Archiv der Kategorie: Rezensionen

Steinbach, Hans – A Midnight Opera 1

_Story_

Ein DeLaLune wollte schon immer ein ganz normales Leben führen und endlich das Leben mit seiner neuen Liebe genießen, doch seine Präsenz als Goth-Metal-Star im Pariser Underground ermöglicht ihm kein bisschen seiner erstrebten Ruhe. Doch andererseits genießt Ein auch sein Leben als Rockstar, zumal sein diabolisches Erscheinungsbild durch und durch authentisch ist. Der Musiker ist nämlich ein Untoter, der bereits vor mehr als 150 Jahren gegen die Inquisition gekämpft hat und erst seit wenigen Jahren endgültig mit dieser Tatsache abschließen konnte.

Nun jedoch werden die alten Wunden erneut aufgerissen, denn kurz nach einem gefeierten Gig wird Ein von seinem Bruder Leroux heimgesucht, der ihn bittet, die Armee der Untoten im neu entflammten Streit gegen die Inquisition zu unterstützen. Auf den Schultern des verwirrten Ein ruhen bereits die letzten Hoffnungen, doch der lehnt dankend ab, schließlich war Leroux einst für den Tod seiner einstigen Geliebten verantwortlich. Aber der große Bruder ist mittlerweile mächtiger als der zum irdischen Dasein bekehrte Rockstar – und so scheint eine Rückkehr in den Lebensstil der Vergangenheit unvermeidlich.

_Persönlicher Eindruck_

Eine recht ungewöhnliche, aber nicht nur deswegen auch sehr interessante Serie schickt dieser Tage der bislang noch unbekannte Autor Hans Steinbach ins Rennen. In „A Midnight Opera“ begibt sich der Newcomer zwar in das bekannte Reich der Untoten und verbindet es mit dem Spirit der Gothic-Szene, unterwirft seine Geschichte allerdings einer weitestgehend unkonventionellen Rahmenhandlung, deren Charaktere eine deutliche Distanz zu den üblichen Genre-Schemen aufweisen.

Mit dem eigentlichen Helden Ein DeLaLune hat Steinbach dabei sofort die außergewöhnlichste Figur entworfen; als Untoter zu einem unglücklichen Dasein verdammt, hat der Knabe sich Stück für Stück aus dem Sumpf von Vampirismus und dem Kampf gegen die Heilige Inquisition herausgezogen und es über die Jahre geschafft, seine Trauer um die verschiedene Liebe zu überwinden. Indes ist er zu einem national bekannten Star herangewachsen, einem Teenie-Idol, dessen teuflisches Äußeres ihn bis an die Spitze einer ganzen Bewegung gebracht hat. Doch insgeheim kann Ein den gewaltigen Schatten seines früheren Lebens nicht ablegen; in Gedanken verfolgen ihn die alten Szenarien ständig wieder, und ganz besonders beschäftigt ihn dabei die Frage, ob es Untoten tatsächlich gestattet ist, Gefühle wie Liebe zu empfinden und auszuleben.

Die Beschäftigung mit diesem heiklen Thema zieht sich schließlich gleich auf mehreren Ebenen durch die erste Ausgabe von „A Midnight Opera“ und ist auch ein Teil des Kerninhalts im Bezug auf das emotionale Befinden des Hauptdarstellers. Viel mehr als der Kampf gegen die Inquisition, der auf Geheiß von Elisabeth Bathory geführt werden soll, sind es die Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, die Ein veranlasst haben, die eigene Vergangenheit hinter sich zu lassen, zumal ausgerechnet sein Bruder das Schicksal nachhaltig beeinträchtigt hat. Aus diesem Grunde reagiert Ein auch mit Hass und rachlüsterner Vergeltung, als ausgerechnet Leroux eines Tages auftaucht und ihn für seine Zwecke gewinnen möchte. Der Anfang für eine spannende, mit drei Bänden allerdings überraschend kurz angesetzte Story ist gemacht …

Der Auftakt zu „A Midnight Opera“ mag neben dem vorschnellen(?) Lob sicher auch einige Zweifler auf den Plan rufen, schließlich arbeitet der Autor über das gesamte Buch verteilt mit reichlich Klischees, sei es nun das Rockstardasein Eins oder eben doch die Meinungsbildung die christliche Kirche betreffend. Man sollte dabei aber berücksichtigen, dass diese alten Stereotypen nicht einfach nur plump wiedergekäut werden, sondern in dieser Form im Rahmen der Handlung schlichtweg Sinn ergeben. Klar, wenn Gestalten wie Elisabeth Bathory eingreifen oder die eine oder andere finstere Namensbezeichnung in der Story auftaucht, darf man schon mal ob des zu starken Einflusses des Metal-Fans (und nicht des unabhängigen Autors) schmunzeln, doch insgesamt harmonieren selbst solche Übergriffe prächtig mit dem Verlauf der Erzählung und werden gerne mit einem Augenzwinkern begrüßt.

Begrüßenswert ist summa summarum dann auch die Idee, basierend auf den gemischten Ideen diese außergewöhnliche, aber homogen strukturierte, einfach stimmige Geschichte zu erzählen, deren Beginn sowohl lyrisch als auch illustratorisch restlos überzeugt. Mit Hans Steinbach respektive „A Midnight Opera“ haben sich |Tokyopop| vielleicht sogar einen ganz dicken Fisch an Land gezogen, von dem man in Zukunft – sprich über diese Serie hinaus – garantiert noch einiges hören wird.

http://www.tokyopop.de/buecher/manga/a__midnight__opera/index.php

Shocker, Dan – Atoll, Das (Larry Brent, Band 36)

Das Buch enthält die beiden Heftromane „Ruine der Kopflosen“ und „Atoll des Schreckens“, welche erstmals als in der Reihe |Silber-Grusel-Krimi| als Heftromane erschienen sind.

_Ruine der Kopflosen_

Zwei Fahrradtouristen auf einer Tour durch Schottland werden in der Nacht Zeugen eines unheimlichen Geschehens. Wo eben noch die Ruine einer Burg stand, erhebt sich plötzlich ein intaktes, düsteres Gemäuer, und zwei Degenfechter duellieren sich im Mondschein. Geisterspuk!

Kurz darauf wird einer der beiden Touristen enthauptet, sein Begleiter als Hauptverdächtiger verhaftet. Doch es wurden bereits mehrere kopflose Torsi in der Umgebung gefunden, und so schickt die PSA ihren besten Agenten vor Ort: Larry Brent.

Auch X-RAY-3 wird Zeuge des grauenhaften Geisterduells. Der besiegte, enthauptete Burgherr tötet als lebender Toter seinen Kontrahenten und geht anschließend auf den PSA-Agenten los. Auch der Torso des geköpften Touristen greift Larry an. Doch wie soll man sich gegen lebende Tote wehren, die selbst den Strahlen aus Larrys Laserwaffe widerstehen?

_Atoll des Schreckens_

Auf einer kleinen Insel auf Tahiti sind acht junge, blonde Frauen spurlos verschwunden. Larry Brent und seine attraktive Kollegin Morna Ulbrandson sollen den Fall aufklären. Die blonde Schwedin ist der ideale Köder. Doch gegen die Gegner, die wirklich hinter den Entführungen stecken, sind die Agenten nicht gewappnet. Die Produkte eines zwanzig Jahre zurückliegenden Atomtestes sind wahre Monster …

_Beurteilung_

Zwei Geschichten, welche die Vielfalt und Ambivalenz der Larry-Brent-Geschichten einmal mehr eindrucksvoll beweisen.

Die „Ruine der Kopflosen“ spielt im klassischen Gruselland Schottland und bedient sich darüber hinaus auch der Elemente der Gothic-Novel. Eine gespenstische Burg, kopflose Geister und ein alter Fluch. Dan Shocker vermengt diese Zutaten darüber hinaus mit kriminalistischen Anteilen, und zu guter Letzt kommt auch noch ein dämonisches Ritual ins Spiel. Die Beschreibung des unterirdischen Gewölbes und des Irrsinns, der den Professor befallen hat, gelingt dem Autor wieder bestens; plastisch kann man als Leser den gruseligen Schädel des Druiden-Priesters in dem Geflecht der Baumwurzel vor Augen sehen. Das Motiv hätte ich mir viel eher als Illustration für die Story gewünscht; der abgeschlagene Schädel auf dem Pflock gelang dem Künstler Pat Hachfeld dieses Mal nämlich nicht so gut. Das Grauen, welches die Menschen durchmachen müssen, wenn sie der kopflosen Leichen ihrer Mitmenschen gewahr werden, ist fast greifbar. Ein echter, schnörkelloser Grusel-Krimi.

Im Gegensatz dazu verschlägt es den braungebrannten Sonnyboy Larry in der zweiten Geschichte in die tropischen Gefilde Tahitis. Hier nimmt sich der Schriftsteller die Folgen einer Atomexplosion als Urheber des Grauens vor. Natürlich auf einem Niveau, welches zeigt, dass die Geschichte lediglich dem Unterhaltungswert dient. Aber dann doch nicht wieder so abgedroschen, dass Riesenechsen über die Lande stampfen. Vielmehr geht es um die Züchtung einer neuen Rasse und um Menschenversuche, außerdem um ein Eifersuchtsdrama mit (fast) tödlichem Ausgang.

Der Roman gestaltet sich sehr kurzweilig, auch wenn einige der Ideen alles andere als neu sind und Morna in der klassischen Opferrolle die Errettung durch Larry herbesehnen darf. Die Dialoge sind sehr realistisch und sprühen vor Wortwitz. Das Lektorat wetzt die eine oder andere Scharte hervorragend aus.

Die Illustration zu der zweiten Geschichte zeigt wieder uneingeschränkt das Talent des Zeichners und vermittelt mit einem vergleichsweise einfachen Motiv einen Eindruck von den Geschehnissen. Das Cover zeigt das Original-Titelbild von Lonati, wie es vor dreißig Jahren einen Heftroman zierte. Das Bild zeigt puren Trash und ist in seiner übertriebenen Darstellung schon fast wieder kunstvoll zu nennen. Die Frau mit den kleinen, spitzen Brüsten und dem knappen Bikini ist das typische Frauenbild, des mittlerweile verstorbenen Malers, wie es oft auf seinen Werken zu sehen ist.

Fazit: Leichte und dennoch spannende Gruselkost mit typischem Shocker-Plot.

http://www.BLITZ-Verlag.de

_Florian Hilleberg_

Kalogridis, Jeanne – Kinder des Papstes, Die

Neapel, um 1488: Die zwölfjährige Sancha von Aragon ist die Enkeltochter von König Ferrante. Während sie ihrem Vater, dem Herzog von Kalabrien, feindselig gegenübersteht, liebt sie ihre Mutter und vor allem ihren jüngeren Bruder Alfonso, den das energische Mädchen für seinen Sanftmut bewundert. Als Sancha sechzehn Jahre alt ist, stirbt der alte König. Aus politischem Kalkül wird ihre glückliche Verlobung mit Graf Otoranto gelöst und sie stattdessen zur Heirat mit einem Mitglied der mächtigen Borgia-Familie gezwungen, die für Machtgier und Skrupellosigkeit berühmt ist. Jofre de Borgia, zweiter Sohn von Papst Alexander VI., wird ihr Ehemann. Ein schlimmes Schicksal für Sancha, denn Jofre ist mit zwölf Jahren fast noch ein Kind und sie muss ihre geliebte Heimat Neapel verlassen.

Nicht nur das Heimweh und die mangelnden Gemeinsamkeiten mit Jofre setzen Sancha zu, sondern auch die politischen Wirrungen. Als die Ordnung endlich wieder hergestellt scheint, ruft Papst Alexander VI. seinen Sohn Jofre und Sancha zu sich. Von nun an ist Sancha Teil der legendären Borgia-Familie und erlebt die Ausschweifungen und Grausamkeiten Roms. Sie muss sich gegen Zudringlichkeiten des lüsternen Papstes und dessen grausamen Sohn Juan wehren. Dafür verliebt sie sich unsterblich in den dritten Sohn, den schönen und charmanten Cesare, und nach anfänglichem Misstrauen freundet sie sich auch mit der raffinierten Papst-Tochter Lukrezia an.

Viel zu spät realisiert Sancha, dass sich auch hinter Cesares Fassade eisige Kälte verbirgt und er vor nichts zurückschreckt. Aus der leidenschaftlichen Liebe wird gefährlicher Hass – und Sancha kämpft verzweifelt gegen mächtige Intrigen und um ihr Leben …

Das Zeitalter der Renaissance ist ein sehr dankbarerer Hintergrund für historische Romane. Das farbenprächtige Italien, die Machtkämpfe innerhalb Europas und der Kirche und die schillernden Charaktere der Borgia-Familie bilden den Ausgangspunkt für dieses Werk.

|Überzeugende Charaktere|

Im Mittelpunkt steht die Ich-Erzählerin Sancha von Aragon, zu Beginn fast noch ein Kind, später eine erwachsene Frau, aber von Anfang an ein stolzer und starker Charakter. Sancha ist nicht so sanftmütig wie ihr geliebter Bruder, doch gerade ihre Schwächen machen sie sympathisch. Entgegen aller Vernunft schlägt sie die Warnungen über die Borgias in den Wind, um sich mit Cesare auf eine fatale Affäre einzulassen, die von nun an ihr Leben bestimmen wird. Sancha ist impulsiv und kaltblütig in ihrem Hass gegenüber denen, die ihren Nächsten schaden wollen. Bezeichnenderweise ist sie keine Heldin, die immer den richtigen Weg wählt, sondern muss Niederlagen und falsche Entscheidungen hinnehmen – doch egal wie schlimm ihr mitgespielt wird, sie gibt nicht auf.

Über die Borgias existieren zahllose Bücher und die verschiedensten Ansichten. Sehr positiv ist hervorzuheben, dass die Familie in diesem Werk nicht auf den Ruf als grausame Giftmischer beschränkt wird. Lukrezia erscheint zunächst als eifersüchtige Schwägerin, die Inzucht mit ihrem Vater stößt Sancha zusätzlich ab. Aber im weiteren Verlauf entsteht eine enge Freundschaft zwischen den Frauen und Lukrezia erscheint mehr als schwaches Opfer denn als die |femme fatale|, als die sie gern verkörpert wird. Papst Alexander erhält eine negativere Darstellung; er vergreift sich an Sancha, hält sich junge Gespielinnen, verhindert nicht die Mordlust seiner Söhne. Immer wieder allerdings blitzen Momente auf, in denen er nur als alter Mann gezeigt wird, der aus fehlgeleiteter Liebe zum Spielball der Ränke seiner Kinder geworden ist. Letztlich ist sogar Cesare als zwiespältiger Charakter geschildert. Auch nachdem Sancha erkannt hat, dass er ein Mörder ist, der vor fast nichts zurückschreckt, flammt immer wieder in ihr das alte Begehren auf, für das sie sich schämt – und es gibt sogar Anzeichen, dass selbst Cesare, der Sanchas Leben systematisch zu zerstören versucht, diese Gefühle erwidert. Die meisten Figuren besitzen sowohl schwarze als auch weiße Schattierungen, was sie glaubwürdig macht und dazu beiträgt, dass man mitgerissen wird.

|Spannung bis zum Schluss|

Das Leben der Borgias und ihr Schicksal sind keine Geheimnisse, dennoch gelingt es der Autorin, den Roman beständig spannend zu halten. Das liegt vor allem daran, dass es zwar viele Vermutungen über bestimmte Aspekte der Borgias gibt, aber nicht immer gesicherte Erkenntnisse. Der grobe Rahmen ist somit zwar historisch festgelegt, doch über einzelne Ereignisse wie Todesfälle und die wahren Charaktere wird nach wie vor spekuliert – genug Spielraum also, um Fantasie walten zu lassen, wer wen ermordet hat und wer an welcher Verschwörung beteiligt war. Mehrmals erlebt man, wie liebgewonnene Figuren in Gefahr geraten oder sogar sterben, sodass man kaum Gewissheit hat, mit wem es welches Ende nimmt. Auch das wechselnde Verhalten der Charaktere sorgt für gebanntes Lesevergnügen. So wie Sancha oft nicht weiß, wem sie trauen darf, kann auch der Leser nicht alle Vorhaben der Personen abschätzen. Man darf sich fragen, ob Lukrezia wirklich die treue Freundin ist, zu der sie sich scheinbar entwickelt hat, ob der wankelmütige, junge Jofre seiner Frau Schaden zufügen wird, welche Intrigen der Papst, Juan und Cesare womöglich planen und auf welche Weise Sancha ihre Rache nehmen wird …

Der historische Hintergrund wird auch für Nichtkundige der Renaissancezeit gut miteingebracht, bleibt dabei immer dezent, ohne trockene Faktenaufzählung. Der Leser spürt das bezaubernde Flair von Sanchas geliebter Heimat Neapel ebenso wie den atemberaubenden Prunk Roms. Die Zustände der damaligen Zeit sind schonungslos und realistisch geschildert, sodass empfindliche Gemüter gewarnt sein sollten – es wird geschändet und gemordet, dass es das Borgia-Herz entzückt. Erfreulicherweise wird jedoch bis auf einmal keine ausufernde Liebeszene erzählt, die sich sonst gerne in historische Romane einschleichen. Dafür begegnet man am Rande auch anderen historischen Gestalten der Zeit, etwa dem kirchenkritischen Prediger Savonarola, dem umstrittenen Philosoph und Politiker Machiavelli und dem gealterten Leonardo da Vinci.

|Kaum Schwächen|

Der Roman braucht ein paar Seiten Anlaufzeit, ehe man richtig in der Handlung Platz genommen hat. Dafür sind hauptsächlich die detaillierten Beschreibungen verantwortlich, die den Beginn etwas zu statisch gestalten. Der Leser erfährt, wer mit wem verwandt ist, wie die einzelnen Personen aussehen und wie die Umgebung gestaltet ist, was sich als etwas ungünstiger Einstieg herausstellt. Ein kleiner Widerspruch taucht auf, als Sancha ihren Halbbruder Ferrandino bei seiner Krönung als hochmütig bezeichnet, denn bei seiner ersten Erwähnung beschreibt sie ihn nur als offen und warmherzig, und da er in der Zeit dazwischen kaum eine Rolle spielt, irritiert dieser plötzliche Umschwung. Etwas unrealistisch wird es, als Juan von der Affäre zwischen seinem Bruder Cesare und Sancha erfahren hat und Gerüchte darüber in Umlauf sind, Sanchas Ehemann Jofre aber nichts davon ahnt. Zu guter Letzt wünscht man sich, man hätte nach Sanchas Umzug nach Rom noch mehr vom Verbleib ihrer übrigen Familie und dem Schicksal der einzelnen Mitglieder erfahren.

_Als Fazit_ bleibt ein faszinierender Historienschmöker aus der Renaissancezeit über das berüchtigte Leben der Borgias. Fantasie und Historie werden gekonnt miteinander verknüpft, die Charaktere überzeugen durch Vielschichtigkeit und die Ich-Erzählerin lädt zum Mitfiebern ein. Bis zum Schluss bleibt der Roman durch individuelle Sichtweisen und Details spannend, selbst wenn man über den geschichtlichen Verlauf bereits informiert ist. Die sehr kleinen Schwächen können den hervorragenden Gesamteindruck nicht trüben.

_Die Autorin_ Jeanne Kalogridis, geboren 1954 in Floria, studierte russische Literatur und Linguistik und unterrichtete acht Jahre lang an der Universität von Washington, ehe sie sich ganz dem Schreiben widmete. Sie ist spezialisiert auf historische Romane. Ihr Debütwerk war „Die Seherin von Avignon“, zuletzt erschien [„Leonardos Geheimnis“. 3959

http://www.ullsteinbuchverlage.de/listtb/

Shocker, Dan – Borro (Larry Brent, Band 35)

Das Buch beinhaltet die Larry-Brent-Romane „Borro, der Zombie“ und „Dr. Satanas – Herr der Skelette“, die erstmals in der Reihe |Silber-Grusel-Krimi| erschienen sind.

_Borro, der Zombie_

Larry Brent macht Urlaub in Afrika, doch bald wird er wieder in einen Strudel rätselhafter und grauenhafter Vorgänge verwickelt.

Eine grausam entstellte Frauenleiche wird entdeckt, die aussieht, als sei die betreffende Person eine Greisin, obwohl die Frau eigentlich erst 27 Jahre alt ist. Larry informiert seinen Chef David Gallun, der den Agenten offiziell für Ermittlungen einsetzt und ihm die Unterstützung der örtlichen Behörden zusichert. Gemeinsam mit einem Polizei-Captain besucht Brent, alias X-RAY-3, einen Medizinmann, der eventuell mehr über den unheimlichen Mord zu berichten weiß. Doch der Schamane ist vor allem Larry Brent gegenüber eher feindselig eingestellt und überwältigt die beiden Ermittler mit einem Gift, um sie mit einem Voodoo-Zauber anschließend zu töten und wieder ins Leben zurückzuholen. Jetzt weiß Larry auch, mit wem er es zu tun hat: Zombies – die ihren Opfern die Lebenskraft entziehen …

_Dr. Satanas – Herr der Skelette_

Dr. Satanas hat ein Präparat entwickelt, mit dem er ungeborene Kinder im Mutterleib in Skelette verwandeln kann, die anschließend zum Leben erwachen, um als kleine Killer mit übermenschlichen Kräften dem teuflischen Verbrecher zu dienen. Dr. Satanas hat zu diesem Zweck die Identität des Gynäkologen Dr. Roche angenommen.

Die PSA schickt ihre besten Agenten, Larry Brent und Iwan Kunaritschew, nach Paris, wo Kommissar Marcel Tolbiac die Ermittlungen bereits aufgenommen hat. Larry Brent schleust sich mit einer werdenden Mutter in die Klinik ein, wo Satanas sein Unwesen treibt. Doch der Teufel in Menschengestalt ist der PSA bereits auf der Spur …

_Beurteilung_

Der Beginn der ersten Story ist bereits geprägt von klassischen Elementen der Grusel- und Horror-Literatur. Ein altes Schiff, nachts in einem mörderischen Sturm, mit einem Untoten an Bord, der von dem letzten Überlebenden mit einer Ankerkette gefesselt und in die tobende See geworfen wird. Die Szene lebt von einer unheimlichen Spannung, die mit den Ereignissen in Afrika fortgesetzt wird, als ein zum Zombie mutierter Mann sich aus der Erde wühlt.

Der Auftritt Larry Brents wirkt da zunächst wie ein Einschnitt und beehrt den Leser mit dem typischen Humor Dan Shockers. Die Kulisse Afrikas ist nur bedingt dazu geeignet, Spannung zu erzeugen, obwohl der Autor dieser Aufgabe ziemlich gut gerecht wird. Getrübt wird der Lesegenuss im Prinzip nur durch einen haarsträubenden Zufall. Denn ausgerechnet als Borro, der Zombie, am Strand gefunden wird und wieder auf Beutezug geht, macht eine junge Frau in Afrika Urlaub, die ihrer Großmutter zum Verwechseln ähnlich sieht, welche vor mehr als 60 Jahren dem Menschen, der einst Borro war, ihre Liebe verweigerte. Borror schwor finstere Rache und will diese natürlich an der jungen Urlauberin vollenden. Diese hanebüchene Story ist umso ärgerlicher, da die Geschichte auch hervorragend ohne diesen Einschub funktioniert hätte. Auch wenn Larry Brent dann nicht als strahlender Retter hätte fungieren können.

Der zweite Roman ist wieder einmal ein Fall, in dem der berüchtigte Erzfeind der PSA, Dr. Satanas, die Fäden zieht. Bereits zu Beginn darf der Menschenfeind zeigen, wozu er fähig ist und mit welcher Teufelei er dieses Mal vorhat, die Menschheit zu vernichten. Leider wird der zweite Auftritt des wahnsinnigen Wissenschaftlers mit keiner Silbe erwähnt, nur die erste Begegnung von Larry und Iwan mit Dr. Satanas (nachzulesen in Band 30 „Wahnsinnsbrut“) findet Erwähnung. Darüber hinaus wird berichtet, dass der letzte gemeinsame Fall mit Kommissar Marcel Tolbiac die Geschichte mit dem Nachtmahr sei, welche im Roman „Im Würgegriff des Nachtmahrs“ erzählt wird und erst im Buch Nummer 61 erscheint. Allerdings haben Larry Brent und Tolbiac erst im letzten Buch (Band 34 „Der Unheimliche”) einen Fall zusammen bearbeitet, nämlich im Roman „Der Unheimliche aus dem Sarkophag“.

Ansonsten ist dieser Roman aber äußerst spannend geschrieben worden. Das teuflische Doppelspiel des Dr. Satanas ist dazu angetan, einen Schauder des Gruselns zu erzeugen. Hier kann der Leser wieder das Misstrauen des Autors gegenüber Ärzten deutlich spüren. Die Angriffe der kleinen Skelett-Killer haben etwas Beklemmendes, da es für einen Unbewaffneten unmöglich erscheint, sich gegen die Wesen mit den übermenschlichen Kräften zu wehren. Sprachlich und stilistisch bewegt sich Dan Shocker auf einem einfachen Niveau, was der Lesbarkeit des Textes sehr zuträglich ist.

Der neue Satzspiegel sorgt für eine deutliche Reduzierung des Seitenumfangs der Bücher, was sich aber nicht auf die Textmenge niederschlägt. Der alte Satzspiegel mit der größeren Schrift ließ sich allerdings viel besser lesen und die Bücher waren irgendwie handlicher und griffiger.

Die Innenillustrationen von Pat Hachfeld fangen die Atmosphäre der Romane perfekt ein. Insbesondere die Interpretation Borros gelingt dem Wolfsburger besser als Lonati, dessen Bild als Cover auf der Vorderseite des Buches zu sehen ist und bereits den Original-Heftroman zierte.

Fazit: Abwechslungsreiche Horror-Trips aus der Feder Dan Shockers, mit kleinen Schwächen in der Handlung.

http://www.BLITZ-Verlag.de

_Florian Hilleberg_

Ellis, Warren / Leach / Fabry / Dillon / Martinez / Muth / Lloyd – Global Frequency 1: Planet in Flammen

_Story_

Die |Global Frequency| ist eine internationale Organisation, die in Extremfällen ihre Agenten aussendet und genau dann eingreift, wenn die üblichen Staatskörper bereits erfolglos ihre Macht ausgespielt haben. Unter der Leitung der unbarmherzigen Miranda Zero hat sich das Unternehmen in den vergangenen Jahren zur Eliteeinheit entwickelt und selbst staatliche Behörden wie das FBI überrundet. Als in San Francisco plötzlich die Gefahr der Entstehung eines schwarzen Loches gegeben ist, bekommt die Spezialtruppe Gelegenheit, sich zu beweisen. Und auch das Ebola-ähnliche Virus, das London heimgesucht hat, eine militante Gruppe, die in Melbourne ein Gebäude in die Luft sprengen möchte sowie ein außerirdisches Computervirus bereiten den insgesamt 1001 Mitgliedern der Global Frequency genügend Arbeit bei der Eindämmung bevorstehender Katastrophen – ganz gleich, welche Methoden hierzu vonnöten sind …

_Persönlicher Eindruck_

Mit seiner neuen Reihe „Global Frequency“ wagt der erfolgsverwöhnte Star-Autor Warren Ellis nun seinen nächsten Anlauf auf das Publikum der etwas anspruchsvolleren Kost und liefert sein komplexestes, gleichzeitig aber auch ambitioniertestes Werk ab. Bereits im ersten Sammelband, der die Original-Ausgaben 1-6 der Heftreihe enthält, geht der Autor in die Vollen und lädt seine Leserschaft ohne große Vorwarnung in die grausame Welt der „Global Frequency“ ein und bereitet derweil seinen finstersten Zukunftsvisionen ein Forum voller beklemmender Stimmung und bedrückter Ausstrahlung.

Allerdings äußert sich die hier geäußerte Düsternis gleich in ganz unterschiedlichen Facetten; natürlich sind es vorwiegend die außergewöhnlichen Szenarien und die offensichtlichen Gefahren, von denen die hauptsächliche Bedrohung ausgeht, doch auch die generelle Vorstellung des überwachten Staates und einer alles überschauenden Organisation, die mit sämtlichen Machtmitteln ausgestattet ist, um in entsprechenden Fällen einzugreifen, jagt einem gleich mehrfach einen eiskalten Schauer über den Rücken und unterstreicht die pessimistische Grundhaltung, die in den Tarantino-gleichen Episoden des ersten deutschen Bandes offenkundig dominiert.

Problematisch gestaltet sich in diesem Sinne jedoch die unkonventionelle Struktur, die noch jeder einzelnen Folge zugrunde liegt. Ellis hat nämlich zwischendurch einige Probleme, der rasanten Action auf der Handlungsebene zu folgen, so dass man teilweise den Eindruck bekommt, der Plot würde von der Vielzahl sowie der hohen Geschwindigkeit der Ereignisse zunächst überholt und erst später wieder eingefangen werden. Dies hat gleich in den ersten beiden Episoden zur Folge, dass das Verständnis für den leicht konfus gestalteten Inhalt erst mit dem Abschluss der Geschichte aufkeimt und man bis dorthin lediglich auf der Suche nach greifbaren, markanten Eckpunkten ist. Zusätzlich erschwert wird diese Entwicklung durch die undeutliche Abgrenzung der einzelnen Abschnitte. Jede der sechs Episoden erzählt eine völlig unabhängige Story und wird zudem auch noch von individuellen Zeichnern graphisch bearbeitet, doch gerade die Übergänge sind häufig schwierig, weil die Szenarien meistens nicht komplett aufgelöst werden und ein Ende erst mit der Überschrift des Folgeteils ersichtlich ist. Bedenkt man schließlich, dass man vorab mit wirklich null Informationen zur „Global Frequency“ ausgestattet wird und Ellis sich ohne Umwege in die Action stürzt, ist der Einstieg in das umfassende Netzwerk der Handlung mit einigen gar nicht mal so leicht zu meisternden Hürden besetzt und erfordert wirklich äußerste Konzentration, um die vielen versteckten Facetten aufzugreifen und in Zusammenhang zu bringen.

Andererseits gewinnt „Global Frequency“ im Laufe der verschiedenen Erzählungen wieder die Überzeugungskraft, die Ellis in bisher all seinen jüngsten Werken verankert hat. Stetig entdeckt man weitere, fein ausgearbeitete Details, bekommt ein Gespür für die tolle Ausprägung der einzigartigen Charaktere und verliebt sich schließlich in die eigensinnige, völlig außergewöhnliche Science-Fiction, die der Autor nach Meisterwerken wie „Ocean“ konsequent weiterentwickelt. Hier leben Action, Mystik und Poesie gleichberechtigt Seite an Seite und schmücken eines der gewagtesten, zeichnerisch vielseitigsten, definitiv aber auch fortschrittlichsten Comics der letzten Monate. Wer futuristisch geprägte Inszenierungen, Endzeitstimmung, kompromisslose Action, eine überdurchschnittliche große Erzähldymanik und gänzliche unabhängige Ideen gebündelt in seinen illustrierten Büchern sucht, kommt heuer eben nicht mehr an Warren Ellis vorbei – auch wenn es bei der steigenden Anzahl vom ihm verfasster Meisterwerke langsam aber sicher recht teuer ist, sein Fandasein auszuleben …

http://www.paninicomics.de/?s=Wildstorm

Blazon, Nina – Im Land der Tajumeeren (Die Taverne am Rande der Welten 2)

Wenn man in der Taverne am Rande der Welten wohnt, kann man jeden Tag ein neues Abenteuer erleben. Nicht umsonst gibt es im Flur des Gasthauses eine Unmenge von Türen, die in alle möglichen Länder führen.

Das dreizehnjährige Findelkind Tobbs wohnt in der Taverne am Rande der Welten. Er arbeitet dort als Schankjunge und wundert sich den lieben langen Tag, wer seine Eltern sind und was der Wirt Dopoulos hinter der zugemauerten Tür versteckt. Nicht umsonst glaubt er, dass das Geheimnis der Tür etwas mit seiner Herkunft zu tun hat.

Eines Tages prescht ein dickes Botenpony mit einem von einem Pfeil durchbohrten Boten in die Taverne. Der Bote scheint an Gedächtnisverlust zu leiden, denn das Einzige, was er sagt, ist „Iwan!“ Nur Wanja, die starke Schmiedin in der Taverne, kann etwas mit dem Namen anfangen. Sie glaubt, dass ihre Tante Baba Jaga den Reiter geschickt hat. Das kann nur heißen, dass die Hexe, die in einem Haus mit Hühnerbeinen lebt, in Gefahr ist. Wanja sattelt ihr rotes Pferd Rubin und macht sich auf nach Rusanien – ohne zu wissen, dass Tobbs ihr folgt. Er hat sich das arbeitslose Botenpony gesattelt und reitet ihr hinterher, denn er hofft, auf diesem Weg etwas über seine Vergangenheit zu erfahren.

Damit liegt er nicht mal so falsch. Die Truhe, die Baba Jaga in ihrem Haus versteckt hatte, enthielt einen wichtigen Hinweis auf seine Herkunft, wie Wanja ihm erzählt. Doch die Kiste ist weg. Die Roten Reiter, die auch den Boten erschossen haben, haben sie mitgenommen und Baba Jaga ist ebenfalls verschwunden. Wanja und Tobbs finden sie in Tajumeer, einem Land, das an eine Südseetrauminsel erinnert. Dort lässt sich die Hexe die Sonne auf den Pelz scheinen. Als Wanja und Tobbs sie treffen, stellt sich heraus, dass ihr Schatz doch nicht den Roten Reitern in die Hände gefallen ist, sondern am Grund des Meeres liegt. Und das wird von den grausamen Haigöttern bewacht …

„Im Land der Tajumeeren“ ist in der Reihe |Die Taverne am Rande der Welten| erschienen. Wie im Vorgängerband [„Die Reise nach Yndalamor“ 3463 mischt Blazon auch dieses Mal heitere Fantasy mit alten Sagengestalten und ähnlichem.

Der eine oder andere mag den Namen Baba Jaga deshalb schon mal gehört haben. Es handelt sich dabei um eine mythologische Gestalt aus Russland, die in einem Mörser fliegen kann, wie Blazon im Anhang erzählt. Die Autorin, die slawische Sprachen studiert hat, orientiert sich aber nicht nur an diesem Kulturkreis. Ebenfalls mit von der Partie sind die Haselhexe aus Tirol und ein paar römische Gottheiten.

Nina Blazon mixt also alles wild durcheinander. Heraus kommt ein spritziges Fantasybuch, rasant erzählt und mit einem heiteren Unterton. Blazon schreibt leichtfüßig, treffsicher und humorvoll, was ihre Bücher auch für erwachsene Leser zu einem Genuss werden lässt.

Im Mittelpunkt steht wieder Tobbs, ein eher ängstlicher Junge, der auf der Suche nach einer eigenen Identität ist. Er ist kein richtiger Held, denn er hat Angst vor Pferden und kann nicht schwimmen. Ein tragischer Antiheld ist er aber auch nicht, denn er beweist sehr wohl Mut, wenn es brenzlig wird. Blazon stattet ihn mit einer Vielzahl verschiedener Wesenszüge aus und gestaltet ihn rund und anschaulich.

Ihm zur Seite stehen Freunde und Feinde, die durch ihre sauber ausgearbeiteten Charaktere und ihre Originalität bestechen. Blazon ist sich dabei nicht zu schade, ihre Figuren an der Grenze der Lächerlichkeit anzusiedeln. Baba Jaga zum Beispiel benimmt (und kleidet) sich bei den Tajumeeren so, wie man sich eine klischeehafte Seniorin auf einer Südseeinsel vorstellt. Durch solche mutigen Charaktere macht es besonders viel Spaß, das Buch zu lesen.

Die Handlung ist auch dieses Mal sehr rasant. Die Ereignisse passieren Schlag auf Schlag, und es werden nur wenige Absätze für gedankliche Ausschweifungen verschwendet. Blazons lobenswerter Einfallsreichtum ist verantwortlich dafür, dass man das Buch nicht aus den Händen legen möchte. Sie malt ihre Fantasywelt in den buntesten Farben und stattet sie liebevoll mit Details und Witz aus. Ab und an baut sie kleine Erinnerungen an die reale Welt ein, zum Beispiel auf Seite 32. Dort erzählt Dr. Dian von der neusten „Magie-Technologie“, dem „Magimnesie-Granulat“, das zu einer „magischen Amnesie“ führt.

Was Blazons Bücher, vor allem die aus der Reihe |Die Taverne am Rande der Welten|, besonders auszeichnet, ist ihre Leichtfüßigkeit in Bezug auf den Schreibstil. Sie tänzelt geradezu von einem Satz zum anderen. Sie benutzt ein einfaches Vokabular, dem sie mit ihrem heiteren Humor eine Menge Lebendigkeit einhaucht.

Allerdings ist das Lesevergnügen dieses Mal nicht völlig ungetrübt. An einigen wenigen Stellen benutzt Blazon Wörter, die für die angepeilte Zielgruppe ab elf Jahren noch etwas zu komplex sein dürften. |Salto mortale| (Seite 18) und |konspirativ| (Seite 29) dürften nicht gerade zum Wortschatz eines durchschnittlichen Fünftklässlers gehören.

Was auf der einen Seite amüsiert, auf der anderen aber leicht deplatziert wirkt, ist der Einsatz von Anglizismen. Die Begriffe |Drama-Queen| (Seite 26), |Cowboy| (Seite 49) oder |Playboy| (Seite 237) wirken ein bisschen fehl am Platze in der ansonsten sauber geschriebenen Geschichte.

Insgesamt hat die Wahlstuttgarterin Nina Blazon erneut ein entzückendes Fantasybüchlein für Kinder und Jugendliche abgeliefert. Die rasante Handlung, der heitere Schreibstil und vor allem die blühende Fantasie der Autorin sind Grund dafür, warum „Im Land der Tajumeeren“ ein einziges Lesevergnügen ist.

http://www.ravensburger.de
http://www.ninablazon.de

Moers, Walter – Stadt der Träumenden Bücher, Die

Im Alter von nur 77 Jahren verliert der junge Lindwurm und Dichter Hildegunst von Mythenmetz seinen geliebten Dichtpaten Danzelot von Silbendrechsler. Dieser hinterlässt ihm nicht mehr als ein Manuskript (abgesehen von einem Garten), welches er vor Jahren von einem jungen Talent zugesandt bekam. Und tatsächlich entpuppt sich dieses Manuskript als das wertvollste, schönste und vollkommenste, was Hildegunst je gelesen hat. Er begibt sich auf die Suche nach dem Schöpfer dieses Werkes. Und welcher Ort wäre besser dafür geeignet, einen Autor ausfindig zu machen, als Buchhaim, die Stadt der Träumenden Bücher?

Dort angekommen, überwältigt diese Stadt Hildegunst mit ihrem ganz besonderen Charme, dem er sofort verfällt. Alles ist der Literatur und der Dichtkunst gewidmet. An jeder Ecke finden sich Antiquariate, Lektorate, Büchereien und gemütliche Cafés, in welchen regelmäßig Dichterlesungen gehalten werden. Kurzum, diese Stadt ist eine einzige Ode an das Lesen. Hildegunst möchte nicht mehr fort und vergisst kurzfristig, weshalb er überhaupt nach Buchhaim kam.

Doch die Stadt hat auch ihre Schattenseiten in Form eines riesigen unterirdischen Höhlenlabyrinthes. Angeblich lebten dort die ersten Bewohner von Buchhaim, bevor die Stadt erbaut wurde. Und so befinden sich dort die wahren Schätze Buchhaims. Bücher von unermesslichem Wert. Gehoben werden diese Schätze von skrupellosen Buchjägern. Die Labyrinthe sind kein Ort, an welchem sich Hildegunst gerne aufhalten würde. Doch genau dorthin verschlägt es den Helden dieser Geschichte, als er mit seinen Nachforschungen bezüglich des Manuskriptes beginnt.

Welches Geheimnis verbergen die dunklen Schatten? Welche Gefahren lauern dort unten außer Spinxxxen, Harpyren und den schrecklichen Buchlingen? Und welches Geheimnis umgibt den mysteriösen Schattenkönig?

|“Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir. Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.“| Dieses Zitat eines gewissen Danzelot von Silbendrechsler beschreibt treffend genau, in welche Welt Walter Moers den Leser entführt. Eine Welt voller Mysterien, in der die Fantasie des Autors in allen nur denkbaren Facetten dem Leser entgegenschwappt.

Walter Moers versteht es wie kein anderer, vor dem inneren Auge des Lesers eine Welt zu erschaffen, die so unmöglich, so fantastisch, so farbenfroh, so erheiternd und gleichzeitig so grausam sein kann. Mit seiner unbeschwerten Art des Schreibens entführt er den Leser auf eine leichtfüßige Reise durch Zamonien. Selten habe ich bei der Lektüre eines Buches im einen Moment so herzhaft gelacht, nur um Augenblicke später vor Spannung fast zu erstarren.

Dieses Buch ist eine Hommage für alle Buchliebhaber. Die bildhaften Beschreibungen Walter Moers‘ ließen mich das alte Pergament förmlich riechen. Inhaltlich setzt sich Walter Moers mit allerlei Klischees auseinander, und wirklich jeder der Branche bekommt sein ‚Fett weg‘; vom Autor über den Verleger bis zum Kritiker. Niemand wird verschont, doch dies immer auf eine liebenswerte Art und Weise. Ein weiteres Highlight des Buches sind die vielfach verwendeten Namen bekannter Zamonischer Dichter und Autoren, die nahezu alle Anagramme bekannter Größen der Literatur sind und auch diesen somit die Ehre erweisen.

„Die Stadt der Träumenden Bücher“ war mein erster Zamonien-Roman bislang, und ich denke, der Ausflug nach Zamonien hat sich gelohnt. Weder hatte ich als ‚Quereinsteiger‘ Schwierigkeiten, mich in diese mir unbekannte Welt hineinzudenken, noch fiel es mir schwer, mich auf das Abenteuer einzulassen. Einzig und allein das Trompaunenkonzert war für meinen Geschmack etwas zu langatmig ausformuliert. Doch auch das kann nicht über die Klasse des Autors, der ja eigentlich nur der Übersetzer war (Leser des Buches werden wissen, was ich meine), hinwegtäuschen.

Ich bin mir sicher, dass Walter Moers das Orm erworben hat. Anders kann ich mir die Qualität des Buches nicht erklären. Dieses Werk kann uneingeschränkt denjenigen empfohlen werden, die gerne auf fantastischen Pfaden wandeln und sich auf ein unvergleichliches Abenteuer einlassen möchten. Auch Zamonien-Einsteigern sei das Buch sehr ans Herz gelegt.

http://www.piper-verlag.de

_Frank P. Albrecht_

Kramer, Wolfgang – Markt von Alturien, Der

_Der Hintergrund_

Alturien war ein kleines Reich im Mittelalter irgendwo zwischen Italien, Germanien und Spanien. In einer Sage wird die Geschichte des Reiches nacherzählt, und darin wird berichtet von der Blütezeit des Adels, dem wirtschaftlichen Aufstieg und dem letztendlichen Streit zwischen den Herrschaftsfamilien, denen ihr Machtstreben schließlich zum Verhängnis wurde. Jene Sage wird nun auf spielerische Weise nacherzählt, und zwar in einer gleich mehrteiligen Reihe zum Thema ‚Alturien‘. Den Einstieg bereitet dabei „Der Markt von Alturien“, der sich an der Küste des Reiches befindet, und an dessen Beispiel nun der stete Aufstieg der Adelskaste dokumentiert wird. Allerdings liegt es nun an den Spielern zu entscheiden, in welchem Ausmaß der Markt wirklich floriert und wie das Prestige unter den Adelshäusern aufgebaut ist. Denn schon hier zeigt sich, dass Image und Einfluss auch in Alturien alles bedeuteten.

_Spielmaterial_

• 1 Spielplan
• 6 Kunden
• 1 Dieb
• 72 Handelshäuser in 6 verschiedenen Farben
• 6 Marktführerkarten
• 14 Prestigekarten
• 1 Karte ‚Stadtwache‘
• 70 Spielgeldscheine
• 2 Spezialwürfel
• 6 Kurzspielregeln
• 12 Investitionskarten

Das Spielmaterial ist qualitativ eigentlich ganz in Ordnung. Zwar bedarf es schon ein bisschen Phantasie, um hinter den brückenförmig entworfenen Handelshäusern eben solche zu erkennen, und außerdem mögen die quietschend bunten Farben ebenfalls nicht ganz so zum historischen Fundament passen, doch zumindest was die Spielbarkeit betrifft, gibt es grundsätzlich keine Einschränkungen. Einzig und allein das wirklich lieblos gestaltete Spielgeld gibt Anlass zur Kritik, denn hier wird der Eindruck reif, dass man es ebenso gut auch selber hätte malen können. Als Ausgleich halten jedoch dann wieder die tollen Kundenfiguren her, die über ein detailreicheres Design verfügen – auch wenn das wiederum nicht ganz mit den bunten Farben der Häuser harmoniert.

Schlussendlich sind Farbgebung und Design nicht vollends zufriedenstellend, aber solange die Spielbarkeit gewährleistet ist, sollte man halt nicht meckern. Letzten Endes wäre es nur schön gewesen, wenn man das Material auch in eine Schachtel platziert hätte, die der Menge angepasst wäre. Der überdimensionale Karton, in dem nicht nur das Spielbrett hin und her rutscht, scheint jedenfalls nicht geeignet. Aber das nur am Rande.

_Spielziel_

In „Der Markt von Alturien“ geht es vornehmlich um den Gewinn von Einfluss und Prestige. Dies geschieht in erster Linie über den Ausbau der eigenen Handelskette, den daraus resultierenden Zugewinn von Macht und Geld und schließlich über den Kauf von drei Prestigeobjekten. Wer Letztere als Erster sein Eigen nennt, darf sich glücklich Sieger nennen – wobei Glück in gewisser Weise kein zufällig gewählter Begriff ist. Doch dazu später mehr.

_Spielvorbereitung_

Bevor eine Partie beginnen kann, wird zunächst einmal das Spielmaterial verteilt. Jeder wählt eine Farbe und bekommt die dementsprechenden Handelshäuser. Darüber hinaus verfügt jeder über ein Startkapital von 6 Rand (offizielle Währung in Alturien). Die Prestigekarten, die Marktführerkarten und jene mit der Stadtwache werden ebenso wie der Dieb neben dem Spielfeld platziert. Anschließend werden die Kunden beginnend mit dem ältesten Spieler (und anschließend im Uhrzeigersinn) auf freien Straßenfeldern auf dem Spielplan verteilt. Wichtig ist hierbei, dass sie eine klare Ausrichtung haben, da sie später nur in die Richtung ziehen dürfen, in die die Spitze ihres Sockerls zeigt. Als Letztes setzt nun jeder vier Handelshäuser auf beliebige freie Marktstände, wobei zu beachten ist, dass anfangs nur jeweils ein Handelshaus auf einem dunkelgrauen Spezialfeld stehen darf. Ist dies geschehen, kann das Spiel beginnen.

_Spielverlauf_

Der Spielzug eines Spielers ist grob in drei verschiedene Schritte unterteilt, nämlich:

1. Würfeln und eine Figur vorwärts ziehen
2. Geld einnehmen, indem die Kunden einkaufen
3. Geld ausgeben und eventuell investieren

Dabei ist nur der erste Schritt ein entscheidendes Muss, während man später nicht genau bestimmen kann, ob der Kunde auch tatsächlich in einem Geschäft landen und einkaufen wird bzw. anschließend auch genügend Geld übrig hat, um zu investieren. Der Aufbau ist nun wie folgt:

Der Spieler würfelt mit dem Spezialwürfel die Augenzahl aus, welche besagt, wie weit eine von ihm ausgewählte Figur ziehen darf. Zu Beginn des Spiels stehen ihm nur die sechs Kunden zur Verfügung; sobald jedoch ein Spieler über ein Vermögen von 10 Rand und mehr verfügt, kommt auch der Dieb ins Spiel und darf gezogen werden. Entsprechend der Augenzahl wird also nun gezogen, wobei man stets versuchen sollte, die Kunden auf seinen eigenen Märkten zu platzieren, denn nur dann gibt es auch Geld als Belohnung. Wichtig auch hierbei: Das Feld, auf das die Figur gezogen wird, muss frei sein. Und natürlich müssen alle Figuren immer in genau jene Richtung gezogen werden, in die ihr Sockel ausgerichtet ist.

In jedem Zug darf man nur einmal würfeln und ziehen; sollte man sich aber entschließen, als Erstes den Dieb zu ziehen und eventuell einen Gegner auszurauben, darf man anschließend ein weiteres Mal würfeln und ziehen.

Ist man nun mit seiner Figur auf einem eigenen Marktfeld gelandet, kommt es zur Abrechnung. Hierbei gibt es partiell gravierende Unterschiede, die bei der Wahl des Zugs bereits mit eingeplant werden sollten. Vorteilhaft wäre es demnach, einen Kunden in eine der sechs Regionen zu schieben, in der man die Position des Marktführers innehat. Dies ist in der Regel der Fall, wenn man über die meisten Geschäfte/Handelshäuser in dieser Region verfügt. Weiter ratsam wäre es, Märkte aufzusuchen, auf denen man bereits mehrere Geschäfte aufgebaut hat. Und wenn es dann noch möglich ist, den edelsten Kunden, nämlich den Grande, in sein Geschäft zu locken, wäre das ebenfalls lukrativ, weil dieser immerhin einen Kundenwert von drei hat. Unter Berücksichtigung dessen wird also nachher gerechnet, multipliziert und addiert. Die Formel sieht dabei folgendermaßen aus: Kundenwert x Handelshäuserzahl + 2 Real bei Marktführerschaft. Natürlich lässt sich der Optimalfall nicht jedes Mal verwirklichen, aber ggf. erhält man hier schon mal schnell einen Betrag von knapp 10 Rand, was schon fast dem Preis eines Prestigeobjekts (12 Rand) entspräche.

Es besteht indes die Möglichkeit, das Gesamtergebnis noch ein weiteres Mal zu verbessern, falls zu Beginn des eigenen Zuges noch eine Figur auf einem eigenen Spezialfeld steht. In diesem Fall wird nämlich nicht nur die zuvor bewegte Kundenfigur gewertet, sondern auch der Kunde, der seit der letzten Runde immer noch auf diesem Spezialfeld steht – und das nach dem gleichen Rechenbeispiel.

Sollten die Kunden in der jeweiligen Runde nicht sonderlich glücklich auf dem Spielfeld positioniert sein, besteht noch die Möglichkeit, den Dieb ins Spiel zu bringen. Weil dieser sowieso einen weiteren Zug ermöglicht, wäre es aber generell ratsam, ihn immer zuerst einzusetzen, da man sich dadurch einen individuellen Vorteil verschaffen und dem Gegnern weiter schaden kann. Der Dieb hat nämlich einen Kundenwert von -2 und raubt dem Geschädigten nach dem nunmehr bekannten Rechenmuster den entsprechenden Wert an Real, der natürlich dann in die eigene Tasche gewirtschaftet wird. Interessant wird’s dabei, wenn der Beraubte den Schaden nicht begleichen kann; dann nämlich muss er Handelshäuser zu einem geringeren Wert an die Bank zurückverkaufen, um das Geld aufzubringen. Zum Ausgleich erhält man aber zumindest nachher die Karte mit der Stadtwache, die vor weiteren Angriffen des Diebes schützt – und zwar so lange, bis dieser wieder zugeschlagen hat.

Wer nach alldem noch ein wenig Geld übrig hat, kann es im letzten Schritt nun in Handelshäuser, Marktausbau, Umzüge oder Prestigekarten umsetzen. Allerdings sollte man immer noch einen letzten Notgroschen übrig lassen, denn der Dieb kehrt garantiert bald zurück.

_Spielende_

Sobald alle Prestigekarten vergeben sind bzw. ein Spieler drei von ihnen besitzt, wird die angefangene Runde noch zu Ende gespielt. Anschließend wird der Sieger ermittelt, sprich derjenige mit den meisten Prestigekarten. Sollte hier Gleichstand bestehen, wird das Bargeld verglichen. Der Legende nach ist der Gewinner nun Baron von Alturien.

_Persönlicher Eindruck_

Die Eindrücke, die der Auftakt der „Alturien“-Reihe hinterließ, war in hiesigen Spielerkreisen recht gemischt, was vor allem damit zusammenhing, dass das Spiel als nur wenig innovativ erachtet wurde. Dies mag weniger verwundern, wenn man sich vor Augen führt, dass Autor Wolfgang Kramer die Grundidee zu „Der Markt von Alturien“ einem Spiel aus den Achtzigern, nämlich „City“, entliehen und die Umgebung lediglich den neuen Bedingungen angepasst hat. Weiterhin wurde festgestellt, dass der Glücksfaktor recht hoch einzustufen ist und im Grunde genommen sehr viel von den Resultaten der Würfelergebnisse zusammenhängt. Gerade zu Beginn hat das Spiel daher auch etwas von „Monopoly“, was darin bestärkt wird, dass derjenige, der anfangs glücklich würfelt, sofort lukrativ investieren und seinen Machtbereich schnell ausbauen kann, wohingegen der zunächst vom Pech Gebeutelte schon in den ersten Runden erhebliche Schwierigkeiten bei der Weiterentwicklung seines Handelsnetzwerks haben wird.

Nichtsdestotrotz ist die Dynamik, die sich im Laufe des Spiels entwickelt, nicht zu unterschätzen, denn erst nach und nach stellt sich heraus, dass man die ersten Eindrücke nicht überbewerten und erst einmal abwarten sollte, wie sich das Ganze gestaltet, wenn erst mal jeder ein bis zwei Partien absolviert hat. Meiner Meinung wird die Sache dann nämlich trotz der genannten Defizite richtig spannend, zumal jeder nun auch schon die Finessen durchschaut und sich eine entsprechende Taktik zurechtgelegt hat, mit der er seine Gegner überrumpeln kann. Dass selbst dann nach wie vor sehr viel vom Würfelglück abhängt, ist indes weiterhin unbestritten und dämpft zumindest die nicht ganz so fein ausgeprägte taktische Komponente, mindert aber nur geringfügig den Spielspaß. Schließlich greifen auch heute immer wieder Leute zu „Monopoly“ …

Für den Auftakt geht „Der Markt von Alturien“ letztendlich in Ordnung; es ist zwar nicht der erhoffte Kracher, aber ein grundsolides, unterhaltsames Spiel, welches besonders jetzt, wo der wesentliche Gehalt durchschaut ist, sicher noch öfter auf den Tisch kommt. Und dennoch: Um die Serie interessant zu halten, sollte in der Fortsetzung eine Steigerung inbegriffen sein.

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Pessl, Marisha – alltägliche Physik des Unglücks, Die

Marisha Pessl hat für ihren Debütroman „Die alltägliche Physik des Unglücks“ reichlich Lobeshymnen eingeheimst. Die Presse überschlägt sich geradezu vor Lob, feiert den Roman als brillantes Debüt und eines der besten Bücher überhaupt seit langem ab. Wirft man einen Blick auf den Handlungsabriss, so hofft man wirklich, ein feines Romanjuwel in Händen zu halten, denn die Handlung klingt durchaus liebenswürdig und vielversprechend.

„Die alltägliche Physik des Unglücks“ erzählt die Geschichte der Blue van Meer. Blues Vater ist Universitätsprofessor, der als Gastdozent mal hier und mal dort lehrt, so dass Blues Kindheit und Jugendzeit vor allem von permanenten Ortswechseln geprägt ist. Doch Blue kommt damit im Grunde gut zurecht. Sie ist intelligent und vertieft sich leidenschaftlich gerne in Bücher.

Als sie ein letztes Mal vor ihrem Schulabschluss die Schule wechselt, weil ihr Vater einen Lehrauftrag in Stockton angenommen hat, ahnt sie noch nicht, was für ein turbulentes Schuljahr ihr bevorsteht. Während ihr Vater (wie üblich) die Damenwelt in Verzückungen versetzt, gerät Blue in den Bann der Lehrerin Hannah Schneider und einer mit ihr befreundeten Schülerclique.

Blue wird in die Gemeinschaft aufgenommen und beginnt das Leben zu genießen. Bis zum dem denkwürdigen Tag, an dem ein mysteriöser Mord geschieht. Blue versucht etwas Licht in die Hintergründe zu bringen, und was sie dabei entdeckt, wirbelt ihr ganzes Leben durcheinander …

„Die alltägliche Physik des Unglücks“ ist ein Buch, das im Grunde in keine Schublade passt. Was als Coming-of-Age-Geschichte anfängt, entwickelt mehr oder minder krimihafte Züge. Pessl garniert diesen sonderbaren Genremix mit einer Flut an Zitaten und mit bis an die Grenze des Vertretbaren gehenden blumigen Umschreibungen. Sie setzt sich dadurch überaus deutlich von anderen Autoren ab und legt ein Werk vor, das vor allem durch seinen konsequenten individuellen Stil besticht. Das ist es sicherlich, was die einen Leser in Verzückungen und wahre Begeisterungsstürme versetzt und die übrige Leserschaft eher irritiert zurücklässt. „Die alltägliche Physik des Unglücks“ dürfte ein Buch sein, an dem sich die Geister scheiden.

Die Geschichte fängt an sich ganz beschaulich an. Der Leser/Hörer lernt Blue und ihren Vater kennen und schmunzelt über so manchen sonderbaren Vergleich der Autorin und so manche obskure Umschreibung. Marisha Pessl bedient sich eines wunderbar reichhaltigen Wortschatzes. Sie umschreibt Menschen und Dinge auf die sonderbarste Art und Weise, so dass man immer wieder über ihre ungewöhnlichen Formulierungen schmunzeln muss. Das gestaltet bereits den Einstieg in das Buch sehr unterhaltsam und man mag gerne glauben, dass all die Lobeshymnen berechtigt sind.

Was Pessls Stil ebenfalls kennzeichnet, ist eine wahre Zitierwut. Immer wieder streut sie Zitate in Blues Schilderungen ein. Die belesene Blue neigt offensichtlich dazu, Dinge bevorzugt mit den Worten anderer zu sagen, und das stets unter Angabe von Autor, Textquelle und Erscheinungsjahr. Im Hörbuch stören diese Einschübe nicht sonderlich, im Buch könnte ich mir aber durchaus vorstellen, dass sie auf die Dauer ein wenig ermüden können.

Die Handlung gerät vor dem Hintergrund dieses prägnanten Erzählstils etwas zur Randerscheinung. Nachdem man mit den Figuren vertraut ist und Blue sich an der neuen Schule in Stockton eingewöhnt hat, beginnt die Handlung etwas vor sich hinzuplätschern. Es gibt Phasen, wo nicht viel passiert, aber die wenige Handlung durch den aufgebauschten Erzählstil als mehr erscheint, als sie wirklich ist. Es macht zwar dennoch Spaß zuzuhören und über Marisha Pessls farbenprächtige Sprache und die vielen treffenden Zitate zu staunen, aber die handlungsärmeren Phasen des Buches können (vor allem dann wenn man selbst liest und das Buch nicht so unangestrengt konsumieren kann wie bei der Hörbuchfassung) doch etwas ermüdend werden.

So wenig man einerseits Pessls ausschmückenden, bildgewaltigen Erzählstil beschneiden möchten, so sehr wünscht man sich andererseits auch eine Straffung der Handlung – gerade im Mittelteil, wo sich so manche Länge endlos hinzuziehen scheint. Und vor diesem Hintergrund fangen dann auch manche etwas zu ausschweifend geratenen Umschreibungen wenig an zu nerven. So sehr Pessls Stil auch über weite Strecken Spaß macht, manchmal treibt sie ihre originelle Umschreibungswut auch etwas zu sehr auf die Spitze.

Erst mit Beginn des letzten Drittels kommt dann wieder eine Phase, in der man neugierig und ungeduldig die Geschichte in sich aufsaugt. Mit dem mysteriösen Mord bekommt die Handlung eine Dynamik, die ihr vorher gefehlt hat. Es entsteht Spannung und man will unbedingt wissen, wie die Geschichte weitergeht.

Doch so unvermittelt, wie der Spannungsschub die erlahmende Handlung wieder auf Touren bringt, so abrupt ist die Geschichte dann auch schon zu Ende. Plötzlich ist die Geschichte vorbei, Blue verabschiedet sich aus der Handlung und der Leser bleibt etwas irritiert und unbefriedigt zurück. Ich persönlich habe glatt die letzten Takte noch mal bewusst von CD gehört, weil ich dachte, beim Übertragen auf den |iPod| wäre mir vielleicht ein Kapitel verloren gegangen, aber dem war nicht so. Plötzlich ist die Geschichte zu Ende, ohne dass sie eigentlich wirklich richtig zu Ende erzählt ist. Da bleibt man als Leser/Hörer schon etwas ratlos und unzufrieden zurück.

Die Hörbuchfassung muss man ansonsten aber durchaus als gelungen bezeichnen. Schauspielerin Anna Thalbach liest die Geschichte und füllt sie sehr schön mit Leben. Ihre Stimme passt wunderbar zum Charakter von Blue und auch die übrigen Personen werden gut umgesetzt. Das macht es zwar ganz angenehm, der Geschichte zuzuhören, und tröstet über so manche Länge hinweg, über die man leicht mal laut aufgestöhnt hätte, wenn man die Geschichte selber lesen müsste, kann die Schwachpunkte des Buches aber eben auch nicht ausradieren.

Alles in allem ist „Die alltägliche Physik des Unglücks“ nach all den überschwänglichen Lobeshymnen eher eine Enttäuschung als eine Offenbarung. Es gibt Züge an Marisha Pessls Schreibstil, die Freude bereiten und die „Die alltägliche Physik des Unglücks“ im Grunde zu einem liebenswürdigen Roman machen. Rein sprachlich betrachtet, ist es ein wirklich schönes und ungewöhnliches Werk. Die Handlung wirkt da manchmal fast wie schmückendes Beiwerk, und genau das ist der entscheidende Schwachpunkt des Romans. Eine Straffung der Handlung hätte gutgetan und der Geschichte etwas mehr Dynamik eingebracht. So nimmt die Geschichte nach zwischenzeitlichen Durststrecken erst zum Ende hin so richtig Fahrt auf.

Abgesehen davon ist die Hörbuchfassung von |Argon Hörbuch| durchaus gelungen umgesetzt. Ich weiß nicht, ob ich bei der Lektüre auch nur halb so viel Durchhaltevermögen an den Tag gelegt hätte, wenn ich selbst hätte lesen müssen. Durch Anna Thalbachs kurzweilige Lesung lassen sich schließlich so manche Längen in der Handlung durchstehen.

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Hoffmann, Horst – Sternenkind (Titan-Sternenabenteuer 29)

_Story_

Nachdem das Verhältnis zwischen den Emo-Rebs und den gefühlsberaubten Cadschiden wieder in die rechte Bahn gelenkt wurde, machen sich der Lariod Dorlog, sein Gefährte Arlog und das Team der |Titan| auf die Suche nach dem Ursprungsvolk der Einäugigen. In Wythan, dem Heimatplaneten der Cadschiden, angekommen, bietet sich ihnen jedoch ein Bild des Grauens; die gesamte Welt liegt nach einem Angriff der Weltraumfresser in Schutt und Asche und wird derweil von einigen Mutanten beherrscht.

Vanessa Modesta und ihre Crew müssen ganze Arbeit leisten, um die Wythaner und das in der Prophezeiung des Lariods erwähnte Sternenkind aufzuspüren, mit dessen Hilfe die Cadschiden und die Wythaner wieder zu einem Kollektiv verschmelzen sollen. Unter Anleitung des jüngsten und letzten Nachfahren der Wythaner reisen sie auf einen von Vanessa ‚Destiny‘ getauften Planeten, in dessen Kristallwelten das verbliebene Kollektiv der urtümlichen Vorfahren sich versteckt hält. Allerdings ist die Bedrohung, die ihnen dort entgegenschlägt, noch weitaus brutaler als die Gefahren auf Wythan …

_Persönlicher Eindruck_

Die stetige Berg- und Talfahrt im Rahmen der „Titan-Sternenabenteuer“ macht auch vor dem neuesten Band „Sternenkind“ keinen Halt. Nachdem der Social-Fiction-Abschnitt der Serie mit dem letzten Band „Dorlog“ vorläufig zugunsten des Starts einer neuen Weltraumsaga abgeschlossen wurde, gelang es Horst Hoffmann in besagter Episode, wieder eine Geschichte zu entwerfen, die sich ganz nahe am gefeierten Ursprung der nunmehr 29-teiligen Reihe orientierte. Und selbst wenn „Dorlog“ hier und dort noch einige geringfügig zu bewertende Schönheitsfehler aufwies, so durfte man endlich wieder in eine hoffnungsvolle Zukunft blicken, weil die unliebsamen Schmonzetten zwischen Shalyn Shan und Monja ebenso vorbei schienen wie die völlig ausgelatschten Pfade, die solch vergleichsweise dümmliche Gestalten wie Wernher von Witzleben bis zuletzt beschritten hatten.

Aber es wäre natürlich zu schön, würde man das relativ gute Niveau der letzten Geschichte in der Fortsetzung dann auch mal konsequent halten. Selbst dem wohl besten derzeitigen „Titan“-Schreiber Hoffmann ist nämlich in „Sternenkind“ eine ganze Reihe an Peinlichkeiten und Schönheitsfehlern unterlaufen, die nicht nur den generellen Plot ad absurdum führen, sondern auch jeden zuvor aufgebauten Spannungsbogen im rasanten Tiefflug wieder durchbrechen. Hinzu kommt, dass die Entwicklungen in „Sternenkind“ von Seite zu Seite unglaubwürdiger erscheinen und man gerade im Schlussdrittel den Eindruck bekommt, der weitere Verlauf der Story würde nur zur Füllung des (dazu noch bescheidenen) Seitenumfangs dienen. An Ideen mangelt es nämlich ganz gewaltig, was den Autor dazu veranlasst, nach dem Abschluss des ersten Horror-Szenarios auf Wythan gleich noch eine vollkommen ähnliche Situation auf Destiny zu schaffen, in der er sich zudem auch noch mehrfach zitiert. Ob das hätte sein müssen? Des Weiteren hat sich Hoffmann scheinbar auch vom platten Liebesgesäusel seiner Kollegen anstecken lassen. Die bisweilen noch hitzige Affäre zwischen Vanessa Modesta und Sebastian Blenkov artet heuer völlig aus und wird vom überzogenen Pathos fast erstickt. Nicht zu vergessen die Momente, in denen der Leser seine Helden bereits tot wähnt, diese aber wieder mal wie durch ein Wunder der finsteren Bedrohung trotzen konnten. Gerade Letzteres wird in „Sternenkind“ bis zum Erbrechen ausgereizt und entzieht der Geschichte zum Schluss dann auch das letzte Fünkchen Authentizität.

Dass die Mini-Serie innerhalb der „Titan-Sternenabenteuer“ mit diesem Band in einem mäßigen, völlig unspektakulären Finale bereits ihr Ende findet, setzt der Negativ-Entwicklung schließlich die Krone auf. Mensch, da hat der Autor endlich mal wieder einen Hintergrund mit Potenzial aufgestellt, nur um ihn im Eiltempo wieder zu zerstören. Sollte dies die Masche des aktiven „Titan“-Teams sein – und so scheint es mir angesichts der merkwürdigen Qualitätsschwankungen zwischen den letzten Ausgaben –, dann kann ich das mittlerweile weder lustig finden noch irgendwie begrüßen. Und so ist der Kontrast in diesem Fall wohl auch noch am schwersten zu tolerieren. Nach dem besten Band der letzten Monate folgt mit „Sternenkind“ der vorläufige Tiefpunkt der neueren „Titan“-Veröffentlichungen. Traurig, aber leider wahr!

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Nuyen, Jenny-Mai – Nocturna – Die Nacht der gestohlenen Schatten

Vampa ist seit neun Jahren vierzehn. Und er hat seine Erinnerungen verloren, selbst die an seinen wirklichen Namen. Das Einzige, woran er sich aus der Zeit vor den letzten neun Jahren erinnert, ist ein gesichtsloser Mann mit Zylinder, der ihm eine Geschichte erzählte. Seine – Vampas – Geschichte, und mit jedem Wort der Erzählung verschwand ein Teil dieser Geschichte aus seinem Gedächtnis und wanderte in das Dritte Buch. Seither ist er auf der Suche nach diesem Dritten Buch. Er will seinen Namen und seine Erinnerungen wiederhaben. Denn ohne sie ist er kein Mensch, kann weder leben noch sterben …

Apolonia dagegen hat ganz andere Probleme. Vor kurzem ist die Buchhandlung ihres Vaters abgebrannt, was diesen den Verstand gekostet hat. Da Apolonias Mutter vor einigen Jahren gestorben ist, bleibt dem Mädchen nun nichts anderes übrig als bei ihrer Tante und ihrem Onkel zu wohnen. Seither löchert sie den mit der Klärung des Falles betrauten Polizeiinspektor nahezu täglich nicht nur mit Fragen nach dem Fortschritt der Ermittlungen, sondern auch mit ihrer Theorie einer Zaubererverschwörung!

Tigwid wiederum ist in die ganze Sache aus purer Neugier hineingeschlittert. Er hat ein paar ungewöhnliche Fähigkeiten, zum Beispiel kann er Dinge bewegen, ohne sie zu berühren, und er kann mit Tieren sprechen. Und er will unbedingt wissen, woher diese Fähigkeiten kommen. Was er nicht weiß: Auch ihm wurden Erinnerungen genommen …

Schon bald stellt sich heraus, dass die hartnäckigen Fragen und Nachforschungen der drei auf denselben Punkt zielen. Einen Punkt, der sie schon bald in große Schwierigkeiten bringt …

Der dominierende Charakter unter den dreien ist Apolonia. Sie ist nicht nur von wohlhabender Herkunft, sie ist auch sehr intelligent. Das hat eine scharfe Zunge und eine gehörige Portion Arroganz zur Folge. Sie ist überzeugt davon, dass ihre Mutter keines natürlichen Todes starb, und dass der Brand im Geschäft ihres Vaters und dessen jetziger Gesundheitszustand damit zusammenhängen. Sie fühlt sich bestohlen, ihrer Familie und ihres Zuhauses beraubt und sinnt auf Rache. Daß sie tatsächlich einen Teil der Wahrheit herausfindet, liegt allerdings mehr an ihrem Mut als an ihrer Intelligenz. Und Letztere kann sie auch nicht davor bewahren, letztlich doch ihren Gegnern auf den Leim zu gehen …

Tigwid ist ein Straßenjunge, der von Diebstählen lebt und von Botengängen für einen der städtischen Unterweltbosse. Ein echter Überlebenskünstler, dem man nur schwer die gute Laune verderben kann. Er besitzt eine gesunde Portion Misstrauen, einen durch seinen Lebenswandel geschulten, sicheren Instinkt und außerdem Köpfchen.

Über Vampa gibt es nicht besonders viel sagen, denn durch den Verlust seiner Erinnerungen ist ihm seine Persönlichkeit abhanden gekommen. Er strahlt vor allem Leere und Kälte aus, was seine Umgebung ziemlich einschüchtert.

Ein interessanter Charakter war Apolonias Tante Nevera, die zunächst wirkt wie eine oberflächliche, egozentrische dumme Gans. Wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt, hat sie es aber in sich. Und die Entwicklung vollzieht sich ganz allmählich und ohne Knacks.

Mit anderen Worten, auch in ihrem dritten Buch ist Jenny-Mai Nuyen die Charakterzeichnung wieder gut gelungen. Zwar sind die Figuren nicht ganz so eindringlich geraten wie in ihren ersten Büchern, das mag aber auch daran liegen, dass Tigwid und vor allem natürlich Vampa ein mehr oder weniger großer Teil ihres Ichs fehlt. Trotzdem waren auch Vampas Leblosigkeit und seine Reaktion auf das Buch mit Tigwids Geschichte sehr gut gemacht.

Auch die Grundidee, auf der das Buch basiert, fand ich sehr ungewöhnlich und faszinierend. Eine Gruppe magisch Begabter, die sich die Dichter nennen, stiehlt den Menschen ihre Erinnerungen, um damit Bücher zu schreiben. Diese Bücher üben einen einzigartigen Zauber auf den Leser aus, und zwar deshalb, weil sie echte Gefühle beinhalten. Die Dichter behaupten, dies sei der einzige Weg, andere an den eigenen Gefühlen teilhaben zu lassen, und ihre Taten brächten Liebe und Glück in die Welt und seien deshalb zum Wohle der Menschheit.

Die Originale der Bücher werden mit dem Blut desjenigen geschrieben, dessen Erinnerungen sie enthalten sollen. Worte, die mit Blut geschrieben wurden, besitzen noch eine weitere Eigenschaft, die den Kopien fehlt: Ihren Worten wohnt die Macht inne, so tief in den Geist des Lesers einzudringen, dass er sie für seine eigenen hält. Auf diese Weise können die Dichter Menschen manipulieren, in den Wahnsinn treiben, sogar töten. Daran ist unschwer zu erkennen, dass die Dichter durchaus noch andere Ziele haben, als nur für ihre genialen literarischen Werke bewundert zu werden und ein Vermögen damit zu verdienen.

Um gegen einen solchen Gegner zu bestehen, müssen natürlich die Hauptfiguren der Geschichte auch mit entsprechenden Fähigkeiten ausgestattet sein. So stellt sich schon bald heraus, dass auch Apolonia mit Tieren sprechen kann, und zwar wesentlich besser als Tigwid. Außerdem erhalten sie Unterstützung vom Treuen Bund der Kräfte, ebenfalls magisch begabten Leuten, die die Dichter bekämpfen.
Und dann ist da noch die Polizei, die logischerweise von all dem überhaupt nichts glaubt!

So kommt es, dass es nahezu unmittelbar, nachdem Apolonia ihr Elternhaus verlassen hat, um Tigwid zu folgen, ziemlich drunter und drüber geht. Von allen möglichen Seiten werden die drei verfolgt, getrennt, entführt. Das sorgt zunächst einmal für eine Menge Trubel, spannend wird es aber erst, als Apolonia ins Wanken gerät und nicht mehr weiß, welcher Seite sie glauben soll.

Leider empfand ich gerade diesen wilden Trubel als etwas hektisch und chaotisch. Irgendwie verläuft der Erzählfluss in diesem Teil des Buches nicht ganz glatt, auch wenn er so amüsante Nebensächlichkeiten bot wie die Verbrüderung von Tigwids betrunkenem Boss und Dotti, der mindestens genauso betrunkenen Inhaberin der geheimen Gangsterkneipe.

Auch die physikalische Erklärung der magischen Talente der Motten, wie hier die Zauberer genannt wurden, hakelt etwas. Abgesehen von dem unglücklich gewählten Wort Magnetismus glaube ich nicht, dass die elektrischen Gehirnströme von Erinnerungen sich in irgendetwas von denen anderer Gedanken unterscheiden. Strom ist Strom.

Unterm Strich bleibt zu sagen, dass mir dieses Buch von Jenny-Mai Nuyen recht gut gefallen hat, wenn auch nicht ganz so gut wie ihre ersten beiden. Den Handlungsaufbau fand ich zunächst nicht so gelungen, später wurde es besser. Die Charakterzeichnung war nicht ganz so intensiv, aber immer noch sehr glaubwürdig und anschaulich. Und für die kleinen Knackse entschädigt die ausgefallene Thematik der Geschichte. Mit anderen Worten: Auch wenn es nicht ganz an die beiden Vorgänger heranreicht, ist auch dieses wieder ein sehr gutes Buch der jungen Autorin.

Jenny-Mai Nuyen stammt aus München und schrieb ihre erste Geschichte mit fünf Jahren. Mit dreizehn wußte sie, dass sie Schriftstellerin werden wollte. „Nijura“, ihr Debüt, begann sie im Alter von sechzehn Jahren. Inzwischen ist sie neunzehn und studiert Filmwissenschaft an der New York University.

Gebundene Ausgabe 580 Seiten
ISBN-13: 978-3-570-13337-8

www.jenny-mai-nuyen.de/
www.randomhouse.de/cbjugendbuch/index.jsp

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Festa, Frank (Hrsg.) – Pflanzen des Dr. Cinderella, Die

25 meist kurze Geschichten geben einen Überblick, der angelsächsische und europäische Phantastik von 1830 bis 1930 umfasst. Mit großer Sachkenntnis und viel Liebe zum Genre hat Herausgeber Festa vor allem selten oder sogar noch nie in deutscher Sprache erschienene, thematisch und stilistisch breit gefächerte Storys ausgewählt und macht den Freunden des ‚historischen‘ und durchaus anspruchsvollen Grusels ein gern entgegengenommenes Geschenk:

_Ralph Adams Cram (1863-1942): Das Haus in der Rue M. le Prince_ („No. 252, Rue M. le Prince“, 1895) – Die böse Tante vermacht dem erfreuten Neffen ihr Haus, doch leider ist es verflucht und beschert dem ahnungslosen Erben und seinen Freunden eine unvergessliche Nacht …

_Robert E. Howard (1906-1936): Das Ding auf dem Dach_ („The Thing on the Roof“, 1932) – Wer sich im mittelamerikanischen Dschungel auf Schatzsuche begibt, sollte sich zuvor sorgfältig informieren, was genau in der Schatzkammer auf ihn wartet …

_Gustav Meyrink (1868-1932) – Die Pflanzen des Dr. Cinderella_ (1913) – Ein ehrgeiziger Wissenschaftler forscht ein wenig zu abseits naturgesetzlicher Pfade, was seiner geistigen Gesundheit abträglich ist …

_Oskar Panizza (1853-1921): Die Kirche von Zinsblech_ (1893) – Ein müder Wanderer sucht ein Nachtquartier in besagtem Gotteshaus, wo er in einen turbulenten Hexensabbat gerät …

_Leslie Poles Hartley (1895-1972): Der australische Gast_ („A Visitor from Down Under“, 1926) – Mr. Rumbold ist im fernen Australien auf eine Weise zu Reichtum gekommen, die eine Rückkehr ins heimische England ratsam scheinen lässt: Allerdings hat er die Rachsucht seines Opfers definitiv unterschätzt …

_Ralph Adams Cram (1863-1942): Gefangen auf Schloss Kropfsberg_ („In Kropfsberg Keep“, 1895) – Zwei allzu selbstbewusste Wanderer besuchen des Nachts ein Spukschloss in Österreich …

_Edgar Allan Poe (1809-1849): William Wilson_ („William Wilson“, 1839) – Wer ist die mysteriöse Erscheinung, die dem Wüstling und Falschspieler Wilson immer dann in den Arm fällt, wenn der eine besonders ruchlose Tat plant …?

_Ralph Adams Cram (1863-1942): Die weiße Villa_ („The White Villa“, 1895) – In Italien geraten zwei Reisende in ein nächtliches Spukdrama, das sich seit vielen Jahren unbarmherzig wiederholt …

_Leonhard Stein: Der Flötenbläser_ (1918) – Eine junge Frau verfällt dem Zauber Ägyptens – und einem stattlichen Mann aus dem Volke, der indes nicht ganz von dieser Welt ist …

_Bram Stoker (1847-1912): Im Haus des Richters_ („The Judge’s House“, 1891) – Der alte Richter ließ für sein Leben gern hängen; nach seinem Tod übernimmt er den Job selbst …

_Willy Seidel (1887-1934): Lemuren_ (1929) – Ein seelisch aus der Bahn geworfener Mann gerät bei seiner Flucht vor den Menschen an eine Stätte, an der merkwürdige Kreaturen auf ihn schon gewartet zu haben scheinen …

_Ralph Adams Cram (1863-1942): Notre Dame des Eaux_ („Notre Dame des Eaux“, 1895) – In einer uralten Kirche in einem abgelegenen Winkel Frankreichs findet sich eine junge Frau nächtens allein mit einem mörderischen Wahnsinnigen wieder …

_Max Brod (1884-1968): Wenn man des Nachts sein Spiegelbild anspricht_ (1907) – Ausgerechnet das eigene Spiegelbild hilft seinem ‚Eigentümer‘ aus einer moralischen Zwickmühle …

_Ralph Adams Cram (1863-1942): Das Tote Tal_ („The Dead Valley“, 1895) – In Schweden gibt es einen verfluchten Ort, der grausam tötet, wer in seinen Bann gerät …

_Orest M. Somow: Eine eigenartige Abendgesellschaft_ („Videnie na javu“, 1831) – Auf offener Straße wird der junge Mann zu einem Fest eingeladen; seinen Gastfreunden entkommt er nur knapp …

_Ignaz Franz Castelli (1781-1862): Tobias Guarnerius_ (1839) – Zum perfekten Klang einer Geige bedarf es des ‚Einbaus‘ einer Seele, was den genialen Instrumentenbauer jedoch schon bald reut …

_Alexander von Ungern Sternberg (1806-1860): Das gespenstische Gasthaus_ (1842) – Ein mörderischer Gastwirt muss feststellen, dass seine Opfer nicht ruhen oder ihn gar die Früchte seiner bösen Tat genießen lassen wollen …

_Jean-Marie Villiers de l’Isle-Adam (1838-1889): Das zweite Gesicht_ („L’Intersigne“, 1867) – Der Blick in die Zukunft fällt meist schrecklich unklar aus, so dass sich das Gesehene selten verhindern lässt …

_Guy de Maupassant (1850-1893): Eine Erscheinung_ („Apparition“, 1883) – Ein gar nicht guter Freund, der genau weiß, was dort umgeht, bittet den naiven Jüngling, ihm aus dem Zimmer, in dem seine Gattin tragisch starb, einige Briefe zu holen …

_Paul Leppin (1878-1945): Severins Gang in die Finsternis_ (1914) – Schritt für Schritt verfällt Severin dem Laster, doch keine Erlösung erwartet ihn, als er das Ende seines Weges erreicht …

_John Charles Dent (1841-1888): Das Geheimnis in der Gerald Street_ („The Gerrard Street Mystery“, 1886) – Der gute Onkel will vor einem smarten Betrüger warnen; leider ist sein Neffe ziemlich schwer von Begriff und begreift viel zu spät …

_Vernon Lee (1856-1935): Die verruchte Stimme_ („A Wicked Voice“, 1890) – Die Vision eines boshaften Gesangskünstlers der Vergangenheit raubt einem in Italien reisenden Komponisten erst den Seelenfrieden und dann den Verstand …

_William Hope Hodgson (1877-1918): Der Spuk auf der Jarvee_ („The Haunted Jarvee“, 1948) – Dieses Schiff ist verflucht, und ‚Geisterdetektiv‘ Carnacki reizt die Mächte von ‚drüben‘ erst richtig, sich auf Deck zu offenbaren …

_Eric Count Stenbock (1860-1895): Die andere Seite_ („The Other Side“, 1893) – Zu süß ist die Verlockung des Landes, in dem Wolfsmenschen und Menschenwölfe umgehen …

_Karl Hans Strobl (1877-1946): Der Skelett-Tänzer_ (1926) – Der Tod macht sich ein Späßchen und tritt auf die Bühne; als ihn sein Partner versetzt, reagiert er nachtragend …

|“Zum Wesen der Phantastik gehört die Erscheinung: was nicht eintreten kann und trotzdem eintritt, zu einer ganz bestimmten Zeit, an einem ganz bestimmten Ort, im Herzen einer bis ins kleinste Detail festgelegten Welt, aus der man das Geheimnisvolle für immer verbannt hatte.“| (Roger Caillois)

|Einige Anmerkungen zu dieser Sammlung|

|I.|

Sammlungen von Kurzgeschichten werden gern unter ein bestimmtes Motto gestellt, das in der Regel in einem Vor- oder Nachwort erläutert wird. Dieses vermisst man hier schmerzlich und wundert sich, da nachweislich viel Hintergrundrecherche für diesen Band betrieben wurde: Jede Story wird mit einer Biografie ihres Verfassers eingeleitet, die knapp aber informativ ausfällt und Hilfestellung bei der Einordnung der jeweiligen Geschichte ins Genreumfeld leistet.

Vielleicht gibt es gar kein Motto? Womöglich sollen nur 25 selten oder noch nie in deutscher Sprache erschienene Storys einem möglichst breitem Lesepublikum vorgestellt werden? Angesichts der Qualität des Angebots könnte man damit prima leben. Ein wenig spekulieren lässt sich dennoch. Zumindest einen ‚historischen Faden‘ findet man im Gewebe dieser Kollektion. „Die Pflanzen des Dr. Cinderella“ wurzeln in dem Jahrhundert zwischen 1831 und 1932. (Zwar wird für W. H. Hodgsons „Der Spuk auf der Jarvee“ 1918 als Entstehungsdatum angegeben, doch muss diese Story vor 1918 entstanden sein; übrigens wurde sie 1929 zum ersten Mal veröffentlicht. Das Datum „1931“ für O. M. Somows „Eine eigenartige Abendgesellschaft“ im Copyright ist ein Druckfehler.) Damit wird der Bogen zwischen dem ‚modernen‘ oder ‚psychologischen‘ Horror über die klassische, traditionell erzählte Gespenstergeschichte bis zur vom „fin-de-siecle“ und Expressionismus geprägten Phantastik geschlagen.

In diesem zugegeben etwas roh gezimmerten Rahmen machen die 25 präsentierten Storys mit typischen aber erfreulich unbekannten Vertretern ihrer unheimlichen Zunft bekannt. Wem außer dem absoluten Genrekenner sind Namen wie Ralph Adams Cram, Leslie Poles Hartley oder John Charles Dent ein Begriff? Wie wir sehen, liefern sie mindestens so guten ‚Stoff‘ wie Bram „Dracula“ Stoker (hier leider vertreten mit einer zu Tode edierten Geschichte) oder Arthur Conan Doyle; zwei Autoren aus alter Zeit, die man auch im 21. Jahrhundert noch kennt.

Es fällt auf, dass die dem angelsächsischen Sprachraum entstammenden Verfasser in Sachen Spuk wesentlich ‚handfester‘ zu Werke gehen als ihre europäischen Kollegen. Zumindest die für diese Sammlung ausgewählten Geschichten wirken quasi dokumentarisch. Der Ort des unguten Geschehens wird präzise beschrieben, und wenn das Gespenst (oder eine andere Erscheinung) auftritt, gerät es ebenfalls unter die Feder des Schriftstellers. Breit stellt Herausgeber Festa daneben eine Phantasik vor, die mit der ‚Logik‘ der Handlung bricht, stattdessen mit Symbolen arbeitet, dabei auf die zeitgenössische Realität reflektiert und auf die Erzeugung von Stimmungen zielt. Das zu goutieren, erfordert vom Leser deutlich mehr Aufmerksamkeit bzw. die Bereitschaft, sich mit der Story treiben zu lassen.

Selbstverständlich schätzt die Literaturkritik solche ‚anspruchsvolle‘ Phantastik höher als die ’naturalistischen‘ Gruselhandwerker. Das trifft einerseits keineswegs in jedem Fall zu und ist andererseits kontraproduktiv, denn solcher Hochmut schreckt womöglich diejenigen Horrorleser, die zunächst mit den fieberhaften, übersteigerten, vieldeutigen, eindrucksvollen Visionen eines Gustav Meyrinck, eines Leonard Stein oder Willy Seidel wenig anfangen können, generell davon ab, sich beispielsweise mit der faszinierenden deutschen bzw. deutschsprachigen Phantastik vor den Nazis zu beschäftigen, die einem kontinuierlich gewachsenen, reichen und vor allem eigenständigen Genre den Garaus machten. Diese Literatur mag sich ’schwierig‘ lesen, ist jedoch wert, kennengelernt zu werden. (Übrigens belegt Eric Count Stenbock mit „Die andere Seite“, dass symbolistisch überhöhte Phantastik nicht den kontinentalen Europäern vorbehalten war.)

‚Schwierig‘ ist die Annäherung nicht nur wegen der Vielschichtigkeit. Auch der Stil ist gewöhnungsbedürftig. Hier sind die ‚ausländischen‘ Autoren im Vorteil, denn ihre Werke werden oft viele Jahrzehnte nach ihrer Entstehung ins Deutsche übertragen. Auch wenn sich die Übersetzer bemühen, den Tonfall des Originals zu treffen, erfährt der Text eine gewisse Anpassung an den Tonfall der Gegenwart. Eine Geschichte wie „Im Haus des Richters“ liest sich deshalb – obwohl ziemlich zeitgleich entstanden – wesentlich ‚moderner‘ als „Die Kirche von Zinsblech“.

Ausgerechnet die Schriftsteller unserer eigenen Vergangenheit müssen den Preis dafür zahlen, dass deutsche Leser fremdsprachige Literatur paradoxerweise lieber aus zweiter Hand, d. h. übersetzt zur Kenntnis nehmen! Dabei spannen die deutschen Literaten vor 1850 ihr Garn ohne die stilistischen Experimente ihrer Nachfahren, wie „Tobias Guarnerius“ und „Das gespenstische Rasthaus“, die beiden ältesten deutschsprachigen Geschichten dieser Sammlung, belegen.

Außerdem gleicht die (es mag pompös klingen) unerhörte Virtuosität, mit der z. B. ein Leonhard Stein („Der Flötenbläser“) die deutsche Sprache einsetzt, manche inhaltliche Unzugänglichkeit aus. Ob dies den Horrorfreund überzeugt, der eher auf den actionbetonten Pulpgrusel eines Robert E. Howard („Das Ding auf dem Dach“) steht, ist freilich fraglich. In „Die Pflanzen des Dr. Cinderella“ werden jedenfalls alle Erwartungen bedient und Alternativen angeboten.

|II.|

Aufgrund der Vielzahl von Erzählungen kann an dieser Stelle nicht auf jede Story eingegangen werden. Die persönlichen Vorlieben Ihres Rezensenten bestimmen die folgende Auswahl.

Gleich fünf Geschichten des vergessenen US-amerikanischen Verfassers Ralph Adams Cram finden wir in diesem Band. Waren die Rechte billig zu bekommen? Egal, denn dies sind sauber gearbeitete, wenn auch simple Gespenstergeschichten, die durch Crams Ortskenntnisse profitieren; er reiste oft und gern durch Europa, und was er sah und erlebte, ließ er gern in seine Storys einfließen. Wunderschönen klassischen Horror mit einem rachsüchtigen Geist verbreitet auch Leslie Poles Hartley („Der australische Gast“), während sich William Hope Hodgson („Der Spuk auf der Jarvee“) in einer seiner atmosphärischen Seespuk-Geschichten letztlich ein wenig zu intensiv um eine logische Aufhellung des eigentlich keiner Erklärung bedürfenden Geschehens bemüht.

Wenn weiter oben von einer Geburt der modernen Phantastik gesprochen wurde, so muss diese natürlich eine Vorgeschichte besitzen. Zwischen Romantik und Realismus schreibt Alexander von Ungern Sternberg („Das gespenstische Gasthaus“). Selten wird man so rüde wie durch ihn aus der schön gestrickten Gruselmär vom verfluchten Haus geworfen: „Ich habe in manchem [Gasthaus] gewohnt, in dem ich Geister fand, die für mich weit widriger und schrecklicher sind …; es waren die Geister der Unreinlichkeit, der Prellerei und einer schlechten Küche.“ (S. 251) Dabei leugnet der betont rationale Erzähler (und damit der Verfasser) nicht, dass die Gewissheit einer geordneten Welt brüchig ist: „Wenn man den Naturgewalten völlig überlassen ist, so wird man gläubig. Das albernste Märchen verwandelt sich in eine Tatsache, wenn wir im Rauschen eines uralten Waldes allein sind oder allein auf dem endlosen Meere oder allein … auf dem Weg, wo wir eben sind.“ (S. 243) Das ändert jedoch nichts an der Haltlosigkeit solcher Ängste, denn sie existieren – so der Verfasser – nur im Gehirn des Menschen. Der ernüchternde Schlusssatz ist deshalb durchaus als Provokation an die Adresse romantischer, schwärmerischer oder abergläubischer Zeitgenossen gedacht, die an Geister glauben oder glauben möchten.

Edgar Allan Poe ging 1839 schon einen Schritt weiter: ‚Seine‘ Furcht ist auch oder sogar vor allem im Alltag beheimatet. William Wilson verirrt sich nicht im finsteren Wald oder gerät in eine unheimliche Ruine. Sein eigener Spiegel wird zur Quelle der Heimsuchung, wobei Poe sehr gut um die Ambivalenz dieses Motivs weiß und seine Leser ratlos mit der Frage zurücklässt, ob sich Wilsons Spiegelbild wirklich selbstständig gemacht hat oder Wilson dem Irrsinn verfallen ist. Mit vergleichbarer Meisterschaft bedient sich Vernon Lee (d. i. Violet Paget) in „Die verruchte Stimme“ eines ähnlichen Plots. Ihr gelingt zudem das Kunststück, den Schauplatz Italien nicht als pittoreske Kulisse zu missbrauchen, sondern die Story kongenial mit dem geografischen, gesellschaftlichen und historischen Hintergrund zu verschmelzen.

Auf diese Weise hat jede der hier präsentierten Geschichten ihre Position in der Literaturgeschichte der Phantastik. Noch erfreulicher ist indes die Tatsache, dass darunter der Lesespaß weder leidet noch die historischen Aspekte überhaupt Berücksichtigung finden müssen, um 25-fachen Genuss zu ermöglichen!

http://www.festa-verlag.de

Fabig, Jörg – Drum Along – 10 Classic Rock Songs

Als Schlagzeuger im Amateur-Stadium kann ich ein Lied davon singen, wie langweilig so manche Trockenübung sein kann, wenn man jenseits von Melodien oder gar kompletten Songarrangements verschiedenen Rhythmen und Fills trainiert. Anders als bei den ungleich beliebteren Instrumenten wie beispielsweise der Gitarre bekommt man auf diesem Terrain nämlich zumeist nur dann die vollständige Befriedigung, wenn man sich auch mal im Rahmen eines Bandgefüges oder überhaupt im Kreise anderer Musiker an den Kesseln austoben darf. Dementsprechend sind gute Lehrbücher gerade für denjenigen, der den zumeist überteuerten Unterricht in den privaten Musikschulen meidet, das A und O auf dem Weg zum semi-professionellen Drumming, und Gott sei Dank ist die Auswahl auf dem Markt mittlerweile auch recht ansprechend und vor allem auch vielseitig.

Wer sich beispielsweise schon mal an erfolgreichen Rockhits versuchen und zwischendurch auch mal ein wenig abseits der strengen Rhythmuslehre spielen möchte, findet in „Drum Along“ einen guten, ansprechend aufgebauten Wegweiser durch die kunterbunte Welt der groovigeren Sounds. In unterschiedlichen, leicht ansteigenden Schwierigkeitsgraden präsentiert Autor Jörg Fabig in diesem kleinen Sammelwerk anhand verschiedener Leadsheets zehn mehr oder minder bekannte Kompositionen zum Mit- und Nachspielen. Die Auswahl mag in diesem Zusammenhang zwar ein wenig unkonventionell sein, wenn man mal betrachtet, dass Gruppen wie The Cure, und The Beatles neben modernen Bands wie System Of A Down aufgeführt sind, doch da es sich hierbei um ein reines Lernbuch handelt, geht diese vielseitige Ausrichtung durchaus in Ordnung.

Vorteilhaft ist in diesem Sinne vor allem die einfache Aufteilung der Drum-Arrangements anhand der Ablaufpläne (Leadhseets), in denen die Konstruktion der einzelnen Kompositionen in kurzer, optisch vereinfachter Form dargestellt ist. Diese Struktur macht seitenlange Notationen schon mal komplett überflüssig und ermöglicht es dem potenziellen Interessenten, auf zwei Seiten einen ganzen Song im Überblick zu halten. Sicherlich keine ganz neue Technik, aber definitiv eine übersichtlichere als in manch anderem Lehrwerk. Ebenfalls begrüßenswert ist die generelle Abfolge der ausgewählten Lieder. Der Schlagzeuger kann sich hier von relativ leichten Übungen wie den vergleichsweise unspektakulären Fills in ‚Supersonic‘ von Oasis und dem Beatles-Gassenhauer ‚Let It Be‘ langsam zu anspruchsvolleren Tracks wie ‚Free Fallin‘ von Tom Petty und schnelleren Sachen wie besagtem SOAD-Track ‚Lonely Day‘ heranarbeiten, der zum Abschluss wohl den höchsten Schwierigkeitsgrad des dennoch nicht zu harten Kontrastprogramms bildet. Um das Ganze weiterhin zu erleichtern, beinhaltet „Drum Along“ noch eine Begleit-CD, auf der alle zehn Stücke sowohl als Vollversion als auch in der Clicktrack-Variante begleitet werden können. Insgesamt also eine runde Sache, die sich besonders für Einsteiger als Abwechslung eignet und den gesamten Unterricht spürbar auflockert. Mit einem Preis zwischen 15 und 20 € bewegt sich das Lernbuch schließlich auch noch in einem relativ konsumentenfreundlichen Bereich.

|Songinhalt:|

OASIS – Supersonic
THE BEATLES – Let It Be
OTIS REDDING – (Sittin‘ On) The Docks Of The Bay
THE POLICE – Every Breath You Take
BRYAN ADAMS – Summer Of ’69
REAMONN – Supergirl
THE CURE – Friday I’m In Love
COLDPLAY – Clocks
SYSTEM OF A DOWN – Lonely Day
TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS – Free Fallin‘

http://www.bosworth.de/

Ubukata, To – Implosion (Mardock-Trilogie 3)

Band 1: [„Kompression“ 2695
Band 2: [„Expansion“ 3363

_Das Geheimnis der 1800 Seiten._

Das Ursprungsmanuskript der Mardock-Trilogie umfasste 1800 Seiten, hieß es stets, und da es die deutschen Übersetzungen gerade mal auf gute 1000 Seiten bringen, stellt sich dem neugierigen Leser natürlich die Frage: Wo ist der Rest abgeblieben? Von |Heyne| gekürzt? Bei der Übersetzung verloren gegangen? Cora Hartwig, die Übersetzerin der Mardock-Trilogie, hat das Geheimnis dann gelüftet: Das Ursprungsmanuskript der Mardock-Trilogie umfasste 1800 Seiten, wurde dann aber u. A. vom Autor selbst kräftig gekürzt, ehe es überhaupt veröffentlicht wurde.

Außerdem muss bei solchen Seitenangaben beachtet werden, dass die japanische Normseite 17 Zeilen und 40 Anschläge umfasst, während es bei der deutschen Normseite 30 Zeilen und 60 Anschläge sind (eine Normseite entspricht der Standardformatierung, in der Manuskripte bei Verlagen einzureichen sind, wie jede(r) Nachwuchsautor(in) gequält nickend zu bestätigen weiß). Auch diese Information verdanke ich Frau Hartwig und möchte mich an dieser Stelle nochmals herzlich bei ihr bedanken!

_Showdown A-go-go Baby!_

Nun denn, zurück nach Mardock, wo der Leser in „Kompression“ und „Expansion“ eine rasante Achterbahnfahrt durchlebt hat: Im ersten Band durfte der geneigte Leser Rune Balot kennenlernen, die minderjährige Zwangsprostituierte; man war dabei, als sie von Shell Septinos beinahe umgebracht wurde, als sie von zwei Rechtsanwälten aufgegriffen wurde, als sie zu einer biotechnologischen Kampfmaschine umgebaut wurde, als sie ihre Fähigkeiten zu beherrschen lernte, als sie von Shell Septinos und seinen brutalen Häschern gejagt wurde, als Action im Buch eine neue, vorstellungssprengende Dimension erreicht hat.

Im zweiten Band dann begab man sich mit Rune Balot auf die Suche nach Motiven: Wer ist Shell Septinos, ihr Beinahe-Mörder? Wer ist Dimsdale Boiled, die schier unüberwindliche Kampfmaschine im Dienste von Septinos? Was treibt die beiden an? Was hat die October Company damit zu tun? Ein vergeistigter Trip war das, bis zu dem Punkt, da Rune Balot das Casino von Shell Septinos betritt, um dort einen wahren Glücksspiel-Thriller zu erleben, der eine völlig neue Spannungserfahrung vermittelt hat.

Die Spannung ist also groß – wie wird sich das alles im abschließenden Band der Mardock-Trilogie auflösen? Noch immer befinden wir uns im Casino von Shell Septinos, noch immer muss Rune Balot durch geschicktes Glücksspiel an die wichtigen Eine-Million-Dollar-Chips herankommen, da auf diesen die Erinnerungen von Septinos gespeichert sind – seine Motive, seine Verbindungen zur October Company und seine ganze schmutzige Vergangenheit. Wo Rune im zweiten Band noch beim Poker und beim Roulette bestehen musste, gilt es nun, die statistischen Geheimnisse des Black Jack zu ergründen und gegen das Casino einzusetzen.

Außerdem muss Balot gegen die Anwälte der October Company bestehen und natürlich ein letztes Gefecht mit der irrsinnigen Kampfmaschine Dimsdale Boiled austragen. Die perfekte Gelegenheit also, um an der Action des ersten Bandes anzuknüpfen und die angedeuteten Tiefgründigkeiten des zweiten Bandes auszuloten.

_Schwacher Schluss einer starken Trilogie._

Auch in „Implosion“ hat es Ubukata geschafft, dem unkundigen Leser einen völlig neuen Blickwinkel auf das „Glücksspiel“ zu gewähren, und es macht einen Heidenspaß, Rune Balot beim Black-Jack-Spielen zuzusehen. Aber diesmal hat es Ubukata überstrapaziert, denn ein Kartenspiel von 213 Seiten bei einer Story von 342 Seiten ist definitiv zu lang. Natürlich bekommt Rune einen würdigen Gegner, natürlich werden ihre Fähigkeiten ausgereizt und ohne jeden Zweifel war es ganz und gar nicht einfach, dieses Kartenduell zu choreographieren, ohne die Regeln der Wahrscheinlichkeit allzu schwer zu verletzen. Aber irgendwann liest man nur noch Zahlen, liest „Hit“, „Stay“, „Bust“, „Split“ oder „Double Down“, ohne dass man Runes Strategie tatsächlich noch folgen könnte. Trotzdem reißt es einen noch mit, keine Frage, aber die Ermüdungserscheinungen bleiben nicht aus.

So freut man sich denn, dass sich während der letzten Seiten ein actionbetonter Showdown abzeichnet, aber – leider – auch dieser kommt nicht ohne Ermüdungserscheinungen aus. Wo in „Kompression“ Rune Balots Kampf gegen die fürchterliche Bandersnatch-Gang Maßstäbe gesetzt hat, mit einem atemberaubenden Actionspektakel, wie ich es in einem Buch nicht für möglich gehalten hätte, schleppt sich „Implosion“ mit einem konventionellen Zweikampf zum Ende. Noch immer ist es beeindruckend, wie Ubukata Geschwindigkeit vermittelt, wie er die Explosionen förmlich spürbar macht, aber es bleibt dennoch bei einem blassen Nachbild der Action des ersten Bandes.

Eigentlich hätte „Implosion“ ein gewaltiger Schlussakkord sein können, der einen neuen Blickwinkel auf die Ereignisse der ersten beiden Bände erzeugt, der mit neuen Ideen den Leser erneut verblüfft, der wiederum mit den Konventionen spielt und sich über sich selbst erhebt. Stattdessen erfährt der Leser nichts brüllend Neues, der Tauchgang in die Erinnerung von Septinos liefert einem nichts, was man nicht ohnehin schon vermutet hätte, und anstatt im Showdown mit den Konventionen zu brechen, liefert Ubukata schlicht und ergreifend Action-Standard.

Es ist überaus schade: Wo die ersten beiden Bände noch Hunger auf mehr machten, bricht in „Implosion“ sämtliche aufgebaute Spannung zu einem Sammelsurium aus Klischees zusammen und hinterlässt den faden Eindruck einer Story, die sich tatsächlich auf einem Bierdeckel zusammenschreiben ließe. Natürlich hat Ubukata auch hier gute Ideen verarbeitet, seine Szenen sind spritzig, rasant und kompakt – es ist nicht sein Stil, dem die Puste ausgeht, sondern die Story. Auf der Zielgeraden macht sie schlapp. Die Erwartungen werden nicht erfüllt. Unter dem Strich bleibt dennoch ein solides Zukunfts-Abenteuer, das man sich durchaus zulegen kann. Alles andere würde ja auch keinen Sinn machen, denn die ersten beiden Bände sind und bleiben unbedingt empfehlenswert! Und, na ja, schwache Trilogie-Schlusspunkte hat die Phantastik-Anhängerschaft ohnehin schon längst zu verkraften gelernt: Matrix, Fluch der Karibik, Spider-Man …

http://www.heyne.de

Kim, Sung-Jae / Kim, Byung-Jin – Chonchu – Der Erbe des Teufelssteins 1

_Story_

Seit Jahr und Tag kämpft Chonchu bereits ums nackte Überleben in einer Welt, in der das Gesetz dem Chaos und der Gewalt gewichen ist. Dabei schien sein Schicksal bereits bei der Geburt besiegelt; als Zwilling zur Welt gekommen, vermuteten seine Eltern hinter ihm die prophezeite Ausgeburt der Hölle, einen Dämon, den es sofort zu töten galt. Doch sein Vater beugte sich dem Willen der Gattin und ermöglichte beiden Söhnen ein herkömmliches Leben und irgendwann in ferner Zukunft einen natürlichen Tod.

Allerdings ist Chonchu in Wahrheit derjenige Bruder mit der reinen Seele; erst ein Attentat seines Zwillings Ulpasso hat ihn in die missliche Lage gebracht, in der er sich nun befindet, seit Ulpasso ihm den Teufelsstein in die Brust gerammt hat. Vom Blutdurst beherrscht, zieht Chonchu nun durch die Lande und trotzt auf seinem Rachefeldzug mehrfach dem Tod. Als Dämon ist Chonchu nämlich unsterblich und verschafft sich an der Seite Mirmidons Respekt und Ehre. Als er schließlich auf Lady Fasa, das Oberhaupt des Volkes der Koma, trifft und ihr bei einem Angriff des Stammes der Yung zur Seite steht, scheint sich sein Schicksal zu wenden. Fasa wurde nämlich einst Ulpasso versprochen – und mit dem hat Chonchu seit frühester Kindheit noch eine Rechnung offen.

_Persönlicher Eindruck_

Mit „Chonchu – Der Erbe des Teufelssteins“ erweitern |Tokyopop| dieser Tage ihren Fantasy-Katalog um ein relativ blutiges Spektakel. Bereits der Auftakt offeriert ein hohes Maß an derber Gewalt und lässt keinen Zweifel daran, dass die 15+-Einstufung ihre volle Berechtigung hat. Davon mal abgesehen, gestaltet sich der erste Band schon recht viel versprechend, wenngleich man den Verlauf der Handlung in groben Zügen schon im Voraus erahnen kann und der Weg der Serie – oder zumindest der ersten Episoden – schon grob vorgezeichnet scheint.

Zunächst einmal jedoch erzählt Autor Sung-Jae Kim in kurz eingeworfenen Flashbacks von den Ereignissen aus der Kindheit des Protagonisten. Nach und nach erfährt man vom Schicksal der Zwillinge, dem Verrat von Chonchus Bruder Ulpasso und schließlich den verdrehten Entwicklungen, die die beiden mittlerweile verhassten Brüder durchgemacht haben. Und darauf aufbauend steigt Kim schließlich in die eigentliche Story ein und bringt uns bereits die entscheidenden Charaktere nahe – nicht jedoch ohne zunächst einmal so richtig die Schwerter klirren zu lassen. „Chonchu – Der Erbe des Teufelssteins“ mangelt es nämlich zu keiner Zeit an Action, und immer wieder wird die Szenerie folglich durch gewaltsame Schlachten und blutige Kämpfe erschüttert. Dabei gelingt es dem Autor jedoch sehr gut, ein authentisches Profil des zum Dämonen manipulierten Titelhelden zu erstellen und unmissverständlich klarzumachen, dass die Geschichte von einer grundsätzlichen Härte dominiert wird, die sich vorerst nur in den dynamischeren Szenen widerspiegelt, sicher aber künftig noch auf die Dialoge übergehen wird. Und auch die Entwicklung der ersten Züge der Handlung sind durchaus ansprechend und offenbaren ein gesteigertes Potenzial, welches sich von der Erschaffung der Charaktere über den flotten Aufbau der Story bis hin zu der einen oder anderen plötzlichen Wendung durchzieht. So viel zu den überwiegend positiven Eindrücken der neuen Fantasy-Serie.

Ein wenig ungeschickt erweist sich indes die Tatsache, dass der Autor schon zum Auftakt der Reihe die Karten sehr offen auf den Tisch legt und erstmal nur wenig Raum für spontane Überraschungen oder gar revolutionäre Einschnitte lässt. Der Leser bekommt schnell ein Gespür für die meines Erachtens zu transparente Rollenverteilung und kann sich gewissermaßen denken, inwieweit sich die Handlung im Zuge dessen fortentwickelt. Zwar ist bekannt, dass derartige Reihen nicht immer ein klassisches Happy-End haben werden – und darauf zu diesem frühen Zeitpunkt überhaupt zu spekulieren, wäre ja eigentlich auch müßig – aber dass der derzeit noch blutrünstige Chonchu schon recht bald die Sympathien erobern wird, während der äußerliche Saubermann Ulpasso garantiert seinen bösartigen Gegenpart übernehmen wird, steht wohl außer Frage.

Aber man sollte der Serie Gelegenheit geben, diese Vorab-Vermutungen zu bestätigen oder zu widerlegen und sich erst einmal auf diesen ersten Band beschränken, der inhaltlich durchaus gelungen ist, sich eventuell dabei ein wenig zu brutal darstellt, insgesamt aber sicher Lust auf mehr macht – selbst wenn die vorliegende Idee alles andere als unkonventionell ist. Aber wie „Chonchu“ zumindest im ersten Teil unterstreicht, müssen sich Qualität und Originalität nicht zwangsläufig bedingen.

http://www.tokyopop.de/buecher/manga/chonchu__der__erbe__des__teufelssteins/index.php

Neil Gaiman, Dave McKean – Mr. Punch

|“Nun, Mister Punch,
sollt Ihr am Hals
aufgehängt werden, bis zum
Tod –
Tod –
Tod!

Was,
dreimal soll ich
sterben?“|

So das morbid komische, naiv sarkastische, gewitzt hintergründige Epigramm zu Neil Gaimans Erzählung über immer wiederkehrende Familientragödien, verschüttete Kindheitstraumata, uralte Puppenspielertraditionen und die stets neu entstehende Kraft der Phantasie. Aber zurück zum einleitenden Spruch: Was auf den ersten Blick bloß ein oberflächlicher Küchenwitz zu sein scheint, entpuppt sich im weiteren Verlauf als (Über-)Lebensprinzip des bauernschlauen Mr. Punch, der sich doof und naiv gibt, um noch naivere Leute aufs Kreuz legen zu können – was ihn in den Augen der „kleinen Leute“ sympathisch werden lässt, wenn es gegen die Obrigkeit geht. Dass er nicht nur ein durchtriebener, sondern ein geradezu mieser Charakter ist, für den die Bezeichnung Arschloch noch milde gewählt ist, tritt darüber schon mal in den Hintergrund. Gaiman greift diese – in zunehmend politisch korrekter werdenden Zeiten immer weiter in den Hintergrund gedrängte – düstere Seite wieder auf und zeichnet so ein ambivalentes Bild vom Mythos der „Judy And Punch“-Profession (im angelsächsischen Sprachraum das Äquivalent zum deutschsprachigen „Kasperletheater“).

Im christlich geprägten Abendland galt das Schauspiel, und insbesondere das für den Pöbel, seit jeher als unschicklicher Beruf, zugleich stellte es aber einen wichtigen Faktor im sozialen Leben dar. Gleichsam erfüllten die mündlich überlieferten Geschichten – Bänkelsänger, Moralstücke, und eben auch das Puppenspiel – die Funktion, mehr oder weniger zeitlose, allgemeingültige Alltagsmythen von Generation zu Generation weiterzutragen und immer wieder zu aktualisieren. Dies nur nebenbei, so wie es Gaiman auch ganz beiläufig in seine Geschichte einfließen lässt, für die er übrigens auch „die Geschichte [s]einer Familie so rücksichtslos geplündert“ habe, dass er ihr in der Danksagung eine eigene Widmung zukommen lässt. Geschichte, die zum Leben erwacht, Geschichten, die ein Eigenleben entwickeln – da sind wir auch schon bei einem zentralen Thema seiner Erzählung: Denn Gaimans Erzähler in „Mr. Punch“ ist einer, der sich zurückerinnert, an die Zeit seiner Kindheit, wobei er im Trüben fischt; im Trüben fischen muss, weil er einerseits Klarheit über seine Herkunft gewinnen will, und weil er zum anderen als Kind die Welt noch anders – mythischer – erlebte. Und somit verwischen in der Erinnerung, und damit auch im kindlichen Erleben aus der erwachsenen Rückschau, die Grenzen zwischen Realität und Phantasie, zwischen erwachsen gedeuteter Geschichte, kindlicher Fiktion und ewigem Mythos. Und damit sind wir beim anderen großen Thema: Dem Mythos von „Mr. Punch“ – jener ambivalenten Puppenspielgestalt, die immer wieder als Parabel auf die reale Welt, oder zumindest als damit zusammenhängendes Paralleluniversum, ins teils wortwörtliche Spiel kommt. Denn – ohne hier zu viel zu verraten – das Puppenspiel spielte in der Familie des Erzählers eine besondere Rolle …

So langsam ist es denn auch an der Zeit, die Geschichte in ihren Grundzügen vorzustellen: Ein namenloser Erzähler erinnert sich zurück an seine Kindheit, hauptsächlich an die Zeit, als er sieben Jahre alt war und bei seinen Großeltern lebte, während seine Mutter ein weiteres Kind erwartete. Dort trifft er auf einen alten Bekannten seines Großvaters, der ein Puppenspieler ist. Die Geschichte von Mr. Punch, der das Kind seiner Judy aus dem Fenster wirft, von ihr zur Rede gestellt wird, auch sie totschlägt und einen Polizisten dazu, danach den Henker austrickst sowie den Teufel persönlich erschlägt, verstört ihn und übt gleichermaßen eine seltsame Faszination aus. Jahre später besucht er abermals eine Punch and Judy Show, die ihm übel werden lässt. Er macht sich geistig auf die Reise in seine Vergangenheit und versucht die Puzzlestücke seiner Erinnerung zusammenzutragen, zu ordnen, und zu verstehen. Dabei kommt er einigen Familiengeheimnissen auf die Spur. Die erzählte Gegenwart und das heutige Wissen des Protagonisten über die Geschichte des Puppenspiels verschwimmen mit dem Erlebten zu verschiedenen Zeitpunkten in seiner Vergangenheit und den Ängsten seiner Kindheit, aus der einige unschöne Erinnerungen zum Vorschein kommen. Eine zentrale Erkenntnis aus seinen Erinnerungen ist der Satz „Die Hilflosigkeit Erwachsener zerstört Kinder oder zwingt sie, selbst kleine Erwachsene zu werden.“ Doch wie soll er mit dieser Erkenntnis umgehen?

Damit dürfte klar sein, dass „Die tragische Komödie oder komische Tragödie des Mr. Punch. Eine Romanze“ (so der vollständige Titel) ein vielschichtiges Unterfangen ist. Da erscheint es nur angemessen, dass Neil Gaiman sich mit seinem langjährigen professionellen Partner Dave McKean zusammentat (ihre wohl bekannteste Zusammenarbeit dürfte „The Sandman“ gewesen sein; McKean illustrierte außerdem Grant Morrissons Batman-Geschichte „Arkham Asylum“), um diese Thematik ebenso vielschichtig bearbeiten zu können. Bereits für „Violent Cases“ hatten die beiden Künstler sieben Jahre zuvor gemeinsam an einer Geschichte über Kindheitserinnerungen mit unzuverlässigem Erzähler gearbeitet. Neu ist hierbei die Verschmelzung der kindlichen Phantasiewelt mit der Welt des Puppenspiels, wobei dessen Tradition – als Bindeglied zwischen realer und rein phantastischer Welt – der Erzählung eine weitere Sinnebene hinzufügt. Das Grenzland zwischen Wirklichkeit und Mythos war für Gaiman spätestens seit seiner Comic-Serie „The Sandman“ kein Neuland mehr. Doch eine derart vielschichtiges Thematik in geschlossener Form zu behandeln, wie es ihm und Dave McKean mit der Graphic Novel „Mr. Punch“ gelungen ist, das ist schon eine besondere Leistung.

Um diese Leistung ausreichend zu würdigen, genügt es nicht, Geschichte und Illustration getrennt zu betrachten, denn beides greift ineinander, und erst im Verbund entsteht die außerordentliche Vielschichtigkeit dieser multimedialen Erzählung: Gedrucktes Wort, Photographien und Zeichnungen kommen da zum Einsatz und fügen sich in collagenartiger Abfolge zu einer ganz besonderen Erzähltechnik, bei der Rückblenden, Gedankenstrom und Off-Kommentar genauso zum Einsatz kommen wie Parallelmontage verschiedener Motive, Expressionismus und Surrealismus.

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, die graphische Gestaltung durch Dave McKean zu loben. Ihre Exzellenz reicht von so banalen Dingen wie dem Lettering (unterschiedliches Schriftdesign für die Erzählerstimme, die menschlichen Charaktere, die gespielten Puppen) über die virtuose Panelgestaltung (flüssig lesbar bei zugleich oft genug hintergründig den Text ergänzender Fernwirkung ganzer Seiten) bis hin zur selbst in Details noch psychologisch durchdachten und suggestiven Bildkunst, die uns das Erleben eines kleinen Jungen inmitten einer ihm fremden Erwachsenenwelt nahebringt.

Ebenso wirkungsvoll ist Neil Gaimans Erzählkunst, wenn er verschiedene – teils, und das macht den besonderen Reiz aus, nur angedeutete – Erzählstränge geschickt miteinander verknüpft, ihre Vorder- bzw. Hintergründigkeit wieder ganz am kindlichen Erleben seines rückblickenden Erzählers orientiert, hier und da kleine Hinweise streut, aus denen sich der Leser schließlich einiges zusammenreimen kann, was die Familiengeschichte des Protagonisten betrifft. Andeutungen, Vorwegnahmen, Rückblicke und Parallelen sorgen für ständige Beschäftigung des Lesers sowohl auf der emotionalen Ebene (hoher Identifikationsfaktor mit dem Erzähler/Protagonisten), wie auch auf der Intellektuellen (die ganze Geschichte ist als detektivistisches und intertextuelles Puzzlespiel angelegt). Einiges wird bewusst offengelassen, sodass auch die eigene Vorstellungswelt des Lesers ständig gefragt ist. Zugleich wird sie ein ums andere Mal neu angeregt durch die Puppenspielstücke aus der Welt des Mr. Punch, jenes selbst mit Kindermord davonkommenden Bösewichts, der schließlich sogar den Teufel höchstpersönlich besiegt. Hintergrundwissen darüber ist sicherlich hilfreich, fließt aber auch automatisch in die Erzählung ein, da einiges bereits über die Dialoge und Kommentare des Erzählers vermittelt wird.

Besonders gelungen ist Gaiman und McKean – bei aller solistischen Virtuosität beider Künstler – jedoch das Ineinandergreifen von Bild und Text. Beispiele gefällig? Bitteschön:

Da gibt es eine Szene, in der sich der Junge an seine verstorbenen Großeltern erinnert, während er alte Fotos betrachtet (Erzähler: |“Vor meinem geistigen Auge sehe ich sie: erstarrte Augenblicke, die die Toten festhalten in winzigen Bewegungsschleifen. // Ich stelle sie mir vor: / 1972: Mein Großvater am Tag seiner Entlassung aus dem Irrenhaus, am Strand von Southsea, dicken grauen Schleim in ein Papiertaschentuch hustend, seine Stimme ein tiefes Brummen.“|). Dazwischen (hier im Text mit „/“ markiert) sehen wir ein Foto des Großvaters (in realistischem Fotodruck), das offensichtlich älter ist als die Erinnerungen des Jungen. Überblendet (als kolorierte Zeichnung), wie eine Spiegelung auf der Glasscheibe der Fotografie, das Gesicht des sich erinnernden Jungen. Die Figur des Großvaters scheint direkt aus seiner Stirn zu erwachsen. Während weitere Figuren seiner auf weiteren Fotos sich spiegelnden Stirn entspringen, sinniert der Erzähler: |“Ich sollte nicht so brüten. Der Pfad der Erinnerung ist weder gerade noch sicher, und wir bereisen ihn auf eigene Gefahr. Kurze Reisen in die Vergangenheit sind leichter. Erinnerungen an Miniaturen. Im Kopf entworfene winzige Puppenspiele.“| Weit später in der Geschichte werden wir das vom Jungen zuvor erinnerte Husten seines Großvaters als „erstarrte[n] Augenblick“, als „winzige [ ] Bewegungsschleife“ tatsächlich zu sehen bekommen – doch erst, wenn wirklich dieser Moment und nicht die Erinnerung daran vom Erzähler geschildert wird. Als Gegenstück zu dieser Erinnerung an den Großvater ist noch vor Beginn der eigentlichen Geschichte – und zunächst ohne jeglichen erkennbaren Zusammenhang zu ihr – eine Bildfolge zu sehen, in der ein Apfel geschält wird. Später werden wir erfahren, dass das eine der lebendigsten Erinnerungen des Erzählers an seine Großmutter ist. Wir erinnern uns mit ihm an das zuvor Gesehene. Die scheinbar sinnlose Bildsequenz erhält plötzlich einen Sinn als „winzige Bewegungsschleife“, über die hinaus der Zugang zur Vergangenheit des Protagonisten verstellt bleibt. Da ist nur mehr dieses einstmals eingeprägte Muster, das ihm so vertraut geworden ist. Doch genau darüber kommen wir als Leser und Betrachter dem Erzähler nahe und können sein Empfinden von Distanz nachvollziehen. Zugleich haben auch wir uns ein Muster eingeprägt: Nämlich eben den grafischen Stil, in dem später die Sequenz mit dem am Strand hustenden Großvater dargestellt werden wird, die wir aufgrund dessen sofort als weitere Erinnerung identifizieren können; doch inwieweit dieser „erstarrte Augenblick“ überhaupt jemals real war oder ob er nicht vielmehr einem selbstkonstruierten Erinnerungsklischee des damaligen Jungen entsprungen ist (–>“Im Kopf entworfene, winzige Puppenspiele“) – diese Frage hätten wir uns nie gestellt, ohne das Lesen |zwischen| Bild und Text. Es sind solche kunstvollen Details, die das Lesen eines guten Comics anspruchsvoller machen können als das eines schlechten Romans.

Immer wieder gibt es eindrucksvolle Szenen, in denen der Text die Erlebniswelt des Kindes aus der (teilweise) erklärenden Rückschau eines Erwachsenen schildert, die Bilder aber die kindliche unmittelbare Gefühlswelt metaphorisch unterstreichen. Zugleich wird dabei stets ein Bezug zur Welt des Puppenspiels hergestellt.

– So etwa, wenn es um die Unverständlichkeit der Erwachsenen aus der Perspektive des Kindes geht: |“Erwachsene sind bedrohliche Wesen. // Soll ich dich ins Wasser werfen? // Ich steck dich in den Mülleimer. / Ich freß dich auf. / Ich bring dich zurück und hol mir einen anderen Jungen. // So reden sie. Wie sehr man sich auch sagt, daß sie lügen oder täuschen: Es gibt immer die Möglichkeit, daß sie die Wahrheit sagen.“| Der Kleine erscheint hier als winzige nackte Drahtfigur mit gespaltenem Kopf, die wie eine Puppe an kaum sichtbaren Fäden hängt, gespielt von einer Hand, neben der die Aussprüche der Erwachsenen zu lesen sind. Eine Tante, die ihm seltsame Geschichten erzählte, erscheint dagegen als bekleidete und mit Stroh gepolsterte Figur ohne Fäden. Neben ihr liegt eine Maske des klassischen Dramas.

– Wenn der Erzähler sich erinnert, dass der Großvater nach einem Autounfall nicht mehr derselbe war, aggressiv wurde und schließlich ganz dem Wahnsinn verfällt, dann zeigen die Illustrationen den Alten so unheimlich, wie ihn der Junge erlebt haben muss: Unverständlich, fast schon unmenschlich, wie ausgetauscht; mit einer riesigen maskenhaften Fratze und leeren Augen anstelle des vertrauten Kopfes.

– In der Familie des Protagonisten gibt es einige unausgesprochene Tabus und Halbwahrheiten, blinde Flecken der Familiengeschichte, bedrohliches Schweigen und andere Unverständlichkeiten. Hinzu kommt, dass er als Junge noch in einer gewissermaßen magischen Welt lebt, seine eigenen phantasievollen Erklärungen sucht und ansatzweise auch findet. Seine Ungewissheit bezüglich der Kindheit einiger Familienmitglieder, einige düstere Ahnungen sowie die grausamen Geschichten von Judy & Punch kulminieren in einem blutigen Alptraum, in dem eine riesige Hand aus Mr. Punchs abgelegter Geliebten Pretty Polly hervorkommt und von einem Doktor verstümmelt wird. Die graphische Umsetzung ist eine der drastischsten im gesamten Buch und wirkt besonders gruselig vor den realen Hintergründen der Erzählung im Text (welche freilich vom kindlichen Protagonisten noch nicht durchschaut werden).

Gaiman & McKeans „Mr. Punch“ ist eine Geschichte über Verunsicherung und Ungewissheit, über das Gefühl der Fremdheit und des Befremdens, über den Verlust der Unschuld und das Erwachsenwerden, über ewig sich wiederholende Dramen und nicht zuletzt über das Puppenspiel als verschlüsselte Ausdrucksform unliebsamer Wahrheiten sowie als Mittel, mit ihnen umzugehen. Zugleich ist es die Geschichte einer Suche nach der Wahrheit, die letztlich zurück ins Ungewisse führt, und doch zu einem (zumindest erstweiligen) Abschluss mit der Vergangenheit. Die Erzählweise ist äußerst interessant, fesselnd, verstörend, kafkaesk, vielschichtig und gruselig. Ein Comic für Kinder ist dies keineswegs – vielmehr eine anspruchsvolle Graphic Novel für Erwachsene, die sich nicht scheuen, über schwierige Themen zu lesen und dabei ihren eigenen Verstand zu bemühen. Gerade die zahlreichen Verschachtelungen und Querbezüge machen die Lektüre jedoch zu einem besonderen Vergnügen und lassen sie auch beim wiederholten Lesen nicht langweilig werden.

Neil Gaiman bei Buchwurm.info:
„Sandman: Ewige Nächte“
„Sandman 1 – Präludien & Notturni“
„Sternwanderer“
„American Gods“
„Anansi Boys“
„Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel“
„Die Bücher der Magie 5 – Verlassene Stätten“
„Die Bücher der Magie 6″ – Abrechnungen“
„Die Messerkönigin“
„Die Wölfe in den Wänden“
„Keine Panik! – Mit Douglas Adams per Anhalter durch Galaxis“

Heumann, Hans-Günter – German Songs

Hans-Günter Heumann hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder einen Namen mit seinen zahlreichen Sonderausgaben und Veröffentlichungen im Bereich der Klaviermusik gemacht. Nicht nur das klassische Piano, sondern vor allem auch der Gebrauch der Tasten im Popsektor haben es ihm dabei angetan, so dass der vielseitige Instrumentalist in seinen Büchern sicherlich immer wieder Inspirationen und Fingerübungen zur Begleitung weltbekannter Klassiker finden wird. Räumlich etwas eingeschränkt ist indes seine jüngste Veröffentlichung „German Songs“, die – wie der Name schon sagt – sich ausschließlich mit Kompositionen aus dem hiesigen Gebiet beschäftigt, in diesem Fall aber in einer Spanne von Traditionals über klassische Adaptionen bis hin zu bekannten Pop-Klassikern der deutschen Musikgeschichte mehrerer Dekaden.

So mag es zunächst einmal seltsam erscheinen, dass ständig wiedergekäute Kompositionen wie ‚Durch den Monsun‘ neben traditionellem Liedgut wie ‚Muss i denn, muss i denn‘ oder ‚Guten Abend, gut‘ Nacht‘ auftauchen, doch dem Anspruch, eine möglichst facettenreiche Noten-Kompilation aufzubieten, kann der Autor mit dieser ungewöhnlichen Wahl natürlich gerecht werden. Und dennoch stößt man unwiderruflich auf Kopfschütteln; einmal natürlich wegen der etwas berechnenden Aufnahme des Tokio-Hotel-Songs, dann aber auch, weil sich Heumann in „German Songs“ das in englisch vorgetragene ‚Wind Of Change‘ der Scorpions ausgesucht hat. Zumindest vor dem Titel des Büchleins ist dies ein ziemlich inkonsequenter Schritt.

Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass der instrumentale Anspruch zwischen den einzelnen Stücken gehörig schwankt; der ‚Brautchor‘ aus Wagners „Lohegrin“ fordert definitiv mehr vom Nachahmer als das Gros der erwählten Popsongs, so dass trotz des vergleichsweise gering professionellen Niveaus schon teils ganz verschiedene Anforderungen an den Klavierschüler gestellt werden. Damit ist auch die Zielgruppe für „German Songs“ nicht eindeutig definiert, was letztendlich dadurch verstärkt wird, dass der lose thematische Zusammenhang wohl kaum jemanden ansprechen wird, der nicht auf alle drei hier abgehandelten Genres schwört. Zusammengehalten wird das Buch letztendlich lediglich durch den deutschen Ursprung der Künstler, und so eignet sich „German Songs“ einzig als schmale Ansammlung deutschen Liedguts, wohl kaum aber als Lehrbuch für den bereits erprobten Virtuosen. Wäre das Ganze etwas spezifischer und mitunter auch liebevoller zusammengestellt worden, hätte man sich hingegen einiges an Kritik sparen können. In dieser Auflage jedoch ergibt der Aufbau der Notensammlung nicht sonderlich viel Sinn.

|Inhalt:|

_Traditionals_
Der Mond ist aufgegangen
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten
Freut euch des Lebens
Muss i denn, muss i denn
Am Brunnen vor dem Tore
Die Gedanken sind frei
Guten Abend, gut’ Nacht
Du, du liegst mir im Herzen
Komm, lieber Mai, und mache
Sah ein Knab ein Röslein stehen

_Classics_
Jesus bleibet meine Freude (Bach)
Freude, schöner Götterfunken (Beethoven)
Halleluja (Händel)
Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen (Lortzing)
Im wunderschönen Monat Mai (Schumann)
Brautchor (Wagner)
O, du mein holder Abendstern (Wagner)
Abends, will ich schlafen gehen (Humpendinck)
Wir winden dir den Jungfernkranz (Weber)
Durch die Wälder, durch die Auen (Weber)

_Pop Hits_
Marmor, Stein und Eisen bricht (Drafi Deutscher)
Über sieben Brücken musst du gehen (Karat / Peter Maffay)
Aber bitte mit Sahne (Udo Jürgens)
Er gehört zu mir (Marianne Rosenberg)
Flugzeuge im Bauch (Herbert Grönemeyer)
Wind Of Change (Scorpions)
Liebe ist (Nena)
Du erinnerst mich an Liebe (Ich + Ich)
Das Spiel (Annett Louisan)
Durch den Monsun (Tokio Hotel)

http://www.bosworth.de/

Jordan, Sherryl – Avala – Die Zeit des Adlers

Seit Avala denken kann, ist ihr Stamm auf der Flucht vor den Soldaten des Kaiserreichs Navora. Das Einzige, was die Menschen der Shinali aufrechthält, ist ihr unerschütterliches Vertrauen in eine alte Prophezeiung, die die Zeit des Adlers vorhersagt. Eine Zeit, in der sich die bisher verfeindeten Stämme der Igaal und der Hena mit den Shinali versöhnen werden, um gemeinsam das verlorene Land für die Shinali zurückzugewinnen. Als Avala an ihrem sechzehnten Geburtstag ihr Erwachsenwerden feiert, eröffnet ihr der Stammespriester, dass sie dazu bestimmt ist, die prophezeite Einheit zwischen den Stämmen der Steppe herbeizuführen!

Avala scheut vor diesem Gedanken zurück. Denn die Einigung der Stämme und die Forderung nach der Rückgabe ihrer alten Weidegründe bedeutet Krieg gegen Navora. Avala aber ist Heilerin, und der Gedanke, Schmerzen zuzufügen anstatt zu lindern, ist ihr ein Gräuel. Sollte sie sich jedoch der Prophezeiung verweigern, bedeutet das den Untergang für ihr eigenes Volk und auch für das der Hena und Igaal … Avala muss sich entscheiden!

Sherryl Jordan hat ihre Geschichte in der Ich-Form erzählt und in vier Teile gegliedert, von denen der letzte im Vergleich recht kurz ausgefallen ist und deshalb eher einem langen Epilog gleicht als einem eigenständigen Erzählteil. Der erste Abschnitt berichtet von Avalas Herkunft und ihren ersten Bemühungen bei den Igaal, der zweite von ihrem Aufenthalt in Ravinath, der dritte von ihrer Rückkehr zu den Igaal und dem Aufstand.

Avala steht – schon aufgrund der gewählten Erzählform unvermeidlich – im Zentrum der Ereignisse. Sie ist bereits mit einem gewissen Erwartungsdruck aufgewachsen, das liegt an ihrer ungewöhnlichen Herkunft. Ihr Vater war ein navoranischer Heiler, der sich um der Shinali – und einiger anderer Missstände – willen mit seinem Kaiser überworfen und dafür mit dem Leben bezahlt hat. Von ihm hat Avala nicht nur ihre Gabe des Heilens, sondern auch gewisse seherische Fähigkeiten geerbt. Allerdings sind ihre Gaben zunächst nur grob geschult. Sie ist noch jung und trotz ihres guten Willens und ihrer Begabung nicht gegen Rückschläge und Enttäuschungen gefeit. Größere Sicherheit gewinnt sie erst, als ihre Fähigkeiten in Ravinath gezielt ausgebildet werden. Rhetorik gehört allerdings nicht dazu; Avala beeindruckt ihre Umgebung vor allem durch ihre schonungslose Ehrlichkeit.

Mudiwar, der Häuptling der Igaal, ist trotz allem ein harter Brocken, an dem Avala sich beinahe die Zähne ausbeißt. Er glaubt, wenn er sich dem Kampf gemäß der Prophezeiung anschließt, wird er sein Volk unnötig in Gefahr bringen. Vor der Tatsache, dass sein Volk längst massiv unter den Angriffen und Sklavenjagden der kaiserlichen Soldaten zu leiden hat, verschließt er die Augen. Diesem Dickschädel hat die junge, unerfahrene Avala nicht viel entgegenzusetzen, erst der gereiften und selbstbewussten Avala gelingt es, mit ihm fertigzuwerden.

Der eigentliche Bösewicht der Geschichte, Kaiser Jaganath, gehörte einst zu den weisen Männern, die Avala ausgebildet haben. Er kann ungeheuer echte Illusionen erschaffen, so echt, dass die Menschen, die in diese Illusionen hineingeraten, sogar daran sterben können, allein weil sie glauben, die Trugbilder seien echt. Das scheint aber seine einzige Fähigkeit zu sein, denn außer ihr und einer lügnerischen Zunge setzt er keinerlei Waffen gegen Avala ein. Letztlich besiegt Avala ihn quasi mit einem Fingerschnippen, einem einfachen, aber in seiner Wirkung brillanten medizinischen Kniff.

Die Methode war in der Tat so hervorragend einfach, dass ich mich fragte, warum Avala sich zuvor überhaupt Jaganaths Sermon angehört hat! Selbst der Dramaturgie hat dieses Zögern nicht gedient, denn die Zeit, die Jaganath dadurch gewinnt, vertut er wie gesagt mit wirkungslosen Tricks und Lügen. Das Duell zwischen den beiden, das der Höhepunkt der gesamten Handlung hätte sein können und sollen, ragt in keiner Weise aus dem übrigen Geschehen heraus.

Spannung ist ohnehin etwas, das dem Buch fehlt. Zwar sind Avalas erste Bemühungen erfolglos, da sie aber nicht unter Zeitdruck steht, wirkt sich dieser Aspekt nicht auf den Spannungsbogen aus. Dasselbe gilt für die Ausbildung in Ravinath, die sich um ein halbes Jahr verzögert. Erst, als Avala Mudiwar überzeugt hat, sich dem Aufstand anzuschließen, kommt die Sache in Fahrt. Dann aber läuft alles so reibungslos und glatt, dass der Leser, anstatt mitzufiebern, sich mit einem trägen Lächeln zurücklehnt und gelangweilt zuschaut, wie alles unausweichlich ins Happy-End mündet.

Nun ist ein Happy-End ja nicht unbedingt etwas Schlechtes. In diesem Fall jedoch erfüllt es sämtliche Klischees, die Hollywood zu bieten hat.
Außer einem bisschen Neid dreier Gleichaltriger Avala gegenüber scheint es bei den Shinali keinerlei Konflikte zu geben, und selbst davon ist bei Avalas Rückkehr zu ihrem Volk nichts mehr zu spüren. Alle haben sich ach so lieb.

Ähnliches gilt für die Meister, die Avala in Ravinath unterrichteten. Alle sind sie unendlich gütig, weise und liebevoll. Im schlimmsten Fall sind sie traurig oder bekümmert. Keiner von ihnen zeigt jemals Regungen wie Zorn oder auch nur Bitterkeit angesichts der Tatsache, dass sie sich bereits seit siebzehn Jahren vor dem Kaiser verstecken müssen. Auch hier gibt es keinerlei Konflikte.

Das alles wird noch übertrumpft von dem, was nach der Rede eines Meisters auf dem großen Platz der navoranischen Hauptstadt geschieht. Tatsächlich fallen sich da – nicht einmal eine Woche nach den Kämpfen! – alle Angehörigen der vier bis dahin verfeindeten Völker in einem großen Akt der Vergebung gegenseitig um den Hals. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Kaiser bei seinem Volk höchst unbeliebt war und ein Teil seiner Anhänger nach der Niederlage geflohen ist, ist das unglaubwürdig. Immerhin wurden im Zuge des Umsturzes auch sämtliche Sklaven befreit. Irgendwo muss es einfach so etwas wie Unzufriedenheit oder Gemurre gegeben haben. Und in einem Heer von zwanzigtausend Steppenkriegern und vor allem unter den Sklaven muss es einfach ein paar gegeben haben, deren Hass auf die Navoraner zu groß war, um einfach so in der Versenkung zu verschwinden.

Dazu kommt, dass die Geschichte in einer ziemlich schmalzigen Art geschrieben ist. Das gilt vor allem für den Abschnitt über Ravinath. Ständig geht es darum, wie liebevoll und gütig ihre Familie, ihre Freunde, die Meister sind, wie behütet und geliebt Avala sich fühlt, wie sie ständig gesegnet, liebevoll berührt und umarmt wird. Selbst auf dem Weg durch die unterirdischen Tunnel des Kaiserpalastes fühlt Avala sich von einer liebevollen Gegenwart geführt, mit der wohl ihr verstorbener Vater gemeint ist. Selbst im Hinblick auf Avalas seherische Fähigkeiten war das doch etwas dick aufgetragen! Stellenweise ist es vor lauter klebrigem Zucker fast unmöglich, die Seiten umzublättern.

Logische Ungereimtheiten taten ein Übriges. Mudiwar ist Häuptling des Klans der Elche, eines recht kleinen Klans innerhalb des Volkes der Igaal. Wie kommt es, dass die Igaal sich dem Kampf nicht anschließen, solange er nein sagt, und es dann doch tun, sobald er ja sagt? Haben die anderen Klane der Igaal keine Häuptlinge, und haben die nichts mitzureden? Avalas Strategie sieht vor, durch ein Täuschungsmanöver vor den Stadttoren einen Teil der kaiserlichen Soldaten von der Stadt abzuziehen, damit sie nicht zur Stelle sind, um den geplanten Sklavenaufstand niederzuschlagen. Gleichzeitig aber wird der Zeitplan für den Umsturz so festgelegt, dass der Sklavenaufstand im Palast und der Hauptstadt losgehen soll, bevor die Feldtruppen vor den Stadttoren auftauchen, zu einem Zeitpunkt also, an dem sich das kaiserliche Militär noch in der Stadt befindet. Als der Sklavenaufstand dann losbricht, rennen die einzelnen Soldaten nach Hause zu ihren Familien, um diese zu verteidigen, anstatt unter dem Kommando ihrer Vorgesetzten geschlossen gegen die Aufständischen vorzugehen, wie man es von einer Armee erwarten würde.

Mit anderen Worten: Wenn es sich bei diesem Buch um einen Film gehandelt hätte, dann hätte ich es als Soap bezeichnet: inhaltlich eher seicht, spannungsarm und furchtbar kitschig. Logische Brüche sowie die rosaroten Brille, hinter der sich alles abspielt, bewirken, dass sowohl Handlung als auch Charaktere – selbst diejenigen, die nicht so enttäuschend ausgefallen sind wie Jaganath – völlig ins Unglaubwürdige abgleiten. Sherryl Jordan hat schon Besseres geschrieben.

_Sherryl Jordan_ lebt in Neuseeland und hat bereits eine ganze Anzahl Jugendbücher verfasst, von denen auch einige ausgezeichnet, aber nicht alle ins Deutsche übersetzt wurden. Erschienen sind bei uns außer „Avala – Die Zeit des Adlers“ und [„Jing-Wei und der letzte Drache“ 1464 unter anderem „Tanith, die Wolfsfrau“, „Flüsternde Hände“ und „Der Meister der Zitadelle“, wo die Vorgeschichte zu den Ereignissen in „Avala“ erzählt wird.

http://www.patmos.de

Knizia, Reiner – Sudoku Kids – Das brisante Kinderspiel

_Fieberwahn im Kinderzimmer_

Nicht nur in den Tageszeitungen, Wochen- und Rätselblättern grassiert seit nunmehr einigen Jahren mit wachsender Anzahl Infizierter das Sudoku-Fieber, auch auf dem Brettspielmarkt haben sich seit dem vorletzten Jahr etliche Firmen an Produkten versucht, die dem Klassiker noch etwas Neues abgewinnen sollten, ohne dabei das traditionelle Spielsystem zu vernachlässigen.

Seltsamerweise scheiterten damals besonders die Großverlage mit ihren teils recht mageren und langweiligen Beiträgen, darunter auch |Kosmos|, deren Sudoku-Brettspiel zu den mit Abstand schwächsten seiner Art zählt. Zeit also, ein wenig Rehabilitation zu leisten und Versäumtes mit der Variante für die kleineren Brettspieler(innen) noch nachzuholen. Und siehe da: „Sudoku Kids“ ist in der Tat eine erfreulich frische Version, die nicht nur mit viel Witz, sondern auch mit viel Liebe gestaltet wurde.

_Spielmaterial_

• 4 Spielpläne
• 15 Kärtchen
• 14 Chips
• 1 Spielanleitung

Die Spielmittel der Junior-Variante sind überaus nett und ansprechend illustriert und auch einigermaßen stabil konstruiert. Die Spielpläne zum Beispiel bestehen aus jeweils zwei Puzzleteilen aus härterem Karton und lassen sich beliebig zusammensetzen, so dass sich gleich mehrere Alternativen ergeben. Außerdem wird durch diese Systematik eine Unterteilung in unterschiedliche Schwierigkeitsgrade möglich, was vor allem für diejenigen Kids, die mit dem Sudoku-Prinzip noch nicht vertraut sind, eine spürbare Erleichterung darstellt, denn so können sie das Spiel von der Pieke auf lernen.

Die recht bunte Farbgebung sorgt schließlich für eine gute Übersicht und Spielbarkeit, denn dadurch, dass die Farben im Spiel eine übergeordnete Rolle spielen, bedarf es schon einer deutlichen Differenzierung, um spätere Unklarheiten zu vermeiden – und diese ist hier auf jeden Fall gegeben.

Insgesamt also ein Lob an das zwar schmächtig bestückte, aber zweckdienlich und ansehnlich gestaltete Material.

_Der Spielverlauf_

Natürlich ist eine Partie „Sudoku Kids – Das rasante Kinderspiel“ nicht mit der Erwachsenenvariante und deren komplexer Suche nach passenden Zahlen zu vergleichen. Außerdem ist ein Spielplan statt 9×9 lediglich 4×4 Felder groß, soll heißen pro Reihe und Kästchen sind auch nur vier statt neun Symbole (in diesem Fall Tiere) erlaubt.
Nachdem zu Beginn einer der Spielpläne ausgewählt wurde, werden zunächst die Tier- und Farbkärtchen und schließlich die Chips für jeden Spieler greifbar und ersichtlich in die Mitte gelegt. Anschließend darf der älteste Spieler den ersten Zug machen.

Folgendermaßen läuft nun ein Spielzug ab: Der jeweils aktive Spieler deckt einen der verdeckt abgelegten Chips auf. Nun betrachten alle Spieler gleichsam die Farbe des Chips, vergleichen sie mit einem eventuell noch freien, gleichfarbigen Feld auf dem Spielplan und suchen nun das Tierkärtchen, welches unter Berücksichtigung der Sudoku-Regeln auf das Feld in der aufgedeckten Farbe passt. Derjenige, der es als Erster gefunden hat, legt es nun auf das noch freie Feld und erhält als Lohn den soeben gezogenen Chip. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass ein Tier noch doppelt zur Auswahl steht und es potenziell zwei richtige Lösungen gibt. In diesem Fall gibt es eine deutliche Rangordnung, nach der man im Zweifelsfall immer das Tier mit dem weißen Hintergrund suchen muss, sofern beispielsweise noch zwei Krokodile, zwei Löwen oder zwei Affen verfügbar sind.

Weiterhin ist es möglich, dass auf dem Spielplan kein freies Feld mehr in der Farbe des gezogenen Chips ist. In diesem Fall halten die Spieler Ausschau nach dem Farbkärtchen der gleichen Farbe und suchen dieses ersatzweise. Der Schnellste erhält anschließend ebenfalls den Chip. In beiden Fällen beginnt anschließend derjenige, der in der vorherigen Runde den Chip gewonnen hat, bis schließlich das Rätsel gelöst ist und das Spiel zu Ende geht.

_Ende des Spiels_

Sobald alle farbigen Felder auf dem Spielfeld (richtig) belegt sind, ist das Spiel zu Ende. Der Spieler mit den meisten Chips gewinnt; sollten mehrere Spieler gleich viele Chips haben, gibt es auch mehrere Gewinner.

_Persönlicher Eindruck_

Ich war ehrlich gesagt erstaunt und überrascht, wie spannend dieses Spiel auch für die ältere Generation ist. „Sudoku Kids“ ist richtig temporeich, zu allen Gelegenheiten spielbar und um einiges kniffliger als erwartet. Gerade die ersten Züge einer jeden Partie sind enorm prickelnd, weil alle Beteiligten nicht nur damit beschäftigt sind, die richtige Lösung für das ausgewählte Feld zu finden, sondern auch noch das geeignete Kärtchen zu finden. Und da man immer die Mitspieler im Nacken hat, kann man sich auch in keiner Runde Auszeiten gönnen oder auf Zeit spielen, weil diese quasi nicht vorhanden ist. Der Übertrag auf das jüngere Publikum verspricht also definitiv ein noch fulminanteres, gleichsam schnelles Spiel mit maximalem Spaßfaktor.

Im Gegensatz zur Version für das erwachsene Publikum wird hier gleich auf mehrere Aspekte Wert gelegt. Schnelle Reaktionen sind gefragt, die Zuordnung von Farben und Symbolen sowie das anschauliche Denken werden geschult, Kognition und Wahrnehmung getestet und letztendlich auch im gewissen Sinne die Grobmotorik gefördert, schließlich haut man im Eifer des Gefechts auch gerne mal auf das falsche Kärtchen und scheidet so in der aktuellen Runde aus. Der wesentliche Punkt ist jedoch, dass das Spielsystem völlig unverkrampft und der Aufbau keinesfalls nüchtern ist, so dass man sich immer wieder gerne zu einer weiteren Partie aufrafft und nicht plötzlich wieder entnervt die Segel streicht.

Alles in allem zeigen die Kinder der älteren Generation also ganz deutlich, wo es langgeht in der riesigen Welt des Sudoku. Zum einen bleibt „Sudoku Kids“ im Vergleich zum größeren Pendant beim |Kosmos|-Verlag deutlicher Punktsieger, und zum anderen ist es ausgerechnet in diesem vergleichsweise kleinen Rahmen sehr schön gelungen, dem Grundspiel neue Aspekte abzugewinnen und die daraus geschöpften Ideen adäquat umzusetzen. Nicht zuletzt, weil davon auszugehen ist, dass diese kleine Schachtel recht erschwinglich sein wird, kann ich diesen Titel für die regelmäßige Familienunterhaltung nur wärmstens empfehlen.

http://www.kosmos.de/

Birbaek, Michel – Beziehungswaise

Lasse liebt Tess. Tess liebt Lasse. Seit sieben Jahren schon. Doch das scheinbare Traumpaar hadert mit den Tücken einer langwierigen Beziehung, die im Hin und Her des beruflichen Alltags zu ersticken droht. Lasse ist ein abgehalfterter Comedian, der mittlerweile nur noch Seniorennachmittage auf Kreuzfahrten moderiert. Tess dagegen macht bei VW groß Karriere und hat daher noch weniger Zeit für Lasse, als Lasse für Tess hat.

Dennoch scheint das Paar nach außen glücklich zu sein – im Innern hingegen rumort es kräftig. Die mittlerweile zweijährige Sexflaute nagt am Selbstwertgefühl und wirft so manche Sinnfrage auf. Ist das noch eine Beziehung oder nur noch Freundschaft? Als Tess dann ein Jobangebot in China bekommt, können die beiden ihre Probleme nicht länger ignorieren. Sie müssen sich entscheiden, was sie wollen. Bedeutet ihnen die Beziehung noch genug, um sie aufrecht zu erhalten? Wollen sie Liebe oder Karriere, Freundschaft oder Sex?

Als wenn das nicht schon genug wäre, entpuppt sich dann auch noch Lasses Vater als schwerkrank. Lasse pendelt zwischen Castingterminen mitten im Kölner Karneval und dem Krankenbett des Vaters in Dänemark hin und her. Und der fordert von Lasse dann auch ausgerechnet einen ganz speziellen letzten Wunsch: Er soll Tess endlich einen Heiratsantrag machen …

„Beziehungswaise“ ist ein Roman, der schon dem Titel nach Wortwitz und Humor verspricht. Ein Comedian als Hauptfigur, da darf man wohl zu Recht so einiges erwarten. Michel Birbæk wird dieser Erwartung durchaus gerecht. Schon im ersten Kapitel, das Lasses Erlebnisse beim Besuch der Hochzeit eines Freundes in Amerika schildert, gibt viel Anlass zu Lachen und zu Schmunzeln.

Doch wer aufgrund dieser Tatsache auch in allen folgenden Kapiteln ein nicht enden wollendes Gagfeuerwerk erwartet, der sei gewarnt. Bei Birbæk jagt nicht über die gesamten knapp 500 Seiten eine Pointe die nächste. Dafür entwickelt die Geschichte eine zunächst unerwartete Tiefe, die die vielseitigen Facetten der Gefühle auslotet.

Birbæks Roman dreht sich um die großen Fragen, die rund um Beziehung, Trennungsschmerz, Familienleben, Freundschaft aber auch um Krankheit, Trauer, Tod und Abschied auftauchen. „Beziehungswaise“ wird dadurch zu einem Wechselbad der Gefühle – mal heiter, charmant und unkompliziert, mal voller Ernsthaftigkeit, Schwermut und Traurigkeit. Der Balanceakt, sowohl die Tragik, als auch die Komik, die das Leben von Lasse widerspiegelt, unter einen Hut zu bringen, gelingt Birbæk ausgesprochen gut.

Lasse wirkt als Protagonist durchaus glaubwürdig. Er zweifelt an seinem Job, zweifelt an der Sinnhaftigkeit seiner Beziehung zu Tess und während in Dänemark sein Vater dem Tod ins Antlitz schauen muss, versucht Lasse irgendwie die Freude an dem wiederzufinden, was er tagein, tagaus tut. Die Entwicklung, die er dabei innerhalb der Geschichte durchläuft, ist größtenteils durchaus glaubwürdig und nachvollziehbar, nur mit Lasses erwecktem Interesse an der Umweltschutzarbeit seines Mitbewohners Arne und seinem Wunsch, sich zu engagieren, scheint Birbæk irgendwie ein bisschen über das Ziel hinauszuschießen. Das ist dann doch ein bisschen viel der Charakterwandlung.

Überhaupt sind die Mitbewohner in Lasses Kölner WG der einzige Knackpunkt in Sachen Glaubwürdigkeit. Mag man Arne den schweigsamen, kraftraumgestählten Ökoterroristen noch halbwegs im Rahmen des Möglichen ansiedeln, so sprengt Frauke, die dauerbekiffte Rechtsanwältin, dann doch ein bisschen das Vorstellungsvermögen. Solche Anti-Klischees wirken dann eben doch etwas überzeichnet, wenngleich sie sicherlich einen gewissen Unterhaltungswert versprechen.

Dabei sind die Figuren und ihre Verhaltensweisen ansonsten durchaus nachvollziehbar. Vor allem Lasses emotionale Lage lässt sich gut mitfühlen, egal ob es um den Umgang mit seiner scheiternden Beziehung geht oder um die Auseinandersetzung mit dem zu befürchtenden Tod seines Vaters oder seine Gedanken um Freundschaft und Familie ganz allgemein. „Beziehungswaise“ enthält viele Gedanken, in die man sich gut hineinfühlen kann und die sich unter Umständen auch auf das eigene Leben projizieren lassen.

Sprachlich kann Birbæk auf ganzer Linie punkten. Er schreibt gewitzt und höchst unterhaltsam und jongliert seine Sätze mit einer Prise Wortwitz, die den Lesegenuss besonders würzt. „Beziehungswaise“ macht so gesehen mit jeder Seite Spaß, ohne dass es Birbæks Gedanken an der nötigen Tiefe mangeln lassen.

Ironische Seitenhiebe auf den Medienbetrieb gibt es stets dann, wenn Lasse im Casting darum bangt, in die nächste Runde zu kommen und gegen die mal mehr und mal weniger witzige Konkurrenz antritt. Diese Episoden bilden einen ziemlich drastischen Kontrast zu den Episoden in Dänemark, in denen Lasse sich um die Familie kümmert und mit seiner Schwester zusammen um das Wohlergehen des Vaters bangt. Dennoch ergibt sich aus diesem Kontrast ein durchaus stimmiges Ganzes, das sowohl einfühlsam als auch unterhaltsam erzählt daherkommt.

Bleibt unterm Strich also ein durchaus positiver Eindruck zurück. Trotz der etwas überspitzt wirkenden Anti-Klischees in Form von Lasses Mitbewohnern Frauke und Arne und einer etwas zu weit vollzogenen Charakterwandlung von Lasse weiß „Beziehungswaise“ gut und überzeugend zu unterhalten. Ein lockerer, gewitzter Erzählstil, viel Stoff zum Schmunzeln und Lachen, aber nicht minder Gedanken, die bewegen und anrühren und dem Buch eine gewisse Tiefe verleihen, die man anfangs nicht vermuten mag – so ist „Beziehungswaise“ ein ausgewogener und unterhaltsamer Lesegenuss, den man gerne weiterempfiehlt.

http://www.luebbe.de

|Siehe ergänzend auch unsere [Rezension 714 zu „Wenn das Leben ein Strand ist, sind Frauen das Mehr“.|