Archiv der Kategorie: Fantasy / Science-Fiction

Robert J. Sawyer – Die Neanderthal-Parallaxe

Das geschieht:

Auf einer parallelen Erde des 21. Jahrhunderts haben die Neandertaler* den Homo sapiens abgelöst. Ohne ihre Naturverbundenheit zu verlieren, konnten die einstigen Höhlenmenschen eine auf Wissenschaft und Hightech basierende Zivilisation entwickeln. Ponter Boddit und Adikor Huld gehören zu den führenden Physikern ihrer Welt. In der Stadt Saldak haben sie in einer ehemaligen Mine ein Labor eingerichtet. Hier arbeiten sie intensiv an der Konstruktion eines Quantencomputers.

Während eines Experiments geschieht das Unerwartete: Ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum tut sich auf, durch den Ponter Boddit in ein paralleles Universum geschleudert wird. Zeit und Ort blieben unverändert, doch diese Erde wird von den kahlhäutigen „Gliksins“ bevölkert. Neandertaler gibt es nicht mehr. Ponter ist in einem Neutrino-Observatorium gelandet, das in der Tiefe der Creighton-Mine nahe Sudbury in Kanada angelegt wurde. Sein Erscheinen ist eine Sensation. Robert J. Sawyer – Die Neanderthal-Parallaxe weiterlesen

Nix, Garth – Abhorsen (Das alte Königreich 3)

Mit „Abhorsen“ führt Garth Nix seine Trilogie um „Das alte Königreich“ zum Abschluss. Der Band ist eine direkte Fortsetzung von [„Lirael“ 1140 und damit nicht unabhängig von diesem lesbar.

Die junge Clayr Lirael hat ihr ganzes bisheriges Leben darunter gelitten, nicht wie die anderen ihres Volkes eine Seherin zu sein. Nur schwachen Trost hat sie in ihrer Arbeit als Bibliothekarin gefunden, bis zu dem Tag, als ihr befohlen wurde, sich auf eine Reise zu machen, die ihr ihre Bestimmung eröffnen würde.

Tatsächlich hat Lirael ihr Erbe und ihre Bestimmung gefunden. Nicht Prinz Sameth, sondern sie ist die kommende Abhorsen, die in die Fußstapfen Sabriels treten wird. Der Sohn des Königs ist dazu bestimmt, eine andere Aufgabe zu übernehmen. Welche, hat Sameth noch nicht herausgefunden.

Es bleibt auch gar keine Zeit danach zu forschen, denn die untoten Horden des Nekromanten Hedge verwüsten das Land. Er scheint im Dienst einer viel größeren Macht eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, die auch auf das benachbarte Ancelstierre hinüberzugreifen droht. Und Nick, Sameths Freund aus Ancelstierre, ist zu seiner Geisel und seinem Helfer geworden.

Nach einem kurzen Aufenthalt im Haus der Abhorsen, in dem sie sich neu ausrüsten und wieder Kraft sammeln, machen sich Lirael und Sameth auf die gefahrvolle Reise in den Norden. Hedge hat ihnen Horden von Untoten auf den Hals gehetzt, damit sie ihn nicht aufspüren, doch die beiden jungen Leute lassen sich nicht beirren und entdecken schließlich, was der Nekromant im Schilde führt.

Nicht zuletzt die „fragwürdige Hündin“ ist ihnen in dieser Zeit eine treue Gefährtin und Helferin, denn sie scheint mehr über die Gefahren und die Macht zu wissen, die Hedge aus der Erde holen lässt. Es ist ein düsteres Vermächtnis aus den Anfängen der Zeit, noch bevor die Charter entstanden ist. Nun sind alle Kräfte und Fähigkeiten der beiden jungen Menschen gefordert, um dem Treiben Einhalt zu gebieten. Sie haben nicht mehr viel Zeit, um das drohende Verhängnis aufzuhalten und Nick zu retten.

Und da dürfen sie sich auch nicht von einer bitteren Nachricht entmutigen lassen: König Touchstone und die Abhorsen Sabriel sind offensichtlich bei einem Attentat in Ancelstierre ums Leben gekommen, und damit stehen die beiden jungen Menschen ganz allein auf weiter Flur.

Im Gegensatz zu [„Sabriel“ 1109 sind die Romane „Lirael“ und „Abhorsen“ nicht unabhängig voneinander lesbar, sondern bilden eine zusammenhängende Geschichte. Nachdem in „Lirael“ die Charaktere der nächsten Generation, ihre veränderte Welt und die neuen Feinde und Gefährten eingeführt wurden, geht es jetzt in „Abhorsen“ richtig zur Sache.

Zielstrebig gehen die junge Clayr und der Prinz ihren Weg und agieren, wie sie es für richtig halten. Die Handlung ist actionreich, rasant und lässt dem Leser bis zum Schluss kaum Zeit, Atem zu holen.

Das ist allerdings auch eine Schwäche dieses Romans; stellenweise überschlagen sich die Ereignisse zu sehr und manche Schilderungen wirken so abgehackt, dass man als Leser einen Bruch oder eine Kürzung im Roman zu entdecken meint. Garth Nix scheint auch kein Freund von langsamen Ausklängen zu sein … das Buch endet ebenso abrupt wie manch ein Kapitel.

Nichtsdestotrotz bietet auch Abhorsen gute Unterhaltung mit faszinierender Magie, die vor allem in diesem Buch eine Hauptrolle spielt und mythische Dimensionen annimmt, einer spannenden actionreichen Handlung mit gruseligen Szenen und einem zufriedenstellenden Ende.

Aber auch hier lässt sich Garth Nix ein Hintertürchen offen, um vielleicht eines Tages aus der Trilogie einen Zyklus zu machen – das Potenzial und die Konflikte für weitere Geschichten aus dem „Alten Königreich“ – ob nun aus der Zukunft oder der Vergangenheit – sind da.

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Anne Eliot Crompton – Merlins Tochter

Der wievielte Artus/Merlin/Morgaine/…-Roman ist das eigentlich? An die zehn habe ich rezensiert, gelesen weit mehr. Die Highlights waren Mary Stewarts Merlin-Zyklus und natürlich MZBs „Die Nebel von Avalon“; den Tiefpunkt markierte Susan Shwartz’ „Der Wald von Broliande“. Und alle mischten die Karten neu, besetzen Rollen um, rückten Verhältnisse in ein anderes Licht…

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Nix, Garth – Lirael (Das alte Königreich 2)

Nachdem Garth Nix den Leser bereits in [„Sabriel“ 1109 in die magische Welt des „Alten Königreiches“ entführt hat, lockt er ihn nun zum zweiten Mal auf eine Reise an neue verwunschene Orte und zu weiteren düsteren Geheimnissen, die entdeckt werden wollen.

Vierzehn Jahre sind vergangen. Sabriel und Touchstone haben das Erbe angenommen, das ihnen durch ihr Blut bestimmt worden ist.

Als Magierin Sabriel Abhorsen und König Touchstone versuchen sie das Alte Königreich, aber auch Ancelstierre jenseits der Mauer vor immer noch ruhelosen Toten zu beschützen und die Schäden zu beseitigen, die ihr damaliger Feind angerichtet hat. Kraft und Hoffnung schöpfen sie dabei auch durch ihre Kinder Ellimere und Sameth, von denen jedes eines Tages in die Fußstapfen der Eltern treten soll, um den Schutz der Reiche zu gewährleisten.

Unbemerkt von dem Königspaar ist unter den Clayr – einem seherisch begabten Volk – das Mädchen Lirael herangewachsen. Das Mädchen sieht sich wie eine Außenseiterin, denn zum einen kennt sie ihren Vater nicht, zum anderen will in ihr einfach nicht die Gabe des Sehens erwachen. Je mehr Jüngere erwählt werden, desto mehr schämt sie sich und verzweifelt. Sie möchte nicht länger als unmündiges Kind angesehen werden, weiß aber nicht, wie sie das erreichen soll.

Erst als sie nahe daran ist, sich das Leben zu nehmen, findet sie Hilfe und Trost. Andere Clayr helfen ihr dabei, nicht die Geduld zu verlieren, und verschaffen ihr eine Stelle in der großen Bibliothek, die weniger als ein Saal voller Bücher, als vielmehr eine versunkene alte Stadt voller Geheimnisse, Artefakte und Gefahren ist.

Obwohl sie ihr neues Leben zu schätzen beginnt, entwickelt sich Lirael auch hier zu einer Außenseiterin, die lieber liest, Magie lernt und verbotenerweise durch die Bibliotheksstadt streift. So bleibt es nicht aus, dass sie schließlich ein gefährliches magisches Geschöpf zum Leben erweckt und nun sehen muss, wie es gebannt wird, ehe es noch mehr Schaden anrichtet oder gar Leute umbringt. Durch diese erste Bewährungsprobe gewinnt sie an innerer Stärke, was sie selber aber noch nicht begreift. Erst als die Seher der Clayr ihr Tun entdecken und sie auf eine gefahrvolle Reise schicken, lernt Lirael ihre wahre Bestimmung kennen und lernt ebenso, sie zu akzeptieren.

Aber auch Sabriel und Touchstone bekommen neue Schwierigkeiten. Immer wieder müssen sie Gefahren im Alten Königreich beseitigen. Ihnen wird recht schnell klar, dass wieder eine dunkle Macht aufgetaucht ist, um die Lebenden zu bedrohen, und dass die ganzen Geschehnisse klug geplant wurden, um sie von der eigentlichen Gefahr abzulenken.
So ist es auch an ihren Kindern zu helfen, so gut sie können.
Sameth etwa soll in die Fußstapfen seiner Mutter treten und der nächste Abhorsen werden, um weiterhin die Toten zu binden und zu vernichten. Aber den Prinz befällt beim Wirken von Nekromantie regelrechte Angst. Kann er diese überwinden, um seinem ancelstierrischen Freund Nicholas beizustehen? Denn als dieser Sameth besuchen will, gerät er in die Klauen des Feindes …

Obwohl „Sabriel“ in sich abgeschlossen war, bot der Hintergrund doch genug Möglichkeiten, um die Geschichte fortzuspinnen und eine neue Generation von Helden zu erschaffen, denen die ersten zur Seite stehen können und umgekehrt. Garth Nix begeht aber nicht den Fehler, ein einmal erfolgreiches Konzept zu wiederholen, auch wenn es Parallelen zu geben scheint. Die Grundvoraussetzungen der Personen und ebenso ihr Einstieg in das Abenteuer sind anders, denn Sameth ist nicht unbedingt der Sohn, den seine Eltern erwarteten und begehrt wie jeder Teenager gerne auf. Lirael erkämpft sich als Außenseiterin ihren Weg und ist nicht unbedingt jemand, der sich leicht Freunde macht. Und nicht zuletzt erweist sich der Feind als jemand von einem ganz anderen Kaliber.

Wieder überzeugt der Autor mit einer spannenden Geschichte, die immer zum rechten Zeitpunkt ihre Geheimnisse preisgibt und an keiner Stelle langweilig wird, einer faszinierenden Schilderung von Magie, die wir in diesem Band noch besser kennen lernen, und einer wirklich exotisch geschilderten Bibliothek.

Einziger Wermutstropfen ist nur, dass die Auseinandersetzung mit dem Feind am Ende des Buches noch nicht ausgestanden ist.

„Lirael “ ist wie sein Vorgänger „Sabriel“ Fantasy, in die man ruhig einmal einen Blick werfen sollte, wenn man der Drachen, Elfen und Zwerge überdrüssig ist, denn die Bücher beweisen, dass das Genre auch aus wenig exotischen Hintergründen viel machen kann.

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Bunch, Chris – Dunkle Schwingen (Die Drachenkrieger 2)

Nach „Herrscher der Lüfte“ legt Chris Bunch nun mit „Dunkle Schwingen“ den zweiten Teil seines Zyklus um den Drachenmeister Hal Kailas vor. Während der erste Band den Aufstieg des jungen Mannes vom Bauernburschen, der davon träumt, ein Drachenreiter zu sein, zu einem erfolgreichen Offizier schilderte, widmet sich dieses Buch nun seinen Bewährungsproben im Krieg zwischen den Ländern Deraine und Roche und der Rache an dem Mörder seines ersten Lehrmeisters Athelny.

Hal Kailas hat es weit gebracht. Er, der einst in den Dienst der Armee gepresst worden war, ist vom einfachen Soldaten der leichten Kavallerie inzwischen zu einem Anführer der Drachenreiter aufgestiegen und von seinem König in den Adelsstand erhoben worden.

Anders als viele der von Geburt an adligen Heerführer kennt er die Gefahren des Kampfes aus erster Hand und ist deshalb umsichtiger im Einsatz seiner Kräfte und der seiner Kameraden. Deshalb soll er in der nun geplanten Offensive Sondereinsätze fliegen, um den Bodentruppen weitere Vorstöße zu ermöglichen, denn noch immer leisten die Drachengeschwader Roches erbitterten Widerstand.

Doch zunächst geht alles schief. Da Hal zunächst nicht mit seinem eigenen Drachen fliegen kann und auf einen Ersatz ausweichen muss, gerät er durch die Unerfahrenheit des neuen Tieres in die Gefangenschaft der Roche. Er trifft dort nicht nur seinen Todfeind Ky Bale Yasin wieder, der ihn zum Verrat zu überreden versucht, sondern wird auch in ein angeblich ausbruchssicheres Gefangenenlager in einer Burg verbracht.

Eine Flucht scheint zunächst aussichtslos, aber Hal bleibt geduldig, beobachtet und sucht nach Schwachstellen in der Bewachung der Roche. Mit der Hilfe einiger anderer, denen er vertrauen kann, gelingt es ihm, sein Gefängnis hinter sich zu lassen, doch er schwört zurückzukommen und die anderen Derainer dort herauszuholen – ein Plan, den er sofort in die Tat umsetzt, als er wieder bei seinem Geschwader ist.

Und auch später setzt er alles daran, um seinen Teil dazu beizutragen, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, auch wenn er weiß, dass gerade seine Pläne viele unschuldige Menschenleben auslöschen werden. Eines weiß er aber ganz sicher: Wenn er Erfolg haben will, muss er zuallererst Ky Bale Yasin ausschalten, der als eine treibende Kraft auf der Seite des Feindes gilt.

Chris Bunchs Romane um „Die Drachenreiter“ lesen sich mitnichten wie eine Kopie von Anne McCaffreys oder vergleichbaren Romanen, in denen Drachen eine Rolle spielen, denn hier sind diese Geschöpfe nur Tiere, die bis zu einem gewissen Grade dressiert werden können.

Am ehesten kann man die Bücher wohl mit Landser-Romanen vergleichen, die das Leben von Soldaten an einem Kriegsschauplatz oder während einer Kampagne schildern. Menschliche Schicksale werden nicht gefühlvoll ausgewalzt und breitgetreten, sondern nüchtern geschildert, ebenso wie Pläne, die auch das Leben Unschuldiger massiv bedrohen könnten. Die Zerrissenheit zwischen Hals Gewissen und der Notwendigkeit, grausame Entscheidungen zu treffen, wird gut herausgearbeitet.

Heldentum und Pathos sind der Hauptfigur fremd, wichtig ist Hal Kailas nur, dass er und sein Geschwader ohne allzu schwere Verluste durch die nächsten Kämpfe kommen; den Krieg zu überleben, ist alles. Die einzige Freude seines Lebens ist Lady Khiri Carstairs, bei der er so etwas wie Frieden findet.

Insgesamt dürfte der Roman wie sein Vorgänger vor allem denjenigen gefallen, die ein Faible für ausgefeilte Schlachten, ausführlich beschriebene Kämpfe und militärische Schilderungen und sich vielleicht auch schon in Konfliktsimulationen damit beschäftigt haben. Romantik und ausgefeilte Beziehungen sollte man allerdings in diesem Werk nicht erwarten.

|Originaltitel: Dragonmaster, Vol. 2, Knighthood of the Dragons
Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Thon|

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Armin Rößler (Hrsg.) – Überschuss

»Es bewegt sich etwas in der deutschsprachigen Science-Fiction-Landschaft…«
– Armin Rößler 2005 im Vorwort zu „Überschuss“

Aus der ersten SF-Anthologie des Wurdack-Verlags „Deus Ex Machina“ wurden gleich mehrere Geschichten sowohl für den Kurd-Laßwitz-Preis als auch den Deutschen Science-Fiction-Preis nominiert. Neben ganz neuen Autoren, die durch das ambitionierte Projekt des Wurdack-Verlags die Möglichkeit erhalten, ihre ersten Geschichten zu veröffentlichen, melden sich auch in der Szene bekannte Autoren wie Markus K. Korb, Thorsten Küper oder zuletzt in „Walfred Goreng“ sogar Profis wie Ernst Vlcek und Helmut W. Mommers zu Wort. „Überschuss“ ist eine Sammlung von 19 Geschichten deutscher und österreichischer Autoren, die laut Klappentext auch „neue Fragen auf konventionelle Antworten“ wagen.

Überschuss – Thorben Kneesch (Physiker)
Die Titelstory bietet gleich ein erschreckend denkbares Modell der menschlichen Zukunft, vor allem mit der derzeitigen Arbeitslosenpolitik der Bundesregierung im Blick. Kneesch lässt die weitere Entwicklung streiflichtartig vorüberziehen und steuert eine klassisch tragische und ausweglose Situation an, um mit einem Hammer zu enden. Sehr gelungen!

Der Irrtum – Lutz Herrmann (Dozent für Physik und Chemie)
Die Handlung ist absolut nachvollziehbar, kein abgedrehter Text, ganz normal geschrieben – und trotzdem hab ich die Geschichte erst jetzt, beim Schreiben dieser Zeilen, wirklich verstanden. Direkt nach dem Lesen bleibt das Gefühl des Nichtverstehens, aber die Ansätze werden vermittelt. Erst wenn man darüber nachdenkt, warum die Story ihren Titel trägt, kommt die Erkenntnis. Tragisch. Das Schicksal von Menschen, durch Irrtümer drastisch veränderbar.

Barrieren – Armin Rößler_ (Journalist)
Die Angst vor dem Fremden – immer wieder Grundlage von Missverständnissen und Kriegen. Oder ein oft thematisierter Gegenstand in der Science-Fiction, wenn Menschen mit überragenden Fähigkeiten ausgenutzt, aber auch gefürchtet werden. Luz ist einer von ihnen, aber er hat seine eigene Überzeugung und sucht einen Weg, seinen Leuten gegen alle Gefahren zu helfen. Fesselnd geschrieben!

Nur ein Gedanke – Birgit Erwin (Referendarin für Anglistik und Germanistik)
Ob schon mal jemand auf den Gedanken gekommen wäre, eine Fritte ins All zu schicken? Nein, warum auch. – Zu diesem Zeitpunkt ist man gewarnt, ahnt aber noch nicht das Ausmaß der Geschichte. Erwin fackelt ein ironisches Feuerwerk ab, bei dem eine Blödheit der anderen folgt und eine Verkettung merkwürdiger Zufälle schließlich zum Höhepunkt führt. Ob schon mal jemand auf die Idee gekommen wäre, eine Sternschnuppe zu bauen?

Der Spaziergang – Markus K. Korb (Herausgeber)
Wie schön Protagonist Wilson sich ausmalen kann, wie der Tod kommen würde. Und wie zynisch sich der Tod anschleicht. Wunderbar geschrieben.

Der Untergang der Titan – Bernhard Weißbecker (Physiker, Agarwissenschaftler)
Die irrigen Wege der Medien und die ungebrochene Sensationsgier der Menschen. Entscheidung zwischen einer Freudenfeier und einem Stierkampf. Wieder eine Geschichte für den Zynismus.

Nicht ganz Atlantis – Andrea Tillmanns (Physikerin)
Obwohl recht schnell einigermaßen klar ist, worum es geht, ist die Geschichte so gut erzählt, dass sie den Leser bis zum Schluss fesselt. Eine Art von Kulturschock bricht herein, eine Katastrophe führt zu einem unwürdigen Leben. Es ist eine etwas längere Geschichte, aber wert, erzählt worden zu sein.

Strafvollzug – Peter Hohmann (Sport-Anglistik-Student)
Sehr unterhaltsam und flüssig zu lesen. Leider steht die Pointe als offene Drohung im Hintergrund. Hohmann schafft es aber, eine tragische Geschichte zu erzählen.

Wider Willen – Axel Bicker (Physiker)
Wieder einmal herrscht der Feudalismus auf neu erschlossenen Planeten. Und der Sohn lehnt sich nicht auf. Aber Bicker erzählt eine alte Thematik in neuem Gewand. Sehr spannend.

Das Festtagsprogramm – Thorsten Küper (Lehrer)
Eine durch und durch hinreißende Geschichte, die vom ersten bis zum letzten Wort spannend ist. Mit jedem Satz verdichtet sich das Bild, ein Thriller, dessen Ende eine Horrorzukunft beschwört. Meisterhafte Unterhaltung.

Die Spirale – Nina Horvath (Biologie-Studentin)
Philosophische Gedankenspielerei, die aber zum Mitdenken animiert und (da es sich um existenzielle Spekulationen handelt) mehrere unergründliche Lösungen bietet, um schließlich zu einer erschreckenden Konklusion zu kommen.

Der Besucher – Uwe Herrmann (tätig in der Kunststoffbranche)
Der Außerirdische selbst ist nicht weiter ungewöhnlich. Aber sein Ursprungsplanet umso mehr. Er ist nämlich so weit von allen Galaxien entfernt, dass selbst die Naturgesetze ihn nicht erreicht haben, weil sich der Aufwand nicht lohnt. Wir erhalten eine neue Erkenntnis um die Intelligenzverteilung auf der Erde und erfahren erleichtert, dass das Säbelrasseln der Amerikaner nicht jeden einschüchtert. Zum Schmunzeln.

Albas bestes Spiel – V. Groß (studierte Erziehungswissenschaften, Sozialpsychologie, Sprachwissenschaften)
Ein Spiel entscheidet. Spannend geschrieben, enthüllt Groß nach und nach die Ursache eines Streits, und als man endlich hoffen kann, führen die Spielsucht und die Entschlossenheit der potenziellen Retter zum tragischen Ende. Die beiden letzten Absätze sind überflüssig, verdeutlichen nur die ohnehin deutliche Pointe. Trotzdem toll.

Flasken – Edgar Güttge (Übersetzer)
Ich hätte ja die letzten drei Absätze weggelassen. Insgesamt eine flotte Geschichte, die vor satirischen Elementen nur so strotzt. Der Nihilist Friedhelm Nichtsche zum Beispiel. Güttge hat wohl alles, was ihm an Humor gekommen ist, hier verbraten, zwischen Flasken, Flaschen und Flachsen. Manchmal vielleicht etwas viel, insgesamt aber flüssig und sehr unterhaltend.

Das Buch – Ilka Sehnert (Sängerin, Schauspielerin)
Sehr fragmentarisch, aber auch eindringlich. Warnend vor dem Vergessen und der Kontrolle. Eine Vision nach Orwell und Bradbury, mit einem Lichtblick.

Der Bewohner – Bernhard Schneider (Physiker)
Eine Geschichte, die auf den gleichen Grundlagen ruht wie „The 13th Floor“ und „The Matrix“. Trotzdem ist sie äußerst originell, denn die philosophischen Fragen, die bei den genannten Geschichten entschlüsselt werden, finden hier keine Lösung. Diese Geschichte ist der Knaller dieser Sammlung!

Alles wandelt sich – Antje Ippensen
Inmitten der Geschichten mit düsteren Visionen hebt sich diese hier wunderbar ab. Sie löst ein hoffnungsvolles Gefühl aus, sieht allerdings die Rettung der Erde nicht durch die alleinige Kraft der Menschen kommen, sondern durch aufopferungsvolle Hilfe von außen. Als eine Warnung vor den naturzerstörerischen Machenschaften der Menschen sieht sie die Zukunft trotzdem nicht verloren.

Allmacht – Uwe Sauerbrei (Geophysiker)
Schön schnelle Geschichte, aber das Wichtigste bleibt ungeklärt: Woher kommt die Allmacht? Wohl ein Fehler in irgendwelchen kosmischen Systemen, wird ja auch temporal bereinigt. Immerhin giert der Allmächtige nur nach Wissen, nicht nach Überlegenheit. Unterhaltsam.

Fallstudie: Terroristin Jenny S. – Heidrun Jänchen (Physikerin)
Fehlinformation der Medien (oder durch die Medien) und ständig gelockerte ethische Vorstellungen machen schnell aus einer Frau eine Terroristin, die sich in einer genmanipulierten Welt eine natürliche Schwangerschaft wünscht. Schlaglichtartig leuchtet Jänchen die Verhältnisse in dieser Welt aus und skizziert eine dramatische Entwicklung. In der Welt gibt es menschliche Ersatzteillager; sogenannte „defekte“ Menschen haben keine Rechte und keine Zukunft mehr. Es ist eine brandaktuelle Diskussion um ethische Grundsätze und Gentechnik. Schnell und eindringlich zu lesen, ein würdiger Abschluss der Anthologie.

Fazit

„Überschuss“ ist eine wunderschön zusammengestellte Sammlung von hervorragenden Geschichten, die sich zum Teil eindringlich mit aktuellen schwierigen Themen befassen oder humoristisch unterhalten – oder beides.
Eine Geschichte für Zwischendurch oder mehrere Geschichten am Stück: Nie wird die Lektüre langweilig, jede Story wartet mit einer eigenen Idee und eigenem Stil auf. Für jeden Science-Fiction-Freund zu empfehlen; man wird seine Freude haben – und auch für jeden anderen an unserer Welt Interessierten bietet die Anthologie spannende Unterhaltung. Ein starkes Stück!

broschiert, 196 Seiten
ISBN-13: 978-3938065112

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Hubert Haensel – Die längste Nacht (Perry Rhodan. Lemuria 6)

Man befindet sich wieder in der Gegenwart. Perry Rhodan und sein kleines Team kämpfen in der Bestien-Station um ihr Überleben und stoßen dabei auf ein schreckliches Geheimnis: In tausenden von Tanks wurden seit Jahrtausenden Bestien gezüchtet, doch erst bei Bedarf erweckt. Das überschüssige Material wurde in einem ewigen Zyklus wieder aufgelöst und zur erneuten Zucht verwendet. Jetzt stehen auf mehreren Planeten hunderttausende Bestien für den erneuten Krieg bereit, und die Maschinerie produziert unablässig Kampfraumschiffe.

Aufgrund der mehrdimensionalen Strahlung durch das Hyperkristallvorkommen gibt es keinen Funkkontakt zur PALENQUE, Rhodan will eine Funkzentrale in der Station finden, deren stärkere Geräte hoffentlich ausreichen, um Hilfe herbeizurufen. Derweil wird Sharita Coho, die Kommandantin des Schiffes, ungeduldig und setzt ein Team auf dem Planeten ab, um nach Rhodan zu suchen. Sie stoßen auf die gelähmte Bestie, die sich gerade aus ihrer Erstarrung befreit. In einer Hetzjagd erreicht das Team vor der Bestie das Landungsboot und startet, doch die Bestie klammert sich an den Rumpf und beginnt mit ihren strukturveränderten Gliedmaßen, sich eine Öffnung zu schaffen.

Im Akon-System versucht Levian Paronn, sich Zugang zu den akonischen Zeitumformern zu verschaffen, um sein Vorhaben doch noch auszuführen. Aber gerade sein größter Förderer und väterlicher Freund Admiral Mechtan von Taklir bringt ihn ins Grübeln über sein beabsichtigtes Zeitparadoxon. Sowieso ist es fast zu spät, denn die Bestien schlagen los.

Hubert Haensel, Exposéeautor des Minizyklus, beendet mit dem vorliegenden sechsten Band den bisher besten Spin-off-Zyklus der Perry-Rhodan-Serie. Ihm ist es in Zusammenarbeit mit Frank Borsch zu verdanken, dass bei der Konzeption neue Wege beschritten wurden, dass von dem platten Schema der Vorgängerzyklen (wo es vor allem um Action und unschlagbare Gegner ging) abgewichen wurde. Der Lemuria-Zyklus behandelt eines der beliebtesten Themen der Serie, nämlich den Exodus der ersten Menschheit. Die Lemurer bergen noch immer phantastische Geheimnisse, um sie ranken sich kosmische Rätsel und wundervolle Abenteuer. Statt rasanten Verfolgungsjagden schildert „Lemuria“ die Jagd nach der Wahrheit um das Rätsel der Sternenarchen. Allen Autoren ist es hervorragend gelungen, individuelle Romane beizusteuern, so dass ein buntes Bild und wundervolle Charakterisierungen zustande gekommen sind.

Haensel führt alle Fäden zusammen und offenbart damit einen größeren Komplex, als bisher geahnt werden konnte. Rhodan ist nur vordergründig allein aufgebrochen, um mit den Akonen Kontakt aufzunehmen. Sein eigentliches Anliegen betraf Informationen, die mit merkwürdigen Gerüchten zusammenhingen. Rückblickend ist klar, dass es sich dabei um die neuen Aktivitäten der Bestien handelte. Ein erstaunlicher Zufall also, dass Rhodan ausgerechnet jetzt auf die erste Sternenarche trifft und sich so an den Hinweisen entlanghangeln kann, bis sich ihm die Wahrheit offenbart.

Übrigens spielten die Menttia, die Hans Kneifel im zweiten Band einführte, tatsächlich eine große Rolle und sind nicht nur von Kneifel erfunden worden. Mit ihrer Unterstützung ließ Haensel die Akonen jene ultimate Waffe gegen die Bestien entwickeln, durch die Paronn erst auf den Gedanken des Zeitparadoxons gebracht wurde.

Ziegler schilderte die große Enttäuschung Paronns und seine Kurzschlussreaktion, die nach der bisherigen Charakterisierung nicht zu dem überlegten Mann passt. Haensel vertieft sich in Paronns Zwiespalt und lässt uns teilhaben an seinen Problemen; er sieht selbst ein, kurzsichtig gehandelt zu haben, ja sieht sogar seine Handlungsweise als ihm nicht geziemend. Und nicht zuletzt befreit sich der Zyklus aus einem Schwarz-Weiß-Denken, das ein oft kritisiertes Problem der Perry-Rhodan-Serie ist. Die Pro- und Antagonisten haben ihre Schattierungen, entwickelt durch die sechs unterschiedlichen Autoren; selbst die gezüchteten Bestien, die aufgrund ihrer Konditionierung durchaus einseitig beschrieben werden können, erhalten neue Facetten. Schwierigstes Objekt ist sicherlich Perry Rhodan selbst, eine seit über vierzig Jahren beschriebene Gestalt, der neue Glaubwürdigkeit zu verleihen ein großes Problem ist. Er ist der große, unnahbare Unsterbliche mit allumfassendem Durchblick. Und endlich einmal gelang es wieder, ihn in einen Menschen zu verwandeln, mit Gefühlen und Schwächen, und ihm trotzdem seine große Erfahrung zu belassen.

Fazit

Mit dem Lemuria-Zyklus ist den Autoren ein Abenteuer gelungen, das trotz des gigantischen Serienhintergrundes auch für interessierte Science-Fiction-Leser geeignet ist, denen die Perry-Rhodan-Serie bisher abging. Vor allem der phantastische Roman von Andreas Brandhorst liest sich schön auch ohne Zusammenhang. Ihm ist hier das beste Ergebnis gelungen, allein schon, wenn man bedenkt, dass er sich für dieses Werk völlig neu in die Serie einarbeiten musste. Jeder der Autoren hat einen hervorragenden Beitrag geleistet, nicht ein Roman erscheint überflüssig oder langatmig, wie das bei Vorgängern nicht ausgeschlossen werden kann. Bei dem erreichten Niveau fällt es schwer, qualitative Abstufungen zu machen. Der Roman von Leo Lukas fällt um eine Nuance zurück, was nur im Vergleich mit den anderen gesehen werden kann. Insgesamt hat mir der Zyklus hervorragend gefallen.

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 3,00 von 5)

O’Shea, Pat – Meute der Mórrígan, Die

Pat O’Shea, Jahrgang 1931, hat 13 Jahre an diesem Roman gearbeitet, und es hat sich gelohnt. 1985 erschien dieses wundervolle, heitere Buch für Kinder und Erwachsene bei |Oxford University Press|, 1995 erschien eine gebundene Fassung beim |Verlag Freies Geistesleben|, 2001 präsentierte es der |Deutsche Taschenbuch Verlag| auch denjenigen hiesigen Lesern, die Englisch nicht (so gut) beherrschen oder Originallektüre scheuen. Die lange Verzögerung hat das Werk nicht verdient, aber besser spät als nie. Freunde guter Kinderbücher werden es mögen, Freunde irisch-keltischer Mythologie ebenso.

Worum geht es? Eines Tages findet der zehnjährige Pidge in einem Antiquariat ein paar alte Blätter, eins davon zeigt ein kompliziertes Muster, das sich beim näheren Hinsehen als eine Schlange offenbart – die böse Schlange Olc-Glas. Es ist mit einem zweiten Blatt zusammengeklebt, auf dem ein Bannspruch des Heiligen Patrick höchstselbst geschrieben steht; aber nun lösen sich beide Blätter voneinander, und allerlei merkwürdige Ereignisse nehmen ihren Anfang. Seltsame dünne Leute mit spitzen Zähnen interessieren sich sehr für Pidge und seine fünfjährige Schwester Brigit, in ein benachbartes Glashaus ziehen die zwei merkwürdigen Damen Melody Mondlicht und Breda Ekelschön ein, und die neue Stute, die Pidges Vater just an diesem Tag gekauft hat, beherbergt eine unheimliche Präsenz. Schnell begreifen die Geschwister, dass sie das Schlangen-Blatt vor Feinden verbergen müssen. Eine fast unlösbare Aufgabe, denn Melody, Breda und das Wesen in der Stute (das diese zum Glück bald verlässt) sind Macha, Bodbh und die Mórrígan, drei Schlachtendämoninnen oder auch Kriegsgöttinnen, die eins sind. Sie bieten all ihre Kraft auf – nicht nur, um das Blatt zu bekommen, sondern auch, um Pidge und Brigit daran zu hindern, einen Stein mit dem Blut der Mórrígan zu finden. Oder besser: Sie wollen diesen Stein an sich bringen. Kann die Mórrígan ihn in die Hände kriegen, kann sie ihr schwach gewordenes Blut mit diesem Tropfen wieder stark machen, Olc-Glas töten und sich seine Bosheit einverleiben; die gesamte Schöpfung wäre dann von ihr bedroht. Gelingt es den Geschwistern, den Stein zu behalten, können sie mit dem Blut Olc-Glas vernichten und die Welt retten. Zum Glück helfen ihnen die guten Götter: der Dagda, Angus Óg, der Gott der Liebe, und Brigit, die Göttin des Herdfeuers; es helfen auch der mythische Held Cúchulain, viele Tiere und andere Geschöpfe.

Pat O’Shea schreibt mit einer geradezu übersprudelnden Fülle von Einfällen und mit ständig präsentem, feinsinnigem Humor, den Übersetzerin Bettine Braun gekonnt ins Deutsche übertragen hat. Die Diktion und der Reigen skurriler, liebenswerter Figuren erinnern stark an Lewis Carroll; wer Bücher wie „Alice im Wunderland“, „Der Zauberer der Smaragdenstadt“ oder „Der kleine Prinz“ mag, wird dieses Buch ebenfalls liebgewinnen. Es ist für Kinder zum Lesen oder Vorlesen geeignet, auch für kleinere, denn es bietet eine einfache und dennoch kunstvolle Sprache, hält mit den Geschwistern zwei starke Identifikationsfiguren bereit und beinhaltet – ohne zu moralisieren – sehr viel Lebensweisheit, auf fast beiläufige, aber einprägsame Art vorgetragen. Ein sehr schönes Beispiel ist die Unterhaltung mit dem Fuchs Curu, dem vielleicht besten Freund der Kinder, der sich bitter über die Fuchsjagd beklagt und beweist, dass Füchse nicht Schädlinge, sondern sehr nützlich sind, auch wenn sie einmal ein Huhn stehlen. (Wer danach noch immer ein Fan dieses Mordsports ist, dem kann nicht mehr geholfen werden.)

Spannung und auch gruselige Momente kommen natürlich nicht zu kurz, jedoch zerstören diese Szenen, bei allem Ernst, nicht den heiteren Zauber des Buches. Man erkennt die Sicht der Autorin: Zum Leben gehört auch das Gefährliche und Dunkle, ohne dass die Schönheit des Ganzen darunter leidet. Pidge und Brigit müssen viele Abenteuer und Gefahren bestehen, und manchmal wird sich beim Vorlesen ein kleines Kind vielleicht auch unter die Decke verkriechen, aber doch immer mit der festen Gewissheit, dass am Ende alles gut ausgeht. Und noch öfter wird geschmunzelt werden; zwar entbehrt dieser Roman jeder hemdsärmligen Comedy, doch der feine Humor ist überall präsent, bis in die liebevolle Zeichnung der Nebenfiguren hinein (einer davon, dem Wachtmeister, der am Ende geläutert wird, gehört sogar der Epilog). Selbst die Vertreterinnen des Bösen, zumindest Melody und Breda, haben lustige Szenen und wirken bisweilen eher skurril als finster. Es ist überhaupt erstaunlich, wie Pat O’Shea die Götter- und Heldengestalten Irlands zum Leben erweckt und dem Leser nahe bringt. Gleiches gelingt ihr mit der Landschaft der Grünen Insel, die auch die Landschaft der Anderswelt Tír-na-nÓg ist, in der die Geschwister den größten Teil ihrer Abenteuer bestehen müssen und die eine liebevoll gezeichnete Kulisse für die Handlung bildet, nicht in langen Schilderungen ausgewalzt, aber ständig präsent und einprägsam in den Details.

Kurzum: ein großartiges Buch!

|Orginaltitel: The Hounds of the Mórrígan
übersetzt von Bettine Braun|

_Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|

Athans, Philip – Verheerung (Der Krieg der Spinnenkönigin 5)

„Verheerung“ von Philip Athans ist der fünfte Band des sechsteiligen AD&D-Epos „Der Krieg der Spinnenkönigin“ (War of the Spider Queen), das in deutscher Übersetzung bei |Feder & Schwert| erscheint.

Unter der Schirmherrschaft von AD&D-Altmeister R. A. Salvatore haben sechs Autoren ihr Debüt in der Serie „Die Vergessenen Reiche“ gegeben. Bei Philip Athans kann man weniger von einem Debüt sprechen: Seit Jahren ist er als Herausgeber verschiedener Bücher der „Vergessenen Reiche“ bei |Wizards of the Coast| tätig, gelegentlich hat er jedoch einige wenige Bücher selbst geschrieben, wie die in Deutschland eher unbekannten Romanfassungen der AD&D Computerspiele |Baldur’s Gate| und |Neverwinter Nights|. Athans wurde von seinen Kollegen mehrfach lobend erwähnt für seine Mithilfe in AD&D-Fragen, er hat auch das Lektorat der Serie übernommen.

_Die verschollene Göttin_

Was kann eine Gruppe von sieben bösartigen und egoistischen Drow dazu veranlassen, fast uneigennützig für ein gemeinsames Ziel Gefahren und Entbehrungen auf sich zu nehmen? Natürlich nur ein außergewöhnlicher Notstand … und dieser ist eingetreten: Lolth, die Spinnengöttin der Drow, schweigt – verwehrt ihren Priesterinnen ihre Magie und jeglichen Beistand. Die matriarchalische Herrschaftsstruktur der Drow ist gefährdet, ohne die Magie der Priesterinnen droht der Metropole Menzoberranzan die Vernichtung durch ihre zahlreichen Feinde. Aber auch abtrünnige männliche Drow sehen eine Chance, die Verhältnisse zu ihren Gunsten umzukehren, andere sinnen einfach nur auf Rache. Die Macht der Feinde der Drow ist groß, die Stadt Ched Nasad wurde bereits völlig vernichtet. Nur Gromph, der Erzmagier Menzoberranzans, könnte den Leichnam (Lich; ein untoter Magier) aus dem abtrünnigen Haus Agrach Dyrr aufhalten, dessen Verbündete (Dunkelzwerge, Tanarukk) bereits in den Straßen Menzoberranzans kämpfen.

Die bereits zerbrochene Gruppe um die Hohepriesterin Quenthel und ihren Draegloth-Diener Jeggred, bestehend aus dem Magier Pharaun, dem Waffenmeister Ryld, dem Söldner Valas Hune sowie der aus Ched Nasad entkommenen Priesterin Halisstra und ihrer Leibsklavin Danifae war bisher auf ihrer Suche nach der Göttin Lolth erfolglos.

Halisstra ist vom Glauben an Lolth abgefallen und hat sich Eilistraee, der Göttin der an die Oberfläche Faerûns zurückgekehrten Dunkelelfen, zugewandt. Zusätzlich hat sie von ihrer neuen Göttin eine schwere Aufgabe erhalten: Sie soll mit einer magischen Mondsichelklinge Lolth selbst töten! Ryld ist verwirrt von den Lehren Eilistraees und entsetzt von dem Gedanken, gegen Lolth kämpfen zu müssen, bleibt aber wegen seiner Liebe zu Halisstra bei ihr.

Quenthel und Pharaun setzen derweil ihre Reise in den Abgrund der Dämonennetze fort. An die Stelle der sonst üblichen, oft eskalierenden Reibereien ist Verzweiflung getreten, Quenthel wirkt apathisch und hoffnungslos, was insbesondere Jeggred missfällt. Das nützt Danifae für ihre Zwecke aus. Während eines Erkundungszugs mit Valas Hune gelingt es ihr zudem, sich von Halisstras Bindezauber zu befreien, ihr Leben ist nicht mehr mit ihrem verbunden – endlich kann sie Rache nehmen …

Während Gromph mit dem Lich Dyrr um sein Leben und um Menzoberranzan kämpft, eskaliert die Situation im Abyss: Jeggred macht sich auf die Jagd nach Halisstra und Ryld. Schließlich erreicht Quenthels Gruppe den Abgrund der Dämonennetze, der sich anscheinend aus dem Abyss gelöst hat und nun eine eigene Ebene bildet. Quenthel übernimmt wieder die Führung: Lolth lebt – und gewährt ihren Priesterinnen wieder ihre Macht.

_Fast am Ende der Reise_

Es ist ein seltenes Vergnügen, Drow-Priesterinnen im Freudentaumel zu erleben. Lolth lebt offensichtlich, aber warum hat sie den Abgrund der Dämonennetze aus dem Abyss gelöst, warum hat sie so lange geschwiegen? Diese Fragen bilden den Cliffhanger für den nächsten Band. Man sollte zudem nicht vergessen: Halisstra ist nach wie vor wild entschlossen, Lolth zu töten.

Athans rückt neben dieser entscheidenden, das Finale vorbereitenden Neuigkeit vorallem Gromph und Danifae in den Mittelpunkt. Die Vorbereitungen für das Magierduell um Menzoberranzan und schließlich der Kampf selbst zählen zu den Highlights des Romans. Wie Gromph sich zum Beispiel sein verlorenes Augenlicht wiederbeschaffft, ist einfach nach feinster Drow-Manier …

Einige Schnitzer aus vorherigen Romanen bügelt Athans aus, so war Danifae trotz ihrer Bindung an Halisstras Leben und ihrer langen Abwesenheit nie im Geringsten besorgt. Diese Bindung zerschlägt Athans in diesem Roman etwas beiläufig und wenig originell, aber er gibt der bisher blassen Danifae etwas mehr Charakter, sie ist sogar eine entscheidende Triebfeder der Handlung dieses Romans.

Athans hat die Handlung und die zahlreichen Kämpfe geschickter verbunden als viele seiner Kollegen, was mir sehr gut gefiel, doch gerade bei einem Kenner wie Athans sind einige Fehler einfach nicht verzeihlich: So hat Ryld als Waffenmeister von Melee-Magthere einen schwereren Stand gegen eine Riesenfaultiermutter als der Späher Valas Hune gegenüber einem uralten Drachen. Die Konzentration auf Danifae tut sowohl Pharaun als auch Quenthel nicht gut, insbesondere Pharaun wirkt nicht mehr gewitzt, sondern eher beschränkt. Die wenig überzeugende apathische Phase Quenthels erklärt sich wenigstens am Ende des Romans, wenn auch nicht zur vollständigen Zufriedenheit. Diese inkonsistenten Charakterdarstellungen – jeder Autor hob bisher eine andere Figur hervor – sind leider ein durchgehendes Problem der gesamten Serie.

Zwischen Ryld und Jeggred wird es in diesem Roman zu einem tödlichen Duell kommen, in dessen Verlauf Athans sie recht originell aus der Sicht einiger unfreiwillig in diese Auseinandersetzung hineingezogener menschlicher Holzfäller beobachten lässt. Ob Ryld den Halb-Dämon halbiert oder ob dieser, wie er es schon oft versprochen hat, Ryld das Herz herausreißen und fressen wird, möchte ich nicht verraten.

_Fazit:_ Wie alle Autoren bisher, hat auch Philip Athans den Schwerpunkt auf eine andere Figur verlagert, in diesem Fall Gromph. Die Handlung ist nach wie vor sehr actionreich und spannend, eine besondere Note konnte Athans jedoch weder der Handlung noch einer Figur geben. Seine Vorgänger hatten jeweils eine deutliche Stärke oder Schwäche; so hat Richard Lee Byers Menzoberranzan überzeugend dargestellt, während man bei Richard Baker außer einer – wenn auch überzeugenden – Kampforgie wenig geboten bekam. Athans erlaubte sich keine Extreme oder Fehler bis auf die enttäuschend beiläufige Entfernung von Danifaes Bindungszauber und den offensichtlich schwächelnden Drachen. Das Magierduell sowie der Showdown zwischen Ryld und Jeggred sind zweifelsohne die Highlights dieses Romans, ebenso wird ein vielversprechendes Finale vorbereitet. Leider schafft es auch Athans nicht, die Charaktere zumindest konsistent zum Vorgängerband darzustellen. Dennoch ist auch dieser Roman überdurchschnittlich gutes Lesefutter für Drow-Fans. Wie die ganze Reihe ist er jedoch eher Kennern der „Vergessenen Reiche“ zu empfehlen, da sie entsprechende Grundkenntnisse voraussetzt.

Weitere Besprechungen aus dieser Reihe bei |Buchwurm.info|:
[Zersetzung 183 (Band 1)
[Zerstörung 677 (Band 4)

Reinhold Eichacker – Panik

Eichacker Panik Cover kleinDas geschieht:

Mit einem mysteriösen dunklen Punkt im All beginnt es: Professor Earthcliffe, der kauzige aber begnadete Leiter der Michigansternwarte in New York, verliert ob der Unmöglichheit, dieses Phänomen identifizieren zu können, bald den Verstand. Erst als der junge, hoch talentierte Amateurwissenschaftler Dr. Nagel sich ihm als Assistent zur Seite stellt, gelingt des Rätsels Lösung: Ein gewaltiger Meteorit nähert sich der Erde, auf der er mit hoher Wahrscheinlichkeit einschlagen wird!

Earthcliffe fürchtet eine weltweite Massenpanik und rät zum Schweigen („Die Masse der dummen, kritiklosen Menge würde die kosmische Gefahr und Drohung gewiss nicht ertragen.“, S. 42). Doch sein skrupelloser Kollege Dr. Wepp denkt anders. Er will die Panik, um durch Aktienspekulationen ein gigantisches Vermögen zu erraffen. In einem zweiten Schritt will er sich gar zum Herrn der außer Kontrolle geratenen Welt aufschwingen.

Sein böser Plan lässt sich gut an. Die Erde verwandelt sich in einen Hexenkessel. Wepp entpuppt sich als fähiger Aufwiegler, der den Mob nach seiner Pfeife tanzen lässt. Die verzweifelten Versuche Earthcliffes und Nagels, seine Manipulationen aufzudecken, bleiben nutzlos. Von Wepp aufgehetzt, rückt die Meute gegen die Michigansternwarte vor, um die vermeintliche Stätte allen Übels und ihre Bewohner zu vernichten.

Alles wäre verloren, hätte Nagel nicht vor einiger Zeit den charismatischen deutschen Chemiker und Physiker Walter Werndt zu Hilfe gerufen. Mit Hilfe des „Falken“, seines fabelhaften Flugzeugs, könnte es möglich sein, Zeit und Ort des Meteoriteneinschlags zu ermitteln. Wepp hart auf den Fersen, versucht das kleine Forscherteam seinen Job zu tun, während die Apokalypse einsetzt …

Panik im All ist vor allem Panik auf Erden

„Panik“ ist der zweite Band der später so genannten „Walter-Werndt“-Trilogie, verfasst von Reinhold Eichacker, einem heute weitgehend unbekannten Pionier der (deutschen) Science Fiction. Die SF-Gruselmär vom außerirdischen Kometen, der auf die Erde stürzt und die Zivilisation der Menschen vernichtet, ist schon vor „Deep Impact“ oder „Armageddon“ immer wieder erzählt worden. Kometen, Meteore und Meteoriten, die Feuer sprühend vom Himmel fallen, haben seit jeher die Menschen fasziniert und in Schrecken versetzt. In der ‚modernen‘ Welt des 20. Jahrhunderts war es keineswegs anders. Als der Halleysche Komet 1912 am Himmel erschien, glaubten viele Zeitgenossen tatsächlich, das Ende der Welt werde in Gestalt seines angeblich giftgeschwängerten Schweifes über sie kommen. Reinhold Eickacker veröffentlichte „Panik“ 1922; es waren seither erst zehn Jahre verstrichen. Hier haben wir eine der Quellen offengelegt, aus denen der Verfasser schöpfte.

Panik beherrschte freilich auch die deutsche Gegenwart des Jahres 1922. Der verlorene I. Weltkrieg lag erst vier Jahre zurück, seine Folgen waren nicht ansatzweise überwunden. Zur Schmach des „Versailler Schandfriedens“ kamen die enormen Reparationszahlungen, die dem Deutschen Reich von den Siegermächten abverlangt wurden. Seit 1918 befand sich die Wirtschaft im freien Fall. Eine inflationäre Abwärtsspirale war in Gang gekommen, die das Geld praktisch wertlos werden ließ. Angesparte Guthaben und Notgroschen verfielen, der Mittelstand geriet in Not, die junge deutsche Republik bekam die Probleme nicht in den Griff.

Kriegsgewinnler und Börsenspekulanten – der Bildikone gewordene, dickwanstige Kapitalist mit Pelzmantel, Zylinder und Zigarre – schienen sich auf Kosten des braven, hilflosen Manns von der Straße zu bereichern. So schlug die Stunde für demagogische Seelenfänger à la Dr. Wepp: ‚starke Männer‘, die Besserung versprachen, unter ihnen ein gewisser Adolf Hitler, der Anno 1922 freilich noch ganz am Beginn seines verhängnisvollen Siegeszuges stand.

Gänzlich diesseitige Visionen

Diese Stimmung – der „Tanz auf dem Vulkan“, wie es schon die Zeitgenossen ausdrückten – prägt Eichackers Roman, nicht aber seine angebliche Vision von der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929, wie Eichacker-Jünger gern betonen. Mit Science Fiction im Sinne von technischer oder gar gesellschaftlicher Zukunftsschau hat der Verfasser ohnehin wenig am Hut. SF-Elemente werden recht wahllos in die Handlung eingestreut; sie sind Mittel zum Zweck, das Geschehen in Gang zu halten, haben mit einer gewollten und ‚seriösen‘ Projektion gegenwärtiger Zustände in eine unbekannte Zukunft nichts zu tun.

Hier sollten wir das Positive sehen: SF ist Unterhaltung, sie wird nicht von besonders klugen Menschen geschrieben – klug in dem Sinn, dass sie sehen was da kommen mag. Was ist visionär am Entwurf einer Sternwarte, die von einem Elektrozaun umgeben ist, der ungebetene Besucher kurzerhand röstet? Verblüffung weckt auch die Kunde, dass in der Michiganwarte 70 (!) Maschinengewehre bereit liegen, die vom schießkundigen Personal sehr wirksam eingesetzt werden. Ausschließlich die Handlung, wie Eichacker sie konstruiert, benötigt solche logikfreien Seltsamkeiten.

Eichackers Welt ist ansonsten eindeutig die der 1920er Jahre, der einige sacht utopische Erfindungen (Ingenieur Werndts hubschraubenähnliches Libellenflugzeug „Falke“, Professor Earthcliffes „elektrische Rechenwand“) aufgepfropft werden, während gesellschaftlich alles beim Alten geblieben ist. Gedacht und gehandelt wird ohnehin sehr gegenwärtig. Verrat, die typische Hetzjagd zwischen Gut & Böse, eine schmalzige Liebesgeschichte – diese konventionellen Bausteine sind Eichacker für seine Geschichte sehr viel wichtiger als Naturwissenschaft & Technik, deren Erkenntnisse er ungeschickt und spannungsretardierend in die Handlung einbringt.

Zumal er sich – stellvertreten durch Walter Werndt – als Anhänger der obskuren „Erdeis“-Theorie outet. Seit Ende des 19. Jahrhunderts vertrat Hanns Hörbiger (1860-1931) die These, dass die Welt geprägt sei von einem ewigen Antagonismus zwischen den mythischen Urmächten Eis und Feuer. Das All wäre demnach erfüllt von kalten und heißen Himmelskörpern, die einander anziehen, zusammenprallen, zerstören und dadurch neue Planeten erschaffen. Das ist schierer Unfug, der indes lange überlebte, zumal den Nationalsozialisten diese gewaltreiche Bild einer Schöpfung durch Zerstörung ausnehmend gut gefiel.

Macht, Sucht und Realitätsverlust

Eichacker kann nicht verbergen, dass er auf einer ähnlichen Wellenlänge liegt. Menschen fallen dem Welteis-Meteoriten sowie der durch ihn entfachten Panik in Millionenzahl zum Opfer. Das rührt ihn nicht, denn in langen Sequenzen hat er die, welche sterben, als wertlosen Pöbel deklassiert, um den es nicht schade ist. Die Katastrophe ist womöglich keine, weil primär die Tüchtigen überleben und das Pack vom Erdboden vertilgt wird. Die “neue” Welt kann so nur eine bessere werden.

Andererseits wirft Eichacker sehr wohl einen kritischen Blick auf die Manipulation der Massen. Er hat die Mechanismen, die wenige Jahre später von Joseph Goebbels zur Vollendung gebracht wurden, gut begriffen: [Wepp spricht zu der von Panik erfüllten Masse und wiegelt sie auf] „‚Nur ein Weg bleibt uns, um dem Tod zu entgehen, nur ein Weg, liebe Freunde …‘ Ein Hoffnungsschimmer erfasste die Menge: ‚Der Weg! Die Rettung! Hilf uns!‘, schrie es wild durcheinander … Wepp stand mit sprunghaft gebogenem Körper wie eine wutfletschende Katze, die mageren Arme zur Menge gestoßen. Jetzt hatte er die da unten so weit. Jetzt tobte da unten nur noch eines: die Angst, und fraß die Vernunft auf. Jetzt konnte er ihnen den Giftpfeil zuwerfen, sie waren ihm hörig. (S. 97) ‚Ich, euer Führer, rufe euch, ich helfe euch … Hinaus auf die Straße! … Mir nach! Tod den Mördern!‘“ (S. 99)

Dies wurde Anfang der 1920er Jahre geschrieben, und es sind eigentlich altbekannte Fakten über jenes seltsame, grausame Tier, in das sich der Mensch in der Masse verwandeln kann: den Mob. In Passagen wie dieser leistet Eichacker Großes. Er verbreitet echte Furcht, wenn er die Bestie Mensch entfesselt zeigt. Ähnlich eindrucksvoll schreibt er, wenn er den Aufschlag des Meteoriten schildert und ihm wahrlich apokalyptische Szenen gelingen. Von Action versteht Reinhold Eichacker etwas!

Für ein generelles Manko kann man den Verfasser nicht verantwortlich machen: Er befleißigt sich einer Sprache, die für die Entstehungszeit von „Panik“ typisch war, heute aber nur noch mühsam erträglich ist. Sie wird geprägt durch altmodisches Pathos, durch eine Bildhaftigkeit, die in ihren stakkatohaften Wortwirbeln und stummfilmhaften Übertreibungen an freies Assoziieren erinnert. Wenn sich also der böse Dr. Wepp seinem schuftigen Bundesgenossen als künftiger Weltdiktator offenbart, so klingt das bei Eichacker so: „‚Wegfegen werde ich diese Hohlköpfe alle. Tod dem, der mir trotzte!‘. Die massige Gestalt des Dicken [= Wepps Zuhörer] wankte. Mit einem röchelnden Aufschrei fiel er auf die Knie und hob die Arme zu Wepp in die Höhe. ‚Herr! Meister! Mir schwindelt! Was sind wir vor dir doch für erbärmliche Wichte!‘“ (S. 94) Das ist ein Stil, auf den sich der Leser einstellen muss; es wird nicht immer gelingen.

Figuren: Übertreibung ist alles!

Zum Thema Figurenzeichnung kann man sich nur in Molltönen äußern. Da gibt es ausschließlich holzschnitthafte Klischeegestalten, welche die Handlung verkörpern sollen. Dies lässt die Trivialität des Romans wohl am deutlichsten erkennen. Viel Zeit und Mühe scheint Eichacker in sein Werk nicht investiert zu haben, es war für den raschen ‚Verbrauch‘ bestimmt. Deshalb kocht der Autor routiniert Stereotypen wie den weltfremden aber gescheiten Professor, sein tatkräftiges, natürlich hübsches Töchterlein oder ihren mutigen Galan, der die Fäuste spielen lässt, auf.

Erst recht spät tritt als entscheidender Retter in der Not ein ‚zufällig‘ deutscher Ingenieur auf den Plan. Der gibt sich ruhig, wo ansonsten Hysterie und Übertreibung die Szene beherrschen, und zeigt den zwar tatkräftigen aber überforderten Yankees, wie ein Teutone solche Krisen zu meistern versteht. Solcher mehr oder weniger offene Hurra-Patriotismus war freilich kein deutsches ‚Privileg‘, sondern wiederum zeittypisch.

Dr. Wepp, der Bösewicht, ist wie so oft die interessanteste Gestalt der Geschichte. Ihn bewegen keine hehren, sondern nur egoistische Ziele; wahrscheinlich lässt ihn das so realistisch wirken. Später geht es mit Eichacker durch; Wepp wird vom Volksverhetzer zum Größenwahnsinnigen, der sich schließlich für Satan persönlich hält und ein lachhaft übertriebenes Ende findet; andererseits hat es auch später weitaus dämlichere Schurkenfinale gegeben, so dass man hier in der Kritik Milde walten lassen könnte.

Autor

Wer war Reinhold Eichacker? Man sollte meinen, dass diese Frage in dem durchaus vorhandenen Nachwort beantwortet wird. Stattdessen verbreitet „Michael Gallmeister, Magister der Philosophie“ jenen Schwurbel, für den seine Zunft oft kritisiert und verspottet wird. Eine Kostprobe: Über die Rolle der SF als Blick in die Zukunft heißt es u. a.: „Zum anderen können auch teils noch heute gültige Wunschbilder, Visionen erkannt werden. Welche uns über unser heutiges Sein dahingehend aufklären, das viele ökonomisch logisch und vernunftorientierte Lösungen in Wirklichkeit animalisch evolutionären Hintergrund haben, und viele anscheinend selbstverständliche Begründungen für unser Tun nur Alibi darstellen.“ (S. 155) Alles klar?

Durch Abwesenheit glänzen dagegen ein biografischer Abriss zum Verfasser und eine (literatur-) historische Einordnung des Eichackerschen Werks. Warum ist er ein Pionier des Genres? War er der einzige seiner Art? (War er nicht.) Was hat er sonst geschrieben? Ist Eichacker-SF prägend und typisch für die frühe deutsche SF? Stattdessen lesen wir: „Es handelt sich bei dem Autor Reinhold Eichacker um einen technisch interessierten Roman-Schriftsteller.“ (S. 156) Wer hätte das gedacht? Das ist kümmerlich angesichts der Tatsache, dass die Herausgeber mit der „Phantastischen Bibliothek Wetzlar“ zusammenarbeiten konnten.

Für den Laien ist es leider schwierig, wenigstens einige Infos über der Verfasser auszugraben. Immerhin steht fest, dass sich Robert Eichacker (1886 1931) schon in jungen Jahren der Literatur zuwandte. Zunächst widmete er sich der Theorie, wurde 1912 Mitglied der Deutschen Schiller-Stiftung. Wie alle tauglichen Männer seines Jahrgangs kämpfte Eichacker wenig später im I. Weltkrieg. Seine Erfahrungen prägten ihn nachhaltig; Eichacker gehörte zur Gruppe der Unzufriedenen, die sich von unpatriotischen Feiglingen verraten und verkauft fühlten. Er begann zu schreiben, und besonders seine frühen Werke zeichnen sich durch revanchistische Züge aus, das noch im ersten Band der Walter-Werndt-Trilogie sehr stark zum Tragen kommt. Inwieweit sich dies in den historische Romane, erotischen Novellen und anderen Eichacker-Werken wiederholt, mögen literaturwissenschaftliche Untersuchungen klären.

Im ersten Werndt-Band („Kampf ums Gold“, 1921) überschüttete der große Erfinder jedenfalls das verhasste Siegerland Frankreich mit Todesstrahlen und sparte auch sonst nicht mit ‚völkischem‘ Gedankengut. Ob dies in „Panik“ und 1923 in „Die Fahrt ins Nichts“ fortgesetzt wird, muss offen bleiben. Der Celero-Verlag ließ Eichackers Werke bearbeiten und allzu arge Ausfälle tilgen. (Es wäre übrigens nützlich zu wissen, wie diese ‚Bearbeitung‘ im Detail aussieht.)

Taschenbuch: 157 Seiten

Der Autor vergibt: (2.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Nix, Garth – Sabriel (Das alte Königreich 1)

Garth Nix ist Fantasy-Lesern sicherlich durch den Zyklus um „Der Siebte Turm“ bekannt, welcher in den letzten Jahren beim |Dino|-Verlag erschien und sich vor allem an ein jugendliches Publikum richtete, das die Fantasy gerade erst durch Harry Potter, die „Herr der Ringe“-Filme oder entsprechende Computerspiele für sich entdeckt hatte. Jugendliche Helden wurden berufen, um ein düsteres Geheimnis zu lösen und durch die Reise erwachsen zu werden. Auch in seiner neuesten Trilogie müssen sich junge Helden bewähren.

Eine große Bannmauer trennt das Alte Königreich, in dem Magie und Zauberei noch an der Tagesordnung sind, vom technisch viel fortschrittlicheren Ancelstierre. Soldaten bewachen die Grenze, über die immer wieder freie Magie ausbricht und Schaden anrichtet, und lassen nur wenige Grenzgänger durch. Zu ihnen gehört auch Terciel Abhorsen, ein Magier und Nekromant des Alten Königreiches, der als einer der wenigen Garanten für die Sicherheit beider Reiche gilt, da das magisch begabte Herrschergeschlecht des Alten Königreichs vor ein paar Generationen ausgestorben ist.

Seine Tochter Sabriel wächst in Ancelstierre auf. In einem Mädcheninternat hat sie für das Leben wichtige Dinge gelernt und mit ihren Freundinnen viel Spaß gehabt, aber auch ihre Wurzeln nicht vergessen. So zögert sie nicht lange, als sie eine düstere Botschaft erreicht. Ihr Vater Abhorsen ist verschwunden, und an den Grenzen gehen seltsame Dinge vor sich: Die Toten versuchen nach Ancelstierre vorzudringen – es ist fast so, als würde sie eine düstere Macht kontrollieren.

Sabriel weiß, was sie nun zu tun hat. Sie lässt die Schule und ihre Kindheit hinter sich und kehrt in das Alte Königreich zurück, um ihren Vater zu retten. Sehr schnell stellt sie fest, dass sie sich noch einiges an Wissen aneignen muss, um gegen den geheimnisvollen Feind bestehen zu können, denn bei einem Überfall mächtigerer Toter verliert sie fast ihr Leben.

Dank der magischen Katze Mogget, die ihrer Familie schon viele Jahrhunderte dient, erlangt sie die ihr noch fehlenden Kenntnisse. So gerüstet, bricht sie ihrerseits auf, um den Feind herauszufordern. Doch auf dem Weg zu ihrem Ziel muss sie erkennen, dass sie nicht allein ausersehen ist, um die dunkle Macht zu brechen.
Auch der geheimnisvolle Jüngling Touchstone, der für Jahrhunderte in die Gallionsfigur eines Totenschiffes gebannt war, scheint ein Schlüssel zur Lösung des Problems zu sein, denn er ist vom Blut der alten Könige …

Die ersten Kapitel von „Sabriel“ erwecken den Eindruck, es mit einem weiteren Harry-Potter-Klon zu tun zu haben. Denn die Geschichte beginnt in einem englischen Internat, dessen Schülerinnen durchaus mit Magie vertraut sind. Garth Nix macht keinen Hehl daraus, dass Ancelstierre England irgendwann im 20. Jahrhundert ist.

Allerdings verfliegt der erste Eindruck ziemlich schnell und „Sabriel“ entwickelt sich zu einem eigenständigen Werk, das einen sehr eigenständigen Kosmos mit ungewöhnlicher Magie und fantasievoller, düsterer Atmosphäre entwickelt, die stellenweise die Dichte klassischer „Gothic Novels“ erreicht. Auch die Vermischung von Moderne und Fantasy ist gut gelungen und wirkt an keiner Stelle des Romans aufgesetzt.

Mich hat beeindruckt, wie elegant Garth Nix mit einem zwiespältigen Thema wie Nekromantie, d. h. der Totenbeschwörung, umgeht und ihre guten wie auch schlechten Seiten aufzeigt. Magie ist kein schmückendes Beiwerk, sondern das Hauptthema des Buches und nicht immer leicht zu beherrschen, wie Sabriel immer wieder lernen muss. Als Heldin ist sie angenehm normal – immer wieder wird sie in überheblichen Momenten in ihre Schranken verwiesen, kann aber auch durch Erfolge und Siege wachsen.

Auch die Nebencharaktere haben es in sich – Mogget ist nicht unbedingt das, wofür man ihn zunächst halten mag, und die Beziehung zwischen Sabriel und Touchstone bleibt bis zum Ende angenehm kitschfrei.

„Sabriel“ ist nicht nur für Jugendliche spannende Unterhaltung. Garth Nix hat ein interessantes und atmosphärisch sehr ausgereiftes Universum mit komplexer und ausbaufähiger Magie erschaffen, in eine Handlung verpackt, die immer wieder mit neuen und vor allem nicht nur vordergründigen Überraschungen aufwartet. Also Fantasy, in die man ruhig einmal einen Blick werfen sollte, wenn man der Drachen, Elfen und Zwerge einmal überdrüssig ist.

Wem die gebundene Ausgabe von |Carlsen| übrigens zu teuer ist, der kann auch auf die im April 2005 erschienene Taschenbuchausgabe von |Lübbe| zurückgreifen, die in ihrer Aufmachung dem Hardcover in nichts nachsteht, wenngleich das Titelbild dieser Ausgabe viel stimmungsvoller wirkt.

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Marzi, Christoph – Lycidas

Das alte London war seit jeher Schauplatz von Legenden und hat ein ganz eigenes Flair. Der deutsche Autor Christoph Marzi lässt den viktorianischen Charme der Metropole in seinem Roman „Lycidas“ neu aufleben. Dabei bedient er sich freizügig bei berühmten literarischen Vorbildern: Charles Dickens‘ Waisenhaus, John Miltons Elegie „Lycidas“ sowie Neil Gaimans Idee eines „Unter-London“, einer Stadt unter der Stadt, greift er auf. Auch Rabbi Löws Golem und Jack the Ripper geben sich die Ehre … und damit sind die Querverweise auf literarisch Werke, geschichtliche Ereignisse und bekannte Autoren bei weitem nicht erschöpft.

Heldin der Geschichte ist die einäugige Emily Laing, die in dem Waisenhaus des bösartigen Reverend Dombey aufwächst. Dort spricht sie eines Tages eine Ratte an, die sich als Lord Hironymus Brewster vorstellt. Er bittet sie, auf die kleine Mara aufzupassen. Diese wird kurze Zeit später von einem Werwolf entführt, Emily selbst bekommt Ärger mit Dombey und läuft weg. Sie wird von dem etwas verdrießlichen Wittgenstein, einem Gentleman alter Schule, und seinem Freund Maurice Micklewhite aufgenommen.

Diese offenbaren ihr ungeahnte Geheimnisse über ihre Herkunft und die Welt, in der sie lebt, über Elfen und deren Wechselbälger sowie über die uralten Familien Manderley und Mushroom. So existiert unter London eine nahezu exakte Kopie der Oberstadt, in der Fabelwesen und alte Götter sich ein Stelldichein geben. Im Tower der Unterstadt residiert der mysteriöse Meister Lycidas, in dessen Auftrag zahlreiche Kinder in die Unterwelt verschleppt werden.

Dies ist nur der Auftakt eines der drei Bücher, in die „Lycidas“ (das zweite heißt „Lilith“, das dritte „Licht“) unterteilt ist. Eine gewisse Kenntnis der literarischen Vorbilder ist zwar nicht notwendig, schadet jedoch nicht. So bestimmt John Miltons Version der Schöpfungsgeschichte große Teile der Handlung; wer sie kennt, kann erahnen, wer sich hinter dem Namen „Lycidas“ verbirgt. Die große Stärke des Buches sind zweifellos das stimmungsvolle Ambiente und seine trotz zahlloser Referenzen eigenständige Storyline. Die Charaktere sind durchweg tiefgründig; kein Bösewicht ist nur böse, alle haben gute Gründe und Motive, oft entpuppen sich die vermeintlichen Schurken als menschlicher und warmherziger als einige Engel wie Uriel – ja, auch Engel hat es nach London verschlagen …

Das Buch sprüht vor Ideenreichtum und Phantasie; ein weiterer Pluspunkt ist der dem altmodischen Ambiente entsprechende Humor der Figuren. So ist besonders Wittgensteins trockene Art sehr stilvoll und amüsant, seine Lieblingsredewendung „Fragen Sie nicht!“, meist als Antwort auf Emilys bohrende Fragen, ist jedoch ein zweischneidiges Schwert und kann auf Dauer auch etwas ermüden.

Einige Schwächen lassen sich einfach nicht leugnen. So hat das Buch einen deutlichen Hänger und Spannungsabfall in der Mitte, denn der namensgebende „Lycidas“ wird bereits am Ende des ersten Buchs ausgeschaltet, um erst im späteren Handlungsverlauf wieder herausgekramt zu werden. Die folgenden zwei Bücher wurden von Marzi erst auf Bitte des Verlags geschrieben, er wollte ursprünglich erst einmal nur den ersten Teil veröffentlichen, und sie sind deutlich weniger spannend als dieser. So tritt an die Stelle einer ständig neue Elemente einführenden, flotten Handlung eine lange Zeit relativ ziellose und träge, viel zu oft wiederholt dasselbe reflektierende Erzählung. Dafür bieten diese beiden Bücher philosophische Überlegungen, die vermeintliche Engel in einem schlechten und die Übeltäter des ersten Buchs in einem sehr positiven Licht erscheinen lassen. Die Erzählperspektive ist sicher auch nicht jedermanns Geschmack: Weitgehend ist Wittgenstein der Erzähler. Jedoch werden oft Orte und Personen gewechselt, der Wechsel von Wittgenstein auf einen neutralen Erzähler und wieder zurück ist des Öfteren abrupt und verwirrend. Desweiteren verwirrt der zeitliche Aspekt: So spielt die Geschichte im modernen London, es gibt McDonald’s und sonstige Aushängeschilder unserer Zeit. Doch merkwürdigerweise sind nicht nur das Waisenhaus in Rotherhithe, sondern auch Personen wie Wittgenstein und Micklewhite komplette Anachronismen. Die Unterstadt selbst befindet sich wohl seit Ewigkeiten in einem Zustand kurz vor der industriellen Revolution. Man fragt sich, warum Marzi die aufgesetzt wirkende und selten gebrauchte Neuzeit nicht ganz gestrichen hat und stattdessen die Geschichte vollständig in dieses Zeitalter verlegt hat.

Fazit: Neue Ideen braucht das Land. Was Marzi aus alten Klassikern macht, ist wirklich bemerkenswert. Man mag sagen, er habe alles nur geklaut – aber wer es schafft, Charles Dickens‘ Waisenkinder mit der Geschichte um Jack the Ripper zu verbinden, ohne dabei ins Absurde abzugleiten, sondern vielmehr zu begeistern, der muss sich nicht verstecken. Man merkt Marzi noch eine gewisse Unerfahrenheit an, schließlich ist „Lycidas“ sein erster größerer Roman. Die Wege die er beschreitet, sind frisch und unverbraucht, so dass man über einige Haken und Ösen hinwegsehen kann. Für Winter 2005 ist bereits ein Folgeband mit den Arbeitstitel „Pequod“ geplant, die Reihe ist laut Marzi eine Trilogie. Man darf gespannt sein, ob Marzi auf Walfang geht und sich zu China Miéville ([Perdido Street Station)]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=695 nun auch noch Herman Melville gesellt … nur eines verrät der Autor: Das verschlagene Kopfgeldjägerduo Mr. Fox und Mr. Wolf wird wieder mit von der Partie sein.

Eine Leseempfehlung nicht nur für Fantasyfreunde – „Lycidas“ hat Stil, Charme und Niveau.

Homepage des Autors:
http://www.christophmarzi.de/

Brust, Steven – Athyra

„Athyra“ ist bereits der sechste Band der Serie um den Hexer und Assassinen Vlad Taltos, der nicht als strahlender Held sondern mit einem blauen Auge die meisten seiner Aufträge hinter sich bringt. Während die ersten fünf Romane alle noch in der großen Stadt Adrilankha spielten, wo Taltos sich mit Menschen und Dragaeranern herumschlagen musste, und in denen er sich durch die Kontrolle eines Stadtteils noch ein wenig Geld nebenher verdiente, ist dies in diesem Roman Vergangenheit.

Vlad Taltos ist auf der Flucht. Er hat sich einmal zu viel mit den Mächtigen der Stadt Adrilankha und des Imperiums angelegt und alles verloren außer dem nackten Leben: seinen Besitz, seine Stellung im Hause Jhereg und seine Gefährtin.
Trotzdem ist er nicht in Depressionen verfallen und hadert mit seinem Schicksal, sondern macht das Beste aus dem, was ihm geblieben ist. Unaufhörlich auf Wanderschaft, gelangt er schließlich in das Herrschaftsgebiet des Barons Kleineklippe. Der Landstrich ist von sturen Bauern bewohnt, die sich nur widerwillig mit der Regentschaft ihres neuen Herrn abfinden können, denn dieser ist ihnen mehr als unheimlich.

Dort lernt Vlad den jungen Savyn kenne, den Lehrburschen des Heilers. Wie viele Jungen in seinem Alter, träumt er von Abenteuern und Reisen, die ihn weg von seinem langweiligen und den Erwachsenen vorbestimmten Alltag führen, auch wenn er es besser hat als die meisten seiner Freunde.
So ist es für Vlad Taltos einfach, Savyns Neugier zu erregen. Er kennt viele spannende Geschichten und verspricht dem Jungen, ihm die Hexerei beizubringen, im Gegenzug für ein paar Informationen, nachdem ein Mann umgebracht wurde, den er zu seinen Bekannten zählte. Und die sind mehr als wichtig, denn ein Verdacht von Vlad wird dadurch bestätigt: Baron Kleineklippe ist kein anderer als Loraan, ein Magier des Hauses Athyra, der mit ihm ein Hühnchen wegen seiner Ermordung zu rupfen hat und nun als Untoter über noch mehr Macht als früher gebietet.

Es wird ernst, als Attentäter Vlad angreifen und schwer verletzen. Nun muss Savyn handeln und all seine Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzen, um ihm zu helfen …

Da Steven Brust die einzelnen Bände seines Zyklus so angelegt hat, dass sie unabhängig voneinander lesbar sind und jeweils ein abgeschlossenes Abenteuer schildern, ist „Athyra“ ist ohne Vorkenntnisse für einen Neuleser verständlich. Wer bereits die anderen Roman kennt, wird aber schnell die versteckten Querverweise zu „Phönix“ (die Gründe für Vlads Flucht aus Adrilankha) und „Taltos“ (die erste sehr kurze Begegnung von Vlad Taltos mit Loraan) wiedererkennen.

Anders als die anderen Romane spielt „Athyra“ nicht im Herzen des dragaeranischen Reiches, sondern in einem verschlafenen Dorf – und was noch auffälliger ist, anstatt die Geschichte aus der Ich-Perspektive seines Helden zu erzählen, betätigt sich Steven Brust diesmal als unabhängiger Erzähler in der dritten Person, was etwas befremdlich wirkt – lernen wir Vlad diesmal doch aus den Augen dritter Personen können und erfahren nicht viel über die Gedanken hinter seinen schnoddrigen Äußerungen. Das ist manchmal etwas gewöhnungsbedürftig, wenn man sich an die früheren Bücher gewöhnt hat, mindert aber nichts an der Spannung der Geschichte.

Der Autor erzählt nicht von strahlenden Helden und epischen Abenteuern, seine Romane lassen sich mit den Krimis der „Schwarzen Serie“ vergleichen. Hier werden die Auswirkungen und Zaubern und Kämpfen nicht beschönigt oder umschrieben, sondern sehr realistisch und schmutzig dargestellt. Vlad Taltos ist ein Zyniker, der meistens erst einmal vom Schlechtesten ausgeht und froh ist, wenn er eine Sache hinter sich gebracht hat, der seine schwarze Seele nicht hinter Masken versteckt und erschreckend ehrlich ist. Im Gegensatz dazu steht der naive und unerfahrene Savyn, der die Lektionen in seinem Leben erst noch lernen muss.

Das macht den besonderen Reiz dieses Romans aus, der zwar keine neue Geschichte, dafür aber aus einem besonderen Blickwinkel erzählt und über lebendige Menschen erzählt, die mehr als nur Archetypen oder oberflächliche Schemen sind, die die Handlung tragen.

Wer jedenfalls ein Faible für düstere, schmutzige Fantasy hat, ohne gleich mit exotischen Waffen durch actionreiche Blutbäder und Metzeleien waten zu wollen, der wird an Steven Brusts Romanen sicher seinen Spaß haben.

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Isau, Ralf – geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz, Die (Die Legenden von Phantásien)

Eine von Karl Konrad Koreanders herausragendsten Eigenschaften ist seine Liebe zu Büchern. Eine weitere ist die Tatsache, dass er sich selbst so gut wie gar nichts zutraut und deshalb möglichst vermeidet, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Außerdem neigt er dazu, unbequeme Fragen zu stellen, was allerdings weniger auf Mut als auf Unbedachtheit zurückzuführen ist.
Dem Antiquar Thaddäus Tillmann Trutz jedoch scheinen die Fragen des jungen Mannes zu gefallen. Und auch seine Antworten. Er bietet ihm eine Stelle in seinem Laden an mit der Option, sein Nachfolger zu werden. Koreanders kühnste Träume scheinen wahr zu werden. Doch dann ist der alte Mann plötzlich verschwunden! Und die Generalvollmacht für den Laden ist nicht unterschrieben. Formaljuristisch ein wertloser Fetzen Papier, wie ihm Trutzens Notar versichtert. Doch Herr Trutz war ein sehr kautziger alter Mann, und dementsprechend sieht auch das Testament aus. Koreander macht sich auf Empfehlung des Notars auf die Suche nach Herrn Trutz.
Das Antiquariat des Herrn Trutz stellt sich als überraschend weitläufig heraus, und die Bücher als äußerst ungewöhnlich. Als Koreander dann auf ein kleines Männlein trifft, das aussieht wie ein Bleistift und ihm erklärt, Herr Trutz sei in einer Welt namens Phantásien verschollen und außerdem die Bücherei bedroht durch ein geheimnisvolles Nichts, ist er überzeugt zu träumen. Nur deshalb lässt er sich überreden, selbst nach Phantásien zu gehen. Dort angekommen, gerät seine Überzeugung zu träumen schon bald ins Wanken …

Aufgrund dieser Angaben könnte man jetzt einen billigen Abklatsch der „Unendlichen Geschichte“ erwarten. Ist es aber nicht.
Die Intention der Legenden von Phantásien war es nicht, „Die unendliche Geschichte“ fortzusetzen, sondern eigene Geschichten mit eigenen Ideen zu verfassen und damit das Land Phantásien jedes Mal ein wenig bunter, lebendiger und vielfältiger zu machen. Wichtige Figuren aus der „Unendlichen Geschichte“ dürfen deshalb höchstens am Rande vorkommen. Ralf Isau hat sich vorbildlich an diese Vorgaben gehalten. Außer seinem Helden Koreander, der in der „Unendlichen Geschichte“ nur eine kleine Randfigur ist, kommen in seinem Buch nur noch der Gmork und Xayide vor, Letztere nicht einmal in Person, sondern nur als Abbild.

Isaus Koreander ist ein recht liebenswerter Held mit dem Herz auf dem rechten Fleck, ein wenig unschuldig und noch weit weniger bärbeißig als zu Beginn der „Unendlichen Geschichte“. Seine schlechte Meinung von sich selbst hindert ihn nicht daran, dem verschollenen Herrn Trutz nachzueilen, und sei es zunächst auch nur wegen der fehlenden Unterschrift. Gleich sein erster Schritt nach Phantásien führt ihn in ein Abenteuer, und obwohl er nur ungern Entscheidungen trifft, heißt das nicht, dass er es nicht kann, wenn es drauf ankommt! Noch eine ganze Weile hat er mit seinem eigenen Unglauben zu kämpfen, man könnte es auch Realitätssinn nennen, und doch verändert er sich ganz allmählich. Wie Herr Trutz so treffend feststellte: Phantásien verändert jeden. Angenehmerweise hat der Autor seinen Helden aber keinen strahlenden Übermenschen werden lassen, sondern ist im Rahmen der Glaubwürdigkeit geblieben.

Abgesehen davon hat Ralf Isau Phantásien um ein paar wirklich bemerkenswerte Ideen bereichert, so zum Beispiel das Haus der Erwartungen mit der Hexe Hallúzina, oder die Wolkenstadt mit dem König Kummulus und seiner Imaginárien-Sammlung, oder die beiden steinernen Hände Lux und Nox; mal verspielte, mal philosophisch angehauchte Stationen auf dem Weg zur Lösung des Rätsels um das Nichts.
Auf Atréjus Frage, was das Nichts denn nun sei, ließ Michael Ende den Gmork antworten, das Nichts sei die Weigerung der Menschen, an die Existenz Phantásiens zu glauben, die Tatsache, dass sie sich nur noch um die Realtität, nicht mehr um ihre Träume und Wünsche kümmerten. Bei Ralf Isau ist das Nichts gleichgesetzt mit dem Verschwinden von Büchern aus der Phantásischen Bibliothek und im Weitergedachten mit dem Diebstahl und Wegsperren von Ideen und Gedanken, was durchaus eine weitgehende Entsprechung zu Michael Endes Aussage bedeutet. Nur ist es in diesem Fall nicht damit getan, ein Menschenkind nach Phantásien zu bringen, das der Kindlichen Kaiserin einen neuen Namen gibt. Hier müssen auch die Bücher gerettet werden. Die Bedrohung ist also nicht unbedingt in der Masse der Menschen zu suchen, die sich für Phantásien nicht mehr interessieren, sondern eher in einigen wenigen, die diktieren wollen, was die Masse denn zu denken hat. Nicht umsonst ist Isaus Geschichte in den Enddreißigern des 20. Jahrhunderts angesiedelt!

„Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erzählt also sozusagen die Vorgeschichte zur „Unendlichen Geschichte“, was durchaus gut gemacht ist. In vielen kleinen Einzelheiten knüpft der Autor an den Vorgänger an, so in seiner Beschreibung des alten Karl Koreander in der Spiegelwabe und in seiner Angewohnheit, „ach du liebes Bisschen“ zu sagen, in Koreanders Schwert, in der Funktionsweise des Aufzugs im dunklen Elfenbeinturm und darin, etwas durch Namensgebung zu bewirken, und nicht zuletzt in der Beschreibung des roten Buches mit dem Auryn auf dem Buchdeckel. Er erreicht dadurch, dass die Geschichte einerseits eigenständig, andererseits aber auch in den großen Kontext eingebunden ist, und der Leser hat bei der Lektüre unwillkürlich den Eindruck, als hätte er beim Puzzlen ein weiteres Teil gefunden, das wirklich genau passt.
Oder fast genau. Denn ein paar kleine Logikfehler sind doch hängen geblieben, der Teufel steckt eben meist im Detail!

Nach der „Unendlichen Geschichte“ ist zum Beispiel die Bezeichnung goldäugige Gebieterin ein Titel der Kindlichen Kaiserin, kein Name. Nach Isau hat Herr Trutz der Kindlichen Kaiserin diesen Titel als Namen gegeben, was auch deshalb nicht stimmen kann, weil die Kindliche Kaiserin von Koreander einen neuen Namen braucht, und den braucht sie immer dann, wenn der vorige in Vergessenheit geraten ist.
Auch fragte ich mich, woher Herr Trutz all seine vergessenen Erinnerungen zurückbekommen hat. Laut Michael Ende kann ein Menschenkind seine vergessenen Erinnerungen nur durch das Wasser des Lebens zurückerhalten. Herr Trutz dagegen musste nur die Spiegelwabe im Haus der Erwartungen betreten.
Im Hinblick auf die Gesamtheit des Buches seien diese kleinen Schnitzer aber gern verziehen.

Die Prämisse für die Legenden von Phantásien, nämlich eine gute Geschichte zu erzählen und gleichzeitig der Welt Michael Endes weitere fantasievolle Wesen, Orte und Dinge hinzuzufügen, hat dieser Band in jedem Fall erfüllt, und, indem er nicht völlig losgelöst von Bastians Geschichte dasteht, sondern sich behutsam daran angebunden hat, sogar noch ein bisschen mehr. Auch das Layout des Buches – Design, Leseband – ist schön und liebevoll gemacht, allerdings ist der Einband nicht abwischbar. Penible Leser waschen sich also die Finger und nehmen zusätzlich vor dem Lesen den Schutzumschlag ab!
„Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ ist ein gelungener Einstieg in die Legenden von Phantásien, der selbst Skeptiker überzeugen dürfte. An weiteren Bänden in dieser Reihe sind bisher erschienen: „Der König der Narren“, „Die Seele der Nacht“, „Die Verschwörung der Engel“, „Die Stadt der vergessenen Träume“ und „Die Herrin der Wörter“.

Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing, weil er seiner damals neunjährigen Tochter ein Buch versprochen hatte. Letztlich wurde die Geschichte aber so uferlos, dass er eine neue, kürzere begann, fertig schrieb und selbst band. Diese erschien 1994 unter dem Titel „Der Drache Gertrud“ als Bilderbuch, und ein Jahr später auch die uferlose Geschichte unter dem Titel „Die Träume des Jonathan Jabbok“ – die Neschan-Trilogie. Seither hat Isau noch weitere Jugend- und inzwischen auch Erwachsenenbücher geschrieben, darunter „Der Leuchtturm in der Wüste“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Der Herr der Unruhe“.

Gebundene Ausgabe: 448 Seiten
ISBN-13: 978-3-426-19642-7

http://www.droemer-knaur.de/home
http://www.isau.de/index.html

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Murphy, Pat – Geisterseherin, Die (Magic Edition Band 1)

„Magic Edition“ ist eine weitere neue Reihe des [BLITZ-Verlages,]http://www.blitz-verlag.de und mit diesem Buch startet sie exquisit. Pat Murphy versteht es, faszinierend, spannend und berührend zugleich zu erzählen. Faszinierend: denn die Handlung ihres Buches dreht sich um die Maya-Kultur. Spannend: denn in den Ruinen von Dzibilchaltún lauern genügend Gefahren auf die Archäologen. Und berührend: Murphy versteht es, das Innenleben der drei weiblichen Hauptfiguren dem Leser nahezubringen.

Da wäre zuerst Elizabeth Butler: einundfünfzig, zielstrebig, erfolgreich, Autorin mehrerer viel gelesener Bücher über die Maya und die Archäologie (Kostproben aus ihrem neuen Manuskript fügt Murphy harmonisch ins Buch ein). Außerdem ist Elizabeth verrückt, aber nicht, weil sie vor Jahren Selbstmord begehen wollte und von ihrem Ehemann in die Psychiatrie eingeliefert wurde, sondern weil sie tote Menschen sieht, zum Beispiel die Maya von Dzibilchatún – keine Geister, nein, diese Menschen selbst und das, was sie zu Lebzeiten taten. Daher rühren Elizabeths Erfolge, aber auch ihre Isolation von ihren Mitmenschen: Ihre „Gesichte“ sind ihr vertrauter als Zeitgenossen, die sie entweder schlecht behandelt haben oder einfach nicht interessieren. Sie lebt ganz für die Archäologie, die es ihr ermöglicht hat, sich aus einer erstickenden Ehe zu lösen und auf eigene Füßen zu stellen, unabhängig von einem „Ernährer“. Der Preis dafür war der Verlust ihrer Tochter Diane.

Diane Butler: Sie fliegt Hals über Kopf nach Mexiko, zu ihrer Mutter, die sie fünfzehn Jahre nicht gesehen hat. Ihr Vater ist unverhofft gestorben, ihr Geliebter (verheiratet) hat die Beziehung beendet und sie daraufhin gekündigt, denn der Geliebte war zugleich der Chef. Diane weiß nicht so recht, was sie in Mexiko will, aber ihre Mutter nimmt sie ins Team auf. Bald zeigt sich, dass sie die gleiche Fähigkeit wie Elizabeth hat, wenn auch nicht so ausgeprägt. Aber sie ist sich lange nicht klar darüber, dass es überhaupt eine Fähigkeit ist – sie hält, was sie sieht, für Tagträume.

Die dritte wichtige Frau ist Zuhuy-Kak, Priesterin der Mondgöttin zu der Zeit, als die Tolteken das Reich der Maya angriffen. Sie opferte ihre Tochter für den Sieg ihres Volkes, musste aber dennoch erleben, wie dieses den Eindringlingen unterlag. Von den Eroberern wegen ihrer übernatürlichen Fähigkeiten gefürchtet, sollte sie im heiligen Cenote-Brunnen von Chichén Itzá geopfert werden, überlebte den Sturz aber, was sie zur Botin machte, die den Willen der Götter verkündet – und sie sorgte dafür, dass die Tolteken keine Freude an ihrem Sieg hatten. Dennoch findet sie keine Ruhe, auch wegen ihres scheinbaren Versagens beim Opfer. Sie nimmt mit Elizabeth Kontakt auf und möchte die Macht der Mondgöttin wieder herstellen, indem nun Diane geopfert werden soll.

Genug Zündstoff also, um eine wirklich spannende Handlung in Gang zu setzen und ständig zu beschleunigen – und Pat Murphy macht das vorzüglich. Ihre Kenntnisse über die Maya und das Leben der Archäologen sind hervorragend, ein lebendiges Bild des vergangenen Volkes und des Daseins der Forscher entsteht. Dazu schafft sie psychologisch tiefgründig angelegte, glaubwürdige Figuren. Auch verzichtet sie auf billigen Geister-Horror und simple Gut-Böse-Konstellationen. Es gibt in dem Buch keine moralisch vorbildliche Gestalt, aber auch keine plakativ schlechte. Lebensechte Konflikte wirken als treibende Kräfte und verleihen dem Figurentableau Nähe. Murphy erzählt von Leuten, deren Probleme nicht ungewöhnlich sind, auch wenn sie in einer ungewöhnlichen Kulisse zum Tragen kommen. Was den Menschen in diesem Buch geschieht und wie sie damit umgehen, erscheint vertraut: Es geht um Freiheit, Selbstverwirklichung und um die Alternative, vor Schwierigkeiten davonzulaufen oder sich ihnen zu stellen. Das ist interessanter als Gegrusel oder Gemetzel. „Die Geisterseherin“ erweist sich in jeder Hinsicht als kleines Juwel einer stark realitätsbezogenen Phantastik.

© _Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|

Rößler, Armin (Hrsg.) – Überschuss

Bereits in die dritte Runde geht die Anthologiereihe des |Wurdack|-Verlages. Leider sind „Deus Ex Machina“ und [„Walfred Goreng“, 844 die Vorgänger dieser Anthologie, an mir vorüber gegangen, aber wenn „Überschuss“ eine konsequente Fortsetzung in Auswahl und Präsentation darstellt, sind auch die ersten beiden SF-Kurzgeschichten-Sammlungen eine nähere Betrachtung wert.
Der Herausgeber Armin Rößler spricht im Vorwort von einer Bewegung im Kurzgeschichtenbereich, von einer „positiven Entwicklung“. Diese ist an eine kreative Schicht von Autoren gebunden, die sich aktiv um eine Veröffentlichung ihrer Werke bemühen und dabei zunächst nicht mit den großen Serien an die Öffentlichkeit treten, sondern ihre Ideen in kurzen Geschichten ausformulieren und dabei ein in Deutschland wenig genutztes Sprungbrett für sich entdecken, das besonders durch den fehlenden Markt für Pulp- und SF-Magazine wenig Aussicht auf Erfolg verspricht.
Aber vielleicht ist auch nur die Zeit der großen Verlage vorbei, die neben |Star Trek| ab und zu ein Erstlingswerk wagen.
Also her mit den Autoren der neuen deutschen Literatur!

Die Titelgeschichte von Torben Kneesch präsentiert eine Methode zur Entsorgung menschlichen Überschusses, die die Motive von Zeitreise und Kälteschlaf mischt. Nicht wirklich neu, aber in seiner logischen Konsequenz sehr gut vorstellbar. Eigentlich fehlt nur die Technik, sonst könnte Kneeschs sarkastische Vision Realität sein.

Ähnlich dicht an die bekannte Welt lehnt sich auch Lutz Herrmanns „Der Irrtum“ an. Kaltes Managergehabe in einer gefühlsarmen Welt. Der Sieg des kleinen Mannes hinterlässt einen fahlen Geschmack, die Story bleibt im Grunde pessimistisch. Solide, wenn auch wenig inspirierend.

„Barrieren“ von Armin Rößler hat es schwer. Der Stoff ist für eine Kurzgeschichte eigentlich zu umfangreich. So bleiben zu viele Fragen übrig. Die Hauptfigur, die hier eine kolossale Weiterentwicklung der Evolution symbolisiert, bleibt ungewohnt blutarm.

Fritten ins Weltall schießt Birgit Erwin mit ihrer Groteske „Nur ein Gedanke“. Witzig, überraschend und kurz. Definitiv eine Glanzleistung der spacigen Frittierkunst.

„Der Spaziergang“ von Markus K. Korb überzeugt in der präzisen und detailgetreuen Beschreibung eines „Lost in Space“-Erlebnisses. Allerdings hinterlässt diese kurze Skizze keine bleibenden Eindrücke, es fehlt ihr die Idee für eine Geschichte.

Die Mediensatire „Der Untergang der Titan“ von Bernhard Weißbecker verhilft den öffentlich-rechtlichen Sendern zu unverhoffter Unterstützung. Das unmenschliche Gerangel um die Übertragungsrechte der letzten Stunden einer vom Untergang bedrohten Raumschiffbesatzung ist pointiert und absolut realistisch in Szene gesetzt.

Andrea Tillmanns begleitet in „Nicht ganz Atlantis“ ein junges Mädchen, das die Grenzen ihrer Welt kennen lernt. Eine unaufdringliche Erzählung, die besonders durch die einfühlsame Sprache auffällt und dabei dennoch ein gewichtiges Thema angeht: Die menschliche Zivilisation ist nur eine hauchdünne Schicht über den Trieben des Tieres Mensch.

Eine rabiate Art zukünftiger Bestrafungen präsentiert Peter Hohmann in „Strafvollzug“: Den Delinquenten wird das aufgebrummte Strafmaß in Form von Lebenskraft entzogen. Leider ist der Plot selbst zu vorhersehbar und wenig fesselnd.

In „Wider Willen“ werden Tradition und Familienehre einer Kolonialwelt in Frage gestellt. Mit drastischen Mitteln versucht ein Vater, seinen Sohn zu einer Vernunftehe zu zwingen, allerdings gibt es genau gegen diese Ehen ein Gesetz; man soll nur aus Liebe heiraten. Die Geschichte lässt den Leser irritiert zurück, handelt es sich doch um eine unübliche Science-Fiction-Story, die am ehesten noch mit einer „Darkover“-Erzählung zu vergleichen ist.

Der Horror geht um im „Festtagsprogramm“ von Thorsten Küper. Die Raumstation Lowell ist Schauplatz einer grausigen Auseinandersetzung, die actionreich, mit Sarkasmus und einer gehörigen Menge Blut unter die Haut geht. Die Darstellung ist dabei sehr plastisch, was der Atmosphäre zugute kommt.

Nina Horvaths „Spirale“ ist ein kurzer philosophischer Moment. Wenn auch wenig passiert, enthält die Kurzgeschichte genau jene Nachdenklichkeit, die nach dem gruseligen „Festtagsprogramm“ angebracht scheint. Die Frage, inwieweit das Leben in vorgefertigten Abläufen stagniert, und wie man diese durchbrechen kann, ist eindringlich bearbeitet worden.

„Der Besucher“ ist ein Alien vom Planeten Xeracox, der die Erde bereist und dort so seine Erfahrungen macht. Die leichtfüßige Geschichte von Uwe Herrmann macht Spaß, ohne dabei mehr zu wollen.

Da hat es der Besucher in „Albas bestes Spiel“ von V. Groß schon schwerer. Um sein Leben wird gespielt. Die Geschichte ist solide, beschränkt sich aber mehr auf die Personen als auf eine tatsächliche Story.

Edgar Güttge bleibt seinem Ruf als Meister der Groteske treu. „Flasken“ ist eine großartige Parodie mit bösen Seitenhieben, neckischen Einfällen und einer temporeichen Erzählweise, die begeistert. Für mich ist Güttke eines der großen erzählerischen Talente unter den unentdeckten Autoren.

Nicht minder hochwertig geht es mit Ilka Sehnerts „Das Buch“ weiter. Im Autorenkästchen, deren Präsenz zu Beginn jeder Geschichte zunächst irritiert, aber zunehmend interessanter wird, stellt man die Schauspielerei der Autorin als Ursache für ihren knappen und rhythmischen Sprachstil dar. Tatsächlich fällt er aus den Rahmen der übrigen Texte; von graziler Schönheit, ist die Wiederfindung einer natürlichen Fortpflanzung auch inhaltlich ein Glanzstück dieser Sammlung.

Die Realität in Frage stellt Bernhard Schneider in „Der Bewohner“. Die Geschichte zielt auf die Pointe ab und ist trotz des bereits arg strapazierten Themas lesenswert.

Die dritte herausragende Geschichte der Anthologie ist Antje Ippensens „Alles wandelt sich“. Die grüne Evolution wird in treffsicheren Bildern und Wortspielen ausgeführt, sie wächst quasi zur vollen Blüte. Es ist bewundernswert, wie leicht der Autorin der Umgang mit dem pflanzlichen Sujet fällt, wie einleuchtend ihr die GRASWURZELDIMENSION (welch Wort!) gelingt.

Uwe Sauerbrei beschreibt eine etwas andere Art der Verwandlung in „Allmacht“. Aus einer sehr genau und detailliert dargestellten Alltagszenerie heraus entwickelt er eine Mutation über den menschlichen Status Quo hinaus, bis die Grenzen der Schöpfung erreicht werden. Nach dem außergewöhnlichen Besuch der GRASWURZELDIMENSION erscheint die Erzählung etwas bieder.

Die Anthologie endet abrupt mit der „Fallstudie: Terroristin Jenny S.“ von Heidrun Jänchen. Hier wird recht gefühlvoll die Auswirkung einer rigiden Einsetzung der Klontechnologie beschrieben. Jenny Seidel gerät in die Zerhacker einer genmanipulierten Gesellschaft, in der es normal ist, Klone als Ersatzteillager zu halten. Mit dieser bedrückenden Geschichte verschiebt sich die Waage der besonders guten Geschichten in dieser Anthologie noch weiter hin zur weiblichen Seite.

„Überschuss“ ist besonders im zweiten Teil eine Sammlung überaus interessanter und beeindruckender Erzählungen und Shortstorys. Armin Rößler und der |Wurdack|-Verlag sorgen dafür, dass der deutsche SF-Markt eine kreative Unterfütterung mit dem Nährboden guter Phantastik erhält: Brillante Kurzgeschichten.

© _Ralf Steinberg_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Christoph Marzi – Lycidas (Die Uralten Metropolen 01)

Ein zeitloses Stück London hat Christoph Marzi mit seinem Roman „Lycidas“ auf Papier gebannt. Eine Geschichte, die zwischen den Zeiten zu spielen scheint – mal in unserer ganz normalen Gegenwart, mal in längst vergangenen Tagen. Es lässt sich viel herauslesen aus diesem Roman, mit seinen unzähligen Querverweisen auf alte Legenden und bekannte Autoren. Marzi hat sich reichlich in der Literaturgeschichte bedient, um aus den verschiedensten Versatzstücken eine ganz eigene Geschichte zu zaubern, die einerseits viel Licht enthält, aber auch einige Schatten wirft.

Handlung
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Bova, Ben – Asteroidenkrieg, Der

Ben Bova (* 28.11.1932) ist ein Urgestein der amerikanischen Science-Fiction. Das Werk des ehemaligen Präsidenten der |SF Writers of America| und der |National Space Society| zeichnet sich durch die Nähe zum aktuellen Stand der Technik aus. Bovas Romane spielen in einer nicht allzu fernen Zukunft und basieren auf Technologien und Annahmen, die schon bald Wirklichkeit werden könnten. Bova weiß, wovon er spricht: Während des „Space Race“ zur Zeit des Kalten Krieges war er am Projekt Vanguard beteiligt, dem ersten amerikanischen Satelliten und Antwort auf Sputnik I.

Im Jahre 1992 begann Bova mit „Mars“ eine neue Schaffensphase, die von Fans als seine „Grand Tour“ durch das Sonnensystem bezeichnet wird. Was als abenteuerliche, sehr realitätsnahe Reise durch das Sonnensystem begann und mit dem inoffiziellen Starterband „Mars“ zumindest inhaltlich noch überzeugen konnte, flachte in den Folgebänden „Rückkehr zum Mars“, „Venus“, „Jupiter“ und [„Saturn“ 557 leider immer mehr ab.

Noch hat Bova zwar nicht alle Planeten des Sonnensystems beehrt, aber auch vor kleineren Planetoiden macht er nicht Halt: Dem Asteroidengürtel ist sogar ein auf drei Bände angelegter Minizyklus in der „Grand Tour“ gewidmet, dessen Auftakt „Der Asteroidenkrieg“ ist.

_Not macht erfinderisch_

Irgendwann im 21. Jahrhundert geht es der Menschheit an den Kragen: Zusätzlich zur Klimakatastrophe, die sich in Überschwemmungskatastrophen äußert, die bereits weite Teile der uns bekannten Welt unter Wasser gesetzt haben, kommt ein chronischer Mangel an Energie und Rohstoffen. Das Verhältnis zu den Mondkolonien ist gespannt, die Regierungen der Erde stehen modernen Technologien wie der Nanotechnologie ablehnend gegenüber und sind mehr damit beschäftigt, ihre eigenen Pfründe zu sichern, anstatt sich um die Zukunft der Menschheit zu sorgen.

Der Raumfahrtunternehmer Dan Randolph ist ein Visionär und Idealist, der die Lösung dieser Probleme im Erzreichtum des Asteroidengürtels sieht. Nur leider gibt es noch keine Antriebe, die eine effiziente Nutzung der dortigen Ressourcen ermöglichen würden. Randolph ist gezwungen, ein Zweckbündnis mit dem schmierigen Magnaten Martin Humphries zu schließen: Ein neuartiger Fusionsantrieb und geächtete Nanotechnologie würden erstmals die Möglichkeit eröffnen, seinen Plan in die Realität umzusetzen.

Im Gegensatz zu Randolph ist sein Partner jedoch kein Wohltäter, sondern ein Schwein. Randolph möchte persönlich an der Reise zu den Asteroiden teilnehmen – für Humphries die Gelegenheit, ihm eine tödliche Falle zu stellen und sich im Falle seines tragischen Ablebens Randolphs Firma |Astro Manufacturing| einzuverleiben … ohne Macht und Reichtum teilen zu müssen.

_Weltraummüll_

Eine vielversprechende Story – zudem mit einem verkaufskräftigen Titel und einem wirklich sehr schönen, thematisch passenden Titelbild von [Thomas Thiemeyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=25 versehen.

Begeisterung kann dennoch nicht aufkommen – dafür Entsetzen. Das kommerzielle Szenario ist für Bova-Kenner nichts Neues, neue Ideen gingen ihm offenkundig bereits schon auf halber Strecke zwischen Mars und Jupiter aus. Der Idealist und Menschenfreund sowie der korrupte Kapitalist, der auch vor Mord nicht zurückschreckt, sind nur einige der vielen Klischees, die Bova bis zur Neige ausschöpft. So sind die beiden Pilotinnen der Starpower I vermutlich aus einer Trash-SciFi-Parodie entlehnt: Die flachbrüstige Farbige Pancho Lane, eine der Hauptfiguren des Romans, mit dem Charme und der Sturheit eines Terriers, sowie die dumpfbackige Amanda, kurz Mandy, die mit Raumanzug sprengender Oberweite als ihr intellektueller Gegenpol und Lustobjekt nahezu aller männlichen Figuren fungiert.

Derartig abgeschmackte Konstruktionen hätte man nicht einmal im Jahre 1960 als Groschenheft veröffentlichen können, zumal sie sich mit dem sonst eher ernsten und fundierten Hintergründen des Romans beißen; Bova ist als Vertreter realitätsnaher SF bekannt und schreibt auch dementsprechend. Doch um an einigen Stellen die Handlung voranzutreiben, fiel Bova nichts Besseres ein, als Pancho Lane einen Unsichtbarkeitsanzug zur Verfügung zu stellen, mit dem sie nach Belieben spionieren kann. Zu allem Überfluss wird er ihr von einem guten Kumpel geliehen – wie praktisch. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, verliebt sich Fiesling Humphries in Mandys Kurven und entwickelt Heiratsgelüste – doch fatalerweise will sie unbedingt das sabotierte Raumschiff zum Asteroidengürtel steuern. Von der armen Wissenschaftlerin, deren Nanobots von Humphries als Waffe missbraucht werden, obwohl sie doch aller Welt den Nutzen dieser segensbringenden Technologie zeigen will, möchte ich gar nicht erst reden. Nur so viel: Humphries erpresst sie mit dem Leben ihrer Enkel auf der Erde …

Leider stellen diese Plattheiten den Großteil der Handlung dar. Glänzen kann Bova gelegentlich mit seinem Sachverstand und Wissen, zum Beispiel wie das Leben in Mondstädten aussehen könnte. Anstelle hier jedoch zu punkten und zu faszinieren, reduziert Bova diesen Teil auf ein Minimum. Stattdessen nimmt ein notgeiler Zollbeamter, der Mandy gerne ausgiebig kontrolliert und grundsätzlich jede Frau zum Essen einlädt, den größten Teil der Handlung auf dem Mond ein. Das soll vermutlich der sonst ziemlich faden, sich dahinziehenden Handlung ohne jegliche Spannungselemente Würze verleihen. Anstatt ausgeklügelte Konzernintrigen zu bieten, blamiert sich Bova mit erschütternd naiven Konstruktionen. Durch die Ermordung des Mehrheitseigners möchte Humphries eine ganze Firma schlucken. Man sollte keine weiterführenden Erklärungen erwarten, wie das gehen soll, weder Bova noch Humphries scheinen sich darüber weitere Gedanken gemacht zu haben, zumal Bova selbst am Ende des Romans zeigt, wie blauäugig Humphries Plan ist.

_SciFi oder Trash?_

Was ist nur in Bova gefahren. Derartig altbackene Storys lieferten nicht einmal genrefremde Notbehelfs-Autoren in den zahllosen gefloppten SF-Serien der 60er Jahre. Selbst diese hätten es jedoch nicht geschafft oder gewagt, ein Minimum an Handlung ohne jeglichen Spannungsbogen auf 461 Seiten aufzublasen.

Scheinbar fiel auch Bova auf, wie blutleer und hölzern sich seine Asteroidenexpedition liest. Sie im Jahr 2003/4 mit derart veralteten Klischees „aufzupeppen“, ging jedoch gehörig daneben. Es bleibt die Frage, worüber Bova in den folgenden beiden Bänden des Minizyklus schreiben wird. Bereits in diesem Roman geizte er mit seinen sonstigen Stärken und demonstrierte bei allem Respekt vor den interessanten Thematiken Asteroidenbergbau und der Macht großer Konzerne in der Zukunft eine erschreckende Ideenlosigkeit; man könnte fast meinen, es fehle ihm an Motivation. Für peinlichste Banalitäten ist er sich dagegen nicht zu schade. Die Übersetzung ist gelegentlich sehr holprig, die unterirdische Qualität vieler Dialoge möchte ich jedoch eher dem Autor anlasten.

An diesen Roman wurden leider sowohl ein wunderbares Titelbild als auch eine vielversprechende Thematik vollkommen verschwendet.

Homepage von Ben Bova:

Ben Bova

Ursula K. Le Guin – Die Erzähler (Hainish-Zyklus)

Wieder erzählt Ursula Le Guin eine Geschichte aus ihrem „Hainish“-Universum, dem Universum der Liga, die hier Ökumene¹ heißt. Die junge Terranerin Sutty arbeitet als Beobachterin der Ökumene auf Aka, einem Planeten, der zweiundsiebzig Jahre vor der erzählten Zeit zum ersten Mal angeflogen wurde – von einem terranischen Schiff. Die Umstände des Besuches bleiben lange im Dunklen, aber die Folgen liegen sofort klar vor Augen: Die Körperschaft (die herrschende Beamtenschicht Akas) propagiert den rückhaltlosen Fortschritt, macht aus der Wissenschaft eine Quasireligion und aus der Mitgliedschaft in der Ökumene das Paradies; andererseits dürfen sich nur vier Fremdweltler auf Aka aufhalten, noch dazu in ihrer Bewegungs- und Informationsfreiheit sehr eingeschränkt.

Ursula K. Le Guin – Die Erzähler (Hainish-Zyklus) weiterlesen

Sterling, Cheryl – What Do You Say to a Naked Elf?

Jane hält sich für eine typische amerikanische Mittzwanzigerin: Jüngstes von fünf Kindern, Single, tagsüber arbeitet sie als Sekretärin und abends verkauft sie auf selbstorganisierten „Tupperpartys“ essbare Unterwäsche und ähnliches Erotikspielzeug. Nach einer dieser Partys gerät ihr auf dem Heimweg auf einer verlassenen Landstraße ein Kaninchen unter die Autoräder und sie verursacht einen Unfall, bei dem ihr Fahrzeug in Flammen aufgeht. Die fünf grazil gebauten Herren in merkwürdiger Kleidung, die ihr helfen, ihre kostbare Erotik-Ladung aus dem Kofferraum zu retten, kommen ihr gerade recht. Als sie ihnen jedoch folgt und sich in einer anderen Welt wiederfindet, ahnt sie, dass das Schicksal ihr einen mehr als üblichen Streich spielt. Ihr Hauptbegleiter ist Charlie, seines Zeichens halb Elf und halb „Fairy“ – was sowohl seine Ähnlichkeit mit Legolas, seine spitz zulaufenden Spock-Ohren als auch seine Flügel erklären sollte. Doch nicht genug der Dinge, muss Jane doch erkennen, dass Charlie zu ihrem Anwalt erkoren wurde – denn der überfahrene Hase war ein gestaltwandelnder Elf und sie findet sich auf der Mordanklagebank wieder. So weit – so schlecht. Doch dann entwickelt Jane plötzlich magische Kräfte und eine entschiedene Fetischvorliebe für Sex mit geflügelten Männern und übernimmt die Organisation der örtlichen sexuellen Befreiungsfront.

Klingt das nach einer Story, die einem Fantasy-Autor während eines schlechten Trips eingefallen ist? Möglich. Im Grunde möchte das Buch sich jedoch in die Reihe der |Fantasy Romance| einreihen. Fantasy vermutlich, weil Elfen, Zwerge, Zauberer etc. vorkommen, sowie ein „Portal“ zwischen den Welten. Romance – vielleicht, weil es im Grunde keine vernünftige Story gibt und das Ganze wirkt wie ein paar zusammengewürfelte Fantasy-Elemente, die sich um ziemlich detaillierte und penetrante Liebesszenen zwischen Jane und dem Elfenmann Charlie gruppieren.

Geschichten, in denen die Heldin oder der Held plötzlich und unerwartet entdecken, dass sie Erbin des Königsthrons sind, sind im Grunde flach, haarsträubend und idiotisch genug. Wenn dies gleich beiden Hauptcharakteren passiert (mit zwei verschiedenen Thronen wohlgemerkt), dann fällt mir dazu vor lauter Plattheit der Autorin eigentlich kein Kommentar mehr ein.

Nehmen wir die Charakterisierungen der Protagonisten und auch der diversen Nebenfiguren, so finden sich stets nur noch weitere Klischees. Im Grunde wirkt das alles sehr nach amerikanischen Vorabendserien. Jane, unsere zunächst so simple menschliche Heldin ist Vertreterin einer Spezies, die in amerikanischen Liebesromanen stets die Hauptrolle zu spielen scheint. Hübsch, Mitte zwanzig, Single, chaotisch, selbstbewusst bis zum Grad der kompletten Selbstüberschätzung und rückhaltlos vorlaut. Sie reißt einen vermeintlichen Gag nach dem nächsten – schade nur, dass keiner davon wirklich lustig ist. Im Zuge der Geschichte mausert sie sich dann zu Superwoman in Elfenland, entwickelt magische Fähigkeiten, entdeckt ihr königliches Blut, wird schwanger, verliebt sich haltlos in anderes königliches Blut etc. etc. Gähn. Ihre für mich hervorstechendste Eigenschaft ist eigentlich ihre absolute Nervigkeit. Sie redet zu viel – vor allem zu viel Schwachsinn, handelt völlig jenseits menschlicher Vernunft und stets außerhalb der Linien des guten Geschmacks. Sie nervt bis über die Kopfschmerzgrenze hinaus. Und sie ist rundum unsympathisch.
Charlie ist ein Legolas-look-a-like. Das ist dann aber auch schon sein einziger Pluspunkt. Er ist ansonsten ein ziemlich langweiliger Charakter, ein typischer Jurist, nur mit Spitzohren und Flügeln, der im Laufe des Buches zu Janes Lebensretter mutiert. Obwohl er der zweite Hauptprotagonist des Buches ist, ist sein Charakter nur unvollständig skizziert. Wir erfahren zwar einiges über seine Vorgeschichte, aber er selbst bleibt eine unbekannte Größe. Es gibt daher beim besten Willen nicht mehr über ihn zu sagen.
Auch die anderen Charaktere sind völlig oberflächlich gezeichnet und haben zum größten Teil nur darauf gewartet, von Jane aus ihrem bislang stumpfsinnigen Elfendasein gerettet zu werden.

Die beiden Hauptcharaktere, Jane und Charlie, werden von der Autorin in ausführlich beschriebenen, völlig überzeichneten Liebesszenen zusammengeworfen – mal wird Jane von Charlie stehend gegen die Tür genommen, dass das ganze Elfenland in dem gemeinsamen Orgasmus erzittert, bis hin zu wollüstig-kitschigen „Ich-liebe-dich-liebst-du-mich-auch“-Szenen an magischen Teichen. Das Ende des Buchs ist die Mutter aller Klischees mit Heirat, Babys und allem drum und dran. Interessantere Geschichten, weniger stereotype Charaktere und weniger offensichtliche Handlungsverläufe findet man selbst in den Sammlungen der Gebrüder Grimm.

Die Sprache des Buches ist der Handlung entsprechend sehr einfach gehalten, sämtliche Wortneuschöpfungen sind erklärt oder ergeben sich aus dem Zusammenhang. Die Sätze sind kurz und einfach gehalten. Selbst für Anfänger im Originalelesen sollte dieses Werk keine besondere Herausforderung darstellen. Eine Übersetzung gibt es bislang nicht.

„What do you say to a naked elf?“ ist Cheryl Sterlings erster veröffentlichter Roman. Zuvor hat Cheryl Sterling, eine ausgebildete Informatikerin aus dem amerikanischen Staat Michigan, verheiratet und Mutter zweier Kinder im Teenager-Alter, Geschichten geschrieben, die in der Gegenwart spielen, die jedoch bislang unveröffentlicht geblieben sind.

Alles in allem ist dies das schlechteste Buch, das ich seit langer, langer Zeit gelesen habe. Weder beherrscht die Autorin die Kunst, den Leser zu fesseln, noch hat sie überhaupt eine richtige Geschichte zu erzählen. Aufgrund der graphischen Erotikszenen ohne verbindende Handlung werte ich das Buch als „Porno mit Elfen“. Der absolut einzige Lichtblick ist der marketingorientierte, originelle Titel, auf den ich hier dann auch komplett hereingefallen bin.

Homepage der Autorin: http://www.cherylsterlingbooks.com