wenn von Anfang an klar ist, dass alles ein gutes Ende finden muss. Die Einbindung des Wanderzirkusses sorgt für eine zusätzliche aufregende Atmosphäre mit ihren bunten Gestalten, etwa den netten drei Clowns, die immer durcheinander reden und dabei vom Thema abschweifen, der baumlangen Riesenfrau Baumella und dem geheimnisvollen Zero, einer monsterhaften Mischung, die an an eine Hyänen-Yeti-Kreuzung erinnert.

Der Stil ist ideal für Leser ab etwa 10 Jahren geeignet. Hin und wieder spricht der Erzähler den Leser direkt an, aber so selten und dezent, dass es keineswegs aufdringlich ist. Sehr positiv ist außerdem, dass der erste Teil in sich abgeschlossen ist. Alle wichtigen Fragen werden geklärt und man kann das Buch nach dem Lesen befriedigt zur Seite legen, bis der zweite Teil erscheint. Am Ende werden Andeutungen gegeben, was im nachfolgenden Roman passieren wird, sodass sich der Leser schon mal Gedanken machen kann.

|Nur kleine Schwächen|

Echte Mankos weist das Buch erfreulicherweise keine auf. Allerdings reagieren die Figuren nicht immer ganz logisch. Als Little von ihrem Schicksal erzählt, stellt Miles kaum weitere Fragen, sondern es steht für ihn sofort fest, dass er ihr bei der Suche nach Silverpoint helfen wird. Dabei wäre es naheliegend, sich zu erkundigen, ob Little niemandem aus dem Wolkenreich zu Hilfe rufen kann. Ähnlich verhält es sich bei einer Hilfsaktion gegen Ende des Buches. Anstatt sogleich zu fragen, woher seine Freunde wussten, dass sie zur Rettung herbeikommen mussten, erfährt er die Umstände bloß zufällig und etwas später. Gerade für ungeduldige Kinder, die rasch Antworten auf logische Fragen haben wollen, ist das nicht sehr geschickt konstruiert, fällt aber zum Glück nicht stark ins Gewicht.

Ein wenig schade ist die Eindimensionalität der bösen Charaktere, deren Darstellung längst nicht so originell ausfällt wie jene der Sympathieträger. Vor allem der böse Zirkusdirektor Cortado und sein Gehilfe Dschingis sind recht oberflächlich gezeichnet, knubbelig und hässlich vom Äußeren, Dschingis außerdem sehr beschränkt und naiv. Es fehlt den Bösen vor allem an Zwiespältigkeit und einer etwas geheimnisvolleren Attitüde, die sie interessanter gemacht hätte.

_Als Fazit_ bleibt ein gelungener Auftakt zu einer kindgerechten Trilogie, an der auch Jugendliche und Erwachsene ihre Freude haben können. Obwohl es sich um den ersten von drei geplanten Teilen handelt, ist das Buch in sich abgeschlossen und besitzt ein eigenständiges und befriedigendes Ende. Liebevolle Charaktere, ein leicht verständlicher Stil und märchenhafte Elemente machen den Roman trotz ein paar kleiner Schwächen zu einem spannenden und abwechslungsreichen Lesegenuss.

_Der Autor_ Jon Berkeley, geboren in Dublin, liefert mit „Das gestohlene Lachen“ seinen Debütroman ab, zwei weitere Bände sollen folgen. Zuvor arbeitete er über zwanzig Jahre lang als Illustrator und lebte unter anderem in Sydney und Hongkong. Heute hat er sich mit seiner Familie und seinen Tieren in Katalonien niedergelassen.

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Berkeley, Jon – gestohlene Lachen, Das (Die unglaublichen Abenteuer von Miles und Little 1)

Miles lebt schon seit drei Jahren in einem leeren Weinfass auf dem Hügel oberhalb von Larding, einem kleinen, verschlafenen Provinzstädtchen. Eines Nachts taucht ein merkwürdiger Zirkus in Larding auf, der nur von Miles bemerkt wird, denn er kommt mitten in der Nacht und ganz still und heimlich!

Neugierig schleicht sich Miles am nächsten Tag in die Vorstellung, nur um hochkant hinausgeworfen zu werden. Aber immerhin hat er mitbekommen, dass die kleine Artistin nur deshalb nicht abgestürzt ist, weil sie … Flügel hat! Und offenbar wird sie gefangen gehalten, denn kaum hat sie die Manege verlassen, wird sie gefesselt und eingesperrt!

Für Miles ist es selbstverständlich, dass er die Kleine rettet. Und das ist der Anfang eines erstaunlichen Abenteuers …

Jon Berkeley hat seine Geschichte mit ein paar _skurrilen Gestalten_ bevölkert:

Miles ist davon noch der normalste. Abgesehen davon natürlich, dass er bereits siebenmal aus dem Waisenhaus ausgebüchst ist. Ein Ausreißer wie er kann selbstverständlich hervorragend rennen. Aber Miles hat es nicht nur in den Beinen, sondern auch im Köpfchen. Und vor allem gibt er nicht so leicht auf, selbst dann nicht, wenn er erwischt wurde und man meinen könnte, dass er jetzt so richtig tief in der Tinte sitzt!

Little, die kleine Artistin, ist eigentlich ein Liedengel, der nur deshalb auf der Erde gelandet ist, weil er seine neugierige Nase zu weit vorgestreckt hat. Aber obwohl es im Himmel vor allem Pflicht und Treue gibt, und Freundschaft eher ein Fremdwort ist, geht sie nicht einfach nach Hause, sondern hilft Miles bei der Rettung seines gestohlenen Teddybären namens Mandarine. Abgesehen davon ist Little ein richtiger kleiner Sonnenschein, immer fröhlich, immer munter und mit einem ungewöhnlichen Blick für die kleinen Details des Lebens ausgestattet.

Als wäre ein leibhaftiger Engel nicht schon ungewöhnlich genug, gibt es auch noch Lady Partridge, eine äußerst beleibte alte Dame, die früher mit einem großen Erfinder verheiratet war. Leider hatten dessen Erfindungen die Angewohnheit, höchst unangenehme Nebenwirkungen zu entfalten, weshalb die Lady nach dem Tod ihres Gatten ihr gesamtes Vermögen in Schadensbegrenzung investierte. Nun lebt sie auf dem Grundstück ihrer verfallenen Villa in einem Baumhaus, umgeben von einem Berg von Trödel und hundert Katzen. Bei ihr hat Miles Lesen gelernt, aus einem Lexikon, weshalb er jetzt über fast alles Bescheid weiß, das einen Anfangsbuchstaben von A bis R hat.

Der ulkigste Kerl aber ist Bolzenglas von Arabien, ein blinder alter Mann, der früher Weltreisender war, jetzt aber in einem kleinen Dorf lebt und Apfelgelee mit Thymian verkauft. Sein fehlendes Augenlicht kann ihn allerdings nicht davon abhalten, noch immer mit einem Säbel herumzufuchteln und erstaunlicherweise auch sehr genau dabei zu zielen und zu treffen! Und seine Zunge ist mindestens genauso treffsicher wie sein Säbel!

Der Bösewicht ist natürlich der Zirkusdirektor, der die kleine Little gefangen gehalten hat. Das ist aber nicht sein eigentliches Kapitalverbrechen. Bis Miles und Little herausfinden, was dieser Kerl tatsächlich vorhat, müssen sie bis in die Großstadt reisen, in den Palast des Lachens.

Aber nicht nur die Charaktere sind drollig, auch die Sprache ist mit einem trockenen, augenzwinkernden Humor ausgestattet, der nicht mal durch den kleinsten Rechtschreibfehler getrübt wird.

_Die Handlung_ ist nicht übermäßig kompliziert geraten, aber trotzdem spannend gestaltet, angefangen bei Miles‘ Verfolgung, nachdem er Little befreit hat, über all die Verwicklungen mit den Straßenbanden der Großstadt bis hin zum Geschehen im Palast des Lachens. Der Leser ist abwechselnd mit Schmunzeln und Mitfiebern beschäftigt. Dabei wirken selbst die unwahrscheinlichsten Ereignisse niemals gekünstelt. Selbst der unglaubliche Zufall, dass sich genau vor Miles‘ Nase die gesuchte Tür befindet, deren Versteck nur zufällig entdeckt wird, ist so natürlich und locker beschrieben, dass der Leser im schlimmsten Fall nachsichtig schmunzelt.

_Mit anderen Worten:_ „Das gestohlene Lachen“ ist ein liebenswertes und spannendes Buch für Kinder ab zehn Jahren. Es ist leicht nachvollziehbar, lustig geschrieben und bietet Charaktere, mit denen die jungen Leser sich gut identifizieren können. Grausamkeiten und Blutvergießen fehlen völlig, und selbst der Zero, ein behaartes, kicherndes Ungeheuer, scheint eher bemitleidenswert als erschreckend. Und zu guter Letzt gibt die Geschichte ein paar Gedanken über das Lachen mit auf den Weg.

_Fazit:_ sehr empfehlenswert.

_Jon Berkeley_ stammt aus Dublin und lebt in Katalonien. Nach zwanzigjähriger Tätigkeit als Illustrator ist „Das gestohlene Lachen“ sein erster Roman. Der zweite Band der Serie „The Tiger’s Egg“ erscheint im September dieses Jahres erst einmal auf Englisch.

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Preußler, Otfried – kleine Wassermann, Der

Tief unten auf dem Grund des Mühlenweihers steht ein kleines Haus. Dort wohnt die Wassermannfamilie mit dem Vater, der Mutter und dem kleinen Wassermannjungen. Der kleine Wassermann sieht genauso aus wie ein normaler Menschenjunge, nur dass er grüne Haare und zwischen den Fingern Schwimmhäute hat. Am liebsten trägt er seinen schilfgrünen Rock, gelbe Stiefel und eine lange, rote Zipfelmütze.

Schnell wächst er heran und bald ist es soweit, dass der kleine Wassermann mit seinem Vater zum ersten Mal das Haus verlassen und durch den Mühlenweiher schwimmen darf. Endlich lernt er all die Fische persönlich kennen, die er bisher immer nur vom Fenster aus beobachten konnte. Einer von ihnen wird sein ganz besonderer Freund: der alte, ehrwürdige Karpfen Cyprinus, auf dessen Rücken er nach seinem ersten Ausflug nach Hause reiten darf.

Von da an durchstreift der kleine Wassermann jeden Tag den Mühlenweiher und erlebt stets ein neues Abenteuer. Der Weiher ist zwar nicht sehr groß, aber für den Jungen gibt es allerhand zu entdecken. Dabei gibt es auch unerfreuliche Begegnungen, wie mit dem hässlichen Neunauge, das dem kleinen Wassermann schreckliche Albträume beschert – aber eines Tages nimmt ihn sein Vater sogar mit zu einem Abstecher auf Land, wo der staunende Wassermann die Menschen kennen lernt und noch aufregendere Dinge erlebt …

„Der kleine Wassermann“ ist mittlerweile einer der Klassiker der deutschen Kinderbuchliteratur. Der Erfolg ist nicht verwunderlich, denn das Buch enthält alles, was Kinder zur Unterhaltung brauchen: eine sympathische Hauptfigur, einfache kindgerechte Sprache, lustige und aufregende Episoden sowie zahlreiche Illustrationen.

|Sympathische Hauptfigur|

Das Entscheidende am kleinen Wassermann ist, dass er für Kinder eine ideale Identifikationsfigur darstellt. So wie die Menscheneltern ihre Kinder vor bestimmten Dingen warnen, so gelten auch für den kleinen Wassermann gewisse Regeln. Und ganz wie Menschenkinder, ist er so neugierig, dass er sie ein ums andere Mal übertritt.

Gleich bei seinem ersten Ausflug in den Mühlenweiher verleitet ihn sein Übermut dazu, sich so tief in den Schlingpflanzen zu verstecken, dass er alleine nicht mehr herauskommt. Erst sein Vater kann ihn befreien und der kleine Wassermann erfährt zum ersten Mal, was passieren kann, wenn man es zu toll treibt.

Auch bei seinen Ausflügen in die Menschenwelt lauern Gefahren. Nicht umsonst warnen ihn seine Eltern davor, sich den Menschen zu zeigen. Doch der kleine Wassermann kann es nicht lassen. Zu seinem Glück glauben die meisten Menschen nicht an Wassermänner, sondern halten ihn bloß für einen komischen Knirps mit grünen Haaren, und der kleine Wassermann ist so flink, dass er blitzschnell entwischt, als ihn einmal ein Menschenmann zu jagen beginnt.

|Humorvoll und lehrreich|

Sehr humorvoll geht es an den Stellen zu, an denen der Wassermann unbekannte Gegenstände der Menschenwelt erforscht. In der Wasserwelt ist man natürlich ganz anderes Essen gewohnt, so dass er die gebratenen Kartoffeln zunächst für Steine hält. Als die Kinder ihm welche zum Probieren anbieten, schmecken sie ihm wider Erwarten ganz vorzüglich. Selbstverständlich will er sich dafür revanchieren und bringt seinen neuen Freunden etwas von seinen eigenen Köstlichkeiten mit – oder zumindest etwas, das in seiner Welt als Köstlichkeit gilt: Voller Stolz präsentiert er den Jungen Kröteneier mit eingesalzenen Wasserflöhen, gedünsteten Froschlaich und Algengerichte. Leider will keiner seiner Freunde davon probieren. 😉

Bezeichnenderweise reagieren die Menschenjungen viel freundlicher auf den kleinen Wassermann als die Erwachsenen. Sie stutzen keinen Augenblick, als er ihnen verrät, wer er ist. Vielmehr freuen sie sich, einen neuen Kameraden gefunden zu haben.

In liebevoller Weise mahnt das Buch den respektierlichen Umgang mit der Natur an. Der kleine Wassermann lebt mit allen Tieren im Weiher in friedlicher Harmonie, auch wenn sich darunter so unheimliche Gesellen wie das Neunauge befinden. Menschen, die diese Natur bedrohen, werden bestraft, so wie ein Angler, mit dem sich der kleine Wassermann einen Streich erlaubt.

Ein netter Charakter ist der Karpfen Cyprinus. Sehr ruhig und bedächtig, voller Vorurteile über die Menschenwelt und immer ein bisschen grummelig, steht er im direkten Gegensatz zu seinem kleinen, naseweisen Freund. Dennoch oder gerade deswegen verstehen sich die beiden prächtig, denn der kleine Wassermann weiß, dass er immer auf den Karpfen vertrauen kann. Umgekehrt registriert der alte Cyprinus anerkennend, dass der kleine Wassermann trotz seiner Flausen ein anständiger Junge ist.

|Kaum Schwächen|

Die Darstellung der Menschenwelt ist etwas zu bieder geraten. Die Kinder sind alle freundlich zum kleinen Wassermann, die Erwachsenen dagegen unangenehme Zeitgenossen, die mit ihm schimpfen oder ihn verjagen. Diese Schwarz-Weiß-Malerei kommt ein bisschen zu dick aufgetragen daher, was aber vermutlich bei einem Kinderbuch nicht so stark ins Gewicht fällt.

Auch ein bisschen mehr Spannung hätte dem Werk gut getan. Die Abenteuer des kleinen Wassermanns sind lustig und lehrreich, aber für die Leser nicht wirklich aufregend. Er gerät nie ernsthaft in Gefahr. Vor den Menschen hat er von Anfang an keine Scheu und außer dem Neunauge scheint er alle Tiere im Weiher zu mögen. Vielleicht hätte man ein zusätzliches Abenteuer, etwa mit einem gefährlichen großen Fisch, einbauen können, damit die etwas älteren Leser, die sich nach mehr Action sehnen, auch auf ihre Kosten kommen.

|Einfache Sprache|

Die Sprache ist ideal für Grundschulkinder geeignet. Die Sätze sind einfach und kurz gehalten und es werden keine schwierigen Worte verwendet. Sätze wie: „Hei, wie der Moormann dem kleinen Wassermann aufspielte“ werden bewusst mit umgangssprachlichen Ausschmückungen versehen, um das Erzählte gegenüber dem Kind noch lebendiger zu gestalten. Durch diesen Stil eignet sich das Buch auch hervorragend zum Vorlesen. Alle paar Seiten befindet sich eine meist halbseitige Federzeichnung, die die Erlebnisse des kleinen Wassermanns jeweils untermalt.

_Insgesamt_ handelt es sich bei dem „kleinen Wassermann“ um ein für Kinder sehr lesenswertes Buch. Viele schöne Episoden in und außerhalb der Wasserwelt sorgen für kindgerechte Unterhaltung. Mit Liebe zum Detail kreiert der Autor eine gemütliche Unterwasserwelt. Lustige und lehrreiche Epsioden ranken sich um den Alltag eines kleinen Wassermannjungen, der trotz seiner Herkunft die gleichen Eigenschaften wie Menschenkinder aufweist und ihnen deshalb schnell vertraut sein wird.

_Der Autor_ Otfried Preußler zählt zu den bekanntesten Kinderbuchautoren Deutschlands. Er wurde 1923 in Böhmen geboren. Später zog er nach Oberbayern, wo er noch heute zuhause ist. Bis 1970 arbeitete er als Volkschullehrer, ehe er sich dem Schreiben widmete.

„Der kleine Wassermann“ war sein erstes Kinderbuch. Es folgten zahlreiche weitere Werke, die allesamt erfolgreich wurden, u. a.: „Die kleine Hexe“, „Das kleine Gespenst“, „Der Räuber Hotzenplotz“, „Hörbe mit dem großen Hut“, „Die Abenteuer des starken Wanja“ und „Krabat“.

Für den „kleinen Wassermann“ erhielt Preußler den Deutschen Kinderbuchpreis. Es folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen, u.a. der Deutsche sowie der Europäische Jugendbuchpreis („Krabat“), Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, Eichendorff-Literaturpreis, Konrad-Adenauer-Preis für Literatur der Deutschland-Stiftung e. V.
Viele seiner Werke wurden erfolgreich vertont bzw verfilmt.

Mehr über den Autoren erfährt man auf seiner Homepage: http://www.preussler.de.

http://www.thienemann.de/

Siehe auch:

[„Krabat“ 2446

Delaney, Joseph – Spook 2 – Der Fluch des Geisterjägers

Nachdem der junge Geisterjäger-Azubi Tom Ward sein erstes Abenteuer in [„Spook – Der Schüler des Geisterjägers“ 2303 wohlbehalten überstanden hat, läutet Autor Joseph Delaney mit „Spook – Der Fluch des Geisterjägers“ nun die zweite Runde der Geisterjagd und Dämonenbannung ein.

Tom Ward ist mittlerweile seit einem guten halben Jahr bei dem alten Spook in der Lehre und hat schon eine Menge gelernt. Wenn notwendig, lässt Mr. Gregory seinen Schüler sogar schon alleine losziehen, um einen Dämon zu bannen, und der Junge macht seine Sache durchaus gut. Vor ihrer größten Herausforderung stehen die beiden aber schon bald gemeinsam. Sie reisen nach Priestown, um einen Dämon zu besiegen, vor dem einst selbst der alte Spook kapitulieren musste.

In den Katakomben unterhalb der Kathedrale von Priestown treibt der Bane sein Unwesen. Dort hockt er zwar in einer Art Verbannung, da er aber zunehmend mächtiger wird und er die Fähigkeit besitzt, sich in die Gedanken der Menschen einzuschleichen und sie sich gefügig zu machen, ist für den Spook die Zeit gekommen, zu Ende zu führen, was ihm einst versagt bliebt: Den Bane endgültig zu besiegen.

Doch der Bane ist nicht die einzige Sorge des Spooks in der Stadt. Der Inquisitor ist in Priestown eingetroffen, um Hexen und Zauberern auf dem Scheiterhaufen den Garaus zu machen. Der Spook ist für ihn ein besonders prächtiges Opfer, pflegt er doch ganz offensichtlich stetigen Kontakt mit den Mächten der Dunkelheit. Und so kommt es, wie der Leser befürchten müssen: Der Inquisitor verhaftet den Spook und verurteilt ihn zum Tode durch Verbrennen. Nun steht Tom mit seiner Freundin Alice ganz alleine da und muss gleich zwei dringliche Probleme lösen: Den Spook befreien und sich mit dem Bane befassen, und das ist alles andere als einfach …

Schon rein äußerlich steht „Der Fluch des Geisterjägers“ dem Vorgängerroman in keiner Weise nach. Ein schöner Schutzumschlag in der Optik abgegriffenen Leders – das sieht vergleichsweise edel aus und ist eine hübsche Entsprechung zur ohnehin schon sehr liebevoll grafisch aufgepeppten Aufmachung des Innenlebens. „Spook“ ist also schon allein von der Art der Präsentation her ein Leckerbissen.

Erfreulich ist auch, dass der Verlag hier nicht nach dem Schema „außen hui, innen pfui“ verfahren ist, denn der Inhalt steht den Äußerlichkeiten in kaum einer Hinsicht nach. Schon der Auftaktroman war eine schaurig-schöne Geschichte mit einer ordentlichen Prise Fantasy, einem Spritzer historisch angehauchtem Roman und einer wohldosierten Portion Grusel. Aus der Vielzahl an Jugend-Fantasyromanen sticht „Spook“ gerade auch wegen des Gruselfaktors heraus, und das lässt sich auch auf den Nachfolgeband „Der Fluch des Geisterjägers“ beziehen.

Delaney lässt hier wieder die im ersten Roman vertraut gewordenen Figuren agieren: Den alten Mr. Gregory, in dessen Diensten Tom Ward steht, Tom Ward selbst, seine Freundin Alice, die der Leser auch schon aus dem ersten Band kennt, und nicht zuletzt Toms Familie. Insgesamt fasst Delaney den Horizont diesmal etwas weiter. Es geht nach Priestown, in eine Stadt, die Tom vorher noch nie gesehen hat und in der vieles anders ist, als er es kennt.

Gerade für ihn als Schüler eines Geisterjägers ist Priestown ein gefährliches Pflaster. Ein Spook ist hier nicht nur ungern gesehen, sondern lebt in ständiger Angst vor Entdeckung durch die Inquisition, die hier durch die Allgegenwart der vielen Priester der Stadt (der Name kommt schließlich nicht von ungefähr) zahlreiche wachsame Augen hat. Tom und Mr. Gregory gehen ein enormes Risiko mit ihrem Besuch der Stadt ein, und das sorgt für zahlreiche Spannungsmomente.

Überhaupt ist die Spannung sehr zum Greifen. Delaney dreht gleich von Anfang an mächtig an der Spannungsschraube und fesselt dadurch den Leser an die Seiten. Man steckt sofort wieder drin in der Welt des Tom Ward, und wird durch den aufregenden Plot gleich mitgerissen. Die Spannung wird noch greifbarer als im ersten Band, weshalb man das Buch kaum aus der Hand legen möchte – und das dürfte gleichermaßen für Kinder wie für erwachsene Leser gelten.

Der Plot ist zwar größtenteils recht einfach gestrickt, also auch für Kinder bzw. Jugendliche gut zu begreifen, aber das kann den erwachsenen Leser bei all den schönen, schaurig-spannenden Momenten der Geschichte höchstens marginal stören. Delaney lässt zu keinem Moment Langeweile aufkommen und hält das Tempo der Erzählung auf einem gleichmäßig hohen Niveau.

Besonders schön für den Leser ist auch, dass er zu verschiedenen Figuren, vor allem Mr. Gregory und Toms Mutter, einige Hintergrundinformationen bekommt. Die werden sicherlich auch noch für den nächsten Band „Das Geheimnis des Geisterjägers“, der für August 2007 angekündigt ist, von Bedeutung sein.

Bleibt abschließend festzuhalten, dass Joseph Delaney seine „Spook“-Reihe mit dem zweiten Band wunderbar fortgesetzt hat. Die Geschichte ist noch spannender und atmosphärisch dichter als die des ersten Teils, und das stets hohe Erzähltempo fesselt den Leser förmlich an die Seiten.

Insgesamt betrachtet, ist der zweite Band noch düsterer und schauriger als der erste. Wer das Buch also Kindern zur Lektüre geben will, sollte sicherstellen, dass das hier nicht zu harter Tobak ist. „Der Fluch des Geisterjägers“ macht auf jeden Fall Lust darauf, bei „Spook“ am Ball zu bleiben. Wie schön, dass man auf den nächsten Band nicht mehr lange warten muss …

|Originaltitel: The Wardstone Chronicles – The Spook’s Curse, 2005
ca. 350 Seiten
Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen
Illustriert von Patrick Arrasmith|
http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch/

Risa Wataya – Hinter deiner Tür aus Papier

Die japanische Schriftstellerin Risa Wataya gehört zu den Gefeierten in ihrem Land. 2003 erhielt sie, mit nur neunzehn Jahren, den bedeutendsten japanischen Literaturpreis für das Buch, das der |Carlsen|-Verlag 2007 auch in Deutschland veröffentlicht.

„Hinter deiner Tür aus Papier“ erzählt aus der Sicht der Teenagerin Hatsu, die sich bewusst dagegen entscheidet, Teil des Cliquengeflechts ihrer Oberschule zu sein. Damit riskiert sie zwar die Freundschaft zu Kinuyo, die gerade eine neue Clique gefunden hat, doch das ist ihr egal. Hatsu empfindet ihre Mitschüler als oberflächlich und verlogen – bis auf einen: Ninagawa mit dem überlangen Pony und den Stromausfallaugen.

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Laura Gallego García – Finis mundi oder Die drei magischen Amulette

Michel ist um Haaresbreite der Zerstörung seines Klosters entgangen. Gerettet hat er außer seinem Leben nur eine kostbare Handschrift mit Kommentaren zur Apokalypse und, was weit wichtiger ist, ein paar lose Blätter mit der Niederschrift eines alten Einsiedlers aus Thüringen. Die Niederschrift besagt, dass zum Jahrtausendwechsel die Welt untergehe. Es sei denn … jemand finde die drei Achsen der Zeit, bringe sie zusammen und rufe den Geist der Zeit an, um der Menschheit weitere tausend Jahre Frist zu erflehen, in der sie sich zum Besseren verändern könne!

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Michael, Livi – Flüstern der Engel, Das

Kate lebt in Manchester, zusammen mit ihrem Vater, der allerdings nicht gerade das ist, was man als treusorgend bezeichnen könnte. Wenn er nicht gerade betrunken ist oder versucht, Kate die Welt zu erklären, ist er mit der Suche nach einem Mittel zur Erlangung der Unsterblichkeit beschäftigt. Kein Wunder, dass Kates Leben alles andere als geregelt verläuft, sodass sie sich gezwungen sieht, an einem Projekt über die Zeit der Pest teilzunehmen, um ihre vielen Fehlzeiten in der Schule auszugleichen. Wer will schließlich schon mit dem Sozialamt zu tun haben?

Nur, was hat es mit der seltsamen Frau auf sich, die Kate seither immer wieder begegnet, und die dann plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist? Was ist so besonders an dieser seltsamen, unfertigen Engelsstatue in der Kathedrale von Manchester, und warum fühlt Kate sich in der Krypta so extrem unwohl?

Als dann auch noch ihr Vater verschwindet, beschließt Kate, dass sie etwas unternehmen muss …

|Die Charaktere|

Im Grunde beschreibt dieser kurze Abriss allerdings nur die Rahmenhandlung, denn die eigentliche Geschichte spielt im Mittelalter. Sie erzählt von Marie und ihrem Sohn Simeon, der so wunderschön singen kann, von Kit, dem Waisenkind und besten Schüler des College mit Aussicht auf ein Stipendium in Oxford, und von Dr. Dee, dem weitgereisten Gelehrten und jetzigen Kirchenvorsteher mit dem schlechten Ruf.

Simeon ist ein ungewöhnlicher Junge. Die meisten Leute halten ihn für blöde, aber im Grunde ist er nur anders. Man könnte ihn als übersensibel bezeichnen. Er ist tief verbunden mit der Natur – selbst im Lärm und Gedränge der Stadt kann er die Mäuse auf den Feldern wahrnehmen – und mit seiner Mutter, deren Herzschlag er beständig neben seinem eigenen spürt. Simeon besitzt die Fähigkeit, die Wahrheit hinter der Fassade zu erkennen. Er als Einziger erkennt, dass Kit ein Geheimnis hat, und auch den bedrohlichen Schatten hinter dem Kirchenvorsteher, dessen wahre Natur er erkennt, ohne die weitergehende Bedeutung dieser Tatsache zu begreifen. Simeon lebt schlicht in einer anderen Welt!

Kit dagegen ist nicht nur klug, sondern auch mutig. Niemand sonst, nicht einmal die Erwachsenen, trauen sich, dem Kirchenvorsteher offen in die Augen zu sehen. Außerdem zeichnet sich das Kind katholischer Eltern durch Anpassungsfähigkeit – immerhin lebt es in einer anglikanischen Schule – und durch Verantwortungsbewusstsein aus. Sein Gefühl für Recht und Unrecht sorgt dafür, dass es sich um Simeons Willen mit seinem besten Freund Chugg überwirft und sogar duelliert.

Dr. Dee (basierend auf der Person des Universalgelehrten und Mystikers [Dr. John Dee)]http://de.wikipedia.org/wiki/John__Dee dagegen ist der Prototyp des mittelalterlichen Alchemisten. Sein ganzes Leben hat er mit Studien und Forschungen verbracht, ohne jedoch eine Antwort auf die eine ihn beherrschende Frage zu finden: wie kann der Mensch unsterblich werden! In seiner Besessenheit erinnert er fast ein wenig an Doktor Faust, nur dass Dr. Dee nicht vom Satan persönlich heimgesucht wird, sondern von einem Dämon in Gestalt seines früheren Partners Kelly, und dass er ein paar Skrupel mehr hat.

Alles in allem ist die Charakterzeichnung recht ordentlich geraten. Das gilt auch für die Nebenfiguren wie die Magd Susan, die Gastwirtin Mrs. Butterworth oder den puritanischen Prediger.

|Handlung & Geschichte|

Gestützt wird die Charakterzeichnung der Hauptpersonen durch den Handlungsverlauf, den ich einerseits als interessant aber auch als gewöhnungsbedürftig empfand. So beginnt das Buch mit Kate, die Ereignisse in diesem ersten kurzen Kapitel wirken allerdings zunächst vor allem verwirrend und ergeben erst einen Sinn, wenn man sich dem Ende des Buches nähert. Der Teil danach widmet sich Simeon, erzählt von seiner Ankunft in Manchester bis zu dem Zeitpunkt, wo seine Mutter ihn in die Schule gibt. Nach einem kurzen Abstecher zu Kate wird im Folgenden von Kit erzählt, und zwar ab dem Zeitpunkt, wo Dr. Dee anbietet, ihm Zusatzunterricht zu erteilen, bis zum Ausgang des Duells mit Chugg, um nach einer erneuten Szene mit Kate von Dr. Dee zu erzählen.

Das Interessante daran ist, dass jedes Mal über ein und denselben Zeitraum berichtet wird, und nur die Perspektive wechselt. Das ist keinesfalls langweilig, denn die Überschneidungen im Leben der drei Beteiligten sind vorerst äußerst gering, dafür aber in der Regel wortgenau identisch, was einen ganz eigenen Effekt ergibt. Erst nachdem alle drei Handlungsstränge sich getroffen haben, wechselt die Perspektive sich ab, während die entstandenen Verwicklungen auf den Höhepunkt zutreiben. Der ist dann kurzzeitig noch einmal etwas verwirrend geraten, da sich hier einiges zeitlich überschneidet, letztlich aber löst sich der Knoten in Wohlgefallen auf.

Vordergründig geht es in der Geschichte um das Streben nach Wissen, etwas, das Kit und Dr. Dee durchaus gemeinsam haben. Nur über die Art des Wissens, nach dem zu streben sich lohnt, können sie sich nicht ganz einigen. Kit teilt Dr. Dees Besessenheit nicht, was dieser darauf schiebt, dass die Jugend noch so viel Lebenszeit vor sich hat – was in jener Zeit so natürlich nicht unbedingt stimmt -, dass sie sich um den Tod nicht kümmert. Kit dagegen kann zwar nicht das erkennen, was Simeon erkannt hat, spürt aber trotzdem deutlich die Bedrohung, die von dem Dämon ausgeht, gegen den Dr. Dee zu kämpfen hat. Dr. Dees Wissen und der Gegenstand seiner Forschung schrecken Kit mehr ab als seine Wissbegierde ihn anzieht. Flankiert von Simeon, dessen Wissen völlig verschieden ist von dem Dees und Kits, und Kate, die mit dem Erlangen von Wissen zunächst einmal überhaupt nichts am Hut hat, ergibt sich daraus eine gewisse Spannung, welche die Geschichte bereits zu einem Zeitpunkt trägt, als der Höhepunkt noch zig Seiten entfernt ist.

Ganz nebenbei hat die Autorin außerdem eine treffende Skizze jener Zeit geliefert. Markttage, Wirtshaustrubel und Schulalltag sind lebendig beschrieben, aber auch historische Details wie das Massaker an den Zigeunern, die nach Schottland kamen, weil ihnen dort Land versprochen wurde, oder das Erstarken der Puritaner, die gut dreißig Jahre später in einem blutigen Bürgerkrieg unter Cromwell an die Macht gelangen werden und dabei solch tiefe Wunden zurücklassen, dass sie nach Cromwells Sturz mit Gewalt unterdrückt wurden und schließlich massenweise auswanderten. Ob allerdings die Maßnahmen dieser Splittergruppe der Anglikanischen Kirche bereits zu diesem frühen Zeitpunkt so ausarteten wie hier beschrieben, weiß ich nicht.

_Mit anderen Worten:_ Wenn man sich erst einmal eingelesen hat, entwickelt sich auch eine ganz eigene Faszination. Ich würde diese Lektüre nicht unbedingt als besonders spannend oder hochdramatisch bezeichnen, aber sie hat ein gewisses Flair und – abgesehen von der Beziehung zwischen Kate und Kit – einen Mangel an Vorhersehbarkeit, der durchaus geeignet ist, den Leser bei der Stange zu halten. Jugendliche, denen diese Art von Thematik zusagt, sind hier sicherlich nicht falsch.

_Livi Michael_ stammt selbst aus Manchester und unterrichtet Englisch und Kreatives Schreiben. Ursprünglich schrieb sie für Erwachsene, wandte sich aber schließlich ihren Kindern zuliebe auch der Jugendbuchsparte zu. Von ihren Büchern, für die sie diverse Preise erhielt, ist auf Deutsch außer „Das Flüstern der Engel“ bisher nur „Die flüsternde Straße“ erschienen.

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Rosoff, Meg – Was wäre wenn

Das heutige Leben ist so voller Möglichkeiten zu sterben, dass man sich manchmal die gleiche Frage stellen möchte wie der Held aus Meg Rosoffs Jugendbuch: „Was wäre wenn“ …

Der fünfzehnjährige David Case wohnt in dem kleinen englischen Dörfchen Luton und ist kein besonders auffälliger Teenager. Schlaksig und antriebslos, nicht besonders beliebt, aber auch nicht unbeliebt. Keine nennenswerten Hobbys, keine nennenswerten Vorlieben.

Doch alles ändert sich, als sein einjähriger Bruder Charlie eines Tages in einem unbeobachteten Moment auf die Fensterbank klettert und beinahe aus dem geöffneten Fenster fällt. David kann ihn gerade noch zurückhalten, doch dieses Ereignis ist der Auslöser für eine gewaltige Veränderung bei dem Teenager.

David wird bewusst, dass er dem Schicksal ausgesetzt ist, dass mit nur einem Wimpernschlag sein Leben komplett zerstören kann. Um dem Schicksal, das im Buch als Kismet kurze Auftritte hat, zu entkommen, beschließt er, seinen Namen und sein ganzes Leben zu ändern, damit es David Case nicht auf die Spur kommen kann. Stattdessen nennt er sich nun Justin Case, pflegt einen sehr sonderbaren Klamottenstil, legt sich einen imaginären Windhund zu und beginnt mit dem Marathonlaufen. Außerdem freundet er sich mit der vier Jahre älteren Agnes Bee an, einer schrägen Fotografin. Er ist in sie verliebt, doch sie lehnt ihn ab. Das verletzt den Jungen und langsam, aber sicher treibt er in seinem Unglück auf eine Katastrophe zu …

Meg Rosoff greift in ihrem Jugendbuch ein Thema auf, das die Zielgruppe ansprechen wird: das Erwachsenwerden, auch wenn David a.k.a. Justin dieses Problem auf sehr eigene Art zu lösen scheint. Er macht eine totale Veränderung durch, nachdem er durch den Beinaheunfall geweckt wurde.

Damit diese Veränderung authentisch erscheint, sollte sie aber dementsprechend aufrüttelnd geschildert sein. Leider misslingt dies Rosoff, so dass das Buch keinen besonders guten Start hat. Das Ereignis wird dafür, dass es so starke Wirkung auf David hat, nicht intensiv genug dargestellt. Es fehlen aufwühlende Gedanken und Raum, damit diese sich festsetzen können. Dabei hätte ein wenig mehr Vorgeschichte, in der Davids Persönlichkeit besser hätte dargestellt werden können, vermutlich schon gereicht, um dem großen Bruch die entsprechende Plattform zu bieten.

Die übrige Handlung kann ebenfalls nicht wirklich überzeugen. Es fehlt an interessanten Ereignissen, und die „Beziehung“ zwischen Justin und Agnes gibt auch nicht genug her. Dafür wird sie zu eindimensional, zu unpackend dargestellt. Manchmal hat man das Gefühl, dass Rosoff mehr auf den Außenseiterstatus ihrer Charaktere als auf die Handlung setzt, und das ist das Problem. Außerdem fehlt so etwas wie ein Strang, an dem alle ziehen. Der Plot selbst ist folglich nicht unbedingt als solcher zu bezeichnen, sondern ist sehr lose und scheint in seine kurzen Kapitel zu zerfallen.

Bei den bereits erwähnten Charakteren setzt die Autorin vor allem auf einen sehr eigenen Stil und unangepasste Lebensweise. Das ist an und für sich keine schlechte Idee. Originelle Persönlichkeiten haben schließlich schon so manches Buch gerettet. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Charaktere dementsprechend vielschichtig und scharf umrissen dargestellt werden.

Justin Case, aus dessen Perspektive hauptsächlich erzählt wird, ist ein verwirrter Teenager, der nicht weiß, wo er aufhört und wo er anfängt. Agnes gibt ihm so etwas wie eine Identität, doch in der literarischen Darstellung kommt er sehr farblos rüber. Es fehlt an einer wirklich kräftigen Darstellung, genau wie bei Agnes, deren Stil noch etwas paradiesvogelmäßiger ist. Das Schillerndste an ihr sind die Beschreibungen ihrer Klamotten, ansonsten wirkt auch sie sehr blass. Meg Rosoff schafft es einfach nicht, klar abgegrenzte Charakterzüge zu schaffen, wodurch das Buch sehr konturlos erscheint.

Die einzige Person, die gut ausgearbeitet wirkt, ist der kleine Bruder Charlie, der die Rolle eines (fast) allwissenden Philosophen übernimmt. Da er mit einem Jahr natürlich noch nicht besonders viel sprechen kann, denkt er die meiste Zeit und legt dabei die Intelligenz eines erwachsenen Menschen an den Tag. Das ist natürlich nicht besonders authentisch, aber tut dem Buch gut. Dadurch bekommt er die Rolle des unbeteiligten Beobachters, der dem Leser einen anderen Blickwinkel auf Justin-David erlaubt als dessen eigene Perspektive.

Unglücklicherweise wirkt Charlie manchmal ein bisschen zu bemüht philosophisch und metaphernschwanger. Letzteres soll wohl ein Bezug zu seinem eigentlichen Alter sein, indem Rosoff hier vermehrt auf einen kindgerechten Wortschatz setzt, leider aber immer noch zu kompliziert klingt.

Charlies Perspektive setzt sich dadurch stark vom Rest des Buchs ab, der mit einem einfachen, aber nicht simplen Vokabular auskommt. Meg Rosoff setzt auf Jugendnähe, ohne dabei viel zu fluchen oder großartig Teeniesprache zu benutzen. Stattdessen schreibt sie sehr trocken, wobei sie ab und an aber wirklich witzig und schlagfertig klingt. Viel passiert über die Dialoge und über die Gedanken von Justin-David, wobei sie diese gerne mit Metaphern ausschmückt. Meistens gelingt ihr das gut, in genügend Fällen klingt sie aber etwas zu bemüht und gezielt jugendbuchmäßig.

Insgesamt gelingt es ihr nicht, dem Leser wirklichen Zugang zu den Charakteren, allen voran Justin-David, zu verschaffen. Das ist sehr schade, denn wenn ein Buch so eine ausgefallene Handlung und (eigentlich) originelle Charaktere besitzt, sollte der Schreibstil dafür sorgen, dass auch ein durchschnittlicher Leser sich mit dem Geschehen identifizieren kann.

In der Summe ist „Was wäre wenn“ von Meg Rosoff ein Jugendbuch der schlechteren Sorte. Die Handlung weist einige Schwächen auf und auch der Schreibstil und die Personen sind nicht hundertprozentig gelungen.

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Schwindt, Peter – Gwydion 02 – Die Macht des Grals

Band 1: [„Der Weg nach Camelot “ 2556

_Story_

Der einstige Bauernbursche Gwydion ist dank der fürsorglichen Anteilnahme seines neuen Weggefährten Ritter Humbert mittlerweile zum Knappen am Hofe geworden, ringt indes aber mit seinem Ehrgefühl. Die vorangegangenen Schlachten gegen die Sachsen und auch der Verrat des grausamen Mordred haben ihm ein ganz anderes Ritterbild vermittelt als jenes, das er sich in seiner Kindheit ausgemalt hat. Nach den Grausamkeiten, die er auf Camelot erlebt hat, zieht es Gwyn zurück in seine Heimat, wo er sich zumindest für kurze Zeit ein friedlicheres Leben erhofft. Auf dem Weg dorthin trifft er auf einen seltsamen, schwer kranken Einsiedler, der dem Jungen irgendwie vertraut erscheint. Erst später offenbart er sich als der einst verstoßene Ritter Lancelot, der vor mehr als 13 Jahren Opfer einer höflichen Intrige wurde und aufgrund einer Vergiftung dem Tod langsam aber sicher ins Auge blicken muss.

Gwyn befindet sich in einem Zwiespalt, denn einerseits würde er gerne in der Obhut seines Vaters Ruhe finden, andererseits sieht er sich auch in die Pflicht genommen, dem angeschlagenen Lancelot in seiner Not beizustehen. Auf Geheiß Merlins beschaffen Gwyn und Rowan dem Ritter, der einst auszog, um den heiligen Gral zu finden, einige Heilkräuter. Doch ihre Reise soll nicht ohne Folgen bleiben. Mordred ist ihnen dicht auf der Spur und hat es besonders auf Gwyn abgesehen; wie der nämlich bald realisieren muss, ist er ganz spezieller Herkunft und eventuell sogar die letzte Hoffnung für ganz Britannien.

_Meine Meinung_

Nach dem recht harten Ende des letzten Buches kehrt in „Die Macht des Grals“ zunächst einmal Ruhe ein; Gwyn ist geschafft und enttäuscht von den Vorgängen am Hofe Camelots und kann seine Erfolge gar nicht richtig genießen. Zu tief sitzt der Schmerz ob der jüngsten Geschehnisse und zu mysteriös erscheint ihm das Rätsel um seine Herkunft, als dass er seinem Knappendasein mit voller Konzentration gerecht werden könnte.

Mit der Heimreise verspricht er sich zunächst Ruhe, aber auch Klarheit über seinen Ursprung, denn nach wie vor nagt der Schmerz der Ungewissheit an ihm. Während Gwyn für eine längere Rast kaum Zeit findet, offenbart sich ihm schließlich auch Schritt für Schritt die Vergangenheit. Dabei muss er jedoch auch erfahren, dass sein geliebter Vater nicht der leibliche Erzeuger ist. Er war lediglich zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort, nämlich als seine Mutter Valeria, eine einst flüchtige Dame römischer Herkunft, einen Unterschlupf suchte und ihn fand. Die Bedeutung all dessen wird Gwydion aber erst klar, als er sich auf den Weg zur Festung von Goon Desert begibt, der Burg, in welcher der Heilige Gral der Legende nach aufbewahrt werden soll. Erst dort versteht er die Prophezeiung und seine Aufgabe im königlichen Ränkespiel; doch der Druck auf seinen Schultern ist urplötzlich unheimlich groß, und selbst der tapfere Gwyn hat seine Zweifel, ob er den Anforderungen gewachsen sein wird.

Im zweiten Teil der „Gwydion“-Saga arbeitet Peter Schwindt mit einem Schlag sehr viele bislang ungewisse Hintergründe um die jugendliche Titelfigur auf, hält jedoch die Spannung durch die Einführung neuer Geheimnisse konsequent auf einem hohen Niveau. Selbst wenn die Bestimmung Gwydions nunmehr klar ist, so liegt doch noch ein weiter Weg vor ihm, und schließlich muss er auch ständig um sein Leben fürchten, denn seine offensichtlichen Gegner werden immer zahlreicher. Doch während die Zukunft des jungen Knappen erst mal nur spekulativ zu betrachten ist, kann man über das hier Geschriebene zum wiederholten Male ein paar sehr positive Worte loswerden; der Autor versteht es einfach, immer neue Spannungskurven in den abenteuerlichen Plot einzufügen, und schafft durch die Schicksale, die Gwydion auf seinen Reisen erleiden muss, eine totale Identifikation mit der Hauptfigur. Weiterhin ist es ihm zum wiederholten Male sehr schön gelungen, seine Geschichte nah an die Artus-Sage anzulehnen, sich in entscheidenden Punkten aber auch wieder von ihr zu differenzieren. So funktioniert auch „Die Macht des Grals“ im weitesten Sinne als unabhängiger Roman innerhalb eines vertrauten Settings mit vielen bekannten alten Heroen.

Bereits in der Rezension zum ersten Band habe ich die Frage aufgeworfen, ob es überhaupt noch notwendig ist, weitere Bücher um die Artus-Sage zu schreiben, schließlich kann man mittlerweile auf einen Fundus zurückgreifen, dessen Quantität wohl ausreicht, um mehrere Bibliotheken auszufüllen. Schwindt beantwortet diese Frage jedoch auch mit seinem zweiten Buch aus der „Gwydion“-Reihe ganz eindeutig: Ja, solange das Ganze so erfinderisch erzählt, so liebevoll bearbeitet und so spannend dargestellt wird wie in diesem Fall, darf die Legende aus dem alten Britannien gerne weiter ausgeschlachtet werden! Eine weitere dicke Empfehlung meinerseits für diese herrlich schöne Serie!

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Stroud, Jonathan – Eisfestung, Die

Kinder empfinden, denken, fühlen und letztlich handeln ganz anders als Erwachsene. Die Welt mit Kinderaugen gesehen, ist nicht die gleiche wie aus unserer Perspektive. Im Erwachsenenalter vergessen wir leider viel zu oft, was Kinder wirklich berührt, wovor sie Angst haben, und dass eben die Wahrheit für beide Parteien grundsätzlich niemals die gleiche sein kann.

„Kinder an die Macht“ – eine Parole für den neuen Roman „Die Eisfestung“ des Autors Jonathan Stroud, die hier durchaus ihren Sinn ergibt. Handeln Kinder immer nach ihrem ganz eigenen Gerechtigkeitssinn, ohne sich über die Konsequenzen im Klaren zu sein? Wann wird aus einem Spiel bittere und tragische Realität? Grenzen verschwimmen in einer Form von emotionaler Grauzone, vernebelt durch Empfindungen, Ängste und die Erfahrungen mit den Erwachsenen, die ohnehin nicht die Tragik der Situation verstehen können.

Ist dies wirklich so?

Viele Kinder- und Jugendbücher laden den Leser auf eine Reise durch die Zeit ein, an einem Ort, den sie früher mal gekannt haben, zu Erlebnissen und Empfindungen, die wir in die tiefsten Schubladen unseres Gedächtnisses verbannt haben. Dem englischen Autor Jonathan Stroud, der durch die Bartimäus-Triologie einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat, gelingt dies unglaublich gut. Vorab sei zu sagen, dass der Roman aufwühlend geschrieben ist und uns wirklich dazu anleiten kann, darüber nachzudenken, wie verschieden Kinder und Erwachsene eine Situation wahrnehmen und ihr begegnen können.

_Die Geschichte_

An einem klirrenden, eiskalten Winternachmittag erkundigt die kleine Emily eine noch recht gut erhaltende Burgruine. Für Kinder ein fast schon magisch anziehender Ort voller vielversprechender Abenteuer und Gefahren, nicht nur für Emily. Dort trifft sie auf einige Kinder aus der Nachbarschaft, eine Schneeballschlacht entbrennt vor den Festungsanlagen und sie findet in Marcus und Simon zwei Verbündete, die ihr Schicksal teilen.

Marcus, ein charismatischer und aufgeweckter Junge, zieht die beiden Freunde in seinem Bann aus Geschichten rund um die alte Burg. Er erzählt von vielen Schlachten und Belagerungen, die vor dem Tor auf den Hängen der Anlage stattgefunden haben. Jetzt in der Winterzeit finden keine touristischen Besichtigungen der Ruine statt, nur ein städtischer Wächter schaut ab und an nach dem Rechten.

Emily und Simon sind eher vorsichtig und skeptisch, doch lassen sich sie sich von Marcus dazu überreden die verbotene Burg zu erkunden und gegebenenfalls zu erobern. Im ersten Eroberungsfeldzug werden die drei aber von dem Wächter erwischt und kurzerhand verjagt. Die erlittene Schmach möchten sie diese natürlich wieder wettmachen.

Angesteckt von der Idee, verabreden sich die drei Abenteurer für den nächsten Tag. Eine Kriegslist wird erdacht, eine Ausrüstung geplant und der Entschluss gefasst, die Burg in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu belagern und letztlich zu erobern. Ziel ist es, in dem alten Gemäuer eine Nacht zu verbringen.

Den drei Eroberern gelingt dieser tollkühner Plan, doch am anderen Morgen verschlafen Marcus, Simon und Emily. Das unschuldige Spiel wird zu einer dramatischen Situation für Marcus, denn dieser hat seinen Erzählungen nach zu urteilen nicht zu Unrecht Angst vor seinem gewalttätigen Vater.

Einige Tage vergehen, bis sich die drei Kinder zufällig wieder treffen. Marcus verbirgt sein Gesicht vor den Freunden, aber die grünen und blauen Flecken sind nicht zu übersehen. Marcus erzählt, dass dies sein Vater war, und er verschanzt sich mit seinen neu gefundenen Freunden auf der Burg. Aus diesem Nervenkitzel wird bitterer Ernst, als nicht nur der städtische Wächter, sondern auch die Polizei, die Feuerwehr und selbst die Sozialarbeiter als Belagerer vor den Burgmauern auftauchen.

Das übermütige Spiel schlägt plötzlich in einen eskalierenden Alptraum um.

_Kritik_

„Die Eisfestung“ wurde parallel zu dem Erfolgsroman „Bartimäus“ verfasst. Der subtile Psychothriller für Jugendliche – aber auch Erwachsene – ist ungemein atmosphärisch und fesselnd. Die Geschichte beginnt mit ersten Kämpfen und endet dramatisch in einer Belagerung.

Jonathan Stroud verbindet dabei Fantasie mit der Realität auf eindrucksvolle Art und Weise. Wie schon erwähnt, spielen hier die verschiedenen Sichtweisen der drei Kinder die Hauptrolle. Jeder von ihnen ausgestattet mit individuellen Eigenschaften, aber nicht durch eine langjährige Freundschaft verbunden, erzählen die Situationen in den verschiedenen Abschnitten immer aus einer völlig anderen Perspektive.

Die Wahrheit hat oftmals mehrere Gesichter und zeigt sich nicht immer auf dem ersten Blick. Feind- und Freundschaft, Verrat und Loyalität finden sich als Themen in der Geschichte immer wieder. Zwar entwickelt diese sich langsam, aber entstehen keine Längen, die den Lesefluus stoppen. Wer Bartimäus kennen und lieben gelernt hat, der sollte jedoch nicht erwarten, genau dieses Genre in „Die Eisfestung“ wiederzufinden. Viele werden den Humor und den Sarkasmus vermissen. Die hier vorliegende Story ist dafür nicht wirklichkeitsfremd. Nahezu beklemmend lässt sie uns innehalten und das Buch weglegen, um die geschilderte Situation in der Geschichte zu überdenken.

Vergleichen kann man die Romane rund um „Barti“ nicht mit diesem Psychothriller, wie der Leser nun festgestellt haben wird. Jonathan Stroud hat sich sorgfältig mit der Psyche von Kindern und Jugendlichen befasst, deswegen ist dieses Buch auch gut für die angehenden Erwachsene zu empfehlen, aber gerade Erwachsene werden sich nach der Lektüre Gedanken darüber machen, worüber und vor allem wie ihre Kinder wohl (nach-)denken. Genauso gut aber werden sie über ihr eigenes Verhalten nachdenken müssen, denn die Wahrheit hat auch immer zwei Gesichter – das der Kinder, die lernen, und das der Erwachsenen, die das Erlernte scheinbar fast vergessen haben.

_Der Autor_

Jonathan Stroud wurde 1970 in Bedford, England geboren. Seit er sieben Jahre alt war, schreibt er Geschichten. Zunächst arbeitete Stroud als Lektor, bis er sich dazu entschloss, eigene Kinderbücher zu veröffentlichen. Zusammen mit seiner Frau Gina und seiner Tochter Isabelle lebt und schreibt er in London. Die Jugendromane rund um den Dämon Bartimäus sicherten ihm einen Platz auf den Beststellerlisten und in den Herzen vieler Jugendlichen und Erwachsenen. Die Trilogie wird zurzeit von |Miramax| verfilmt.

|Originaltitel: The Last Siege, 2003
Originalverlag: Random House UK
Übersetzt von Bernadette Ott
Deutsche Erstausgabe
Ab 12 Jahren
Gebundenes Buch, 288 Seiten, 13,5 x 21,5 cm|
http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch/

_Jonathan Stroud auf |Buchwurm.info|:_
[Bartimäus – Das Amulett von Samarkand 353
[Bartimäus – Das Auge des Golem 1613
[Drachenglut 3381

Jenny Nimmo – Charlie Bone und der rote König (Die Kinder des roten Königs 5)

Band 1: „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“
Band 2: „Charlie Bone und die magische Zeitkugel“
Band 3: „Charlie Bone und das Geheimnis der blauen Schlange“
Band 4: „Charlie Bone und das Schloss der tausend Spiegel“

Mitten in der Nacht wird Charlie von einem Klacken am Fenster geweckt. Draußen sitzen die Flammen, die drei feuerfarbenen Katzen des roten Königs. Offenbar haben sie Charlie etwas Dringendes zu sagen, und mit Billys Hilfe erfährt er schließlich, dass sie eine Warnung vor einem Schatten überbringen. Charlie soll auf seine Mutter achten!

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Jenny Nimmo – Charlie Bone und das Schloss der tausend Spiegel (Die Kinder des roten Königs 4)

Band 1: „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“
Band 2: „Charlie Bone und die magische Zeitkugel“
Band 3: „Charlie Bone und das Geheimnis der blauen Schlange“

Ein neues Schuljahr hat begonnen. Und es wartet gleich als Erstes mit einer unangenehmen Überraschung auf: Manfred ist immer noch da, obwohl Charlie gehofft hatte, der unangenehme Aufsichtsschüler wäre nach seinem Schulabschluss studieren gegangen. Stattdessen ist er jetzt Hilfslehrer am Bloor! Auch Asa ist immer noch da – durchgefallen! Und als Ersatz für Zelda kam nicht nur ein frostiges Zwillingspärchen, sondern auch noch ein Junge namens Joshua, dem es mit Hilfe seiner Gabe gelingt, Tancred auf seine Seite zu ziehen. Jetzt ist das Gleichgewicht im Bloor ernstlich gestört.

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Grimm, Jacob und Wilhelm / Jürgensmeier, Günter (Hg.) / Dematons, Charlotte (Ill.) – Grimms Märchen

Von den über 200 enthaltenen Märchen seien an dieser Stelle einige der bekanntesten unter ihnen vorgestellt:

Im „Froschkönig“ erhält eine junge Königstochter ihre verlorene Goldkugel von einem Frosch zurück. Als Dank soll sie ihn bei sich aufziehen, doch sie weist das Tier angeekelt zurück.

Das „Marienkind“ erzählt von einem Mädchen, das von der Jungfrau Maria aufgenommen wird und im Himmel lebt. Dort soll es auf keinen Fall die dreizehnte Tür öffnen, doch das Mädchen ist neugierig …

Im „Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ macht sich ein junger, naiver Mann auf, die Furcht kennen zu lernen, denn alle Welt scheint sich gruseln können, nur er nicht. Drei Nächte in einem Geisterschloss warten als Herausforderung auf ihn.

„Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“ erzählt davon, wie ein hungriger Wolf mit einer List versucht, die jungen Geißlein, die allein zuhause geblieben sind, zu fressen.

„Brüderchen und Schwesterchen“ ist eine Verwandlungsgeschichte, in der ein Mädchen und sein als Reh verzauberter Bruder durch einen Wald irren.

„Rapunzel“ ist das Märchen vom gefangenen Mädchen, das in einen Turm eingesperrt ist.

„Hänsel und Gretel“ sind ein Geschwisterpaar, das im Wald ausgesetzt wird und im Haus einer bösen Hexe landet.

„Aschenputtel“ erzählt die Geschichte eines schönen, klugen Mädchens, das von seiner bösen Stiefmutter und deren garstigen Töchtern wie eine Putzmagd behandelt wird – bis sich eines Tages die Gelegenheit ergibt, auf den Ball des Prinzen zu gehen.

In „Frau Holle“ kommen zwei grundverschiedene Schwestern zu einer alten Frau, die aus ihren Federbetten den Schnee auf der Erde macht.

„Die sieben Raben“ sind verzauberte Brüder. Als ihre jüngere Schwester von ihrem Schicksal erfährt, macht sie sich auf, sie zu erlösen.

„Rotkäppchen“ ist das kleine Mädchen, das seiner kranken Großmutter Verpflegung bringen möchte und dabei im Wald einem Wolf begegnet.

„Tischchendeckdich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack“ sind die magischen Dinge, die drei Brüder am Ende ihrer Lehre erhalten, und die zweien von ihnen zunächst nur Unglück bringen.

„Dornröschen“ ist die Geschichte von der schlafenden Prinzessin, über deren Schloss ein Fluch liegt.

In „König Drosselbart“ wird eine wählerische Königstochter, die ihre Freier verspottet, mit einem scheinbar armen Mann verheiratet.

Das „Schneewittchen“ ist ein schönes Mädchen, dessen eifersüchtige Stiefmutter ihm den Tod wünscht. Was für ein Glück, dass es die sieben guten Zwerge gibt, die sich ihrer annehmen.

„Der goldene Vogel“ stiehlt regelmäßig die goldenen Äpfel eines Baumes. Der Besitzer des Gartens schickt seine drei Söhne auf die gefahrenvolle Reise, den Vogel zu fangen.

Im „Allerleihrau“ flieht eine Tochter vor ihrem Vater und zieht sich, mit einem Fell berkleidet, in den Wald zurück, bis sie die Jäger des benachbarten Königs aufgreifen.

„Der Arme und der Reiche“ zeigt den lieben Gott als Wanderer, der Wünsche gewährt, die nicht immer klug genutzt werden.

„Schneeweißchen und Rosenrot“ sind zwei gutherzige Schwestern, die Freundschaft mit einem Bären schließen.

„Der gestiefelte Kater“ ist das scheinbar wertlose Erbe, das der jüngste Sohn von seinem Vater erhält, der ihm aber noch viel Glück bringen wird.

Insgesamt 207 Märchen versammeln sich in diesem Band, der die Ausgabe letzter Hand von 1857 noch um ein paar weitere Märchen aus früheren Ausgaben erweitert und mit zahlreichen Illustrationen versehen ist. Fast in jedem Haushalt befindet sich zumindest eine gekürzte Ausgabe dieser weltbekannten Märchen, die aus der deutschen Literatur nicht mehr wegzudenken sind.

Es war zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit ihrer Sammlung mündlich überlieferter Märchen begannen und sie anschließend bearbeiteten. Bei der Bearbeitung wurde vor allem auf gesellschaftliche Vorstellung und eine kindgerechte Darstellung Wert gelegt. Die Rezeption der Kinder- und Hausmärchen ist bis heute ungebrochen. Es existieren nicht nur zahlreiche Verfilmungen und Parodien, auch etliche Forscher haben sich nicht nur mit den literarischen, sondern auch mit den psychologischen Aspekten der Märchen befasst.

„Kinder brauchen Märchen“ lautet der Titel eines Werkes des Pädagogen Bruno Bettelheim, der damit in den Siebziger Jahre für den Märchenkonsum plädierte, da Märchen die Phantasie der Kinder anregen, Möglichkeiten zur Problemlösung aufzeigen, ihre Bedürfnisse ansprechen und durch einen glücklichen Ausgang versöhnen und ermutigen. Während andere Märchen, etwa die des kaum weniger bekannten Hans Christian Andersen, manchmal melancholisch enden, kann man bei den Gebrüdern Grimm auf einen positiven Schluss vertrauen, der den Schrecken, der zuvor ausgelöst worden sein mag, wieder zurücknimmt.

|Grundlegende Motive|

Kennzeichnend für alle Märchen dieser Ausgabe ist eine geradlinige, meist episodenhaft verlaufende Handlung mit vielen sich wiederholenden Motiven, dem Gebrauch starker Gegensätze, lehrreicher Aussagen und einem glücklichen Ausgang. Da die Gebrüder Grimm nicht als Erfinder fungierten, sondern auf bereits vorhandene Erzählungen zurückgriffen, tauchen viele bekannte Motive und Figuren aus älteren Werken und Kulturen wieder auf.

Den „gestiefelten Kater“ kennt man in der französischen Version von Charles Perrault, die Gestalt der „Frau Holle“ orientiert sich mutmaßlich an einer vorchristlichen Gottheit, „Der Arme und der Reiche“ greift eine Grundsituation aus Ovids Erzählung von „Philemon und Baucis“ auf, und die oft auftretenden sprechenden Tiere erinnern an die Fabel, die bereits die alten Römer kannten.

In vielen Märchen spielen die Religion und die Frömmigkeit eine große Rolle. Ganz offensichtlich wird das im „Marienkind“, das von der Mutter Gottes persönlich adoptiert und in den Himmel geholt wird, wo es mit den Englein spielen darf. Doch auch hier herrschen Gebote vor, die dem Mädchen untersagen, eine bestimmte Tür zu öffnen. Natürlich ist das Kind zu neugierig, schaut hinter die Tür und erblickt die Dreieinigkeit im Feuer – eine schwere Sünde, die sich noch verstärkt, da das Marienkind anschließend die Tat mehrmals leugnet. „Der Arme und der Reiche“ begegnen Gott selber, der, ebenfalls ein uraltes Motiv, als Wanderer auf Erden wandelt und die Gastfreundschaft der Menschen testet. Der hartherzige Reiche wird bestraft, der gutherzige Arme dagegen, der seine karge Habe mit dem scheinbar noch ärmeren Wanderer teilt, wird reich belohnt. Reich belohnt wird auch das Mädchen im Märchen von den „Sterntaler(n)“. Das Waisenkind gibt bereitwillig sein Essen und seine Kleidung weg, um anschließend dafür vergolten zu werden.

Eine große Rolle spielen Familienbande in den Märchen. Oft hat man es mit ausgesetzten oder flüchtenden Kindern zu tun. „Hänsel und Gretel“ werden ihrem Schicksal im Wald überlassen, „Brüderchen und Schwesterchen“ fliehen in einen ebensolchen, „Allerleihrau“ muss sich vor ihrem Vater dorthin retten. Das Motiv der bösen Stiefmutter ist eines der volkstümlich bekanntesten überhaupt. Interessanterweise wurde dieser Part in der ersten Version von „Schneewittchen“ mit ihrer leiblichen Mutter besetzt, doch es erschien gesellschaftlich versöhnlicher, dafür eine Stiefmutter zu wählen. Auch bei „Brüderchen und Schwesterchen“ taucht sie auf und nicht weniger missgünstig bei „Aschenputtel“, bei „Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein“ und im „Fundevogel“. Im Märchen von den „zwölf Brüder(n)“, den „sieben Raben“ und den „sechs Schwäne(n)“ sind starke Parallelen zu finden, sodass die Geschichten als Variationen voneinander gelten. Zentral ist hier vor allem das Motiv der einzigen Tochter, die ihre älteren Brüder erlöst. Aber auch Feindseligkeit unter Geschwister wird mehrfach thematisiert, etwa in „Der goldene Vogel“, „Der singende Knochen“, „Die drei Federn“, „Die Bienenkönigin“ und „Die Krähen“. „Der singende Knochen“ ist dabei eines der gewalttätigsten Märchen der Sammlung, da dort, ganz in biblischer Kain-und-Abel-Manier, der neidische Bruder den anderen erschlägt.

Sehr populär sind sprechende Tiere, die mal als Freund und Helfer und mal als böser Gegenpart auftreten können. Als Erstes kommt da vermutlich der Wolf in den Sinn, der „Rotkäppchen“ und die Großmutter fressen will und es in „Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“ auf die Tierkinder abgesehen hat. In „Der goldene Vogel“ dagegen ist der Fuchs ein weiser Ratgeber, der einem etwas einfältigen jungen Mann immer wieder den Weg weist; „Die Gänsemagd“ erhält Unterstützung von ihrem Pferd Fallada und „Der Fischer und seine Frau“ bekommen vom gefangenen Butt Wünsche gewährt. Manche der Tiere sind verzaubert und verwandeln sich am Ende wieder in Menschen zurück, etwa im „Froschkönig“, in „Brüderchen und Schwesterchen“ oder in „Die sieben Raben“. Andere Geschichten sind Tiermärchen, die sich an Fabeln orientieren und in denen die Charakteristika der Tiere beleuchtet werden.

Eigen ist allen Märchen ein auffallender Dualismus, der mal stärker und mal schwächer zutage tritt. Die Figuren sind charakterlich gewöhnlich eindimensional und dabei überzeichnet. Kinder und junge Frauen werden gerne idealisiert; sie sind rein und voller Güte, die in ihrer Unschuld mit den bösen Gestalten kontrastieren. Die hinterlistigen Charaktere greifen nicht selten zum Äußersten und sind bereit zum Mord, um sich Vorteile zu sichern. Häufig wird auch mit farblichen Gegensätzen gespielt – der weiße Schnee, die schwarzen Raben, das rote Blut, die weißen Lilien treffen aufeinander. Vor allem in der neueren Forschung wird ein Fokus auf psychologische Deutungen gelegt. Auch wenn viele Ansichten stark überzeichnet scheinen, wird dadurch manchmal offenkundig, wie spielerisch und harmlos hier gravierende Konflikte eingeflochten werden.

Das trifft etwa auf „Allerleihrau“ zu, die fliehen muss, weil ihr verwitweter Vater in ihr das Ebenbild seiner verstorbenen Frau sieht und seine Tochter daher heiraten will. Die Inzestproblematik wird teilweise auch in „Brüderchen und Schwesterchen“ hineingelesen, da die tiefe Verbundenheit zwischen den beiden immer wieder betont wird. Überhaupt befassen sich zahlreiche Interpretationen mit sexuellen Ansätzen, beispielsweise mit der Begründung eines Elektrakomplexes in „Schneewittchen“, wo das Mädchen emotional stark an den Vater gebunden ist, die sexuelle Heranreifung eines jungen Mädchens im „Froschkönig“, in der die Königstochter den verzauberten Prinzen mit ins Bett nehmen soll, was sie zunächst verschreckt, die Angst vor Sexualität in „Jorinde und Joringel“, wo die böse Hexe die Jungfrau Jorinde in eine Nachtigall verwandelt und ihren Freund Joringel in einen gelähmten Zustand versetzt. Märchen mit jungen Frauen im Mittelpunkt werden nicht selten emanzipatorisch gedeutet, etwa Allerleihraus Flucht und Erhebung aus der Demütigung und die Reifung des Mädchens in „Brüderchen und Schwesterchen“ vom kindlichen Wesen zur verheirateten Frau. Die Passivität eines schlafenden Dornröschens dagegen wird als Symbol für die nötigen Ruhe- und Rückzugsphasen während der Pubertät gesehen.

|Behutsame Modernisierung|

Bei der Modernisierung der Sprache dieser Ausgabe wurde sehr zurückhaltend vorgegangen, sodass man nicht befürchten muss, einen unpassenden Stil vorzufinden. Im Gegenteil, bei vielen Märchen dürfte dem Leser gar nicht auffallen, dass er eine erneuerte Ausgabe vor sich liegen hat. Der typische Märchenton der Gebrüder Grimm wurde beibehalten. Auffallend ist nur, dass die Dialektmärchen ins Hochdeutsche übersetzt wurden, um die Verständlichkeit zu verbessern.

Da viele der altertümlichen Ausdrücke erstens den Charme der Erzählungen ausmachen und zweitens teilweise gar keine moderne Entgegnung kennen, existiert im Anhang ein Register, das gleichzeitig Lexikon und Wörterbuch darstellt. Hier sind in Blau motivische Stichworte aufgeführt, die man in den jeweiligen Märchen findet, etwa Zahlen, Eigenschaften von Figuren oder Tiere. Sucht man nun ein Märchen über einen „Bettler“ oder eines, in dem ein „Fuchs“ auftaucht, kann man einfach nachschlagen und wird sofort fündig. In manchen Fällen sind auch Erklärungen beigefügt, etwa beim Stichwort „Kobalt“, das als „Erz, das beim Schmelzen kein Metall liefert“ definiert wird. In Grün sind die Titel der Märchen markiert und in Rot schließlich sind altmodische Ausdrücke und Wendungen geschrieben, die man beibehalten hat. Dazu gehört beispielsweise der Ausruf „Hott und har!“, mit dem man Pferde antrieb, der Kinder verwirren könnte.

Wie in allen anderen Märchenausgaben auch ist der Stil einfach und klar gehalten. Es kommen kaum lange Sätze vor, die Struktur ist überschaubar gestaltet und der Wortschatz ist in etwa dem eines Kindes angepasst. Viele formelhafte Wendungen wiederholen sich, etwa die Anfänge wie „Es war einmal …“ oder „In den alten Zeiten …“

|Schöne Illustrationen|

Die gelungene Bebilderung bildet das i-Tüpfelchen auf dieser Ausgabe. Über 400 Illustrationen der Künstlerin Charlotte Dematons schmücken die gut 500 Seiten in zarten Aquarellfarben in beeindruckendem Abwechslungsreichtum. Manchmal sind ganze Doppelseiten komplett mit Farben ausgefüllt und zeigen ein Gemälde, etwa eine stimmungsvoll ins Abendrot getauchte Waldlandschaft. Dabei sind die Farben jedoch immer zart genug, um den Text ohne Probleme lesbar zu lassen. An anderen Stellen finden sich ganzseitige Bilder ohne Text und wieder anderswo sind kleine Bilder, die ein paar Zentimeter Raum einnehmen, neben die Buchstaben gesetzt. Dabei wurde besonderen Wert darauf gelegt, dass die Illustrationen niemals den Ausgang der Geschichte vorwegnehmen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Darstellung der fliehenden Räuber in den „Bremer Stadtmusikanten“, wo darauf verzichtet wurde, die Tiere selber zu malen, wie sie die Räuber vertreiben.

|Kaum Schwächen|

Will man überhaupt etwas an diesem Werk kritisieren, fallen nur zwei Dinge ein: Zum einen ähneln sich die Märchen teilweise so stark, dass ein Übermaß an Konsum rasch zur Langeweile führen kann. Wer kein ausgesprochener Märchenfreund ist, tut gut daran, sich nur höchstens ein paar der Texte pro Tag zu Gemüte zu führen. Ansonsten läuft man Gefahr, sich an den immer wiederkehrenden Formulierungen und Ausgangssitationen und den klischeehaft-vereinfachten Darstellungen zu übersättigen.

Der andere Punkt betrifft speziell diese Ausgabe, die leider auf Informationen zu den Autoren verzichtet. Auch wenn fast jedem ihr Aussehen und ihre ungefähren Lebensdaten geläufig sind, wäre es schön gewesen, auf einer halben bis einer ganzen Seite ihre Biographie zusammenzufassen.

_Unterm Strich_ bleibt auf jeden Fall eine wunderbare Ausgabe der Grimm’schen Märchen mit hervorragenden Illustrationen und einem sehr hilfreichen Stichwort-Register zu einem günstigen Preis, der in jedem Haushalt einen Platz finden sollte. Wer schon immer mal eine Ausgabe kaufen wollte und sich nicht entscheiden konnte, findet hier eine sehr empfehlenswerte Version, die für Kinder wie Erwachsene gleichermaßen gut geeignet ist.

_Die Autoren_ Jacob und Wilhelm Grimm wurden 1785 und 1786 in Hanau geboren und lebten bis 1863 und 1859. Sie gehören zu den Begründern der deutschen Philologie und sind vor allem bekannt für ihre Herausgabe der Kinder- und Hausmärchen sowieso für das Wörterbuch der „Deutschen Grammatik“, in dem Jacob Grimm den Grundstein für die moderne Etymologie legte.

http://www.patmos.de

Lukianenko, Sergej – Schlangenschwert, Das

Tikkirej lebt unter einer Kuppel auf einem radioaktiv strahlenden Wüstenplaneten. Die Welt Karijer ist arm, in fast jeder Hinsicht. Und als seine Eltern ihre Arbeit verlieren und deshalb befürchten müssen, aus der Kuppel vertrieben zu werden, nehmen sie ihr gesetzliches Recht in Anspruch, sterben zu dürfen, und überschreiben ihre verbliebenen Nutzungsansprüche an den Lebenserhaltungssystemen ihrem Sohn.

Aber nachdem seine Eltern fort sind, hält Tikkirej nichts mehr auf diesem Planeten. Entgegen aller guten Ratschläge verdingt er sich als lebendes Modul für den Navigationsrechner auf einem Frachtraumschiff. Schließlich landet er auf Neu-Kuweit, einem erdähnlichen und deshalb ziemlich teuren Planeten. Dort trifft er auf Stasj, einen Raumschiffkapitän, der ihm anbietet, ihn ein wenig zu unterstützen, denn Tikkirej steht finanziell auf äußerst schwachen Beinen. Der Junge ahnt allerdings nicht, dass er damit Hals über Kopf in das Tauziehen zwischen Imperialer Regierung und Putschisten hineinschlittert …

Wer jetzt aus dem letzten Satz geschlossen haben sollte, dass es hier heiß zur Sache geht, der liegt ein Stück daneben. Dieses Buch ist nicht |Star Wars|. Hier gibt’s weder Raumschlachten noch -scharmützel, und auch sonst wird recht wenig geballert. Dafür dürfte sich die Mehrzahl der Leser durch die |Phagen|, einen besonderen Ritterorden, an die Jedi-Ritter erinnert fühlen – zumal die Phagen von ihren Gegnern abwertend |Dshedai| genannt werden, was man wohl als Anspielung verstehen darf. Im Gegensatz zu den Jedi besitzen die Phagen jedoch keine magischen Kräfte und erlangen ihre Fähigkeiten nicht allein durch die Ausbildung, sondern unter anderem auch durch spezielle Genetik. Phagen werden nicht einfach geboren, sie werden geschaffen. Der entscheidende Punkt dabei ist allerdings weniger die Tatsache an sich – auf Tikkirejs Planet war es offenbar üblich, Kinder sozusagen aus dem Katalog zu bestellen -, sondern die Auswahl der Eigenschaften: Einem Phagen ist es genetisch unmöglich, die legitime Regierung des Imperiums zu verraten oder nach größerer Macht für sich selbst zu streben. Keine Chance für Darth Vader …

Trotzdem ist das mit der Genetik – wie mit vielen anderen Errungenschaften auch – eine zweischneidige Angelegenheit. Der Gedanke, eine Person unsterblich zu erhalten, indem man sie über Generationen hinweg immer wieder neu klont, ist an sich schon erschreckend genug. Richtig unerträglich wird die Vorstellung in Lukianenkos Variante, wo der Klon auch noch das Bewusstsein seiner Matrize übernimmt. Man stelle sich vor, ein und derselbe Präsident für alle Ewigkeit … Horror pur! Aber noch steigerungsfähig: Ein derart Unsterblicher nimmt sich vor, eine bessere und sauberere Menschheit zu erschaffen …

Nein, Lukianenkos „Schlangenschwert“ ist kein Horrorroman. Aber Genmanipulation ist heute schon so weit fortgeschritten, dass es schlicht unwahrscheinlich ist, dass sie in der Zukunft keine große Rolle spielen sollte. Und es ist nahezu unvermeidlich, dass bei der Erwähnung dieses Themas in der Science-Fiction auch die Konsequenzen daraus auftauchen, mit all ihren erschreckenden Möglichkeiten. Das lässt sich genauso von der Gehirnwäsche sagen. Die hier verwendete Methode liegt hoffentlich noch in weiter Ferne. Ich zumindest legte keinen Wert darauf, einen Chip hinterm Ohr zu haben, der an mein Gehirn angeschlossen ist! Bei Lukianenko ist das nicht nur Standard, sondern regelrecht lebensnotwendig, zumindest, wenn man einen Beruf ausüben möchte.

Natürlich stellt sich gerade bei SF immer gern die Frage: Wäre das denn technisch überhaupt machbar? Für mein Teil muss ich sagen, dass ich Zeittunnel und Flüge mit Überlichtgeschwindigkeit für nicht machbar und den Transport lebender Menschen in tiefgefrorenem Zustand für höchst unwahrscheinlich halte. Auch dürfte eine Kapsel ohne Steuerung und Antrieb, die aufgrund ihres Anflugwinkels von einer planetaren Atmosphäre abprallt, meines Erachtens nicht einfach hochhüpfen und dann wieder runterfallen, sondern sie müsste ins All davontreiben. Andererseits gestehe ich, dass mir das bei einer solchen Geschichte ziemlich schnuppe ist. Ich bin nicht gerade versiert in diesem Genre und verstehe nicht genug von Technik, um die Möglichkeiten einer Landung in einer Kugel aus hyperstabilem Eis zu beurteilen, aber die Idee als solche fand ich interessant, ebenso wie den Entwurf der Plasmapeitschen, der Lieblingswaffen der Phagen.

Dafür sind mir andere Kleinigkeiten aufgefallen. So zum Beispiel das Argument, mit dem Elli Tikkirej zu dem Attentat auf den Werftbesitzer Bermann regelrecht erpresst. Ich empfand es als völlig unglaubwürdig, dass die Phagen Stasj bestrafen sollten, wenn Tikkirej diesen Auftrag verweigerte. Und eigentlich hätte ich erwartet, dass Tikkirej das ebenfalls auffällt. Aber gut, ein unsicherer Dreizehnjähriger will in einer solchen Situation wohl keinen Irrtum riskieren, vor allem, wenn es um einen Freund geht. Oder die Tatsache, dass die landende Eiskugel nicht ortbar war. Vielleicht wäre sie vor dem geröteten Himmel des Sonnenaufgangs nicht aufgefallen. Aber auf dem Planeten waren ja auch Aufklärungssonden unterwegs. Unwahrscheinlich, dass nicht einmal eine davon zwischen dem Sonnenaufgang und der Eiskugel unterwegs war und den Eindringling vor dem dunklen Nachthimmel bemerkte.

Am störendsten empfand ich aber einige massive sprachliche Schnitzer. Vor allem Zeitfehler sind mir begegnet, die ihre Ursache vielleicht in der Übersetzung aus dem Russischen haben könnten, die man aber durchaus hätte bereinigen können. Und auch Sätze wie „Der Klassenraum war für zwanzig Schüler groß“ sollten keinesfalls so stehen gelassen werden.

Alles in allem hat Lukianenko mit „Das Schlangenschwert“ einen interessanten und intelligenten Roman abgeliefert. Zwar entwickelt sich der Plot eher gemächlich, letztlich kam es der eigentlichen Thematik aber zugute, dass der Autor seine Geschichte nicht in Action ertränkt hat. Er lässt seinem Protagonisten viel Zeit zum Nachdenken und auch zu Gesprächen mit seinem Freund Lion. Und da Tikkirej aufgrund seiner Herkunft ein eher frühreifer und ernsthafter Junge ist, beschäftigen ihn auch seriöse Themen. Das rückt vor allem ethische Fragen in den Vordergrund, die auch in unserer Gesellschaft heiß diskutiert werden: Ist es erlaubt, in das Persönlichkeitsrecht von Menschen derart einzugreifen, dass man ihre eigenen Gedanken und Überzeugungen einfach überschreibt oder verändert, und sei es auch nur, um Gewalttaten oder andere Verbrechen zu verhindern? Ist es erlaubt, die Angehörigen einer Gruppe genetisch so zu verändern, dass ihr freier Wille zumindest teilweise eingeschränkt wird, und sei es auch nur, um das Überlaufen eines Anakin Skywalker zu verhindern? Zumindest auf eine dieser Fragen gibt Lukianenko eine eindeutige Antwort.

_Sergej Lukianenko_ studierte Medizin und arbeitete zunächst als Psychiater, schreibt aber bereits seit Anfang der Achtziger. Zunächst veröffentlichte er vor allem Kurzgeschichten. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit „Wächter der Nacht“; seither hat er eine ganze Liste von Zyklen und Romanen geschrieben und mehrere Preise erhalten. Derzeit ist sein neuester Roman „Spektrum“ bei |Heyne| erhältlich.

http://www.schlangenschwert.de/
http://lukianenko.ru/eng/
http://www.rusf.ru/lukian/english/index.htm

_Sergej Lukianenko bei |Buchwurm.info|:_

[„Wächter der Nacht“ 1766 (Rezension von Dr. Maike Keuntje)
[„Wächter der Nacht“ 1828 (Rezension von Dr. Michael Drewniok)
[„Wächter der Nacht“ 3028 (Hörbuchfassung, Rezension von Meike Schulte-Meyer)
[„Wächter des Tages“ 2390 (Rezension von Dr. Maike Keuntje)
[„Wächter des Zwielichts“ 2910 (Rezension von Dr. Maike Keuntje)

Stroud, Jonathan – Drachenglut

Jonathan Stroud gehört zurzeit für das Genre der fantastischen Jugendbücher zu den angesagtesten Schriftstellern Großbritanniens. Doch Stroud hat sich längst in ganz Europa und darüber hinaus einen Namen gemacht. Mit der [Bartimäus-Trilogie 353 hat er eine großartige Jugendbuchreihe abgeliefert, die zu Recht mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet und beim Lesepublikum begeistert aufgenommen wurde. Mit „Drachenglut“ hat Boje nun ein früheres Werk des Autors veröffentlicht, das in England bereits 1999 erschien ist.

Obwohl es auf dem Buchrücken als „Fantasy vom Feinsten“ angepriesen wird, sollte der Leser keinen Vergleich zu „Bartimäus“ ziehen, um nicht anschließend enttäuscht zu werden. „Drachenglut“ richtet sich zwar aufgrund der einfachen Sprache auch vorrangig an junge Leser, doch der Roman spielt im Gegensatz zu „Bartimäus“ in der realen Welt und weist nur einige wenige fantastisch-mystischen Elemente auf – auch wenn dies das optisch ansprechende Cover mit einem glühenden Drachenauge und der Klappentext auf dem Buchrücken aus verkaufstechnischen Gründen nicht unbedingt zu erkennen geben.

_Inhalt_

Tom Aubrey ist erst seit kurzem Pfarrer des kleinen Ortes Fordrace und schon jetzt mit seiner hektischen Art bei einigen der verschlafenen Gemeindemitgliedern nicht so gut angesehen. Er bringt neues Leben in die Gemeinde hinein und damit genau das, was die konservativen Dörfler am wenigsten wünschen. Die Startschwierigkeiten sind jedoch plötzlich alle vergessen, denn mit einem eigenartigen Fund ändert sich die Situation drastisch. Bauarbeiter, die das Fundament der Kirche ausbessern und die zum Teil maroden Wände stützen wollen, stoßen nämlich über einen im Erdreich vergrabenen Gegenstand. Nachdem der Pfarrer informiert und die Grube gesichert ist, stellt sich der Fund als riesiges Kreuz heraus, das mit feinen Reliefs versehen ist. Der eingravierten Symbolik nach könnte es aus der Keltenzeit stammen – lange bevor das Dorf gegründet wurde. Leider ist einer der Balken abgebrochen, so dass das Kreuz nicht vollständig geborgen werden kann.

Dennoch ist das Dorf Feuer und Flamme und alle Bewohner sind in Aufruhr. So etwas hat man hier lange nicht mehr erlebt. Die Presse stürzt sich gierig auf jede noch so kleinen Neuigkeit und Museumswärter reisen extra aus der Nachbarstadt an, um das Kreuz so schnell wie möglich untersuchen zu können. Tom fühlt sich in seinem Element und genießt es, sich vor der Gemeinde als fähiges Kirchenoberhaupt beweisen zu können.

Doch die Erfolgsmomente schwinden genauso schnell, wie sie gekommen sind. Nur einen Abend nach dem grandiosen Fund wird in der Kirche eingebrochen. Zunächst scheint nichts gestohlen, doch dann bemerkt Pfarrer Tom Aubrey, dass aus dem gegrabenen Loch ausgerechnet das fehlende Balkenstück entfernt wurde. Das kann kein Zufall sein, irgendjemand will nicht, dass die Bewohner mehr über die Funktion des Kreuzes in Erfahrung bringen kann. Vom Ehrgeiz gepackt, forscht der Pfarrer auf eigene Faust nach und gerät immer mehr hinter die Geheimnisse des keltischen Kreuzes.

Parallel zur Handlung um Tom wird die Perspektive auf eine weitere Person namens Michael gerichtet. Auch er wohnt wie Tom Aubrey in Fordrace. Zusammen mit seinem Bruder Stephen und seiner älteren Schwester Sarah, die im Übrigen eine Beziehung zu Tom pflegt, versucht er sein Leben ohne den schützenden Einfluss seiner Eltern zu arrangieren. Michael spaziert gerne zum Wirrin, einem Höhenrücken etwas abseits gelegen, um dort die Seele baumeln zu lassen und seinen Gedanken nachzuhängen. So auch an dem Tag, an dem das Kreuz ausgegraben wird. Dies hätte er besser nicht getan, denn was er nicht weiß, ist, dass unter dem Wirrin seit Jahrhunderten ein Drache schlummerte – der nun durch die Aushebung des Kreuzes erwacht. Zwar kann er sich noch nicht selbst erheben, aber er schickt Michael seine düsteren Träume und kann auf ihn eine Macht übertragen, die ihm besondere, äußerst machtvolle Fähigkeiten verleiht.

Michael ist zunächst völlig überfordert und kann seine Kräfte nicht richtig einordnen. Verstört kehrt er zu Stephen und Sarah zurück. Diese erkennen ihren Bruder nicht wieder. Sie vermuten sogar, dass er zu Drogen gegriffen hat. Doch Michael lässt Stephen schließlich in seine Augen blicken und zeigt ihm, was nun tief in seinem Inneren brodelt: die Macht des Drachen, die sich in seinen nun rötlich pulsierenden Pupillen widerspiegelt.

Die Fäden von Tom und Michael laufen schließlich beide zusammen und die vier Hauptcharaktere finden sich in einem Strudel der Ereignisse wieder, der ihnen alles abverlangt. Und nicht alle sind stark genug, um sich dem Angebot einiger düsterer Gesellen, den Drachen aus seinem Schlaf zu wecken, entgegenzustellen.

_Bewertung_

Schon nach der Lektüre der ersten Seiten wird klar, dass Jonathan Stroud mit „Drachenblut“ nicht an seinen „Bartimäus“-Erfolg anknüpfen kann. Natürlich lässt sich der vorliegende Roman nicht direkt mit seinem Bestseller vergleichen, da er ein völlig anderes Genre bedient und nur vereinzelt fantastische Motive eine Rolle spielen. Aber sowohl was die Gestaltung der Charaktere, des Plots als auch der Stilistik angeht, spielt der Roman in einer deutlich niedrigeren Liga. Dies sollte nicht heißen, dass „Drachenblut“ ein schlechtes Buch geworden wäre. Im Gegenteil, die Hauptfiguren sind sympathisch und werden miteinander in eine spannende Konstellation gesetzt. Zwar bleiben sie, nicht zuletzt durch die Kürze des Romans, insgesamt recht blass, ihre Motivationen sind allerdings stets nachvollziehbar. Auch die Geschichte vermag den Spannungsbogen bis zum Ende zu halten. Da im Laufe des Geschehens immer mehr Geheimnisse um die Symbolik und Bedeutung des Kreuzes gelüftet werden, die die Ereignisse in ein neues Licht rücken, fiebert der Leser mit Tom, Michael, Stephen und Sarah und ihren jeweiligen Interessen. Überraschungen und unerwartete Wendungen darf man nur wenige erwarten, und selbst diese sind meist vorhersehbar. Dafür gestaltet sich der Plot dann doch zu klassisch. Stroud beherrscht also sein Handwerk und hält den Leser bei der Stange; ihn faszinierend in seinen Bann zu schlagen, gelingt ihm aber nicht.

Als größter Minuspunkte muss dabei auch das Ende gewertet werden, das leider den geweckten Erwartungen nicht entsprechen kann, ein anderer finaler Ausgang wäre wünschenswerter gewesen.

_Fazit_

Wer seine Ansprüche nicht zu hoch ansetzt und keinen neuen „Bartimäus“ erwartet, wird mit „Drachenglut“ gut unterhalten. Der Roman erreicht auf keiner Ebene den Witz und Charme von Strouds Bestseller, sondern präsentiert sich lediglich als nette Unterhaltungsliteratur – nicht mehr und nicht weniger.

Das Buch ist solide geschrieben, die Übersetzung ins Deutsche ordentlich und für einen entspannten Lesenachmittag durchaus zu empfehlen. Eine Meisterleistung ist Stroud jedoch nicht geglückt. Zu bedenken gilt hier, dass es eben etliche Jahre vor seinem großen Wurf erschienen ist. Dass der Roman in Deutschand nachveröffentlicht worden ist, lässt sich unter dem Gesichtspunkt von Strouds wachsender Beliebtheit durchaus nachvollziehen – aber eher unter verkaufstechnischen als unter qualitativen Gründen.

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Pullman, Philip – Graf Karlstein

Das Bergdorf Karlstein in der Schweiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Die 14-jährige Hildi arbeitet als Dienstmädchen im Schloss des finsteren Grafen Karlstein. Sie nutzt jede sich bietende Gelegenheit, um ihre Mutter, die den nahe gelegenen Gasthof führt, zu besuchen. Der einzige Trost auf dem düsteren Anwesen mit seinem unsympathischen Herrn sind die Nichten des Grafen. Die 10-jährige Charlotte und die 13-jährige Lucy sind Waisen, die vor einem Jahr vom Grafen notgedrungen aufgenommen wurden. Hildi versteht sich gut mit den jungen Fräuleins, die am liebsten zu später Stunde Gruselgeschichten lesen.

Eines Abends belauscht Hildi zufällig ein Gespräch des Grafen. Der Inhalt ist furchtbar: Der Graf hat vor zehn Jahren einen Pakt mit dem Höllenfürsten Samiel geschlossen, der ihm zu Reichtum und Macht verhalf. In wenigen Tagen, in der Nacht vor Allerseelen, verlangt Samiel seine Bezahlung in Form einer Menschenseele. Der Graf plant, ihm seine beiden ahnungslosen Nichten in einer Jagdhütte auszuliefern. Hildi warnt die Fräuleins und verhilft ihnen zur Flucht, hinaus in die eisige Kälte des Waldes.

Von jetzt an schweben die drei Mädchen in großer Gefahr. Der Graf nimmt sofort die Suche auf, denn wenn er die Mädchen nicht rechtzeitig findet, wird Samiel ihn selber als Opfer holen. Während Hildi scheinbar ahnungslos zurückkehrt und insgeheim fieberhaft nach einem Ausweg sucht, kommen noch weitere Personen ins Spiel: Der verwegene Zauberer Doktor Cadaverezzi hält im Gasthof seine Vorstellung ab und wird in die Flucht der Mädchen verwickelt, ebenso wie Hildis Bruder Peter, der aus dem Gefängnis geflohen ist. Können die Mädchem dem windigen Zauberkünstler vertrauen? Schaffen sie es, dem Grafen zu entkommen? Und wessen Seele wird sich Samiel mit seiner Wilden Jagd holen …?

Ein Schauerroman für Kinder, an dem auch junggebliebene Erwachsene ihre Freude haben – mit diesen Worten lässt sich Philip Pullmans Frühwerk auf den Punkt bringen. Dieser kleine aber feine Roman verdankt seine Entstehung einem Theaterstück, das der Autor, damals noch als Lehrer tätig, mit sichtlichem Vergnügen für seine Schulgruppe schrieb und aufführen ließ.

|Zwischen Grusel und Parodie|

Es sind gar schaurige Elementen, die Philip Pullman auf den Plan ruft. Ein düsteres Schloss mit einem noch düstereren Hausherrn sorgt für eine unheilvolle Atmosphäre. Es ist ein kalter Oktober, Allerseelen steht vor der Tür und die abergläubische Bevölkerung fürchtet sich vor der Wilden Jagd des höllischen Samiel. Auch flüchtige Verbrecher, windige Scharlatane, kriecherische Diener, Gefangenschaft und Identitätsverwechslungen dürfen nicht fehlen, gehören sie doch in das typische Schema eines altmodischen Schauerromans. Dass junge Leser sich trotzdem nicht zu Tode gruseln und Erwachsene ihre hintergründige Freude erleben können, liegt an dem satirischen Einsatz all dieser Mittel. Fast jede Figur, insbesondere die Bösewichte, ist bis zur Karikatur überzeichnet und fordert den Leser zum Amüsieren heraus, allein schon durch die meist bewusst lächerlichen Namen. Da sind der abstoßende Graf, der in seiner ständigen Nervosität an den Fingernägeln knabbert, der unterwürfige Handlanger Schniefelwurst, der gleich mehrmals unerfreuliche Bekanntschaft mit eiskaltem Flusswasser machen muss, der tollpatschige Wachtmeister Snitch und sein nicht weniger ungeschickter Kollege Gendarm Winkelburg und die garstige Dienerin Frau Müller. Für frischen Wind sorgt der charismatische, wortgewandte und durch und durch zweifelhafte Schausteller Doktor Cadaverezzi, der nicht nur durch seinen komplizierten Namen, sondern auch durch seine fabelhaften Ausreden und seine Wendigkeit die Polizisten zur Verzweiflung bringt; sein gutmütiger und einfach gestrickter Gehilfe Max, der nur Augen für seine Dauerverlobte Eliza besitzt, und die energische Lehrerin Miss Augusta Davenport, die auch in den heikelsten Situationen die Handschrift ihres Zöglings Fräulein Lucy rügt.

Abwechslung bringt auch die Erzählform hinein, da zwar hauptsächlich aus Hildis Perspektive berichet wird, zwischendurch aber auch andere Personen zu Wort kommen, wobei natürlich jedes Kapitel im Tonfall genau auf seinen Sprecher abgestimmt ist – etwa wenn der wenig schreibkundige Max seinen Bericht seiner Verlobten diktiert, die ihn offenbar währenddessen immer wieder von Abschweifungen abhalten muss. Gegen Ende spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu, und auch wenn man niemals einen schlimmen Ausgang befürchten muss, sorgt das Erscheinen des dämonischen Samiel dennoch für eine effektvolle Gänsehaut.

Es sind zwar junge Leser im Jugendalter, für die der Roman in erster Linie geschrieben ist, doch auch Erwachsene mit Sinn für Humor können die Geschichte mit bestem Gewissen genießen. Die Legenden der Wilden Jagd und vor allem der Freischütz und Samiel sind Kindern und Jugendlichen nicht unbedingt bekannt, sodass vorhandenes Hintergrundwissen belohnt wird und jeder Gruselfreund zumindest einen Blick in das Werk werfen sollte. Philip Pullman gelingt ein wunderbarer Ausgleich zwischen Spannung und Humor. Seine Figuren müssen schwierigste Hindernisse überwinden und geraten immer wieder in Lebensgefahr, doch auf fast jeder Seite wird der Leser gleichzeitig zum Amüsieren angeregt. Die Personen handeln teilweise mit einer hinreißenden Umständlichkeit oder denken in den unmöglichsten Situationen an unwichtige Dinge wie die Etikette. Manche Stellen sind von einer so niedlichen Naivität, dass man kaum weiß, ob man lachen oder den Kopf schütteln soll ob der Verhaltensweisen – und entscheidet sich meist für beides, etwa wenn die gefangene Charlotte in ihrem Zimmer aus lauter Einsamkeit Freundschaft schließt mit einem Perückenkopf aus Holz, dem sie ihr ganzes Leid erzählt. „Herr Holzkopf“, wie sie ihren neuen „Freund“ von nun an nennt, hört ihr „mit bewundernswerter Geduld zu“ und darf daher auch auf der Flucht natürlich nicht fehlen, auch wenn sich seine Mitnahme umständlich gestaltet.

|Bunte Vielfalt an Charakteren|

Der größte Sympathie- und Identifikationsträger ist natürlich die Haupterzählerin Hildi. Das junge Mädchen, das so harte Arbeit verrichten muss, schließt man bereits nach den ersten Seiten ins Herz. Auch die beiden Fräuleins Lucy und Charlotte entpuppen sich als liebenswerte Mädchen, wie Hildi nicht makellos, sondern eher bodenständig und emotional. Die Mädchen erlauben sich auf ihrer Flucht Schwächen und zeigen ihre Ängste, geraten in Fallen und machen Fehler – sie sind keine perfekten Heldinnen, sondern normale, verängstigte Mädchen, die mit allen Mitteln ihrem grausamen Onkel entkommen müssen und dabei teilweise an ihre Grenzen stoßen. Ein interessanter Charakter ist Hildis Bruder Peter. Der Achtzehnjährige ist ein begabter Schütze, der wegen Wilderei ins Gefängnis gesperrt wurde und nach seiner Flucht im Keller des Gasthofes untergetaucht ist. Hier wartet er auf das kommende Wettschießen, dessen Sieg ihm ein neues Leben einbringen könnte. Obwohl Peter die meiste Zeit der Handlung über nicht auf der Bildfläche präsent ist, bildet sein Schicksal unterschwellig eine weitere Spannungskomponente. Der Leser fragt sich automatisch nicht nur nach dem Ausgang des dramatischen Samiel-Paktes, sondern erhofft sich auch für Hildis Bruder eine positive Wendung. Für das liebenswerte Pärchen Max und Eliza drückt man die Daumen, dass es endlich mit der ersehnten Hochzeit klappen möge, und beim windigen Doktor Cadaverezzi ahnt man bereits sehr früh, dass er am Ende eine bedeutendere Rolle spielen wird als nur die des amüsanten Schaustellers.

|Keine echten Schwächen|

Auch bei strenger Betrachtung lassen sich nur wenige Aspekte des Romans bemängeln. Im parodistischen Sinne passend, aber für erfahrene Leser vielleicht etwas unbefriedigend ist der Schluss, der sehr viele Fäden zusammenlaufen lässt und wie in einem Märchen einen erhellenden Sinn ergibt. Dabei spielt der Zufall keine geringe Rolle und man fühlt sich an Trivialromane erinnert, in denen jeder Hauptcharakter mit einem persönlichen Happy-End belohnt wird. Da das Werk jedoch gerade auch dieses Genre aufs Korn nimmt, sind diese Entwicklungen nachvollziehbar und sollten mit einem Augenzwinkern gelesen werden. Ein wenig schade ist dagegen die knappe Abhandlung des Endes. Auf den letzten beiden Seiten werden die weiteren Verläufe der Schicksale zusammengefasst; dabei wird leider nicht auf Peter eingegangen, obwohl er keine geringe Rolle in der Handlung einnimmt und man gerne noch mehr über ihn erfahren hätte. Etwas gewöhnungsbedürftig ist auch die Zusammenstellung der verschiedenen Perspektiven. Es gelingt dem Autor zwar geschickt, sich der passenden Tonfälle zu bedienen, doch es fordert jeweils eine kleine Einlesezeit, bis man sich an den neuen Erzähler gewöhnt hat. Ein wenig zu effekthaschend erscheint auch der übertriebene Gebrauch von Cliffhangern – kaum dass ein Charakter sich in einer heiklen Lage befindet, wird zum nächsten Kapitel übergeblendet oder sogar von einer anderen Person weiterberichtet. Für den geringen Umfang von nicht einmal 250 Seiten ist das Buch überladen mit Motiven, Handlungssträngen und immer neuen Einfällen, die gut und gerne ein Epos füllen könnten und die auf dem gedrängten Raum das Wohlwollen des Lesers fordern. Dank der humorvollen und sich selbst nicht wirklich ernst nehmenden Umsetzung aber ist man bereit, dieses Übermaß zu akzeptieren und den Klamauk mit Vergnügen zu verfolgen.

_Als Fazit_ bleibt ein wunderbarer Kinder- und Jugendroman in der Tradition alter Schauerromane, der auch für Erwachsene perfekte Unterhaltung bietet. Auf gelungene Weise verbindet das Werk Humor mit Grusel, parodiert bekannte traditionelle Elemente des Schauerromans und hält die unheimlichen Elemente in einem kindgerechten Rahmen. Wer Spaß an märchenhaften Romanen hat und sich für romantisch-unheimliche Sagen interessiert, sollte an diesem Frühwerk des heutigen Bestseller-Autors auf keinen Fall vorübergehen.

_Der Autor_ Philip Pullman, geboren 1946 in Großbritannien, reiste in seiner Kindheit durch Simbabwe, Australien, London und Wales, studierte später Anglistik in Oxford und arbeitete als Lehrer. Der Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm mit seiner Trilogie „His Dark Materials“ (Der Goldene Kompass, Das Magische Messer, Das Bernsteinteleskop), einer Jugend-Fantasyreihe. Daneben verfasst er auch Kinder- und Bilderbücher und doziert nebenbei am Westminster College in Oxford. Weitere Werke von ihm sind u. a.: die Sally-Lockhart-Reihe, „Lila lässt die Funken fliegen“, „Ich war eine Ratte“ und „Das Eiserne Herz“.

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