Archiv der Kategorie: Kinder- und Jugendliteratur

Die drei ???-Kids – Im Bann des Zauberers (Band 24)

Die drei Fragezeichen sind seit über 25 Jahren aus der (Jugend-)Literatur nicht mehr weg zu denken. Zur beliebten Serie gesellte sich vor einiger Zeit mit „Die ???®-Kids“ ein Spin-off hinzu, das sich an eine jüngere Leserschaft richtet. Die Protagonisten sind die gleichen, nämlich Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews – allerdings im zarten Alter von zehn Jahren und noch ohne ihre berühmte Detektei offiziell eröffnet zu haben. Bei den Kids befinden sich die Drei also in genau dem Altersrahmen, in dem auch die Zielgruppe angesiedelt ist: 8 bis 10 Jahre. „Im Bann des Zauberers“ erschien im August 2005 bei Franckh-Kosmos.

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Flessner, Bernd – Die drei ??? – Survival-Buch

Schon damals in den Anfangszeiten der Serie in Deutschland ließ themenbezogene Sekundärliteratur nicht lange auf sich warten. Detektivisches Einmaleins wie Spurensuche und -sicherung, Tipps und Tricks beim Beschatten etc. wurden alsbald immer wieder in Buchform unter dem zugkräftigen ???®-Label feilgeboten. Damit die Detektivspielerei in der Realität auch weiter gehen kann – zur Not auch in freier Wildbahn auf sich allein gestellt – veröffentlichte Bernd Flessner bei |Franckh-Kosmos| im Dezember 2005 den neuesten, quasi überlebenswichtigen Streich: Das Survival-Buch der drei ???. Der Untertitel versichert, dass Justus, Peter und Bob höchstdaselbst Outdoor-Tipps erteilen. Und die sehen – sehr zur Freude von Autor und Verlag – von den dafür aufgerufenen 9,95 € keinen einzigen Cent, denn sie sind bekanntlich nur fiktiv.

_Das Buch_

Ausnahmsweise handelt es sich diesmal nicht um ein Hardcover, sondern um ein Paperback. Es kommt serienmäßig im schützenden Klarsicht-Umschlag. Damit ist es rein äußerlich auch schon einmal für den Outdoor-Einsatz gerüstet und kann – so anscheinend die Intention dahinter – ein gewisses Maß an vorwitzigem Spritzwasser und Schmutz der Wildnis verknusen. Das Cover-Design hält sich ansonsten an die lange Jahre gewohnte und erprobte Cooperate Identity, will heißen, hauptsächlich in schwarz gehalten und mit dem unverzichtbaren, dreifarbigen Fragezeichen-Logo verziert.

Irgendwie haben sich neuerdings 128 Seiten bei |Kosmos|‘ ???-Publikationen etabliert, auch dieses Buch weist erschreckend exakt diese Seitenzahl auf. Zumindest nominell. Davon gehen dank Vorsatz, Inhaltsangabe, Raum für eigene Notizen und die verlagsinterne Werbung am Ende noch einige Seiten ab. Effektiv bleiben gut 116 Seiten, die mit den versprochenen Informationen gefüllt wurden. Diese beschränken sich nicht nur auf Text, sondern bieten zum besseren Verständnis des Gelesenen auch zahlreiche Abbildungen. In der Hauptsache Zeichnungen, diese stammen von Alexander Jung.

_Zum Inhalt_

Man muss schon Interesse für Outdoor-Aktivitäten aufbringen, das ist Grundvoraussetzung für die sinnvolle Benutzung des Buches. Es enthält nichts, was man nicht eigentlich schon von Kindesbeinen an wissen sollte, aber dessen Vermittlung heutzutage nicht mehr selbstverständlich ist. Über das Campen und die grundlegenden Kenntnisse der Orientierung im Gelände – per Karte, mit (oder auch ohne) Kompass. Vielen urban aufwachsenden Kindern und Jugendlichen dürfte das Wissen über solche Sachen jedoch ziemlich abgehen, da gilt schon der heimische Garten als Outback, Fußmärsche, die länger dauern als maximal fünf Minuten zur nächsten Fritten-Ranch – zu Currywurst und Pommes Bahnschranke – gar als Desaster.

Die Tipps und Tricks von „Justus“, „Peter“ oder „Bob“ sind hilfreich, dem drohenden Hungertod weit weg von Mamis Hausmannskost oder außerhalb der Reichweite irgendwelcher Fresstempel zu entgehen, auch wenn die Drei diese Informationen von Autor Bernd Flessner in den Mund gelegt bekommen. Die drei Detektive dienen hier natürlich lediglich als zugkräftiges Transportmedium. Überhaupt: Die gebetsmühlenartig im Buch verwendete und andauernd wiederholte „Wir, die drei ???, …“-Phrase nervt. Der durchschnittliche Jugendliche mag vielleicht unbeschlagen sein, was das Überleben in freier Natur angeht, doof ist er aber sicher nicht. Irgendwann muss mal gut sein, auch der letzte Leser hat’s bestimmt kapiert, dass dies ein ???-Spin-off ist.

Der Inhalt an sich stimmt in etwa mit dem überein, was man auch im „Reibert“ bzw. in der Zentralen Dienstvorschrift (ZdV) für/über „Formaldienst und Überleben im Felde“ (Im Soldatenjargon mehr oder weniger liebevoll „Dschungelbuch“ getauft) findet. Beides nie gehört? Aha. Drückeberger. Also nicht beim Militär gewesen. In allen drei Werken findet man Anleitung, wie man trotz mancher widriger Umstände nicht frühzeitig das Feldgeschirr reichen muss. Nützliche Dinge, wie man sich orientiert, Feuer ohne Feuerzeug macht und auch, in welche Produkte der (hauptsächlich westeuropäischen) Flora und Fauna man recht bedenkenlos seine gierigen Zähne schlagen kann, all das ist dort feinsäuberlich nachzulesen.

Im Gegensatz zum soldatischen Treiben sind im Zivilen jedoch einige Abstriche zu machen. So vermittelt das Buch neben solchen rechtlichen Aspekten auch den schonenden Umgang mit der Umwelt beim Kampieren. Nicht dass die Kiddies auf die Idee kommen, mit einem netten kleinen Lagerfeuer gleich den ganzen Wald abzufackeln oder dergleichen. So fällt beispielsweise auch das Wegballern unschuldiger Feld-, Wald-, und Wiesenbewohner unter Wilderei, liebe Kinder, was der Text auch pflichtschuldig kundtut. Selbst das Erlegen eines Tieres mit selbstgepfriemelten Pfeil und Bogen ist untersagt und wenn der Magen noch so knurrt. Das Fangen eines Fisches mit bloßer Hand kurioserweise aber nicht. Na denn: Viel Erfolg.

Beim Bund nannten wir das Biwaken in Anlehnung an die sinnentleerte Dialogzeile aus „Rambo“ auch scherzhaft: „Überleben im Wald – Ohne Schmerzen!“. Das würde als Untertitel zum „Survival-Buch“ auch recht gut passen. Ein Teil der (Standard-)Lektüre für Landser findet sich schließlich auch bei Flessner – in stark abgespeckter Form und mit Detektivspielerei (u. a. Beschatten, Spurenlesen und -sichern etc.) als Hintergrund. Abschließend kann das Erlernte in die Praxis umgesetzt werden. Bei drei unterschiedlich schwierigen Szenarien, deren Zeitaufwand von wenigen Stunden bis hin zur einer schlappen Woche reichen, kann man dann beweisen, ob man auch von der chipsfressenden Couch-Potato zum outdoorgestählten, würdigen und umweltbewussten „Detektiv“ wurde. Mit Appetit auf Regenwürmer und Heuschrecken.

_Fazit_

Über die Marketing-Masche mag man denken, wie man will, vom vermittelten Wissen her gibt es nichts zu meckern. Man hat hier einen guten, allgemeinen Leitfaden für das Biwak-Leben abseits der Fast-Food-Reservate von Mäckdonaldsstan an der Hand. Das Buch ist jugendgerecht aufbereitet, doch ohne den manchmal arg gezwungen wirkenden ???-Kontext und die detektivischen Abenteuer-Vorgaben, die heutige Jugendliche bestenfalls mit hochgezogener Braue quittieren dürften, wär’s noch besser. Needless Knowledge? Nein, das vermittelte Wissen kann sich durchaus als sehr nützlich erweisen, doch bevor man sich dieses Buch zulegt (oder eventuell gar verschenkt), ist sicherzustellen, dass auch tatsächliches Outdoor-Interesse besteht – alleine ein glühender ???-Fan zu sein, reicht definitiv nicht.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Die drei ???® Survival-Buch
– Tipps und Tricks von Justus, Peter und Bob –
Text von Bernd Flessner
Illustrationen von Alexander Jung
Franckh-Kosmos, Stuttgart 12/2005
128 Seiten, broschiert mit Klarsicht-Schutzumschlag
ISBN: 3-4401-0464-8

Die drei ??? – Schrecken aus dem Moor (Band 123)

Marco Sonnleitner ist zwar kein neues Gesicht in der Riege der ???-Autoren, aber auch noch nicht so lange dabei wie manch einer der Alteingesessenen. Sein Debüt lieferte er 2003 mit Band 109 „Gefährliches Quiz“, auf sein Konto gehen unter anderem auch der Nachfolgeband (110) „Panik im Park“, etwas später dann „Schlucht der Dämonen“ (112), 2004 folgte „Codename: Cobra“ (116) und Anfang 2005 „Der schwarze Skorpion“ (120), sowie „Fußballfieber“ (123). Dabei wurde er sukzessive besser, hat man das Gefühl. Band 124 von September 2005 ist sein aktuellstes (und, um es vorweg zu nehmen, auch bestes) Pferd im Stall. Erschienen ist das 128 Seiten starke Stück wie üblich im |Franckh-Kosmos|-Verlag zum ebenso üblichen Preis von 7,90 Euro.

Zur Story

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Henkel-Waidhofer, Johanna / Marx, André / Minninger, André – Die drei ??? – Flammen des Bösen (Sammelband)

Eine Serie begleitet und fasziniert heutige Thirtysomethings schon seit ihrer Kindheit. Die Rede ist vom Klassiker „Drei Fragezeichen“ oder auch „Die drei Detektive“ genannt. Letzteres kommt dabei näher an den amerikanischen Originaltitel „The Three Investigators“ heran. Hierzulande haben sich die drei verschiedenfarbigen Fragezeichen (weiß, rot, blau) auf schwarzem Cover längst als Aushängeschild und weithin bekanntes Markenzeichen der Serie etabliert. Eine weitere Vorstellung erübrigt sich eigentlich, denn DDF kennt wirklich fast jedes Kind.

Seit den Siebzigerjahren hat sich das Cover-Design jedenfalls kaum verändert. Früher firmierte man noch unter |Franckh’sche Verlagsgesellschaft|, heute ist das geändert in |Franckh-Kosmos|. Das Aussehen der Bücher blieb weitgehend gleich. Seit das Haus zur |Bertelsmann|-Gruppe gehört, verlegten diese die DDF auch mal als Taschenbuchausgaben unter ihrem Ableger „Omnibus“. Mit alternativen Titelbildern. Igitt. Diverse Sammelbände sind auch im Umlauf. Richtigen Kultstatus genießen jedoch bei Sammlern nur die Franckh-(Kosmos-)Hardcover, was anderes kommt nicht ins Regal. Wenn möglich, sogar nur Erstausgaben.

Ihren anhaltenden Erfolg in Deutschland hat die Serie im Besonderen der inzwischen berühmten Hörspielumsetzung zu verdanken, bei der bislang 120 Fälle der Jungs veröffentlicht wurden – und weiter neue Storys geschrieben und vertont werden, obwohl die ausgelaufene „Hitchcock-Lizenz“ ein geändertes Marketing des gesamten ???-bezogenen Produktkatalogs erfordert. Im Moment stehen daher die Zeichen nicht nur in den |EUROPA|-Tonstudios, sondern bei Konzernmutter Bertelsmann insgesamt auf „kreative Pause“. Derzeit sind die Bücherveröffentlichungen (125 Fälle) den Hörspielen um einige Bände voraus. Doch das nur am Rande.

_Zur Serie_

„Die drei Fragezeichen“, das sind kalifornische Jugendliche aus dem fiktiven Kaff Rocky Beach – irgendwo zwischen L.A. und Santa Monica gelegen. DDF, das ist vor allem das übergewichtige Superhirn Justus „Klugscheißer“ Jonas, der irgendwann mal mit seinen Kumpels Peter „Angsthase“ Shaw und Bob „Bücherwurm“ Andrews eine kleine Privat-Detektei eröffnet hat. Erwachsene, die darüber milde lächeln und die Ernsthaftigkeit der Jungs anzweifeln, werden stets eines Besseren belehrt. Das Trio wird nicht müde, seine berüchtigte Visitenkarte zu zücken und jedem, der es wissen will (oder auch nicht), die Bedeutung der drei großen Fragezeichen darauf zu erläutern.

Wenn man eines jedoch nicht tun darf, dann ist es, ihren kriminologischen Spürsinn sowie ihre Hartnäckigkeit zu unterschätzen. Die Jungs bearbeiten Fälle, die vielen Erwachsenen (respektive den Cops) meist zu banal oder grenzwertig erscheinen, sich aber nicht selten zu handfesten Verbrechen entwickeln. Egal ob angeblicher Geisterspuk, marodierende Urzeitwesen oder auch vermeintliche Werwölfe – Ihr Motto lautet stets: „Wir übernehmen jeden Fall“. Mag er auch noch so unglaubwürdig und abgedreht klingen. Ihre Erfolgsquote ist hoch und sie nehmen grundsätzlich kein Honorar für ihre Dienste.

_Zum Buch_

Da dies eine aktuelle 2005er Veröffentlichung ist, erscheint das Buch bereits ohne Namen und Logo von Alfred Hitchcock. Ein Anblick, an den man sich als langjähriger Fan erst einmal gewöhnen muss. Das heißt, eigentlich ist der Sammelband eine Wiederveröffentlichung, denn er enthält nicht mehr ganz taufrische Geschichten aus den 90ern – sie stehen inhaltlich in keinem Zusammenhang zueinander und sind (wie überhaupt alle ???-Storys) in sich abgeschlossen – mit Ausnahme eines „spezialgelagerten Sonderfalls“, nämlich der Nummer 100 – „Die Toteninsel“, welche aus drei einzelnen Büchern besteht, die untrennbar als Fortsetzungsgeschichte zusammengehören. Warum aber ausgerechnet hier nun diese Auswahl von Geschichten vom Bertelsmännischen DDF-Haus-und-Hof-Verlag |Frankh-Kosmos| ausgewählt wurden, ist dagegen nicht überliefert. Ist auch nicht wichtig, kümmern wir uns lieber mal detaillierter um deren Inhalte.

_Die Storys_

|“Spuk im Hotel“|
Erzählt von Johanna Henkel-Waidhofer
Erstveröffentlichung 1994

Justs Freundin Lys de Kerk bittet die drei Fragezeichen, sich doch mal bitte im „Old Star“ Hotel umzutun, ihre alte Schauspiellehrerin Armanda Black – der das ehrenwerte Haus gehört – steckt in Schwierigkeiten. Lys hat die drei Jungs wärmstens empfohlen. Die stolze Dame und Ex-Actrice hat ein Problem mit Gegenständen, die verschwinden und an höchst seltsamen Stellen wieder auftauchen. Eine Wanduhr im Swimmingpool zum Beispiel. Justus und Bob verdingen sich offiziell als Bedienstete, Peter hingegen darf sich aufgrund seines Losglückes als Gast im Hotel einmieten und die Augen offen halten. Vollkommen inkognito. Das Verschwinden betrifft zunächst nur Armandas persönlichen Dinge und Memorabilia ihrer Schauspielkarriere, später weiten sich die geheimnisvollen Übergriffe auch auf die Gäste aus. Diese sind zu Recht natürlich sauer und verunsichert. Will jemand Mrs Black in den Wahnsinn oder den Ruin treiben? Oder vielleicht sogar beides?

|Kurzkritik|
Ich persönlich mag die von JHW erdachten Geschichten generell nicht so sehr, wenngleich ihr das Verdienst zukommt, die Serie unbeirrt fast im Alleingang vorangetrieben zu haben, als sie Anfang der 90er leicht schwächelte. Allerdings gehört diese Story hier definitiv zu ihren besseren. Die Handlung schlägt einige interessante Haken, ist nachvollziehbar-logisch aufgebaut und gar einigermaßen spannend zu lesen. Auch wenn das Motiv – wie so oft bei ihr – zu schnell zu deutlich wird, so sind die wahre Täterschaft sowie die exakten Umstände dem Leser lange Zeit ein ziemliches Rätsel. Gewürzt ist das Ganze mit kleinen Rangeleien der Jungs untereinander, was die Erzählung deutlich auflockert. Natürlich darf Schlaumeier Justus am Ende wieder mal im Fast-Alleingag scharfsinnig vom Leder ziehen. Alles in allem ein guter und auch lesenswerter Mittelklasse-Fall der drei ???.

|“… und das brennende Schwert“|
Erzählt von André Marx
Erstveröffentlichung 1997

Onkel Titus macht eine sehr seltsame Erbschaft. Ein sehr flüchtiger Bekannter von vor über 20 Jahren ist kürzlich verstorben und hat ihm unerwartet einen bemerkenswerten Glasstein vermacht, den er laut Testament nicht mal behalten darf, sondern an einen ominösen „Beany“ weitergeben soll. Titus kennt aber niemanden diesen Namens und beauftragt die drei Detektive damit, diesen Beany zu finden. Zwei weitere Erben gibt es und sollen es ihm gleichtun und ihre vererbten (ebenfalls seltsame) Gegenstände weitergeben. Diese beiden kennt Titus aber auch nicht. Keine üppige Ausgangslage für die Satzzeichen, die aber nach zähen Ermittlungen herausfinden, dass die insgesamt drei Teile zusammengesetzt das sagenumwobene und lange verschollene „brennende Schwert“ ergeben – das ultimative Heiligtum einer nicht gerade als zimperlich verschrienen Sekte. Es sind einige krumme Gestalten hinter dem Kultgegenstand her – Verspricht er doch die uneingeschränkte Macht über die Bruderschaft des Schwertes.

|Kurzkritik|
André Marx hat nicht nur mehr Geschichten verfasst als alle anderen Autoren der Serie, er ist auch immer für besonders aktuelle, zeitgeistige Themen gut. Diesmal sind es Gefahren des Sektentums respektive der Geheimbündelei, welche er dreifragezeichenpädagogisch aufbereitet. Das war und ist allerdings nicht ganz neu, das hatten wir schon bei der „singenden Schlange“ und dem „magischen Kreis“, zwei absoluten Klassikern. Das „flammende Schwert“ ist jedoch kein Abklatsch davon, zwar mit ähnlichem Charme ausgestattet, dabei aber naturgegeben moderner sowie psychologisch und erzählerisch ausgefeilter geraten als seine doch eher naiv anmutenden Serien-Vettern aus den Sechziger- und Siebzigerjahren. Der heutigen (zumeist jugendlichen) Leserschaft kann man eben nicht so platte Geschichten vorsetzen wie damals. Das flammende Schwert gilt zu Recht als eine der besten Geschichten der Serie – sowohl als Buch als auch als Hörspiel.

|“Stimmen aus dem Nichts“|
Erzählt von André Minninger
Erstveröffentlichung 1997

Justus wird bei einem Arztbesuch Zeuge, wie die alte Mrs Holligan beinahe zusammenbricht. Auf der Praxis-Damentoilette ertönte angeblich die drohende Stimme ihrer Schwester. Die Sache hat einen klitzekleinen Haken: Abigails Schwester Tesla weilt seit drei Monaten nicht mehr unter den Lebenden. Dennoch terrorisiert sie Abigail weiter, wie schon zu Lebzeiten. Kurzerhand bietet Justus ihr die Dienste der Detektive an, denn obwohl die nervlich arg angeschlagene Dame sich wegen dieser quälenden Stimme aus dem Nichts in psychologischer Behandlung befindet, glaubt Just, dass Mrs Holligan alles andere als verrückt ist. Trotz der zunächst erteilten Zustimmung, ihr helfen zu dürfen, gebärdet sie sich den Dreien gegenüber plötzlich sehr seltsam und abweisend. Ist sie doch reif für die Klapse? Rationale Erklärungen für die Geisterstimme weist sie jedenfalls entschieden zurück und die drei Detektive müssen sich ganz schön reinknien, wenn sie den offensichtlich oberfaulen Zauber auch als solchen entlarven wollen.

|Kurzkritik|
André Minninger zeichnet sich seit einigen Jahren in erster Linie als Drehbuchautor der Hörspielserie aus, wobei er in H.G. Francis‘ große Fußstapfen steppte und dabei bis heute eine sehr gute Figur abgab und -gibt. Vielleicht liegt es daran, dass die ausgeklügelte, tiefsinnige Geschichte eher in der audiblen Darreichungsform zündet. Die Dramaturgie der ansonsten sehr gut durchdachten und spannenden Psycho-Story scheint nämlich irgendwie von vornherein gleich darauf ausgelegt zu sein, später leichter vertont werden zu können – dort kann man mit Soundeffekten und anderen Tricks arbeiten, was im Buch schlechterdings unmöglich ist. Das muss naturgegeben ohne solche Kunstgriffe auskommen und hat es dementsprechend schwerer. das nötige Flair zu schaffen. Und tatsächlich liegt die atmosphärische Dichte des Kopfkinos eine Nasenlänge hinter der des Hörspiels, was man ja doch eher selten antrifft. Dennoch ein sehr guter unter den ???-Fällen.

_Fazit_

Ob nun mit oder ohne Hitchcock-Label: Diese Zusammenstellung leistet sich, anders als der 25-Jahre-Jubiläums-Sammelband „Schrecken der Nacht“ (zusammengestellt von Konzernmutter |Bertelsmann|) aus dem Jahr 2004, keine wirkliche Schwächen. Alle drei Geschichten gehören durchweg zur gehobenen Ausstattung der Serie. Unangefochtener Top-Star ist „Das flammende Schwert“, dicht gefolgt von den zunächst nicht verstummen wollenden „Stimmen aus dem Nichts“ und dem immerhin noch überdurchschnittlichen faulen Zauber beim „Spuk im Hotel“. Die moderate 9,95 Euro teure Compilation kann man ruhigen Gewissens weiterempfehlen. Auch – und gerade – Einsteiger in die Serie bekommen hier einen repräsentativen Blick in die Welt der drei sympathischen Junior-Schnüffler. Bibliophile Sammler und eingefleischte Fans werden auch diesen 3er-Band, obwohl preislich sicherlich sehr attraktiv, höchstwahrscheinlich wieder mit Nichtachtung strafen.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
„Die drei ???® – Flammen des Bösen“
basierend auf den Charakteren von Robert Arthur
Random House, New York
Franckh-Kosmos, Stuttgart / Bertelsmann Gruppe
Erstauflage 02/2005
380 Seiten, Hardcover, ISBN: 3-440-10206-8

Gaiman, Neil – Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel

|Wenn es draußen regnet, rückt die Welt in die Ferne. Wirklichkeit und Phantasie verlieren sich fast aus den Augen. Wer im Spätherbst Geburtstag hat, weiß, was gemeint ist. Während Schulkameraden Grillfeste veranstalteten, saß man bei schlechtem Wetter drinnen und war mit sich selber beschäftigt. Nach innen gekehrt. Die Hauptfigur in dem neuen Buch von Neil Gaiman ist ein Mädchen namens Coraline Jones. Auch sie wüsste, was gemeint ist.|

Coraline liebt es, sich nach Innen zurückzuziehen, in ihre Phantasie. Wenn es draußen regnet, wenn sämtliche Videos schon angeguckt und wenn alle Bücher schon gelesen sind, dann wird es langweilig. Ihr Vater sitzt den ganzen Tag am Schreibtisch und arbeitet. Ihre Mutter ist entweder unterwegs oder hat etwas Wichtiges zu tun. Missmutig sitzt sie am Fenster und beobachtet, wie die Regentropfen am Glas hinunterlaufen. In ihrer Phantasie ist es besser. Dort ist irgendwie alles aufregend.

Für Coraline hat die Realität schon nach wenigen Tagen an Glanz verloren. Obwohl sie und ihre Eltern erst vor kurzem in das alte Haus eingezogen sind, gibt es hier nicht mehr viel Neues zu entdecken. Den alten Tennisplatz hinterm Haus, den verwilderten Garten und das Brunnenloch kennt sie schon. Die beiden alten Schauspielerinnen Miss Spink und Miss Forcible und ihre weißen Terrier kennt sie schon. Den verrückten Herrn, der angeblich einen Mäusezirkus trainiert, kennt sie schon. Und die Sommerferien dauern sechs Wochen, das ist verdammt lange für ein kleines, aufgewecktes Mädchen.

Das einzige Ding, was Coralines Interesse noch weckt, ist die Tür in der guten Stube. In der Küche hängt ein alter, schwerer Schlüssel, mit dem sie sich öffnen lässt. Dahinter ist eine Mauer, hinter der eine andere, leer stehende Wohnung liegt. Angeblich jedenfalls. So recht mag Coraline den Erklärungen ihrer Mutter nicht glauben. Für das Mädchen wird die Tür zur Grenze, die sich in jeder Aliceonade verbirgt, zum Kaninchenbau, zum Schrank nach Narnia oder zur Unendlichen Geschichte auf den Knien von Bastian Balthasar Bux. Ihre Vorstellungskraft hat endlich ein Loch in der Wirklichkeit entdeckt, durch das sie schlüpfen kann. Was Coraline hinter der Tür findet, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel: Es wird unheimlich.

Neil Gaiman beschäftigt seit Jahren nur ein Thema: das Verhältnis von Wirklichkeit und Phantasie. Seine berühmte Comic-Serie „The Sandman“ kündet ebenso davon wie die Romane „Sternwanderer“ und „Niemalsland“. Für Gaiman ist die Phanatsie ein essenzieller Teil der menschlichen Existenz. Er ist ein Träumer, der sich mit seinem Werk trotzig in den rauen Wind von Rationalität und Sachlichkeit stellt. Als Autor sind Träume sein Metier, und es ist ein wahres Glück, dass er immer wieder zauberhafte, sehr persönliche Lesejuwelen ersinnt. Coraline ist ein gutes Beispiel dafür. Als wolle er uns zwischen den Zeilen zuflüstern: Hört nicht auf zu träumen.

http://www.neilgaiman.com

Nimmo, Jenny – Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder (Die Kinder des roten Königs 1)

Beim ersten Blick aufs Cover, auch beim zweiten auf den Klappentext, mag Charlie Bone wie ein Abklatsch von Harry Potter anmuten. Der Vergleich drängt sich geradezu auf. Aber auf Äußerlichkeiten kann man sich ja bekanntlich nicht verlassen, also werfen wir einmal einen Blick zwischen die Buchdeckel:

Bis zu dem Moment, als Charlie Bone von der Schule nach Hause kam, schien es ein ganz normaler Tag zu sein. So normal wie Charlie selbst. Die Frage ist nur: Wie normal ist Charlie wirklich? Als er nämlich das Foto eines fremden Mannes mit einem Kind auf dem Schoß aus dem Entwicklungsumschlag zieht, macht er eine verblüffende Entdeckung: Er kann den Mann reden hören! Und nicht nur den Mann, sondern auch die Frau, die offenbar das Foto gemacht hat. Ja, er hört sogar die Katze schnurren, die hinter dem Stuhlbein kauert!
Die Einzige, die darüber erfreut scheint, ist seine Großmutter väterlicherseits. Sofort beraumt sie einen Familienrat an, wobei Familienrat in diesem Fall nur die väterliche Linie berücksichtigt, sprich: Großmutter Bone geborene Darkwood, ihre drei Schwestern, ihren Bruder Paton und Charlie. Das Ergebnis behagt Charlie noch weniger als die Entdeckung vom Nachmittag. Nach den Herbstferien muss er nämlich auf eine andere Schule, die Bloor-Akademie, einen elitären Kasten voller Künstler.
Endgültig turbulent wird es allerdings, als Charlie das fremde Foto dorthin zurückbringt, wohin es eigentlich gehört, in eine Buchhandlung in der Nähe der Kathedrale. Die Eigentümerin ist so erfreut, dass sie Charlie einen Roboter und einen metallenen Kasten schenkt, die ihr verstorbener Bruder ihr hinterlassen hat. Seltsamerweise interessieren sich für diesen Kasten eine ganze Menge Leute, darunter auch … seine Großtanten!

Die Frage, wie normal Charlie wirklich ist, verliert folglich im Laufe des Buches an Bedeutung. Letzten Endes lässt sich sagen: Charlie ist – von seiner besonderen Gabe in Bezug auf Bilder einmal abgesehen – so normal wie jeder andere Junge. Er mag Fußball und Fernsehen, verbringt seine Freizeit mit seinem Freund Benjamin und dessen Hund, und versucht ansonsten, seiner dominanten Darkwood-Verwandtschaft auszuweichen, die in alles ihre Nase steckt. Verglichen mit so manchem anderen, der im Verlauf des Buches noch auftaucht, ist Charlie sogar außerordentlich normal!
Da wären zum Beispiel die Darkwood-Schwestern. Offenbar sind sie ziemlich reich, denn keine von ihnen scheint ernsthaft zu arbeiten. Dennoch ist Tante Lucretia Hausmutter im Bloor, und Tante Eustacia taucht als Kinderbetreuerin bei Charlies Freund Benjamin auf. Was genau die Damen tatsächlich tun, wird nicht verraten. Eines aber ist klar: Ihnen ist nicht zu trauen!
Charlies Großonkel Paton ist noch seltsamer. Er ist ziemlich mürrisch, meidet den Rest der Familie vollkommen, und mit Ausnahme des Stuhls ist jeder Fleck in seinem Zimmer mit Büchern oder losen Blättern voll gestapelt. Paton geht nur bei Dunkelheit auf die Straße, und wenn er sich nicht zusammenreißt, fliegt jede Glühbirne, in deren Nähe er sich zu lange aufhält, in die Luft!
Dann wären da noch der geheimnisvolle Mr. Onimous und seine drei seltsam gefärbten Katzen. So plötzlich er auftaucht – unter den merkwürdigsten Vorwänden -, so plötzlich ist er auch wieder verschwunden, und meistens hat Charlie danach einiges zum Nachdenken.
Am verrücktesten ist Fidelios Familie. Fidelio ist Charlies erster neuer Freund am Bloor und kommt aus einer recht großen Familie. Fidelios Vater hat die Angewohnheit, alles, was er zu sagen hat, in eine Melodie zu kleiden, und in dem Haus, in dem die Familie wohnt, herrscht ununterbrochen ein Heidenlärm, weil ständig irgendwo Musik gemacht wird.
Auf Manfred dagegen könnte Charlie problemlos verzichten. Er ist Oberaufsichtsschüler im Bloor, dazu noch der Sohn des Direktors, und hat ein paar schwarze, hypnotische Augen, die Charlie fürchtet. Außerdem zeichnet er sich durch eine gute Portion Fiesheit aus. Sein steter Schatten Asa ist nicht viel besser. Beide machen Charlie von Anfang an das Leben schwer.

Das zeigt schon, dass einige Ähnlichkeiten zu Harry Potter tatsächlich vorhanden sind. Und es kommen noch mehr dazu. Wie Harry geht Charlie auf eine Art Internat, schläft mit seinen Klassenkameraden in einem gemeinsamen Schlafsaal und trägt einen Umhang als Schuluniform. Zwar gibt es hier keine Häuser wie in Hogwarts, dafür die Fachzüge Musik, Bildende Kunst und Schauspiel, die alle ihre eigene Farbe haben. Jeder Fachzug hat im Speisesaal seinen eigenen Tisch, während an der Stirnseite der Lehrertisch die Tische der Schüler überragt. Das Schulhaus ist ein altes Gemäuer mit vielen unbenutzten Räumen, verschlossenen Türen und verlassenen Gängen. Sogar eine Ruine gibt es.
Im Gegensatz zu Harry Potter jedoch sind hier nicht alle Schüler Zauberer oder Hexen. Tatsächlich gibt es nur eine Hand voll Schüler, die wie Charlie eine besondere Gabe haben. Diese Sonderbegabten machen ihre Hausaufgaben getrennt von den anderen, verteilen sich im Übrigen aber auf die genannten Fachzüge. Jenny Nimmos Entwurf ist näher an der Realität als Rowlings Bücher, wo Harry die „normale“ Welt verlässt und getrennt davon in einer eigenen, magischen Welt lebt. Charlie Bone und seine magisch begabten Mitschüler stehen mit ihren Fähigkeiten mitten im Leben, sodass Normalität und Magie sich miteinander vermischen können.

Die gravierenderen Unterschiede sind weniger inhaltlicher als formeller Natur. Die Charakterzeichnung ist nicht so intensiv, die Umgebung sowohl außerhalb als innerhalb der Schule nicht so detailliert beschrieben wie bei den Potter-Bänden. Jenny Nimmo konzentriert sich mehr auf die Handlung, die so zügig voranschreiten und sich entwickeln kann. Kein Wunder, dass Charlie Bone spürbar schlanker ist. Das soll aber beileibe nicht heißen, dass die Geschichte simpel wäre, im Gegenteil! Die Autorin hat mehrere Ausgangsaspekte angelegt, die sich im Laufe der Geschichte verschieden stark entwickeln. So ist das Rätsel um das Foto und den Metallkasten am Ende zwar aufgeklärt, Charlies Vater jedoch ist noch nicht gefunden, und auch die Frage, was aus Billys Eltern geworden ist, ist noch nicht geklärt. Außerdem versteht Nimmo es, dem Geschehen immer wieder neue Wendungen zu geben, meistens dann, wenn der Leser gerade denkt, jetzt wäre die Sache ausgestanden.
Vor allem aber ist die Geschichte um Charlie Bone bei weitem nicht so unheimlich wie die um Harry Potter. Natürlich gibt es auch hier Bösewichter. Die Bloors sind beileibe nicht sympatisch, Charlies Großtanten auch nicht, und was diese Bagage da eigentlich ausheckt, gehört zu den Dingen, die sich die Autorin für die nächsten Bände aufgehoben hat. Doch im Vergleich zu Voldemort und seinen Todessern sind sie alle recht harmlose Zeitgenossen, zumindest bisher.

Ob Jenny Nimmo nun bei Joannne Rowling abgekupfert hat und deshalb nur eine von vielen Trittbrettfahrern ist oder nicht, auf jeden Fall hat sie das Gerüst ihrer Geschichte mit Leben gefüllt, und das durchaus nicht schlecht. Charlie Bone ist insgesamt einfacher gestrickt und zeigt weniger Liebe zum Detail, dafür fehlt auf der anderen Seite die massive Bedrohung, die die Potter-Bände auszeichnet. Trotz der auffälligen Parallelen zum „großen Bruder“ bietet die Autorin auch interessante, eigene Ideen, die Handlung bleibt übersichtlich, ohne langweilig zu werden. Jüngere Kinder dürften mit dem Buch durchaus ihren Spaß haben.

Jenny Nimmo arbeitete unter anderem als Schauspielerin, Lehrerin und im Kinderprogramm der BBC. Geschichten erzählte sie schon als Kind, Bücher schreibt sie seit Mitte der Siebziger. Unter anderem stammt der Zyklus |Snow Spider| aus ihrer Feder, sowie „Im Garten der Gespenster“, „Der Ring der Rinaldi“ und „Das Gewächshaus des Schreckens“. „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ ist der erste Band des Zyklus |Die Kinder des roten Königs|, und hat sie auch in Deutschland bekannt gemacht. Seither sind zwei weitere Bände von Charlie Bone erschienen, „… die magische Zeitkugel“ und „… das Geheimnis der blauen Schlange“. Den vierten Band gibt es bisher nur auf Englisch unter dem Titel „Charlie Bone and the castle of mirrors“.

Band 2: [„Charlie Bone und die magische Zeitkugel“ 2448

Paolini, Christopher – Eragon – Der Auftrag des Ältesten

Endlich wird das aufregende Abenteuer des jungen Eragon, welches in [„Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter“ 1247 seinen Anfang gefunden hat, weitererzählt, und wir erfahren, was nach der ersten spannenden Schlacht in Farthen Dûr passiert ist. Doch der zweite Teil der Drachenreiter-Trilogie hat wie so viele andere Übergangsbände damit zu kämpfen, dass dieses Buch keinen echten Anfang und kein Ende hat. So bleibt wie so oft direkt nach dem Zuklappen des zweiten Bandes ein etwas unbefriedigendes Gefühl zurück, weil noch so viele Dinge ungeklärt blieben, auf deren Aufklärung wir sicher noch einige Zeit warten müssen.

_Die Reise geht weiter_

Nur knapp sind die Varden einer großen Niederlage entkommen, nur mit Aryas und Saphiras Hilfe konnte Eragon gerettet werden. Doch die Verluste sind groß, die verräterischen Zwillinge haben Murtagh verschleppt, und nachdem die Elfin Arya seine blutige Kleidung findet und seinen Geist nicht ertasten kann, wird Murtagh für tot erklärt. Eragon dagegen konnte den gemeinen Schatten Durza töten und dadurch eine Wendung zum Guten hervorbringen. Aber in Farthen Dûr wurde nur die erste Schlacht ausgefochten, die entscheidende Schlacht gegen Galbatorix und seine hinterhältigen Anhänger steht noch aus.

Nach Ajihads Tod brauchen die Varden einen neuen Anführer, doch anstatt in weiser Voraussicht einen starken Vardenführer zu wählen, werden im Ältestenrat zahlreiche Intrigen gesponnen, bis Ajihads junge Tochter Nasuada auserwählt wird, weil der Ältestenrat sie aufgrund ihrer Jugend und Unerfahrenheit für manipulierbar und formbar hält. Doch der Ältestenrat hat sich geschnitten, denn Nasuada hat sich bereits auf ihre kommende Aufgabe eingestellt und sichert sich Eragons Treue und Unterstützung zu. Eragon, der noch eine weitere Allianz eingehen wird, schafft sich mit diesen Entscheidungen allerdings nicht nur Freunde …

Im Zentrum der Geschichte steht die Fortsetzung von Eragons Ausbildung in Ellesmera, der berühmten Elfenstadt, in der die Königin Islanzadi herrscht. Doch während Eragon bei den Elfen wichtige neue Zaubersprüche und die Elfensprache lernt, ahnt er nicht, in welcher Gefahr sein Cousin Roran in Carvahall schwebt. Dorthin hat Galbatorix nämlich seine Soldaten und Ra’zac geschickt, um Roran als Geisel zu nehmen und dadurch an Eragon heranzukommen. Als die Schatten schließlich Rorans geliebte Katrina gefangen nehmen, greift Roran in seiner Verzweiflung zu drastischen Maßnahmen. Er überredet das gesamte Dorf, mit ihm nach Surda zu ziehen, um sich dort dem Widerstand der Varden anzuschließen. Eine gefahrenvolle Reise wird den Bewohnern von Carvahall bevorstehen …

_Die Zeichen stehen auf Krieg_

Nach dem Ende des ersten Bandes der Drachenreiter-Trilogie war bereits die Zielsetzung für den aktuellen zweiten Band klar, denn der Kampf gegen Galbatorix ist noch lange nicht zu Ende, genau wie Eragons Ausbildung, die dringend fortgesetzt werden muss. Und so überrascht uns Christopher Paolini in seinem fast 800-seitigen Werk nicht sonderlich, wenn er sich genau diesen Punkten widmet. Doch gleich von Anfang an packt uns Paolini, indem er Intrigen spinnt und Allianzen entstehen lässt, die für genug Brisanz sorgen. Kurz nach Eragons Ankunft in Ellesmera erwartet uns schließlich das erste große Überraschungsmoment, welches der junge Autor geschickt in seine Geschichte einfließen lässt, um seine Leser immer mehr an seine Erzählung zu fesseln.

Zunächst entwickelt Paolini seinen Handlungsstrang in Farthen Dûr, welcher direkt im Anschluss an die erste Schlacht einsetzt. Die Varden müssen große Verluste hinnehmen, die Zwerge haben gar ihr großes Wahrzeichen verloren, das Arya und Saphira zerstört haben, um Eragon retten zu können. Die Verluste sind trotz siegreicher Schlacht groß und müssen zunächst verkraftet werden. Die Geschichte fasziniert von Anfang an und weiß zu unterhalten, ohne dass zunächst viel Spannung aufgebaut wird. Dies passiert erst, als Paolini eine zweite Handlungsebene eröffnet, die größtenteils in Carvahall spielt. Eragons Heimatdorf wird nämlich von Galbatorix‘ Soldaten und Ra’zac bedroht, die Roran gefangen nehmen wollen, aber auf unerwartet großen Widerstand treffen. Die Bewohner von Carvahall wehren sich tapfer, können irgendwann aber einfach nur noch die Flucht ergreifen, auch wenn diese viele Gefahren mit sich bringt.

Dieser zweite Handlungsstrang und die Wechsel zwischen den beiden Schauplätzen sorgen für stetig anwachsende Spannung, die unweigerlich auf nur ein Ziel hinweisen kann, nämlich auf einen großen Kampf am Ende des Buches, auf den die Leser allerdings über 700 Seiten lang warten müssen. Erst spät geht Paolini zielgerichtet auf die Schlacht zu, in der viele verschiedene Völker aufeinander treffen.

_Lehrstunden_

Eine etwas längere lesetechnische Durststrecke ist während Eragons Ausbildung in Ellesmera zu überstehen. Diese Lehrstunden bei seinem neuen Meister werden sehr detailliert und in allen Einzelheiten geschildert, die schon etwas Geduld und Ausdauer erfordern. Zwar spielt Paolini wieder alle seine Trümpfe aus, indem er farbenfrohe Bilder von Ellesmera entwirft und uns in eine fremde und faszinierende Welt entführt, doch präsentiert er uns über eine lange Buchstrecke hinweg wenig Neues. Nur die Passagen in Carvahall sorgen hier für das gespannte Kribbeln, sodass ich mir tatsächlich von der Rahmengeschichte mehr gewünscht hätte.

Auch wenn wieder einige Anleihen bei anderen berühmten Fantasywerken zu bemerken sind, entfernt Paolini sich stetig von seinen Vorbildern. Nur „Der Herr der Ringe“ blitzt wieder einmal an einigen Stellen durch; so wurde hier Eragon eine schmerzliche Wunde durch die Ra’zac (das Paolinische Pendant zu den Tolkien’schen Nazgul) zugefügt, die nur durch besondere Kräfte zu heilen ist und ihn zunächst immer wieder schwer beeinträchtigt. Auch die Flucht der Einwohner von Carvahall mag an diejenige von Edoras nach Helms Klamm erinnern. Selbst in der Schlacht am Ende des Buches sind Parallelen nicht von der Hand zu weisen, denn die lebensnotwendige Verstärkung trifft auch bei Paolini fast schon zu spät ein. Dennoch muss man auch im zweiten Teil der Drachenreiter-Trilogie wieder neidlos zugeben, dass Christopher Paolini dennoch eine eigene Welt entwirft, die er uns in schönen Bildern und lautmalerischen Worten präsentiert. Er schafft es sogar, seine Skeptiker zu überzeugen und zu Fans seines fantastischen Alagaësia zu machen.

Paolini entscheidet sich hierbei für einen jungen und strahlenden Helden, der bei den Elfen geformt und am Ende verwandelt und von seinen Narben befreit wird. Spätestens mit dieser Entscheidung entfernt Paolini sich spürbar von Tolkien, der Frodo bewusst tragisch gezeichnet hat, um die ewig andauernde Last des Ringes zu kennzeichnen. Doch schon diese kleine Differenz ist es, die „Eragon“ eine ganz andere Prägung verleiht und die die Drachenreiter-Trilogie insbesondere auch deutlich kindgerechter macht.

Punkten kann Paolini wieder einmal in seiner überzeugenden Charakterzeichnung, die er in diesem Band noch weiter gestaltet. Besonders Eragon und Saphira lernen wir hier von ganz neuen Seiten kennen, die vorher noch nicht aufgeblitzt sind. Aber auch Roran erhält Gestalt und bekommt viel mehr Raum zugestanden, welchen er problemlos füllen kann. Von Roran möchte man gerne mehr lesen, er hat seinen starken Charakter bereits bewiesen, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie er zu seinem Cousin steht, der für das ganze Unglück von Carvahall verantwortlich ist. Doch dieser Konflikt ist es, der bereits neugierig auf die Fortsetzung macht, in welcher die beiden Cousins zusammen noch wichtige Aufgaben zu erfüllen haben.

Neben der etwas langwierigen Erzählweise im Mittelteil des Buches sind es nur Winzigkeiten, die den Lesegenuss trüben mögen, wie die teils längeren Passagen, die in Zwergen- oder Elfensprache abgedruckt sind und nicht in einer Fußnote übersetzt werden. Zweifeln wird der aufmerksame Leser auch, wenn ganz Carvahall an nur einem Tag von einem mächtigen Schutzwall umzogen wird, den die Bewohner gemeinsam errichten. Etwas unklar ist mir außerdem, warum Arya ihrem Drachenreiter-Schützling wichtige elfische Gepflogenheiten erst direkt vor ihrer Ankunft in Ellesmera mitteilt und die lange Zeit der Reise zuvor nutzlos verstreichen lässt. Insgesamt handelt es sich hierbei jedoch sicherlich um Unstimmigkeiten, über die man angesichts der fantastischen Erzählweise gerne hinweg sehen wird.

_Nun heißt es warten_

Wie schon im ersten Teil, so endet auch „Eragon – Der Auftrag des Ältesten“ völlig offen. Wieder ist eine Schlacht geschlagen, ein vorübergehender Sieger steht fest, doch das Aufeinandertreffen von Eragon und Galbatorix hat Christopher Paolini sich für seinen heiß erwarteten Abschlussband der Drachenreiter-Trilogie aufgehoben. Das vorliegende Buch hat als Übergangsteil einen sehr schweren Stand, zumal der Mittelteil sehr lang gezogen erscheint, dennoch entwickelt Paolini seine Figuren und seine Geschichte sehr schön weiter. An manchen Stellen weiß er zu überraschen und so präsentiert er gen Ende noch einmal eine unerwartete Wendung, mit der ich nicht gerechnet hätte. Insgesamt gefiel mir der Eröffnungsband ein klein wenig besser, da ich mir die Erzählung im aktuellen Roman etwas straffer gewünscht hätte, doch es sind im Grunde Kleinigkeiten, die es zu bemängeln gibt, sodass ich schon jetzt ungeduldig dem Abschluss der Trilogie entgegen fiebere!

http://www.eragon.de/

|Originaltitel: Inheritance Trilogy 2: The Eldest
Übersetzt von Joannis Stefanidis
800 Seiten, mit Lesebändchen
gebunden, 22,7 × 15 cm|

Henkel-Waidhofer, Johanna / Marx, André / Fischer, Katharina / Hitchcock, Alfred (Hg.) – Die drei ??? – Schrecken der Nacht (3er Sammelband)

Eine Serie begleitet und fasziniert heutige Thirtysomethings schon seit ihrer Kindheit. Die Rede ist vom Klassiker „Drei Fragezeichen“ oder auch „Die drei Detektive“ genannt. Letzteres kommt dabei näher an den amerikanischen Originaltitel „The Three Investigators“ heran. Hierzulande haben sich die drei verschiedenfarbigen Fragezeichen (weiß, rot, blau) auf schwarzem Cover längst als Aushängeschild und weithin bekanntes Markenzeichen der Serie etabliert. Eine weitere Vorstellung erübrigt sich eigentlich, denn DDF kennt wirklich fast jedes Kind – und wer nicht, sei auf den Abschnitt „Zur Serie“ verwiesen, den Fans sicherlich überlesen können, da ihnen dort nicht viel Neues präsentiert wird.

_Zur Serie_

„Die drei Fragezeichen“, das sind kalifornischen Jugendliche aus dem fiktiven Kaff Rocky Beach – irgendwo zwischen L.A. und Santa Monica gelegen. DDF, das ist vor allem das übergewichtige Superhirn und Besserwisser Justus Jonas, der irgendwann mal mit seinen Kumpels Peter „Schissbüx“ Shaw und Bob „Brillenschlange“ Andrews eine kleine Privat-Detektei eröffnet hat. Erwachsene, die darüber milde lächeln und die Ernsthaftigkeit der Jungs anzweifeln, werden stets eines Besseren belehrt. Wenn man eins nicht machen darf, dann ist es, den kriminalistischen Spürsinn des Trios sowie ihre Hartnäckigkeit, mysteriöse Fälle lösen zu wollen, zu unterschätzen. Fälle, die Erwachsenen (respektive den Cops) meist zu banal oder grenzwertig erscheinen, sich aber nicht selten zu handfesten Verbrechen entwickeln.

Schon seit Beginn der Reihe 1964 hat eine ganze Fülle verschiedenster Autoren Geschichten über das umtriebige und clevere Jung-Detektiv-Büro aus Rocky Beach unter verfasst. William Arden, M.V. Carey, um nur einige der ersten Stunde zu nennen, die neben Erfinder Robert Arthur fleißig in die Schreibmaschinen-Tastatur griffen. Heute sind es nur noch deutsche Schreiber, welche die Fackel der drei Satzzeichen weiter hochhalten – da hierzulande (im Gegensatz zu den USA) die Erfolgswelle nie abebbte. Im Gegenteil.

Oft wird immer noch fälschlicherweise Alfred Hitchcock als Autor angesehen, dabei stammt die Idee für die Charaktere von Robert Arthur. Dieser jedoch gewann (gegen Zahlung vermutlich saftiger Lizenzgebühren) den Kult-Regisseur als marketingstarke Galleonsfigur. Seither hat sich Hitchcock in den Köpfen festgesetzt. Das wird sich ab 2005 wohl langsam aber stetig ändern, da die Hitchcock-Lizenz dieses Jahr auslief – auf den Büchern neueren Datums bemerkt man dies bereits durch Weglassung seines Namenszugs und Konterfeis.

Die allesamt in sich abgeschlossenen Abenteuer der drei Schnüffelnasen sind bei der (vornehmlich) jugendlichen Zielgruppe geschlechterübergreifend beliebt – Der Versuch einer Schubladisierung in Jungen- oder Mädchen-Literatur greift hier ins Leere. Da die Serie schon so alt ist, sind schon verschiedenste Versionen der Bücher am Markt veröffentlicht worden. Die Illustrationen der deutschen Covers waren früher fest in der Hand von Aiga Rasch – hier ist es eine Collage dreier Rasch-Titelbilder. Ihren Stil führt seit einigen Jahren Silvia Christoph nun ähnlich weiter und gibt der Serie damit ihr unverkennbares Gesicht.

_Zum Buch_

Der vorliegende Sammelband zum Anlass des 25-jährigen Jubiläums der Serie enthält drei in sich abgeschlossene Geschichten. Sie bauen weder aufeinander auf, noch haben sie spezielle Querverbindungen zueinander. Wobei „Das Geheimnis der Särge“ hier ein wenig aus der Reihe tanzt, ja sogar deswegen ein wenig deplatziert wirkt, eben WEIL es ausgerechnet hier ausnahmsweise (wenn auch losen) Bezug zu anderen Fällen gibt. Streng genommen ist es nämlich der vorletzte „Teil“ einer vier Geschichten dauernden Reise der drei Fragezeichen nach good ol‘ Europe – Dieser Trip beginnt mit „Diamantenschmuggel“ geht über „Die Schattenmänner“, „Das Geheimnis der Särge“ und endet mit schließlich „Der Schatz im Bergsee“. Schauen wir uns einfach mal genauer an, was unter der Überschrift „Schrecken der Nacht“ an Einzeltiteln so alles aufgefahren wurde.

_Die Storys_

|“Das Geheimnis der Särge“|
Erzählt von Johanna Henkel-Waidhofer
Erstveröffentlichung 1996

Im Rahmen ihres Europa-Trips sind Justus, Peter und Bob mittlerweile in Deutschland angelangt. Die berühmten Höhlen der Schwäbischen Alb stehen auf ihrer Agenda, nachdem sie grade noch in Italien ein paar Dunkelmännern ans Bein pinkelten. Dort lernten sie auch ihrer jetzige Gastgeberin Alex kennen, deren Einladung sie folgten. Natürlich schlittern die drei Naseweise auch in Tschörmany wieder in ein Abenteuer und treffen auf schräge Typen. Diesmal sind es schrullige Bewohner eben jenes Landstrichs, die auch noch mächtig Dreck am Wanderstab zu haben scheinen – zumindest einige von ihnen. Dabei schrecken weder Sprachbarriere noch ach so dunkle Höhlen die Junior-Schnüffler, das Geheimnis der Särge aufzuklären. Natürlich zeigen sich die lokalen Sheriffs als wahre Vertreter der Gattung „Landeier“ und somit als wenig hilfreich, sodass mal wieder alle Aufklärungsarbeit fest in amerikanischer Hand ist.

|Kurzkritik|
Ein so naher Bezug zu anderen Fällen innerhalb der Serie ist eher die Ausnahme. Warum die Bertelsmänner ausgerechnet hier eine Story aus ihrem Kontext gerissen haben, kann nicht rational erklärt werden. Ein 4er-Sammelband mit den weiter oben aufgeführten Titeln wäre wesentlich sinniger gewesen. Nicht, dass man elementare Informationen verpasst, „Das Geheimnis der Särge“ ist wie alle anderen Fälle des Trios eigenständig. Trotzdem fehlen dem Leser ein paar kleinere Details, wenngleich am Rande einiges erklärt wird. Schade auch, dass ausgerechnet die „Deutschland-Folge“ ohnedies schwächelt und sich teilweise in langweiligem BlaBla und schablonenhaft herumtölpelnden Personen verliert. Vor allem gegen Ende wirkt dann alles viel zu konstruiert und zu hastig mit der heißen Nadel zusammengeschustert. Prädikat: „Etwas konfus & unglaubwürdig“.

|“Poltergeist“|
Erzählt von André Marx
Erstveröffentlichung 1997

Bob und Peter nutzen die Flaute der Junior-Detektei, um sich intensiver mit ihren Freundinnen zu beschäftigen. Justus hält sie ja während laufender Ermittlungen gern von den Mädels fern. Doch kein Fall ist in Sicht. Aber ein Hoffnungsschimmer: Als Bob und Elisabeth eine Vernissage besuchen wollen, wird diese unter fadenscheinigen Gründen abgesagt. Das Gemälde eines berühmten Künstlers wurde gestohlen, so viel ist zu ermitteln. Leider jagt sie die ruppige Urlaubsvertretung Inspector Cottas dorthin, wo der Pfeffer wächst. Mitarbeit unerwünscht. Nix zu machen. Peters Freundin Kelly hat auch was. Eigentlich gar kein richtiger Fall, denn er beschränkt sich auf die Suche nach einem Medaillion, welches ihre höchst schrullige Tante verschludert hat. Ein zähes und vor allem nerviges Unterfangen, doch dann bekommen die drei Fragezeichen das Angebot, einen angeblichen Poltergeist zu stellen. Erst gar keinen Fall, jetzt gleich zwei bzw. deren drei – oder gehört alles irgendwie doch zusammen?

|Kurzkritik|
André Marx besinnt sich hier auf alte Tugenden sowie alte Figuren der Serie. Er lässt in diesem Fall einen Erzgegner der Fragezeichen wiederauferstehen. Wer das ist, soll aus Gründen des Spannungserhalts hier und jetzt dezent unter den Grabstein der Verschwiegenheit gekehrt werden. Mysteriös angehauchte Storys haben die Serie groß gemacht, daher hat allein die Poltergeist-Thematik schon mal gute Karten für eine ansprechende Geschichte. Selbst Justus beginnt an Spuk zu glauben und erschüttert damit den Leser bis ins Mark. Damit alles nicht doch zu einfach und noch spannender wird, bastelt André Marx eine vertrackte 3-in-1-Konstellation zusammen, die am Ende sogar sehr schön aufgeht. Mit dem unerwarteten Ausgang hätte wohl kaum einer so gerechnet. Elisabeth, Kelly, Lys und nicht zuletzt Inspector Cotta sorgen in den kleineren Statistenrollen für das wohldosierte comic relief sowie ein Maß an Kontinuität, was das (private) ???-Umfeld angeht.

|“Wolfsgesicht“|
Erzählt von Katharina Fischer
Erstveröffentlichung 1999

Irgendwer hat etwas gegen Inspector Cotta, so scheint es. Ein seltsames Schreiben erreicht den Polizeichef von Rocky Beach. In diesem wird er verhöhnt und gleichzeitig wird verklausuliert ein Überfall angekündigt. Unterschrift: Wolfsgesicht. Der Überfall findet dann doch nicht statt. Das heißt, er tut es doch – aber nicht so, wie sich das die Cops und die zu Rate gezogene Polizeipsychologin so gedacht haben. Mittendrin Justus. Diesmal zufällig und nichts ahnend, bis ihn zwei Beamte für den mysteriösen Briefeschreiber halten und ihn höchst unsanft festnehmen. Als das Missverständnis aufgeklärt ist, schlägt Wolfsgesicht an unerwarteter Stelle zu und klaut absonderliche Sachen. Schon bald wird klar, dass dies nur der Auftakt zu einer Serie von Ereignissen ist, die eines auf das andere aufbauen. Dreimal will der Unhold laut eigener Angaben zuschlagen. Hat der Besuch des amerikanischen Präsidenten in Rocky Beach damit etwas zu tun? Die Spuren sind verwirrend, doch das facht bekanntlich die Neugier des Trios erst recht an.

|Kurzkritik|
Katharina Fischer spielt hier ein wenig mit dem alten Wer-erschoss-Kennedy-Mythos, einer Menge geschickt eingesetzter psychologischer Tricks und Stilelementen, die bei den drei Satzzeichen immer gern gesehen sind: Rätselsprüche, undurchsichtige Verdächtige, angeblich wasserdichte Alibis und persönlicher, individueller Einsatz aller drei Jungs. Jeder auf seinem Spezialgebiet, wie es die traditionelle Rollenverteilung der Serie vorsieht. Nur moderner, die drei Fragezeichen sind mit Computer und Handy endgültig in der Jetztzeit angekommen. Peter darf mal wieder mit Dietrichen hantieren, ausnahmsweise ist es Bob – und nicht Peter mit seinem MG – diesmal, der mit seinem Foffi eine Verfolgung aufnehmen muss. Justus (wer sonst) darf kombinieren und klugscheißen und nebenher noch den heiligen Zorn der Polizeipsychologin auf sich ziehen. Bis am überraschenden Ende das intelligent inszenierte Verwirrspiel aufgelöst wird, hat man die Seiten im Schnelldurchgang bewältigt. Ohne Durchhänger.

_Fazit_

Bertelsmann hat sich und den Lesern mit „Geheimnis der Särge“ in diesem Band keinen Gefallen getan. Zumindest beweist die Wahl, dass der Verantwortliche keinen Schimmer von der Kult-Serie hat. Wer sich von dieser schwachen ersten Story aber nicht abschrecken lässt und tapfer weiterliest, wird mit kontinuierlich steigendem Niveau belohnt. „Poltergeist“ ist eine sehr solide und typische ???-Geschichte, die mit Mystery zu gefallen weiß. „Wolfsgesicht“ ist in dieser Jubiläumsausgabe sicher der beste, weil am intelligentesten aufgezogene Fall. Bleibt unterm Strich ein akzeptabler Gegenwert. Für 9,95 € bekommt man drei Geschichten für etwas mehr als das, was sonst ein Einzelband kostet.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
„Die drei ??? – Schrecken der Nacht“
basierend auf den Charakteren von Robert Arthur
Random House, New York
Frankh-Kosmos, Stuttgart / Bertelsmann Gruppe
Erstauflage 03/2004
Seiten: 366 Hardcover

Gaiman, Neil / McKean, Dave – Wölfe in den Wänden, Die

_|Die kleine Lucy presst fest das Ohr gegen die Wand. Unter der Oberfläche knackt etwas. Und es klackt und huscht. Es knabbert und knistert, kratzt und knurrt. Lucy macht sich Sorgen. „Wir haben Wölfe in den Wänden“, sagt sie zu ihrer Mutter. „Das sind wahrscheinlich nur Mäuse“, winkt diese ab.| In seinem neuen Kinderbuch erzählt Comic-Legende Neil Gaiman die gruselige Geschichte von dem Mädchen Lucy, den Wölfen in den Wänden und Dingen, die anders sind, als man dachte._

Lucy lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem großen, alten Haus. Eines Tages – alles ist still – hört sie merkwürdige Geräusche. Hinter den Hauswänden kratzt und knurrt es. Gelbe Augen beobachten Lucy durch Risse und Löcher. Besorgt geht sie zu ihrer Familie. „Wir haben Wölfe in den Wänden“, sagt sie, doch niemand glaubt ihr. Stattdessen gibt man ihr eine allseits bekannte Weisheit mit auf den Weg, um ihre Phantasie im Zaum zu halten: „Wenn die Wölfe aus den Wänden kommen, ist alles vorbei. Jeder weiß das.“

Neil Gaiman macht es sich nicht leicht mit der Phantasie. Er weiß, was für ein schweres Los sie in einer Welt hat, die durch Vernunft, Rationalität und Nüchternheit geprägt ist. Für Kinder haben sachliche Erklärungen zum Glück keine absolute Gültigkeit. Es gibt noch etwas hinter dem Erklärbaren: das Vorstellbare. Lucys Angst vor den Wölfen perlt an ihren Eltern ab wie Wassertropfen von einer Glasscheibe. Aber sie kämpft, lässt sich nicht beirren und glaubt an das, was sie gehört und gesehen hat.

Neil Gaiman gilt als einer der prägenden amerikanischen Comic-Autoren der Neunzigerjahre. Berühmt wurde er durch die Comic-Serie „Sandman“. Während seiner Entwicklung tauchte immer wieder ein Name in seiner Nähe auf: Dave McKean, seines Zeichens Illustrator und Zeichner. Die beiden sind seit Jahren ein sicheres Erfolgsgespann in Sachen Fantasy. Phantastisch geht es auch in ihrem neuen Werk zu.

„Die Wölfe in den Wänden“ ist ein Kinderbuch, das durch sein ungewöhnliches Format und seine Aufmachung auffällt. McKean, der für seine Cover der „Sandman“-Serie von Kritikern hoch gelobt wurde, beschreitet mit seinem grafischen Können gerne ungewöhnliche Wege. Das große, quadratische Buch enthält eine Unzahl von surrealen Kollagen, bei denen sich der Leser nie sicher sein kann, ob es sich um eine Zeichnung oder um eine Fotographie handelt.

Im Grunde entspricht diese Doppeldeutigkeit dem Kern der Geschichte. Ist es eine Zeichnung oder eine Fotographie? Krabbeln in den Wänden Mäuse oder Wölfe herum? Hat Lucy eine blühende Phantasie oder besteht wirklich Gefahr? Die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie sind, ist eine Fähigkeit, die Erwachsene manchmal verlieren. Kinder hingegen stellen alles in Frage, weil alles neu, unbekannt und phantastisch ist. Wenn die Phantasie in die Wirklichkeit einbricht, ist alles vorbei. Jeder weiß das. Sie haben doch nicht etwa Angst, oder?

Hohlbein, Wolfgang & Heike – Märchenmond

Seit Tagen liegt Kims Schwester Rebekka bewusstlos im Krankenhaus. Ihre Seele wird im Lande Märchenmond vom Zauberer Boraas, dem Herrn des Schattenreiches, gefangen gehalten. Kim ist der Einzige, der sie befreien kann.

Um seine kleine Schwester zu retten, macht sich Kim auf die abenteuerliche Reise ins Land Märchenmond. Um dorthin zu gelangen, muss jeder seinen eigenen Weg finden. Kim, begeisterter Leser von Science-Fiction-Büchern, wählt dafür ein Raumschiff, doch Zauberkräfte zwingen ihn zur Landung – inmitten einer unzugänglichen, schwarzen Bergwelt gerät er, ebenso wie seine Schwester, in Boraas‘ Hände. Doch Kim gelingt die Flucht aus Burg Morgon – gerade rechtzeitig, um die Bewohner Märchenmonds zu warnen: Die riesige Armee der schwarzen Reiter, angeführt von einem mysteriösen Unbekannten, überwindet die Pässe des Schattengebirgen und marschiert gegen Märchenmond. Ein Kampf um die gläserne Burg Gorywynn ist unvermeidlich.

Auf dem gefährlichen Weg zum König des Regenbogens, zur Burg am Ende der Welt, müssen Kim und seine Freunde – der Riese Gorg, der Bär Kelhim, der Golddrache Rangarig und Prinz Priwinn – zahlreiche packende Abenteuer bestehen. Und doch scheint der Sieg der schwarzen Ritter unabwendbar – bis Kim dem Schwarzen Lord ins Gesicht blickt. Was er dort sieht, wendet das Schicksal …

Ich gebe freimütig zu, bis ich 1985 erste Bekanntschaft mit Wolfgang Hohlbein machte, weil er, seine Familie und ich Nachbarn – und später Freunde – wurden, und mir seine Frau Heike „Märchenmond“ in die Hand drückte, war ich eher ein Gegner des Fantasy-Genres. Ich habe mich sowohl „Herr der Ringe“ als auch sonstigen Fantasy-Klassikern verweigert. Doch ich hatte gerade Urlaub und war neugierig, was der schreibende Nachbar so verfasst. Als ich im Auto in den sonnigen Süden saß – auf den unliebsamen Rang der Beifahrerin verwiesen –, dachte ich: Ach, risikiere doch einmal einen flüchtigen Blick in das Werk.

|Für alle, die das Träumen noch nicht verlernt haben!| war der erste Satz, der mir bei „Märchenmond“ ins Auge sprang. Und ich fühlte mich irgendwie angesprochen. Völlig zu Recht!

Dieser Roman war eines der Bücher, die mich zurück in meine (lesende) Kindheit versetzten. Hinzu kam der fesselnde und dennoch leichtfüßige Stil des Autors, von dem ich vorher nie etwas gehört, geschweige denn gelesen hatte. Und ich bin froh, dass das mit „Märchenmond“ ein Ende fand, denn seither lese ich jedes Hohlbeinbuch. Weniger, weil er anders ist als andere Autoren, sondern weil er einfach zu fabulieren versteht und den Leser mit auf eine Reise aus dem Alltag nimmt – in diesem Fall durch das Land Märchenmond. Sehr schnell ist man „mitten drin“, besteht Gefahren und Abenteuer in einem bunten, phantastischen Reigen von realen und weniger realen Charakteren und abenteuerlichen Schauplätzen. Umgeben von Drachen über Riesen, führt uns unser literarischer Weg bis an die Gläsernen Burgen.

Komme ich zurück zu meiner Beifahrerrolle, so war ich plötzlich dankbar dafür, denn ich konnte „Märchenmond“, einmal begonnen, nicht mehr aus der Hand legen. Und habe es auch nicht. Auch wenn ich nicht mehr zu der Zielgruppe gehörte. Doch „Märchenmond“ ist, wie alle anderen Hohlbein-Fantasywerke, ein Buch für jede Altersklasse. Ich bin der beste Beweis dafür.
Alle Charaktere sind so phantastisch und liebevoll angelegt, dass man sich sofort in dieses märchenhafte Land versetzt fühlt. Dieser klassische und phasenweise etwas traurige Fantasy-Roman bietet eine (wohl eher übliche) Handlung von Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, und Freundschaft – |aber| (und das unterscheidet ihn von vielen) vor allem eine Geschichte hinter der Geschichte, die (hoffentlich) zum Nachdenken anregt, über unsere Welt und den Sinn des Lebens. Denn er ist nicht nur spannend, sondern auch philosophisch durchwirkt – wenn man es vermag, zwischen den Zeilen zu lesen!

Ich habe „Märchenmond“ im Laufe der Jahre mehrmals gelesen und finde immer wieder neue Perspektiven und zähle nicht zu den Kritikern dieses Romans, die ihm zu starke Parallelen zu „Der Herr der Ringe“ vorwerfen. Im Gegenteil.
Und |wenn| man einen derartigen Vergleich zieht, muss ihn „Märchenmond“ auf keinen Fall scheuen. Ich halte jedoch derartige Vergleiche für ebenso überflüssig wie einen Kropf, weil sich alle neuen Kunstrichtungen an Klassikern orientieren. Warum nicht auch gute Literatur? Und dazu gehört „Märchenmond“ ohne Zweifel.
Ich kann nur jedem Leser empfehlen, sich selbst davon zu überzeugen!

http://www.maerchenmond.de

Brunhoff, Jean de – Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten, Die

Wie könnte man die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten besser veröffentlichen als im Jumboformat? Dieses Buch beeindruckt schon auf den ersten Blick durch sein großes Format, die schöne Leinenbindung und das niedliche Coverbild. Ich möchte denjenigen Elefantenliebhaber kennen lernen, der an diesem Buch vorbeigehen könnte – mir ist es nicht gelungen.

Jean de Brunhoff schuf in den Jahren 1931 bis 1937 mit Babar einen Klassiker, der auch heute noch die Herzen der Kinder und Kindgebliebenen höher schlagen lässt. Einst war es Jeans Frau, die den kleinen Elefanten als Gute-Nacht-Geschichte für ihre eigenen Kinder erfand, ihr Mann gab dem Elefanten schließlich einen Namen, zeichnete die Bilder dazu und machte sich dadurch unvergessen.

Diesen Monat veröffentlicht der |Diogenes|-Verlag eine Neuauflage der vier Geschichten um Babar und seine Familie im wunderschönen aber leider nicht ganz preisgünstigen Jumboformat. Doch mit diesen Büchern ergänzt man seine private Bibliothek mit vier Werken, die in keinem Haushalt fehlen sollten. An diesen Geschichten werden Jung und Alt ihre helle Freude haben.

„Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ bildet den Auftakt zu der kleinen Buchreihe um Babar und stellt uns den kleinen Helden genauer vor. Der Inhalt ist schnell erzählt, denn im Vordergrund der nur 47 Seiten kurzen Erzählung stehen eindeutig die Bilder. Babar lebt zusammen mit vielen Freunden und Bekannten im Dschungel, bis ein Jäger eines Tages seine Mutter erschießt. Traurig und verzweifelt beschließt der kleine Babar, dass er in die Stadt auswandern möchte. Dort angekommen, ist er begeistert von der modernen Technik und vor allem von der schicken Kleidung.

Babar trifft auf eine vornehme alte Dame, die ihm Geld schenkt, damit der kleine Elefant sich einkleiden kann. Doch als er im Kaufhaus ankommt, fasziniert ihn der Fahrstuhl so sehr, dass er so lange auf und ab fährt, bis der Liftboy es ihm verbietet. Anschließend sucht Babar sich einen schicken grünen Anzug mit einem passenden Hut aus. Als modischer Elefant freundet er sich auch mit der alten Dame an und lebt sein eigenes Stadtleben. Eines Tages jedoch trifft Babar zwei Bekannte aus dem Dschungel wieder, die sich in die Stadt verirrt haben, und langsam bekommt der kleine Elefant Heimweh …

Auf der Inhaltsebene passiert im Grunde genommen nicht viel in diesem allzu dünnen Buch, sodass auch kleine Kinder schon alles verstehen dürften, wenn sie die Geschichte von ihren Eltern vorgelesen bekommen. Darüber hinaus sind die Sätze sehr einfach formuliert, es gibt keinerlei komplizierte Wörter, lange Satzkonstrukte oder Ausschmückungen. Für ältere Leser mag sich dieser Schreibstil daher sehr spartanisch und ungeschickt anhören, aber die Geschichte vom kleinen Elefanten ist natürlich vornehmlich für jüngeres Publikum geschrieben. Das macht sich auch daran bemerkbar, dass der Text in Schreibschrift abgedruckt ist, wie Kinder sie in der Schule lernen. So eignet sich „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ nicht nur hervorragend zum Vorlesen, sondern auch zum Selbstlesen für ABC-Schützen, die sich alleine an die ersten Bücher heranwagen wollen.

Der Lerneffekt der erzählten Geschichte ist allerdings eher gering; nach dem Tod von Babars Mutter tauchen im Prinzip keine Schwierigkeiten mehr auf. Als Babar in die fremde Stadt kommt, trifft er sofort auf eine freundliche Dame, die ihm weiterhilft, und auch später löst sich vieles in Wohlgefallen auf. Die Geschichten um Babar sind daher nicht mit „Benjamin Blümchen“ zu vergleichen, der stets bei jedem Problem zur Stelle ist und den Kindern Werte wie Freundschaft und Hilfsbereitschaft vermittelt. „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ ist recht einfach gestrickt und lebt von ihren Bildern.

Zum leichteren Verständnis für die junge Leserschaft tragen die herrlichen Zeichnungen bei, die den Text wunderbar dokumentieren. Jean de Brunhoff schafft es überzeugend, Stimmungen auszudrücken, seinen Elefanten sieht man stets an, wie sie sich gerade fühlen. So entdecken wir einen betrübten Babar, der gerade seine Mutter verloren hat, aber am Ende auch einen optimistischen, erfahrenen und glücklichen Babar, der mit seiner Verlobten zurück in den Dschungel kehrt. Durch den Fünffarbdruck erhalten die Zeichnungen ihren ganz eigenen Charme, man merkt ihnen an, dass ein menschlicher Maler mit viel Liebe am Werke war und nicht nur ein Computer, der die Bewegungen und Mimiken der Figuren simuliert hat. Heutzutage wären solche Zeichnungen natürlich viel perfekter und lebensechter, doch meiner Meinung nach wäre das dem Gesamteindruck gar nicht zuträglich. Babar ist genau so perfekt, wie wir ihn in diesem Buch bewundern dürfen.

Die Bilder sind bis ins kleinste Detail ausgestaltet; schauen wir uns zum Beispiel [Babar als modisch gekleideten Elefanten]http://www.celesteville.com/images/bafterdinner.jpg an, dann bemerken wir, dass sich mit seiner neuen Kleidung sogar seine Körperhaltung verändert hat. Er steht aufrecht und stolz da und steckt vornehm seine Hand in die Hosentasche. Ich wünschte, ich könnte so gut zeichnen!

Auch etwa 70 Jahre nach seiner Geburtsstunde ist Babar immer noch lesenswert und eine Bereicherung für jede Büchersammlung; dieses Buch dürfte an Weihnachten so manches beschenkte Kind glücklich machen. Bei mir wird „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ jedenfalls einen Ehrenplatz einnehmen und ganz sicher keinen Staub ansetzen. Denn dieses Buch muss man immer wieder durchblättern, schon weil die Bilder allerliebst sind.

Wer sich selbst von der Schönheit der Zeichnungen überzeugen möchte, sollte dies [hier]http://www.celesteville.com/ tun.

Sage, Angie – Septimus Heap – Magyk

Im Fahrwasser von „Harry Potter“ erleben Fantasybücher für Kinder einen Boom, den man vor einigen Jahren wohl kaum für möglich gehalten hätte. Alles, was nur irgendwie mit Magie und Zauberei zu tun hat, erlangt in der Kinderbuchsparte hohe Aufmerksamkeit und hat Bestsellerpotenzial. Beispiele sind die Verkaufsschlager „Eragon“ und [„Bartimäus“. 353 Nun gesellt sich eine neue Fantasyfigur dazu, die bei ihrer Erstveröffentlichung in den USA glatt Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times erstürmte: „Septimus Heap“. Auch „Septimus Heap – Magyk“ hat Hitpotenzial und das nicht nur, weil es sich um den ersten Teil einer Trilogie handelt, sondern auch, weil die Autorin Angie Sage hier eine recht eigenständige und absolut kindgerechte Fantasywelt erschaffen hat.

Septimus Heap ist der siebte Sohn eines siebten Sohnes und das ist etwas ganz Besonderes, denn als solcher verfügt er über besondere magische Kräfte. Doch Septimus Heap wurde bereits am Tag seiner Geburt ein tragisches Schicksal zuteil. Als vermeintlich toten Säugling entführt die Oberhebamme ihn. Seine Familie glaubt auch Jahre später noch, dass der Junge am Tag seiner Geburt gestorben ist. Sein Schicksal bleibt verborgen.

Doch am gleichen Tag wurde in der Burg noch ein Kind geboren, das ein ebenso tragisches Schicksal erleidet: Die Tochter der Königin, deren Mutter am Tag der Geburt ermordet wird. Das Kind wird dank der Geistesgegenwart der beim Mord anwesenden Zauberin Marcia Overstrand verschont. Sie versteckt das Kind, das wenig später von Silas Heap, dem Vater von Septimus, gefunden wird. Die Zaubererfamilie Heap nimmt das Kind unbekannter Herkunft bei sich auf.

Zehn Jahre nach dem Mord an der Königin haben längst andere das Sagen im Land und die junge Jenna Heap, wie die Königstochter mittlerweile heißt, ist in Gefahr. Der Oberste Wächter, der die Macht an sich gerissen und die Zauberei verboten hat, ist auf der Suche nach dem Kind der Königin. Er weiß, dass es lebt, und dank einer Spionin weiß er nach zehn Jahren endlich auch wo. Die Familie Heap ist in großer Gefahr. Marcia, die mittlerweile zur Außergewöhnlichen Zauberin und damit zur wichtigsten Zauberin im Land aufgestiegen ist, nimmt sich der Sache an und bringt zusammen mit Silas das Königskind in Sicherheit. Für Jenna, die Familie Heap und Junge 412 von der Jungarmee, dem Marcia während ihrer Flucht das Leben rettet, beginnt damit ein aufregendes und ereignisreiches Abenteuer außerhalb der Burgmauern …

„Septimus Heap“ ist in vielerlei Hinsicht eine recht klassische Fantasygeschichte. Es gibt die altbekannte Schwarz/Weiß-Skizzierung der Welt, mit guter und böser Magie. Es gibt den altbekannten Kampf zwischen den guten (vertreten von Marcia Overstrand) und den dunklen Mächten (vertreten von DomDaniel, dem dunklen Magier und seinen Helfershelfern rund um den Obersten Wächter). Ähnlich wie beim „Herr der Ringe“ überschattet eine dunkle Bedrohung die Welt. Die dunklen Mächte strecken ihre Finger nach der absoluten Herrschaft aus.

DomDaniel thront über all dem als dunkler Mythos und ähnelt damit der Figur des Voldemort aus den „Harry Potter“-Büchern. Es findet sich so manche Parallele zu bekannten Fantasyerzählungen, und als Leser mag man erst einmal laut aufstöhnen, als Junge 412 während der abenteuerlichen Reise mit Marcia und den Heaps ganz zufällig auf einen mysteriösen magischen Ring stößt. Dennoch, „Septimus Heap“ als Abklatsch erfolgreicher Fantasyromane zu sehen, täte der Sache großes Unrecht.

Angie Sage schafft eine Welt, die recht eigenständig wirkt. Anders als bei „Harry Potter“ ist Sages Welt in sich geschlossen. Es besteht keinerlei Bezug zum Hier und Jetzt. Die Welt wirkt eher wie etwas Vergangenes. Manche Schilderungen erinnern an mittelalterliche Geschichten, insbesondere die Schilderungen des Lebens innerhalb der Burgmauern. Sage serviert also quasi ein Mittelalter mit einer saftigen Prise Magie.

Was man als Leser von vorneherein nicht vergessen darf ist, dass „Septimus Heap“ ein Kinderbuch ist. Wenn man die Handlung als Erwachsener relativ leicht durchschaut, dann kann man das schwerlich der Autorin ankreiden, nur weil sie, anders als beispielsweise J. K. Rowling, eine recht eng umrissene Zielgruppe hat. Wer mit einer Harry-Potter-Erwartungshaltung an die Lektüre von „Septimus Heap“ geht, der könnte somit enttäuscht sein, aber das macht das Buch nicht schlechter. „Septimus Heap“ ist eben ein „echtes“ Kinderbuch und damit auch wirklich in erster Linie für Kinder zwischen 10 und 12 Jahren geeignet.

Die Sprache ist recht einfach und leicht verständlich gehalten. Sage erzählt aber nicht nur kindgerecht, sondern auch auf sehr liebevolle Art und mit einem Augenzwinkern. Immer wieder regen Szenen zum Schmunzeln an, immer wieder erheitert Sage den Leser mit kleineren Tollpatschigkeiten der Figuren, mit witzigen Wendungen der Geschichte und einer feinen Prise Ironie.

Gleichzeitig entwickelt das Buch (zumindest für die junge Leserschaft) auch eine gewisse Spannung. Die Flucht von Marcia, Silas, Junge 412, Jenna und ihrem Halbbruder Nicko ist schon recht spannungsgeladen. Die Verfolger sind ihnen dicht auf den Fersen. Das Tempo der Handlung wird dadurch stetig angeheizt. Auch wenn der Handlungsverlauf für den erwachsenen Leser eher wenige Überraschungen bietet, so dürfte das Buch für Kinder durchaus fesselnd sein.

Wenn ich so an meine eigenen Kindertage zurückdenke, bin ich mir sicher, dass ich „Septimus Heap“ geliebt hätte. Es ist phantasievoll, gewitzt und spannend zugleich und damit für den kindlichen Leser hochgradig unterhaltsam. Hätte es das Buch damals schon gegeben, Angie Sage hätte gute Karten gehabt, Astrid Lindgren in meiner persönlichen Gunst den Rang abzulaufen.

Was „Septimus Heap“ obendrein so gelungen abrundet, sind die Figuren. Sage spickt ihre Handlung nicht nur mit einer intensiven Atmosphäre und phantasievollen Einfällen, sondern erschafft auch Figuren, die dem Leser schnell ans Herz wachsen. Von den Hauptfiguren geht viel Sympathie aus, die den Leser ansteckt. Man fiebert dadurch mit den liebevoll skizzierten Hauptfiguren mit. Liebenswert kehrt Sage die Macken der einzelnen Figuren heraus, besonders bei Marcia Overstrand und Silas Heap, und so, wie man über die Figuren schmunzelt, fühlt man auch mit ihnen.

Man kann „Septimus Heap – Magyk“ letztendlich gleichzeitig als Einzelwerk betrachten wie auch als Auftakt zu einer Trilogie. Die Handlung ist in sich relativ abgeschlossen, wenngleich der neugierige Leser natürlich wissen will, wie sich die Figuren weiterentwickeln und wie die Geschichte weiterverläuft. Man gewinnt halt nicht nur die Hauptfiguren lieb, sondern auch all die phantasievollen Geschöpfe, die in Angie Sages Welt sonst noch so herumgeistern: fleißige, gewissenhafte Botenratten, gutmütige Boggarts, pflichtbewusste, loyale Panzerkäfer und gemütliche, handzahme Steintiere.

Alles in allem ein gelungenes und phantasievolles Kinderbuch, das sich nicht hinter anderen Fantasywerken im Kinderbuchbereich zu verstecken braucht. Angie Sage weiß den Leser zu unterhalten. Die Figuren sind allesamt sympathisch (logischerweise abgesehen von den Bösewichten) und Sages Erzählstil ist leicht verständlich, aber auch mit einer gewissen Portion Witz ausgestattet. Fazit: schöne, kindgerechte Fantasyliteratur für Kinder und Junggebliebene, die neben anderen Werken wie [„Eragon“, 1247 „Harry Potter“ und Co. durchaus ihre Daseinsberechtigung hat. Wenn einem solche Bücher in die Hände fallen, möchte man gerne noch einmal Kind sein.

Website zum Buch: [septimusheap.de]http://www.septimusheap.de

Lewis, Clive Staples – König von Narnia, Der (Die Chroniken von Narnia, Band 2)

Rechtzeitig vor Kinostart des gleichnamigen Walt-Disney-Films „Der König von Narnia“ bringt der |Brendow|-Verlag dieser Tage erneut die immer wieder gern aufgelegten „Chroniken von Narnia“ neu auf den Markt, dieses Mal jedoch in einer sehr schön und aufwendig gestalteten Taschenbuch-Edition, bei der ganz abseits der Handlung zunächst die schöne Covergestaltung gefällt. Die Geschichten von Clive Staples Lewis sind ja bereits vor einem halben Jahrhundert erschienen und erfreuen sich seitdem auch größter Beliebtheit, weshalb es schon fraglich ist, warum sich bislang noch keine Company um die Filmrechte gekümmert hatte. Vermutlich brauchte es erst die Pionierarbeit der „Herr der Ringe“-Trilogie, die ja auf Tolkiens Werk basiert, der interessanterweise auch ein Freund von Prof. Lewis war. Wie auch immer, der aus sieben Büchern bestehende Zyklus gehört definitiv zu den Klassikern der Märchen- und Fantasy-Literatur und kann sich auch im Jahre 2005 noch erfolgreich behaupten.

_Story:_

Peter, Edmund, Suse und Lucy wohnen im Haus eines seltsamen Professors und erkunden jeden Tag neue Winkel dieser verzweigten Räumlichkeiten. Eines Tages entdeckt Lucy beim Versteckspiel in einem unscheinbaren Schrank das Tor in eine andere Welt, in der sie den unglücklichen Faun Tumnus trifft, der im Auftrag der bösen Hexe Kinder fangen soll, Lucy aber trotz der drohenden Strafe doch wieder gehen lässt. Als Lucy schließlich wieder in die ’normale‘ Welt zurückkehrt, will ihr natürlich niemand ihr Erlebnis glauben, zumal dort die Zeit nicht weitergelaufen ist. Als kurze Zeit später jedoch auch Edmund die Welt Narnia entdeckt und dort Bekanntschaft mit der gutmütig erscheinenden Hexe macht, sieht die Sache schon anders aus. Auch wenn sich die Kinder gegenseitig in den Rücken fallen, kommen sie schließlich doch hinter das Geheimnis des Wandschranks und landen alle in Narnia.

Dort finden sie heraus, welche Missstände durch den Machtmissbrauch der Hexe vorherrschen, und freunden sich recht schnell mit den Tieren aus Narnia an, die sich vor der Hexe fürchten, sich aber zugleich durch die Ankunft Aslans neue Hoffnungen machen. Dieser legendäre Löwe ist der Einzige, der der Hexe noch Paroli bieten kann, und dementsprechend sieht diese sich auch vor dem erhabenen Löwen vor.

Vor seiner Ankunft lernen die vier Kinder aber erstmal eine Biberfamilie kennen und leben kurzzeitig bei ihr, bis Edmund sie dann aus reiner Begierde nach der Erfüllung der Versprechen der Hexe verrät und verschwindet. Von da an sind alle Lebewesen in Narnia in Gefahr, denn jetzt weiß die Hexe von der Existenz der vier Kinder und droht, sie umzubringen. Nur Aslan kann noch für Gerechtigkeit sorgen, doch dieser erklärt sich überraschend bereit, sich dem Bösen zu opfern, um für Frieden in Narnia zu sorgen. Die Hexe wähnt sich bereits siegessicher, doch nach Aslans offenbarem Tod hat sie noch lange nicht freie Bahn …

„Der König von Narnia“ ist in dieser Reihe der zweite Band (im Original jedoch der erste; die neu festgelegte Erzählreihenfolge richtet sich nach einer Empfehlung, die Prof. Lewis aussprach) und demnächst wahrscheinlich auch der populärste, denn die Geschichte um den Wandschrank und die Entdeckung Narnias durch die vier Kinder wird schließlich von Walt Disney mit dem bislang größten Filmbudget der Firma verfilmt. Eine gute Wahl, wie ich finde, denn die Romanvorlage gibt eine Menge her und sollte die Phantasie merklich anregen. Auch wenn die Elemente wie sprechende Tiere, eine mit böser Magie ausgestattete Hexe und schließlich ein Löwe als Beschützer der Gerechtigkeit in Fantasy-Romanen immer wieder eingesetzt werden, so erreicht C. S. Lewis mit seiner schlichten, umangssprachlichen und überaus lockeren Erzählweise sein Publikum sofort.

„Der König von Narnia“ ist nun einmal ganz klar ein Buch für Kinder und Jugendliche, und in diesem Stil hat der Autor die Geschichte dann auch verfasst. So ist die Handlung nicht zu komplex und leicht verständlich, nicht mal ansatzweise brutal und irgendwie auch anders als das, was man sonst in diesem Bereich so zu lesen bekommt. Fantasy sollte da sein, um Träume zu wecken und die Vorstellung von Übersinnlichem zu erweitern, zumindest ist das meine Ansicht dazu, und getreu diesem Maßstab hat Lewis auch diesen Zyklus entstehen lassen. Das ist der Stoff, aus dem Märchen gemacht sind, und auch wenn die Geschichte bereits ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat, so wirkt sie dennoch modern und aktuell.

Eine Geschichte über Freundschaft, Treue, Liebe, Glauben und all das, was das phantasievolle Kinderherz beschäftigt. Das soll natürlich nicht heißen, dass man dieses Buch als Erwachsener nicht lesen dürfte, denn ich kann jetzt aus eigener Erfahrung berichten, dass ich diese erste Erzählung regelrecht verschlungen habe und mich neben dem Inhalt vor allem am frischen Erzählstil erfreut habe. Daher rate ich auch all denjenigen, die noch keinen Einblick in diesen Siebenteiler hatten, zumindest diesen Band vor dem Kinostart des Filmes zu lesen, denn es macht wirklich Spaß, Clive Staples Lewis‘ Worten und Geschichten zu folgen.

Die Reihe in der Erzählfolge:
* 1956 Das Wunder von Narnia (engl. The Magician’s Nephew)
* 1950 Der König von Narnia (engl. The Lion, the Witch and the Wardrobe)
* 1954 Der Ritt nach Narnia (engl. The Horse and His Boy)
* 1951 Prinz Kaspian von Narnia (engl. Prince Caspian)
* 1952 Die Reise auf der Morgenröte (engl. The Voyage of the Dawn Treader)
* 1953 Der silberne Sessel (engl. The Silver Chair)
* 1956 Der letzte Kampf (engl. The Last Battle)

Veröffentlichungsreihenfolge:
* 1950 Der König von Narnia (engl. The Lion, the Witch and the Wardrobe)
* 1951 Prinz Kaspian von Narnia (engl. Prince Caspian)
* 1952 Die Reise auf der Morgenröte (engl. The Voyage of the Dawn Treader)
* 1953 Der silberne Sessel (engl. The Silver Chair)
* 1954 Der Ritt nach Narnia (engl. The Horse and His Boy)
* 1956 Das Wunder von Narnia (engl. The Magician’s Nephew)
* 1956 Der letzte Kampf (engl. The Last Battle)

Website des Verlags zur Narnia-Welt: http://www.narnia-welt.de/

|Siehe auch unsere Rezension zur [Hörbuchfassung 356 dieses Bandes.|

Gaiman, Neil / McKean, Dave – Wölfe in den Wänden, Die

Neil Gaiman ist ein faszinierend vielseitiger Autor. Er schreibt für Erwachsene wie auch für Kinder, er schreibt Romane, Bilderbücher und Comics und zeichnet sich dabei immer wieder durch eine blühende Phantasie aus. Skurrile Figuren, sonderbare Halbwelten, irgendwo zwischen (Alb-)Traum und Wirklichkeit – das sind Gaimans unverkennbare Stärken.

Auch „Die Wölfe in den Wänden“ passt da ins Konzept und ist doch ein gänzlich eigenständiges Werk: Ein Bilderbuch, das dank der Illustrationen von Dave McKean ein so schöner visueller Augenschmaus ist, dass man es gerne mehrmals zur Hand nimmt, auch wenn die Geschichte schnell erzählt ist.

Lucy lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem alten Haus. Immer wieder hört sie aus den Wänden merkwürdige Geräusche und glaubt zu wissen, wer dafür verantwortlich ist: Wölfe, die in den Wänden wohnen. Natürlich glaubt ihr niemand. Was soll dort schon durch die Wände krabbeln? Mäuse vermutlich, schlimmstenfalls Ratten, aber doch keine Wölfe!

Doch eines Nachts wird die Familie eines Besseren belehrt und es passiert genau das, was Lucy befürchtet hat: Die Wölfe kommen aus den Wänden. Die Familie flieht in Panik in den Garten, fügt sich ohne Widerspruch in ihr Schicksal und überlässt den Wölfen das Feld. Jedes Kind weiß schließlich, dass alles vorbei ist, wenn die Wölfe aus den Wänden kommen. Nur Lucy ist nicht bereit, das lieb gewonnene Heim aufzugeben. Sie will nicht tatenlos mit ansehen, wie die Wölfe die Herrschaft über das Haus übernehmen. Also schmiedet Lucy einen Plan …

„Die Wölfe in den Wänden“ klingt zunächst einmal wieder nach einem Märchen mit typisch Gaiman’schem Gruselfaktor. Ähnlich wie bei [„Coraline“,]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=1581 steht im Mittelpunkt der Handlung ein kleines Mädchen, das sich dem Schrecken in den eigenen vier Wänden stellt. Scheinbar furchtlos stellt sich Lucy den Wölfen entgegen, ähnlich furchtlos, wie Coraline den Kampf mit der falschen Mutter aufnimmt. Doch während Coraline sich auf ein Kräftemessen mit ungewissem Ausgang einlassen muss, ist das Problem für Lucy schnell beseitigt, nachdem es erst einmal angegangen wird.

„Die Wölfe in den Wänden“ ist eben nur ein 56-seitiges Bilderbuch und kann somit kaum die erzählerische Komplexität eine Romans erreichen. Gaiman erzählt von Lucys Kampf gegen die Wölfe in wenigen, aber durchaus einprägsamen Worten. Auch wenn sich die Geschichte auf den ersten Blick nicht unbedingt durch eine erzählerische Tiefe auszeichnet, so liegt in den wenigen Seiten mit den intensiven Bildern und den punktgenauen Sätzen dennoch eine unverkennbare Botschaft, aus der der Leser seine Lehren ziehen kann.

Während Lucys Eltern sich in ihr Schicksal fügen, ohne etwas gegen die Invasion der Wölfe unternehmen zu wollen, während sie sich erst gar keine Hoffnungen machen, die enttäuscht werden könnten, weil ja alle sagen, dass es sich nicht lohnt, sich Hoffnungen zu machen, zeigt Lucy, dass man mit Mut und Tatendrang etwas bewegen kann. Sie zeigt, dass sich bestimmte ideelle Werte nicht so einfach ersetzen lassen, dass es sich lohnt, um das zu kämpfen, was einem am Herzen liegt.

Bilder und Text vermitteln die enthaltene Botschaft sehr eindringlich. Die sprachlichen und die visuellen Mittel fügen sich sehr überzeugend zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Es ist nicht die erste Zusammenarbeit von Neil Gaiman und Dave McKean, und dass die beiden sich sehr gut ergänzen, macht „Die Wölfe in den Wänden“ zu einem besonderen Lesevergnügen.

McKeans Zeichnungen sind gleichzeitig sonderbar realistisch und plakativ. Gesichter wirken ein wenig zweidimensional, teilweise blass oder gar leer, dennoch wird Lucys Angst vor den Wölfen, die sie in den Wänden hört, greifbar. Einzelne Bildbestandteile sind Fotos entliehen und sie geben den Zeichnungen ihren teils sonderbar realistischen Charakter. Unterbrochen wird dieser Stil immer wieder von wüsten Schraffuren, die den Ausbruch der Wölfe begleiten. Die Farben sind insgesamt eher düster gehalten, so dass die Geschichte durchaus eine unheimliche und finstere Seite entwickelt. McKeans Stil ist schon eigenwillig und von einer Art, die den Grusel der skurrilen Halbwelten im Stile eines Neil Gaiman sehr gut ergänzt.

Was bei der Lektüre indes nicht so ganz klar wird, ist die Zielgruppe des Buches. Von der Einfachheit der Texte und der Botschaft der Geschichte ausgehend, ist „Die Wölfe in den Wänden“ durchaus eine kindgerechte Erzählung. Sie enthält sicherlich einige Szenen, bei denen so manches Kind sich fürchten mag, ist aber insgesamt nicht ganz so gruselig wie „Coraline“, das Gaiman ebenfalls für Kinder geschrieben hat. Der Verlag hält sich mit Altersangaben bedeckt und bietet bei einer Orientierung somit keine Hilfestellung, dennoch erscheint mir „Die Wölfe in den Wänden“ eher als ein Märchen für Kinder, das auch Erwachsene lesen können, als dass es auf eine ältere Zielgruppe zugeschnitten ist.

Etwas bedauerlich bleibt, dass das Lesevergnügen aufgrund der Kürze der Geschichte so schnell vorbei ist. Das ist umso bedauerlicher, wenn man den doch sehr hohen Preis von € 18,- für dieses dünne Büchlein im Hinterkopf behält. Der dürfte vermutlich dafür sorgen, dass „Die Wölfe in den Wänden“ einen geringeren Bekanntheitsgrad erlangen wird, als das Buch eigentlich verdient hätte.

„Die Wölfe in den Wänden“ ist ein schönes, faszinierendes, eigenwilliges und skurriles Bilderbuch. Ein Märchen mit dem gewissen Etwas und eine Geschichte, die eine unverkennbare Botschaft transportiert. Ein Büchlein, das gleichermaßen für Kinder wie für Erwachsene geeignet ist, und eine Geschichte, über die man am Ende nachdenken und reden kann. Nur schade, dass das Buch aufgrund des hohen Anschaffungspreises wohl höchstens eingefleischte Gaiman-Fans erreichen wird. Wirklich schade, eigentlich.

Baltscheit, Martin / Schwarz, Christine – Ich bin für mich

Lesen ist wieder „in“: Wenn Elke Heidenreich im Fernsehen Buchtipps gibt und mit glänzenden Augen von ihren Lieblingsbüchern berichtet, dann verkaufen sich diese Bücher daraufhin meist erstklassig. Verfolgt man im Anschluss an ihre Sendung „Lesen!“ die Bestsellerlisten, so wird sich der Großteil ihrer Empfehlungen recht weit oben anfinden, so auch „Ich bin für mich“, ein nur 40-seitiges Bilderbuch mit wenig Text, das in Deutschland aktueller denn je ist. Denn bei den Tieren herrscht Wahlkampf, genau wie bei uns.

Alle vier Jahre wird im Reich der Tiere der Löwe einstimmig zum König gewählt, doch in diesem Jahr kommt alles anders. Die kleine Maus muckt nämlich auf und beschwert sich, dass es immer nur einen Kandidaten gäbe und man somit ja kaum von einer Wahl sprechen könne. Daraufhin beschließen die Tiere, weitere Kandidaten aufzustellen. Aus jeder Tiergruppe tritt jemand vor, um eine flammende Wahlkampfrede zu halten. So versprechen die Mäuse, dass von nun an keine Katze mehr eine Maus verspeisen solle, sondern dass es andersrum kommen werde. Wird die Maus gewählt, dann jagen fortan die Mäuse die Katzen. Die Katze verspricht das genaue Gegenteil, nämlich dass es nie mehr an Mäusefleisch mangeln solle und dass die Jagd auf die Maus eröffnet sei. Auch der Karpfen schwingt sich zu einer Rede auf, wird unter Wasser aber von niemandem verstanden. Der Strauß zeichnet blühende Bilder seiner kommenden Regentschaft, möchte einen teuren Flughafen mit allerlei Schnickschnack erbauen lassen, steckt aber schnell den Kopf in den Sand, als jemand sich anmaßt, danach zu fragen, wie das denn finanziert werden solle. Auch bei den Tieren läuft es also nicht viel anders als bei uns Menschen.

Der Tag der Wahl rückt näher und bringt ein überraschendes Ergebnis (vertrauenswürdig durch den Maulwurf ausgezählt …), denn jedes Tier – außer dem Löwen – hat für sich selbst gestimmt. Fortan regieren daher mehrere Könige gleichzeitig, das Chaos ist vorprogrammiert …

In wunderschönen und mehr als treffenden Bildern präsentieren uns Martin Baltscheit und Christine Schwarz eine vordergründig so lustige Geschichte, die uns zum Schmunzeln bringt, aber auch eine Geschichte, hinter der sich mehr verbirgt. „Ich bin für mich“ überzeichnet die Problematik im Wahlkampf zwar deutlich und verkürzt alles auf nur knapp 40 Seiten, doch erkennt der Leser viele wirkliche Probleme wieder. Dort lassen sich nämlich Tiere bzw. Tierparteien aufstellen, die nur ihre eigenen Interessen vertreten wollen und die natürlich auch im krassen Gegensatz zu den Interessen einer anderen Partei stehen. So sind die Schwierigkeiten natürlich vorprogrammiert, wenn am Ende die Mäuse neben den Katzen herrschen, denn ihre beiden Wahlversprechen sind nicht miteinander vereinbar. Auch bei den Tieren werden also mitreißende Reden geschwungen, die für die potenziellen Wähler das Paradies auf Erden versprechen, aber nicht so weit denken, wie das denn finanziert werden solle oder wie realistisch solche Pläne überhaupt sein können. Zunächst geht es nur darum, genug Wähler zu überzeugen und die Wahl zu gewinnen. Erst im Anschluss bemerken die Tiere, dass es solcherart wohl doch nicht geht, denn im Tierreich bricht die Anarchie aus.

„Ich bin für mich“ vermittelt in Grundzügen das Prinzip der Demokratie, und die kleine Maus ist es in diesem Buch, die bemerkt, dass man von einer richtigen Wahl gar nicht sprechen könne, wenn es gar keinen Gegenkandidaten gibt. Da ist wohl etwas Wahres dran. Zwar könnte man den Löwen immer noch abwählen, aber wenn das Tierreich dann unregiert wäre, kämen ganz andere Probleme auf die Tiere zu. Was also tun? Die Lösung ist ganz einfach: Neue Kandidaten müssen her und werden auch schnell gefunden. Aber der Lernprozess für die Tiere ist bitter, denn die erste Lösung ist offensichtlich auch nicht die beste, wenn am Ende jeder Kandidat genau eine Stimme bekommt und somit auch kein eindeutiger König gefunden ist. Und wieder ist es die kleine Maus, die auf den Plan tritt und versucht, die Situation im Tierreich wieder in den Griff zu bekommen. Auch dort scheinen Neuwahlen die einzige Lösung zu sein. Ohne Mehrheit regiert es sich offensichtlich selbst bei den Tieren schlecht.

Auf amüsante Weise und mit einem Augenzwinkern dargeboten, führen uns die Tiere vor, wie man es besser nicht machen sollte. „Ich bin für mich“ ist dabei durchweg farbig bebildert und macht somit auch einfach Spaß beim Durchblättern, selbst wenn man den Text dabei nicht liest. Dabei verdeutlichen die Bilder auf eindrucksvolle Weise in der Mimik und Gestik der Tiere, wie diese sich fühlen und was sie momentan denken. So sieht man beispielsweise auf dem ersten Bild den glücklichen Löwen, wie er stolz seine Krone trägt und in den Händen einen Bierkrug und eine angebissene Bockwurst hält, die es zur Feier seiner Wiederwahl gab. Auf einem anderen Bild erscheint uns der Löwe dagegen ängstlich, als er das professionelle Wahlplakat der Mauspartei entdeckt, das sein eigenes Plakat deutlich übertrifft. Nach der verloren gegangenen Wahl ist der Löwe in bedrückter Pose auf einer Wiese abgebildet, dieses Mal jedoch ohne seine Krone. Immer unterstreichen die Bilder auf treffende Weise den nebenstehenden Text. Herzallerliebst sieht auch das kahle Schaf aus, das für sein Recht auf Wolle plädiert und darauf besteht, dass fortan Pullover selbst gestrickt werden müssen. Der Schäferhund dagegen, der für Recht und Ordnung steht, zeichnet sich durch einen strengen und fast schon gemeinen Gesichtsausdruck aus. Alle Bilder sind wirklich sehr gelungen und tragen zum schönen Gesamteindruck des Buches bei.

Geeignet ist „Ich bin für mich“ für Jung und Alt, wobei Kinder sicherlich die Hintergründe nicht so gut verstehen können, sich aber dennoch an den hübschen Bildern erfreuen können. Auch wenn der Preis für die wenigen Seiten recht hoch erscheint, so rechtfertigen die schönen Zeichnungen und das Din-A4-Format des Buches diesen doch wieder. Das Buch ist sehr schnell durchgelesen und durchgeblättert, doch nach dem ersten Durchlesen und einer kleinen Überraschung am Buchende beginnt man eigentlich gleich von vorne, um alle Bilder nochmals genau unter die Lupe zu nehmen. „Ich bin für mich“ ist ein Buch, das gerade hochaktuell ist und damit umso empfehlenswerter, zumal man es immer wieder gerne durchblättert. Ausnahmsweise kann ich mich Elke Heidenreich daher nur anschließen: „Ich bin für mich“ sollte man definitiv lesen!

Farmer, Nancy – Skorpionenhaus, Das

Eine düstere Version der Zukunft skizziert Nancy Farmer in ihrem Roman „Das Skorpionenhaus“. Fortschreitende biotechnologische Entwicklung, Klonen, Organhandel, ausbeutende Gesellschaftsstrukturen, Umweltverschmutzung und ungerechte politische Machtstrukturen thematisiert Farmer in ihrer Geschichte und legt damit den Finger in die Wunden unserer Zeit. „Das Skorpionenhaus“ wirft für ein Jugendbuch überraschend viele Fragen und Gedanken auf, ist vielschichtig und komplex und obendrein spannend. Kein Wunder, dass ein solches Werk nicht unbemerkt bleibt. In den USA konnte Nancy Farmer den |National Book Award| einstreichen, hierzulande gab’s noch den renommierten deutschen Jugendbuchpreis „Buxtehuder Bulle“ obendrauf.

„Das Skorpionenhaus“ erzählt die Geschichte von Matt Alacrán. Matt ist kein gewöhnliches Kind. Matt ist ein Klon des Drogenbarons und Diktators Matteo Alacrán, auch El Patrón genannt. El Patrón hat an der Grenze zwischen Atzlan (heute wohl eher unter dem Namen Mexiko geläufig) und den USA ein eigenes Imperium aufgebaut. Im Volksmund heißt sein Land Opium und der Name ist Programm. El Patrón beliefert von seinen Ländereien aus die ganze Welt mit Opium und hat damit ein Vermögen verdient. Als Patriarch ist El Patrón gefürchtet und an Macht hat er nichts eingebüßt, auch wenn er mittlerweile über 140 Jahre alt ist.

In diesem Land wächst Matt auf und hat als Klon ein schweres Leben. Niemand respektiert ihn; wo er hinkommt, löst er bestenfalls Missfallen, schlimmstenfalls gar Ekel aus. Viele zählen ihn eher zum Vieh, als dass sie einen Mensch in ihm sähen. Nur einer hält zu ihm: El Patrón, der den Jungen hütet wie seinen Augapfel. Kontakt hält er außerdem zu der kleinen María, die ihn zwar auch nicht unbedingt als Menschen ansieht, ihn aber wenigstens zu respektieren scheint.

Je älter Matt wird, desto mehr hinterfragt er seine Existenz. Hat er eine Seele? Kommt er in den Himmel, wenn er stirbt? Als El Patróns Gesundheitszustand sich verschlechtert, findet Matt heraus, was der Sinn seines Lebens ist und er hat nur eine Chance: Flucht. Doch die Grenzen werden von der brutalen Farmpatrouille bestens bewacht. Hat Matt eine Chance?

Die Thematik, die Nancy Farmer in ihrem Roman anschneidet, birgt einige Brisanz. Farmer wirft eine Haufen ethischer Fragen auf. Das Klonen ist ein Aspekt davon, aber längst noch nicht das Ende vom Lied. Die Bewirtschaftung von El Patróns Farm erfolgt recht altmodisch, in Handarbeit. Doch es sind keine Menschen, die diese Arbeiten übernehmen, sondern „Migits“. Die „Migits“ sind willenlos gemachte Menschen, denen ein Computerchip eingepflanzt wurde. Ihre Fähigkeiten sind eng begrenzt, aber sie führen jeden Befehl aus und empfinden weder Hunger noch Müdigkeit. „Migits“ werden als ebenso verabscheuungswürdig angesehen wie Klone, und Matt wird oft auf eine Stufe mit ihnen gestellt.

So hat Matt sichtbare Schwierigkeiten, seine eigene Existenz zu definieren. Er ist den Menschen bis ins Detail ähnlich, soll aber dennoch nicht mehr als ein „Migit“ sein. María sieht ihn in etwa auf einer Stufe mit ihrem Schoßhund Fellball und auch dieser Vergleich kann für Matt nur neue Fragen aufwerfen. Während beispielsweise Charlotte Kerner, die sich in „Blueprint“ ebenfalls auf Ebene eines Jungendbuches mit dem Thema Klonen befasst, eher die Probleme der persönlichen Abgrenzung zwischen dem Klon und seinem älteren Ebenbild in den Mittelpunkt rückt, geht es bei Nancy Farmer eher darum, wie der Klon sich gegenüber den normalen Menschen definiert. Für Matt stellt sich das Problem der Abgrenzung seiner eigenen Persönlichkeit zu El Patrón gar nicht erst.

Während bei „Blueprint“ das Klonen eher aus narzisstischen Motiven vollzogen wurde, sind die Gründe bei Nancy Farmer wesentlich pragmatischer. Es geht um das Bereithalten von Ersatzteilen im Falle einer gesundheitlichen Reparaturbedürftigkeit, und bis Matt dies erfasst hat, scheint es schon fast keine Rettung mehr für ihn zu geben. Sein verzweifelter Versuch, seinem vorbestimmten Schicksal zu entrinnen, macht den wichtigsten Teil der Spannung des Romans aus.

Doch Klonen, Gentechnik, Organhandel sowie deren moralische Fragwürdigkeit sind nicht die einzigen Punkte, in denen „Das Skorpionenhaus“ nachdenklich stimmt. Die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Strukturen sind genauso wie die politischen Machtverhältnisse in vielen Punkten fragwürdig. Ausbeutung von Arbeitskräften, Flüchtlinge, die zu Sklaven werden, und Kinderarbeit sind in Nancy Farmers Welt an der Tagesordnung. Auch die Umwelt ist arg in Mitleidenschaft gezogen. Flüsse sind verseucht, ganze Meeresbuchten ausgetrocknet, Chemieabfälle sorgen für Probleme – in gewisser Hinsicht ist Farmers Szenario ein Produkt, das aus dem Hier und Jetzt resultiert und damit indirekt die Probleme unserer Zeit anprangert.

Das mutet allesamt sehr düster an. Eine Zukunft, in der das Negative überwiegt, wird zu einem beklemmenden Szenario ausgestaltet. Doch Farmers Zukunftsvision ist nicht durchweg pessimistisch. Inmitten all der fragwürdigen und schlechten Gegebenheiten ist auch immer wieder Platz für Wärme, Hoffnung und zwischenmenschliche Begegnungen. Auch Matt wird geliebt – besonders von Celia, die ihn aufgezogen hat, aber ebenso von Tam-Lin, der Matt von El Patrón als Leibwächter zur Seite gestellt wird (selbstverständlich aus rein egoistischen Gründen) und von María.

Matt verliert geliebte Menschen und schließt Freundschaften. Und schließlich erfährt er, was es heißt, Verantwortung übernehmen zu müssen. In Matts Brust schlagen zwei Herzen – das eine, das El Patrón folgen möchte und nur an den eigenen Vorteil denkt, und das andere, das zu lieben fähig ist, das ehrlich und fair ist. Matt ist somit auch als Figur durchaus vielschichtig skizziert. Und damit steht er nicht allein. Auch die meisten anderen Figuren in Farmers Welt von morgen wirken facettenreich und glaubwürdig. Sie sind nicht plump schwarz/weiß gezeichnet. Gut und Böse werden nicht ganz klar umrissen, Klischees nicht plump breitgetreten. „Das Skorpionenhaus“ ist damit ein Roman, der nicht nur aufgrund des beklemmenden, düsteren Szenarios in Erinnerung bleibt, sondern auch dank der recht vielschichtig angelegten Figuren.

Nun könnte leicht der Eindruck entstehen, „Das Skorpionenhaus“ käme mit der berühmten, gefürchteten moralischen Keule daher, doch das täuscht. Farmer belehrt den Leser nicht mit erhobenem Zeigefinger. Sie prangert nicht laut an und sucht keine Schuldigen. Sie skizziert einfach eine düstere Utopie, formuliert eine Weltsicht aus Matts Perspektive, teilt dem Leser seine Gedanken mit und lässt diesen selbst die offensichtlichen Schlüsse daraus ziehen.

Und das macht sie auf durchaus spannende Art und Weise. Über die Welt hinter den Grenzen von Opium streut sie immer nur Andeutungen aus. Sie macht den Leser stets neugierig und krönt das Ganze mit einem Sahnehäubchen sich kontinuierlich steigernder Spannung. Ein wenig zu einfach mag es gegen Ende hin erscheinen, wie manche unüberwindbar scheinenden Probleme im Handlungsverlauf gelöst werden, aber dennoch liest sich „Das Skorpionenhaus“ gerade zum Ende hin absolut fesselnd.

Sprachlich ist das Buch leicht verständlich geschrieben. Einfacher, klarer Satzbau, der stets kurz und prägnant bleibt, so dass der Roman einerseits tatsächlich Jugendbuchniveau hat, andererseits aber dennoch auch Erwachsenen Freude bereiten dürfte. Der Verlag empfiehlt das Buch für Kinder ab 12 Jahren, aber das bedarf sicherlich einer weiteren Differenzierung. Der Roman wirft so viele ethische und moralische Fragen auf und ist teilweise so düster angelegt, dass sicherlich nicht jedes Kind dieser Altergruppe ohne zusätzliche Unterstützung gleich gut damit umgehen kann. In jedem Fall ist es ein Buch, über das sich anschließend zu reden lohnt.

Alles in allem weiß Nancy Farmer mit „Das Skorpionenhaus“ zu gefallen. Sie hat ein vielschichtiges und nachdenklich stimmendes Buch vorgelegt, das ein düsteres Zukunftsszenario zeichnet, in dem trotz all der negativen Entwicklungen noch Platz für positive Werte wie Freundschaft und Menschenwürde ist. So schafft Farmer es nicht nur zu unterhalten, sondern auch noch eine Botschaft zu übermitteln. Das Resultat ist ein spannender Roman mit interessanten und größtenteils sehr glaubwürdigen Figuren, der noch eine ganze Weile im Gedächtnis haften bleibt.

Neil Gaiman – Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel

Wie gut, dass ich dem im Klappentext abgedruckten Rat von Lemony Snicket nicht gefolgt bin, sonst hätte ich eine wirklich schön schaurige Märchengeschichte verpasst. Lemony Snickets Rat sieht übrigens folgendermaßen aus: |“Wenn Sie nicht in Kürze zitternd vor Angst mit dem Daumen im Mund unter dem Bett kauern wollen, sollten Sie dieses Buch langsam und vorsichtig zurücklegen.“| Gleich vorab bemerkt, ich habe weder mit dem Daumen im Mund unter dem Bett gekauert, noch das Buch brav zurückgelegt. Und mit den Folgen meines wagemutigen Handelns kann ich auch durchaus gut leben. Also, alles gar nicht so schlimm, wie’s auf den ersten Blick erscheinen mag.

Neil Gaimans kleines Büchlein „Coraline“ dreht sich um die wundersamen Erlebnisse des kleinen Mädchens Coraline. Zusammen mit ihren Eltern ist sie in ein neues Haus umgezogen, in dem neben der jungen Familie noch ein verschrobener älterer Herr mit einem Mäusezirkus und zwei etwas beleibte, ehemals schauspielernde, ältere Damen wohnen. Es ist die Zeit der Sommerferien und während Coralines Eltern zu Hause ihrer Arbeit nachgehen, erkundet Coraline das Grundstück, bis ihr ein paar Regentage einen Strich durch die Rechnung machen.

Coraline erkundet also fortan die Wohnung und stößt dabei auf eine vermauerte Tür. Als die Mauer dann eines Nachts plötzlich verschwunden ist, schreitet Coraline hindurch und entdeckt eine Art Parallelwelt. Die Welt hinter der Tür sieht aus wie die Wohnung ihrer Eltern. Selbst Mama und Papa trifft sie dort an, auch wenn sie ein wenig verändert aussehen und statt Augen schwarze Knöpfe tragen. Die andere Mutter umgarnt sie und versucht sie zum Bleiben zu überreden. Coraline wird das alles mit der Zeit aber zu unheimlich und so kehrt sie in die richtige Welt zurück.

Als sie dort ankommt, muss sie feststellen, dass ihre richtigen Eltern verschwunden sind. Als sie zufällig in den Spiegel im Flur blickt, sieht sie dort ihre Eltern, gefangen hinter dem Spiegel, festgehalten von der anderen Mutter. Und so kehrt Coraline zurück in die Welt hinter der vermauerten Tür, um ihre Eltern zu finden. Eine äußerst schwierige Aufgabe steht ihr bevor, denn die andere Mutter will Coraline um jeden Preis für sich behalten. Sie ist hungrig nach Coralines Seele.

Schon der Untertitel des Buches („Gefangen hinter dem Spiegel“) offenbar eine sehr deutliche literarische Parallele. Mit der Figur der Coraline hat Neil Gaiman eine moderne Alice geschaffen. Die Parallelwelt hinter der vermauerten Tür ist Gaimans Pendant zu Lewis Carrolls Welt hinter dem Spiegel, durch den Alice steigt. Auch die dortige Welt scheint zunächst oberflächlich betrachtet mit der realen Welt identisch zu sein und Alice wird nach und nach mit den Unterschieden konfrontiert. Für Coraline ist die Situation ähnlich. Auch ihr erscheint die Welt hinter der Tür zunächst so wie die davor, doch schnell zeigt sich, dass sie nichts anderes als ein der Wirklichkeit nachempfundenes Trugbild ist.

Ähnlich neugierig und scheinbar furchtlos, wie Alice die Welt im Spiegelland erkundet, erforscht auch Coraline ihre neue Umgebung. Sie scheint sich kaum zu fürchten, Neugier und Forscherdrang siegen über die Angst. Ein wenig übermenschlich wirkt sie in ihrer Selbstsicherheit, was sicherlich in der eher oberflächlichen Figurenzeichnung und der Kürze der gerade einmal 175 Seiten langen Erzählung begründet liegt. Natürlich hätte eine etwas ausgefeiltere Skizzierung der Hauptfigur der Geschichte etwas mehr Tiefe verliehen. Würde Coraline etwas menschlicher erscheinen, wäre die Geschichte sicherlich noch einen Tick mitreißender und fesselnder, aber das ist ein eher kleiner Schönheitsfehler.

Das eigentlich Faszinierende an Gaimans Roman ist die Welt, die er erschaffen hat. Die Welt, die Coraline hinter der vermauerten Tür entdeckt, ist ein Abbild der Realität, die als nichts anderes als eine Falle fungiert. Die andere Mutter hat es auf Coralines Seele abgesehen. Warum das so ist, wird nicht deutlich und ist eigentlich auch bedeutungslos, aber Coraline ist nicht das erste Kind, das in ihre Falle tappt. Als Coraline in der Parallelwelt gefangen ist, trifft sie auf die seelenlosen Überreste anderer Kinder. Mit der bösen Frau, die kleine Kinder entführt, greift Gaiman zu einem geradezu klassischen Märchenelement und fügt es überzeugend in seine Erzählung ein.

Als die andere Mutter merkt, dass ihr stetiges Umgarnen nicht gerade auf fruchtbaren Boden fällt und Coraline cleverer und misstrauischer ist als erwartet, nimmt auch die von der anderen Mutter erschaffene Welt immer dunklere Züge an. Gaiman inszeniert ein raffiniertes Spiel zwischen der falschen Mutter und Coraline und reichert das Ganze mit einer Prise Horrorelemente an. Da wäre der golemartige Mensch im Keller des Hauses, die küchenschabenessende andere Mutter, eine Wohnung voller fledermausartiger Hunde, die von der Decke hängen. Gaimans Inszenierung ist schon ausgesprochen phantasievoll ausgeschmückt, obwohl sie sich auf den eng begrenzten Raum des Hauses beschränkt, und macht gerade auch wegen dieser Elemente Spaß. „Coraline“ ist letztendlich eine Geschichte, die einen Märchenplot mit Gruselelementen verbindet, und genau das ist Gaiman mit seinem Roman sehr gut gelungen.

Ursprünglich erschien die deutsche Ausgabe von „Coraline“ 2003 im |Arena|-Verlag und wurde dort als Buch für Kinder ab zehn Jahren deklariert. Tatsächlich deutet schon Gaimans Schreibstil an, dass sich „Coraline“ durchaus auch an eine jüngere Leserschaft richtet, ohne sich dem erwachsenen Leser zu verschließen. Die Bildhaftigkeit von Gaimans Sprache dürfte sich auch von Kindern durchaus gut erfassen lassen, macht aber Erwachsenen ebenso Freude.

Ob das Buch aber wirklich unbedingt für Kinder empfehlenswert ist, ist eine Frage, die die Meinungen spalten dürfte. Für Zehnjährige, die Gruselgeschichten gewohnt und entsprechend hart im Nehmen sind, mag das Buch in Ordnung sein, aber für andere Kinder sei da eher zur Vorsicht geraten. „Coraline“ ist eben nicht ganz ohne und wer ein zartes Gemüt hat, der sollte vielleicht wirklich lieber den Rat von Lemony Snicket befolgen und das Buch langsam und vorsichtig wieder zurücklegen.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass „Coraline“ eine schöne kleine Portion Gruselmärchen für zwischendurch ist. Gaiman stellt einmal mehr sein Talent als phantasiebegabter Erzähler unter Beweis und liefert mit seinem Roman eine moderne Gruselvariante von Lewis Carolls Kinderbuchklassiker „Alice im Spiegelland“. „Coraline“ ist so angelegt, dass sowohl junges als auch älteres Lesepublikum Freude an dem Buch haben dürften. Dass die Figuren eher oberflächlich gezeichnet sind und die Geschichte dadurch vielleicht nicht so mitreißend ist, wie sie eventuell sein könnte, lässt sich in Anbetracht des Märchencharakters und der Kürze der Geschichte durchaus verzeihen.

Taschenbuch: 176 Seiten
Originalausgabe: Coraline, Harper Collins 2002
Aus dem Englischen übersetzt von Cornelia Krutz-Arnold

Anika Krüger – Charlotte & Pauline und die Erpresser

„Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt.
Ein Freund bleibt immer Freund – und wenn die ganze Welt zusammenfällt.
Drum sei auch nie betrübt, wenn dein Schatz dich nicht mehr liebt.
Ein Freund, ein guter Freund, das ist der größte Schatz, den´s gibt.“

Dem Thema Freundschaft hat sich die Braunschweiger Autorin Anika Krüger angenommen, die mit „Charlotte & Pauline und die Erpresser“ ihr erstes Kinderbuch vorgelegt hat. Das Buch richtet sich an junge Leser ab neun Jahren, die sich auf einen kurzweiligen Kinderkrimi freuen dürfen.

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Gaiman, Neil – Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel

Coraline, ein kleines Mädchen, zieht mit ihren Eltern in ein altes Haus, das nur zur Hälfte bewohnt ist. Die Tür, die auf die andere Seite des Hauses führt, ist zugemauert. Weil ihre Eltern ständig arbeiten, wird der kleinen Coraline langweilig und sie erkundet ihre Umgebung. Die anderen Bewohner des Hauses erweisen sich als liebenswürdig schrullig.

Im Erdgeschoss wohnen zwei ältere Schauspielerinnen und ihre Hunde, und unter dem Dach wohnt ein alter Herr, der erzählt, er trainiere einen Mäusezirkus. Als es dann am nächsten Tag regnet und Coraline nicht nach draußen kann, um ihre Erkundungstour zu beenden, widmet sie sich der zugemauerten Tür. Doch wie sich erweist, ist die Tür auf einmal gar nicht mehr zugemauert und die Neugier treibt die Kleine auf die andere Seite. Sie gelangt in eine Wohnung, die der ihren beinahe gleicht! Dort wohnt ihre „andere Mutter“, die anstelle richtiger Augen Knopfaugen hat. Die „andere Mutter“ umgarnt das Mädchen, indem sie ihr ihre Liebe und andere zuckersüße Sachen verspricht. Doch Coraline findet schnell heraus, dass es die „andere Mutter“ nur nach ihrer und der Seele ihrer Eltern dürstet.

Sie entscheidet sich zu kämpfen und der unheimlichen Gefahr die Stirn zu bieten. Ein ungleiches Ringen um die Seelen beginnt …

Gaiman hat es erneut geschafft, ein relativ kurzes Buch von 175 Seiten mit skurrilem Horror voll zu packen.

Die Hauptfigur Coraline ist ein sympathisches und ausgesprochen intelligentes Mädchen, wenn man bedenkt, dass sie wohl noch zur Grundschule geht. Unter diesen Voraussetzungen bereitet es Freude, das Mädchen bei seinem Weg in die andere Welt zu begleiten und zu sehen, wie es sich den Gefahren und Merkwürdigkeiten stellt und mit ihnen zurecht kommt.

Gaiman versteht es vorzüglich, den Leser zu fesseln und ihn in die Welt hinter dem Spiegel zu ziehen. Dieses Motiv, dass hinter der normalen Welt noch eine andere, merkwürdige und beängstigende Welt lauert, ist schon fast klassisch Gaiman. In allen seinen Romanen findet sich dieses Motiv wieder. Sowohl in „Niemalsland“, in „Sternenwanderer“ und bei „American Gods“ taucht das Motiv einer Welt hinter der Welt, für den normalen Menschen nicht sichtbar, auf.

Das Interessante daran ist, dass man als Leser nie weiß, woran man ist. Gaimans Ideen sind innerhalb des Romans so wandelbar, dass eine ganz eigene Dynamik entsteht, durch die er es immer wieder schafft, den Leser zu erschrecken, zu überraschen und zu verstören. Dieser Kontrast, der aus der merkwürdigen Welt und dem Zusammenspiel mit Coraline entsteht, macht den Horror besonders faszinierend.

Mir bleibt es ein Rätsel, wie Gaiman es schafft, in einen so kurzen Roman so viele Skurrilitäten zu packen, ohne dass der Leser die Bindung zur Thematik verliert. Aber irgendwie ergibt alles einen merkwürdigen Sinn innerhalb der Handlung. Auch das macht einen Teil des faszinierenden Horrors bei „Coraline“ aus. Einerseits wünschte ich, dieses Buch hätte sechshundert Seiten gehabt, andererseits liegt diesmal in der Kürze wirklich die Würze.

„Coraline“ ist perfekt dazu geeignet, sich an einem regnerischen Samstag auf die Couch zu legen, das Buch in einem Rutsch gebannt durchzulesen und es dann völlig verstört am Sonntag gleich noch einmal zu lesen. Also: Wer auf skurrilen Horror in feinster Märchenqualität steht oder denkt, ihn könnte nichts mehr erschrecken, trifft mit „Coraline“ die richtige Wahl.

Neil Gaiman, geboren 1960 in England, erlangte zuerst Bekanntheit durch seine Comic-Serie „Der Sandmann“, eher er auf das Schreiben von Romanen umsattelte. Neben einem Buch zusammen mit Terry Pratchett („Ein gutes Omen“), schrieb er eine Biographie über seinen Freund Douglas Adams („Keine Panik“), den Kultautor von „Per Anhalter durch die Galaxis“. Doch auch mit seinen eigenen Romanen wie „Niemalsland“, „Sternenwanderer“ und „American Gods“ wusste Gaiman die Leserschaft zu überzeugen.

Jordan, Sherryl – Jing-Wei und der letzte Drache

Justin ist ein einfacher Bauernbursch, der zuhause die Schweine hütet. Besonders zufrieden ist er nicht mit seinem Leben. Doch eines Tages kehrt er vom Nachbarort nach Hause zurück und findet das gesamte Dorf in Schutt und Asche vor! Zutiefst verzweifelt, will er am liebsten ebenfalls sterben. Stattdessen nimmt ihn der Anführer einer fahrenden Schaustellertruppe mit. Was Justin letztlich aus seiner Lethargie reißt, ist die Bekanntschaft mit Jing-Wei, einem Chinesenmädchen, das wegen seiner eingebundenen Füße von den Schaustellern als Missgeburt ausgestellt wird. Als der Sohn des Anführers sich an ihr zu vergreifen droht, fliehen die beiden und landen schließlich bei einer alten Frau, die nichts Geringeres von den beiden verlangt als den Drachen zu töten, der Justins Dorf niedergebrannt hat. Schon die Idee erscheint Justin absolut närrisch! Und trotzdem lässt er sich auf dieses Abenteuer ein.

Sherryl Jordan hat ein Buch geschrieben, das sowohl von historischen als auch Fantasy-Elementen geprägt ist. So hat sie die Geschichte nicht in einer erfundenen Welt sondern im England des Jahres 1356 angesiedelt, ihre Charaktere sind keine Magier oder Zauberinnen oder sonst in irgendeiner Weise besonders begabt. Im Gegenteil.

Justin, der Ich-Erzähler, ist ein einfacher Bauernbursche, der weder besonders klug noch besonders geschickt ist. Das Mädchen, für das er schwärmt, belächelt ihn lediglich. Dass er dem Inferno entkommen ist, das seine ganze Familie dahingerafft hat, ist purer Zufall. Und nach der Rolle des Helden drängt es ihn absolut nicht, vielmehr würde er es vorziehen, schleunigst das Weite zu suchen. Er hat entsetzliche Angst vor dem Drachen und gibt das auch ganz freimütig zu. Dass er im Grunde nicht wirklich ein Feigling ist und auch sonst durchaus einige Qualitäten besitzt wie Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft, das ist ihm vor lauter Bescheidenheit noch gar nicht aufgefallen. Justin ist auf eine stille, unaufdringliche Weise Held, ohne strahlende Rüstung und dergleichen.

Auch Jing-Wei ist eigentlich keine Wundertäterin oder etwas in der Art. Ihr Tun wirkt nur so wunderbar auf Justin, weil es ihm so fremd ist. Fast alles von dem Wissen, das Jing-Wei im Kampf gegen den Drachen nutzt, ist im damaligen England noch völlig unbekannt. Justin hat keine Ahnung, wie Schießpulver funktioniert, und noch nie im Leben einen Seidendrachen gesehen. Folglich kommt ihm das alles unglaublich fantastisch vor. Insofern bildet Jing-Wei sozusagen das Bindeglied zwischen Justins „normaler“ Welt und dem phantastischen Wesen des Drachen.

Bemerkenswert an Jordans Buch ist allerdings, dass der Drache kein Ungeheuer ist. In der chinesischen Kultur sind Drachen Schutzwesen, folglich ist für Jing-Wei als Chinesin ein Drache etwas Gutes und Schönes. Diese Ansicht findet Justin außerordentlich verwirrend, er kann sie nicht mit dem Anblick der verkohlten Dörfer in Einklang bringen. Doch schon, als er den Drachen zum ersten Mal aus der Nähe beobachtet, wird deutlich, dass Justin mit sich selbst nicht ganz einig ist. Die ungeheure Schönheit des Drachen hat ihn beeindruckt, und obwohl er immer noch entsetzliche Angst hat, wird aus der Vorstellung vom Ungeheuer allmählich die Erkenntnis, dass der Drache im Grunde nichts weiter ist als ein Tier. Zwar ein besonderes Tier, das Feuer speien kann, das aber weder bösartig noch hinterlistig ist. Eigentlich ist es fast schade und eine Verschwendung, es zu töten, da der Drache jedoch Menschen gefressen hat, kann er nicht am Leben bleiben.

Genauso außergewöhnlich wie die Darstellung des Drachen ist es, dass die Autorin ganz ohne Bösewicht auskommt. Vielmehr sind die Beteiligten alle Kinder ihrer Zeit, die geprägt war von Unwissenheit und Aberglaube. Tybalt, der Anführer der Schausteller, ist nicht wirklich grausam in dem Sinne, dass es ihm Spaß macht, Jing-Wei zu quälen. Eine Exotin ausstellen zu können, ist einfach eine Möglichkeit des Geldverdienens. Immerhin versucht er gleichzeitig, auf rauhe und unbeholfene Art Justin aus seinem Kummer und seiner Lethargie herauszuholen. Sein Sohn Richard ist ein Traumtänzer und sehr mit sich selbst beschäftig, Jing-Weis Schicksal lässt ihn einfach kalt, genau wie das des Bären. Aufmerksam wird er erst, als das Mädchen sich mit Justin anfreundet. Seine Reaktion ist typisch für jemanden, der es nicht verträgt, wenn andere ihm vorgezogen werden.

Die Reaktion der Leute angesichts des Mädchens sind eine Folge dessen, auf welche Weise sie angepriesen wird. Eine Missgeburt oder ein Gruselmonster aus sicherer Entfernung bestaunen zu können, ist so, wie heutzutage vom bequemen Fernsehsessel aus einen Horrorfilm anzusehen. Für die Gaffer waren diese armen Geschöpfe einfach keine Menschen und deshalb nicht bemitleidenswert. Diese Einschätzung zu revidieren, war für die meisten einfach nicht möglich, zu stark waren Aberglauben und Angst vor Teufeln und Dämonen in den Menschen verankert. Kein Wunder also, dass niemand Justin und Jing-Wei helfen will.

Ohne Hilfe von außen andererseits ist der Drache nicht zu bezwingen, denn Justin ist kein Kämpfer, und ohnehin ist selbst das keine Garantie für einen Erfolg. Da die Hilfe aus genannten Gründen nicht von Einheimischen kommen kann, begegnen Justin und Jing-Wei einer alten Chinesin. Wie diese Frau nach England kam, wird nicht erzählt, was wahrscheinlich auch besser ist, denn schon Jing-Weis Weg nach England kam mir ein wenig erstaunlich vor angesichts der Tatsache, dass China sich jahrhundertelang völlig von der Außenwelt abgeriegelt hat, und selbst in offenen Zeiten niemals weiter als bis nach Arabien gesegelt ist! Andererseits handelt es sich hier um ein Jugendbuch, und ich denke, jugendlichen Lesern dürfte dieser Schnitzer wohl kaum auffallen, also sei darüber hinweggesehen.

Von der alten Lan erhalten die beiden die Informationen und Hilfsmittel, die sie für den Kampf gegen den Drachen brauchen, außerdem lernt Jing-Wei durch sie wieder gehen. Das Verhalten der Leute der alten Lan gegenüber wirft erneut einen deutlichen Blick auf Aberglaube und Vorurteile der damaligen Zeit.

Sherryl Jordan schreibt flüssig und in kurzen, schlichten Sätzen. Auf einfache Weise bringt sie Justins Gefühle, vor allem seine Ängste, zum Ausdruck. Die Einleitungen der Kapitel sind anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, da sie außerhalb der Erzählung liegen, enthalten aber gelegentlich auch kleine Nettigkeiten zum Schmunzeln und geben gegen Ende auch einen kleinen Ausblick darauf, wie es mit Justin und Jing-Wei weitergeht, etwas, was der Leser natürlich schon noch wissen will, ehe er das Buch zuklappt.

Mit seinen gut zweihundert Seiten ist das Buch schnell gelesen. Es ist eine nette Geschichte, durchaus nicht seicht, aber einfach gestrickt und von der Masse her gerade mal ein Happen für zwischendurch. Für Jugendliche ab zwölf Jahren stellt es mit Sicherheit eine interessante und spannende Lektüre dar, Erwachsene dagegen dürfte es mit seiner einspurigen Handlung und dem schlichten Aufbau nicht unbedingt reizen.

|Patmos| hat für das Buch ein ansprechendes Cover gestaltet, auch die Karte im Buchdeckel war nett gemacht, wenn auch nicht notwendig. Die Bindung des Buches ist allerdings nicht so toll; obwohl ich Bücher niemals ganz aufschlage, konnte ich die Klebepunkte der einzelnen Seiten sehen. Ob das lang hält …? Das Lektorat war dafür fehlerfrei.

_Sherryl Jordan_ lebt in Neuseeland und hat bereits eine ganze Anzahl Jugendbücher geschrieben, von denen auch einige ausgezeichnet, aber nicht alle ins Deutsche übersetzt wurden. Erschienen sind bei uns unter anderem „Tanith, die Wolfsfrau“, „Der Meister der Zitadelle“ und „Flüsternde Hände“.

http://www.patmos.de