Archiv der Kategorie: Fantasy / Science-Fiction

Martinez, A. Lee – Kompanie der Oger, Die

_Ein Leben nach dem Diner des Grauens._

Erst letztes Jahr durften wir uns an einem flockigen Horrorspaß erfreuen, als A. Lee Martinez eben jenes Genre durch den Kakao zog. Aber Martinez ist ein umtriebiger Bursche, der schon bei der Veröffentlichung vom [„Diner des Grauens“ 2614 ankündigte, dass „The Nameless Witch“ schon so gut wie fertig sei, „Nessys Castle“ ebenfalls, dass der Autor an einer Noir-Verhohnepipelung mit dem Titel „Automatic Detective“ bastle und dass „Die Kompanie der Oger“ schon längst vollendet wäre. Was bleibt, ist die bange Frage: Wie sieht es mit Qualität aus in diesem schaffenstechnischen Sturzbach? Die Werbemaschinerie ist jedenfalls voll des Lobes:

_Schneller, bunter, besser …_

So wird sie nämlich angekündigt, die Geschichte um „Never Dead Ned“, einen Angestellten in der Buchhaltung der „Unmenschlichen Legion“. Ganz seinem Namen entsprechend tut sich Ned nämlich ziemlich schwer mit dem Sterben – oder besser ausgedrückt: Mit dem Totbleiben, denn über den Jordan hopst er relativ häufig. Es ist nachzuvollziehen, dass ständiges Ableben keine sehr angenehme Sache ist, und deswegen fühlt sich Ned in seiner recht ungefährlichen Buchhaltung ziemlich wohl. Das ändert sich allerdings, als er versetzt wird: Fortan soll er die Kompanie der Oger befehligen, einen himmelschreiend verkommenen Haufen, der sich derart an die Vorzüge fehlender Vorgesetzter gewöhnt hat, dass jedem Neuankömmling im Offiziersgewand rasch ein unglückliches Unglück widerfährt …

Nun ja, aber selbst die dümmsten Oger bemerken irgendwann, wie sinnlos die Anstrengung ist, jemanden töten zu wollen, der einfach nicht tot bleibt. Ned darf sich also fortan darum bemühen, seiner Truppe etwas Disziplin beizubiegen und bekommt es dabei mit allerlei schräger Fabelbevölkerung zu tun: Da gibt es einen Gestaltwandler, eine Amazone, eine Sirene, ein Baumwesen, eine fette Elfe, ein blindes Orakel und außerdem Oger, Orks und Kobolde.

Der erste Konfliktstoff zeichnet sich ab, als sich die sonst männermordende Amazone Regina in Ned verguckt, denn ihre Rivalin Miriam hat einen sehr eindrucksvollen Vorteil: Sie ist eine Sirene.

Zwischen deren Kabbeleien versucht sich Ned mit dem Kämpfen vertraut zu machen und wird dabei wiederum versehentlich ins Jenseits befördert, aus dem ihn, wie immer, die geheimnisvolle rote Frau zurückholt. Das ist dann auch der Punkt, an dem der Leser erfährt, dass es einen Grund dafür gibt, warum Ned stets von den Toten zurückgeholt wird. Dieser Grund zitiert dann auch einen mächtigen Zauberer herbei und, was noch viel schlimmer ist, einen herrschsüchtigen Dämonen, der (mal wieder) die Macht über alles und jeden erringen will. In einem gigantischen Schlachtengetümmel darf die Kompanie der Oger schließlich zeigen, was sie wert ist.

_Zu früh geschossen, mein Herr!_

Schon das „Diner des Grauens“ hatte in der Ehrenloge der Fun-Fantasten nichts verloren. Ein weiter qualitativer Abstand musste da attestiert werden, zu Asprins Dämonenzyklus, zu Pratchetts Scheibenwelt und natürlich zum „Per Anhalter durch die Galaxis“-Zyklus von Adams. Es war zwar nicht zu erwarten, dass sich „Die Kompanie der Oger“ plötzlich in die Riege der Meister einreihen dürfen würde, aber ein wenig mehr hatte ich mir vom „Diner …“-Nachfolger schon erhofft.

Die Story hat ein entscheidendes Problem: Sie kann sich nicht entscheiden. Herumalbern? Oder dem Leser etwas Spannendes erzählen? Zwar punktet der Anfang durchaus mit amüsanten Betrachtungsweisen der Eigenarten bestimmter Spezies, aber über ein paar müde Schmunzler kommt man selten heraus: Wenn es etwa um die „musikalischen Fähigkeiten“ von Orks geht, oder um gynäkologische Andeutungen, die den Erregungszustand von Trollfrauen betreffen. Von einer Story ist da weit und breit noch nichts zu bemerken. Na gut, man kann der Amazonenkriegerin und der Sirene dabei zusehen, wie sie sich um Ned kabbeln, und jede der Figuren darf in amüsanten kleinen Szenen ihre Eigenarten zur Schau stellen, aber ohne eine gescheite Handlung fängt man irgendwann an, unruhig auf dem Buchrücken herumzutippen: Alles klar! Lustig. Wie sieht’s mit Story aus? Die kommt spät. Und sie donnert dem Leser den Fantasy-Standard-Holzhammer vor den Schädel. Aber dazu später.

Vorher noch ein paar Worte zum Humor, denn der sitzt diesmal alles andere als sicher. Viel zu oft scheint Martinez aus der Hüfte zu schießen und viel zu oft landet er dabei nur halbherzige Treffer. Am schlimmsten daran: Es klingt alles wie eine missglückte Huldigung des Scheibenwelt-Humors.

Beim „Diner des Grauens“ hat auch nicht jede Pointe gesessen, aber alles war ausgewogener und liebevoller: An schrägen Fabelfiguren gab es eigentlich nur Earl, den weinerlichen Vampir, und Duke, den jähzornigen Werwolf; das schräge Potenzial beider Figuren wurde da viel besser ausgenutzt! In der „Kompanie der Oger“ gibt es viel mehr Schräges, aber Martinez hat sich keine Mühe gegeben, auszuschöpfen, was die Ideen hergegeben hätten – abgesehen vielleicht von einem toll choreographierten Gefecht zwischen Amazone Regina und dem Gestaltwandler Seamus.

Im letzten Drittel des Buches geht der Humor dann in einem Action-Feuerwerk fast vollkommen unter. Natürlich versucht sich Martinez noch in amüsanten Vergleichen und unterhaltsamen Bildern, aber die Story selbst ist ein bierernster Showdown um Neds Schicksal. Das ist wie gesagt auch das Dilemma der „Kompanie der Oger“. Es ist zu wenig amüsant für einen echten Schenkelklopfer und viel zu klischeehaft und vorhersehbar für einen ernst zu nehmenden Fantasyroman. Martinez hat, man muss es leider sagen, eine lieblose Geschichte zusammengezimmert und dann versucht, sie mit seiner Situationskomik zu „beleben“. Hat nicht funktioniert.

Okay, auch spätere Werke aus der Fließbandproduktion eines Terry Pratchett hatten ihre Längen, aber selbst seine schwächsten Scheibenwelt-Bücher haben den Leser nie mit seitenlangen Schlachtenszenen gelangweilt. Pratchetts Glanzleistungen zeichneten sich außerdem nicht nur durch amüsante Szenen aus, sondern konnten vor allen Dingen immer mit scharfsinnigen und pointierten Spannungsbögen punkten, mit einer Grundidee, über die man meist noch Wochen nach Lesegenuss gelacht hat, vollkommen unkontrolliert, mitten im Schulbus manchmal, wofür man sich dann den einen oder anderen verwunderten Blick eingefangen hat. Und so etwas fehlt der „Kompanie der Oger“ vollkommen: Die Idee um die Unsterblichkeit von Never Dead Ned kann es nicht ansatzweise mit den schreiend absurden Gedankenspielereien aufnehmen, die es etwa im unvergesslichen „Schweinsgalopp“ zu lesen gibt. Die Idee hinter Neds Unsterblichkeit ist einfach derart unsensibel an den Haaren herbeigezogen, dass sie eigentlich schreien müsste. Schade! Da kann man nur hoffen, dass Martinez von seinem Fließband-Trip herunterkommt und seine Geschichten künftig mit Ruhe und Liebe ausfeilt.

http://www.piper-verlag.de

Troisi, Licia – Auftrag des Magiers, Der (Die Drachenkämpferin 2)

Band 1: [„Im Land des Windes“ 2488

_Story_

Nach der unschönen Trennung zwischen Sennar und Nihal gehen die beiden einstigen Lehrlinge ihren Weg fortan alleine. Sennar hat vom hohen Rat der Magier den Auftrag bekommen, die Reise in die Untergetauchte Welt anzutreten und dort nach Verstärkung im Kampf gegen den schier übermächtigen Tyrannen zu suchen. Noch nie zuvor ist jemand aus dieser Welt zurückgekehrt, so dass auch Sennar sich damit abfindet, eventuell in einer tödlichen Sackgasse zu landen. An Bord eines Piratenschiffes, dessen Besatzung er auf der Überfahrt nicht nur fürstlich entlohnt, sondern auch durch den Einsatz von Magie vor dem Tod bewahrt, gelingt es ihm tatsächlich, bis in die Nähe der mystischen Unterwasserwelt vorzudringen. Doch dort angekommen, stellt sich sein Unterfangen als beinahe aussichtslos heraus. Er wird sofort eingekerkert, und sein unvermeidlicher Schuldspruch scheint ihm den befürchteten Tod zu bringen. Ganz auf sich alleine gestellt, muss er nun beweisen, dass er ein würdiger Vertreter des Rates ist und den Frieden für alle Länder zum Ziel hat.

Unterdessen sucht auch Nihal innerhalb der Armee der Drachenritter nach Unterstützung im Kampf gegen den Tyrannen. Sie wird in ein fremdes Lager ausgesandt und trifft auf ihrem Weg den alten Weggefährten Laio, der nach wie vor bis ins Mark verängstigt, aber dennoch bereit ist, seiner Bestimmung als Knappe der Drachenritter zu folgen. Jedoch ist sein Vater ein mächtiger Mann an der Spitze der Armee und verachtet seinen Sohn. Noch während sie Laio in Schutz nimmt und ihn dazu ermutigt, sich dem Wahnsinn seiner Familientradition zu widersetzen, erfährt sie immer mehr über ihre verborgene Vergangenheit – bis sie eines Tages vor dem Angesicht des Mannes steht, der einst ihr Volk ausrottete und nun auch die letzte Halbelfin beseitigen möchte. Doch damit nicht genug: Der fürchterliche Gnom Dola hat eine unverhoffte Verbindung zu einem ihrer engsten Freunde …

_Persönlicher Eindruck_

Ein geschlagenes Jahr hat man auf die Fortsetzung des fabelhaften Auftakts der Trilogie um die Drachenkämpferin Nihal warten müssen, ein Jahr jedoch, in dem die sympathische Geschichte um die ehrgeizige junge Halbelfin und ihren Verbündeten aber nie so wirklich aus dem Gedächtnis verschwunden war. Nun liegt seit dem Frühjahr die deutsche Erstausgabe des zweiten Romans der italienischen Erfolgsautorin Licia Troisi in den Händlerregalen bereit und erfreut sich dort, völlig zu Recht, anscheinend recht großer Beliebtheit.

Anders als noch im ersten Band konzentriert sich die Autorin dieses Mal verstärkt auf den zweiten Protagonisten Sennar, dessen Abenteuer an Bord des Piratenschiffes zwar nicht mehr ganz dem Fantasy-Bereich zuzuordnen sind, die sich aber dennoch einfach fabelhaft lesen. Zwar ist die Übersetzung sprachlich betrachtet nicht wirklich anspruchsvoll und die Geschichte damit auch eher auf ein jugendliches Publikum zugeschnitten, aber alleine schon durch die fantastische Erzählatmosphäre wird die manchmal etwas kindliche Sprache mit Leichtigkeit wieder aufgefangen. Des Weiteren besitzt Troisi ein echtes Talent dafür, neue Welten zu umschreiben und Stimmungen und Emotionen zu vermitteln. Auch „Der Auftrag des Magiers“ besticht abseits der actionreichen Abenteuerhandlung mit tollen Umschreibungen von Zwischenmenschlichem, den dazugehörigen wunderbaren Charakterzeichnungen und schließlich mit einem sehr detailliert entworfenen Setting, das nicht zu Unrecht sehr stark an das umjubelte literarische Werk von [„Eragon“ 3228 erinnert.

Indes durchleben unsere tapferen beiden Helden zahlreiche Gefahren, werden vor schwierige Entscheidungen gestellt und kämpfen gegen unzählige Widerstände, um ihre Verbündeten von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Sowohl Sennar als auch Nihal trachten nach nichts anderem als einem Leben in Frieden und sind fest entschlossen, selbst gegen die Obrigkeit ihres Standes eine kleine Palastrevolution anzuzetteln. Dies bewirkt einmal mehr, dass man sich sofort mit der nunmehr zum Drachenritter gekürten Heldin verbunden fühlt. Ihr unbändiger Wille sowie ihr oftmals verzweifelter Heldenmut sind Attribute, mit denen man sich als Anhänger des Genres auf Anhieb identifizieren möchte. Und ebenso fühlt man mit ihr, als sie von einem intriganten Verrat erfährt, ihr persönliches Schicksal am seidenen Faden hängt oder aber ihre Herkunft von grausamen Schatten verdunkelt wird. Im Laufe des Buches ist es schließlich doch wieder Nihal, die als eigentliche Heldin im Vordergrund steht. So fantastisch Sennars Auftritt zu Beginn auch sein mag: Nihal ist es, die in „Die Drachenkämpferin II“ die Akzente setzt und dem Leser schlussendlich wieder die entscheidende Begeisterung vermittelt – und das will beim tollen Start an Bord des Piratenschiffes durchaus etwas heißen.

Ein nennenswerter Minuspunkt ist indes, dass die Spannung häufig durch die recht eindeutigen Überschriften genommen wird. Gerade erst entwickelt sich ein weiterer Bogen, doch mit dem Ende eines Kapitels, also just an dem Zeitpunkt, an dem man gar nicht mehr abwarten kann, wann die individuelle Bombe platzt, folgen Überschriften, die in wenigen Worten zusammenfassen, welchen Lauf die Handlung nehmen wird. Und gerade zum Schluss, wo sich einige inhaltliche Puzzlestücke nahtlos zusammenfügen, wünscht man sich schon, dass die Geschichte über die Erzählung als solche transferiert wird und man nicht schon vorab die Highlights herausfiltern kann. Dies wird sicherlich auch dadurch begünstigt, dass manche Charaktereigenschaften und künftige Handlungsstränge in groben Zügen vorhergesagt werden können. Es fällt schwer zu glauben, dass Nihal eines Tages ihrem Schicksal erliegen wird, so oft sie dieses Mal auch am Rande des Todes steht, und auch ein Ableben Sennars würde für den Verlauf der Geschichte eher ein ungünstiges Handlungselement darstellen, da die Wege der beiden Protagonisten auf kurz oder lang sowieso zusammenzuführen scheinen.

Allerdings ist es auch in „Der Auftrag des Magiers“ die Art und Weise, wie Licia Troisi die Verknüpfungen herstellt, die den Leser letztendlich mitreißt. Die herrliche Atmosphäre, die sympathischen Charaktere und die grundsätzlichen, netten Ideen machen auch den zweiten Teil der Trilogie zu einem Festival der Fantasy-Literatur für junge Leser, welches einerseits zwar keine großen Ansprüche an die Leserschaft stellt, dafür aber andererseits mit wertvollen Attributen glänzt. Ich schließe mich der Meinung an, dass diese Italienerin zu den hoffnungsvollsten Vertreterinnen der modernen Fantasy gehört und gebe ein zweites Mal meine Empfehlung für „Die Drachenkämpferin“.

http://www.drachenkaempferin.de/
http://www.heyne.de

Schäfer, Rüdiger – Atlan – Das Sphärenrad (Rudyn-Trilogie 2)

Band 1: [„Die Psi-Kämpferin“ 4061

_Story_

Die Anzeichen der Existenz eines weiteren Zellaktivgators führen Atlan fortan mit seiner neuen Kollegin Trilith Okt nach Rudyn, einem Stützpunkt der Zentralgalaktischen Union, die der USO gegenüber zwar diplomatisch eingestellt ist, die United Stars Organisation und ihre Anführer Atlan und Perry Rhodan jedoch nicht in ihrem Machtbereich duldet. Insofern ist auf der Reise ins Ephelegon-System größte Vorsicht geboten, zumal die Kalfaktoren Rudyns derzeit mit der Aufrüstung eines gewaltigen Sphärenrads beschäftigt sind, welches dem Volk sowohl militärischen als auch wissenschaftlichen Fortschritt gewähren soll.

Allerdings wird die Suche nach dem Zellaktivator gleich von mehreren problematischen Umständen begleitet, die außerhalb des Einflusses des Lordadmirals liegen. Die politische Führung Rudyns ist in Intrigen und Hinterlisten verstrickt, angeführt vom Kalfaktor der Wissenschaften Ponter Nastase, der sich still und heimlich den kürzlich auf Finkarm entdeckten Zellaktivator gesichert und alle Beweise über dessen Existenz und sein schmieriges Handeln anschließend beseitigt hat.

Atlans Aufgabe ist es nunmehr nicht bloß, den Garanten für die Unsterblichkeit sicherzustellen, sondern auch das politische Gleichgewicht, bestimmt von liberalen Vordenkern wie Neife Varidis, zu wahren. Doch Nastases teuflischer Plan leitet alsbald ein Horror-Szenario ein, welches Atlans jüngstes Unternehmen zu einer waghalsigen Schlacht um Leben und Tod geraten lässt.

_Persönlicher Eindruck_

Mit großen Erwartungen verfolgte ich in den letzten Tagen die Fortführung des wirklich beachtlich debütierten „Rudyn-Zyklus“, der bereits mit dem Auftaktband ein weitaus höheres Potenzial als die vorangegangene „Lepso-Trilogie“ aufwies und vor allem die zunächst enttäuschten Fans des treuen Gefährten Perry Rhodans beschwichtigen konnte. Nun, da ein weiterer Autor das Regiment übernommen hat, waren die Befürchtungen ob der jüngsten Erfahrungen mit der neuen „Atlan“-Serie recht groß, „Die Psi-Kämpferin“ könne womöglich eine Ausnahmeerscheinung in diesen Reihen sein. Jedoch nimmt Rüdiger Schäfer etwaigen Vorbehalten bereits mit den ersten Kapiteln von „Das Sphärenrad“ jeglichen Wind aus den Segeln. Vielmehr führt er die Story auf einem noch höheren Niveau fort und etabliert eine Erzählkultur, die definitiv an die besten Momente des großen Bruders Rhodan erinnert. Intelligent, facettenreich und dennoch aufs Wesentliche fokussiert – so stellt man sich moderne, gehobene Science-Fiction schließlich auch vor. Aber auch die inhaltlichen Fortschritte sind vorzüglich, sowohl was die spannungsvoll aufgebaute Struktur der Erzählung als auch die zahlreichen Wendungen betrifft, denen man in mittleren Band der „Rudyn-Trilogie“ beiwohnen darf.

Interessant ist in diesem Sinne vor allem die Charakterisierung der verschiedenen Hauptakteure, die hier in vielen kleinen Kapiteln kategorisch vorgestellt werden und dennoch bisweilen ein Mysterium bleiben. So erfährt man zwischenzeitlich einiges über den Verbleib von Trilith Okt, bevor diese mit Atlan zusammentraf, und bekommt anhand der unzähligen Charakterprofile auch einen immer besseren Überblick über die politischen Ränke, die sich zwischen den Organisationen der Galaxis im Stillen abspielen.

Doch gerade jenes Zwischenkapitel um Trilith Okt und das dramatische Schicksal der weiblichen Besatzung eines Raumers, der auf dem Planeten Fauron abstützte, bereichern die Geschichte ungemein, auch wenn sie eingangs wegen der noch nicht erkennbaren Verbindungen zum eigentlichen Plot als überflüssig empfunden werden. Jedoch schafft es Schäfer sehr treffsicher, die vielen Nebenstränge zu einer homogenen Einheit zu formen und die Ereignisse stets in Zusammenhang mit den nachfolgenden Begebenheiten, die für die aktuelle Haupthandlung wichtig sind, zu bringen.

Was die Fortsetzung der Story betrifft, unternimmt der Autor jedoch einen recht radikalen Schwenk. Trilith und Atlan treten nun als Einheit für das gemeinsame Ziel auf, sind sich aber nicht wirklich grün. Atlan schätzt die Psi-Kämpferin für ihre kämpferischen Begabungen und ihren Überlebensdrang, hasst dafür aber ihre kompromisslose, eiskalte Art. Okt hingegen hält den Lordadmiral für einen Mann großer Reden und bescheidener Taten, bis sie irgendwann doch zu dem Schluss kommt, „… dass der Anführer der USO Eier in der Hose hat“. Dieses Dilemma zieht sich als interessanter Nebenstrang durch die Geschichte und bestimmt auch einen Teil der Atmosphäre, die von vielen unberechenbaren Momenten geprägt ist, welche wiederum auf dieses ungleiche, nun jedoch nicht mehr losgelöst voneinander auftretende Paar zurückzuführen ist. Störend ist in dieser Hinsicht allerdings das manchmal zu selbstgefällige Auftreten Atlans, dargestellt in Erfahrungsberichten, die seine Person rühmen, in dieser Form aber eher prahlerisch wirken. Dies ist jedoch insgesamt nur eine Begleiterscheinung, die im gesamten Kontext des Auftretens unseres Titelhelden kaum noch nennenswert ist.

Dafür glänzt Rüdiger Schäfer in den entscheidenden Momenten jedoch mit raschen Szenenwechseln und verschärftem Tempo. Obwohl der Autor nun die beiden Protagonisten an einem Schauplatz versammelt hat, ist er weiterhin darauf angewiesen angewiesen, zwei parallel zusammenlaufende Geschichten zu erzählen, für dessen souveränes Gelingen ihm ebenfalls großes Lob gebührt. Sowohl die Reise des Diskusraumers, in dem sich Trilith und der Lordadmiral befinden, als auch das korrupte, intrigante Machtspiel, welches inmitten des Sphärenrads ZUIM vor sich geht, werden überzeugend dargestellt und steuern unwiderruflich auf ein baldiges Finale zu, welches die Spannung bereits an den Siedepunkt treibt.

Insofern kann man abschließend auch nur resümieren, dass der Autor den Faden intelligent weitergesponnen hat und den Anspruchslevel dank der detailverliebten Beschreibungen, der raschen Sprünge zwischen den recht unterschiedlichen Szenarien und der Steigerung des sprachlichen Niveaus noch einmal hat erhöhen können. Die undankbare Aufgabe, den mittleren Teil einer Trilogie zu schreiben, ist ihm ergo auch nicht zum Verhängnis geworden. Stattdessen hat er die gute Vorlage genutzt und mit einer teils spektakulären Story zielsicher verwandelt. Nun ruht alle Hoffnung auf Michael Buchholz, dass er die „Rudyn-Trilogie“ ebenso würdig zu Ende bringt, wie sie bis dato verlaufen ist. Es steht nämlich mittlerweile außer Frage, dass diese Mini-Reihe nicht zuletzt wegen des hier erstmals aufblitzenden, sarkastischen Humors (in den Dialogen zwischen Atlan und seinem Extrasinn) potenziell zu den besten aus dem weitläufigen Universum Atlans gehört. Ein Comeback des klassischen Atlan also? Nun, nach den Eindrücken des insgesamt fünften Romans der neuen Serie muss man dies beinahe uneingeschränkt bejahen!

http://www.fanpro.com
http://www.perryrhodan.net/

Charles Stross – Dämonentor. Die mysteriösen Fälle des Bob Howard

Der Heyne-Verlag deklariert diesen Roman mit dem Schriftzug: »Die große Mystery-Serie«. Sollen wir also davon ausgehen, dass dies der erste Band einer Serie wie »Akte X« ist, wie uns der Umschlag glauben macht? Auf der Autorenhomepage findet sich nur der Hinweis auf den Roman »The Atrocity Archives«, der in England ein großer Erfolg gewesen sei und nun unter anderem ins Deutsche für den Verlag übersetzt wurde. Jedensfalls erschließt sich daraus nicht, ob es zu »Dämonentor« weitere Romane geben wird. Lesen wir ihn also unter dem Gesichtspunkt der Eigenständigkeit.

Bob Howard arbeitet für eine Abteilung des britischen Geheimdienstes, die unter Eingeweihten als »Wäscherei« bekannt ist. Er ist für die Netzwerke und einzelnen Rechner der Einrichtung verantwortlich und integriert sich mit wachsender Beteiligung in den aktiven Außendienst. Dabei kümmert sich die Abteilung um mathematische Grundlagen zur Erschaffung sogenannter Tore zu anderen Universen, durch die je nach Beschaffung Daten oder auch feste Körper transferiert werden können. Die Wäscherei sorgt dafür, dass diese Mathematik der breiten Bevölkerung unzugänglich bleibt, da die außeruniversalen Wesen oft den schlimmsten Alpträumen entsprungen zu sein scheinen und für die Erde die Vernichtung bedeuten könnten, außerdem ist dieselbe Wirkung durch physikalische Einflüsse zu befürchten, wenn die Tore nicht richtig gesichert werden.

Auch in Deutschland ist Charles Stross kein Unbekannter mehr, denn mit seinen drei Science-Fiction-Romanen »Singularität«, »Supernova« und »Accelerando« wurde er regelmäßig für Preise nominiert. Er schreibt mit außergewöhnlichem Stil und mit außergewöhnlichen Ideen und ist schon von daher lesenswert, plus den hohen Unterhaltungsfaktor seiner Geschichten.

Die drei bisher erschienenen Romane waren Science-Fiction, bei »Dämonentor« fällt die Einordnung nicht so leicht. Durch übernatürliche und okkulte Aspekte macht der Verlag keinen Fehler, wenn er das Buch als Mystery führt, allerdings kennt der Protagonist die mathematischen Hintergründe dieser Geschehnisse und nimmt damit diesen »mystischen« Hauch echter unerklärlicher Geschichten.

Der Protagonist ist ein kleiner Computerfreak, der sein Schicksal gelassen sieht. Es hat ihn für immer in die Wäscherei verschlagen, also macht er das Beste daraus und versucht, dem Papierkram der Bürokratie möglichst aus dem Weg zu gehen. Dabei faszinieren ihn die Theorien über Außerirdische, Paralleluniversen und die Praxis dazu stark. Er versucht, über alle für ihn erreichbaren Quellen auf dem aktuellen Stand der Fälle zu sein, dadurch gerät er mit seinen hochbürokratischen Vorgesetzten aneinander. Zu seinem Glück ist ein höheres Tier der Gesellschaft ein Freund von ihm, ein anderer erkennt sein Potenzial und übernimmt ihn.

Howard stellt sein Licht immer unter den Scheffel, außerdem steht er ziemlich weit unten auf der Karriereleiter. Trotzdem wird schnell deutlich, dass er sich ausgezeichnet auskennt und einer der besten und intelligentesten Agenten der Wäscherei ist, auch wenn weder diese noch er selbst das ohne weiteres eingestehen.

Stross lässt seinen Protagonisten Ich-erzählen, wodurch die Ereignisse mit interessanten Kommentaren gespickt werden können. Außerdem kann er ihn die fiktiven technisch-mathematischen Hintergründe seiner Paralleluniversumstheorie erläutern lassen, was dann auf das Wesen des Protagonisten zurückgeführt werden kann und das Mitteilungsbedürfnis des Autors versteckt.

Zum Unterhaltungswert des Buches kann man nur sagen: eins-a. Stross ist ein begnadeter Erzähler, er lässt Bob Howard in ironischer, teilweise fatalistischer Art über seine Arbeit sprechen und spinnt durchweg einen spannenden Erzählfaden. Der Entwurf dieser geheimen Agentenabteilung mit ihren Intrigen, ihrer Bürokratie und der Würze der Charaktere bietet tatsächlich die Grundlage für eine großartige Serie. Bei der Menge heutiger Serien sollte man nur hoffen, dass Stross es nicht übertreibt und sein Potenzial nach ein paar Romanen um Howard auch anderen Projekten zur Verfügung stellt.

Fazit: »Dämonentor« ist trotz des deutschen Titels ein Buch für jedermann, der sich spannender, intelligenter Thrillerunterhaltung mit einem ironischen Spritzer Mystery hingeben will.

Originaltitel: The Atrocity Archives
Aus dem Amerikanischen von Mechthild Barth
Taschenbuch, 400 Seiten

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (6 Stimmen, Durchschnitt: 4,50 von 5)

 

Mehnert, Achim – Atlan – Die Psi-Kämpferin (Rudyn-Trilogie 1)

_Story_

Man schreibt das Jahr 3012 alter terranischer Zeitrechnung. Atlan und die Mitglieder der United Stars Organisation scheinen von größeren Zwischenfällen verschont, als plötzlich ein merkwürdiger Notruf vom USO-Stützpunkt auf dem Planeten Finkarm die Zentrale im Quinto-Center erreicht. Mit letzter Kraft hat jemand die Information über einen versteckten Zellaktivator an den Lordadmiral entsenden können, bevor er hilflos und vom Kampf gezeichnet zusammenbricht und stirbt. Atlan zögert nicht lange und erforscht mit einem Spezialeinsatzteam die USO-Außenstation, um die merkwürdigen Ereignissen zu rekapitulieren.

Tatsächlich bemerkt er mit seinem unwirschen Einsatz auf Finkarm, dass der Einfluss eines Unsterblichkeit versprechenden Zellaktivators die Atmosphäre bestimmt und selbst Agenten der USO mit radikalen Mitteln in den Besitz des wertvollen Geräts zu kommen versuchen. Aus Angst, von seinen eigenen Leuten überrumpelt zu werden, tritt der Lordadmiral alleine den einsamen Weg durch die Wüste des Xanthab-Systems an und wird dort Zeuge mehrerer grausamer Begebenheiten.

Unterdessen an einem gänzlich anderen Schauplatz: Das junge Mädchen Trilith Ork wird auf seinem Heimatplaneten von einer Piratentruppe aufgegabelt und von ihnen in den rauen Lebensalltag auf See eingeführt. Über die Arbeiten in einem Bordell gelangt sie schließlich an eine Reihe unterschiedlicher Herren, die ihre Ausbildung zur Kämpferin vorantreiben und ihr immer deutlicher das Gefühl geben, dass ihr gesamter Lebensweg vorbestimmt ist. Allerdings kommt ihr eines Tages der Gedanke, dass immerzu Menschen sterben müssen, damit dieser Weg beschritten werden kann. Aber nach all ihren Erfahrungen ist Trilith abgebrüht und eiskalt – und entwickelt sich vielleicht zur größten Gefahr für das gesamte Universum …

_Persönlicher Eindruck_

Nach dem zufriedenstellenden, aber sicherlich nicht vollends überzeugenden Auftakt der neuen „Atlan“-Romanreihe mit der „Lepso-Trilogie“ bahnt sich mit dem zweiten Drillingskonzept dieser Tage nicht nur eine erhebliche Steigerung, sondern mitunter eine der besten, spannungsreichsten Storys der jüngsten, literarischen Science-Fiction-Vergangenheit an. Die einzelnen Akteure wurden in vielerlei Hinsicht besser ausgearbeitet, die Charakterprofile sind schlüssiger und man fühlt sich über weite Strecken ein ganzes Stück intensiver in die Figuren und die Handlung hineinversetzt. Außerdem gelingt es Autor Achim Mehnert sehr gut, die beiden parallel verlaufenden Stränge gleichwertig in Szene zu setzen und den Fokus nicht ausschließlich auf den Titelhelden zu konzentrieren. Gegenteilig ist es nämlich in erster Linie Trilith Ork, deren schicksalhaften Lebensweg der Leser vordergründig begleitet und die insgesamt weitaus dominanter im Mittelpunkt steht.

Merkwürdig, andererseits aber auch wieder fortschrittlich ist dabei die Aufarbeitung ihrer persönlichen ‚Karriere‘ im Rahmen einer Fantasy-Handlung. Trilith schlägt sich mehrere Jahre auf einem Piratenschiff durch, kämpft später auf dem Schlachtfeld und hat überhaupt keine Vorstellung von den übergeordneten, für sie unvorstellbaren kosmischen Konstellationen, die das gesamte Universum bestimmen. Ihr Horizont endet jenseits der See bzw. an der Himmelspforte, und auch ihre Umwelt wirkt im Science-Fiction-Setting von „Atlan“ eher altertümlich und infolge dessen auch äußerst kontrastreich, was den Vergleich zur Haupthandlung um den Lordadmiral betrifft. Im Gegensatz dazu ist Atlans Einsatz trotz der neuerlichen Brisanz eher eine Routinemission und in diesem Sinne eine völlig typische, wenn auch sehr gut ausstaffierte Science-Fiction-Erzählung, die zunächst einmal gar nicht mit den Geschehnissen in Triliths Heimatwelt in Einklang zu bringen ist. Mehnert knüpft im ersten Band zwar diverse Verbindungspunkte, doch zunächst offenbaren sich dem Leser nur zwei völlig divergierende Welten samt komplett losgelösten Zusammenhängen, jedoch beide auf ihrem Level sehr spannend und im Falle Triliths auch partiell echt bewegend.

Allerdings bleibt vorerst auch nur festhalten, dass dieser Auftakt nur das mächtige Potenzial aufbereitet, dass die „Rudyn-Trilogie“ bis auf Weiteres zu bieten hat. Welten öffnen sich, Verfolgungsjagden sind an der Tagesordnung, und irgendwo zwischendrin bewegen sich die beiden Hauptakteure mit einer unheimlichen Eleganz, die den SF-Begeisterten schnell in ihren Bann ziehen wird. „Die Psi-Kämpferin“ ist dementsprechend eine sehr ansprechende Verquickung von Fantasy, Science-Fiction und Drama und bringt den besten Freund Perry Rhodans mit einem Mal wieder zurück auf eine der Führungspositionen im deutschen Science-Fiction-Genre. Sollten die beiden nachfolgenden Bände von Rüdiger Schäfer respektive Michael H. Buchholz nahtlos daran anknüpfen können, darf man endlich von einem gelungenen Comeback sprechen!

http://www.fanpro.com
http://www.perryrhodan.net/

Gaiman, Neil – Anansi Boys

Neil Gaiman wird gemeinhin als Fantasy-Autor bezeichnet. Dieser Begriff weckt vage Assoziationen an Elfen und Drachen, an Zwerge, verzauberte Schwerter und tausend andere Dinge, die dem Klischee entsprechen. Wer den Begriff Fantasy jedoch nur in den engen Bahnen von „Harry Potter“, „Lord of the Rings“ und „Narnia“ denkt, wird überrascht sein, mit welch erfrischendem Geschick Gaiman dem Genre neues Leben einhaucht.

In seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen Roman „Anansi Boys“ kommen weder Elfen oder Drachen noch Zwerge oder Zauberschwerter vor. Das muss nicht sein, das haben andere schon vor ihm gemacht. Die Geschichte spielt im Hier und Jetzt, wobei Hier zu gleichen Teilen London und Florida meint, einen kurzen Abstecher auf eine Pazifik-Insel ausgenommen. Der phantastische Teil von „Anansi Boys“ ist eng mit der Realität verwoben. Der Leser bemerkt zunächst gar nicht unbedingt, dass er sich in einem Fantasy-Szenario befindet. Wenn Gaiman im ersten Kapitel seine Hauptfigur Charles Nancy vorstellt (den alle nur Fat Charlie nennen, obwohl er gar nicht dick ist) und ihn berichten lässt, wie und auf welche Weise sein Vater in einer Karaoke-Bar starb, erscheint alles zunächst nur etwas merkwürdig und eigenartig, vielleicht nur eine lange Reihe von Zufällen. Dennoch enthält der Text verborgene Hinweise, Bruchstücke eines großen Ganzen, das die Geschichte überwölbt.

Fat Charlies Vater starb singend, angetrunken, auf einer Bühne in einer Bar. Er brach plötzlich zusammen, fiel vornüber und landete mit der Nase in dem ausladenden Ausschnitt einer blonden Touristin, mit der er kurz zuvor noch geflirtet hatte. Das ist ein Abgang, der für ein ganzes Leben stehen kann. Als Fat Charlie auf der Beerdigung seines Vaters erfährt, dass er einen Bruder hat, beginnt für den Leser das Spiel mit der Wirklichkeit. Charlie, dessen psychische Konstitution hart auf die Probe gestellt wurde und dessen Leben wahrlich kein Zuckerschlecken ist, könnte in seiner Not einen Bruder erfunden haben, der genau so ist, wie er selbst schon immer sein wollte. Während Fat Charlie träge, geduldig und gutmütig ist, benimmt sich sein Bruder wie das genaue Gegenteil: Er ist frech, unruhig und clever. Irgendwie ähnelt er dem jungen Frank Sinatra. Dieser Bruder heißt Spider, und der Leser darf sich fragen, ob ihm da nur ein äußerst skurril-witziges Familientreffen vorgesetzt wird oder ob er Einblick in die schizophrene Innenwelt der Hauptfigur erhält.

Durch Spider gewinnt Fat Charlie Einblick in eine völlig neue Welt. Er lernt, dass die Dinge nicht statisch sind, was ihm neue Perspektiven auf seine Beziehung zu der gutherzig-langweiligen Rosie Noah eröffnet als auch auf seinen Job in dem Künstler-Büro des verschlagenen Grahame Coats. Lange hält Fat Charlie es jedoch mit Spider nicht aus. Er bringt Charlies Leben völlig durcheinander. Und Spider will nicht wieder von selbst verschwinden, sondern es sich im Leben seines Bruders richtig gemütlich machen. Ob es Charlie hilft, den Teufel mit Belzebub auszutreiben?

Hier und da wird behauptet, „Anansi Boys“ sei der Nachfolger von Gaimans Roman „American Gods“. Abgesehen von der Idee, dass einige alte Götter unerkannt unter den Menschen leben, haben beide Romane jedoch keinerlei Berührungspunkte. Hinzu kommt, dass die Geschichte von „Anansi Boys“ kompakter ist, irgendwie runder als „American Gods“, das größtenteils eine lockere Aneinanderreihung von Ereignissen war. Gaiman, der ein großartiger Erzähler von Kurzgeschichten ist, wie die Anthologie „Die Messerkönigin“ und die Comic-Serie „Sandman“ zeigen, wird geübter mit Romanen. Und er wird freundlicher, sanfter. „Anansi Boys“ ist hauptsächlich eine lustige Geschichte, bunt geschmückt mit originellen Details und witzigen Figuren. Mancher Leser, der beispielsweise „Niemalsland“ mochte, wird die dunklen, ekelhaften und gewalttätigen Nuancen vermissen, die Gaiman ebenso beherrscht wie das Humorvolle. Was Romane angeht, ist Gaiman also noch längst nicht am Ende seines Könnens angelangt. Sein nächster Roman möge bitte genau so geschlossen und rund sein wie „Anansi Boys“, aber bitte einen Schuss bösartiger, mit mehr Action und Gänsehaut. Und – hier eine Bitte an den deutschen Verleger – mit einer besseren Übersetzung. Die holpert nämlich leider viel zu oft bei der deutschen Fassung von „Anansi Boys“.

http://www.neilgaiman.de/
http://www.heyne.de

Novik, Naomi – Drachenprinz (Die Feuerreiter Seiner Majestät 2)

Mit [„Drachenbrut“, 3781 dem ersten Teil ihrer Trilogie „Die Feuerreiter seiner Majestät“, hat Naomi Novik ein unterhaltsames und eigenwilliges Fantasy-Debüt vorgelegt. Entsprechend groß sind logischerweise die Erwartungen an „Drachenprinz“, den zweiten Band der Reihe.

Nach den bestandenen Schlachten aus dem ersten Teil erwarten Feuerreiter Will Laurence und seinen Drachen Temeraire nun neue Abenteuer. Schon am Ende des ersten Teils deutete sich ein Szenario an, das nun vollends Gestalt annimmt. Temeraire war ursprünglich als Geschenk des chinesischen Kaisers an Napoleon gedacht. Nach dem Kapern einer französischen Fregatte fiel Temeraires Drachenei den Engländern in die Hände, und dort hat er nach Meinung der Chinesen gar nichts zu suchen. Vor allem wird Laurence auch als nicht würdig empfunden, als Kapitän dieses hochgeschätzten und äußerst seltenen Himmeldrachen zu dienen. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Die Chinesen wollen Temeraire, bzw. Lung Tien Xiang, wer er bei den Chinesen heißt, zurückhaben.

Zu diesem Zweck reist eine chinesische Delegation nach England, um den Drachen dort abzuholen, möglichst ohne ihren Kapitän. Doch so einfach lässt Temeraire sich nicht ohne seinen geliebten Laurence entführen. Durch Temeraires Weigerung sind die Chinesen gezwungen, auch Laurence die Reise nach China zu erlauben, wo alles weitere geklärt werden soll. Die Engländer erhoffen sich durch diese Reise nicht zuletzt eine günstige Verhandlungsposition in politischen und wirtschaftlichen Fragen.

Und so steht Temeraire und Laurence eine abenteuerliche Reise nach China bevor, auf der es so manche brenzlige Situation zu meistern gibt: Angriffe des Feindes, verheerende Stürme, Begegnungen mit Meeresungeheuern sowie Spannungen und Intrigen an Bord des Drachentransporters „Allegiance“. Doch so wirklich abenteuerlich wird es erst, als die beiden chinesischen Boden betreten …

Nach dem überaus positiven Eindruck von „Drachenbrut“, hat „Drachenprinz“ verständlicherweise mit einem ziemlichen Erwartungsdruck zu kämpfen. Naomi Novik hat die Latte mit dem ersten Band schon sehr hoch gelegt, und so bekommt sie im Laufe des zweiten Bandes dann doch stellenweise Schwierigkeiten, diese Erwartungen auch wirklich auszufüllen.

Schnell ist der Leser wieder mittendrin in der Handlung. Der Einstieg fällt leicht, und Temeraire, Laurence und die übrige Drachenbesatzung wachsen einem schnell wieder ans Herz. Erste Spannungen bauen sich gleich zu Beginn auf, als die chinesische Delegation in England die Herausgabe des Drachen fordern. Die Beziehung zwischen Laurence und Temeraire ist durch die Geschehnisse in Band eins gefestigt und sehr innig, eine Trennung der beiden somit auch für den Leser undenkbar.

Die Reise nach China, die eine Eskalation der Situation vermeiden und zu einer Verbesserung des englisch-chinesischen Verhältnisses beitragen soll, ist von Anfang an nicht mehr als ein fauler Kompromiss. Die Reise steht unter schlechten Vorzeichen, und so gibt es auf der Monate dauernden Fahrt so manche unangenehme Situation durchzustehen. Dass die chinesische Delegation unter der Leitung von Prinz Yongxing mit an Bord reist, verschärft die Situation nur und sorgt für weitere Spannungen.

Die Seereise der „Allegiance“ nimmt etwa die Hälfte des Buches in Anspruch, und da wären wir auch schon beim ersten Kritikpunkt. Die Fahrt zieht sich schier endlos, immer wieder unterbrochen von kleineren Abenteuern, Spannungen und Intrigen. Auch wenn es natürlich logisch ist, dass ein Segelschiff in der damaligen Zeit eine halbe Ewigkeit von England nach China unterwegs war, hätte man sich als Leser doch eine etwas straffere Abhandlung der Reise gewünscht.

So geht im Verhältnis betrachtet der Showdown in China viel zu schnell. Das Finale wird geradezu im Hauruck-Verfahren vorangetrieben und wirkt etwas gehetzt. Hätte Novik die Seereise etwas gestrafft, hätte sie für das Finale mehr Zeit gehabt. Dem Roman hätte das sicherlich gutgetan. Die Geschehnisse in China sind schließlich derart verwickelt, dass ihre Auflösung etwas mehr Platz verdient hätte, um sie stichhaltig und nachvollziehbar darzulegen. So wirkt die Schilderung mancher Ereignisse in China leider etwas unausgegoren, und gerade der Überfall der Hunhun-Bande erscheint etwas überzeichnet und in seinem Verlauf geradezu unwahrscheinlich.

Das ist insbesondere deswegen schade, weil Novik sich ansonsten sichtlich Mühe gibt, eine stimmige Atmosphäre heraufzubeschwören. Sie unterstreicht die kulturellen Unterschiede zwischen China und Europa und entwirft für die Chinesen eine völlig entgegengesetzte Art der Drachenkultur. Durch diesen Gegensatz haben auch Laurence und Temeraire reichlich Diskussionsstoff, der sicherlich auch ein wichtiger Bestandteil des nächsten Teils der Reihe sein wird, da dieser Themenkomplex über die Unterschiede in der Drachenhaltung zu bedeutungsvoll ist, als dass Novik ihn für die Zukunft einfach wieder fallen lassen könnte.

Die charakterliche Entwicklung der Figuren wird vor allem von dem Druck einer eventuell bevorstehenden Trennung von Laurence und Temeraire geprägt. Gerade Temeraire reift unter diesem Druck weiter heran. Er lernt, sich gegenüber den Chinesen zu behaupten, sieht sich aber gleichzeitig mit einer fremdartigen Welt konfrontiert, die gleichermaßen ein Teil von ihm wie auch völlig neu ist. Interessant dürfte sein, wie diese neuen Eindrücke Temeraires weitere Entwicklung beeinflussen. Das werden wir ab Oktober sehen, wenn mit „Drachenzorn“ der dritte Band der Reihe vorliegt.

Bleibt unterm Strich also ein etwas durchwachsener Eindruck zurück. Die Geschichte um Laurence und Temeraire ist noch immer eine sehr liebenswürdige. Novik legt ihre Welt mit viel Fantasie an und vermittelt sie dem Leser plastisch und farbenprächtig. Das Kampfgeschehen sorgt wie schon im ersten Teil für viele Spannungsmomente, dennoch hat „Drachenprinz“ auch mit ein paar Schwächen zu kämpfen.

So nimmt die Seereise im Verhältnis zu viel Raum ein, es schleichen sich einzelne Längen ein, wohingegen das Ende der Geschichte dann teilweise zu hastig abgespult wird und dabei nicht immer überzeugen kann. Trotzdem macht Naomi Noviks Fantasy-Reihe „Die Feuerreiter seiner Majestät“ noch immer Spaß: Lockere, unterhaltsame und größtenteils spannende Fantasy-Unterhaltung für Jung und Alt.

Offizielle Homepage der Autorin:
http://www.temeraire.org/

Deutsche Fanseite:
http://www.temeraire.de/

Website des Verlags:
http://www.cbj-verlag.de

Harrison, M. John – Nova

Saudage ist in ihren Außenbezirken eine verfallene, von Randexistenzen und Kriminellen bewohnte Stadt auf einem erdfernen Planeten der Zukunft, die indes eine Besonderheit aufweist: Vor Jahren tat sich ein Riss im Raum-Zeit-Gefüge auf, der Saudage zur Hälfte verschlang bzw. eine Region mit fest umrissener Grenze schuf, innerhalb derer die bekannten Naturgesetze keine Gültigkeit besitzen.

Menschen können hier geraume Zeit überleben, doch sie zahlen dafür mit Krankheit und einem beschleunigten Alterungsprozess. Das Risiko gehen Glücksritter gern ein, denn die „Aureole“ birgt außerirdische Artefakte, mit denen sich viel Geld verdienen lässt. Weil das Risiko groß ist, dass sich diese als gefährlich entpuppen, steht das Betreten des Ereignisgebiets unter Strafe.

Einer dieser Abenteurer ist Vic Serotonin. Derzeit steht er unter Druck, denn er hat ausgerechnet dem mächtigen Schwarzhändler Paulie DeRaad ein Artefakt verkauft, das diesen körperlich und geistig mutieren lässt. Außerdem ist ihm der hartnäckige Ermittler Lens Aschemann auf den Fersen, der ihn angeblich überführen möchte, während er tatsächlich selbst Ungesetzliches plant. Zu allem Überfluss verliebt sich Vic in die psychisch instabile Elisabeth Kielar, die eine neue Lebensperspektive ausgerechnet im Inneren der Aureole sucht, wohin Vic sie führen soll.

Die Aureole wächst, und in ihrem Inneren geht Seltsames vor, das zunehmend auf die Außenwelt übergreift. Wie weit wird diese Ausbreitung gehen – und lässt sie sich notfalls zum Stoppen bringen? Fieberhaft studiert Vic die verworrenen Aufzeichnungen Emil Bonaventuras, seines Mentors, der angeblich bis ins Zentrum der Aureole vorgedrungen ist. Ist dort der Schlüssel zum Verständnis dieses Phänomens zu finden? Vic geht zurück, und Elisabeth will ihn auf seine Expedition begleiten. An der schwankenden Grenze zur Aureole treffen sie auf Aschemann und einen schrecklich veränderten, rachsüchtigen Paulie. Vic und Elisabeth flüchten in die Aureole, wohin Aschemann ihnen folgt …

Die Zukunft wird ein absonderlicher Ort sein. Das mag als Einleitung zur Rezension eines Science-Fiction-Romans wie eine Binsenweisheit klingen. Wer diese Lektüre liebt und sie sich nicht durch „Battletech“-Balla-Ballereien, Fließband-Epen und andere Sünden des Genres vermiesen lässt, muss freilich viel oft feststellen, dass die Welt von Morgen als mehr schlecht als recht getarntes Spiegelbild der Gegenwart daherkommt. Simpel-Action und Soap-Opera scheinen sich mit leichten futuristischen Elementen prächtig zu verkaufen, aber Science-Fiction ist das nicht.

Der Mensch wird sich voraussichtlich – oder sollte man sagen: hoffentlich? – in seinem Denken und Handeln weiterentwickeln, obwohl Grundsätzlichkeiten vermutlich bleiben werden; Liebe und Hass, Gier und Großzügigkeit, Mut und Angst prägen uns und werden uns immer prägen. Das Umfeld dieser Menschen der Zukunft wird hingegen ein deutlich anderes sein, und es wird die beschriebenen Emotionen und Denkweisen und die daraus resultierenden Handlungen beeinflussen.

Das ist das Spielfeld für ‚richtige‘ SF. Sie stellt Ansprüche an ihre Autoren, fordert sie heraus, eher zu extrapolieren als zu variieren. Auf der anderen Seite sehen sich die Leser intellektuell herausgefordert. Wenn sie sich einem ambitionierten Verfasser wie M. John Harrison anvertrauen, werden sie erfreut feststellen, dass es abseits der ausgetretenen Pfade literarisches Neuland zu entdecken gibt.

Die Expansion der „Aureole“ ist nur ein Handlungsstrang; er ist nicht einmal der wichtigste und endet noch weit vor dem Finale. „Nova“ ist ein Roman, in dem Handlung und Stimmung sich die Waage halten. Harrison beschreibt eine fremdartige, exotische Welt, die er nicht unbedingt erklärt. Er betrachtet sie durch die Augen seiner Figuren, die selbstverständlich mit ihr vertraut sind und sich die Erläuterung des Alltags sparen. Das lässt viel Raum für eigene Interpretationen, was reizvoll sein aber durchaus in Verwirrung enden kann. Davon sollte man sich nicht schrecken lassen; nur jene Leser, die partout keine ungelösten Rätsel, schwer zu deutenden Visionen oder offen bleibenden Fragen lieben, sollten besser in ihrer kleinen, klaren Welt bleiben, wie sie z. B. in der „Sendung mit der Maus“ definiert wird.

Denn das Unerklärliche ist Programm in Saudage. Nicht umsonst liegt die Stadt direkt neben einer Anomalität, die ihre Grenzen sprengt und lange Zeit unbemerkt die Realität, wie wir bzw. die Bewohner von Saudage sie kennen, nachhaltig unterminiert. Was geschieht wirklich, was beruht auf Einbildung bzw. der Fehlfunktion von Sinnesorganen; gibt es eine erschreckendere Entdeckung als die, dass man seinen eigenen Augen nicht mehr trauen kann? So ergeht es auch uns Lesern, denen der Verfasser den festen Boden unter unseren Füßen wegzieht.

Inhaltlich wie stilistisch lässt sich „Nova“ als Post-Cyberpunk kategorisieren. Der Cyberpunk, ein SF-Subgenre, das in den 1980er Jahren für Aufsehen sorgte, weil es der Science-Fiction eine gänzlich neue literarische Dimension zu bieten schien, hat sich längst im breiten Strom der SF aufgelöst. M. John Harrison bedient sich bekannter Cyberpunk-Klischees, erschafft eine Welt mit scharfen gesellschaftlichen Kontrasten, in der sich jede/r selbst der Nächste ist. Cyberpunks sind Außenseiter, die sich um das Gesetz nicht scheren, sondern mit mehr als einem Bein im multimedialen Datenstrom stehen, der die Gegenwart dieser Zukunft prägt. Saudage ist auf allen Ebenen vernetzt, Hightech steht auch den Armen und Ausgestoßenen zur Verfügung, hat sie aber entgegen der Prognosen futurfixierter Vordenker keineswegs aus dem Elend befreit, sondern altbekannte Missstände nur in neue Formen gegossen.

Vic Serotonin ist so ein später Cyperpunk, nur dass ihm so gar kein anarchistischer Impetus mehr innewohnt. Die digitale Revolution hat längst ihre Kinder gefressen. Vic ist kein idealistischer Gegner des Systems, sondern ein Kleinkrimineller, der sich ohne Hoffnung auf eine positive Wende durch sein trübsinniges Leben treiben lässt.

So wie ihm geht es den meisten Menschen in seinem Umfeld. Nicht einmal die Tatsache, dass Vic sich regelmäßig in die Aureole wagt, macht ihn zu einer besonderen Person. Er hat keine Ahnung, was dort geschieht, sondern sammelt ängstlich Artefakte, die er nicht versteht, und verkauft sie weit unter Wert an skrupellose und clevere Ausbeuter, ohne sich Gedanken über mögliche Folgen zu machen.

Die Gesellschaft von Saudage scheint allerdings ohnehin an einem Punkt angekommen zu sein, an dem ihr herzlich gleichgültig ist, was ihr da aus fremder Dimension ins Haus schneit. Die Grenzen zwischen Realität und Aureole sind mindestens ebenso verwischt wie die Grenzen zwischen ‚analogem‘ und ‚digitalem‘ Alltag. Die Menschen lassen sich operativ ‚umschneidern‘, verwandeln sich in bizarre Kreaturen, die eine neue Mode in noch groteskere Gestalten treiben kann; sie lassen ihr Hirn und ihre Sinne künstlich ‚aufrüsten‘ und schaffen sich Ebenbilder aus Bits & Bytes – wie sollen sie überhaupt registrieren, dass etwas wirklich Fremdes über sie kommt?

In dieser Stadt der Haltlosen wirkt Lens Aschemann als Gesetzeshüter nicht fehl am Platze. Er entscheidet, was ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ ist. Scheinbar ist er niemandem Rechenschaft schuldig. Dabei ist Aschemann ein psychisch arg aus der Bahn geworfener Zeitgenosse, der sich mit seiner toten Gattin zu unterhalten pflegt und auch sonst ein auffälliges Verhalten an den Tag legt. Seine Assistentin wirkt auf den ersten Blick systemkonformer, doch sie hegt ihre eigenen Neurosen und ist eine Sklavin ihres ‚getunten‘ Körpers.

So leben die Bewohner von Saudage, obwohl auf allen Ebenen vernetzt, im Grunde nebeneinander her. Eine traurige Zukunft ist das, von der Harrison uns erzählt. „Nova“ kennt keine Helden, keine Schurken, sondern nur durchschnittliche Menschen in einer unwirtlichen Welt.

Die wirkt zu großen Teilen wie aus einem von Ted Benoits „Ray Banana“-Comics übernommen. Harrison übertreibt es mit seinem offensiven Mix aus futuristischer Hightech im Retro-Gewand. Wieso sollten die Bewohner von Saudage eine Vorliebe ausgerechnet für die irdische Architektur, Mode, Musik etc. der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besitzen? Antwort: So lässt sich Hirnschmalz sparen, das sonst in die Darstellung einer wirklich fortschrittlichen oder wenigstens fortgeschrittenen Gesellschaft investiert werden müsste.

Aus dem „Film Noir“ ist die düstere Atmosphäre ‚entliehen‘. Alle Figuren sind quasi verdammt, wenn wir sie kennen lernen. Manche – wie Vic oder Emil – haben es erkannt und akzeptiert, manche glauben wie Fat Antoyne Messner und Irene, die Mona, noch immer an eine Chance, die sich ihnen u. a. an Bord des Raumschiffs „Nova Swing“ schließlich bieten wird.

Post, Retro, Film Noir – Eine positive aber objektive Kritik darf und muss sogar erwähnen, dass „Nova“ nicht zwangsläufig ‚Literatur‘ sein muss, nur weil der Verfasser mit den Regeln der Simpel-SF bricht. Harrison beherrscht sein schriftstellerisches Handwerk. Dennoch keimt der Verdacht auf, dass er hier weniger neu kreiert als routiniert abspult. Auch ‚anspruchsvolle‘ Literatur kann nach Autopilot entstehen – eine Tatsache, die Literaten und Literaturwissenschaftler gern abstreiten. Sie setzen dabei erfolgreich auf die heimliche Angst des Lesers, er (oder sie) sei schlicht zu dumm, den geistigen Höhenflügen des Verfassers zu folgen. Man darf sich da nicht irremachen lassen: Hinter manchem Adler versteckt sich nur eine lahme, aber schlaue Ente.

„Nova“ ist letztlich durchschnittliche SF mit Anspruch – interessant, aber simpel geplottet, was Harrison durch eine fein ziselierte Sprache (die ihre Übersetzung wohlbehalten überstanden hat) gleichzeitig zu veredeln und zu bemänteln weiß. Die Antwort auf die Frage nach der ‚Qualität‘ dieses Romans muss sich der Leser deshalb vor allem selbst beantworten. Wer dennoch Führung wünscht, mag sich an der Tatsache orientieren, dass „Nova“ mit einem „Arthur C. Clarke Award“ als bester Roman des Jahres 2006 ausgezeichnet wurde.

Michael John Harrison wurde am 26. Juli 1945 in der englischen Stadt Rugby (Warwickshire) geboren. Nach seiner Schulzeit arbeitete er zunächst in einem Reitstall, ging dann zum College, ließ sich zum Lehrer ausbilden, ging aber ohne Abschluss nach London und versuchte sich als Schriftsteller.

Schon 1966 erschien seine erste Science-Fiction-Story in Michael Moorcocks berühmten Magazin „New Worlds“. 1968 wurde Harrison hier redaktioneller Mitarbeiter; er blieb es bis 1975 und veröffentlichte in diesen Jahren nicht nur weitere Kurzgeschichten, sondern auch Essays und Rezensionen, die sich durch Genrekenntnis und Schärfe auszeichneten.

Ein erster Roman („The Pastell City“, dt. „Die Pastell-Stadt“) erschien 1971. Harrison zeigte sich schon hier und zunehmend in seinen späteren Werken als Autor, der vordergründige Action mied und stattdessen Science-Fiction schrieb, die offene Fragen und Missstände der Gegenwart auslotete. Die Schrecken einer skrupellosen Globalisierung, das Versagen der Politik oder den Zerfall von Gesellschaften bildeten und bilden die Themen, mit denen Harrison sich beschäftigt, dem deshalb die Kritik eher gewogen ist als die breite Leserschaft. Auch seine Fantasy (u. a. der „Viriconium“-Zyklus) ist fern aller Tolkien-, Williams- oder Pratchett-Tümelei.

Der Privatmann M. John Harrison ist ein passionierter Bergsteiger. Für seinen Roman „Climbers“ wurde er 1989 mit einem „Boardman Tasker Prize for Mountain Literature“ ausgezeichnet. Auch für seine SF-Romane und Kurzgeschichten verlieh man ihm diverse Preise, so 2006 einen „Arthur C. Clarke Award“ für den Roman „Nova Swing“ (dt. „Nova“).

http://www.heyne.de

_M. John Harrison auf |Buchwurm.info|:_

[„Licht“ 907
[„Die Centauri-Maschine“ 2851

Roberts, Adam – Sternensturm

_Kleiner Ausschnitt einer großen Bibliographie._

Adam Roberts ist ein umtriebiger Autor, der seit 2000 bereits zehn Science-Fiction-Romane veröffentlicht hat, eine Science-Fiction-Kurzgeschichtensammlung und zwei Bücher über Science-Fiction. Dazu kommen noch sechs Parodien, die |Dr. Who| auf die Schippe nehmen, das |Silmarillion|, den |kleinen Hobbit|, |Star Wars|, |Matrix| und den |Da Vinci Code|. Zur deutschen Übersetzung haben es davon „Das Stiehlnemillion – Die Tolkien-Parodie“ geschafft, „Der kleine Hobbnix – Die Tolkien-Parodie“ und „Star-Warped – Die Krieg-der-Sterne-Parodie“.

Nicht zu vergessen, dass Roberts als Dozent tätig ist, an der University of London, um sich zum einen mit Literatur des 19. Jahrhunderts zu befassen, aber auch mit der Postmoderne – insbesondere mit Science-Fiction.

Von Roberts‘ Science-Fiction-Ergüssen sind nur wenige ins Deutsche übersetzt worden: sein Erstling „Salt“ („Sternennebel“), „Stone“ („Sternenstaub“) und das vorliegende „Sternensturm“ (im Original: „Polystom“). Dazu sei gesagt, dass die drei Romane inhaltlich nicht zusammenhängen, auch wenn die deutsche Titelgebung etwas Derartiges suggeriert. Jedenfalls ist „Polystom“ bereits 2003 erschienen, während die fünf Nachfolger noch auf ihre Übersetzung warten: die Kurzgeschichtensammlung „Swiftly“ (2004), „The Snow“ (2004), „Gradisil“ (2006), „The Land of the Headless“ (2007) und „Splinter“ (2007). Nicht vergessen werden sollen auch die unübersetzten Vorgänger von Polystom: „On“ (2001), „Park Polar“ (2002) und „Jupiter Magnified“ (2003)

_Ein verkannter Profi des Besonderen._

Wenn man sich die Lesermeinungen in diversen Online-Buchgeschäften so ansieht, die um Roberts übersetzte Science-Fiction-Werke kreisen, schwinden alle Hoffnungen, dass die besagten Polystom-Nachfolger jemals den Weg in die deutschen Büchereien schaffen. Grund für den allgemeinen Unmut mag vielleicht die etwas ungeschickte Coverwahl von |Heyne| sein, denn hypermoderne Riesenraumschiffe finden sich in „Sternensturm“ nicht, ebenso wenig wie die krasse Hardcore-Science-Fiction, deren Erwartung einem der werbewirksam abgedruckte Kommentar von Stephen Baxter einflüstert. Stattdessen begegnet Roberts der Science-Fiction auf eine wunderbar unkonventionelle Art, die dem Raumschiff-Puristen mit Sicherheit aufstößt, aber hiermit jedem Leser empfohlen sei, der sich auf die etwas andere Science-Fiction einlassen kann und Abstand braucht von altbekanntem Weltraumgeballer.

_Was wäre, wenn …_

… es den Äther tatsächlich gäbe, wenn die Sonne in einer Atmosphäre arbeitete, wenn man zwischen den Planeten mit Zeppelinen und Flugzeugen fliegen könnte, wenn Himmelswale durch den Äther zögen, um sich von interplanetarem Plankton zu ernähren? Dann wären die Planeten um einiges kleiner, als sie es in unserer Welt sind, und es wäre auch nichts Besonderes, wenn einzelne Menschen Verwalter ganzer Welten wären. Dementsprechend ist Polystom ein solcher Verwalter, auf dem Papier zumindest, denn eigentlich ist er der Sohn des verstorbenen „echten“ Verwalters und eher adligem Nichtstun verpflichtet als politischen Aufgaben. Polystoms Herz schlägt für die Poesie und für die Wälder, die sein Gut umwachsen, für sein Flugzeug außerdem und für seinen Onkel Kleonikles, den er des Öfteren auf dem Mond besucht – um sich auszuweinen meistens.

Nun, der Leser jedenfalls erfährt schon auf der ersten Seite des Buches, dass Kleonikles nur noch drei Tage zu leben hat. Bevor dieses Ereignis aber eintritt, streift man durch Polystoms Vergangenheit, erlebt seine gescheiterte Ehe mit der seltsamen Beeswing und erfährt, dass Kleonikles der absurden Theorie nachhängt, es könnte auch Planeten- und Sonnensysteme in einem Vakuum geben. Dann, wenn man dem Leben und Leiden dieser beiden Figuren zugesehen hat, wird Kleonikles wie angekündigt umgebracht und Polystoms Leben nimmt eine weitere Wendung.

Er verpflichtet sich dazu, am Krieg auf dem Schlammplaneten teilzunehmen, wo sich Bedienstete gegen ihre Herren aufgelehnt haben und nun schon Jahre ihrer Niederwerfung trotzen konnten. Polystom lässt einen Teil seiner eigenen Dienerschaft ausbilden und fliegt selbst mit auf den Schlammplaneten, als diensthabender Offizier, um dort schmerzhaft lernen zu müssen, dass Krieg alles andere als poetisch und heldenhaft ist. Außerdem, und das ist viel wichtiger, stößt er dort auf ein Geheimnis, das ihn vor eine schwere und schicksalhafte Entscheidung stellt …

_Weltraumabenteuer mit Figuren-Fokus._

Wo andere Science-Fiction-Romane großen Wert auf ihr Universum legen und auf möglichst abgefahrene Techno-Spielereien, legt Roberts in diesem Roman den größten Wert auf seine Figuren. Das obig skizzierte Szenario mag gähnend langweilig erscheienen, und mit Sicherheit wäre es das auch, würde Roberts seine Feder nicht so pointiert und scharfzüngig führen. Seine Bilder sind frisch und unverbraucht, seine Dialoge treffen voll ins Schwarze und nie hätte ich gedacht, dass man Gehässigkeit so geschickt zwischen die Zeilen eines Buches packen kann.

Sympathische Figuren sucht man in „Sternensturm“ jedenfalls vergeblich. Polystom etwa, diese selbstverliebte, Untergebene verheizende, dummdreiste, naive, standesdünkelnde Heulsuse, stürzt einen ständig in ein Wechselbad der Gefühle: Entweder hasst man ihn, oder man bemitleidet ihn. Seine gescheiterte Ehe etwa … Als man am Anfang des Buches davon erfährt, hat man noch das Standardbild der gescheiterten Ehe vor Augen: eine normale Beziehung, man lebt sich auseinander, wie eine Ehe eben so kaputtgeht. Aber von wegen. Diese „Ehe“ verdient ihre Bezeichnung nur in Polystoms Wahrnehmung, der Leser erlebt ein grauenhaftes Fiasko durch die narzistisch selbstüberschätzende Brille, die Polystom trägt. Alleine schon sein Balzverhalten lässt einen gehässig Tränen lachen, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen oder beides. Das Ganze gipfelt allerdings in einem knallharten Psychoduell, bei dem irgendwann auch der dunkelsten Seele das Lachen im Halse stecken bleibt: Ständig betrachtet man die Geschehnisse aus dem Blickwinkel des „höherwertigen Polystom“, der von seiner Frau Respekt einzufordern versucht, weil sie „diese Ehe als ein Geschenk betrachten und mit Respekt würdigen sollte, da sie gesellschaftlich weit unter ihm stünde.“

Die ganze Gesellschaft in dieser parallelen Welt ist geprägt von einem beinharten Hierarchiesystem und es ist sicher nicht übertrieben anzunehmen, dass Roberts mit „Sternensturm“ einen herben Angriff auf blaublütigen Dünkel verüben will und auf die Natur des Menschen im Allgemeinen. Der ganze Roman ist eine einzige Spitze, vollgepackt mit giftigem Humor, der manchmal so bitter zynisch und pechschwarz ist, dass man sich nur noch hinter vorgehaltener Hand zu lachen traut. Zum Ende hin verflüchtigt sich der Humor allerdings und leidenschaftlicher Zynismus gewinnt die Oberhand: Die Bilder werden zunehmend drastisch, als Polystom den Krieg auf dem Schlammplaneten erlebt, und Roberts‘ Stil überschreitet ein ums andere Mal die Grenze zum Bösartigen. Und hier, man hat schon gar nicht mehr erwartet, nimmt dann doch die Science-Fiction die Zügel in die Hand und überrascht den Leser mit einem unerwarteten Finale.

_Besondere Kost für besondere Leser._

Ja, der Science-Fiction-Anteil von „Sternensturm“ hält sich definitiv in Grenzen, beschränkt sich auf die Beschreibung der alternativen Physik des Universums, auf die Forschungsbeschreibungen von Polystoms Onkel und auf den Clou am Ende. Auch dieser Clou wird nicht jeden Geschmack treffen, ich wage zu behaupten, dass man ihn entweder liebt oder hasst, aber das trifft mit Sicherheit auf das ganze Buch zu. Dementsprechend ist es nicht ganz einfach, die Zielgruppe einzugrenzen, die an „Sternensturm“ ihre Freude haben könnte.

Wer sich ein Buch mit dem Titel „Sternensturm“ sonst nicht kaufen würde, hat jedenfalls schon mal gute Chancen für die Kandidatenliste. Wer sich bei Raumschiffen auf dem Buchcover sonst mitleidig lächelnd abwendet, sollte ebenfalls hellhörig werden. Wer sich auf eine gallige Gesellschaftsfiktion einlassen kann, mit einem Humor, der manchmal so böse zwischen den Zeilen hockt, dass er diese Bezeichnung kaum noch verdient, bekommt ebenfalls Pluspunkte auf seinem Kandidatenindex. Jetzt braucht es nur noch eine Begeisterung für das futuristisch-philosophische Gedankenexperiment, um sich guten Gewissens auf den Weg in das nächste Buchgeschäft zu machen. „Sternensturm“ ist ein mutiges Kleinod von ausgesuchter Gemeinheit!

http://www.heyne.de

|Adam Roberts auf Buchwurm.info:|

[„Sternenstaub“ 2308
[„Der kleine Hobbnix“ 477
[„Star Warped“ 1495

Arthur C. Clarke – Inseln im All

clarke-inseln-im-all-cover-1983-kleinJüngling Roy besucht eine Raumstation, lernt den schwerelosen Alltag kennen und erlebt viele lehrreiche Abenteuer … – Aus heutiger Sicht naiver „Roman für die Jugend“, der allzu didaktisch daherkommt, aber sehr interessant die längst verworfene Vision einer Zukunft beschreibt, in der Technik und Wissen für Weltfrieden und Wohlstand sorgen.
Arthur C. Clarke – Inseln im All weiterlesen

Bionda, Alisha (Hg.) / Borlik, Michael (Hg.) – Wellensang

_Autoren:_

Christel Scheja
Irene Salzmann
Barbara Jung
Alisha Bionda
Barbara Büchner
Marlies Eifert
Armin Rößler
Heike Reiter
Solveig Perner
Frank W. Haubold
Michael Borlik
Andrea Tillmanns
Linda Budinger
Arthur Gordon Wolf
Eddie M. Angerhuber
Dominik Irtenkauf
Ines Haberkorn
Lutz Schafstädt
Stefanie Bense

Alisha Bionda und Michael Borlik haben sich die Arbeit gemacht und aus über 200 Texten die 18 besten ausgewählt und eine Anthologie herausgebracht, die so in ihrer Form und Aufmachung wohl einzigartig ist. Nicht zuletzt, weil mit Patrick Hachfeld ein Künstler gewonnen werden konnte, der jede Geschichte mit einer extra angefertigten Illustration versehen hat. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit liegt dem Leser nun als „Wellensang“ vor und versteht es bereits von der ersten Seite an, den Leser zu fesseln, zu begeistern und die Fantasie schweifen zu lassen.

18 Autoren und Autorinnen haben ihrer Kreativität freien Lauf gelassen und Kurzgeschichten verfasst, die fast sämtliche Spielarten der Fantasy-Literatur umfassen. Mal gefühlvoll wie in der titelgebenden Story „Wellensang“ von Linda Budinger oder in „Welt zwischen den Zeilen“ von Alisha Bionda, mal geheimnisvoll und mysteriös wie in „Das Lied der Krähe“ von Christel Scheja. Dass Fantasy nicht immer realitätsfremd und abgehoben sein muss, beweist unter anderem Arthur Gordon Wolf in seiner Geschichte „Von Zähnen, Sternen und Feen“. Dabei reicht die Palette von bekannten Namen der modernen deutschen Literatur bis hin zu unbekannten, aber ungemein talentierten Newcomern. Auffallend ist dabei, dass es eben nur deutsche Autoren sind, die den Beweis dafür antreten, dass anspruchsvolle Fantasy nicht immer von englischsprachigen Schriftstellern verfasst werden und auch nicht unbedingt in Hunderte von Seiten zählende Wälzer ausarten muss.

Die Autoren schöpfen sämtliche Möglichkeiten dieser Literatur-Gattung aus und bieten dem Leser eine abwechslungsreiche Mischung von Kurzgeschichten. Dass dabei nicht jede Story den eigenen Geschmack trifft, muss man akzeptieren und ist bei dieser Fülle an Storys unumgänglich.

Den Abschluss der Anthologie bildet Stefanie Bense, die mit ihrem Artikel „Fantasy im Dickicht der Definitionen“ ein wenig Struktur und Klarheit in das Genre bringt, welches selbst für Kenner oftmals eine unübersichtliche Zahl an Subgenres beinhaltet.

Fazit: Phantastisches Lesebuch mit märchenhaften Illustrationen und Geschichten voller Einfallsreichtum und Kreativität.

http://www.schreib-lust.de

_Florian Hilleberg_

Duncan, Dave – Omar, der Geschichtenhändler

Omar, der Geschichtenerzähler, ist ein typischer Vertreter seiner Zunft. Mit der Wahrheit nimmt der gewitzte Schelm es nicht so genau, auch wenn er von sich selbst behauptet, aus hehren Motiven Geschichten|händler| geworden zu sein, für ihn ist das ein wesentlicher Unterschied zum bloßen Geschichtenerzähler: Die meisten Geschichten sind bloß nacherzähltes Garn, nur wenige Geschichten hingegen sind wahr und werden so erzählt, wie sie sich zugetragen haben. Omar sieht es als seine Aufgabe an, solch große Geschichten selbst mitzuerleben, nur so kann er sicher sein, dass sie auch authentisch sind. So gerät er oft in gefährliche Situationen und wird selbst Teil der Geschichte.

Als Omar über die |Straße der Plünderer| nach Zanadon kommt, auf der Flucht vor den barbarischen Horden der Vorkan, wird er versklavt. Doch gewitzt wie er ist, kann er mit seinem Gefährten Thorian ausbrechen. Zufällig wird er Zeuge einer verschlagenen Intrige, mit der die Priesterschaft, der Kriegsherr und reiche Kaufleute die Macht an sich reißen wollen. Die bildschöne Shalial Tharpit soll Hohepriesterin werden und als Marionette gemeinsam mit dem legendären Kriegsgott Balor, in Wahrheit Publian Fotius, ein brutaler und unfähiger Enkel des Kriegsherren, über Zanadon herrschen. Omar und Thorian haben Mitleid mit der von der Priesterschaft übertölpelten Shalial und helfen ihrem Liebhaber, sie zu retten. Doch ohne die Vermählung der Hohepriesterin mit dem Kriegsgott selbst würde Zanadons Armee den Glauben an den uralten Mythos der Unbesiegbarkeit verlieren, der auf dieser Geschichte beruht …

Auch in der |Jägerschenke| befindet sich Omar in einer sehr misslichen Situation: Er ist splitternackt, hat kein Geld und den Hund des Wirts erschlagen. Dieser möchte ihn ohne viel Federlesens in die tödliche, eiskalte Nacht hinausjagen. Omar lässt sich auf einen Wettstreit ein, um seine Haut zu retten: Jeder der Gäste erzählt eine Geschichte, und Omar muss sie überbieten. Leider erweisen sich viele Gäste als begabte Erzähler mit schier unglaublichen Geschichten, doch Omar ist raffiniert: Er erzählt seine „wahre“ Version der Geschichte, die entweder noch unglaublicher ist, oder die Geschichte mit einem Cliffhanger fortführt, so dass man ihn gewinnen lassen muss, damit er weitererzählen kann …

_Der Autor_

Dave Duncan wurde 1933 in Schottland geboren, lebte und arbeitete aber nach Abschluss seines Universitätsstudiums seit 1955 in Kanada als Geologe auf Erdölfeldern. Er ist verheiratet und hat mit seiner Frau Janet drei Kinder und wohnt derzeit in Victoria, British Columbia. Seine Karriere als Schriftsteller begann 1988 mit der Trilogie „Das Siebte Schwert“, 1990 folgte die „Pandemia-Saga“. Er schrieb auch Science-Fiction und historische Romane unter den in Deutschland eher unbekannten Pseudonymen Ken Hood und Sarah B. Franklin. Am bekanntesten dürfte er für die Serie „Des Königs Klingen“ (1998) sein, Mantel- und Degengeschichten in einem fiktiven Mittelalter mit einigen Spritzern Magie. Der bisher letzte Teil der noch nicht abgeschlossenen Serie, „Die Jaguar-Krieger“, erschien 2007 in deutscher Übersetzung bei |Bastei Lübbe|. Drei ein wenig mehr auf Jugendliche ausgelegte Abenteuer junger Klingen, scherzhaft „Des Königs Dolche“ genannt, erschienen 2006 als Sammelband gleichen Namens im |Otherworld|-Verlag.

Auch „Omar, der Geschichtenhändler“ ist ein Sammelband aus denselben Verlag, der die beiden bisher erschienenen Romane um Omar vereint: „Die Straße der Plünderer“ und „Die Jägerschenke“.

_Ein gewitzter Schelm, so wie sein Schöpfer_

Omar dürfte sehr viel von seinem Schöpfer Dave Duncan besitzen; der Humor, mit dem er über dessen (Un-)Taten schreibt, zeugt von viel Selbstironie. Das Szenario ist vor allem in „Die Straße der Plünderer“ sehr orientalisch; hier kann Omar seine an 1001 Nacht erinnernden märchenhaften Geschichten blumig und wortgewaltig zum Besten geben. Doch leider muss er seine Gabe meistens für Lügenmärchen verwenden, nur um seinen Kopf zu retten. Das Umschlagbild zeigt den nackten Omar in der Jägerschenke, eine für ihn typische Situation; oft besitzt er nichts anderes mehr als seine Geschichten und seinen Verstand, um sich aus misslichen Situationen zu befreien. Ein reicher Mann ist Omar nicht, verwahrt sich aber vehement gegen die Bezeichnung „Bettler“. Ein königlicher Gewaltherrscher und sogar ein Gott war er schon im Verlaufe seines ereignisreichen Lebens. Nun ja, alles leider nur für sehr kurze Zeit, eben bis der Schwindel aufgeflogen ist.

In „Die Straße der Plünderer“ ist Omar selbst in das Geschehen verwickelt, gemeinsam mit seinem Gefährten Thorian, von dem in der zweiten Geschichte des Sammelbands, „Die Jägerschenke“, keine Rede mehr sein wird. Der Reiz dieser Geschichte ist die Vermischung von Omars Geschichten, Zanadonischen Legende und Wahrheit. Viele Charaktere sind nicht das, was sie von sich zu sein behaupten, einige sind mehr, als es den Anschein hat. Selbst Omar wird überrascht, und weder für ihn noch den Leser ist es ganz klar, ob nicht doch der Gott Balor schließlich der Stadt zur Hilfe gekommen ist, oder ob es nur ein einfacher Mensch war. Omar selbst darf als Gott der Geschichte an der Seite des Kriegsgotts wandeln, während das Volk ihnen zujubelt.

„Die Jägerschenke“ spielt in einem eisigen Nordland, es gibt keinen Bezug zur Omars vorherigen Abenteuer. Die gesamte Handlung spielt in der Schenke, in der ein – wieder einmal – splitternackter Omar mit einem Geschichtenerzählerwettstreit seine Haut zu retten versucht. Das besondere Vergnügen dieses Romans ist, wie Omar aus einer anfangs recht simplen Geschichte einen langen Faden spinnt, bis alle Geschichten zusammen einen schlüssigen Geschichtenzyklus ergeben. Sehr witzig ist, wie er selbst die absurdesten Geschichten seiner Mittbewerber elegant zurechtbiegt und in seine eigene Geschichte einbringt. „Die Jägerschenke“ braucht ein wenig Zeit, bis sie fesseln kann, sie steigert sich deutlich, je mehr man liest und kann am Ende fast mit der von mir favorisierten „Straße der Plünderer“ mithalten.

_Fazit:_ Omar ist ein liebenswerter Gauner, der den Leser mit Witz und Verstand sowie unvorhersehbaren und angenehm überraschenden Wendungen bei Laune hält. Leider existieren nur diese beiden in den Jahren 1992 und 1995 geschriebenen Romane, gegen das weitaus umfangreichere und detailliertere Universum der „Klingen des Königs“ können sie nur schwer bestehen. Für Fans von Dave Duncan und den „Klingen“ jedoch sind die Geschichten um Omar ein humoriger Leckerbissen erster Güte, bei dem Dave Duncan seine ganze Finesse als Geschichtenerzähler eindrucksvoll demonstrieren kann. Die stilsichere und hervorragend gelungene Übersetzung stammt von Michael Krug, der bereits Dave Duncans „Klingen des Königs“ und Paul Kearneys „Königreiche Gottes“ übersetzte. Leider ist sie nicht ganz frei von einigen Wortdrehern und Setzfehlern, was dem Lesevergnügen und der Qualität der Übersetzung an sich jedoch keinen Abbruch tut. Bindung und Druck sind von erster Güte, das Lesebändchen rundet den gelungenen Eindruck ab.

http://www.otherworldverlag.com/

Yoshida, Sunao – Trinity Blood – Reborn On The Mars 1 – Der Stern der Trauer

_Story_

In einer fernen Zukunft: Große Teile der Zivilisation wurden unlängst vom katastrophalen Armageddon zerstört. Die Erde ist seitdem in mehrere Herrschaftsgebiete zersplittert, welche von den verbliebenen Spezies, den Menschen und den Vampiren, regiert und im erbitterten Widerstreit angeführt werden. In der neutralen Stadt Istvan versucht jedoch ein radikaler, vampirischer Monarch, das seit kurzem bestehende Gleichgewicht zwischen dem ‚Reich‘ und dem Vatikan zu stürzen und die Menschheit ein für allemal auszulöschen.

Tatsächlich ist es ihm, dem Marquis von Hungaria, gelungen, den längst vergessenen ‚Stern der Trauer‘ zu reaktivieren, eine Waffe, mit deren Kraft er ganze Landstriche ausradieren kann. Als der Vatikan von Gyulas Vorhaben erfährt, entsendet er seinen Spezialagenten Abel Nightroad nach Istvan, um dem Treiben des misanthropischen Grafen ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Doch schon die Ankunft des Paters birgt große Probleme; schnell zieht er die Aufmerksamkeit des Marquis und dessen städtischer Miliz auf sich und sorgt in der Kleinstadt für gehörige Unruhe.

Doch währenddessen schlagen sich die Gegner Gyulas auf Abels Seite und schützen den Pater vor Schlimmeren. An der Seite der Klosterschülerin Esther Blanchett schlägt sich Nightroad undercover durch die Straßen Istvans und erfährt mit eigenen Augen die Grausamkeit des schier übermächtigen Gegners. Als der Gesandte des Vatikans schließlich erfährt, dass das gesamte Treiben an seinem neuen Aufenthaltsort nur dazu gemacht ist, um den alten Streit zwischen Menschen und Vampiren in einem finalen Krieg wieder aufleben zu lassen, sieht er sich gezwungen, sofort zu handeln. Doch hierzu ist es auch unabdinglich, dass Abel seine wahre Identität preisgibt.

_Persönlicher Eindruck_

„Trinity Blood“ gehört zweifelsohne zu den erfolgreichsten und besten Mangas, die der hiesige Markt in diesem Jahr zu bieten hat. Zudem hat die Serie aus der Feder von Sunao Yoshida auch schon längst den Anime-Markt erobert und gilt auch dort als feste Größe inmitten der bärenstarken Konkurrenz. Die Basis all dessen bieten jedoch die beiden Romanzyklen, die Yoshida einst vorab verfasst hatte. Den Beginn machte dabei „Reborn On The Mars“, eine Story, die der Autor bereits 2001 verfasste und die maßgeblich zu der Entstehung der illustrierten Fassung von „Trinity Blood“ beigetragen hat.

Wie erwartet trifft man im ersten Teil „Der Stern der Trauer“ zahlreiche Bekannte wieder, als da wären: der etwas schrullige Pater Nightroad, die fürsorgliche, entschlossene Esther Blanchett, der hinterhältige Misanthrop Gyula und nicht zuletzt der rationale Tres Iqus – alles Charaktere, die man im Laufe der Manga-Serie kennen und lieben gelernt hat. Jedoch weicht der Inhalt jenes Romans recht deutlich von den Ereignissen im gleichnamigen Asia-Comic ab; so erfährt man in „Der Stern der Trauer“ einiges mehr über das erste Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten Nightroad und Blanchett, bringt einiges über die Hintergründe des gespaltenen Verhältnisses zwischen Menschen und Vampiren in Erfahrung und bekommt zu guter Letzt auch eine recht genaue Vorstellung von der klar strukturierten Aufteilung des Schauplatzes und den Beziehungsgeflechten untereinander.

Doch wer glaubt, er würde die Akteure bei all diesen Informationen im Nachhinein durchschauen können, täuscht sich ganz gewaltig. Yoshidas Stärke ist es nämlich, dem Leser eine Vertrautheit zu den einzelnen Figuren zu vermitteln, die in den letzten Zügen der Intensivierung dann völlig aus dem Kontext gerissen wird. Das mag sich erst einmal recht negativ anhören, ist aber bei genauerer Betrachtung ein ausgezeichnetes Mittel, um der Story rasche Wendungen zu verpassen und die Undurchschaubarkeit der tragenden Charaktere weiter zu fördern. Im Verlauf der Handlung trifft man so auf mehrere Stellen, an denen man erst einmal schlucken muss, weil wieder mal eine weitere Person Verrat betrieben hat, obwohl man sie kurze Zeit vorher noch für glaubwürdig und gewissenhaft gehalten hatte. Problematisch wird dies lediglich zum Ende hin, als sich derartige Szenarien häufen und nicht mehr so innovativ wie zunächst noch wirken. Doch genau zu jenem Zeitpunkt hat die Action auch überwiegend die Initiative übernommen und lenkt den Plot auf ein vorzeitiges, recht spektakulär ausgetragenes Finale zu, welches im Endeffekt zwar nicht so breit hätte ausgetragen werden müssen, für sich genommen aber dennoch Beachtung verdient.

Beachtlich ist unterdessen aber der gesamte Roman, sowohl auf die Spannungskurve bzw. den generellen Aufbau bezogen als auch hinsichtlich der Charakterentwicklungen und der ansprechenden Kombination aus Humor, Action und Überraschungseffekten. Lediglich die Atmosphäre einer futuristischen Endzeitwelt will in diesem Zusammenhang nicht aufkeimen, was man durchaus auch als Manko bezeichnen kann. Und natürlich stößt das vollkommene Ausbleiben von Moral und Werten, das gerade im erbarmungslosen Kampf einer Glaubensgemeinschaft wie dem Vatikan schwerlich zu akzeptieren ist, ein wenig bitter auf, sollte dies doch eigentlich die Tragkraft für den gesamten Rahmen der Story aufbieten. Nichtsdestotrotz ist „Reborn On The Mars“ ein wirklicher guter, bisweilen auch düsterer Roman, der inhaltlich sogar noch ein wenig brutaler ist als der nachfolgende Manga, insgesamt aber definitiv auf eine Stufe mit der illustrierten Adaption zu stellen ist. Und gerade dies scheint in einer Zeit, in der Romane dieser Gattung vermehrt ins Bereich der Ausschussware sortiert werden, vielleicht sogar die größte Überraschung!

Eine Info am Rande: Zum Ende des Romans gewährt Yoshida noch einen kurzen Einblick in sein späteres Werk in Form einer Leseprobe des ebenfalls bei |Panini| veröffentlichten Mangas. Wer also noch nicht Blut geleckt hat, bekommt gleich doppelt die Gelegenheit, sein Nachholbedürfnis zu befriedigen.

http://www.paninicomics.de

|Siehe ergänzend dazu unsere Rezensionen zur Mangareihe:|

[Trinitiy Blood 1 2888
[Trinity Blood 2 3060
[Trinity Blood 3 3400

Hoffmann, Markolf – Splitternest (Das Zeitalter der Wandlung 4)

Das |Zeitalter der Wandlung|:
Band 1: [Nebelriss 473
Band 2: [Flammenbucht 1280
Band 3: [Schattenbruch 2288
Band 4: _Splitternest_

Das Zeitalter der Wandlung strebt seinem apokalyptischen Finale entgegen. Nicht nur die unversöhnlichen Zauberer Mondschlund und Sternengänger streben nach der Macht und danach, den Menschen von Gharax die Rettung und eine neue Welt nach ihren Vorstellungen aufzuzwingen. Auch die Goldéi und die Bathaquar haben ihre Vorstellungen der kommenden neuen Ordnung, folgen ihren eigenen Interessen, Legenden und Glaubensgrundsätzen. Das Schicksal der gemeinen Menschen ist allen Gruppierungen nicht so wichtig wie ihre eigenen Ziele, niemand fragt sie nach ihren Wünschen. Es liegt in den Händen abtrünniger Anhänger der Zauberer, Fürsten und Kirchen, sich von dem Blendwerk aus Lug und Trug, das diese zugunsten ihrer Sicht der Dinge verbreitet haben, zu befreien und ihre eigene Welt zu schaffen. Doch scheint man keine wirkliche Wahl zu haben, wie sollte man sich dem Chaos der entfesselten Quellen stellen, ohne sich mit einem der Zauberer zu verbünden? Gibt es eine Alternative oder muss man sich mit der Wahl des kleineren Übels zufriedengeben?

Der abschließende Band des „Zeitalters der Wandlung“ ist eine Tragödie. Die Welt Gharax liegt im Sterben, alte Ordnungen zerbrechen, eine neue Welt ist im Entstehen. Doch bereits in den Todeswehen streitet man um die Macht in der neuen Welt oder begleicht alte Rechnungen, nimmt Rache. Viele liebgewonnene Hauptcharaktere werden sterben, einige überraschend überleben. Viele können nicht Abschied von den alten Zeiten ihrer Macht nehmen, wie Binhipar Nihirdi, die Könige Eshandrom von Kathyga und Tarnac von Gyr ebenso wenig; Durta Slargin lässt sie geködert mit der Aussicht auf Rettung grausam wie Puppen nach seiner Pfeife tanzen. Talomar Indris jagt bis zuletzt fanatisch einer verlorenen Liebe hinterher, die zu einer fixen Idee geworden ist, die mit Liebe nichts mehr zu tun hat. Falsche Legenden und Versprechungen führen zu Gräueltaten, begangen in bestem Wissen und Gewissen.

Dieses Grundgerüst bringt die Stärken des Romans sehr gut zur Geltung: Das unrühmliche Ende einiger „Bösewichte“ machte mich sehr traurig, selbst mit ihnen konnte ich mitfühlen. Besonders schockiert hat mich das Schicksal von Laghanos, der wenig mehr als ein Werkzeug für Durta Slargin gewesen ist, der ihn, die Goldéi und viele andere benutzt und genarrt hat. Er hatte nie eine Chance und eine Wahl in diesem Spiel. Gelungen ist auch die zwiespältige Darstellung Durta Slargins, der, zuerst als der große Held der Menschheit dargestellt, in den Folgebänden in ein immer düstereres Licht gehüllt wurde, je mehr über seine Taten bekannt wurde. Doch wer erzählte dem Leser eigentlich |seine| Geschichte über Durta Slargin, zu welchem Zweck? Denn auch sein Widersacher Mondschlund, zuerst verschrien als „Der Blender“, ist kein verkannter Heiland. Die Anhänger der Zauberer erkennen dies nach und nach und glauben ihnen nicht mehr vorbehaltlos. Dieser höchst dynamische Erkenntnisprozess ist spannend und überzeugend dargestellt. Viele Einzelschicksale werden beschrieben in ihrer ganzen Tragik, allen ist zueigen, dass sie sich nicht von den Lügen und dem Einfluss anderer lösen konnten. Selbst die entstehende neuen Welt ist nicht frei vom Keim der Lügen, den Hoffmann bereits im Prolog dieses Bands anspricht. Neue Legenden und Lügen warten darauf, geboren zu werden, um auch diese Welt ins Verderben zu stürzen, mit Gewalt und Verrat.

Hoffmann zeigt sich wie stets wortgewandt, was gerade in den hitzigen Dialogen, wenn gläubige Anhänger mit abtrünnigen Bürgern zusammenstoßen, für eine fantastische Atmosphäre sorgt, die Verzweiflung und Angst der betreffenden Charaktere, aber auch der feste Wille, sich nicht mehr dem Willen anderer unterzuordnen, werden so lebendig. Dies gilt auch für die tragischen Szenen, die mich nachdenklich stimmten und lange über Leben und Handeln der betreffenden Charaktere nachdenken ließen.

_Fazit:_ „Splitternest“ ist ein hervorragendes Finale für die Tetralogie, das mitreißend und spannend ist sowie nachdenklich macht. Der Abschlussband arbeitet vorzüglich die bewussten Lügen und Täuschungen der vorherigen Bände auf, der Leser selbst wird in Zweifel versetzt, welche Lösung für die Welt Gharax und ihre Menschen die beste wäre. Zwar bleibt bei der enormen Fülle an Charakteren und Handlungsorten für einige nur wenig Zeit, doch gerade diese Vielfalt und die Tragik jedes einzelnen Schicksals machen in der Summe den Reiz des Romans aus.

Von dieser Art Fantasy würde ich gerne mehr lesen; starke und interessante Charaktere, eine faszinierende Welt am Rande des Untergangs, eine spannende Geschichte über ein Netz aus Legenden, Lügen und Intrigen – das macht das Zeitalter der Wandlung aus. Besonders die Abgeschlossenheit der Handlung und das gelungene Finale möchte ich herausheben, denn gerade daran kranken viele Fantasyromanen und aktuelle Endloszyklen. Jeder Band dieses Zyklus hat andere Schwerpunkte gesetzt und somit für Abwechslung gesorgt, „Splitternest“ hat mich jedoch am meisten beeindruckt; bei keinem anderen fühlte ich mich dermaßen in die Handlung hereingesogen. Diese Tragödie aus Lug und Trug stellt wahrlich einen krönenden Abschluss für den Zyklus „Das Zeitalter der Wandlung“ dar.

Offizielle Homepage des Autors:
http://www.nebelriss.de/

Verlagshomepage |Serie Piper Taschenbuch|:
http://www.piper-verlag.de/serie/

[Unser Interview mit Markolf Hoffmann]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=34

Dekker, Ted – Black: Die Geburt des Bösen

_Handlung_

Thomas Hunter dachte eigentlich, er wäre nur ein einfacher, erfolgloser junger Mann. Doch plötzlich versucht man ihn umzubringen. Er überlebt den Anschlag, doch während seiner Ohnmacht hat er merkwürdige Träume von einem schwarzen Wald mit rotäugigen Fledermäusen. Von da an ändert sich sein Leben rasant, denn die Träume werden immer häufiger und realistischer, sodass er nicht mehr zwischen Realität und Traum unterscheiden kann. Sobald er in der einen Welt einschläft, wacht er in der anderen auf und umgekehrt.

Richtig beängstigend wird das Ganze aber, als er in seiner vermeintlichen Traumwelt erfährt, dass diese wohl die Zukunft unserer heutigen Welt ist, die durch einen Virus, den so genannten Raison-Virus, der aus einem über die Luft übertragbaren Impfstoff mutiert sein soll, beinahe komplett entvölkert wurde. Als er dann wieder aufwacht, fällt er aus allen Wolken: Morgen soll in Bangkok der neue Raison-Impfstoff vorgestellt werden. Nachdem er kein Gehör bei den amerikanischen Behörden findet, nehmen er und seine Schwester das Heft selber in die Hand.

_Der Autor_

Ted Dekker ist dafür bekannt, christliche Themen in Horrorromanen und Thrillern zu einer Einheit zu verbinden. Von Dekker, der in Indonesien aufwuchs und danach als Marketingdirektor arbeitete, sind bisher [„Das Haus“ 3673 und „Kind des Himmels“ in Deutschland erschienen. Bislang hat er weltweit über 1,7 Millionen Bücher verkauft. Heute lebt er in Colorado.

_Mein Eindruck_

Mit „Black: Die Geburt des Bösen“ ist der erste Teil der Trilogie sehr vielversprechend gestartet, die dann mit „Red: Der Tod des Meister“ und „White: Der Kreis schließt sich“ ihren Abschluss finden wird. Dekker versteht es wirklich, seinen Leser zu fesseln, denn er spart nicht mit unerwarteten Wendungen. Selbstverständlich sticht die Idee, dass Thomas Hunter sich in zwei verschiedenen Welten (oder Zeiten?) befindet, und durch Einschlafen zwischen diesen wechselt, heraus, denn tödliche Viren, welche die Menschheit ausrotten, sind beileibe keine neue Idee, wenngleich sie immer noch einen großen Reiz auf den Leser ausübt. Dies in Kombination mit Zeitreisen dürfte spätestens nach dem Erfolg des Films „12 Monkeys“ keinem mehr gänzlich unbekannt zu sein. Doch kommt dort die Person, die das Drama verhindern will, aus der Zukunft, wohingegen der Protagonist bei „Black“ versucht, seine eigene Welt in seiner eigenen Zeit zu retten, indem er von der Zukunft träumt.

Die vermeintliche Traumwelt strukturiert Dekker allerdings recht simpel. So steht auf der einen Seite der schwarze Wald mit seinen bösartigen Kreaturen, den Shaitaiki, schwarzen Fledermäusen, mit ihrem bösen Herrscher Taleh, und dem entgegen steht ein bunter Wald mit vielen Früchten und zahmen Tieren, in dem die wenigen überlebenden Menschen und die Roush, weiße Fledermäuse, mit ihrem gütigen Herrscher Eljon leben. Hier sind die Parallelen zwischen Paradies und Hölle augenscheinlich, was auch noch dadurch bestärkt wird, dass Taleh versucht, die Menschen dazu zu bringen, von seinen verbotenen Früchten zu essen, die dem, der sie verzehrt, Wissen geben sollen – der Sündenfall in Vollendung. Weitere Ähnlichkeit zur christlichen Mythologie: Die einzigen beiden Roush, die namentlich genannt werden, heißen Michal und Gabil. Von hier aus ist es nicht weit zu den Erzengeln Michael und Gabriel.

Halten wir also fest: Dekker bemüht sich nicht besonders, seine christlichen Wurzeln zu verbergen. Dessen muss sich der Leser bewusst sein, bevor er sich an diese Trilogie heranmacht. Wer damit nicht klarkommt, sollte also besser die Finger davon lassen.

Die technische Handarbeit beherrscht Ted Dekker durchaus sehr gut. Der Roman liest sich sehr angenehm und vor allem sehr kurzweilig. Die Spannungskurve wird immer wieder geschickt aufgebaut, woran auch die beiden Parallelhandlungen einen großen Anteil haben. Auch streut Dekker immer wieder sehr gelungene Ideen ein, mit denen er den Leser wirklich zu überraschen versteht.

Der Protagonist Thomas Hunter ist Dekker zudem gut gelungen. Er ist ein leicht chaotischer Tausendsassa, der, genau wie übrigens auch Dekker selbst, in Südostasien aufwuchs und jetzt in den Staaten lebt. Was mich ein wenig gestört hat, ist, wie oft Thomas einfach so einschläft. Man könnte fast meinen, er leide unter Narkolepsie („Schlafkrankheit“ oder auch „Schlummersucht“ genannt). Natürlich ist mir klar, dass er am Ende jedes Kapitels einschlafen muss, damit es in der jeweils anderen Welt weitergehen kann, aber Dekker macht es sich hier etwas zu einfach. Zudem stößt mir das reine Schwarzweiß-Denken etwas sauer auf. Dass Dekker auch in der „normalen“ Welt einfach zwischen Gut und Böse unterscheidet, ist eine Angewohnheit, die sich besonders häufig US-amerikanische Autoren angewöhnt haben. Hier macht er sich ebenfalls die Sache zu einfach, indem er zu teilweise polemischen Schlagwörtern greift. Zum Glück ist solche Polemik nicht so sonderlich häufig zu finden, als dass es sich negativ auf den Roman auswirken würde.

_Fazit_

Wer sich von der christlichen Mythologie nicht abschrecken lässt, bekommt einen sehr erfrischenden Fantasy-SciFi-Thriller-Mix serviert, der einen gelungen Auftakt der Trilogie bildet. „Black: Die Geburt des Bösen“ leidet zwar unter einigen kleinen Schwächen, ist aber trotzdem durchaus sehr lesenswert und spannend.

Brendow Verlag

Hoffmann, Horst – Sternenkind (Titan-Sternenabenteuer 29)

_Story_

Nachdem das Verhältnis zwischen den Emo-Rebs und den gefühlsberaubten Cadschiden wieder in die rechte Bahn gelenkt wurde, machen sich der Lariod Dorlog, sein Gefährte Arlog und das Team der |Titan| auf die Suche nach dem Ursprungsvolk der Einäugigen. In Wythan, dem Heimatplaneten der Cadschiden, angekommen, bietet sich ihnen jedoch ein Bild des Grauens; die gesamte Welt liegt nach einem Angriff der Weltraumfresser in Schutt und Asche und wird derweil von einigen Mutanten beherrscht.

Vanessa Modesta und ihre Crew müssen ganze Arbeit leisten, um die Wythaner und das in der Prophezeiung des Lariods erwähnte Sternenkind aufzuspüren, mit dessen Hilfe die Cadschiden und die Wythaner wieder zu einem Kollektiv verschmelzen sollen. Unter Anleitung des jüngsten und letzten Nachfahren der Wythaner reisen sie auf einen von Vanessa ‚Destiny‘ getauften Planeten, in dessen Kristallwelten das verbliebene Kollektiv der urtümlichen Vorfahren sich versteckt hält. Allerdings ist die Bedrohung, die ihnen dort entgegenschlägt, noch weitaus brutaler als die Gefahren auf Wythan …

_Persönlicher Eindruck_

Die stetige Berg- und Talfahrt im Rahmen der „Titan-Sternenabenteuer“ macht auch vor dem neuesten Band „Sternenkind“ keinen Halt. Nachdem der Social-Fiction-Abschnitt der Serie mit dem letzten Band „Dorlog“ vorläufig zugunsten des Starts einer neuen Weltraumsaga abgeschlossen wurde, gelang es Horst Hoffmann in besagter Episode, wieder eine Geschichte zu entwerfen, die sich ganz nahe am gefeierten Ursprung der nunmehr 29-teiligen Reihe orientierte. Und selbst wenn „Dorlog“ hier und dort noch einige geringfügig zu bewertende Schönheitsfehler aufwies, so durfte man endlich wieder in eine hoffnungsvolle Zukunft blicken, weil die unliebsamen Schmonzetten zwischen Shalyn Shan und Monja ebenso vorbei schienen wie die völlig ausgelatschten Pfade, die solch vergleichsweise dümmliche Gestalten wie Wernher von Witzleben bis zuletzt beschritten hatten.

Aber es wäre natürlich zu schön, würde man das relativ gute Niveau der letzten Geschichte in der Fortsetzung dann auch mal konsequent halten. Selbst dem wohl besten derzeitigen „Titan“-Schreiber Hoffmann ist nämlich in „Sternenkind“ eine ganze Reihe an Peinlichkeiten und Schönheitsfehlern unterlaufen, die nicht nur den generellen Plot ad absurdum führen, sondern auch jeden zuvor aufgebauten Spannungsbogen im rasanten Tiefflug wieder durchbrechen. Hinzu kommt, dass die Entwicklungen in „Sternenkind“ von Seite zu Seite unglaubwürdiger erscheinen und man gerade im Schlussdrittel den Eindruck bekommt, der weitere Verlauf der Story würde nur zur Füllung des (dazu noch bescheidenen) Seitenumfangs dienen. An Ideen mangelt es nämlich ganz gewaltig, was den Autor dazu veranlasst, nach dem Abschluss des ersten Horror-Szenarios auf Wythan gleich noch eine vollkommen ähnliche Situation auf Destiny zu schaffen, in der er sich zudem auch noch mehrfach zitiert. Ob das hätte sein müssen? Des Weiteren hat sich Hoffmann scheinbar auch vom platten Liebesgesäusel seiner Kollegen anstecken lassen. Die bisweilen noch hitzige Affäre zwischen Vanessa Modesta und Sebastian Blenkov artet heuer völlig aus und wird vom überzogenen Pathos fast erstickt. Nicht zu vergessen die Momente, in denen der Leser seine Helden bereits tot wähnt, diese aber wieder mal wie durch ein Wunder der finsteren Bedrohung trotzen konnten. Gerade Letzteres wird in „Sternenkind“ bis zum Erbrechen ausgereizt und entzieht der Geschichte zum Schluss dann auch das letzte Fünkchen Authentizität.

Dass die Mini-Serie innerhalb der „Titan-Sternenabenteuer“ mit diesem Band in einem mäßigen, völlig unspektakulären Finale bereits ihr Ende findet, setzt der Negativ-Entwicklung schließlich die Krone auf. Mensch, da hat der Autor endlich mal wieder einen Hintergrund mit Potenzial aufgestellt, nur um ihn im Eiltempo wieder zu zerstören. Sollte dies die Masche des aktiven „Titan“-Teams sein – und so scheint es mir angesichts der merkwürdigen Qualitätsschwankungen zwischen den letzten Ausgaben –, dann kann ich das mittlerweile weder lustig finden noch irgendwie begrüßen. Und so ist der Kontrast in diesem Fall wohl auch noch am schwersten zu tolerieren. Nach dem besten Band der letzten Monate folgt mit „Sternenkind“ der vorläufige Tiefpunkt der neueren „Titan“-Veröffentlichungen. Traurig, aber leider wahr!

http://www.BLITZ-Verlag.de

Nuyen, Jenny-Mai – Nocturna – Die Nacht der gestohlenen Schatten

Vampa ist seit neun Jahren vierzehn. Und er hat seine Erinnerungen verloren, selbst die an seinen wirklichen Namen. Das Einzige, woran er sich aus der Zeit vor den letzten neun Jahren erinnert, ist ein gesichtsloser Mann mit Zylinder, der ihm eine Geschichte erzählte. Seine – Vampas – Geschichte, und mit jedem Wort der Erzählung verschwand ein Teil dieser Geschichte aus seinem Gedächtnis und wanderte in das Dritte Buch. Seither ist er auf der Suche nach diesem Dritten Buch. Er will seinen Namen und seine Erinnerungen wiederhaben. Denn ohne sie ist er kein Mensch, kann weder leben noch sterben …

Apolonia dagegen hat ganz andere Probleme. Vor kurzem ist die Buchhandlung ihres Vaters abgebrannt, was diesen den Verstand gekostet hat. Da Apolonias Mutter vor einigen Jahren gestorben ist, bleibt dem Mädchen nun nichts anderes übrig als bei ihrer Tante und ihrem Onkel zu wohnen. Seither löchert sie den mit der Klärung des Falles betrauten Polizeiinspektor nahezu täglich nicht nur mit Fragen nach dem Fortschritt der Ermittlungen, sondern auch mit ihrer Theorie einer Zaubererverschwörung!

Tigwid wiederum ist in die ganze Sache aus purer Neugier hineingeschlittert. Er hat ein paar ungewöhnliche Fähigkeiten, zum Beispiel kann er Dinge bewegen, ohne sie zu berühren, und er kann mit Tieren sprechen. Und er will unbedingt wissen, woher diese Fähigkeiten kommen. Was er nicht weiß: Auch ihm wurden Erinnerungen genommen …

Schon bald stellt sich heraus, dass die hartnäckigen Fragen und Nachforschungen der drei auf denselben Punkt zielen. Einen Punkt, der sie schon bald in große Schwierigkeiten bringt …

Der dominierende Charakter unter den dreien ist Apolonia. Sie ist nicht nur von wohlhabender Herkunft, sie ist auch sehr intelligent. Das hat eine scharfe Zunge und eine gehörige Portion Arroganz zur Folge. Sie ist überzeugt davon, dass ihre Mutter keines natürlichen Todes starb, und dass der Brand im Geschäft ihres Vaters und dessen jetziger Gesundheitszustand damit zusammenhängen. Sie fühlt sich bestohlen, ihrer Familie und ihres Zuhauses beraubt und sinnt auf Rache. Daß sie tatsächlich einen Teil der Wahrheit herausfindet, liegt allerdings mehr an ihrem Mut als an ihrer Intelligenz. Und Letztere kann sie auch nicht davor bewahren, letztlich doch ihren Gegnern auf den Leim zu gehen …

Tigwid ist ein Straßenjunge, der von Diebstählen lebt und von Botengängen für einen der städtischen Unterweltbosse. Ein echter Überlebenskünstler, dem man nur schwer die gute Laune verderben kann. Er besitzt eine gesunde Portion Misstrauen, einen durch seinen Lebenswandel geschulten, sicheren Instinkt und außerdem Köpfchen.

Über Vampa gibt es nicht besonders viel sagen, denn durch den Verlust seiner Erinnerungen ist ihm seine Persönlichkeit abhanden gekommen. Er strahlt vor allem Leere und Kälte aus, was seine Umgebung ziemlich einschüchtert.

Ein interessanter Charakter war Apolonias Tante Nevera, die zunächst wirkt wie eine oberflächliche, egozentrische dumme Gans. Wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt, hat sie es aber in sich. Und die Entwicklung vollzieht sich ganz allmählich und ohne Knacks.

Mit anderen Worten, auch in ihrem dritten Buch ist Jenny-Mai Nuyen die Charakterzeichnung wieder gut gelungen. Zwar sind die Figuren nicht ganz so eindringlich geraten wie in ihren ersten Büchern, das mag aber auch daran liegen, dass Tigwid und vor allem natürlich Vampa ein mehr oder weniger großer Teil ihres Ichs fehlt. Trotzdem waren auch Vampas Leblosigkeit und seine Reaktion auf das Buch mit Tigwids Geschichte sehr gut gemacht.

Auch die Grundidee, auf der das Buch basiert, fand ich sehr ungewöhnlich und faszinierend. Eine Gruppe magisch Begabter, die sich die Dichter nennen, stiehlt den Menschen ihre Erinnerungen, um damit Bücher zu schreiben. Diese Bücher üben einen einzigartigen Zauber auf den Leser aus, und zwar deshalb, weil sie echte Gefühle beinhalten. Die Dichter behaupten, dies sei der einzige Weg, andere an den eigenen Gefühlen teilhaben zu lassen, und ihre Taten brächten Liebe und Glück in die Welt und seien deshalb zum Wohle der Menschheit.

Die Originale der Bücher werden mit dem Blut desjenigen geschrieben, dessen Erinnerungen sie enthalten sollen. Worte, die mit Blut geschrieben wurden, besitzen noch eine weitere Eigenschaft, die den Kopien fehlt: Ihren Worten wohnt die Macht inne, so tief in den Geist des Lesers einzudringen, dass er sie für seine eigenen hält. Auf diese Weise können die Dichter Menschen manipulieren, in den Wahnsinn treiben, sogar töten. Daran ist unschwer zu erkennen, dass die Dichter durchaus noch andere Ziele haben, als nur für ihre genialen literarischen Werke bewundert zu werden und ein Vermögen damit zu verdienen.

Um gegen einen solchen Gegner zu bestehen, müssen natürlich die Hauptfiguren der Geschichte auch mit entsprechenden Fähigkeiten ausgestattet sein. So stellt sich schon bald heraus, dass auch Apolonia mit Tieren sprechen kann, und zwar wesentlich besser als Tigwid. Außerdem erhalten sie Unterstützung vom Treuen Bund der Kräfte, ebenfalls magisch begabten Leuten, die die Dichter bekämpfen.
Und dann ist da noch die Polizei, die logischerweise von all dem überhaupt nichts glaubt!

So kommt es, dass es nahezu unmittelbar, nachdem Apolonia ihr Elternhaus verlassen hat, um Tigwid zu folgen, ziemlich drunter und drüber geht. Von allen möglichen Seiten werden die drei verfolgt, getrennt, entführt. Das sorgt zunächst einmal für eine Menge Trubel, spannend wird es aber erst, als Apolonia ins Wanken gerät und nicht mehr weiß, welcher Seite sie glauben soll.

Leider empfand ich gerade diesen wilden Trubel als etwas hektisch und chaotisch. Irgendwie verläuft der Erzählfluss in diesem Teil des Buches nicht ganz glatt, auch wenn er so amüsante Nebensächlichkeiten bot wie die Verbrüderung von Tigwids betrunkenem Boss und Dotti, der mindestens genauso betrunkenen Inhaberin der geheimen Gangsterkneipe.

Auch die physikalische Erklärung der magischen Talente der Motten, wie hier die Zauberer genannt wurden, hakelt etwas. Abgesehen von dem unglücklich gewählten Wort Magnetismus glaube ich nicht, dass die elektrischen Gehirnströme von Erinnerungen sich in irgendetwas von denen anderer Gedanken unterscheiden. Strom ist Strom.

Unterm Strich bleibt zu sagen, dass mir dieses Buch von Jenny-Mai Nuyen recht gut gefallen hat, wenn auch nicht ganz so gut wie ihre ersten beiden. Den Handlungsaufbau fand ich zunächst nicht so gelungen, später wurde es besser. Die Charakterzeichnung war nicht ganz so intensiv, aber immer noch sehr glaubwürdig und anschaulich. Und für die kleinen Knackse entschädigt die ausgefallene Thematik der Geschichte. Mit anderen Worten: Auch wenn es nicht ganz an die beiden Vorgänger heranreicht, ist auch dieses wieder ein sehr gutes Buch der jungen Autorin.

Jenny-Mai Nuyen stammt aus München und schrieb ihre erste Geschichte mit fünf Jahren. Mit dreizehn wußte sie, dass sie Schriftstellerin werden wollte. „Nijura“, ihr Debüt, begann sie im Alter von sechzehn Jahren. Inzwischen ist sie neunzehn und studiert Filmwissenschaft an der New York University.

Gebundene Ausgabe 580 Seiten
ISBN-13: 978-3-570-13337-8

www.jenny-mai-nuyen.de/
www.randomhouse.de/cbjugendbuch/index.jsp

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Ubukata, To – Implosion (Mardock-Trilogie 3)

Band 1: [„Kompression“ 2695
Band 2: [„Expansion“ 3363

_Das Geheimnis der 1800 Seiten._

Das Ursprungsmanuskript der Mardock-Trilogie umfasste 1800 Seiten, hieß es stets, und da es die deutschen Übersetzungen gerade mal auf gute 1000 Seiten bringen, stellt sich dem neugierigen Leser natürlich die Frage: Wo ist der Rest abgeblieben? Von |Heyne| gekürzt? Bei der Übersetzung verloren gegangen? Cora Hartwig, die Übersetzerin der Mardock-Trilogie, hat das Geheimnis dann gelüftet: Das Ursprungsmanuskript der Mardock-Trilogie umfasste 1800 Seiten, wurde dann aber u. A. vom Autor selbst kräftig gekürzt, ehe es überhaupt veröffentlicht wurde.

Außerdem muss bei solchen Seitenangaben beachtet werden, dass die japanische Normseite 17 Zeilen und 40 Anschläge umfasst, während es bei der deutschen Normseite 30 Zeilen und 60 Anschläge sind (eine Normseite entspricht der Standardformatierung, in der Manuskripte bei Verlagen einzureichen sind, wie jede(r) Nachwuchsautor(in) gequält nickend zu bestätigen weiß). Auch diese Information verdanke ich Frau Hartwig und möchte mich an dieser Stelle nochmals herzlich bei ihr bedanken!

_Showdown A-go-go Baby!_

Nun denn, zurück nach Mardock, wo der Leser in „Kompression“ und „Expansion“ eine rasante Achterbahnfahrt durchlebt hat: Im ersten Band durfte der geneigte Leser Rune Balot kennenlernen, die minderjährige Zwangsprostituierte; man war dabei, als sie von Shell Septinos beinahe umgebracht wurde, als sie von zwei Rechtsanwälten aufgegriffen wurde, als sie zu einer biotechnologischen Kampfmaschine umgebaut wurde, als sie ihre Fähigkeiten zu beherrschen lernte, als sie von Shell Septinos und seinen brutalen Häschern gejagt wurde, als Action im Buch eine neue, vorstellungssprengende Dimension erreicht hat.

Im zweiten Band dann begab man sich mit Rune Balot auf die Suche nach Motiven: Wer ist Shell Septinos, ihr Beinahe-Mörder? Wer ist Dimsdale Boiled, die schier unüberwindliche Kampfmaschine im Dienste von Septinos? Was treibt die beiden an? Was hat die October Company damit zu tun? Ein vergeistigter Trip war das, bis zu dem Punkt, da Rune Balot das Casino von Shell Septinos betritt, um dort einen wahren Glücksspiel-Thriller zu erleben, der eine völlig neue Spannungserfahrung vermittelt hat.

Die Spannung ist also groß – wie wird sich das alles im abschließenden Band der Mardock-Trilogie auflösen? Noch immer befinden wir uns im Casino von Shell Septinos, noch immer muss Rune Balot durch geschicktes Glücksspiel an die wichtigen Eine-Million-Dollar-Chips herankommen, da auf diesen die Erinnerungen von Septinos gespeichert sind – seine Motive, seine Verbindungen zur October Company und seine ganze schmutzige Vergangenheit. Wo Rune im zweiten Band noch beim Poker und beim Roulette bestehen musste, gilt es nun, die statistischen Geheimnisse des Black Jack zu ergründen und gegen das Casino einzusetzen.

Außerdem muss Balot gegen die Anwälte der October Company bestehen und natürlich ein letztes Gefecht mit der irrsinnigen Kampfmaschine Dimsdale Boiled austragen. Die perfekte Gelegenheit also, um an der Action des ersten Bandes anzuknüpfen und die angedeuteten Tiefgründigkeiten des zweiten Bandes auszuloten.

_Schwacher Schluss einer starken Trilogie._

Auch in „Implosion“ hat es Ubukata geschafft, dem unkundigen Leser einen völlig neuen Blickwinkel auf das „Glücksspiel“ zu gewähren, und es macht einen Heidenspaß, Rune Balot beim Black-Jack-Spielen zuzusehen. Aber diesmal hat es Ubukata überstrapaziert, denn ein Kartenspiel von 213 Seiten bei einer Story von 342 Seiten ist definitiv zu lang. Natürlich bekommt Rune einen würdigen Gegner, natürlich werden ihre Fähigkeiten ausgereizt und ohne jeden Zweifel war es ganz und gar nicht einfach, dieses Kartenduell zu choreographieren, ohne die Regeln der Wahrscheinlichkeit allzu schwer zu verletzen. Aber irgendwann liest man nur noch Zahlen, liest „Hit“, „Stay“, „Bust“, „Split“ oder „Double Down“, ohne dass man Runes Strategie tatsächlich noch folgen könnte. Trotzdem reißt es einen noch mit, keine Frage, aber die Ermüdungserscheinungen bleiben nicht aus.

So freut man sich denn, dass sich während der letzten Seiten ein actionbetonter Showdown abzeichnet, aber – leider – auch dieser kommt nicht ohne Ermüdungserscheinungen aus. Wo in „Kompression“ Rune Balots Kampf gegen die fürchterliche Bandersnatch-Gang Maßstäbe gesetzt hat, mit einem atemberaubenden Actionspektakel, wie ich es in einem Buch nicht für möglich gehalten hätte, schleppt sich „Implosion“ mit einem konventionellen Zweikampf zum Ende. Noch immer ist es beeindruckend, wie Ubukata Geschwindigkeit vermittelt, wie er die Explosionen förmlich spürbar macht, aber es bleibt dennoch bei einem blassen Nachbild der Action des ersten Bandes.

Eigentlich hätte „Implosion“ ein gewaltiger Schlussakkord sein können, der einen neuen Blickwinkel auf die Ereignisse der ersten beiden Bände erzeugt, der mit neuen Ideen den Leser erneut verblüfft, der wiederum mit den Konventionen spielt und sich über sich selbst erhebt. Stattdessen erfährt der Leser nichts brüllend Neues, der Tauchgang in die Erinnerung von Septinos liefert einem nichts, was man nicht ohnehin schon vermutet hätte, und anstatt im Showdown mit den Konventionen zu brechen, liefert Ubukata schlicht und ergreifend Action-Standard.

Es ist überaus schade: Wo die ersten beiden Bände noch Hunger auf mehr machten, bricht in „Implosion“ sämtliche aufgebaute Spannung zu einem Sammelsurium aus Klischees zusammen und hinterlässt den faden Eindruck einer Story, die sich tatsächlich auf einem Bierdeckel zusammenschreiben ließe. Natürlich hat Ubukata auch hier gute Ideen verarbeitet, seine Szenen sind spritzig, rasant und kompakt – es ist nicht sein Stil, dem die Puste ausgeht, sondern die Story. Auf der Zielgeraden macht sie schlapp. Die Erwartungen werden nicht erfüllt. Unter dem Strich bleibt dennoch ein solides Zukunfts-Abenteuer, das man sich durchaus zulegen kann. Alles andere würde ja auch keinen Sinn machen, denn die ersten beiden Bände sind und bleiben unbedingt empfehlenswert! Und, na ja, schwache Trilogie-Schlusspunkte hat die Phantastik-Anhängerschaft ohnehin schon längst zu verkraften gelernt: Matrix, Fluch der Karibik, Spider-Man …

http://www.heyne.de

Jordan, Sherryl – Avala – Die Zeit des Adlers

Seit Avala denken kann, ist ihr Stamm auf der Flucht vor den Soldaten des Kaiserreichs Navora. Das Einzige, was die Menschen der Shinali aufrechthält, ist ihr unerschütterliches Vertrauen in eine alte Prophezeiung, die die Zeit des Adlers vorhersagt. Eine Zeit, in der sich die bisher verfeindeten Stämme der Igaal und der Hena mit den Shinali versöhnen werden, um gemeinsam das verlorene Land für die Shinali zurückzugewinnen. Als Avala an ihrem sechzehnten Geburtstag ihr Erwachsenwerden feiert, eröffnet ihr der Stammespriester, dass sie dazu bestimmt ist, die prophezeite Einheit zwischen den Stämmen der Steppe herbeizuführen!

Avala scheut vor diesem Gedanken zurück. Denn die Einigung der Stämme und die Forderung nach der Rückgabe ihrer alten Weidegründe bedeutet Krieg gegen Navora. Avala aber ist Heilerin, und der Gedanke, Schmerzen zuzufügen anstatt zu lindern, ist ihr ein Gräuel. Sollte sie sich jedoch der Prophezeiung verweigern, bedeutet das den Untergang für ihr eigenes Volk und auch für das der Hena und Igaal … Avala muss sich entscheiden!

Sherryl Jordan hat ihre Geschichte in der Ich-Form erzählt und in vier Teile gegliedert, von denen der letzte im Vergleich recht kurz ausgefallen ist und deshalb eher einem langen Epilog gleicht als einem eigenständigen Erzählteil. Der erste Abschnitt berichtet von Avalas Herkunft und ihren ersten Bemühungen bei den Igaal, der zweite von ihrem Aufenthalt in Ravinath, der dritte von ihrer Rückkehr zu den Igaal und dem Aufstand.

Avala steht – schon aufgrund der gewählten Erzählform unvermeidlich – im Zentrum der Ereignisse. Sie ist bereits mit einem gewissen Erwartungsdruck aufgewachsen, das liegt an ihrer ungewöhnlichen Herkunft. Ihr Vater war ein navoranischer Heiler, der sich um der Shinali – und einiger anderer Missstände – willen mit seinem Kaiser überworfen und dafür mit dem Leben bezahlt hat. Von ihm hat Avala nicht nur ihre Gabe des Heilens, sondern auch gewisse seherische Fähigkeiten geerbt. Allerdings sind ihre Gaben zunächst nur grob geschult. Sie ist noch jung und trotz ihres guten Willens und ihrer Begabung nicht gegen Rückschläge und Enttäuschungen gefeit. Größere Sicherheit gewinnt sie erst, als ihre Fähigkeiten in Ravinath gezielt ausgebildet werden. Rhetorik gehört allerdings nicht dazu; Avala beeindruckt ihre Umgebung vor allem durch ihre schonungslose Ehrlichkeit.

Mudiwar, der Häuptling der Igaal, ist trotz allem ein harter Brocken, an dem Avala sich beinahe die Zähne ausbeißt. Er glaubt, wenn er sich dem Kampf gemäß der Prophezeiung anschließt, wird er sein Volk unnötig in Gefahr bringen. Vor der Tatsache, dass sein Volk längst massiv unter den Angriffen und Sklavenjagden der kaiserlichen Soldaten zu leiden hat, verschließt er die Augen. Diesem Dickschädel hat die junge, unerfahrene Avala nicht viel entgegenzusetzen, erst der gereiften und selbstbewussten Avala gelingt es, mit ihm fertigzuwerden.

Der eigentliche Bösewicht der Geschichte, Kaiser Jaganath, gehörte einst zu den weisen Männern, die Avala ausgebildet haben. Er kann ungeheuer echte Illusionen erschaffen, so echt, dass die Menschen, die in diese Illusionen hineingeraten, sogar daran sterben können, allein weil sie glauben, die Trugbilder seien echt. Das scheint aber seine einzige Fähigkeit zu sein, denn außer ihr und einer lügnerischen Zunge setzt er keinerlei Waffen gegen Avala ein. Letztlich besiegt Avala ihn quasi mit einem Fingerschnippen, einem einfachen, aber in seiner Wirkung brillanten medizinischen Kniff.

Die Methode war in der Tat so hervorragend einfach, dass ich mich fragte, warum Avala sich zuvor überhaupt Jaganaths Sermon angehört hat! Selbst der Dramaturgie hat dieses Zögern nicht gedient, denn die Zeit, die Jaganath dadurch gewinnt, vertut er wie gesagt mit wirkungslosen Tricks und Lügen. Das Duell zwischen den beiden, das der Höhepunkt der gesamten Handlung hätte sein können und sollen, ragt in keiner Weise aus dem übrigen Geschehen heraus.

Spannung ist ohnehin etwas, das dem Buch fehlt. Zwar sind Avalas erste Bemühungen erfolglos, da sie aber nicht unter Zeitdruck steht, wirkt sich dieser Aspekt nicht auf den Spannungsbogen aus. Dasselbe gilt für die Ausbildung in Ravinath, die sich um ein halbes Jahr verzögert. Erst, als Avala Mudiwar überzeugt hat, sich dem Aufstand anzuschließen, kommt die Sache in Fahrt. Dann aber läuft alles so reibungslos und glatt, dass der Leser, anstatt mitzufiebern, sich mit einem trägen Lächeln zurücklehnt und gelangweilt zuschaut, wie alles unausweichlich ins Happy-End mündet.

Nun ist ein Happy-End ja nicht unbedingt etwas Schlechtes. In diesem Fall jedoch erfüllt es sämtliche Klischees, die Hollywood zu bieten hat.
Außer einem bisschen Neid dreier Gleichaltriger Avala gegenüber scheint es bei den Shinali keinerlei Konflikte zu geben, und selbst davon ist bei Avalas Rückkehr zu ihrem Volk nichts mehr zu spüren. Alle haben sich ach so lieb.

Ähnliches gilt für die Meister, die Avala in Ravinath unterrichteten. Alle sind sie unendlich gütig, weise und liebevoll. Im schlimmsten Fall sind sie traurig oder bekümmert. Keiner von ihnen zeigt jemals Regungen wie Zorn oder auch nur Bitterkeit angesichts der Tatsache, dass sie sich bereits seit siebzehn Jahren vor dem Kaiser verstecken müssen. Auch hier gibt es keinerlei Konflikte.

Das alles wird noch übertrumpft von dem, was nach der Rede eines Meisters auf dem großen Platz der navoranischen Hauptstadt geschieht. Tatsächlich fallen sich da – nicht einmal eine Woche nach den Kämpfen! – alle Angehörigen der vier bis dahin verfeindeten Völker in einem großen Akt der Vergebung gegenseitig um den Hals. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Kaiser bei seinem Volk höchst unbeliebt war und ein Teil seiner Anhänger nach der Niederlage geflohen ist, ist das unglaubwürdig. Immerhin wurden im Zuge des Umsturzes auch sämtliche Sklaven befreit. Irgendwo muss es einfach so etwas wie Unzufriedenheit oder Gemurre gegeben haben. Und in einem Heer von zwanzigtausend Steppenkriegern und vor allem unter den Sklaven muss es einfach ein paar gegeben haben, deren Hass auf die Navoraner zu groß war, um einfach so in der Versenkung zu verschwinden.

Dazu kommt, dass die Geschichte in einer ziemlich schmalzigen Art geschrieben ist. Das gilt vor allem für den Abschnitt über Ravinath. Ständig geht es darum, wie liebevoll und gütig ihre Familie, ihre Freunde, die Meister sind, wie behütet und geliebt Avala sich fühlt, wie sie ständig gesegnet, liebevoll berührt und umarmt wird. Selbst auf dem Weg durch die unterirdischen Tunnel des Kaiserpalastes fühlt Avala sich von einer liebevollen Gegenwart geführt, mit der wohl ihr verstorbener Vater gemeint ist. Selbst im Hinblick auf Avalas seherische Fähigkeiten war das doch etwas dick aufgetragen! Stellenweise ist es vor lauter klebrigem Zucker fast unmöglich, die Seiten umzublättern.

Logische Ungereimtheiten taten ein Übriges. Mudiwar ist Häuptling des Klans der Elche, eines recht kleinen Klans innerhalb des Volkes der Igaal. Wie kommt es, dass die Igaal sich dem Kampf nicht anschließen, solange er nein sagt, und es dann doch tun, sobald er ja sagt? Haben die anderen Klane der Igaal keine Häuptlinge, und haben die nichts mitzureden? Avalas Strategie sieht vor, durch ein Täuschungsmanöver vor den Stadttoren einen Teil der kaiserlichen Soldaten von der Stadt abzuziehen, damit sie nicht zur Stelle sind, um den geplanten Sklavenaufstand niederzuschlagen. Gleichzeitig aber wird der Zeitplan für den Umsturz so festgelegt, dass der Sklavenaufstand im Palast und der Hauptstadt losgehen soll, bevor die Feldtruppen vor den Stadttoren auftauchen, zu einem Zeitpunkt also, an dem sich das kaiserliche Militär noch in der Stadt befindet. Als der Sklavenaufstand dann losbricht, rennen die einzelnen Soldaten nach Hause zu ihren Familien, um diese zu verteidigen, anstatt unter dem Kommando ihrer Vorgesetzten geschlossen gegen die Aufständischen vorzugehen, wie man es von einer Armee erwarten würde.

Mit anderen Worten: Wenn es sich bei diesem Buch um einen Film gehandelt hätte, dann hätte ich es als Soap bezeichnet: inhaltlich eher seicht, spannungsarm und furchtbar kitschig. Logische Brüche sowie die rosaroten Brille, hinter der sich alles abspielt, bewirken, dass sowohl Handlung als auch Charaktere – selbst diejenigen, die nicht so enttäuschend ausgefallen sind wie Jaganath – völlig ins Unglaubwürdige abgleiten. Sherryl Jordan hat schon Besseres geschrieben.

_Sherryl Jordan_ lebt in Neuseeland und hat bereits eine ganze Anzahl Jugendbücher verfasst, von denen auch einige ausgezeichnet, aber nicht alle ins Deutsche übersetzt wurden. Erschienen sind bei uns außer „Avala – Die Zeit des Adlers“ und [„Jing-Wei und der letzte Drache“ 1464 unter anderem „Tanith, die Wolfsfrau“, „Flüsternde Hände“ und „Der Meister der Zitadelle“, wo die Vorgeschichte zu den Ereignissen in „Avala“ erzählt wird.

http://www.patmos.de

Catherine Webb – Satan – Retter der Welt

Band 1: „Lucifer – Träger des Lichts“

Nachdem Seth, Odin und Jehova am Ende des ersten Bandes tatsächlich die drei Schlüssel gefunden haben, hat Sam alias Lucifer ein ernstes Problem. Zwar können die befreiten Pandora-Geister ihm nicht direkt etwas anhaben, wie sich jedoch nur zu bald herausstellt, brauchen sie das auch gar nicht. Stattdessen konzentrieren sie sich auf seine bisherigen Verbündeten und schneiden Sam damit von jeglicher Unterstützung ab. Ein harter Schlag für jemanden, der zwar seine unmittelbaren Kämpfe stets allein ausgetragen hat, bei den Vorbereitungen derselben allerdings auf ein Netzwerk an Kontakten zurückzugreifen pflegte. Schnell gerät Sam in immer größere Bedrängnis.

Catherine Webb – Satan – Retter der Welt weiterlesen