Archiv der Kategorie: Film

Cassar, Jon – 24 – Twenty-Four: Behind the Scenes

Gibt es zurzeit eine Serie, die ein höheres Suchtpotenzial hat als „24“? Eine Serie, die packender ist und spannender, eine andere Serie, die es schafft, die Zuschauer für gut 18 Stunden fast permanent an den Fernseher zu fesseln? Ich kenne momentan keine und muss gestehen: Ich bin süchtig – süchtig nach „24“, süchtig nach einer Serie, die aufregend ist wie keine andere, süchtig nach einer Serie, die eine ungeahnte Faszination auf mich ausübt, die ich nie für möglich gehalten hätte. Noch vor wenigen Monaten dachte ich, dass ich all dem widerstehen könnte, die erste Staffel habe ich mit großer Skepsis eingeschaltet und doch dauerte es keine zwei Stunden, bis ich gefesselt vor dem Fernseher saß und auch meine Mahlzeiten vor den Fernseher verlegen musste. Doch eines wusste ich damals noch nicht: Nach der ersten Staffel kommt es noch „schlimmer“, die Staffeln werden besser und besser …

Doch was genau ist „24“ eigentlich? Es mag ja durchaus Menschen geben, die bisher das Glück hatten, die Serie noch nicht für sich zu entdecken. Glück deshalb, weil diese Menschen die Chance haben, alle bislang abgedrehten fünf Staffeln noch völlig unvoreingenommen anzuschauen. Darum beneide ich sie!

„24“ ist eine Serie, die in Echtzeit gedreht wurde. Hier ist der Name Programm, denn wir erleben 24 Stunden im Leben des Jack Bauer (großartig: Kiefer Sutherland) mit, der für die CTU (Counter Terrorist Unit) arbeitet und seltsamerweise immer in überaus gefährliche Situationen gerät. Grob gesagt geht es in jeder Staffel erneut darum, die Welt oder doch zumindest die USA zu retten. Und so viel sei verraten: Jack Bauer schafft es ein ums andere Mal, sonst würden wir ihn nicht aktuell in der nunmehr fünften Staffel erleben. Das Faszinierende an „24“ ist es, dass am Ende jeder einzelnen Folge, die jeweils eine Echtzeitstunde dauert (abzüglich der Werbepausen bleiben auf DVD leider nicht viel mehr als 40 Minuten übrig), ein Cliffhanger auf uns wartet, der es in sich hat. So wird man dazu verführt, eine Staffel praktisch ohne Unterbrechungen anzuschauen. Suchtpotenzial pur!

Um meine Entzugserscheinungen zwischen den einzelnen Staffeln etwas zu beheben, kam „24 – Behind the Scenes“ genau richtig. Dieses Buch bietet dem Fan eine riesige Auswahl an bislang nicht gezeigten Bildern, die jeweils mit passenden Hintergrundinformationen versehen sind, sodass man auch erfährt, was hinter den Kulissen passiert ist, welche Freundschaften oder Liebesbeziehungen entstanden sind und wie Kiefer Sutherland sich eigentlich auf seine atemberaubende Rolle eingestimmt hat.

Jeder Staffel sind etliche Seiten gewidmet, auf denen die spannendsten Geschehnisse noch einmal eindrucksvoll in Szene gesetzt sind; hier kann man alle entscheidenden Ereignisse noch einmal Revue passieren und sich in die Welt von „24“ entführen lassen. Neben den wichtigsten filmischen Situationen gehört aber insbesondere den Darstellern der jeweiligen Staffeln viel Raum. Wir sehen sie hier auf Fotos aus den Drehpausen und dabei teilweise in sehr ungewohnten Posen. Außerdem erfahren wir, wie inhaltliche Entscheidungen getroffen wurden, die teilweise nicht unumstritten waren.

Durch das große Format dieses üppigen Bildbandes wirken die einzelnen Farbaufnahmen einfach wunderbar, auch das Glanzpapier trägt zum optischen Genuss jedes Fotos bei. Auf den Bildern erfahren wir beispielsweise, dass Kiefer Sutherland offensichtlich ziemlich nikotinsüchtig ist, da es kaum ein Bild gibt, auf dem er gerade nicht raucht. Wahrscheinlich ist er also der Schauspieler, der die Drehpausen am dringendsten herbeigesehnt hat. Und obwohl der überragende Kiefer Sutherland natürlich ganz klar im Mittelpunkt des Buches steht, da die Serie ohne den schlichtweg coolen Jack Bauer einfach nicht funktionieren würde, kommen auch all die anderen – nicht minder wichtigen – Schauspieler nicht zu kurz. Hier sehen wir auch Darsteller, die in der Serie bereits sterben mussten (nein, ich werde nicht verraten, um wen es sich dabei handelt, diese Spannung will ich niemandem nehmen!) und die am weiteren Erfolg der Serie nicht mehr teilhaben konnten.

Leider gibt es allerdings auch einige Kritikpunkte, die ich nicht unter den Tisch kehren mag, auch wenn ich mich gerne heiß und innig in diesen schönen Bildband verliebt hätte: Der Teil „behind the scenes“, der im Buchtitel immerhin viel Raum einnimmt, kommt in diesem Buch leider deutlich zu kurz. Die Bildunterschriften sind meistens eher knapp gehalten und wir erfahren wenig Dinge, die wir bislang noch nicht wussten. Meistens müssen die Bilder für sich sprechen (was bei der hohen Bildqualität auch durchaus sehenswert ist), allerdings hätte ich mir noch mehr Anekdoten und Hintergrundgeschichten gewünscht.

Was aber am schwersten zum Tragen kommt: „24 – Behind the Scenes“ kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt auf den deutschen Markt, zu einer Zeit nämlich, in der es die DVD zur fünften Staffel noch nicht auf Deutsch zu kaufen gibt und die meisten 24-Fans diese Staffel noch nicht kennen dürften. Dass das ein gravierendes Problem ist, beweist schon ein Blick auf den Klappentext, der eine Neuigkeit offenbart, die mir nach dem Anschauen der ersten vier Staffeln noch nicht bekannt war. In diesem Bildband werden die bisher abgedrehten Staffeln inhaltlich sehr ausführlich dargestellt, hier werden die Bösewichte vorgestellt, wir erfahren, worum es sich in der jeweiligen Staffel drehte, welche Schwierigkeiten zu meistern und welche lebensbedrohlichen Situationen zu überstehen waren. Diese ausführliche Darstellung gefiel mir für die ersten vier Staffeln sehr gut, da sie dazu beigetragen hat, dass ich meine Erinnerung an jede Staffel noch einmal auffrischen konnte, allerdings sollte man diesen Bildband nur dann in die Hand nehmen und lesen, wenn man alle fünf Staffeln kennt, da man sonst viele Einzelheiten verraten bekommt, die man viel lieber selbst entdeckt hätte.

Nichtsdestotrotz muss man diesem opulenten Bildband zugute halten, dass er uns beim Lesen und Durchblättern wieder hervorragend in die Serie hineinversetzt. Beim Anschauen der Bilder habe ich mich an Szenen der einzelnen Staffeln erinnert und richtig Lust darauf bekommen, die DVDs wieder in den Player zu schieben, um zumindest die Staffeln 2, 3 und 4 gleich noch einmal zu sehen.

Wer sich oder andere also mit diesem schönen Bildband zu Weihnachten beschenken möchte, sollte jedem 24-Fan raten, den Klappentext auszulassen und nur die Seiten zu den schon bekannten Staffeln zu lesen. Dann wird man jedem Fan der Serie mit diesem eindrucksvollen Bildband sicherlich eine große Freude machen!

[Infoseite des Verlags]http://www.schwarzkopf-schwarzkopf.de/vorschau/24twentyfourbehindthescenes.html

Höhl, Thomas / Hillenbrand, Maik – 40 Jahre STAR TREK – Dies sind die Abenteuer …

Der 8. September 1966 markierte den eher unauffälligen Start einer etwas obskuren TV-Serie, die sich dank ihres Schöpfers Gene Roddenberry, aufgrund ihres zeitlosen Konzepts und durch die intensive Liebe einer stetig wachsenden Fangemeinde sehr langsam aber sicher zu einem Medienkult, zu einem Kulturphänomen und zu einem wirtschaftlich eindrucksvollen Franchise entwickeln konnte. 40 Jahre später besteht das „Star Trek“-Universum aus sechs TV-Serien mit insgesamt 726 Episoden, aus zehn Kinofilmen, aus Romanen und Comics in dreistelliger Bandnummernzahl, aus zahlreichen Videospielen und unzähligen Merchandising-Artikeln. „Star Trek“ begeistert, bewegt und bindet Menschenmassen, hat sich längst verselbstständigt, vermag selbst das Kappen seiner TV-Wurzeln zu überstehen und wurde fest ins „Trekker“-Leben integriert.

In vierzig Kapiteln gehen die beiden Autoren dieses Jubiläumsbuches dem „Star Trek“-Mirakel auf den Grund. Die große Zahl macht es verständlicherweise unmöglich, auf jedes davon einzugehen. Insgesamt orientiert sich die Darstellung an der „Star Trek“-Chronologie der Jahre 1966 bis 2006. Folgerichtig steht zunächst die Vorgeschichte im Mittelpunkt, wobei sich diese auf die Figur des „Star Trek“-Schöpfers Gene Roddenberry konzentriert. Im Überblick gehen die Verfasser auf alle TV-Filme und die Kinofilme und die zeitgleich erfolgenden Veränderungen hinter den Kameras ein.

Zwischen diese Kapitelblöcke werden immer wieder Zusatzinfos gestellt. Die Einschübe tragen manchmal seltsame Titel wie „Ein Glatzkopf als Captain“, doch die meisten Texte liefern interessante „Star Trek“-Informationen (z. B. über die Schwierigkeiten, die Serie halbwegs originalgetreu einzudeutschen, das Regelwerk, dem ein „Star Trek“-Buchautor unterliegt oder die Umtriebe im „Trek“-Merchandising).

Berichtet wird ausführlich über das Fandom, dessen Mitglieder in Fernsehberichten publicitywirksam gern als verkleidungssüchtige Träumer & Trottel verunglimpft werden. Höhl & Hillenbrand berichten, was wirklich vorgeht hinter den Kulissen einer „Star Trek“-Convention.

Unterfüttert werden viele Informationen durch Interviews. Erstaunlich offen äußern sich „Star Trek“-Veteranen von vor und hinter der Kamera, aus dem Fandom oder den eher geschäftsorientierten Abteilungen des Franchises über ihre Arbeit, die keineswegs im Umfeld Roddenberryscher Einigkeit abläuft, sondern von heftigen Auseinandersetzungen um den schnöden Mammon und Machtkämpfe geprägt wird.

Die Abbildungen beschränken sich auf wenige Schwarzweißfotos sowie eine längere Farbfotostrecke, die vor allem Bilder der „Star Trek“-Darsteller zeigen, die sich auf Conventions ihren Fans stellen. Immer wieder in den Haupttext eingeschoben finden sich grau unterlegte Boxen, in denen primär deutsche Trekker ihren Gedanken zu 40 Jahren „Star Trek“ Ausdruck verleihen. Eingeleitet wird „Dies sind die Abenteuer …“ vom deutschen „Trek“-Spezialisten Ralph Sander und seinem „Kollegen“ Klaus N. Frick (der freilich vor allem die Werbetrommel für „seinen“ „Perry Rhodan“ rührt, den er als Chefredakteur betreut), am Ende steht ein Register, das die Suche nach Namen, Orten und Sachstichworten ermöglicht.

„Star Trek“ ist tot – es lebe „Star Trek“! Nach dem Doppeldesaster von 2005 – „Star Trek – Nemesis“ legte im Kino, „Star Trek – Enterprise“ im Fernsehen eine Bruchlandung hin – sah es so aus, als sei das Franchise am Ende. In Deutschland sind sogar die Romane zu den diversen Serien vom Markt verschwunden. Wenn es einen „Anlass“ gab, das Jahr 2006 in die „Star Trek“-Chronologie aufzunehmen, so zunächst nur deshalb, weil das „Trek“-Studio Paramount die Magazine leerte und im Rahmen einer Großauktion quasi alle Requisiten aus vier Jahrzehnten „Star Trek“ unter den Hammer wandern ließ.

Doch ein echter Kult kann zwar wanken, wird aber selten stürzen. Die Fans, an die im hier vorzustellenden Buch besonders gedacht wurde, scheren sich nicht um primär finanziell ausgerichtete Studiointeressen, sondern frönen – auch in Deutschland – ihrem Hobby „Star Trek“ auch in der Krise. Dennoch bleibt zu fragen, ob „Dies sind die Abenteuer …“ erschienen wäre, hätte das Franchise nicht unerwartete Schützenhilfe durch den Drehbuchautor („Lost“) und Regisseur („Mission Impossible III“) J. J. Abrams bekommen, der zur Zeit in Hollywood ganz oben steht und den die Studiobosse deshalb ordentlich bauchpinseln. Dieser Abrams ließ also durchblicken, einen „Star Trek“-Kinofilm drehen zu wollen – und es ward ihm genehmigt!

Der Zug zu den Sternen wird also fortgesetzt, und in der ruhigen Gewissheit dieser erfreulichen Tatsache lässt sich umso besser Rückschau halten. Keine einfache Aufgabe ist es, welche die beiden Autoren sich gestellt haben. Zum einen lassen sich vierzig ereignisreiche Jahre schwer auf knapp 450 Seiten zusammenfassen. Andererseits ist Deutschland auch in Sachen Hintergrundinfos keine „Star Trek“-Diaspora! Allein Ralph Sander hat in den 1990er Jahren im |Heyne|-Verlag vier voluminöse Bücher zum Thema verfasst. Sehr richtig beschlossen Höhl & Hillenbrand deshalb, sich für die Jahre vor 1998 – hier erschien Sanders „Star Trek-Universum“-Band 4 – auf die grundsätzlichen Informationen zu beschränken, sich stattdessen auf das in zehn Jahren neu aufgelaufene Wissen zu stützen und dem Sander-Quartett quasi einen fünften Band folgen zu lassen; es ist genug geschehen, das eine solche Fortsetzung rechtfertigt.

Lobenswert ist weiterhin der Verzicht auf ausufernde Inhaltsangaben. Vor allem recherchefaule Autoren füllen ihre Bücher mit solchen Nacherzählungen und vielen Fotoseiten. Höhl & Hillenbrand wählen den schwierigen Weg: Sie liefern echte Informationen, und sie sparen nicht damit, reihen nicht Anekdote an Anekdote, verzichten auf Hörensagen, stellen die „Apokryphen“ der „Star Trek“-Story als solche vor, stellen Gerüchte richtig, weisen auf unterschiedliche Überlieferungen hin, ohne stets die Fakten rekonstruieren zu können.

Vor allem schauen sie hinter die Kulissen und hinter die Fassade der Friede-Freude-Eierkuchen-Welt, als die sich das offizielle „Star Trek“ gern präsentiert. Zwar sickerte in den vergangenen Jahren im Zeitalter des Internets viel Internes durch, das wenig gemein hatte mit der glanzvollen Zukunft Gene Roddenberrys, in der angeblich nicht mehr der Drang nach Geld und Macht, sondern der Wissensdurst und die Arbeit an einem „besseren“ Menschen den Zeitgenossen prägen wird.

Doch auch hier gibt es Missverständnisse, Falschmeldungen, Fehlinterpretationen, die Höhl & Hillenbrand aufzuklären versuchen. Sie profitieren dabei vom Kontakt zu „Eingeweihten“, die sich manchmal erstaunlich offen äußern, wenn sie sich im fernen Europa dem Maulkorb des Studios entronnen wähnen. Dabei wühlt das Autorenduo nicht in schmutziger Wäsche, sondern liefert ein vollständiges Bild des „Star Trek“-Phänomens, das seine lichten wie dunklen Seiten aufweist.

Dass sich „Dies sind die Abenteuer …“ durchweg spannend und flüssig liest, liegt an der Fähigkeit der Autoren, den umfangreichen Stoff nicht nur überzeugend zu gliedern, sondern ihn auch in ansprechender Sprache zu vermitteln. Gerade im fannischen Bereich scheint die Artikulation in grammatisch korrekten Sätzen eine aussterbende Kunst zu sein. Höhl & Hillenbrand zeigen, dass man sich niveauvoll auch in einfachen Worten verständlich machen kann, ohne in die Niederungen des aktuellen SMS-Pidgins zu geraten.

Zwar zuletzt aber dafür mit Nachdruck sei darauf hingewiesen, dass der |Heel|-Verlag dieses lesenswerte Buch für 12,95 Euro feilbietet. Das ist definitiv ein Schnäppchen. Nicht nur eingefleischte „Star Trek“-Fans sollten hier schwach werden, sondern auch jene, die bisher wenig am Hut haben mit dem „Star Trek“-Universum.

Thomas Höhl (geb. 1967) ist hauptberuflich als Jurist in einem Fachverlag tätig. Darüber hinaus schreibt er (hauptsächlich für das SF/Fantasy-Magazin „Space View“) über „Star Trek“ und andere Genre-Serien; er hat zu diesem Thema auch mehrere Bücher verfasst.

Mike Hillenbrand (geb. 1972) drehte mehrere Jahre die Dokumentationsvideos zur „FedCon“, der größen „Star Trek“-Convention Europas, und kam dabei mit vielen bekannten oder wichtigen Personen aus dem „Trek“-Franchise in Kontakt. Er arbeitet als Moderator für Radio und Fernsehen und ist als Genre-Rezensent und –Berichterstatter in den Printmedien und im Internet vertreten.

http://www.heel-verlag.de/

Peter Bogdanovich – Wer hat denn den gedreht?

Bevor sie starben und ihr einmaliges Insiderwissen mit ins Grab nahmen, befragte der junge Journalist und spätere Regisseur Peter Bogdanovich Filmschaffende, die in der „Goldenen Ära“ Hollywoods gearbeitet und Meisterwerke auf die Leinwand gebracht hatten. Viele Jahre später stellte Bogdanovich diese Interviews in einem grandiosen Sammelband vor, der eine große Zeit des klassischen Kinos kundig und ebenso informativ wie anekdotenreich aufleben lässt: ein Meisterwerk! Peter Bogdanovich – Wer hat denn den gedreht? weiterlesen

Helmut G. Asper – Etwas Besseres als den Tod … – Filmexil in Hollywood

Das Ende der (künstlerischen) Freiheit

Wer weiß heute noch, dass Deutschland einst eine Filmlandschaft war, die sich in Größe fast und in Erfolg und künstlerischem Reichtum auf jeden Fall mit Hollywood messen konnte? In den 10er und 20er Jahren des 20. Jahrhunderts war dies tatsächlich der Fall. Deshalb hielten die großen US-Studios stets die Augen offen, was sich im Land der Dichter und Denker tat, und waren sich nicht zu schade, Talente und Stars für die eigenen Filme abzuwerben. Kein Wunder, denn Deutschland war ein Tummelplatz fabelhafter Unterhaltungskünstler, die auf eine lange und ungebrochene Kultur-Tradition zurückblicken und -greifen konnten.

Dass ein großer Teil dieser Künstler jüdischen Glaubens war, störte nur die üblichen antisemitischen Wirrköpfe, die jedoch ihr Gift hauptsächlich unter ihresgleichen verspritzen mussten und so gering an Zahl blieben, dass ihr Wirken eher störend oder lästig als bedrohlich war. Das änderte sich nachdrücklich und endgültig im Januar 1933, als die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland buchstäblich ergriffen. Hitlers Wahnidee eines verschworenen Weltjudentums, das es im Namen des Guten und Reinen zu bekämpfen und zu vernichten galt, wurde sogleich in die Tat umgesetzt – vorsichtig vorläufig noch, da der Umgang mit dem Instrumentarium der Macht erst erlernt und Rücksicht auf die misstrauischen innen- und vor allem außenpolitischen Gegner der Nazis genommen werden musste, aber bereits konsequent.

Helmut G. Asper – Etwas Besseres als den Tod … – Filmexil in Hollywood weiterlesen

Crowe, Cameron – Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?

Während einige wenige Schauspielerinnen und Schauspieler aus Hollywoods „Goldenem Zeitalter“, das Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre endete, noch unter uns Normalsterblichen weilen, sind die Regisseure jener Ära, die ihnen einen guten Teil ihres Glanzes verdankt, längst in den Zelluloid-Himmel eingegangen. Billy Wilder, geboren 1906 in einem vergessenen Flecken irgendwo in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, einer der größten Drehbuchautoren und Filmemacher überhaupt, hat sie alle überlebt! Zwar ließ ihn Hollywood seit 1981 keine Filme mehr drehen, doch der bärbeißige Meister hat den Kontakt zur Kinowelt niemals abreißen lassen. Bis kurz vor seinem Tod im biblischen Alter von 96 Jahren behielt Wilder am berühmten Hollywood-Boulevard ein eigenes Büro, in dem er sich als sein eigener Nachlassverwalter die Zeit vertrieb und voller Groll auf die Rechenschieber und Bilanzenreiter schimpfte, die seiner Karriere ein unrühmliches und vorzeitiges Ende bereitet hatten.

Seit Mitte der 1920er Jahre war Wilder im Filmgeschäft; zunächst in Deutschland, dann nach 1933 – Wilder war Jude – für kurze Zeit in Frankreich und schließlich in den Vereinigten Staaten, wo er zunächst als Drehbuchautor und dann als Regisseur über vier Jahrzehnte Filmgeschichte schrieb. Die Liste seiner Klassiker ist eindrucksvoll: „Das verflixte 7te Jahr“ gehört ebenso dazu wie „Manche mögen’s heiß“, „Das verlorene Wochenende“, „Das Appartement“ oder „Irma la Duce“.

Dass dieser Mann über das Filmemachen eine ganze Menge weiß, liegt auf der Hand. Es war hoch an der Zeit, dieses Wissen zu dokumentieren. Wilder wollte biografisch nie zur Feder greifen; er habe nie etwas geschrieben, für das man ihn nicht im Voraus bezahlt habe, ließ er verlautbaren. Leider ist unter der Knute der globalisierten Ignoranten die Ehrung der alten Meister aus der Mode gekommen. Wilder war – nicht zuletzt aufgrund seiner niemals verwundenen Kaltstellung – in seinen späten Jahren zudem ein schwieriger Interviewpartner. Zur Bitterkeit gesellte sich ein guter Teil Altersstarrsinn. Dumme Fragen – oder was er dafür hielt – reizten ihn und fehlende Fachkenntnis bei seinem Gegenüber weckten seinen ausgeprägten Sinn für Sarkasmus.

Unter solchen Voraussetzungen war es naturgemäß denkbar schwierig, Wilder als Interviewpartner zu gewinnen. Cameron Crowe unternahm in der zweiten Hälfte der 90er Jahre den schwierigen Versuch. Auch er schien rasch zum Scheitern verurteilt zu sein, doch dann setzte sich Wilders Neugier durch: Crowes Werdegang wies erstaunliche Parallelen zur eigenen Karriere auf. In den frühen 1920er Jahren begann Wilder (damals noch „Billie“) als Reporter (der fragwürdige Gipfelpunkt dieser „Karriere“ bestand darin, vom interviewunwilligen Sigmund Freud höchstpersönlich vor die Tür gesetzt zu werden …). Crowe war in dieser Hinsicht als Journalist und Mitherausgeber des renommierten „Rolling Stone“-Magazins ungleich erfolgreicher, bevor er sich nach Hollywood begab und sich dort wie Wilder an der seltenen Kombination Drehbuchautor/Regisseur versuchte – mit durchschlagendem Erfolg: Crowes dritter Film – „Jerry Maguire“ mit Tom Cruise – entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Filme der 90er Jahre und sicherte seinem Schöpfer gleich zwei „Oscars“.

Billy Wilder konnte beruhigt sein: Hier bemühte sich ein „Ebenbürtiger“ um seine Aufmerksamkeit. 1995 begann Crowe mit seinen Interviews, die sich aufgrund der Eigenwilligkeiten des Befragten zunächst mühsam anließen. Doch je besser sich Crowe und Wilder kennen lernten, desto besser kamen sie in den drei Jahren, über die sich das Projekt schließlich (mit großen Pausen) hinziehen sollte, miteinander zurecht. Crowes orientierte sich grob an einem berühmten und bewährten Konzept: Dreißig Jahre zuvor hatte der Regisseur und Filmhistoriker François Truffaut den großen Alfred Hitchcock befragt. Dies geschah im Rahmen einer längeren Reihe ausführlicher Interviews, die zum ersten Mal einen einzigartigen Einblick in das Werk und das Leben des vom Publikum geschätzten, von der Kritik aber bisher weitgehend unbeachteten Meisters der Suspense ermöglichten. Den roten Faden bildeten die Filme, die lückenlos ange- und besprochen wurden.

Genauso gingen nun Crowe und Billy Wilder vor, was Letzteren nicht immer begeisterte, gibt es doch in seiner Filmografie Werke und in seinem Leben Vorfälle, über die er zu gern den Mantel des Vergessens breiten wollte. Zudem war Wilder ein Meister der Finte und des Ausweichens. Festnageln konnte man ihn nur schwer. Doch bei aller gebotenen Ehrfurcht ließ Crowe nicht locker. Noch größeres Vergnügen als die hochinteressanten filmhistorischen Informationen bereitet die Beobachtung der rhetorischen Scharmützel, die er und sein Wild(er) sich lieferten, denn Crowe beschreibt immer wieder, wo und unter welchen Umständen er sich mit Wilder traf und was sich dabei jenseits des Aufnahmemikrofons ereignete. Über die späten Jahre prominenter Männer und Frauen zeigen sich die Quellen oft ziemlich schweigsam. Das ist auch verständlich, denn im Alter verlieren sie mit ihrer Kraft gewöhnlich das, was sie für ihr Publikum so faszinierend machte. Doch Wilder war zum Zeitpunkt der Crowe-Interviews zwar alt, nicht mehr gesund und oft melancholisch, doch geistig völlig auf der Höhe und von daher eine Persönlichkeit, die der Welt etwas zu sagen hatte.

„Conversations with Wilder“, wie der vorliegende Band im Original viel schöner und auch treffender betitelt wurde, ist nicht nur bis zum Rand angefüllt mit klugen Anmerkungen zur Filmgeschichte und zahllosen Anekdoten über die Schauspieler/innen, Studiochefs, Kameramänner und Autoren, mit denen (oder gegen die) Wilder im Laufe seiner langen Karriere gearbeitet hat. Der großformatige Band prunkt außerdem mit einer Unzahl begleitender Schwarzweißfotos. Doch hier muss die einzige echte Kritik ansetzen: Für den modischen, aber für eine Dokumentation ungeeigneten „Sechzigerjahre-Retro-Schick“ mit seinen direkt vom Fernsehbildschirm abgenommenen und folgerichtig konturschwachen und verschwommenen Filmbildern opfert Crowe die klare Linie seiner ansonsten über die gesamte Distanz unterhaltsamen Quasi-Werkschau und -Biografie. Bei einem Buch, das ziemlich teuer verkauft wurde, hält sich das Verständnis für pseudo-künstlerische Stückchen dieser Art in Grenzen! Das ist aber auch der einzige Einwand, der sich gegen Crowes meisterhafte Darstellung erheben lässt, die dem Bücherschrank jedes Filmliebhabers zur Zierde gereichen wird.

Andreas Neumann – Sir John jagt den Hexer. Siegfried Schürenberg und die Edgar-Wallace-Filme

Siegfried Schürenberg (1900-1993) gehörte nie zu den Stars des deutschen Theaters, Films und Fernsehens. Schauspieler wie ihn nennt man „Charakterdarsteller“; sie stellen ihre Arbeit in den Dienst der erzählten Geschichte und tragen eher unauffällig ihren dennoch gewichtigen Teil dazu bei, diese möglichst unterhaltsam ablaufen zu lassen. Die Rollen sind meist klein aber prägnant. Manchmal gelingt es einem Charakterdarsteller, aus dem zweiten Glied hervorzutreten. Schürenberg kam in der Rolle des kauzigen „Sir John von Scotland Yard“ zu spätem Ruhm, als in den 1960er Jahren die deutschen Edgar-Wallace-Filme in Serie gedreht wurden. Der Künstler war auch als Theaterschauspieler tätig. Sicherlich ebenso wichtig ist sein Wirken als Synchronsprecher. Erst recht unsichtbar lieh er seine sonore Stimme zahlreichen US-Schauspielern und sprach u. a. für Clark Gable in der deutschen Fassung des Klassikers „Vom Winde verweht“.

Andreas Neumann – Sir John jagt den Hexer. Siegfried Schürenberg und die Edgar-Wallace-Filme weiterlesen

Rolf Giesen/Manfred Hobsch – Hitlerjunge Quex, Jud Süss und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches

Böser Anfang ist schwer

Die nationalsozialistische „Machtergreifung“ zielte 1933/34 nicht nur auf Politik und Wirtschaft. Wie alle Bereiche des deutschen Lebens wurde auch die Kultur in den Dienst der „Partei“ gestellt. Der Film stellte keine Ausnahme dar. Im Gegenteil: Propagandaminister Joseph Goebbels besaß ein außerordentliches Faible für das Kino. Das betraf nicht nur seine Vorliebe für hübsche Nachwuchsschauspielerinnen. (Seine spezielle Fürsorge verschaffte ihm den Spitznamen „Bock von Babelsberg“.) Für Goebbels war das Kino ein Instrument: Spielerisch und unaufdringlich sollte die nationalsozialistische Botschaft den deutschen Zuschauern eingeträufelt werden.

Geprobt wurde dies schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik, sodass pünktlich zu Hitlers Machtübernahme die ersten Filme eines ‚neuen‘ Deutschlands gestartet werden konnten. Sie demonstrierten freilich, wie richtig Goebbels lag, als er darauf drang, die Propaganda stets der Unterhaltung unterzuordnen. „Hans Westmar – Einer von vielen“ oder „SA-Mann Brand“ boten pathetische Massenszenen und braune Aufmärsche in einer dürftigen Spielhandlung und wurden keine Erfolge, denn der deutsche Kinobesucher lehnte Holzhammer-Propaganda ab. Rolf Giesen/Manfred Hobsch – Hitlerjunge Quex, Jud Süss und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches weiterlesen

Tosches, Nick – Dino. Rat-Pack, die Mafia und der Traum vom großen Glück

Die coolen Crooner sind wieder da; Steven Soderbergh ließ im Kino mit „Ocean’s Eleven“ & „Ocean’s Twelve“ das „Ratten-Pack“ aus dem Las Vegas der 50er und 60er Jahre neu erstehen, und Robby Williams (der arme Tropf) hält sich für die Inkarnation von Frank Sinatra. Da kann es nicht ausbleiben, dass auch das Interesse am vielleicht rätselhaftesten Bombast-Schmalzer des 20. Jahrhunderts neu erwacht: Dino Crocetti alias Dean Martin (1917-1995), Sänger, Schauspieler, TV-Star, Spieler, Schwerenöter und Trinker, Macho und Mimose – die lebende Parodie auf den Amerikanischen Traum, Idol für Millionen und eine menschliche Sphinx, deren Mysterien – falls es denn welche gab – weder die engsten Freunde noch die eigene Familie je zu lösen vermochten.

Nick Tosches unternahm den bisher wohl ambitioniertesten Versuch, dieser mysteriösen Persönlichkeit auf die Spur zu kommen. Schon 1992, also noch zu Lebzeiten Martins, begann er zu recherchieren. Martin selbst verweigerte Tosches wie noch jedem Biografen jegliche Zusammenarbeit; wie dieser später entdeckte, war es dazu ohnehin zu spät: Zu den vielen Tragödien, die Dean Martin in seinem Leben trafen, ist die Demenz der letzten Jahre wohl die schrecklichste. Sterben würde er schließlich an Lungenkrebs, und nur dieser Kampf fand seinen Niederschlag in der Presse. Dass der große Dean Martin da schon nicht mehr wusste, wer er war, blieb weitgehend unerwähnt – ein ungewöhnliches Zugeständnis der Medien, das Tosches dezent aber deutlich enthüllt.

Ansonsten hält Tosches nichts von falscher Heldenverehrung. „Dino“ zeichnet das keineswegs schmeichelhafte Bild eines mit vielen Talenten gesegneten, aber nicht gerade liebenswerten, weil verschlossenen und egoistischen, an den Dingen um ihn herum sträflich uninteressierten Mannes, der sogar eine recht ausgeprägte dunkle Seite besaß. Wie wir jedoch erfahren, war der Einsatz der Ellenbogen unverzichtbar für einen Mann, dem der Erfolg als Künstler kaum in die Wiege gelegt wurde. Tosches hat fabelhafte Kärrnerarbeit geleistet und Martins frühe Jahre in der Industriestadt Steubenville, Ohio, akribisch nachgezeichnet. Der spätere Superstar stammte aus einfachen Verhältnissen. Daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht oder sich gar dessen geschämt, aber er hat auch nur wenige Worte darüber verloren. Tosches hatte das Glück des Tüchtigen: Er fand zahlreiche Zeitgenossen, die Aufschlussreiches über Dean Martins frühe Jahre zu erzählen wussten. Sogar die europäischen Ursprünge der italienischen Einwandererfamilie Crocetti in den kargen Abruzzen konnte er offen legen.

Nie beschränkt sich Tosches auf die simple Nacherzählung von Fakten. Er fügt sie stets in den historischen Kontext ein. So erleben wir die Crocettis nicht als singuläre Reisende ins Gelobte Land Amerika, sondern als Körnchen in dem Strom, der sich im späten 19. Jahrhundert aus Europa über den Atlantik gen Westen ergießt. Dass Dean Martins Leben so verlief, wie es quasi verlaufen musste, ist eine Folge von Ereignissen, die auf den ersten Blick mit ihm als Person gar nichts zu tun haben. Tosches Verdienst ist es, die unterschwelligen Verbindungen erkannt und aufgedeckt zu haben. Das betrifft Martins tiefe Verwurzelung in der italienischen Kultur seiner Vorfahren, die ihn stärker prägte als bisher bekannt war. Integraler Bestandteil dieser Kultur waren aber auch Martins Verbindungen zum organisierten Verbrechen, die natürlich das Interesse des heutigen Lesers ganz besonders erregen. Während sein Kumpel Frank Sinatra entsprechenden Nachforschungen zeitlebens mit einen Stall gut dotierter und angriffslustiger Juristen begegnete, legte Martin Tosches keine Steine in den Weg. So recherchierte der Verfasser praktisch ungehindert und rekonstruierte mit bisher nicht gekannter Eindringlichkeit die Rolle der Mafia in der Unterhaltungsindustrie der USA.

Dean Martins Kontakte zum organisierten Verbrechen gingen schon auf seine Jugendjahre in Steubenville zurück, das sich in Tosches Rückschau als wahres Mekka der Kriminalität entpuppt. Wie wenig Martin mit dem daueralkoholisierten Bruder Leichtfuß gemein hatte, den er später so erfolgreich seinem Publikum vorgaukelte, lässt sich schon daraus folgern, dass er zwar mit den Gangstern von Steubenville gut Freund war, aber niemals mit dem Gesetz in Konflikt kam: Dino Crocetti wusste stets sehr genau, was gut für Dean Martin war; während seine Jugendfreunde ihr Leben als arme Schlucker beschlossen, die sich wehmütig daran erinnerten, wie sie ihre Tage einst mit infantilen Großmannsträumen vertaten, starb ihr Kumpel zwar unglücklich, aber immerhin reich.

„Dino“ ist ein mit Fakten, Geschichten und Anekdoten überreich gefülltes Horn, das über die gesamte Distanz von immerhin 700 Seiten jederzeit unterhält. Das heißt nicht, dass es nichts zu bemängeln gäbe. So kommt auffällig oft dem Biografen Tosches, der virtuos die Vergangenheit wieder aufleben lässt, der Schriftsteller Tosches – dem wir mit „Trinities“ (1994, dt. „Die Meister des Bösen“) einen der besten zeitgenössischen Romane um die Mafia überhaupt verdanken – in die Quere. Letzterer kann einfach nicht widerstehen, Wissen durch Fantasie zu ersetzen. Es lässt sich nun einmal nicht leugnen, dass es auch dem unermüdlichen Tosches misslungen ist, den emotionalen Panzer Dean Martins zu „knacken“. Das ist jedoch kein Freibrief dafür, die Lücken mit hypothetischen Selbstreflexionen eines imaginären Dino Crocetti zu füllen – ganz besonders dann, wenn der Verfasser mehr als einmal anklingen lässt, dass dieser zur Selbstreflexion womöglich gar nicht fähig war. Aber Martin/Crocetti muss einfach Tosches‘ Vorstellungen eines von dämonischen Begierden tragisch Getriebenen und schließlich Gescheiterten erfüllen; das sind die Menschen, die ihn interessieren und von denen er meint zu wissen, wie sie funktionieren. Wir finden diese für Tosches typischen, literarisch eindrucksvollen, aber sachlich fragwürdigen Sentenzen auch in seinen Biografien über den Musiker Jerry Lee Lewis oder den Boxer Sonny Liston; „Hellfire“ bzw. „Der Teufel und Sonny Liston“ heißt es da dräuend und verheißungsvoll schon im Titel – Theaterdonner und faule Tricks für die Armen im Geiste.

In dieselbe Kerbe schlägt Tosches, wenn er hier und da der Verlockung erliegt, die Vergangenheit so zu inszenieren, dass sie seinem pessimistischen Weltbild entspricht. Dabei stören weniger die unverhohlenen Wertungen – er verabscheut sichtlich aus tiefem Herzen die Kennedys oder macht sich über Frank Sinatra und Ronald Reagan lustig -, denn sie lassen sich als |vox toschesi| vom Leser klar erkennen. Schwieriger fällt dies, wenn der Verfasser seinem Hang nachgibt, die Trivialisierung der US-Gesellschaft und -Kultur seit dem II. Weltkrieg zu geißeln. Tosches gilt als Kritiker des American Way of Live – und zwar als ebenso wortgewaltiger wie guter, was ihn besonders der Intelligentia Europas zum Lieblingskind werden ließ. Aber er hat halt auch einen Hang zum Prediger und redet gern in Zungen; machtvoll und ungedämmt fließt der Strom seiner Worte, wenn es gilt, die Boheme und Künstlerszene der Prohibitionszeit oder den Wahnsinn Las Vegas zu beschwören. Schwere Jungs und leichte Mädchen, Sex & Schnaps & nein, noch nicht Rock ’n‘ Roll, aber Schlagerschmalz rund um die Uhr, gutes Geld und schlechter Geschmack, das Leben ein pausen- und bedeutungsloser Rausch von Erfolg und Ruhm – ohne es zu merken, reiht der Verfasser Klischee an Klischee. Schlimm ist das in fader Rührseligkeit versickernde Finale, aber noch deutlicher verraten ihn die Fußnoten (Tosches liebt Abschweifungen): Das rührselige, erstaunlich distanzlos vorgetragene Klagelied von Marilyn Monroe, dem armen, kleinen, von den Männern/den Kennedys/der Mafia/dem FBI/den Außerirdischen verratenen & verkauften Mädchen, hat man z. B. ein wenig zu oft gehört, um es noch hören oder gar ernst nehmen zu können.

Der Schaden hält sich indes in Grenzen, weil Tosches immer wieder rasch auf den Boden der Tatsachen zurückfindet. Dort leistet er Großes, bringt völlig Neues ans Tageslicht oder entlarvt alte, lieb gewonnene Legenden. Darin ist Tosches ein wahrer Meister. Ob Jerry Lewis, Dean Martins Partner der frühen, turbulenten Jahre, wohl ahnte, wie ihm geschehen würde, als er seinem Gesprächspartner Rede und Antwort stand? Tosches hörte ihm und seinen vielen anderen Gesprächspartnern sehr genau zu – und überprüfte wie jeder wirkliche gute Biograf oder Historiker das Notierte mit Hilfe anderer Quellen. Dabei ergaben sich viel sagenden Diskrepanzen; man liest es mit Vergnügen (und Schadenfreude) und lernt viel darüber, wie Stars „gemacht“ werden.

Bleibt abschließend die Frage, ob denn die zehnjährige Differenz zwischen Original und Übersetzung dem Werk nicht Schaden zufügt. Die Antwort ist nein; ohne das eingangs erwähnte Crooner-Revival wäre dem deutschen Leser dieses bei allen Fehlern fabelhafte Werk sicherlich gänzlich vorenthalten geblieben. Außerdem gibt es Martins Leben nach 1992 rein gar nichts mehr hinzuzufügen; da reicht tatsächlich ein lakonisch dem Anhang eingeflickter Hinweis: „Dean Martin starb am 25. Dezember 1995“. Wie wir nun wissen, war er da eigentlich schon mindestens zehn Jahre tot.

Elsaesser, Thomas – Metropolis. Der Filmklassiker von Fritz Lang

Wie kann es eigentlich angehen, dass ein Film als Klassiker gilt, den kaum jemand wirklich gesehen hat …? Ein Dreivierteljahrhundert nach seiner Entstehung ist es gar nicht so einfach, „Metropolis“ neu oder wieder zu entdecken. Manchmal wird er von öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern im Dunkel der Nacht gezeigt, aber eigentlich müsste man ihn natürlich auf der großen Leinwand so sehen, wie ihn Fritz Lang einst konzipiert hat.

Bei dieser Gelegenheit zeigt sich, dass „Metropolis“ auch im 21. Jahrhundert die Gemüter zu erregen vermag. Viel bewundert ob seiner monumentalen Bildsprache, die noch heute staunen macht, aber vielleicht noch mehr kritisiert und geschmäht wegen der naiven Geschichte, die da mit stupendem Aufwand erzählt wird, ist es an der Zeit für eine aktuelle und vor allem sachliche Bestandsaufnahme: Was ist „Metropolis“ wirklich bzw. was haben sich seine Schöpfer vor 78 Jahren dabei gedacht, ein bei objektiver Betrachtung wahnwitziges Projekt zu verwirklichen?

Der Film- und Fernsehhistoriker Thomas Elsaesser, der an der Universität Amsterdam lehrt, hat sich diesen Fragen im Auftrag des renommierten „British Film Institute“ angenommen. Auf gerade 135 Seiten ist das keine einfache Aufgabe, denn über „Metropolis“ haben sich schon viele und manchmal sogar kluge Köpfe ausführlich dieselben zerbrochen. Im Gewirr dieser wild bewegten Rezeptionsgeschichte den roten Faden zu finden, ist eine respektable Leistung. Elsaesser ist es gelungen – und noch besser: Er schafft es, das schwierige Thema mit spielerischer Leichtigkeit in den Griff zu bekommen und seinem Publikum nahe zu bringen.

Dabei geht Elsaesser beileibe nicht den einfachen Weg, der in der Filmbuch-Welt leider in der Regel so aussieht: Man erzähle ausführlich die Story nach, ergänze dies durch die Nachbetung einiger Fakten aus der Pressemappe und peppe das Ganze mit (meistens reichlich apokryphen) Anekdoten auf, die im Falle von „Metropolis“ ungeprüft seit über siebzig Jahren nachgeplappert werden. Dazu kommen viele, viele Bilder – fertig! Elsaesser geht dagegen inhaltlich in die Tiefe, und er setzt mit einer ungewöhnlichen These an: „Metropolis“ ist in seiner Deutung kein geplantes Monument der frühen Filmgeschichte, keine ehrgeizige Prophezeiung einer möglichen Zukunft, auch kein (missglücktes) politisches Manifest, sondern ein kühl kalkulierter Blockbuster à la „Star Wars – Episode 1“. Die Belege dafür sind bestechend: In den 20er Jahren befand sich die deutsche Filmindustrie, die einst führend in der Welt war, in einer tiefen Krise. Hollywood hatte die Zelluloid-Krone an sich gerissen. „Metropolis“ sollte als Kraftakt beweisen, dass Deutschland nicht nur mithalten, sondern die Konkurrenz jederzeit in die Schranken verweisen konnte. Dies war der Grund, wieso die UFA Fritz Lang praktisch unbegrenzte Mittel gewährte und ihn zwei Jahre (!) ungestört an „Metropolis“ arbeiten ließ.

Auf der anderen Seite erklärt diese Zielrichtung auch die oft beklagte formale wie inhaltliche Indifferenz des Films. Ungehemmt und offenen Auges wilderten Regisseur Fritz Lang, Drehbuchautorin Thea von Harbou oder Ausstatter Ernst Ketelhut in den Höhen der hehren Kunst wie in den Niederungen des alltäglichen Kitsches. Elsaesser ist es gelungen, den Ursprung vieler „Metropolis“-Bilder, die sich längst in Pop-Ikonen verwandelt haben – der weibliche Roboter, der Turm zu Babel, das Rotwang-Labor usw. -, zu rekonstruieren. Die Betroffenheit über die scheinbare Banalität der meist recht seichten Quellen, aus denen sich „Metropolis“ speist, weicht der Bewunderung, wenn man sich erst einmal vor Augen geführt hat, dass „Metropolis“ in erster Linie ein Spektakel und „nur“ ein Film ist und nie als etwas Anderes, gar „Großartiges“ geplant war.

Unter diesem Aspekt relativiert sich auch die Mär vom künstlerischen und geschäftlichen Scheitern des ehrgeizigen Projektes. Fritz Lang und besonders Thea von Harbou, die stets als die „Hauptschuldigen“ gescholten werden für das schlechte Abschneiden an den Kinokassen, hatten einfach Pech: „Metropolis“ entstand für einen Konzern am Rande des Konkurses, in einer Zeit der Inflation und der politischen wie wirtschaftlichen Unruhen – und kam auf den Markt, als sich der Tonfilm massiv ankündigte.

Was dagegen von der Kritik niemals richtig gewürdigt wurde, ist der enorme Erfolg des Films auf anderem Gebiet: Einen Kultfilm erkennt man daran, dass er moderne Mythen entstehen lässt. „Metropolis“ ist in dieser Hinsicht ein einziges Füllhorn; ein Ideen- und Bildersteinbruch, aus dem sich die Nachgeborenen gern und großzügig bedienten. Elsaesser kann nur wenige, aber beeindruckende Beispiele präsentieren – bereits die Nennung von Filmen wie „Frankenstein“ über „Blade Runner“ bis zur „Batman“-Serie (der „richtige“ der Teile 1, 2 und 5, nicht der Schumachersche Clown im Cape), „Das Fünfte Element“ oder „Sin City“ gibt ihm uneingeschränkt Recht.

Wenn man Elsaesser bereitwillig schon bis zu diesem Punkt gefolgt ist, akzeptiert man auch sein zunächst irritierendes Plädoyer für Giorgio Moroders bonbonbunte, massiv umgeschnittene und mit der Popmusik der 80er unterlegte „Metropolis“-Fassung von 1983. Das Protestgeheul der etablierten Filmkritik ließ damals die Kinowände weltweit erzittern, doch Elsaesser nimmt Moroder in Schutz und weist nach, dass „Metropolis“ bereits seit seiner Uraufführung immer wieder geschnitten und neu montiert wurde – womöglich gibt es gar keine authentische Urfassung! Die eigentliche Kraft dieses Films, so Elsaesser, liegt in der erstaunlichen Tatsache, dass noch jede Version ihr Publikum gefunden hat: In einem Film, der stets Stückwerk war, nimmt der Zuschauer nur jene Elemente wahr, die seine Phantasie beflügeln.

Doch ist Thomas Elsaesser denn nun im Besitz der einzigen Wahrheit? Er stellt seine Thesen zur Diskussion, aber das heißt keineswegs, dass seine überzeugenden Thesen in zehn Jahren noch gültig sein werden. Elsaessers „Metropolis“-Buch fesselt auch als Exkurs über die Filmkritik im Wandel der Zeit. Jede Generation, jede Kultur hat den Film so interpretiert, wie er in ihr Weltbild passte. „Metropolis“ wurde als kommunistische Agitation wie als faschistische Propaganda, als Warnung vor den Nazis wie als früher Gruß an Hitler & Co, als Utopie wie als Dystopie interpretiert oder besser: instrumentalisiert. Heute ist es möglich offen anzusprechen, dass „Metropolis“ in erster Linie Unterhaltung war und ist, ohne dafür von der verkopften Cineastenschar früherer Jahre gesteinigt zu werden. (Nicht, dass es sie nicht mehr gäbe oder sie es nicht gern täte – sie ist nur einfach nicht mehr in der Überzahl und musste heraus aus ihrem Elfenbeinturm …) Unter dieser Prämisse ist übrigens ausgerechnet der arme H. G. Wells das beste Beispiel für solche Kurzsichtigkeit: Der hoch und mit Recht gerühmte Autor unsterblicher Klassiker wie [„Die Zeitmaschine“ 1414 oder „Der Krieg der Welten“ listete penibel die „Fehler“ und Anachronismen auf, die ihm in „Metropolis“ als Geschichte aus der Zukunft aufgefallen waren, ohne jemals zu begreifen, dass diese überhaupt nicht beabsichtigt war bzw. eine Story im Film völlig anderen Gesetzen zu gehorchen hat als ein Roman.

„Metropolis“ gehört eindeutig zu den Highlights der Reihe „Filmbibliothek“ des |Europa|-Verlags: brandaktuell, fern jedes pseudo-philosophischen Schwurbels kundig und lesbar geschrieben, vorzüglich übersetzt und erfreulich preisgünstig – ein erstaunlicher, neugierig machender (Rück)Blick auf einen halb vergessenen, doch stets präsenten, oft missverstandenen Klassiker der Filmgeschichte.

Hand, Stephen – Texas Chainsaw Massacre

Travis County, ein von Gott und der Welt vergessener Landstrich im US-Staat Texas im brütend heißen August des Jahres 1973. Fünf junge Menschen sind unterwegs zu einem Rockkonzert in Dallas. Zuvor war man in Mexiko und hat dort billiges Marihuana gekauft. Kemper, der Fahrer und Besitzer des Vans, hat auch deshalb eine Abkürzung abseits des Highways gewählt. Seine Freundin Erin darf nichts von dem Schmuggel wissen; die junge Frau ist wesentlich „erwachsener“ als er und kann geistige Unreife und moralischen Schlendrian überhaupt nicht leiden. Aus anderem Holz sind Kempers Freunde Morgan und Andy geschnitzt, die den Spaß am Leben genießen. Ähnlich denkt Pepper, eine junge Frau, die man als Anhalterin auf der Straße aufgelesen hat.

Die Fahrt findet ihre abrupte Unterbrechung, als ein offensichtlich verwirrtes Mädchen dem Van fast vor den Kühler läuft. Es ist verletzt, steht unter Schock – und als es merkt, dass Kemper in die Richtung fährt, aus der sie kam, gerät sie in Panik, zieht einen Revolver und schießt sich durch den Kopf.

Das Quintett ist entsetzt. Mitten im Niemandsland hat man eine Leiche am Hals. Erin behält die Nerven und will die Polizei benachrichtigen. Gerade nähert man sich dem Dorf Fuller, wo Sheriff Hoyt seines Amtes waltet. Auf die jungen Leute wirkt er merkwürdig und verschlagen, aber als der Sheriff das Dope entdeckt, sind sie ihm ausgeliefert. Ohnehin sitzen sie längst in einer wohl geschmierten Todesfalle, wie Erin und Kemper bestätigen könnten, die inzwischen den vertierten Hewitt-Clan getroffen haben. Thomas, genannt „Leatherface“, ein durch Krankheit verstümmelter, wahnsinniger Mörder, zerlegt seine Opfer mit der Kettensäge in Stücke und verarbeitet sie zu Wurst. Den Besitz der so Verschwundenen reißen sich der Rest der lieben Familie und Hoyt unter den Nagel. Die Bande hat den Ort völlig unter ihrer Kontrolle; wohin die fünf Freunde sich auch wenden, finden sie nur das Grauen – und Leatherface, der sie mit knatternder Kettensäge erwartet …

Die Geschichte ist längst Legende, ihre Neufassung als Film war erfolgreich, das Buch zu diesem liest sich flott und anspruchslos – ein weiterer Horrorstreifen des frühen 21. Jahrhunderts also, gern gesehen/gelesen & schnell wieder vergessen? So einfach ist es nicht. Es steckt mehr hinter dieser ganz speziellen Story.

„Texas Chainsaw Massacre“ ist als Film von 2003 und erst recht als Buch zum Film von 2003 nur unter Berücksichtung der dreißig Jahre älteren Originalverfilmung zu interpretieren. Ohne das Wissen um Tobe Hoopers Klassiker, der sogar seinen Weg ins „Museum of Modern Art“ gefunden hat, erlebt man nur einen weiteren, handwerklich gut gemachten aber sicher nicht originellen Horrorfilm der „alten Schule“, d. h. brutal, blutig, ohne ironische Brüche, die das Grauen relativieren und leichter erträglich werden lassen.

Welches Grauen eigentlich?, fragt sich indes der Eingeweihte. Zu Recht, denn über kurze Momente einer jenseits des Ekels schwer verständlichen Verstörung kommt die neue „TCM“-Version nie hinaus. Da war der Vorgänger von ganz anderem Kaliber. Ausgerechnet im Buch zum neuen Film wird immerhin ein Aspekt deutlicher herausgearbeitet, werden Leben, Tod & Essen – drei Grundkonstanten und ihre gern verdrängte Nähe in den Mittelpunkt gerückt. Normalerweise sind „tie-in“-Romane nur Nebenprodukt einer Filmproduktion, die dem Enthusiasten ein bisschen zusätzliches Geld aus der Tasche locken sollen. Auch „TCM“, das Buch von Stephen Hand, ist sicherlich keine „gute“ Literatur im Sinne eines Buches, das mehr will als pure Unterhaltung, obwohl der Verfasser zumindest bemüht ist, mehr als die Nacherzählung des Drehbuchs abzuliefern.

Doch die ursprüngliche „TCM“-Story, wie sie Kim Henkel und Tobe Hooper 1974 ersannen, beinhaltete wie gesagt weit mehr als den lobenswerten Zweck, eine möglichst erschreckende Horrorgeschichte zu erzählen. Ob nun beabsichtigt oder zufällig: Die „TCM“-Schöpfer rührten an einem sehr empfindlichen Nerv der amerikanischen Gesellschaftsgeschichte. Mit Recht und Wirkung erinnert Hand daran in der von ihm verfassten Rahmenhandlung, die im Film von 2003 keine Rolle (mehr) spielt.

„TCM“ 1974 erzählte drei Geschichten, von denen diejenige über einige Teenager, welche unter die Menschenfresser fallen, die unwichtigste ist. Die eigentliche Beklemmung resultiert nicht aus den schockierenden Bildern, sondern aus der Tatsache, dass die „TCM“-Story genau dort spielt, wo die Welt angeblich noch in Ordnung ist: auf dem Land, d. h. dort, wo jeder jeden kennt, man einander im Auge behält und hilft, nachts die Haustür unverschlossen lässt und auch sonst das Herz auf dem rechten Fleck hat.

So wird es von konservativen und natürlich reaktionären, aber auch von Tugendbolden und Tagträumern gern gesehen. Dass die Wirklichkeit ganz anders aussehen kann, belegte die unglaubliche Geschichte des Ed Gein (1906-1984), der zwischen 1954 und 1957 als Grabräuber und schließlich Serienmörder aktiv war und aus den Körperteilen seiner Opfer Masken, Kleidungsstücke, Möbel, Schmuck und Fetische bastelte. Diese „true story“ traf das zeitgenössische Amerika tief ins moralische Mark. (Wer’s mag, kann sich in Wort und Bild auf unzähligen Websites – z. B. http://www.crimelibrary.com/gein/geinmain.htm – über Mr. Gein und seine Gräueltaten informieren lassen.) Ed Gein war „einer von ihnen“. Dass solcher Horror unbemerkt überall nisten kann – damit hatte man nicht gerechnet! Dieses Wissen und das daraus resultierende Unbehagen prägten sich der Volksseele tief ein und sollten sie nicht mehr verlassen.

Der Fall Ed Gein beschäftigte nicht nur die Wissenschaft (und natürlich die Medien), sondern wurde auch Teil der Volkskultur. Zahllose Horrorthriller griffen die Geschichte mehr oder weniger akkurat auf. Zu den berühmtesten Beispielen gehören neben „TCM“ Alfred Hitchcocks „Psycho“ (1960 entstanden nach dem gleichnamigen Roman von Robert Bloch) und [„Das Schweigen der Lämmer“ 354 („The Silence of the Lambs“, 1991 gedreht nach dem Roman von Thomas Harris).

Auf einer dritten Ebene handelt „TCM“ in der Version von 1974 von der Rache des hilflosen US-Establishments gegen die aufbegehrende, unkontrollierbar gewordene Jugend: Das alte Amerika schlachtet und frisst buchstäblich seine eigenen Kinder. „Heim“ und Familie der degenerierten Hewitts sind eine böse Parodie auf die traditionelle US-Familie à la „Father is the Best“. Das war er – bzw. der Sheriff, der Lehrer und jede andere Autorität einschließlich des Präsidenten der Vereinigten Staaten – 1974 eben nicht mehr. Drei Jahrzehnte später ist dies der Normalzustand, doch für die Zeitgenossen und hier vor allem die „Elterngeneration“ war dies neu und erschreckend. Wie sollte man junge Leute bändigen, sie „bestrafen“, weil sie sich keine politischen oder moralischen Vorschriften mehr machen oder nicht mehr nach Vietnam in den Krieg und in den Tod schicken ließen, sondern auf ihre Gedanken- und Handelsfreiheit pochten? Mit erbarmungsloser Härte durchgreifen und das „Übel“ mit Stumpf und Stil ausrotten, so argumentierten die Wächter der alten „Tugenden“. Tobe Hooper griff dies auf und steigerte entsprechende Wunschvorstellungen ins Groteske. Der Kritik fiel dies auf, die Zensur ignorierte es und stürzte sich auf die Gewaltexzesse – oder schob sie dies nur vor, weil auch ihre Vertreter sehr genau erkannten, worauf Hooper zielte?

Dreißig Jahre später wurde „TCM“ gezähmt. Wer den Film von 2003 sieht, mag das womöglich nicht glauben, weil es erneut sehr splatterig zugeht. Doch das ist halt nur Schau, wozu die wie gelackt wirkenden Bilder passen. Besser als Regisseur Nispel fängt Romanautor Hand den besonderen Geist des texanischen Hinterlandes ein. Hier gibt es kein weites, fruchtbares Land, das der US-amerikanische Pionier so schätzt. Travis County ist öde, einsam, von der Sonne verbrannt, in sich schon eine Falle, in der es keine Deckung gibt. Auch sonst ist alles verkommen und verrottet, was Amerika einst groß gemacht hat: „die Farm“, „der Laden“, „die Fabrik“ etc. Wenn etwas blüht, so sind es üppig wuchernde Nachtschattengewächse, die sich von der Verwesung nähren.

Wohl unbeabsichtigt überlebte interessanterweise genau das verquere Bild der Jugend die Neuverfilmung. In „TCM“ 2003 ist die werttreue, „vernünftige“, konservative Erin die einzige Überlebende. Sie kifft und säuft nicht, will von ihrem Kemper geheiratet werden, macht den „schwachen“, unmoralischen Freunden ständig Vorwürfe und hält sich auch sonst an die Regeln. Nur sie findet in der Krise die offenbar aus ihrer Gutmädchen-Seele erwachsende Kraft, sich dem Bösen zu stellen wie es dies verdient: mit noch größerer Gewalt als der Gegner sie aufzubringen vermag. Leatherface hat gegen eine Erin keine Chance. Er kann es nur mit ihren verderbten Begleitern aufnehmen. Die bekommen, was sie verdienen.

Dabei lassen sie es bloß locker angehen. Sie wirken bedeutend sympathischer als Erin, die freilich nach schwerer Kindheit und als werdende Mama – ein weiterer Grund, der die Regie moralisch verpflichtet, sie überleben zu lassen – die Prioritäten des Lebens anders setzt. Fatalerweise kann Buchautor Hand Kemper & Co. genauso wenig leiden wie Drehbuchautor Scott Kosar und Regisseur Marcus Nispel. Sie zeichnen ihre Opfer flach und ohne echten Bezug zum Zeitpunkt der Handlung – 1973 – nicht als „aufsässige“ Jugendliche, die als potenzielle Gefahr zu betrachten sind, sondern als zeitlos dumme Teenager, die gezüchtigt werden müssen. Leatherface kommt über sie, weil sie Gras rauchen, Rockmusik hören und es miteinander treiben. Das ist keine Provokation mehr, sondern Horrorfilmmoral von der Stange.

Der Glättung der 2003er „TCM“-Macher fiel auch der Hewitt-Clan zum Opfer. Tobe Hooper zeichnete ihn als schrecklich nette Familie, als Karikatur auf Ma & Pa & ihre braven Kinder. Leatherface tauchte als buchstäblich gesichtsloser Rachegeist, als das pure Böse aus dem Nichts auf. Kosar/Nispel und Hand wollen unbedingt „erklären“: Ihre Hewitts sind Wegelagerer, die es auf den Besitz ihrer Opfer abgesehen haben; Leatherface ist ihr Instrument, leidet unter einer entstellenden Krankheit und ist wahnsinnig im Sinne von krank. Das macht ihn nicht weniger mörderisch, aber es enthebt ihn der Verantwortung für seine Taten, die ihrerseits einen praktischen „Sinn“ ergeben. Dieses „Leatherface light“ bedauert man sogar ein bisschen und das kann sicher nicht im Interesse der „TCM“-Story sein.

In einem Punkt funktioniert „TCM“ 2003 freilich (als Film und als Buch) besser als der Vorgänger: Figuren wie „Old Monty“, „Luda May“ und vor allem „Sheriff Hoyt“ sind keine deformierten Monster, sondern wirken äußerlich vergleichsweise „normal“. Gerade das macht sie so gefährlich, denn sie können sich kontrollieren und das Netz schließen, an dessen Ende Leatherface lauert.

Über Stephen Hand ist nicht gerade viel herauszufinden. Der Mensch verschwindet hinter seiner Arbeit, die zunächst vor allem die Entwicklung von Brettspielen und Produktion von Computergames beinhaltete. Erst seit recht kurzer Zeit ist Hand auch als Romanautor tätig, wobei er sich auf Fantasy und Filmbücher spezialisiert. Aus seiner Feder stammt u. a. das Buch zum Gruselstreifen „Freddy vs. Jason“ sowie – wen wundert’s – eine Fortsetzung von „TCM“: „Texas Chainsaw Massacre II: Skin Freak“ (2004). Stephen Hand lebt und arbeitet in Südengland, wie der Klappentext zudem noch vermeldet.

Robert S. Sennett – Traumfabrik Hollywood. Wie Stars gemacht und Mythen geboren wurden

Werbung und Film scheinen seit jeher siamesische Zwillinge im Geiste der Übertreibung bzw. der Lüge zu sein. Autor Sennett belegt, wie diese Verbindung Anfang des 20. Jahrhunderts entstand, um in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg ein pseudo-reales Eigenleben zu entwickeln … – Das hochinteressante Thema wird weniger tiefschürfend als breit dargestellt. Trotzdem ein fesselndes Sachbuch, das zudem reich und kundig bebildert ist.
Robert S. Sennett – Traumfabrik Hollywood. Wie Stars gemacht und Mythen geboren wurden weiterlesen

Rebhandl, Bert – Orson Welles. Genie im Labyrinth

Mit nur einem Jubiläum wäre man dem Radio-, Theater-, Kino-, Fernseh- und Zirkusmenschen Orson Welles wahrscheinlich nicht gerecht geworden. Also bejubelt bzw. betrauert man ihn 2005 doppelt: Am 6. Mai wäre er 90 Jahre alt geworden, am 9. Oktober jährt sich sein Todestag zum zwanzigsten Mal. Jetzt, wo er tot ist und nicht mehr stört, kann man ihn weltweit als Ausnahmetalent abfeiern. Das war er tatsächlich, obwohl das Genie mit seinem Spieltrieb niemals mithalten konnte und von inneren Konflikten stärker als lange deutlich wurde geprägt war. Orson Welles versuchte viel, es gelang ihm wenig – das Ergebnis ist ein Leben voller Experimente und Brüche, das sich je nach Veranlagung des Kritikers als reich & bunt oder tragisch interpretieren lässt.

Bert Rebhandl geht mit „Orson Welles. Leben im Labyrinth“ zwangsläufig den zweiten Weg. Er konzentriert sich auf die Widersprüche, die Welles’ Leben und Werk prägen, wobei er vor allem die Querverbindungen zwischen beiden Welten aufdeckt: Der öffentliche und der private Orson Welles sind Geschöpfe, die eine immer stärkere Personalunion eingehen, bis man sie schließlich nicht mehr unterscheiden kann. Welles selbst hat das ebenfalls nicht mehr geschafft – nach Rebhandl eine weitere Quelle seiner nur bedingt geglückten bzw. glücklichen Selbstmystifizierung.

Nach mehr als einem Vierteljahrhundert Welles-Literatur ist es schwer, zwischen Wahrheit, Mythos und Kritikerinterpretation zu unterscheiden. Rebhandl bezeichnet sein Werk ausdrücklich nicht als Forschungsarbeit. Er stützt sich auf Material, das zugänglich ist: Welles’ Kino- und Fernsehfilme, seine Texte, seine berühmten Fragmente und Seltsamkeiten, die er im ungebrochenen Schaffensrausch seiner isolierten späten Jahren zustande brachte.

Biografische Entdeckungen schließt Rebhandl aus. Sie lassen sich aus Welles’ Werk nur bedingt erschließen und werden daher nur dort explizit ins Spiel gebracht, wo sie für die Kunst eine unmittelbare Rolle spielen. Seine Darstellung dieser Kunst gliedert der Verfasser in drei Linien:

– eine kulturkritische, die am Beispiel von Orson Welles der Frage nachgeht, wie oder ob sich künstlerische Subjektivität in einer kunsthandwerklichen Industrie behaupten kann;
– eine medienhistorische, die Welles folgt, der eine Spur durch praktisch sämtliche mediale Ausdrucksformen des 20. Jahrhunderts zog;
– eine autobiografische, welche die Werke und persönlichen Äußerungen Welles’ nutzt, um seine multiple Persönlichkeit zu erkennen und zu entschlüsseln.

Rebhandl kommt zu dem Ergebnis, dass diese drei Linien niemals ein exaktes Gesamtbild des Menschen Orson Welles ergeben können; dazu hat dieser zu erfolgreich an seinem eigenen Welles-Bild gearbeitet. Auch Rebhandl interpretiert, wobei er mögliche Missverständnisse oder Fehler (besonders in den biografischen Passagen) keineswegs ausschließt.

Damit steht er nicht allein, obwohl viele seiner Vorgänger es nicht zugeben mochten. Orson Welles (1915-1985), die „Erste Person Singular“, der große Medien-Magier, der an seiner Maßlosigkeit und am Unverständnis einer Welt, die seine Grandiositäten nicht finanzieren wollte, langsam und kläglich zu Grunde ging: So etwa sieht das Welles-Bild aus, das gern gemalt wird. Die Vorlage lieferte der Meister selbst, der gleich mit mehreren Donnerschlägen seine Karriere startete (u. a. „Krieg der Welten“, 1938 – Welles lässt marsianische Invasoren in den USA landen und sorgt für eine landesweite Panik; „Citizen Kane“, 1941 – Welles schreibt, dreht und spielt den bzw. in einem der bedeutendsten Werke der Filmgeschichte), um seinen Wunderkind-Status in den nächsten Jahren systematisch zu demontieren, ohne jemals Einsicht in die Tatsache zu zeigen, dass auch der bedeutendste Künstler das System nicht permanent vor den Kopf stoßen und erwarten kann, von ihm getragen und gefördert zu werden. Welles hat genau dies sein Leben lang gefordert, den Bogen überspannt und ist dennoch auf seinem einsamen Marsch gegen die Institutionen geblieben. Lange Zeit ist es ihm gelungen, das daraus resultierende Scheitern als Sieg des Individuums als Märtyrer der Kunst zu verbrämen.

Erst allmählich verschaffen sich Ketzer Laut, die a) das Scheitern eines Künstlers nicht automatisch mit dem Scheitern eines großen Künstlers gleichsetzen, b) künstlerische Größe nicht primär an den Schwierigkeiten messen, denen ein Künstler sich in der bösen Banausenwelt ausgesetzt sieht, und c) Welles, den Breitband-Künstler, und sein Werk unter die Lupe nehmen und dabei entdecken, dass dieser oft auch nur mit Wasser kocht, um es salopp auszudrücken.

Dies ist kein Wühlen in biografischem Müll, sondern eine Entmystifizierung, die an der Bedeutung Orson Welles’ für die Kunst des 20. Jahrhunderts rein gar nicht rüttelt. Schließlich gibt es einen Welles nach „Citizen Kane“, dem u. a. Regie-Meisterwerke wie „Othello“ (1952), „Touch of Evil“ (1958) oder „Chimes at Midnight“ (1966) gelangen – ganz zu schweigen vom Schauspieler Welles, der zwar grausigen Zelluloidmist drehte, um eigene Projekte finanzieren zu können, aber immer wieder zu Glanzleistungen auflief, wenn man ihm eine angemessene Rolle bot („The Third Man“, 1949; „Moby Dick“, 1956 oder [„Catch-22“,]http://www.powermetal.de/video/anzeigen.php?id__video=335 1970; um nur drei von mehr als 100 Filmen nicht von aber mit Welles zu nennen).

Bücher über Genies – gerade über missverstandene – neigen zu einer gewissen Seitenfülle. Im Falle von Orson Welles, der sich gern als verhinderter Renaissancemensch sah, läge dies besonders nahe. Viele von Ehrfurcht gepackte Welles-Biografen und –Interpreten sind in diese Richtung gegangen. Bert Rebhandl verweigert sich dem. Er fasst zusammen und interpretiert neu, wofür ihm 192 Seiten reichen. Als Leser hat man nicht das Gefühl, dabei informativ zu kurz zu kommen.

Vor allem wirkt Rebhandls Buch nicht wie ein Schnellschuss zum Welles-Jubiläum, obwohl es natürlich von dem weltweiten Rummel – so stand u. a. im August 2005 eine Retrospektive von Welles-Werken auf dem Filmfestival von Locarno an – profitiert. Erstaunlicherweise liegt Welles’ filmischer Nachlass nicht irgendwo in den USA, wo ihm das Filmestablishment seine Eskapaden nie wirklich verzieh, sondern in Europa, das ihn wesentlich herzlicher empfing. (Finanziell auf dem Trockenen ließ man ihn freilich auch hier sitzen.) In München bemüht man sich – ebenso hilfsbereit wie argwöhnisch beobachtet von Welles’ letzter Lebensgefährtin Oja Kodar – seit 1995 um dieses Erbe, das Bert Rebhandl die Chance bot, manchen selten gesehenen oder gelesenen Film oder Text in seine Betrachtungen einfließen zu lassen.

Hier und da verfällt Rebhandl auf genau den Fehler, welchen er auch vielen Welles-Kritikern vorwirft: Er verbeißt sich um seiner Grundhypothese willen in Einzelheiten, die er förmlich zu Tode interpretiert, ohne dabei überzeugen zu können. Letztlich ist es „Rebhandls Welles“, der uns hier vorgestellt wird. Aber das hatte uns der Autor ja gesagt, also überspringen wir solche Passagen und werden rasch wieder mit angenehm formulierter Sachlichkeit belohnt, die uns die Lektüre zum informationsreichen Vergnügen werden lässt.

Paglia, Camille – Vögel, Die. Der Filmklassiker von Alfred Hitchcock

Alfred Hitchcocks im Jahre 1962 entstandener Thriller „Die Vögel“ („The Birds“) gehört zu den unumstrittenen Klassikern der Filmgeschichte. Als solcher ist er schon oft und ausführlich untersucht und interpretiert worden. Deshalb ist es nicht einfach, noch neue Gesichtspunkte zu entdecken. Natürlich kann man es versuchen, und so lange noch viele der hinter der Kamera tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter uns weilen, kann man sie befragen und dabei das eine oder andere bisher unbekannte Detail zu Tage fördern. Eine völlige Neubewertung dessen, was „Die Vögel“ zu einem anerkannten Meisterwerk macht, ist allerdings kaum mehr möglich.

Was geschieht, wenn man es dennoch versucht und dabei die gerade beschriebenen Grenzen um jeden Preis ignorieren möchte, belegt ebenso eindrucksvoll wie abschreckend das vorliegende Buch. Camille Paglia, Professorin für Klassische Literatur an der University of the Arts in Philadelphia (USA), forscht und lehrt über die Rolle der Frau in Gesellschaft und Kultur. In zahlreichen Aufsätzen und Büchern ging sie diesem Thema sowohl streng wissenschaftlich als auch populär durch diverse Jahrhunderte und in seinen vielfältigen Aspekten nach. Besonderes Aufsehen erregte sie als gemäßigte „Anti-Feministin“, die sich mutig, entschieden und sachlich-kompetent gegen die Auswüchse einer angeblichen „sexual correctness“ ausspricht, die in den Vereinigten Staaten längst zu einem Rückfall in quasi-puritanische Zeiten geführt hat. Auch als Filmkritikerin ist sie bereits aufgetreten; sie hat sich beispielsweise im Online-Magazin „salon.com“ mit dem lesbischen Schauspielerinnen-(Ex-)Paar Elles DeGeneres und Anne Heche beschäftigt (und sich in ihrer Kolumne „Ask Camille“ auch zu Fragen wie „Is Anne Heche Another Vampirish Yoko Ono?“ geäußert …)

Beginnen wir mit dem Positiven: Paglia zeichnet die Entstehungsgeschichte von „Die Vögel“ knapp, aber minuziös nach. Dabei geht sie wohltuend über die stets gleichen, uralten Anekdoten hinaus, die seit Jahren besonders von der Presse nachgebetet werden, wenn die Sprache auf diesen Film kommt. (Tippi Hedren wird mit lebenden Vögeln beworfen, bis sie einen Nervenzusammenbruch erleidet – Hitchcock schenkt Hedren einen Sarg, in dem eine Puppe mit ihren Gesichtszügen liegt – Der liebeskranke Hitchcock verfolgt und bedrängt seine Hauptdarstellerin, usw. usf.) Zum ersten Mal erfährt man dank Paglia zum Beispiel Einzelheiten darüber, dass „Die Vögel“ nicht allein auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Daphne DuMaurier basiert. Hitchcock wurde mindestens ebenso stark inspiriert durch eine Invasion verwirrter Seevögel, die im August 1961 in ein kalifornisches Küstenstädtchen unweit seines eigenen Wohnortes eingefallen waren.

Auch Paglias Schilderung der enormen technischen Probleme, vor denen Hitchcock, seine Darsteller und seine Crew standen, weiß zu überzeugen. Dass die Detailversessenheit des Meisterregisseurs auf private Obsessionen und Ängste zurückgingen, ist allgemein bekannt, aber Paglia weiß dieses Bild durch einige interessante Anmerkungen abzurunden.

Die Probleme beginnen, sobald Paglia mit der Interpretation von „Die Vögel“ beginnt. Ihre Eingangsthese lautet: „In seinem technisch aufwendigsten Film … beschäftigt sich Alfred Hitchcock direkt mit dem Thema der Natur als einer zerstörerischen und räuberischen Kraft, das seiner Faszination für das Verbrechen schon immer zugrunde lag.“ (S. 7) Statt dem nun nachzugehen und zu bestätigen oder zu widerlegen, ignoriert Paglia ihre Theorie auf den folgenden einhundert Seiten. Stattdessen reitet sie ihr Lieblings-Steckenpferd und bemüht sich, Melanie Daniels, die weibliche Hauptfigur von „Die Vögel“, sowie Tippi Hedren, ihre Darstellerin, in ihren Positionen innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft um 1960 darzustellen. Dafür gibt es eine ganz Reihe von Ansatzpunkten, und viele der von Paglia gezogenen Schlüsse sind einleuchtend. Leider verrennt sie sich mindestens ebenso häufig in manchmal geradezu aberwitzige logische Sackgassen – und mehr als einmal brennt ihr eine Sicherung durch: „[Melanie] erreicht den Anlegesteg und wirft das mit einer Schlinge versehene Tau über den Pfahl, was in einem Hitchcock-Film … aussieht, als würde die Galgenschlinge wie ein Lasso über einen Penis geworfen.“ (S. 54) Das ist als blühender Blödsinn unmittelbar erkennbar und immerhin erheiternd. Erklären lässt sich auch Paglias fast zwanghaftes Bemühen, einen Argumentationsstrang um jeden Preis und solange zu zwirnen, bis sich ein Schlachtschiff daran vor Anker legen ließe. Ein gutes Beispiel ist Paglias schier endlose Liste von Vögeln und Vogelmotiven, die in Hitchcocks Filmen auftauchen. Hitchcock mochte diese Tiere nicht, das ist richtig, aber dennoch: Selbst bei ihm war ein Vogel manchmal nur ein Vogel – nicht mehr!

Doch Paglia ist wie gesagt primär nicht Filmkritikerin, sondern Wissenschaftlerin. Daher ist es ihr Bestreben, eine Feststellung durch möglichst viele Belege zu untermauern und abzusichern. Der anerkennenswerte Hang zur Genauigkeit verkehrt sich aber ins Groteske, wenn Paglia den Film buchstäblich Bild für Bild auseinander nimmt und dabei Zusammenhänge konstruiert, an die Hitchcock nicht einmal im Traum gedacht haben dürfte. Melanie Daniels’ Antlitz inspiriert von den olympischen Gesichtern auf dem klassisch griechischen Parthenon-Fries? Also bitte! Aber mit scheinbarem Gelehrtenwissen dieser Art füllt bei Paglia ganze Seiten, statt sich auf die simple Tatsache einzulassen, dass Alfred Hitchcocks Gedanken nicht einzig darum kreisten, in jeder Filmsekunde eine weitere sexuelle Anspielung einzubauen, sondern meist darum, einen möglichst spannenden Film zu drehen.

Weniger amüsant sind geistige Fehlzündungen dort, wo die Autorin es besser wissen müsste. Das Bestreben, sich prägnant, populär und damit auch für sachfremde Laien verständlich auszudrücken, in allen Ehren, doch Aussagen wie „Als sich die Nomaden vor zehntausend Jahren an festen Wohnsitzen niederließen, zähmten sie Tiere … zu dienstbaren Lebewesen. Aber gezähmt wurde auch der Nomadenmann, denn er fiel unter die durch den Hausbau verstärkte Kontrolle der Frau.“ sind in ihrer groben Vereinfachung wissenschaftlich schlichtweg unhaltbar. Solche Kristall-und-Sandelholz-Soziologie kennt man eher von den einschlägigen „Experten“ in TV-Diskussionsrunden – allerdings ist Camille Paglia genau dort ein oft und gern gesehener Gast. (Nebenbei bemerkt: Was hat ein Kapitel wie „Melanie Daniels’ Kalender“, S. 134/135, in diesem Buch verloren? Dies dürfte ursprünglich eine simple Liste gewesen sein, mit deren Hilfe Paglia sich den chronologischen Ablauf der Filmhandlung vor Augen führen wollte. Für den Leser ist dieser „Kalender“ dagegen völlig nutzlos.)

Camille Paglias Beschäftigung mit dem gewählten Thema ist wahrlich unkonventionell; das kann man ihr zugute halten. Der Versuch, neue Wege zu beschreiten und dabei zu scheitern, ist durchaus ehrenvoll. Auch aus Fehlschlägen lassen sich wertvolle Erkenntnisse gewinnen, und wer nicht wagt, der nicht gewinnt – Dieses Sprichwort besitzt auch in der Forschung seine Geltung! Doch Paglia ist bestenfalls ein Beispiel für ausgesprochene Betriebsblindheit. Sie scheint bereits vorab „gewusst“ zu haben, was sie eigentlich erst entwickeln und belegen sollte. So konnte sie „Die Vögel“ ideologisch problemlos in ihr Gesamtwerk und in ihr Weltbild einpassen – und dabei kommt sie so oft auf hanebüchene Abwege, dass man ihr trotz zahlreicher kluger Ideen bald nicht mehr folgen mag.

Leidlich versöhnt wird der Leser bei seiner Lektüre durch das spärliche, aber sorgfältig ausgesuchte und in guter Qualität wiedergegebene Bildmaterial, das sich nicht nur auf die obligatorischen Standfotos beschränkt, sondern auch den immer interessanten Blick hinter die Kulissen ermöglicht.

Andrea Rennschmid (Hg.) – Alamo. John Waynes Freiheitsepos

Rennschmid Alamo Cover kleinDie Geschichte eines vergessenen Filmepos, das von seinem Regisseur, Darsteller und Produzenten John Wayne als „größter Film aller Zeiten“ oder doch wenigstens der USA geplant war, seinen Zweck monumental verfehlte aber Einblicke in die Psyche seines Schöpfers bietet sowie den Hollywood-Alltag in der Endphase seiner großen Zeit rekonstruiert. Die deutschen Verfasser zeichnen die Vorgeschichte, die Dreharbeiten und die Rezeption nach. Dazu kommen ein historischer Überblick zum realen Alamo-Geschehen und andere interessante Informationen. Zahlreiche Fotos runden dieses leider kontraproduktiv bieder layoutete Sachbuch ab.
Andrea Rennschmid (Hg.) – Alamo. John Waynes Freiheitsepos weiterlesen

Paul Ruditis – Star Trek Voyager: Das offizielle Logbuch

Sieben Jahre „Star Trek – Voyager“, präzise bis penibel nacherzählt von Paul Ruditis, dem „offiziellen“ Chronisten dieser vierten ST-Serie. Ausführliche Inhaltsangaben werden begleitet von Beschreibungen der „Voyager“, ihrer Crew, diverser Aliens und fremder Orte, an denen man sich tummelte. Fast völlig fehlen Hintergrundberichte, von Kritik ist an keiner Stelle die Rede. Das Bildmaterial beschränkt sich auf Bildausschnitte aus den TV-Folgen sowie sorgfältig arrangierte Standaufnahmen; es gibt keine Fotos davon, was hinter den Voyager-Kulissen geschah. Es bleibt die ordentlich layoutete und sauber gedruckte, aber von Nebensächlichkeiten wimmelnde Faktensammlung eines besessen anmutenden ST-Fans, die in dieser Ausführlichkeit kaum interessiert und über weite Strecken langweilt. Paul Ruditis – Star Trek Voyager: Das offizielle Logbuch weiterlesen

Marc Cerasini – AVP: Alien vs. Predator

Das geschieht:

Der unermessliche reiche, mächtige und undurchsichtige Industriemagnat Charles Bishop Weyland heuert die besten Archäologen, Historiker und Naturwissenschaftler an. Er will mit ihnen eine mysteriöse Pyramide erkunden, die im Eis der Antarktis zum Vorschein gekommen ist und offenbar vor Jahrtausenden von einer völlig unbekannten Kultur errichtet wurde. Die Zeugen dieser Urzeitzivilisation finden die Forscher im Untergrund als Skelette und Mumien, deren Ende sichtlich nicht friedlich war. Diese Sensation wird überboten, als Weyland und seine Begleiter die versteinerten Überreste einer außerirdischen Kreatur entdecken.

Leider stellt sich rasch heraus, dass diese keineswegs tot ist, sondern nur in einer Art Winterstarre auf neue Opfer gewartet hat. Die insektenhafte Alienkönigin beginnt sogleich mit dem Legen neuer Eier. Daraus schlüpfen gruselige Winzmonster, die sich in Windeseile in gepanzerte Riesenkiller verwandeln, in deren Adern ätzende Säure kreist. Die Neuankömmlinge werden als willkommene Beute in Empfang genommen. Marc Cerasini – AVP: Alien vs. Predator weiterlesen

Eszterhas, Joe – Hollywood Animal

Joe Eszterhas war ein „Hollywood Animal“ – ein Platzhirsch in der Stadt der Filme, deren Einwohner 24 Stunden täglich damit beschäftigt sind, sich gegenseitig übers Ohr zu hauen. Lügen und betrügen, einander mit offenen Armen empfangen, den Dolch für den Stoß in den Rücken stets griffbereit, fixiert auf den Dollar, getrieben von Ruhmsucht, umschwärmt von schönen (und willigen) Frauen, den Medien, von Speichelleckern und falschen Freunden: eine (Alb-)Traumwelt, in der sich Eszterhas ein Vierteljahrhundert pudelwohl fühlte. Kein Wunder, war er doch der wohl erfolgreichste Autor aller Zeiten: Dreißig Drehbücher hat er verfasst, von denen 15 verfilmt wurden. Darunter waren Blockbuster wie „Flashdance“, „Das Messer“ und natürlich „Basic Instinct“, aber auch nicht minder berüchtigte Flops wie „Showgirls“ oder „Jade“.

An die Spitze hat sich Eszterhas durch eine typische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Karriere gekämpft, wie sie die US-Amerikaner so lieben, weil es ihnen die Existenz in einem Land der Chancengleichheit suggeriert. Geboren wurde Eszterhas 1943 in Ungarn in den Wirren des II. Weltkriegs. Vertreibung und Flucht, elende Jahre in diversen Lagern folgten, dann die Emigration und nicht minder schwere Anfangsjahre in den Vereinigten Staaten, die sich nicht unbedingt von ihrer freundlichen Seite zeigten. Das Ergebnis: ein junger Mann aus Cleveland, der raucht wie ein Schlot, säuft wie ein Loch, nach Anerkennung giert und gelernt hat sich „durchzubeißen“ – ohne Rücksicht auf Verluste.

Nach einem mehrjährigen Zwischenspiel als Reporter des „Rolling Stone“-Magazins landet Eszterhas 1974 in Hollywood, wo er – noch völlig unbedarft – beim Verfassen des Drehbuchs zum Sylvester-Stallone-Vehikel „F.I.S.T. – Ein Mann geht seinen Weg“ einen Crashkurs in Sachen Hollywood-Falschheit durchläuft. Eszterhas lernt schnell – das Drehbuch-Schreiben und das Intrigieren. Immer höher steigt er auf, der als Autor eigentlich das soziale Schlusslicht der Hollywood-Society bildet, kassiert Millionengagen, wird selbst ein Medienstar, hofiert von den Großen und Mächtigen der Stadt, die sich seiner Dienste versichern wollen.

Parallel zum wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg wird Eszterhas von Hollywood „infiziert“. Er verliert jegliches Maß, jede Rücksicht, legt sich mit Gott & der Welt an, weil er es kann und damit durchkommt. Spektakuläre Misserfolge im Kino läuten seinen Sturz ein; seine langjährige Ehe scheitert, er erkrankt an Kehlkopfkrebs. Das 21. Jahrhundert erlebt einen völlig gewandelten Joe Eszterhas, der aus Hollywood geflohen ist und sich vom Saulus zum Paulus wandelte; eine Genese, die er nur für die Niederschrift dieser Lebenserinnerungen unterbrochen hat …

Ach ja, er war schon ein genialer, beinharter Macho-Kotzbrocken; voll uneingestandener Wehmut und Stolz lässt es uns Joe Eszterhas wissen. Er hat zweifellos ein buntes Leben geführt, viel erlebt, noch mehr erduldet. Das haben andere Menschen zwar auch, aber die waren halt nicht in Hollywood tätig. Die Filmstadt und ihre Bewohner faszinieren noch immer ihr Publikum in der ganzen Welt. Objektiv betrachtet gibt es dafür wenige Gründe, aber in Hollywood werden seit jeher Träume fabriziert, was denjenigen, die diesem Job nachgehen, ein Höchstmaß an kollektiver Aufmerksamkeit garantiert.

Ohne diesen Bonus würde uns „Hollywood Animal“ wohl kaum über eine Distanz von 900 Seiten fesseln. Es gibt interessantere und auch angenehmere Zeitgenossen als Joe Eszterhas. Den wilden Mann markiert er noch immer ein wenig zu offensichtlich, als dass man ihm – „weise“ und sogar „fromm“ geworden – seine „Läuterung“ glauben möchte. Da gibt es augenscheinlich mehr als eine Rechnung, die offen geblieben ist, nachdem Eszterhas Tinseltown verlassen hat.

Autobiografien sind niemals objektiv, denn Objektivität gegenüber dem eigenen Leben liegt nicht in der Natur des Menschen. Eszterhas gibt genau das über weite Strecken vor, geißelt sich als Egoist, Ehebrecher, undankbarer Sohn, Verräter usw. usf. Das führt er sehr richtig auf seine schwierige Kindheit und Jugend zurück und deutet es außerdem als Reaktion auf die fragwürdigen Methoden, die im Hollywood-Business an der Tagesordnung sind.

In diesen Punkten kann „Hollywood Animal“ unbedingt fesseln. Nicht einmal die Tatsache, dass Eszterhas deutlich zu episch in seinen Clevelander Jugendjahren schwelgt, schmälert dies. Der Mann kann schreiben, wenn er denn will bzw. sich selbst diszipliniert: „Hollywood Animal“ ist nämlich als Buch an sich recht gewöhnungsbedürftig für den Leser. Eszterhas scheint es mit der wilden Energie in die Tasten seiner alten mechanischen Schreibmaschine gehauen zu haben wie seine Drehbücher, denen es in weiten Passagen auffällig gleicht. Kontinuierliches oder chronologisches Erzählen ist Eszterhas’ Sache nicht. Er bricht – für ihn selbstverständlich – mit entsprechenden Konventionen. „Hollywood Animal“ bietet ein komplex gedachtes, tatsächlich aber vor allem kompliziertes Nebeneinander von Vergangenheit/en und Gegenwart. Eszterhas springt zwischen Zeiten und Ereignissen, splittert sein Leben auf in die wilde Konfusion, als welche er es verstanden wissen möchte. Manche „Unterkapitel“ umfassen nur wenige Zeilen. Ein roter Faden wird lange nur ansatzweise oder gar nicht sichtbar.

Der Mann hat Ehrgeiz; vielleicht vermisst er das Verfassen von Drehbüchern auch mehr als er sich selbst eingestehen mag. Verstehen wir uns nicht falsch: Eszterhas versteht sein Handwerk. Sein Werk liest sich deutlich flüssiger als manche „Autobiografie“, die ihren Weg in die Buchläden findet statt echten Pferdemist als Blumendünger zu ersetzen. Auch an das „künstlerische“ Durcheinander gewöhnt man sich.

Was hingegen erheblich stört, ist Eszterhas’ Neigung zu scheinbar „saftigem“ Klatsch. Am „Basic Instinct“-Skandal klammert er sich beispielsweise förmlich fest. Nur war der vor allem ein Medienprodukt, dessen Schockwirkung primär auf die prüden USA beschränkt blieb. Vor allem liegt das Geschehen mehr als ein Jahrzehnt zurück. Wer interessiert sich heutzutage noch so exzessiv für „Basic Instinct“ – oder für Sharon Stone (die ihrem Drehbuchautoren eine Liebesnacht gewährte, was dieser allen Ernstes zu einem zentralen Kapitel seiner Biografie aufschäumt), wie Eszterhas dies offensichtlich glaubt?

Wie man es viel besser macht, beweist der Autor mit der präzisen Chronologie seiner Auseinandersetzung mit dem Agenten Michael Ovitz, die in die Hollywood-Geschichte eingegangen ist – und das mit Recht, denn hier wurden dank Eszterhas, der dafür allerhand Federn lassen musste, wahrhaft beängstigende, quasi mafiöse Strukturen offen gelegt. So etwas ist allemal spannender als die pseudo-schockierenden Schmuddel-Histörchen, mit denen Eszterhas das uralte Klischee von Hollywood-Babylon bedient. Ähnlich fesselnd wird der Schock des Verfassers geschildert, der seinen Vater nach und nach als Kriegsverbrecher enthüllt sehen muss.

Wie es sich gehört für ein Hollywood-Drehbuch, schreibt sich Eszterhas einen Neuanfang nach großer Katharsis auf den Leib. Aus dem „Hollywood Animal“ wurde ein treu sorgender Ehemann und Familienvater. Bis es so weit war, erlegte das Schicksal selbst Joe Eszterhas eine Reihe gewaltiger Prüfungen auf. So muss es gewesen sein, denn wie konnte dieser große Mann sonst so tief fallen? Darüber grübelt er selbst anscheinend immer noch nach – und dies ist seine Interpretation der Ereignisse.

Auf Abbildungen verzichtet Eszterhas vollständig. Man vermisst sie auch nicht; was außer den üblichen Starporträts und nichts sagenden Familienschnappschüssen könnten sie auch bieten? Dass Eszterhas noch immer „heiß“ ist, bezeugt die Geschwindigkeit, mit der seine Lebenserinnerungen auch ins Deutsche übertragen wurden: Gleich drei Übersetzungen bemühten sich, „Hollywood Animal“ hierzulande möglichst zeitgleich mit der amerikanischen Ausgabe erscheinen zu lassen. Sie haben ihren Job gut erledigt, wobei ihnen Eszterhas selbst mit seiner Vorliebe für kurze, prägnante Sätze entgegen gekommen sein mag. Auf jeden Fall liest sich dieses wahrlich seitenstarke Buch die meiste Zeit sehr flüssig. Im letzten Viertel nehmen allerdings die Längen zu. Wieso fand Eszterhas es notwendig, Tagebucheintragungen seiner geliebten Neufrau Naomi geradezu exzessiv zu zitieren? Einmal mehr zeigt sich, dass eine Beziehung vor allem bzw. fast ausschließlich für jene lebenswichtig ist, die sie führen – Außenstehende können damit nur wenig anfangen, zumal auch Joe & Naomi nichts wirklich Neues zum uralten Tanz der Gefühle beizutragen haben.

Der durch Krankheit & Lebensweisheit geläuterte Joe Eszterhas ist zudem nicht wirklich ein neuer Mensch. Mit derselben Intensität, mit der er früher „gesündigt“ hat, zieht er jetzt gegen Unmoral & Suchtverhalten zu Felde. Heuchlerisch mokiert er sich über die Unwilligkeit der Welt, sich belehren und bekehren zu lassen – dabei ist dies exakt die Reaktion, die er selbst früher an den Tag gelegt hat. So liest man das letzte Kapitel von „Hollywood Animal“ lieber nicht allzu intensiv, sondern überfliegt es, was den überwiegend positiven Eindruck dieser Rock’n’Roll-Autobiografie nicht mehr allzu stark beeinträchtigen kann.

Aron Boone – Kannibalen!

Weniger ein Buch als ein reines Fan-Produkt, das die schlüssiger Bearbeitung des vor allem italienischen (S)Exploitation-Films der 1960er bis 1980er Jahre vorgibt … – Formal und vor allem inhaltlich ist dies ein Offenbarungseid. Stilistisch entweder grausig oder unfreiwillig erheiternd, strotzt dieses Machwerk vor Fehlern, schürft aus denkbar flachen Quellen und ist nichts als ein Fixpunkt für Spott und Fremdschämen. Aron Boone – Kannibalen! weiterlesen

Jürgen Müller (Hg.) – Filme der 60er

113 Filme der 1960er Jahre werden in Wort und Bild vorgestellt. Sie gehören nach Auswahl der Autoren zu denen, die diese Dekade und ihr Kino nachhaltig prägten. Jeder Film wird kurz inhaltlich vorgestellt. Es folgt eine Interpretation bzw. Analyse, welche die besondere Rolle dieses speziellen Films in der Geschichte der 60er herausarbeitet. Dem Text eingefügt, aber nicht integral zu ihm gehörend, wurden Boxen, die zusätzlich über prägende Schauspieler und Regisseure, aber auch Drehbuchautoren oder Filmmusiker informieren. Weiterhin werden bestimmte Genres und Themenschwerpunkte behandelt. Sorgfältig ausgesuchte Bilder unterstützen und ergänzen die im Text getroffenen Aussagen.

Jürgen Müller (Hg.) – Filme der 60er weiterlesen

Reiner Boller & Christina Böhme – Lex Barker. Die Biographie

In sieben Groß- und 25 Unterkapiteln wird das Leben und Schaffen des Alexander Crichlow „Lex“ Barker jr. vor dem überwältigten Leser ausgebreitet: Diese Biografie umfasst 550 großformatige, auf bestes Kunstdruckpapier gebannte Seiten – kein Buch, das man auf dem Rücken liegend & mit dem Bauch stützend lesen sollte …

Reiner Boller & Christina Böhme – Lex Barker. Die Biographie weiterlesen