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McCall Smith, Alexander – verschmähten Schriften des Professor von Igelfeld, Die

Einen Platz in der Reihe der skurrilsten Romantitel hat Alexander McCall Smith mit seinem aktuellen Werk „Die verschmähten Schriften des Professor von Igelfeld“ in jedem Fall verdient. Der Inhalt steht dem Titel in Sachen Skurrilität im Grunde in nichts nach. Wir Deutschen dürfen es mal wieder über uns ergehen lassen, dass ein Brite sich über uns lustig macht. Wie gut, dass McCall Smith wenigstens Schotte ist und nicht Engländer …

Doch so schlimm zieht McCall Smith auch schon wieder nicht über deutsche Gepflogenheiten her. Objekt seine Spottes ist eben in erster Linie besagter Professor von Igelfeld, und der hat sich den Spott ob seiner Verschrobenheit redlich verdient.

Professor Moritz-Maria von Igelfeld ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der romanischen Philologie. Er ist der vielgepriesene Autor des über 1000-seitigen Standardwerks „Portugiesische unregelmäßige Verben“ – ein Werk, das in der Philologie an sich und in der Wissenschaft ganz allgemein seinesgleichen sucht. Dennoch führt Professor von Igelfeld ein akademisches Schattendasein. So unübertroffen sein Werk auch sein mag, es ist in mindestens gleichem Umfang auch unverkäuflich. Und so kämpft von Igelfeld mit dem unermüdlichen Eifer eines Don Quijote um Anerkennung und Wertschätzung.

Mit einem zielsicheren Gespür für Fettnäpfchen und einem nicht immer ganz so fein ausgeprägten Sinn für den Umgang mit anderen Menschen, kämpft er gegen die Bedeutungslosigkeit seines eigenen Schaffens und nicht zuletzt gegen die Intrigen, die sein Regensburger Kollege Detlef Amadeus Unterholzer stets zu spinnen scheint. Von Igelfeld ist eine Ausgeburt deutscher Tugenden und akademischer Werte, stets darum bemüht, dass ihm die Ehre zuteil wird, die er verdient zu haben glaubt.

Alexander McCall Smith skizziert das wissenschaftliche Wirken und Leben des Professor von Igelfeld in insgesamt fünfzehn Episoden. Die englische Originalausgabe erschien 2003 in drei einzelnen Bänden, die für die deutsche Ausgabe zu einem Buch zusammengefasst wurden.

„Die verschmähten Schriften des Professor von Igelfeld“ ist ein durchweg humoristisches Werk, das vor allem auf den ersten Blick schwierig in einen zeitlichen Kontext einzuordnen ist. Von Igelfeld und seine beiden Kollegen Florianus Prinzel und Detlef Amadeus Unterholzer haben selbstverständlich in Heidelberg studiert, und so bekommen die Geschichten einen Anstrich von deutschem Studententum und Burschenschaften. Man ordnet das Ganze im ersten Moment irgendwo in Richtung 19. Jahrhundert ein und hat das Gefühl, McCall Smith hätte sich von Mark Twains „Bummel durch Europa“ inspirieren lassen hat, in dem Mark Twain mit einem Augenzwinkern die Erlebnisse seiner Deutschlandreise schildert, die ihn unter anderem in Heidelberger Studentenkreise geführt hat.

Umso überraschter ist man, wenn man dann im weiteren Verlauf auf immer mehr Anzeichen stößt, die belegen, dass von Igelfeld eine Figur der Gegenwart sein soll. Das verleiht dem ganzen Buch eine recht eigenartige Note, denn von Igelfelds ganze Art und Weise, sein hölzernes Benehmen, sein ständiges Schielen auf Ansehen und Ehre passen doch ins 19. Jahrhundert sehr viel besser als in die heutige Zeit. Und obwohl es ja gerade diese Züge seiner Persönlichkeit sind, welche die Lektüre würzen (allem voran seine chronische Überschätzung der eigenen Bedeutung für den Fortbestand von Kultur und Wissenschaft), so wirkt dieser Gegensatz doch etwas unstimmig.

Dennoch hat man gerade zu Beginn der Lektüre durchaus so manchen Anlass nicht nur zu schmunzeln, sondern herzhaft zu lachen. McCall Smith hat durchaus ein Händchen für die humoristische Betrachtung seiner Figuren und zieht so manche Begebenheit durch von Igelfelds sonderbare Eigenarten so herrlich ins Lächerliche, dass man wirklich seinen Spaß hat.

Sehr amüsant liest sich beispielsweise eine Episode um ein Duell, das von Igelfeld für seinen unsportlichen Kommilitonen Florianus Prinzel mit hartgesottenen Burschenschaftlern organisiert, in dem Glauben, Prinzel sei der geborene Athlet. Auch von Igelfelds Erlebnisse als vermeintlicher Veterinärmediziner und Dachshund-Experte in Amerika lesen sich sehr unterhaltsam, ebenso wie die Geschehnisse während mehrerer Arbeitsaufenthalte in Italien. Von Igelfeld hat ein Talent dafür, sich selbst in die unmöglichsten Situationen zu manövrieren, und zu beobachten, wie er immer wieder versucht, einen möglichst ehrenvollen Abgang zu machen, ist schon sehr komisch.

Dennoch schlägt man das Buch am Ende mit gemischten Gefühlen zu. Von Igelfelds steife, hölzerne Art ist zwar ganz lustig, lässt sich aber auch nicht als endloses Gagfeuerwerk strapazieren. Hat man anfangs noch seine helle Freude an der Absurdität der Figur von Igelfeld an sich und dem Augenzwinkern, mit dem McCall Smith ihn beschreibt, so zieht sich die Lektüre im Laufe der Zeit doch immer mehr in die Länge. Es gibt zwar immer noch Stellen, über die man herzhaft lachen kann, doch tendenziell wird es zum Ende hin dünner. Der Humor nutzt sich ab und man kommt gerade im dritten Teil des Buches zum unausweichlichen Schluss, dass die Figur des Moritz-Maria von Igelfeld allein eben doch nicht genug hergibt, um damit 447 Seiten zu füllen. Hätte der dritte Buchteil komplett gefehlt, ich hätte ihn keine Sekunde vermisst.

Unterm Strich sind „Die verschmähten Schriften des Professor von Igelfeld“ ein nicht ganz ungetrübtes Lesevergnügen. Zwar versteht Alexander McCall Smith sich auf eine gewitzte, augenzwinkernde Erzählweise mit einer teils wirklich herrlich absurden Note, dennoch nutzt sich der Humor mit der Zeit etwas ab. Weniger wäre hier mehr gewesen, denn hätte McCall Smith sich auf etwa die Hälfte der Episoden beschränkt, hätte man von vorne bis hinten genüsslich durchlachen können.

So ist die Lektüre eben doch nicht von Anfang bis Ende unterhaltsam, und zum Ende hin macht sich etwas Unmut breit. Ebenso nimmt man McCall Smith auch in zunehmenden Maße die Unstimmigkeit zwischen den dem 19. Jahrhundert entliehenen Figuren und dem Umfeld der modernen Welt krumm. Solange man viel zu lachen hat und durchweg gut unterhalten wird, stört man sich an solchen Aspekten nicht so leicht, hat man aber Zeit, sich um solche Dinge den Kopf zu zerbrechen, weil der Plot müde vor sich hinplätschert, wird ein kleiner Makel schnell zum Störfaktor.

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Briggs, Patricia – Drachenzauber

Ein Unglück kommt selten allein, sagt man. Das scheint auch für Ereignisse zu gelten, die auf harmlosere Art bemerkenswert sind. Auf jeden Fall lässt sich nicht leugnen, dass Wardwicks jüngere Schwester Ciarra gerade an jenem Tag in den Abwasserkanal von Burg Hurog geflüchtet und Wardwick auf der Suche nach ihr auf die Höhle mit den Drachenknochen und den jungen Oreg gestoßen ist, an dem sein Vater Fenwick den tödlichen Reitunfall hatte.

Nun ist Wardwick also Hurogmeten, der Herr von Burg Hurog, das heißt, er wird es sein, sobald er volljährig ist. Aber er hat kaum Zeit, das Erbe seines Vaters anzutreten. Nur wenige Tage nach der Beerdigung taucht eine entflohene Sklavin in Hurog auf, und natürlich dauert es nicht lange, bis auch ihre Verfolger vor der Tür stehen und sie zurückfordern. Als Wardwick sich weigert, die Frau herauszugeben, kommt es zum Eklat …

Charaktere

Wardwick, genannt Ward, ist idealistisch, ehrenhaft, stur und eine ausgeprägte Beschützernatur. Das macht ihn für nahezu alle, die sich um ihn sorgen, geradezu unerträglich. Er ist aber auch einfühlsam und intelligent, was zu zeigen er bisher mit großem Erfolg vermieden hat, um nicht von seinem Vater als Rivale empfunden und umgebracht zu werden. Seine hervorragend vorgetäuschte Dummheit bringt ihn allerdings auch in gehörige Schwierigkeiten, denn der Hochkönig hat eine Neigung, unliebsame Personen ins Asyl, eine Art Irrenanstalt, sperren zu lassen, und Wards Scharade bietet den dafür denkbar besten Vorwand.

Vorerst ist allerdings nicht der Hochkönig Jakoven sein Problem, sondern Kariarn, der König von Volsag. Er sammelt magische Artefakte, um seine Macht zu vergrößern, und giert deshalb nach den Drachenknochen in der Höhle unter Burg Hurog. Kariarn ist nicht unbedingt größenwahnsinnig. Wenn man sich ihm nicht widersetzt, kann er geradezu kumpelhaft sein. Das ändert aber nichts daran, dass er absolut skrupellos ist.

Jakoven dagegen ist nicht nur skrupellos und machthungrig, er ist auch grausam und tückisch. Während Kariarns Anhänger ihm aus freiem Willen folgen, benutzt Jakoven Magie, Folter und Erpressung, um sich die Menschen gefügig zu machen, wobei seine Erpressung nicht die geradlinige Art Kariarns hat, der seine Gegenüber vor die einfache Wahl stellt: Gehorsam oder Tod. Jakovens Angriff kommt immer von hinten!

Angenehm an Patricia Briggs Charakterbeschreibung ist, dass alle ihre Figuren relativ durchschnittlich geblieben sind. Beide Bösewichte sind menschlichen Grenzen unterworfen. Sie können ihre Gegner nicht durch schiere Übermacht niederwalzen, wie es die bösen, machtgierigen Zauberer in der High Fantasy gerne tun, und sind deshalb gezwungen zu taktieren und sich gewissen politischen Gegebenheiten zu beugen.

Wardwick ist zwar der vollkommene Typus eines Helden, aber auch er ist ein gewöhnlicher Mensch und beschützt die Seinen nicht, weil ein Held prinzipiell die Welt vor dem Untergang rettet, sondern weil er an den Leuten hängt, eine persönliche Bindung zu ihnen hat. Dies und die Tatsache, dass die Autorin den Hinweis auf Wards Heldentum selbst immer wieder augenzwinkernd anbringt, schüttelt jeden Gedanken an Klischee ab.

Das gilt auch für die Handlung. Der Eindruck vom Tsunami-Effekt, von der nur durch ein Wunder aufzuhaltenden, absoluten, alles vernichtenden Katastrophe, die das Gros der Fantasy so gern bemüht, fehlt hier völlig. Es sind kleinere Widrigkeiten, mit denen Ward sich herumschlagen muss, aber deshalb nicht weniger folgenreich für die Bevölkerung. Auch hier werden zwei Tyrannen gestürzt, allerdings nicht durch einen Akt überbordender Selbstaufopferung. Zugegeben, Zähigkeit gehörte durchaus zu den Eigenschaften, die nötig waren, um mit den beiden Antagonisten fertig zu werden, doch es hielt sich innerhalb der Grenzen dessen, was ein Mensch leisten kann.

Die Handlung bleibt dadurch näher am Leser. Ward ist niemand, zu dem man mit offenem Munde aufsieht, seine Geschichte keine, der man mit weit aufgerissenen Augen folgt. Diese Geschichte könnte auch einem von uns passieren. Vorausgesetzt natürlich, es gäbe ein paar nette Zutaten in unserer Welt.

Eine davon sind Drachen. Zu meiner Überraschung hielten sich diese mythischen Wesen allerdings sehr im Hintergrund. Der hauptsächlich vorkommende Drache ist Oreg, Wards Zauberer. Da Oreg aber hauptsächlich in menschlicher Gestalt unterwegs ist, neigt der Leser dazu, in ihm weniger den Drachen als den Zauberer zu sehen. Was der Faszination dieser Figur allerdings keinen Abbruch tut.

Eine weitere sind die Zwerge, die allerdings auch eher selten auftauchen. Der Hauptvertreter dieses Volkes ist Axiel, der aber wie Oreg ein Mischling ist und deshalb so menschlich wirkt, dass man seine Herkunft die meiste Zeit über vergisst.

Und dann ist da natürlich noch die Magie als solche. Angenehm ist auch hier wieder, dass selbst Oreg, mit dem kaum ein anderer Zauberer mithalten kann, nicht über unbegrenzte Fähigkeiten verfügt, sowohl im Hinblick auf die Menge der magischen Kraft, die ihm zur Verfügung steht, als auch bezüglich dessen, was er damit bewirken kann.

Mit anderen Worten, Patricia Briggs hat hier einen Roman abgeliefert, dem zwar das bombastische Weltuntergangspanorama fehlt, der aber genug Geheimnisse, Ränke, Verrat, List und Gegenlist bietet, um zu keiner Zeit Langeweile aufkommen zu lassen, dessen Charakterzeichnung wohltuend frei von Übersteigerung und Klischee bleibt, und der trotz dieser vornehmen Zurückhaltung dennoch genug Ideen bietet, um den Hauch von märchenhaftem Zauber zu entfalten, der Fantasy auszeichnet. Es hat Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen.

Noch eine positive Überraschung jenseits der Erzählkunst der Autorin bescherte dem Leser der Verlag. Zur Abwechslung wurde hier mal nicht zerstückelt – wobei man der Gerechtigkeit halber feststellen muss, dass |Heyne| nicht zu dieser Unart neigt -, sondern es wurden zwei Romane in einem Buch zusammengefasst. Die Leistungen des Lektorats waren dafür nicht ganz von der gewohnt hohen Qualität. Gelegentlich stolperte ich doch über Fehler, die nicht immer nur als einfache Tippfehler durchgehen.

Patricia Briggs schreibt bereits seit fünfzehn Jahren Bücher. Neben Einzelromanen wie „When Demons Walk“ oder „The Hob’s Bargain“ schrieb sie eine Reihe von Mehrteilern – wie die |Sianim|-Serie oder die |Raven|-Duologie – und wirkte in Anthologien mit, darunter „Silver Birch, Blood Moon“ und „On The Prowl“, das im August dieses Jahres auf Englisch erscheint. Einige ihrer Bücher sind bereits wieder |out of print|. Auf Deutsch ist bisher nur „Drachenzauber“, das die beiden Hurog-Bände beinhaltet, erhältlich. Der erste Band der Mercedes-Thompson-Serie „Ruf des Mondes“ soll im November dieses Jahres in die Buchläden kommen.

Taschenbuch 800 Seiten

Originaltitel: „Dragonblood“ und „Dragonbones“

Deutsch von Regina Winter

ISBN-13: 978-3453523098

http://www.heyne.de
http://www.hurog.com/

Napier, Bill – 77. Grad, Der

Als mäßig erfolgreicher Antiquar und Fachmann für historische Karten fristet Harry Blake sein bescheidenes Einkommen. Für den reichen Sir Toby Tebbit soll er ein verschlüsseltes Tagebuch auf seine Echtheit überprüfen, das diesem angeblich ein Verwandter im fernen Jamaica vererbte. Blake schlägt ein, doch der scheinbare Routineauftrag entpuppt sich als Spießrutenlauf: Noch hat er keinen genauen Blick auf das Werk werfen können, da tritt schon eine erste Unbekannte drohend an ihn heran und fordert die Herausgabe. Blake weigert sich selbstverständlich und informiert Sir Toby, der sich etwas zu offensichtlich unwissend gibt. Weitere und immer bedrohlicher werdende Attacken erschrecken Blake, der das Tagebuch übersetzt und herausfindet, wieso es für seine Gegner von solchem Wert ist.

Es erzählt von den Erlebnissen des James Ogelvie, eines Schotten, der 1585 – zur Zeit der anglikanisch-protestantischen Königin Elisabeth I. – mit dem berühmten Seefahrer Sir Walter Raleigh auf eine Reise in die Karibik geht. Ziel ist es, den „Längengrad Gottes“ zu finden und dort eine Kolonie zu gründen. Doch der (katholische) Feind schläft nicht. Mörder gehen auf dem Schiff um und wollen das Unternehmen sabotieren. Sie führen heimlich eine christliche Reliquie von unerhörter Kraft mit sich, die besagte Kolonie im Namen von Maria Stuart, Elisabeths Erzkonkurrentin und Rivalin um den Thron, zu einem Zentrum der katholischen Bewegung umwerten soll.

In der Gegenwart wird Sir Toby umgebracht. Der entsetzte Blake setzt sich mit dessen Tochter Debbie in Kontakt und sucht die Unterstützung der Historikerin Zola Khan. Gemeinsam bemüht man sich das Rätsel der Ogelvie-Aufzeichnungen zu lüften, bevor dem mysteriösen Gegner dies gelingt. In der Vergangenheit wie in der Gegenwart hören die Gewalttaten nicht auf, sodass sowohl der junge James als auch Harry, Zola und Debbie in Lebensgefahr geraten …

Vorab ein Wort der (Ent-)Warnung: „Ein packender Mysterythriller für die Fans von Scott McBain und Dan Brown“, dröhnt die Werbetrommel auf dem Backcover. Man beachte die Reihenfolge: Dan Brown kennt und liest bekanntlich jede/r, und Scott McBain ist einer seiner (sogar noch) minderbegabteren Nachahmer, der seine Trash-Thriller hierzulande recht erfolgreich im |Knaur|-Verlag (Aha!) veröffentlicht; möge das Publikum den Hieb mit dem Zaunpfahl verstehen und auch Bill Napier durch reichliche Buchkäufe würdigen …

Aber Napier verdient den Vergleich mit gleich zwei tonfüßigen Bestseller-Fabrikanten nicht. Sein Werk kann für sich selbst stehen. Wer’s mag (oder braucht), darf die Schubladen „Literatur“ und „Unterhaltung“ aufziehen: „Der 77. Grad“ gehört in Letztere. Als solche kann dieser Roman nicht nur gut mithalten in der Flut der meist grässlichen Copy-Thriller um biblische & historische Mysterien, sondern schwimmt sogar an der Oberfläche auf.

Das Rätsel des 77. Grads wird bereits recht früh gelüftet – eine gute Entscheidung, denn vermutlich hätte es ins Finale verlegt die meisten Leser irritiert und unzufrieden aus der Geschichte entlassen. Ohne an dieser Stelle Entscheidendes zu verraten, darf immerhin erwähnt werden, dass es um den Streit zwischen katholischer und anglikanisch-protestantischer Kirche geht, der zu den prägenden Ereignissen des 16. Jahrhunderts gehört. Die Intensität dieses Kampfes, der zugleich hochpolitisch war und mehrfach in Kriege ausartete, lässt sich heute vom historischen Laien schwer nachvollziehen. Doch damals war diese Auseinandersetzung eine Grundsatzfrage, deren Entscheidung unzählige Menschen das Leben kostete.

Nur in diese Welt passt ein kompliziertes Komplott, wie es Autor Napier entwirft. Es geht um Kartografie, Kalender, Kolonien. Realpolitik und Religion finden eng miteinander verknüpft statt. Aus heutiger Sicht wirkt das wie gesagt abstrakt. Napier gleicht dies aus, indem er zusätzlich eine christliche Super-Reliquie ins Geschehen bringt, die auch im 21. Jahrhundert enorme Begehrlichkeiten wecken kann. So schafft er eine einleuchtende Verbindung zwischen den beiden im Wechsel geschilderten Handlungsebenen: Quasi parallel kommen James Ogelvie 1585 und Harry Blake & Co. in der Gegenwart dem Mysterium auf die Spur – ein geschickter Kunstgriff, der die Spannung verdoppelt – und einen „modernen“ Thriller immer wieder mit dem Historienroman kreuzt: zwei beliebte Genres in nur einem Roman!

Die rasante Handlung folgt recht ausgefahrenen Pfaden. Im Ausknobeln eines Plots ist der Verfasser eindeutig besser. Vor allem jener Strang, der im 21. Jahrhundert spielt, gleicht den Schnitzeljagden, die heute in allen Unterhaltungsmedien zum Thema „Rätsel und Schätze der Vergangenheit“ stattfinden. Napiers Jamaica ist beispielsweise eine karibisch knallige Rastafari-Insel, auf der lässige Lebensfreude und schonungslose Gewalt nahtlos ineinander übergehen.

Es ist objektiv schwer zu entscheiden, wie eine originellere Handlung aussehen könnte, da wir nie mit einer solchen konfrontiert werden. Immerhin ist Napier Routinier genug, den Spannungsbogen nicht abreißen zu lassen, während er immer wieder in die Vergangenheit zurückkehrt, die er mit Einfallsreichtum und Fachwissen zu beleben weiß.

Bill Napier mag es klassisch: Sein „Held“ ist ein Jedermann, der zwar über gewisse intellektuelle Fähigkeiten, nicht jedoch über (körperliche) Kräfte gebietet, die ihn über den Durchschnitt erheben bzw. ihm helfen, sich gegen seine skrupellosen, brutalen, schwer bewaffneten Feinde durchzusetzen. Harry Blake – schon der Namen symbolisiert Alltäglichkeit – ist ein beruflich und privat wenig erfolgreicher Antiquar, also ein weltfremder und schwächlicher Zeitgenosse, wie ihn das Klischee für Romane wie diesen fordert.

„Klischee“ ist ein wichtiges Wort, denn Blake trifft auf Böslinge, die wohl nur in der Märchenwelt des „77. Grades“ Angst und Schrecken verbreiten können, mimen sie doch so drastisch die chronischen Möchtegern-Weltherrscher, dass es schon wieder lächerlich wirkt. Da haben wir also den irrsinnig-fanatischen Superschurken, dem selbstverständlich eine ebenso schöne wie zutiefst verdorbene weibliche Schönheit (die hier auch noch auf den Namen „Cassandra“ hört) zur Seite steht. Sie und diverse vertierte Helfershelfer gieren förmlich danach zu foltern und zu morden; alle orientieren sich in Wort und Tat an den kindischen James-Bond-Thrillern der Vor-„Casino-Royale“-Ära. Wie es diesen Knallchargen gelingt, einen weltweit aktiven Geheimbund zu gründen und zu führen, ist das wahre Rätsel dieser Geschichte …

Auch im Spiegel stimmt das Bild: Wie es sich gehört, kann sich Harry auf einen kleinen Kreis ergebener Helfer stützen, zu denen erwartungsgemäß eine hübsche, tatkräftige (Reihenfolge beachten!) Frau gehört. Hier sind es derer sogar zwei, denn neben die tatkräftige Fachfrau Zola Khan (was für ein Name!) tritt – als Identifikationsfigur für jüngere Leser? – die erst süße 19 Jahre zählende Anbeißmaus Debbie; keine der guten Ideen des Verfassers.

Siehe da, irgendwann lässt Napier plötzlich durchblicken, dass Harry nicht immer ein Antiquar gewesen ist. Düster fallen Namen von Orten, die Großbritanniens Einsätze in diversen Kriegen der näheren Vergangenheit dokumentieren, an denen Harry anscheinend als Soldat teilgenommen hat. So wirkt es einleuchtender, wenn er den Schurken, die ihn ständig überfallen, Saures geben kann.

Wesentlich „lebensechter“ wirken die Figuren des Ogelvie-Handlungsstrangs. Der Verfasser profitiert hier von der Tatsache, dass er Personen schildert, deren Äußerungen und Verhalten schwer oder gar nicht nachgeprüft werden können: Wer kennt sich als Leser so genau im Jahre 1585 aus, dass ihm (oder ihr) Verstöße gegen die historische Realität bewusst werden? Dem besser mit der Materie vertrauten Kritiker fällt jedenfalls auf, dass sich auch die Bewohner der Vergangenheit primär so verhalten, wie es uns Lehrfilmen wie „Fluch der Karibik“ oder „Master and Commander“ nahebrachten. Zumindest der fiktiven Vergangenheit steht das Klischee jedoch besser als der Realität. Oder anders ausgedrückt: Dieses Garn ist dick genug, dass wir alle unser Lieblingsfädchen daraus zupfen können.

William Napier wurde 1940 im schottischen Perth geboren. Er wuchs im Städtchen Strathaven im Westen auf, studierte an der Universität zu Glasgow und verließ sie mit einem Doktortitel in Astronomie, bevor er für ein Jahr am Royal Holloway College in Surrey lehrte. Er übernahm dann einen Posten am Royal Observatory in Edinburgh, den er 25 Jahre innehatte, bis er 1992 in den vorzeitigen Ruhestand trat. Nach einem kurzen Gastspiel als Dozent in Oxford ging Napier als Astronom ans Observatorium in Armagh, wo er noch heute tätig ist.

Erst in Armagh begann Napier sich ernsthaft als Unterhaltungsschriftsteller zu versuchen. Der Science-Thriller „Nemesis“, der sich um den drohenden Einschlag eines Riesenmeteoriten auf die Erde dreht, brachte ihm auf Anhieb den Durchbruch. Den sicheren Boden der Astronomie verließ Napier 2000 mit seinem Thriller „Revelation“ (dt. [„Die Offenbarung“). 3387 Noch ein Stück weiter ging er mit „The Lure“, in dem er die Konsequenzen einer klassischen „Begegnung der Dritten Art“ beschreibt.

2003 sprang Napier auf den Dan-Brown-Express auf und trug seinen Teil zur aktuellen Bestseller-Verschwörungstheorie bei, nach der die christliche Kirche seit zwei Jahrtausenden mit Hilfe vorzeitlicher Super-Hightech, albinotischer Meuchelmörder oder maskierter Außerirdischer klammheimlich die Welt regiert & die Menschheit für dumm verkauft. „Shattered Icon“ (dt. „Der 77. Grad“) war einfalls- und erfolgreich genug, um vom Originalverlag mit einer ebenso werbeträchtigen wie marktschreierischen aber witzigen Website begleitet zu werden: http://www.splinteredicon.com.

http://www.droemer-knaur.de

Somper, Justin – Vampiraten 1: Der Fluch des Ozeans

Grace und Connor haben gerade ihren Vater und ihr Zuhause verloren. Jetzt haben sie die Wahl zwischen einem trostlosen Waisenhaus und einem reichen, aber verlogenen Bankiersehepaar. Da ihnen keines von beidem behagt, ziehen sie es vor, sich auf dem Boot ihres Vaters davonzumachen. Doch kaum haben sie den schützenden Hafen verlassen, bricht ein Sturm los und zertrümmert das Boot.

Die beiden haben Glück im Unglück: Sie werden gerettet. Allerdings jeweils von einem anderen Schiff.

Connor ist bei den Piraten gelandet und fühlt sich dort bald recht wohl. Grace dagegen findet sich auf einem Schiff voller Vampire wieder. Es dauert nicht lange, da gerät sie in Schwierigkeiten …

_Die Charaktere_

Connors herausragendste Eigenschaft ist seine sportliche Begabung, er ist kräftig und durchtrainiert. Aber segeln kann er offenbar nicht, und vom Wetter hat er auch nicht viel Ahnung. Dafür beweist er eine gewisse Hartnäckigkeit, aufzugeben ist nicht seine Sache. Abgesehen davon scheint er noch eine besondere Begabung zu haben, die sich vorerst am besten mit einem siebten Sinn umschreiben lässt: Er kann die Stimme seines toten Vaters hören und bis zu einem gewissen Grad Grace und ihre Umgebung wahrnehmen. Woher diese Begabung kommt und was genau es damit auf sich hat, bleibt noch unklar.

Grace ist diejenige mit Köpfchen, zumindest wird sie am Anfang als sehr intelligent und kenntnisreich beschrieben. Sie ist bei weitem nicht so sportlich wie ihr Bruder, aber auf ihre Weise genauso zäh. Ihr Angst zu machen, ist keine leichte Sache, und Resignation liegt ihr genauso wenig wie ihrem Bruder. Übernatürliche Fähigkeiten zeigt sie bisher keine. Und segeln kann sie offenbar genauso wenig wie ihr Bruder.

Mehr gibt es über die beiden vorerst nicht zu sagen. Die Charakterzeichnung bleibt ziemlich blass und flach. Die Vergangenheit der beiden fehlt völlig, wahrscheinlich, um der gewissen Aura des Geheimnisvollen willen. Das funktioniert sogar ein wenig. Abgesehen davon aber bleibt auch die Gegenwart recht unpersönlich und fad. Die beiden scheinen – von Connors sportlichen Aktivitäten abgesehen – keine Hobbys zu haben. Sie vermissen zwar ihren Vater, fragen aber nie nach ihrer Mutter. Die Schulden ihres Vaters haben sie zwar ihr Zuhause gekostet, aber offenbar keinerlei Träume oder Zukunftspläne zunichte gemacht. Das Einzige, woraus diese beiden zu bestehen scheinen, sind ihre äußerst enge Bindung zueinander und das alte Shanty über die Vampiraten, das sie von ihrem Vater gelernt haben und ständig zum Besten geben. Das ist nicht gerade viel, womit der Leser sich identifizieren könnte.

_Auch die Handlung_ fand ich nicht unbedingt mitreißend:

Die Piraten auf der |Diablo| sind erstaunlich gemütliche Gesellen. Zwar gibt es Spannungen zwischen dem Kapitän und seinem ersten Offizier, die sind aber vorerst noch recht harmloser Natur. Bösewichter scheint es auf diesem Schiff keine zu geben; eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass man es eigentlich mit Verbrechern zu tun hat. Nicht, dass Justin Somper aus seinen Seeräubern edle Ritter nach dem Vorbild eines Robin Hood gemacht hätte, das nicht. Aber diese Mannschaft, allen voran der Kapitän, wirkt, als ob sie nichts ernst nähme. Keiner von ihnen will reich werden oder etwas rächen oder gar seine Mordlust befriedigen. Das Einzige, worum es zu gehen scheint, ist, möglichst viel Spaß zu haben!

Konfliktstoff bietet da vorerst nur die Tatsache, dass die Piraten der Weltmeere sich dieselben offenbar in Einflusszonen aufgeteilt haben. Der Kapitän der |Diablo| findet das allerdings höchst albern und wildert ohne Rücksicht in fremden Gewässern, was die anderen Kapitäne und ihre Besatzungen ziemlich wütend macht. Das klingt fast ein wenig nach organisiertem Verbrechen, wo die einzelnen Paten ebenfalls ihre Sphären streng gegen Übergriffe von anderen schützen. Leider ist die Ausarbeitung in dieser Hinsicht bisher nicht über Andeutungen hinausgekommen.

Das gilt auch für Cheng Li, den ersten Offizier der |Diablo|. Cheng Li hat an der Piratenakademie studiert und redet ständig von einer neuen Art von Piratentum, das die Welt der Piraterie revolutionieren wird. Wie genau das allerdings aussehen soll, wird nicht genauer erläutert.

Ein wenig mehr zur Sache geht es da auf dem Schiff der Vampire. Wobei diese Mannschaft sich nicht als Vampire bezeichnet, sondern als Vampiraten. Eine nette Wortschöpfung. Ich fragte mich allerdings, warum sie sich so nennen, denn in all der Zeit, die Grace bei ihnen verbringt, haben sie offenbar kein einziges Schiff überfallen. Die Piraten der |Diablo|, die von Connor das Shanty über eben diese Vampiraten gehört haben, wissen nichts von einem solchen Schiff und halten es für eine Legende, was sicher nicht so wäre, wenn die Vampiraten entsprechend aktiv wären.

Genau genommen handelt es sich also doch um ganz gewöhnliche Vampire, die sich auf diesem Schiff vor den Nachstellungen durch den Rest der Welt in Sicherheit gebracht haben. Der Kapitän ist ein sehr kultivierter Mann, so kultiviert, dass er sogar ohne Blutsaugen auskommt. Er hat sehr zivilisierte Regeln aufgestellt, aber natürlich gibt es da einen Quertreiber, der sich nur äußerst ungern daran hält. Der Kapitän verspricht Grace Schutz. Warum er sie aber nicht einfach in der Nähe des nächst besten Hafens an Land setzt, was wahrscheinlich der beste Schutz wäre, wird nicht erklärt.

Um die Sache etwas spannender und geheimnisvoller zu machen, hat der Autor diese Details natürlich zunächst einmal nicht verraten. Stattdessen muss Grace einen Teil davon ihrem Bewacher/Beschützer Lorcan Furey mühsam aus der Nase ziehen und den Rest selbst herausfinden. Trotz des Shantys und der Klugheit, die ihr zu Anfang zugeschrieben wurde, hat sie dafür erstaunlich lange gebraucht. Ein Knacks in der Logik, der eine Steigerung der Spannung oder Dramatik sofort wieder untergräbt.
Erst als der Quertreiber unter den Vampiren, Sidorio, meutert, wird die Sache interessanter …

_Insgesamt betrachtet_, wirkt dieser erste Band der |Vampiraten|-Serie wie eine ellenlange Einleitung. Das versuchte Attentat auf den Kapitän der |Diablo| und der erste Kampfeinsatz Connors, die ein wenig Schwung in die Geschichte brachten, liefen so glatt und waren so schnell erledigt, dass es für den Aufbau eines echten Spannungsbogens nicht gereicht hat. Zwar deuten die vielen vagen Hinweise in der Geschichte – Connors ungewöhnliche Begabung, das seltsame Verhalten des Vampiratenkapitäns in Bezug auf Grace, Cheng Lis Andeutungen – sowie der Unmut der anderen Piratenkapitäne und Sidorios Ankunft an Land die Entstehung von ein paar größeren Verwicklungen an, die Auswirkungen werden allerdings erst dem nächsten Band zugute kommen.

Nun handelt es sich hier um ein Kinderbuch, und natürlich erwartet man in einem solchen Fall weder Ströme von Blutvergießen noch echten Grusel. Immerhin sollen die jungen Leser nach dem Ende des Buches noch einschlafen können. Aber auch davon abgesehen kann die Geschichte mit dem „Fluch der Karibik“, mit dem sie verglichen wird, nicht mithalten. Auch wenn der Kapitän der |Diablo| zugegebenermaßen ein sympatischer Kerl ist, kann er mit Käpt’n Sparrow nicht wirklich konkurrieren. Der Handlung fehlt es – zumindest in diesem ersten Band der |Vampiraten| – an Erzähltempo und turbulenten Wendungen, um dem Vergleich mit dem Filmvorbild standhalten zu können. Bisher zumindest sind die |Vampiraten| kein „Fluch der Karibik“ für Kinder.

Aber das kann sich ja noch ändern. Eigentlich hat Justin Somper genug Konfliktpunkte und Geheimnisse angelegt, um im nächsten Band für einige Bewegung im Handlungsverlauf zu sorgen und den Leser mit unerwarteten Erkenntnissen zu überraschen. Falls es ihm zusätzlich gelingt, seinen Figuren, vor allem den beiden Hauptpersonen, noch etwas mehr persönliches Profil zu geben, könnte sich dieser Zyklus vielleicht noch berappeln.

Justin Somper ist Hobbyschwertkämpfer und war in mehreren Verlagen als Kinderbuchlektor und PR-Manager tätig, ehe er selbst anfing zu schreiben. Die |Vampiraten|-Serie ist inzwischen bis Band vier gediehen. Auf Deutsch erschien Band zwei im Juni dieses Jahres, die Folgebände sollen ab Februar 2008 erhältlich sein.

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Stackpole, Michael A. – Zum Helden geboren

Unüberwindbar mutet die Bannmauer für jeden an, der zum ersten Mal vor ihr steht. Ein magischer Wall zum Schutz des Imperiums. Denn während das imperiale Reich die alles einnehmende Ordnung verkörpert, ein System, das nach strikt geordneten Bahnen und Regeln verläuft, für deren Einhaltung seine Bewahrer bis in den Tod gehen, fließt hinter der Mauer das ungezügelte Chaos. Wer die Mauer von der imperialen Seite betrachtet, kann nicht anders, als sie als ein Meisterwerk zu bezeichnen, das die Stärke und Einheit des Imperiums symbolisiert. Auf der anderen Seite jedoch, wo das Chaos herrscht, wirkt sie bedrohlich und einengend – als die Umzäunung eines Gefängnisses, dem es zu entkommen gilt.

Viele Dämonen sind an der Mauer gescheitert und umgekommen, als sie versucht haben, diese zu durchdringen. Doch die Chaosmächte geben nicht eher auf, bis sie die Wände der Ordnung eingerissen haben. Immerhin haben sie einen bedeutsamen Vorteil auf ihrer Seite: Ihre wilde, ungeordnete Taktik entspringt einem Geist, in den sich die imperialen Kräfte niemals hineindenken können.

Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Schwachstelle der Bannmauer überwunden ist. Vraska, ein Brutkind aus den Lenden eines legendären Dämonenfürsten, überlebt den Vorstoß eines Tages. Als erster Dämon betritt er die Welt der Menschen und will sie fürchten lehren für all die Jahre hinter der dem Wall.

_Zum Autor_

Michael A. Stackpole hatte sich mit Romanen für die |Star Wars|- und |Mechwarrior|-Buchreihen einen Namen gemacht, bevor er mit |Düsterer Ruhm| eine eigene Fantasysaga kreierte. Mit „Zum Helden geboren“ legt er ein Einzelwerk vor, das in keiner der früheren Welten spielt, durch die Verknüpfung von düsterer Endzeit mit klassischen |Sword and Sorcery|-Elementen jedoch wie ein Mix aus den bisher bekannten Settings daherkommt. „Zum Helden geboren“ erschien bereits 2002 im |Heyne|-Verlag, fünf Jahre nach der amerikanischen Ausgabe, und ist nun bei |Piper| mit neuem Cover wiederveröffentlicht worden.

_Inhalt_

Lachlan, ein junger Mann, der von allen nur Locke genannt wird, wächst in einem kleinen Ort namens Felsenschnell in der Provinz Garik auf. Zusammen mit seinen zwei Brüdern wird er von seinem Großvater Audin aufgezogen und zum Krieger ausgebildet. Sein Großvater ist hart, doch immer fair und handelt im besten Gewissen, seine Jungs zu starken Persönlichkeiten zu machen. Er soll eines Tages durch die Lande ziehen und die dämonischen Bedrohungen bekämpfen – so, wie es auch Lockes Vater Cardew einst getan hat. Bei einer Mission durch die Chaoslande kam dieser jedoch nie zurück und hinterließ seine Söhne in der Obhut des Großvaters. Obwohl das genaue Verbleiben Cardews bis zum heutigen Tag ungeklärt geblieben ist und niemand genau weiß, welch Schicksal ihm im Chaos zuteil wurde, gehen alle von seinem Tod aus. Bis auf Locke, den, obwohl er seinen Vater nie persönlich kennen gelernt hat, die Hoffnung antreibt, seinen Vater eines Tages doch noch lebend zu finden.

Die Hoffnung, nicht zuletzt aber auch seine List und sein Geschick sind es, die es Locke ermöglichen, einen Wettkampf gegen seine körperlich überlegenen Brüder zu gewinnen. Sein Großvater Audin hat den Wettbewerb veranstaltet, um den Besten von ihnen in seinem Namen in die Hauptstadt Herakopolis zu schicken. Dort veranstaltet der Imperator ein großes Fest, auf dem Locke seine Großmutter Evadne begleiten und Audin vertreten soll.

Der Abschied fällt Locke schwer, doch als er seine Heimat verlassen und sich einer vorbeiziehenden Karawane angeschlossen hat, beginnt er, aus dem Schatten seines Großvaters zu treten und sich all jene Fertigkeiten anzueignen, die ihn Audin nicht lehren konnte. Auf der Karawane lernt er den rauen, aber ehrlichen Roarke kennen, der ihm viel von der Welt und den Dämonen erzählen kann. Und das Chaos ist auf der Reise bereits viel gegenwärtiger, denn einige weitere Gefährten, die schon in den Chaoslanden gekämpft haben, weisen Entstellung auf, die sich in aus der Haut wachsenden Stacheln oder Fangzähnen manifestiert haben. Trotz der offensichtlichen Gefahren, die das Chaos birgt, treibt Locke immer mehr der Wunsch, selbst zur Bannmauer aufzubrechen und auf der anderen Seite nach seinem Vater zu suchen. Zu dem Zeitpunkt weiß er allerdings noch nicht, dass er diesem Wunsch bereits sehr viel näher ist.

Schließlich trifft Locke in der Hauptstadt ein, in der er seine Großmutter besucht und sich mit ihren Bediensteten, vor allem der lebensfrohen Marija, anfreundet. Während diese ihm Stadt zeigt, erfährt Locke, dass ein dem Chaos nahestehender Mann samt seiner Familie grauenvoll ermordet, ausgeweidet und anschließend verspeist worden ist. Zudem erfährt er, dass ein Dämon von einer Gruppe Krieger nach Herakopolis verfolgt worden ist, dort jedoch untertauchen konnte. Das Geflecht zieht sich allmählich zusammen. Doch noch immer ist nicht klar, ob es sich tatsächlich um einen Dämonen handelt, denn die Bannmauer gilt weiterhin für Dämonen als unpassierbar.

Als letztendlich auf dem großen Fest des Imperators mitten im Eröffnungstanz ein bösartiger Zauberer erscheint und das Chaos verbreitet, und kurze Zeit später auch der Dämon auftaucht, ist Locke sich seines Ziels gewiss: Er will in die Chaoslande gehen und dort das Übel an der Wurzel bekämpfen. Nicht nur für sich, nicht nur für seinen Vater, sondern für die ganze Menschheit. Denn er ist zum Helden geboren.

_Bewertung_

„Zum Helden geboren“ fängt verheißungsvoll an. Ein junger Mann, der sich unter seinen älteren Brüdern benachteiligt fühlt, bekommt durch den Sieg eines von seinem Großvater ausgerufenen Wettstreits die Chance, seine Familie auf dem Fest des Imperators zu vertreten und die Welt kennenzulernen. Ebenso wie Locke, jener besagte junge Mann, lernt auch der Leser die Welt Schritt für Schritt kennen. Zunächst nur das Dorf, dann auf der Reise in die Hauptstadt die Verstrickungen um das Chaos, die durch die Geschichten der Karawanen-Reisenden vor dem geistigen Auge Kontur gewinnen, und schließlich die Hauptstadt selbst, die sich als farbenfroher Gegensatz zur Einöde und tristen Kargheit des übrigen Landes präsentiert.

Doch während die Handlung weiter in der Hauptstadt verläuft und sich nur gemächlich, und zwar viel zu gemächlich entfaltet, beginnt die düstere, zunächst gelungen anmutende Fassade der Welt zu bröckeln, die letztendlich doch nur eine leicht abgewandelte Variante des ausgelutschten Gut-gegen-Böse-Schemas in Form von Imperium und Chaos darstellt. Stackpole gelingt es nicht mehr, den Leser mitzureißen, und kann die Erwartungen, die er durch die drohenden Konflikte der ersten Seiten aufbaut, nicht mehr einhalten. Die Geschichte flacht zu einem Einheitsplot ab, der jegliche überraschenden Wendungen verliert und ab dem Fest des Imperators in der Mitte des Romans zielgerichtet auf das bereits zu erahnende Finale zusteuert.

Anstatt die Spannung zu halten, die den Leser durch die Augen des Protagonisten Locke in Form von Geschichten über die Welt jenseits Felsenschnells und dem Chaos an den Roman zu fesseln beginnt, verliert sich der Autor in Nebensächlichkeiten und merkt erst viel zu spät, dass er wieder auf die Haupthandlung zusteuern muss. Während ihm dies nach 250 Seiten bewusst wird, mag der ein oder andere Leser schon abgesprungen sein. Derjenige, der weiterliest, erfährt tatsächlich eine Steigerung. Allerdings nur eine kleine, die keine bewegenden Plotwendungen mehr enthält und ein Ende abliefert, das den Roman entsprechend abschließt, aber nicht befriedigt.

„Zum Helden geboren“ hätte deutlich mehr Potenzial gehabt, denn Stackpole kann allein durch mitreißende Dialoge Stimmung aufbauen. Er braucht keine seitenlangen Landschaftsbeschreibungen, um die Welt entstehen zu lassen. Der schwache Plot lässt jedoch die guten Ansätze verblassen und den Roman im Mittelmaß versinken.

http://www.piper-verlag.de/boulevard/

_Michael A. Stackpole auf |Buchwurm.info|:_

[„Das verlorene Land“ 1036 (Saga der neuen Welt 1)
[„Der Kampf um die alte Welt“ 2238 (Saga der neuen Welt 2
[„Geisterkrieg“ 145 (Mechwarrior Dark Age 1)
[„Der große Kreuzzug“ 748 (Düsterer Ruhm 6)
[„Der Weg des Richters“ 1047
[„Es war einmal ein Held“ 1672
Star Wars Sonderband 34 – X-Wing Rogue Squadron: [„Die Thronerbin“ 3338

Mignon G. Eberhart – Während der Kranke schlief

Im einsamen Haus lauern verfeindete Verwandte auf den Tod des reichen Familienoberhaupts, bis die Anwesenden sich gegenseitig zu dezimieren beginnen. Eine Krankenschwester betätigt sich als Privatdetektivin und kommt des Rätsels Lösung dabei zu nahe … – Atmosphärisch dichter „Whodunit“ mit wirklich allen Elementen dieses Genres, deren Autorin nach vielen falschen Fährten und Rätselraten den Täter aus dem Kreis der sämtlich verdächtigen Figuren herausfiltert.
Mignon G. Eberhart – Während der Kranke schlief weiterlesen

Irvine, Ian – Spiegel der Erinnerung, Der (Die drei Welten 1)

Llian steht kurz davor, das zu erreichen, wofür er die letzten fünfzehn Jahre gelernt und gearbeitet hat: ein Meisterchronist zu werden. Doch seine Variante der |Großen Geschichte der Düsternis| stößt nicht nur auf Begeisterung. Wistan, der Direktor des Kollegiums, zweifelt Llians Beweise zwar nicht öffentlich an, lässt sie aber auf schnellstem Weg in der Versenkung verschwinden und versucht, Llian mundtot zu machen. Als ihm das nicht gelingt, schickt er ihn kurzerhand mit einem halsbrecherischen Auftrag ins Gebirge. Er soll eine junge Frau namens Karan aufspüren und nach Thurkad bringen …

Karan ist zwar noch eine junge Frau, hat aber schon mehr erlebt als manch anderer. Da sie eine alte Schuld zu begleichen hat, lässt sie sich dazu überreden, einem Magister im fernen Süden ein magisches Artefakt, den |Spiegel von Aachan|, zu stehlen. Von diesem Augenblick an hetzen die Schergen des Magisters sie unablässig durch den halben Kontinent. Und nicht nur das: Karan plagt die Gewissheit, dass sie den Spiegel keinesfalls in die falschen Hände geben darf, wenn sie nicht entsetzliches Unheil auf die ganze Welt herabbeschwören will. Aber wem soll sie den Spiegel anvertrauen?

_Charaktere_

Karan ist erstaunlich zäh. Als Empfindsame, das heißt jemand, der alle Empfindungen – auch die anderer – um ein vielfaches stärker wahrnimmt als normale Menschen, scheint sie nicht besonders belastbar. Tatsächlich gab es in ihrer Familie genügend Beispiele für geistige Labilität und Wahnsinn. Andererseits wirkt die hartnäckige Verfolgungsjagd offenbar stabilisierend auf Karan, sie lernt Selbstbeherrschung, und auch ihr Körper wird gestählt. Ohne es zu ahnen oder zu wollen, schleift der Magister Yggur die junge Frau zu einer ernst zu nehmenden Waffe.

Llian ist von Karan so verschieden wie überhaupt nur denkbar. Mehr als die Hälfte seines Lebens hat er damit verbracht, seine Nase in Bücher zu stecken. All seine Begeisterung gilt Geschichten und Historien, ansonsten ist er nahezu völlig lebensuntauglich, ein schwärmerischer Träumer ohne nennenswerten Bezug zur Realität. Karan zumindest empfindet ihn eher als nutzlos und lästig. Allein seine Stimme scheint sie zu mögen. Die bedeutendste seiner Fähigkeiten dagegen geht nahezu völlig unter: Wenn Llian Karan im Arm hält, kann sie schlafen, ohne zu träumen!

Beide Hauptpersonen sind gut getroffen und angenehmerweise nicht statisch, sondern sie entwickeln sich. Das gilt vor allem für Karan. Überhaupt hat Irvines Charakterzeichnung den Vorzug, dass sie zum einen komplett auf Typen verzichtet – keine Elfen, keine Zwerge oder sonstige Wesen, die festen Definitionen unterliegen und daher nur wenig Variationsmöglichkeiten offen lassen – und zum anderen kein zementiertes Gut und Böse kennt. Selbst Karans Verfolgern, die durchaus ungewöhnlich aussehen und auch ungewöhnliche Fähigkeiten besitzen, hat der Autor menschliche Züge belassen.

_Handlung_

Das wirkt sich auch auf die Handlung aus. Schon im ersten Band, der sich hauptsächlich mit Llians Verbannung und Karans Flucht befasst, deutet sich eine hohe Komplexität an. Gleich der erste Gegner, mit dem die Heldin es zu tun bekommt, zeigt Schwächen wie Sorge, Angst und Schmerz. Da er nicht allein durch pure Machtgier, Bosheit oder irgendeinen Wahn definiert ist, ist der Leser in der Lage, seine Beweggründe zu verstehen und seine Argumentation nachzuvollziehen. Wie im wirklichen Leben ist es so, dass eben nicht immer nur einer Recht hat und alle anderen Unrecht. So sind Karan und Idlis nur deshalb Feinde, weil Karan sich einer Verpflichtung nicht entziehen konnte, die ursprünglich überhaupt nichts mit Yggul und den Seinen zu tun hatte.

Ygguls Beweggründe sind allerdings bisher als einzige etwas detaillierter dargestellt. Sein größter Gegner Mendark sowie die Auftraggeberin des Diebstahls Faelamor sind bisher noch nicht persönlich aufgetaucht. Und Wistan begründet die Verbannung Llians lediglich damit, seine Geschichte bringe das Kollegium in Gefahr. Warum dies der Fall sein sollte, darauf geht er leider noch nicht genauer ein.

Dasselbe gilt für die Ausarbeitung der Historie, die eine enorme Rolle spielt. Nur ein Ausschnitt dieser Vergangenheit wird genauer beleuchtet, in Llians Geschichte, mit der er den Unwillen Wistans auf sich zieht. Alles andere bleibt äußerst bruchstückhaft, angefangen bei dem Grund für die Ächtung der Zain, zu denen Llian gehört, über die verschiedenen Bündnisse und Gegnerschaften während des Krieges bis hin zu dem geheimnisvollen Spiegel, dessen Bewandtnis bisher keiner kennt. Das macht die ganze Sache stellenweise etwas verwirrend und auch ein klein wenig unbefriedigend.

Letztlich jedoch vergisst der Leser diese kleinen Unannehmlichkeiten recht schnell, denn nachdem die Hauptpersonen eingeführt sind, legt der Autor ein recht hohes Erzähltempo vor. Karan gönnt er kaum eine ruhige Minute, und nachdem Llian sie endlich gefunden hat, geht es ihm natürlich kein Deut besser. Jedes Mal, wenn der Leser glaubt, nun hätten sie ihre Verfolger endlich abgehängt, tauchen diese plötzlich wieder auf. Und jedes Mal entkommen die Flüchtlinge nur knapp. Das Kunststück dabei ist, dass kein einziges Mal der Eindruck von Wiederholung entsteht.

Mitten in Karans und Llians Überlebenskampf bricht das Buch dann auf einmal ab. So abrupt, dass ich mich schon fragte, ob hier ein Verlag wieder mal ein Buch einfach in zwei Teile gehackt hat. Ob das tatsächlich der Fall ist, wird sich zeigen.

_Das Lektorat_ hatte Rechtschreib- und Satzbaufehler diesmal ziemlich im Griff. Gestolpert bin ich dafür über die Szene im Wirtshaus von Tullin, wo Tee und Würzwein ein wenig durcheinandergeraten sind. Ansonsten las das Buch sich flüssig.

_Alles in allem_ ist „Der Spiegel der Erinnerung“ ein vielversprechender Einstieg in einen Zyklus ohne feste Schemata oder Schwarz-Weiß-Effekte, mit einer umfangreichen Vorgeschichte, die sich noch ein wenig mehr entfalten darf, und einer bewegten, temporeichen Handlung. Wer mal etwas anderes als die übliche High-Fantasy lesen will, hat hier die Chance auf ein wenig Abwechslung.

_Ian Irvine_ ist Doktor für Meeresbiologie und hat einen Großteil des südpazifischen Raums bereist. Die Idee zu seinem Drei-Welten-Zyklus entstand bereits während des Studiums. Die damals entstandenen Karten und Skizzen dienten später als Basis für die Ausarbeitung, die inzwischen zwei Tetralogien umfasst und noch weiter ausgebaut werden soll. Abgesehen davon hat Ian Irvine den Öko-Thriller „Human Rites“ geschrieben sowie den Zyklus |Runcible Jones|. „Der Spiegel der Erinnerung“ ist das erste seiner Bücher, das auf Deutsch erschienen ist. Der zweite Band mit dem Titel „Das magische Relikt“ ist ab August dieses Jahres erhältlich.

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Eckert, Renate – Hungrige Schatten

Renate Eckert weiß, wovon sie schreibt. Genau wie die Protagonistin in ihrem ersten Buch, arbeitete auch sie lange Zeit als Journalistin. Sie kennt sich also aus mit den inneren Strukturen einer Redaktion.

Diese sind es, die der Journalistin Anne Michels das Leben schwer machen. Ihr Vorgesetzter mobbt sie, und das lastet schwer auf der jungen Frau. Sie ist neu in der beschaulichen Stadt Burgstadt, und bis auf Angie, eine Arbeitskollegin, und Phil, einen Kollegen, der heimlich in sie verliebt ist, hat sie noch nicht viel Anschluss gefunden.

Das ändert sich, als sie für die bevorstehende Oberbürgermeisterwahl die Kandidaten interviewen soll. Matthias Reininger, der charismatische Anwalt, ist ihr bereits bei einer Ordensverleihung für verdiente Kommunalpolitiker aufgefallen. Als sie ihn in seinem teuren Haus besucht, zeigt sich, dass sie ihm auch aufgefallen ist. Er spinnt sie ein mit seiner Aufmerksamkeit. Doch schnell zeigt sich, dass mit seiner Zuwendung eine dunkle Seite einhergeht. Er ist dominant, manchmal geradezu sadistisch. Anne ist trotzdem verrückt nach ihm und merkt erst viel zu spät, worauf sie sich da eingelassen hat …

Im Vordergrund der Geschichte steht Anne, die als Neue in der Redaktion viel einstecken muss. Für sie bedeutet der Job eine gute Gelegenheit, um sich von ihrer Vergangenheit freizustrampeln, die von der Autorin gut ausgearbeitet wurde. Anne hat auch eigene Charakterzüge, aber die sind größtenteils schwammig dargestellt, so dass es schwerfällt, sich mit der Protagonistin zu identifizieren.

Im Großen und Ganzen bleibt die junge Journalistin dem Leser verschlossen. Der Grund dafür ist der altbackene Schreibstil von Eckert. Sie benutzt einen gehobenen Wortschatz und bemüht sich um Abwechlsungsreichtum bei der Wortwahl. Dennoch klingen viele ihrer Formulierungen gestelzt und künstlich. Das Vokabular, auf das sie zurückgreift, ist stellenweise zu erhaben, und sie schafft es nur selten, wirkliche Emotionen zu erzeugen.

Dieser Schreibstil hat weitreichende Folgen. Die Grundidee, auf der Eckert ihre Geschichte aufbaut, ist nicht unbedingt schlecht. Eine junge, vielleicht etwas naive und vor allem einsame Frau gerät in die Fänge eines charismatischen, aber verdorbenen Mannes. Daraus ließe sich ohne Probleme das stricken, was auf dem Buchdeckel angegeben ist: ein Psychothriller.

Leider verbaut sich die Autorin mit dem Schreibstil diese Möglichkeit. Durch die Verschlossenheit und Künstlichkeit kann kaum Spannung aufgebaut werden. Selbst der Kriminalfall, den Annes Kollege Phil verfolgt, kann kaum punkten. Er steht nicht im Vordergrund und verläuft mehr oder weniger im Sande, weil aufgrund des Schreibstils einfach keine Spannung aufkommen möchte.

Ähnlich ist es mit der verhängnisvollen Verbindungen zwischen Anne und Matthias. Hier fehlt es an psychologischer Tiefe, obwohl die einzelnen Stufen dieses Handlungsstrangs gut aufgebaut sind. Letztendlich ist es wieder Eckerts Schreibstil, der die Spannung blockiert. So gewandt er auch erscheinen mag, verhindert er doch, dass das Buch in die Tiefe gehen kann.

Hinzu kommen die vielen Nichtnotwendigkeiten, zu denen abgeschweift wird. Was in manch anderen Büchern für Vielschichtigkeit und Erzähldichte sorgt, wirkt in diesem Fall überflüssig. Auch das lässt sich wieder auf den Schreibstil zurückführen, der es nicht schafft, solche Abschweifungen in den Erzählfluss zu betten.

Wie man sieht, ist bei „Hungrige Schatten“ der Schreibstil der springende und wunde Punkt. Handwerklich kann man sich nicht über ihn beschweren. Eckert kann schreiben und sie greift auf einen großen Wortschatz zurück. In diesem sind leider sehr viele gestelzte Ausdrücke und Formulieren enthalten, die schuld daran sind, dass es dem Buch an Lebendigkeit fehlt. Das wirkt sich negativ auf Handlung und Personen aus. Besonders dem Plot fehlt es an Spannung und Emotionen, auch wenn er auf einer passablen Grundidee fußt.

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Kusnezow, Sergej – Hülle des Schmetterlings, Die

Bereits die Widmung von Sergej Kusnezows Buch „Die Hülle des Schmetterlings“ macht neugierig: |“Dieses Buch wollte ich zwei Freunden widmen. Beide haben sich geweigert es zu lesen und darauf bestanden, in keiner Weise damit in Verbindung gebracht zu werden.“| Was für ein Buch muss das sein, wenn Leute nicht damit in Verbindung gebracht werden? Der Verlag selbst sieht es als |“Das russische Gegenstück zu Thomas Harris‘ ‚Schweigen der Lämmer'“|, und damit hat er gar nicht mal so unrecht.

Ein Serienkiller hält die russische Hauptstadt Moskau in Atem. Schon seit Monaten foltert und tötet er Frauen zwischen 15 und 40, und die Polizei hat keine einzige Spur. Xenia, die junge Chefredakteurin einer mäßig erfolgreichen Internetseite, hat eine zündende Idee. Zusammen mit ihrem Kollegen Alexej und ihrer besten Freundin Olga ruft sie eine Website ins Leben, auf der alle Informationen zu dem Serienkiller zusammengetragen werden. Daneben werden Expertenmeinungen veröffentlicht und in einem Forum können die Besucher der Seite über die Morde diskutieren.

Ihr Plan geht auf. Die kontroverse Internetseite erlangt schnell Ruhm und Xenia wird zu einer kleinen Berühmtheit. Eines Tages meldet sich ein Fremder, der sich „alien“ nennt, über ICQ bei ihr. Xenia geht auf seine Gespräche ein und hört auch nicht auf, als der Fremde sie „kleine Schwester“ nennt und zu selbstverletzenden Aktionen zwingt. Ehe sie es sich versehen hat, steckt sie tief in einem Strudel aus roher Gewalt und blindem Gehorsam …

Sergej Kusnezow hat mit großer erzählerischer Beweglichkeit ein sehr düsteres Buch über die Abgründe im Menschen geschrieben. Diese Menschen arbeitet Kusnezow als originellen Charaktere sehr gut aus und versieht sie mit ganz eigenen Charakterzügen und einer detailreichen Vergangenheit. Auffällig ist, dass er auf positive Emotionen beinahe gänzlich verzichtet. So gut wie alle Protagonisten, allen voran natürlich der Serienkiller, zeigen nur ihre dunkle Seite, was dem Buch eine besondere Stimmung verleiht. An dieser Stelle sei besonders die Andersartigkeit der Charaktere betont. Xenia ist zum Beispiel Fan von BDSM-Spielchen, was ja nicht gerade alltäglich ist. Dadurch wird das Buch zusätzlich interessant und erlaubt einen Blick in Welten, die der normale Leser so nicht kennt.

Dieser Blick wird durch die unterschiedlichen Perspektiven ermöglicht. Der russische Autor legt hierbei eine große Kreativität an den Tag. Der Serienkiller berichtet sehr anschaulich, ohne zu viel von sich preiszugeben, aus der Ich-Perspektive. Neben Erinnerungen und aktuellen Ereignissen flicht er außerdem sehr poetische Kapitel ein. In einem schildert er zum Beispiel ausführlich, wieso jede Jahreszeit eine gute Jahreszeit zum Töten ist und greift dabei auf viele bildhafte Beschreibungen zurück. In anderen berichtet er in Form eines reimlosen Gedichtes davon, wie er seine einzelnen Opfer umgebracht hat. Kusnezow schafft es dabei, auf geniale Art und Weise die brutalen Details mit einer blumigen Sprache und der Liebe des Tötens, die der Killer verspürt, zu verbinden.

Die anderen Perspektiven wechseln dagegen munter durch. Zumeist schreibt er aus der dritten Person, manchmal aber auch aus der ersten, was die Gedanken und Gefühle des jeweiligen Ich-Erzählers besonders intensiv und oft beklemmend wirken lässt. Oft greift er aber auch auf eine völlig andere, unbekannte Art von Perspektive zurück, die „Du-Perspektive“. Eine Du-Perspektive setzt natürlich voraus, dass es einen Ich-Erzähler gibt, der das Du anspricht. Der Ich-Erzähler ist in diesem Fall der Serienkiller, auch wenn er sich in den Kapiteln mit der Du-Anrede, die zumeist an Xenia gerichtet ist, zurückhält. Er erzählt den Tagesablauf der Protagonisten so, als ob er sie gerade dabei beobachtet und sehr genau über ihre Gepflogenheiten Bescheid weiß. Das sorgt für Gänsehaut. Der teils verspielte, teils gruselige Ton, den Kuszenow dabei anschlägt, gibt dem Leser das Gefühl, dass der Serienkiller Macht über alle Personen in dieser Geschichte hat.

Auch wenn der Autor sich sehr stark auf seine Personen konzentriert – viele Kapitel handeln einzig von deren Gedanken und Gefühlen -, vernachlässigt er nicht die Handlung. Er schweift zwar oft ab und bietet dem Leser eine große Fülle an Informationen, aber diese lenken nicht unangenehm ab, sondern sorgen für eine hohe Erzähldichte. Die Handlung kommt zwar langsam in Gang, aber sie schreitet zügig fort und findet ihren Höhepunkt in einem überraschenden, offenen Ende. Oft gehen solche Experimente schief, doch Kusnezow gelingt es, seinen originellen Abschluss sauber über die Bühne zu bringen.

Was „Die Hülle des Schmetterlings“ neben den scharf gezeichneten Personen und dem Spiel mit den Perspektiven auszeichnet, ist der Schreibstil. Dieser ist rhetorisch bemerkenswert geschickt. Kusnezow benutzt viele Reihungen und Metaphern, Bilder und Vergleiche. Manche davon ziehen sich durch das ganze Buch; die Erwähnung eines schwarzen Kokons, zum Beispiel, auf den auch der deutsche Titel des Buchs anspielt. Der Autor hält mit diesem vielfältigen Schreibstil das ganze Buch zusammen und hebt sich wohltuend von anderen Thriller-Autoren ab.

„Die Hülle des Schmetterlings“ von Sergej Kusnezow ist ein selten guter Thriller. Eine spannende Handlung und tolle, düstere Charaktere verbunden mit einem virtuosen Schreibstil – und das in einem Genre, das nicht unbedingt für seine literarische Qualität bekannt ist. Der Vergleich mit Thomas Harris hinkt trotzdem. Aber es ist Harris, der gegen Kusnezows Kreativität nicht ankommt.

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Fred Saberhagen – Die Geständnisse des Grafen Dracula

Das geschieht:

Er lebt zwar nicht mehr, aber das ist für ihn kein Grund, sich mit übler Nachrede abzufinden: Graf Dracula, stolzer Kriegerfürst aus Transsylvanien und im 15. Jahrhundert zum Vampir mutiert, ärgert sich hoch im 20. Jahrhundert noch immer über ein altes Buch, das als Titel seinen Namen trägt und schildert, wie er im Jahre 1891 angeblich sein düsteres Schloss verließ, um England zu terrorisieren und dort unschuldigen Bürgern meist weiblichen Geschlechts das Blut auszusaugen.

Was ein gewisser Bram Stoker einst an Aussagen von Zeitzeugen wie Abraham Van Helsing, Jonathan Harker, Mina Murray, Lucy Westenra oder John Seward zusammentrug, ist nach Draculas Ansicht eine Sammlung schamloser Verdrehungen, Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Eines Nachts im Jahre 1975 entführt er Arthur Harker, einen Nachfahren Jonathans, und seine Gattin: Endlich will Dracula die wahre Geschichte erzählen. Fred Saberhagen – Die Geständnisse des Grafen Dracula weiterlesen

Paprotta, Astrid – Feuertod

Die in Frankfurt lebende Autorin Astrid Paprotta ist bislang vor allem durch ihre Krimis mit der Kommissarin Ina Henkel bekannt geworden. In ihrem neuen Buch „Feuertod“ führt sie zwei neue Ermittler ein: Hauptkommissar Niklas und den ihm zugeteilten LKA-Beamten Potofski.

Bei ihrem ersten gemeinsamen Fall müssen sie die grausame Ermordung von vier Menschen aufklären. Die Anwältin Ellen Rupp verbrennt zusammen mit ihrem jungen Liebhaber in ihrer Wohnung. Das Gleiche gilt für Michael Brecht. Auch er wird in seiner ausgebrannten Wohnung entdeckt. Der Einzige, der die Verbindung zwischen Rupp und Brecht herstellen kann, ist Moritz Blume.

Er arbeitete als eine Art Privatdetektiv für Ellen Rupp, die eine raubeinige Wirtschaftsanwältin war. Nebenbei engagierte sich die Frau für die Bürgerinitiative „Sichere Stadt“, was ihr einen Platz im Stadtparlament verschaffte. Gegenden wie die, in der Blume wohnt, waren ihr ein Dorn im Auge, weil dort die Armen und Arbeitslosen wohnen und das Stadtbild verschandeln. Blume ermittelt auf eigene Faust, doch als er zu viel herausfindet, stirbt auch er – bei einem Wohnungsbrand.

Blume war der Polizei einige Schritte voraus, doch Niklas und Potofski, beide ein bisschen behäbig, kommen allmählich einer Geschichte auf die Spur, die schon viele Jahre zurückliegt. Doch kann sie wirklich der Grund für die Morde sein?

Was Paprotta von anderen Kriminalautoren abhebt, sind ihr bemerkenswerter Schreibstil und ihre originellen Personen. Diese beiden Dinge stehen beinahe mehr im Vordergrund als der eigentliche Kriminalfall. Anders als erwartet, führt das aber nicht zu Problemen, sondern zu einem auffällig guten Krimi.

Neben den Ermittlern Niklas und Potofski stehen mehrere andere Perspektiven im Vordergrund, die von den Morden betroffen sind. Neben Blume sind dies das Paar Westheim und der Friseur Czerny. Czerny hat seinen Salon in der Stoltzestraße, die einen schlechten Ruf hat, und Blume ist sein Nachbar und so etwas wie ein Freund. Dadurch erfährt er vieles über die Morde und bewertet die Frisuren der einzelnen Toten mit Kennerblick.

Paprottas Perspektiven sind wunderbar gestaltet. Es gibt nur wenige objektive Beschreibungen. Zumeist scheinen die gedruckten Worte direkt aus den Köpfen der Perspektiven zu kommen. Das hängt mit dem Schreibstil zusammen, der sehr alltäglich gehalten ist. Paprotta benutzt Alltagssprache, die sich auch im Satzbau widerspiegelt. Oft verbindet sie mehrere Hauptsätze mit Kommas, anstatt Nebensätze zu bilden. Trotzdem liest sich das Resultat frisch und flüssig und erinnert an einigen Stellen an den so genannten „stream of consciousness“. Diese Erzählweise definiert sich dadurch, dass sie ungefiltert aus dem Kopf der Person erzählt, was diese gerade sieht, erlebt und denkt. Dadurch entsteht ein rundes, kompaktes Bild der Situationen mit einer sehr subjektiven Färbung. Der beiläufige, trockene Humor, den die Autorin einwebt, und die sarkastischen Bemerkungen von Niklas, bevorzugt über seinen neuen Kollegen, sorgen dafür, dass eine angenehme Frische in den flüssigen Schreibstil einzieht.

Wer so sehr aus dem Kopf seiner Personen berichtet, muss diese auch dementsprechend ausarbeiten. Das gelingt der studierten Psychologin geradezu perfekt. Ihre Charaktere sind sehr eigen, haben gut ausgearbeitete Wesenszüge und einen Haufen interessanter Gedanken. Letztere sind sehr authentisch, genau wie die Dialoge, die stark von Alltagssprache gefärbt sind.

Insgesamt schafft es die Autorin, eine ganz eigene Erzählmagie zu entwickeln. Perspektiven wie die von Czerny, der mit den Morden nicht wirklich etwas zu tun hat, lassen die Handlung an manchen Stellen abschweifen. Trotzdem kehrt die Autorin immer wieder dorthin zurück. Es ist erwähnenswert, dass die beiden Ermittler Niklas und Potofski gar nicht so sehr im Vordergrund stehen. Ihre Aufgabe ist es, den Schuldigen zu finden, und nicht, ihre Gedankenwelt dem Leser zu präsentieren. Das ist auf der einen Seite geschickt, weil dadurch keine Trockenheit aufgrund zäher Polizeiarbeit entstehen kann. Auf der anderen Seite werden Fans des eher klassischen Kriminalromans ein Problem mit „Feuertod“ haben.

Wer allerdings nicht davor zurückschreckt, einen Kriminalroman mit einem kräftigen Schuss Belletristik zu lesen, der ist mit „Feuertod“ gut beraten. Astrid Paprotta schafft es, dem Genre Kriminalroman ein paar ganz eigene Töne zu entlocken. Das Buch ist interessant, abwechslungsreich und wird von einem sehr guten Schreibstil und originellen Charakteren erfolgreich getragen.

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Litwinenko, Marina / Goldfarb, Alexander – Tod eines Dissidenten. Warum Alexander Litwinenko sterben musste

Seit den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA hat sich unsere damalig scheinbar mehr oder weniger friedliche Welt dramatisch und drastisch verändert. Der Terrorismus zeigte ein für uns bis dato völlig unbekanntes Gesicht und bewies, dass jede Nation angreifbar und verletzbar ist.

Die Geheimdienste in aller Welt bekamen von ihren Regierungen mehr Freiheiten zugesagt und sind aufgefordert, den Terror mit aller Macht zu unterwandern und zu zerstören. Nicht nur seit der CIA-Affäre um geheime Gefängnisse, Folterungen und Tötungen hat man das Gefühl, der Kalte Krieg trete wieder ans Tageslicht. Terrormeldungen gehen wöchentlich um die Welt; Anschläge auf zivile Einrichtungen in London und Madrid erschreckten uns ebenso wie die geführten Kriege im Irak und Afghanistan und ihre Folgeerscheinungen.

Im Zeitalter der hochtechnisierten Kommunikationsmöglichkeiten haben es die Geheimdienste schwerer und zugleich oftmals durch deren Manipulation leichter. Die Medien sind überall und berichten uns aus allen Perspektiven und kommunikativen Filtern über die (Un-)Wahrheiten der Regierungen, die Maßnahmen von Politik und Militär.

Doch auch die Meinungs- und Pressefreiheit wird selbst in demokratischen Staaten gesetzlich eingeschränkt und staatlich stärker kontrolliert.
Journalisten und ehemalige Geheimdienstmitarbeiter stehen, sofern sie nicht der inneren Ordnung und Meinung des Staates konform reagieren und berichten, persönlichen und existenziellen Gefahren gegenüber. Es wird eingeschüchtert, bedroht, intrigiert und in wenigen bekannt gewordenen Fällen ist die letzte Alternative die gezielte Tötung des Kritikers.

Die (Geheim-)Dienste der Staaten greifen nicht immer zu legalen Mitteln in ihrem Feldzug gegen den Terror, aber wer kontrolliert sie in der letzten politischen Instanz? Wer gibt für gezielte Entführungen, Folterungen und Mordaufträge den Befehl? Wer übernimmt die Verantwortung in einem sogenannten Rechtsstaat, der die Grundrechte der Menschen vertreten soll? Wer umgeht und wie umgeht man die Gesetze, um die Bevölkerung, die Zivilisation zu beschützen, auch wenn man in Gefahr gerät, sich auf illegalem Terrain bewegen zu müssen?

Der Terror, so ist uns klargeworden, hat ganz verschiedene Gesichter und nicht nur die Freiheitskämpfer, die einer bestimmten Ideologie folgen und für andere nur als Terroristen gelten, handeln kriminell und menschenrechtsverachtend. In den letzten Jahren gab es gerade in Russland unter der Regentschaft des Präsidenten Wladimir Putin merkwürdige Situationen. Zum einen wurden die Tschetschenen als Terroristen verurteilt und ein zweiter Krieg begann, zum anderen hatten die westlichen Staaten das deutliche Gefühl, dass Russland sich entgegen der gewünschten und versprochenen Reformen zweifelhaft verhielt.

Zuerst klang die Meldung im vergangenen November völlig absurd. Auf einen russischen, ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter sollte ein Giftanschlag in einer Londoner Sushi-Bar verübt worden sein. Alexander (genannt Sascha) Litwinenko verstarb an den Folgen dieser Vergiftung am 23. November des Jahres 2006 auf schreckliche Art und Weise. Das Gift war eine Miniatur-Atombombe – Polonium-210 – radioaktiv, unsichtbar, geschmacklos, farblos, aber vielleicht der tödlichste und grausamste uns bekannte Stoff.

Seine Witwe Marina Litwinenko und sein Freund Alex Goldfarb stellen in dem Buch „Tod eines Dissidenten“ die Person Alexander „Sascha“ Litwinenkos vor, der unerschütterlich seinem Glauben, seiner Moral und seinem Gewissen entschlossen folgte.

_Die Story_

Alexander (Sascha) Litwinenkos eigentliche Familie war die russische Armee. Erzogen wurde Sascha bei seinem Großvater. Der leibliche Vater diente bis zu seiner Entlassung selbst bei dem russischen Militär. Als dieser entlassen wurde, war Sascha 17 Jahre alt und konnte sich mit den neuen Verhältnissen innerhalb der Familie nicht abfinden. Sascha fühlte sich immer wie ein Außenseiter und trat mit 18 Jahren selbst in den Armeedienst ein.

Der Militärdienst gefiel Sascha Litwinenko, denn hier gab es feste Regeln und er war von jeher ein ausgezeichneter Teamplayer. Innerhalb der Militärzeit wurde der junge Mann von dem berüchtigten Geheimdienst KGB rekrutiert. Von nun an war die „kontora“, die Firma, seine Gegenwart und Zukunft. Von der dunklen Vergangenheit des KGB, vom Gulag und den Abermillionen Opfern erfuhr er erst viel später in den Neunzigerjahren, als erste Berichte darüber in den nationalen und internationalen Medien auftauchten. Aus dem KGB wurde dann die spätere Nachfolgeorganisation FSB.

Anfangs arbeitete Sascha für die Wirtschaftssicherheit und schließlich für das Antiterrorzentrum. Sein Hauptaufgabengebiet wurde die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und die Aufgabenbereiche gegen Attentate, Entführungen und Korruption bei der Polizei.

Sascha arbeitete in der operativen Aufklärung. Er legte geheime Akten über Mafiosi an und überwachte deren Privatleben. Er tauchte in ihr Netzwerk ein, mitsamt den Kontakten zu politischen Institutionen und Geschäften. Für die offiziellen Ermittler waren Saschas Kenntnisse unersetzlich. Er arbeitete still und effektiv hinter den Kulissen, rekrutierte Agenten und organisierte deren Einsätze.

Sascha ging förmlich auf in seiner gefährlichen Arbeit und hatte eine hohe moralische Grundvorstellung und Überzeugung von seiner Tätigkeit als Agent.

1993 lernte er durch Freunde seine später Ehefrau Marina Litwinenko kennen, während seine erste Ehe im Begriff war zu scheitern. Marina Litwinenko wurde nicht nur seine Ehefrau, sondern auch der Mittelpunkt seines Lebens. Schon im gleichen Jahr wurde Marina schwanger und gebar ihren einzigen Sohn Tolik. Sascha trennte seine oftmals gefährliche Tätigkeit streng von seinem Privatleben und teilte seine Erlebnisse nicht oft mit seiner Frau. Sie gab ihm die nötige Kraft, Außerordentliches zu leisten und aus der Beziehung Kraft zu schöpfen.

Im ersten Tschetschenienkrieg (1994-1996) wurden die Agenten des FSB zu Kampfeinsätzen befohlen; auch Sascha war an mehreren Kampfeinsätzen beteiligt. Später wurde Sascha kritischer in seiner Tätigkeit als verdeckter Ermittler und Agent des Geheimdienstes. Auf der innerpolitischen Bühne versuchte man immer wieder, den Geheimdienst für ganz individuelle Ideen und Geschäfte zu nutzen, und das geschah oftmals illegal und überhaupt nicht mit den Gesetzen im Einklang.

Im Jahr 1998 fand eine legendäre Pressekonferenz in Moskau statt, in der Alexander Litwinenko zusammen mit Michail Trepaschkin und zwei maskierten Agenten die Führung des Geheimdienstes FSB für die Anstiftung zum gezielten Mord am damaligen Sekretär des Staatsicherheitsrats, Boris Beresowski, verantwortlich machte – ein bisher noch nie dagewesenes Ereignis und in den Augen der geheimdienstlichen Behörde eine verräterische Tat.

Ein Jahr später wurde Sascha das erste Mal verhaftet und wenig später in dem Verfahren freigesprochen, doch noch im Gerichtssaal wurden ihm ein zweites Mal verschiedene Sachverhalte vorgeworfen, was zu seiner zweiten Verhaftung führte, aus der er im Jahre 2000 entlassen wurde. Den Worten Alexander Litwinenkos nach wurden die Anschuldigen konstruiert und bei der Haftentlassung wurde ihm die Auflage erteilt, die Russische Föderation nicht zu verlassen. Er fühlte sich und seine Familie jedoch unmittelbar durch den FSB bedroht, und so blieb ihm nur die einzige Möglichkeit, im gleichen Jahr illegal nach London auszureisen.

Mit seiner Frau und seinen Sohn erreichte Alexander Litwinenko am 1. November 2000 die Hauptstadt von England und beantragte sofort politisches Asyl, das ihm und seiner Familie schließlich auch im Mai 2001 offiziell gewährt wurde. In England befasste sich Litwinenko weiterhin mit der innerpolitischen Situation, dem Krieg in Tschetschenien und der Rolle des staatlichen russischen Geheimdienstes. Er schrieb verschiedene Bücher über diese Thematik und finanzierte sein Leben durch die enge Freundschaft mit Boris Beresowski, der ebenfalls nach Großbritannien ausgewandert war.

Zusammen mit einem amerikanischen Historiker russischer Herkunft verfasste Litwinenko das Buch „Blowing up Russia: Terror from within“ („Der FSB sprengt Russland in die Luft“). Hierin übten die Autoren scharfe Kritik an der russischen Regierung und dem Geheimdienst.

Laut der Theorie und den Vermutungen Litwinenkos behauptete dieser, dass die Sprengstoffanschläge von 1999 auf Wohnhäuser in Moskau nicht auf terroristische Akte von tschetschenischen Rebellen zurückzuführen seien, sondern direkt auf das Konto des Geheimdienstes gingen, der gezielt diese Anschläge ausführte, um einen zweiten Tschetschenienkrieg entfesseln zu können. Der Befehl für diese Attentate solle direkt von Präsident Putin gekommen sein ,der ebenfalls als Leutnant beim KGB diente. Es gab in Russland noch eine ganze Reihe von Menschen, die die gleiche These aufgestellt haben und mit Litwinenko einer Meinung waren.

Mysteriöserweise kamen viele Mitglieder dieses Gremiums ums Leben. Eine weitere These ist, dass die Geiselnahme im Moskauer Theater ebenso eine Aktion des Geheimdienstes FSB gewesen sein solle und die Terroristen zwar wirklich tschetschenischer Abstammung waren, aber bei der Erstürmung des Theaters, obwohl schon kampfunfähig, durch Einheiten der FSB exekutiert wurden. Aus welchem Grund?

Im Oktober 2006 wurde die auch international bekannte Journalistin Anna Politkowskaja kaltblütig durch Killer in Russland erschossen. Bekannt wurde sie durch ihre Kritik an der russischen Regierung und ihrer Kriegsführung in Tschetschenien. Litwinenko sollte Kontakt mit ihr gehabt und Unterlagen bekommen haben, die den russischen Geheimdienst arg diskreditieren.

Am 1. November ließ sich Litwinenko mit Vergiftungserscheinungen in ein Londoner Krankenhaus einweisen. Sein Zustand verschlechterte sich rasend, und schließlich verstarb er an den Folgen dieser Vergiftung. Wenige Stunden vor seinem Tod erklärte Litwinenko in einem Interview mit der |Times|, dass er vom Kreml zum Schweigen gebracht wurde, und gab Putin die Schuld an seinem Tod.

_Kritik_

Ich habe den Fall und das Schicksal Alexander Litwinenkos im letzten wie auch in diesem Jahr intensiv in den verschiedenen Medien verfolgt. Die russische Politik ist für uns Europäer sicherlich nicht transparent genug; zum einen werden in den Medien die innenpolitischen Probleme dieses großen Landes nur angerissen und nicht wirklich gut genug erklärt, um sich ein Urteil darüber bilden zu können, zum anderen gab und gibt es sicherlich Themen, die zum Zeitpunkt für uns interessanter sind und waren.

Die Meinungs- und Pressefreiheit ist in Russland mehr als nur stark eingeschränkt. Es ist kein Geheimnis, dass Kritiker der Regierung getötet worden sind oder merkwürdigen Unfällen zum Opfer fielen. Es gab eine ganze Reihe von Opfern, die zuvor offen Kritik am Regime geübt hatten: Journalisten, Geschäftsleute, Abgeordnete und sogar Veteranen des Tschetschenienkrieges – und immer führte die Spur zum russischen Geheimdienst FSB.

Das Buch „Tod eines Dissidenten“ wird sicherlich niemals auf den russischen Literaturlisten erscheinen und nur über Umwege das Land erreichen. Litwinenkos Frau Marina und sein Freund Alex Goldfarb führen den waffenlosen Kampf gegen das Regime in Russland mit friedlichen Mitteln für Sascha weiter.

Die Geschichte des Ex-Agenten, der aufgrund seiner moralischen Vorstellungen ins Exil gehen musste und zu einem der schärfsten Putin-Kritiker wurde, war ungemein spannend und interessant zu lesen. Leben und Schicksal des jungen Mannes werden detailreich geschildert, und nicht nur das. Vielmehr wird die innen- und außenpolitische Lage Russlands analysiert, denn ohne diese Rückblicke könnten wir den mit Saschas Werdegang verbundenen Verschwörungstheorien nicht folgen. Russlands Strategie in den beiden Kriegen in Tschetschenien ist ebenso ein wichtiges Thema wie die Korruption und die illegalen Aktionen des Geheimdienstes FSB, auch die Machtergreifung und die Entwicklung Putins spielen eine sehr große und nicht zu unterschätzende Rolle.

In „Tod eines Dissidenten“ kommt uns Alexander Litwinenko nicht wie ein Phantast vor oder jemand, der aus seiner Publicity Kapital schlagen wollte. Seine Theorien konnte er zwar abschließend nicht beweisen, aber sie werfen doch interessante Fragen auf. Allein die Attentate auf die Moskauer Wohnhäuser erfordern eine Logistik, eine Organisation, die für tschetschenische Terroristen einfach zu durchdacht und überlegt ist. Außerdem widersprach sich der Geheimdienst in seinen offiziellen Statements zu sehr, um noch glaubhaft zu wirken. Zeugen verschwinden entweder spurlos oder fallen Unfällen zum Opfer, Journalisten werden eingeschüchtert und Agenten zu verschiedenen Aktionen erpresst.

Natürlich stellt dieses Buch nur eine einseitige Berichtserstattung dar, und ich glaube auch nicht, dass Litwinenko in seiner Tätigkeit als Agent der FSB nur auf Seiten des Gesetzes stand, doch wirken seine Theorien im Ganzen glaubhaft und stimmig, zumal es auffallend ruhig um die offiziellen Ermittlung der im Buch erklärten Theorien geworden ist. Auch nur ein Zufall?

Nach der Lektüre von „Tod eines Dissidenten“ stellen sich Fragen, auf die sich schwerlich Antworten finden lassen. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn es gibt keine handfesten Beweise für die Thesen, die der Ex-Agent aufgestellt hat, nur Indizien und viel zu viele Tote in seinem unmittelbaren Umfeld – es bleiben nur Theorien übrig, aber die sind schon Grund genug, um hinter den Spiegel schauen zu wollen.

Wer hatte Interesse am Tod des Ex-Geheimdienstlers? War es ein Racheakt von Kriminellen oder steckte doch der Geheimdienst hinter seinem Tod? Was wusste Litwinenko über den Tod der bekannten Journalistin und wo sind ihre und seine Dokumente geblieben bzw. die Erklärungen von Zeugen, die beweisen sollten, dass der Geheimdienst hinter den Anschlägen auf die Moskauer Wohnhäuser steckt und noch Drahtzieher und Vollstrecker bei verschiedenen Morden gewesen sein soll?

Sehr gefallen hat mir im Übrigen der Aufbau bzw. die Gliederung des Buches, angefangen bei der Ausbildung und dem Aufstieg der Person Litwinenkos, bis hin zu seinen Gewissensbissen und der Entscheidung, offen Kritik gegenüber Putin und seiner Regierung zu üben. Weder ist das Buch langweilig, noch verrennen sich die beiden Autoren in Widersprüche.

Wie bei allen Verschwörungstheorien bleibt die eigentliche Wahrheit jedoch im Dunkeln und eine Frage des Betrachtungswinkels. Doch auch hier kann es nur die Zeit zeigen und vielleicht der Mut einzelner Menschen, um letztlich und schließlich die Wahrheit zu finden, wie immer diese auch aussehen mag.

_Fazit_

Für Freunde von Verschwörungstheorien in Geheimdienstkreisen ist das Buch „Tod eines Dissidenten“ sehr zu empfehlen. Nicht überzeichnet oder unlogisch, nicht spektakulär oder widersprüchlich, sondern ernüchternd und Fragen aufwerfend. Das Buch bzw. die Aussagen darin kritisieren die russische Regierung und nicht das Volk im Gesamten, es ist kein Spiegelbild der Denk- und Lebensweise einer ganzen Bevölkerung, und das war für die Botschaft des Buches existenziell wichtig.

Wer das Schicksal von Alexander Litwinenko in der Presse verfolgt hat, wird das Buch schwerlich aus der Hand legen und in seinen Alltag zurückkehren können. Der aufmerksame Leser wird sich mit der Thematik auseinandersetzen und manches vielleicht noch kritischer sehen und hinterfragen, was Alexander Litwinenko sicherlich erfreut hätte.

_Die Autoren_

Marina Litwinenko begegnete ihrem späteren Ehemann erstmals 1993 an ihrem 31. Geburtstag. 2000 wurde der Familie politisches Asyl in Großbritannien gewährt und 2006 die britische Staatsbürgerschaft zuerkannt. Marina Litwinenko und ihr zwölfjähriger Sohn leben in London.

Alex Goldfarb, regimekritischer Naturwissenschaftler, verließ Russland in den siebziger Jahren. Er arbeitete an der Columbia University, beendete seine wissenschaftliche Laufbahn jedoch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und leitete zusammen mit George Soros humanitäre Initiativen in Russland. Er lernte Alexander Litwinenko in den neunziger Jahren kennen, und sie wurden enge Freunde, als Goldfarb den Ex-Spion und seine Familie 2000 auf der dramatischen Flucht nach England begleitete. Später arbeitete er mit Litwinenko an dessen Memoiren und politischen Artikeln. Goldfarb ist verantwortlicher Leiter der von Boris Beresowski gegründeten International Foundation for Civil Liberties, einer Dachorganisation für Menschenrechtsaktivisten.

http://www.hoffmann-und-campe.de

Juan Gimenez – Die Vierte Macht – Band 1: Supramental

Story

Zwischen Terra und der Konföderation Krommion herrscht seit 162 Jahren ein erbitterter Krieg, der fernab der beiden Reiche auf dem Planeten Nebula Alpha ausgetragen wird. Nun scheinen die Krommioner jedoch eine Lösung gefunden haben, um den Konflikt siegreich zu beenden. Ihre berühmtesten Wissenschaftler haben eine Geheimwaffe entwickelt, die auf den supramentalen Kräften vier auserwählter, besonderer Frauen beruhen soll. Rücksichtslos lässt man die Damen entführen und schickt sie in eine Testmission, die jedoch nur Exether Mega überlebt.

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Patricia Cornwell – Brandherd [Kay Scarpetta 9]

Ein Brandstifter entfacht wahre Höllenfeuer. In der Asche finden sich Leichen, die nur die geniale Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta identifizieren kann. Sie erkennt, dass hier eine Serienmörderin, mit der sie vor Jahren schon einmal zu tun hatte, wieder aktiv geworden ist, erkennt deren perfiden Racheplan aber beinahe zu spät … – Der 9. Band der erfolgreichen Scarpetta-Serie bietet erneut spannende Thriller-Unterhaltung mit bizarren Morden und Forensik-Exotik, leidet aber unter allzu dick aufgetragenen, predigtähnlich die Handlung ins Stocken bringenden Seifenoper-Elementen. Patricia Cornwell – Brandherd [Kay Scarpetta 9] weiterlesen

Åsa (Asa) Larsson- Weiße Nacht

Åsa Larsson gehört zu den neueren Krimihoffnungen Schwedens. Ihr Debütroman „Sonnensturm“ wurde als bestes Krimidebüt 2003 prämiert. Der Nachfolgeroman „Weiße Nacht“ wurde ein Jahr später als Krimi des Jahres ausgezeichnet. Bevor in diesem Monat mit „Der Schwarze Steg“ Larssons dritter Roman auf Deutsch erscheint, hat |Hörbuch Hamburg| noch die Hörbuchfassung zu „Weiße Nacht“ nachgeschoben.

Larssons Krimis spielen im äußersten Norden Schwedens, unweit von Kiruna. Eine verschlafene Gegend, die nun allmählich vom Tourismus entdeckt wird. Hier wird in der Mittsommernacht die umstrittene Pastorin Mildred Nilsson tot in ihrer Kirche aufgefunden.

Über einen Mangel an Verdächtigen kann die Polizei sich nicht beklagen. Mildred Nilsson hat sich durch ihr Engagement weit aus dem Fenster gelehnt. Frauen haben bei ihr Rat gesucht, bevor sie ihre Männer verlassen haben. Der ortsansässigen Jagdgemeinschaft hat Nilsson Paroli geboten und auch die männlichen Kollegen waren nicht gerade glücklich über die Art, wie Mildred Nilsson ihre Männerdomäne auf den Kopf gestellt hat. Kurzum, der halbe Ort könnte ein Motiv haben. Und so schleppen sich die Ermittlungen schwerfällig dahin, bis die Kriminalbeamtin Anna Maria Mella Order bekommt, den Fall noch einmal aufzurollen.

Zur gleichen Zeit hält sich Rebecka Martinsson zufällig in der Gegend auf. Sie ist Juristin in einer Stockholmer Kanzlei, die derzeit im Auftrag eben jener Kirche arbeitet, in der Mildred Nilsson ermordet aufgefunden wurde. Rebecka stammt aus der Gegend, war nach den Ereignissen in „Sonnensturm“, aber bislang nicht wieder zurückgekehrt. Rebecka hat gewisse Schwierigkeiten, sich wieder mit dem Alltag zu arrangieren. Zu sehr lasten noch die damaligen Ereignisse auf ihrer Seele. Und so nutzt sie die Tage in der ehemaligen Heimat, um ein wenig aus ihrem Stockholmer Alltag herauszukommen und zu sich selbst zu finden.

Unversehens wird sie dabei in den Fall Mildred Nilsson hineingezogen. Im Safe der Pastorin findet sie einen Haufen Drohbriefe, die sie an Anna Maria Mella weiterleitet. Sie spürt das feindselige Klima im Ort und den aufgestauten Hass. Dennoch hat sie keine Vorstellung davon, wie gefährlich die Situation wirklich werden kann, bis sie dem Mörder von Mildred Nilsson zu Nahe kommt …

Åsa Larsson legt ihren Krimi mit viel Feingefühl an. Sie kennt die Gegebenheiten des Ortes, den Charakter der Menschen dort. So vermittelt sie dem Leser ein Gefühl für das Leben in Kiruna, für die Weite der Landschaft und die unerträgliche Helligkeit der Mittsommernächte. Larsson stammt selbst aus Kiruna und hat wie ihre Protagonistin Rebecka Martinsson jahrelang als Juristin gearbeitet. Sie selbst steht also sehr nah an der Handlung ihres Romans. Sie weiß, wovon sie schreibt ,und so hat man als Leser bzw. Hörer auch permanent das Gefühl, den Figuren ganz nah zu sein.

Es ist auch diese Nähe, aus der die Krimihandlung ihre Spannung zieht. Larsson beobachtet still und leise und präsentiert damit dem Betrachter einen Verdächtigen nach dem anderen. Motive gibt es in Hülle und Fülle, und in diesem dichten Geflecht der Figuren und Beziehungen lauert gut versteckt der wahre Täter. Larsson offenbart die Gefühlswelt ihrer Figuren und entblößt damit auch die gesellschaftlichen Strukturen ihrer alten Heimat. Voller Stolz sind die Menschen dort, aber auch sehr verwundbar, wie es scheint und so trägt jeder der Einheimischen sein Paket verletzter Gefühle und gekränkten Stolzes mit sich umher.

Dabei erscheinen viele Denkweisen eher konservativ. Die strikte Verteilung der geschlechterspezifischen Rollen demonstriert Larsson vor allem anhand des Verhaltens der Kirchenmänner, die Mildreds Stelle „um des Gemeindefriedens Willen“ auf keinen Fall wieder mit einer Frau besetzen wollen, und auch anhand der rein männlichen Jagdgemeinschaft, die sich nicht von einer Frau wie Mildred Nilsson Vorschriften machen lassen wollte. Die Rollenverteilung ist eben eher klassisch, und wenn eine Feministin daherkommt, um daran zu rütteln, läuft sie halt ins offene Messer. Und so schwingt in Larssons Roman eben am Rande auch eine unterschwellige Gesellschaftskritik mit.

Die Hauptfigur von Larssons Romanen ist stets Rebecka Martinsson, die gleichermaßen sympathisch wie interessant wirkt. Sie ist eine gebrochene Persönlichkeit, die die Geschehnisse des ersten Larsson-Romans noch immer nicht verdaut hat, die darum kämpfen muss, ihren Alltag zu bewältigen und nicht unter der Last ihrer Emotionen zusammenzubrechen. Sie gerät eher unbeabsichtigt in die Mordermittlungen, ermittelt nicht im eigentlichen Sinne und arbeitet auch nur bei der Übergabe der Drohbriefe aus dem Safe der Pastorin mit Anna Maria Mella zusammen. Sie beobachtet viel mehr im Stillen, und als sie daraus ihre Schlüsse zieht, ist es schon fast zu spät für sie. Auch Anna Maria Mella ist eine Figur, die Sympathien auf sich zieht. Nach der Babypause gerade in den Dienst zurückgekehrt, soll sie sich noch einmal den ins Stocken geratenen Fall Mildred Nilsson vornehmen und kommt dabei der Lösung näher, als es die Kollegen jemals waren.

„Weiße Nacht“ ist ein Krimi mit einer sehr subtilen Spannung. Er ist nicht temporeich inszeniert und verzichtet auf Effekthascherei. Keine wilden Verfolgungsjagden, kein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizei und Mörder, keine unappetitlichen Schilderungen des Tathergangs für den letzten Thrill. Dennoch schafft Åsa Larsson eine dichte Atmosphäre, aber es ist eben eher das Figurengeflecht, das Spannungsfeld der aufgeheizten Kleinstadtidylle rund um das Mordopfer, aus dem „Weiße Nacht“ seine Spannung bezieht. Dadurch ist der Roman eine intensive Lese- bzw. Hörerfahrung. Es ist eben auch die Kunst, sich in die Figuren einzufühlen, ihr Seelenleben zu offenbaren, hinter die Fassade des wohlgeordneten, anständigen Alltagslebens zu schauen und den Leser/Hörer so ganz intensiv und nah an das Geschehen zu rücken, was Åsa Larssons Qualitäten ausmacht. Und so darf man sicherlich gespannt sein, was Rebecka Martinsson in Zukunft noch so alles in Kiruna erleben wird.

Die Hörbuchfassung von |Hörbuch Hamburg| ist in jedem Fall als gelungen zu bezeichnen. Schauspielerin Nina Petri liest den Roman vor und macht ihre Sache dabei ausgesprochen gut. Ihr Erzählfluss und ihre Intonation passen gut zur intensiven Figurenbetrachtung Åsa Larssons und transportieren auf diese Weise die Stimmung des Romans zum Zuhörer. Die 384 Minuten des Hörbuchs vergehen wie im Flug und man taucht tief in die Geschichte, die Stimmung und den Ort ein.

Bleibt also unterm Strich ein sehr positiver Eindruck zurück. Wer Krimis mit subtiler Spannung, einer intensiven Atmosphäre und interessant skizzierten und sehr menschlich wirkenden Figuren mag, der sollte sich den Namen Åsa Larsson merken. Ihre Krimis haben in jedem Fall ihre Daseinsberechtigung, und man darf sicherlich gespannt sein, wie es mit Rebecka Martinsson weitergeht. Wer Schweden-Krimis à la Camilla Läckberg [(„Die Eisprinzessin schläft“) 3209 mag, der wird auch an Åsa Larsson seine Freude haben und dem sei „Weiße Nacht“ ausdrücklich ans Herz gelegt.

http://www.HoerbucHHamburg.de
|Die gebundene Ausgabe erschien im Juni 2006 bei C. Bertelsmann.|

Shocker, Dan – Unheimliche, Der (Larry Brent, Band 34)

Das Buch enthält die beiden Larry-Brent-Romane „Die Lady mit den Totenaugen“ und „Der Unheimliche aus dem Sarkophag“, die erstmals in der Reihe Silber-Grusel-Krimi als Band 67 und 68 erschienen sind.

_Die Lady mit den Totenaugen_

Eigentlich sind Larry Brent und Iwan Kunaritschew, ihres Zeichens PSA-Agenten im Dienste der Menschheit, auf dem Weg in den Urlaub, als ihnen eine Frau über den Weg stolpert, der man die Augen entnommen hat. Als die Frau am nächsten Tag aus der Klinik verschwindet, wittern die Agenten einen neuen Fall und setzen ihren Chef, David Gallun, von den Geschehnissen in Schottland in Kenntnis. Die Spur führt zunächst zu einem nahegelegenen Sanatorium, welches Lord Billerbroke in seinem Schloss untergebracht hat. Larry gibt sich als Scotland-Yard-Beamter aus. Tatsächlich scheint der Lord ein grausiges Geheimnis zu hüten.

Was hat es beispielsweise mit dem seltsamen Meteor zu tun, der letzte Nacht unweit des Schlosses niederging? Gibt es Parallelen zu dem Himmelskörper, der vor fünfzig Jahren fast an der derselben Stelle herabstürzte?

Und wer ist der Wahnsinnige, der unschuldigen Menschen die Augen herausschält?

_Der Unheimliche aus dem Sarkophag_

In Paris wird die Mumie des verstoßenen Hohepriesters Ak-Hom wiedererweckt. Ak-Hom diente zu Lebzeiten dem Dämonengott Orus und hat mit seiner Hilfe den Tod überwunden. Nun ist er auf der Suche nach seiner Geliebten Nafri, deren Mumie ebenfalls in Paris aufbewahrt wird. Auf dem Weg zu seiner einstigen Liebe hinterlässt Ak-Hom eine Spur aus bestialisch zugerichteten Leichen. Mit jedem weiteren Opfer verwandelt sich der ehemalige Hohepriester mehr und mehr selbst in den Dämonengott.

Können Larry Brent und Morna Ulbrandson den Unheimlichen aufhalten?

Der erste Roman lebt von einer bedrückenden Atmosphäre, die zum großen Teil dadurch erzeugt wird, dass der Roman viel in der Nacht und dazu an sehr unheimlichen Orten spielt. Eine einsame Gegend mitten in Schottland und ein Schloss, welches zugleich als Sanatorium für psychisch Kranke gilt. Hier hat Dan Shocker einen dramaturgischen Geniestreich getan, als er zwei typische Schauplätze des Genres verknüpfte.

Die Tatsache, dass jungen Menschen, vorzugsweise Frauen, die Augen aus dem Kopf geschält werden, ist mit verantwortlich für den Gruseleffekt, denn fast ebenso gravierend wie die Angst vor dem Tod ist die Angst vor dem Verlust des Augenlichts. Allerdings wird nicht schlüssig erklärt, weshalb die Täter ihre Opfer laufen bzw. überhaupt am Leben lassen und damit die Gefahr der Entdeckung in Kauf nehmen. Auch die beiden Meteoritenabstürze, welche sich in 50-jährigem Abstand ereigneten, werden nur unzureichend erklärt. Davon abgesehen, zieht einen die Geschichte unweigerlich in ihren Bann und endet in einem dramatischen Finale, das noch einmal alle Register des Grauens zieht.

Der zweite Roman beginnt mit einer stimmungsvollen Szene aus dem alten Ägypten, bevor sich die Handlung, für den Leser unerwartet, in das Paris der Gegenwart verlagert. Lebende, mordende Mumien sind ein beliebter Stoff für klassische Gruselgeschichten. Dan Shocker fügt diesem Topoi eine gehörige Portion Brutalität hinzu und kreiert einen Grusel-Krimi, der auf magisch-dämonischen Ursachen basiert und keine pseudowissenschaftliche Erklärung heranzieht. Die Erschaffung eines Klons der Pharaonentocher Nafri ist eine Nebenhandlung, welche Leser und Ermittler in die Irre führen soll und daher den Faktor Zufall arg strapaziert.

Der Roman bietet dennoch sehr spannende und kurzweilige Unterhaltung, was vor allem an der lebendigen Sprache des Autors und der Überarbeitung durch das hervorragende Lektorat liegt, welches die bisweilen stark antiquierten Texte um so manche Stilblüte erleichtert. Sehr gut herausgearbeitet wurde auch die geistige Abhängigkeit einer Kunststudentin, welche die Mumie in einem geerbten Haus entdeckt und zum Leben erweckt. Während alle Menschen in ihrer Umgebung die Mumie als das wahrnehmen, was sie wirklich ist, nämlich ein ausgetrockneter Leichnam, sieht sie nur einen attraktiven Mann. Das verleiht der Szenerie etwas Morbides und Nekrophiles, ohne dabei die Grenzen des guten Geschmacks zu überschreiten.

Abgerundet wird der Band durch die Illustrationen von Pat Hachfeld, der sein Können abermals eindrucksvoll unter Beweis stellt. Besonders die „Lady mit den Totenaugen“ stellt das Original-Cover von Lonati, auf welches der Verlag mit gutem Grund verzichtete, mühelos in den Schatten.

_Fazit:_ Klassische Grusel-Romane aus der Feder Dan Shockers, die – auch wenn es abgedroschen klingt – nichts für schwache Nerven sind.

http://www.BLITZ-Verlag.de

_Florian Hilleberg_

Horst Hoffmann – Dorlog (Titan-Sternenabenteuer 28)

_Story_

Eine Flotte der Cadschiden hat kurz vor der Landung auf der Erde einen verheerenden Unfall. Das Schiff ihres Anführers Dorlog explodiert kilometerweit über der Oberfläche und fordert mehrere Opfer. Der verletzte cadschidische Emoreb schlägt sich indes zu einer gläubigen Farmer-Familie durch und erholt sich von den Folgen der Katastrophe. Doch Dorlog verliert sein Ziel nicht aus den Augen – und hinterlässt innerhalb der Familie, die ihn gepflegt hat, ein Bild des Grauens.

Unterdessen reist die Besatzung der |Titan| unter der Leitung von Vanessa Modesta nach Cadschid, um mehr über die neueste Technik des Volkes zu erfahren. Bei ihrer Ankunft bietet sich ihnen jedoch ein furchtbarer Anblick. Die Cadschiden stehen im Krieg, auf der einen Seite die ’normale‘ Unterzahl, auf der anderen Seite die Emotionsrebellen, die alles daransetzen, die verlorenen Gefühle wiederzuerlangen. Ihre Hoffnung beruht auf Dorlog, der vor kurzem zur Erde entsandt wurde, um die Menschheit mit der neuesten Technik völlig ihrer Gefühle zu berauben. Und während die Crew der |Titan| auf Cadschid noch ums nackte Überleben kämpft, droht der Erdbevölkerung ein Leben als seelenlose Zombies – es sei denn, es geschieht noch ein Wunder.

_Persönlicher Eindruck_

Innerhalb dieser Reihe muss man mal ganz deutlich eine Lanze für Horst Hoffmann brechen. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich gehören seine Beiträge zu den „Titan-Sternenabenteuern“ zu den Highlights der Serie, so auch die aktuelle Episode „Dorlog“, die sich ein ganzes Stück weit vom Social-Fiction-Background der letzten Romane löst und die |Titan| wieder dorthin führt, wo sie Science-Fiction-Fans seit beinahe zwei Jahren wieder gerne sehen würden, nämlich auf Abenteuerreisen durchs Weltall. Hoffmann setzt weder auf Pseudo-Erotik noch auf belanglose, überstrapazierte Liebschaften und schon gar nicht auf eigenartigen Humor, wie ihn Kollege Parzzival unlängst immer wieder überflüssigerweise bemühte. Stattdessen steht in seinem neuen Roman die Action wieder im Vordergrund, und dies auch sehr, sehr ausgeprägt.

Bereits auf den ersten Seiten macht der Autor unmissverständlich klar, dass es in „Dorlog“ nicht zimperlich zugehen wird. Der kompromisslose Überfall des obersten Emotionsrebellen und Titelgebers auf die unschuldigen Familienmitglieder ist ziemlich heftig und will erst mal verarbeitet werden. Brutal schlachtet sich Dorlog durch ein rückständiges Dorf streng religiöser Ländler und kreiert so ein erstes Bild von der bevorstehenden, neuen Bedrohung. Ähnlich verhält es sich auch auf dem von Krieg gezeichneten Heimatplaneten des auf Eroberungszug befindlichen Emorebs; Cadschid ist stark verwüstet, der Bürgerkrieg zeigt deutliche Spuren und entzweit das ursprüngliche Volk des Planeten. Das Warten auf den Lariod, den einzig wahren Beschützer und Heilsbringer, scheint den meisten überflüssig und zu distanziert. Die Cadschiden nehmen stattdessen selber das Heft in die Hand und hoffen auf ihre Eskorte auf der Erde, die ihnen einen Überschuss an Gefühlen auftreiben soll, koste es, was es wolle.

So spitzt sich die Lage an beiden Orten zu, bis einige völlig überraschende Wendungen den Plot völlig auf den Kopf stellen. Dorlog wird von der Familie, die er brutale dezimiert hat, aufgrund der religiösen Überzeugung verschont und erfährt somit die wahre Liebe. Er hat das Gefühl entdeckt, nach dem die Cadschiden seit Ewigkeiten gesucht haben, und ist überzeugt, dass er damit seinen Planeten retten und den Krieg beenden kann. Doch Dorlog wird von seinen Kollegen mittlerweile für tot erklärt, nachdem sein letztes Lebenszeichen in weiter Ferne liegt. Sein Stellvertreter Ormagor schwingt sich auf, das zu beenden, wofür die Abgesandten auf die Erde gekommen sind. Und da Ormagor ein regelrechter Fanatiker ist, sind ihm alle Mittel recht. Ohne dass die Welt es erahnt, ist sie in größter Gefahr.

Es ist auf jeden Fall mal angenehm, über die Dauer eines gesamten Romans von der Affäre zwischen Shalyn Shan und Monja sowie allen damit verbundenen Peinlichkeiten verschont zu bleiben. Zwar fragt man sich, warum der in „Krakentanz“ gesponnene Plot nun jäh unterbrochen wird und man plötzlich zwei völlig neue Stränge eröffnet, ohne den vorherigen abgeschlossen zu haben, doch nach den ständigen inhaltlichen Wiederholungen der letzten Ausgaben der „Titan-Sternenabenteuer“ sind diese erfrischenden Umschwünge überaus willkommen und führen die Serie endgültig aus der Misere heraus.

Hoffmann vollzieht einen gewagten, aber durchweg gelungenen ‚Back to the Roots‘-Schritt, der zwar hier und dort etwas weniger glaubwürdig erscheint (so kauft man der durch Dorlogs Attentate verwitweten Jessi keinesfalls ab, dass sie dem Cadschide seine Taten verzeiht), aufgrund der prima dargestellten Action und dem deutlich angehobenen Sprachniveau jedoch problemlos zum besten „Titan“-Gehversuch seit langer Zeit avanciert. „Dorlog“ bringt endlich wieder die |Titan| ins Spiel und führt das beliebte Schiff nach längerer Abstinenz wieder durch die Sternenreiche. Hoffen wir einfach mal, dass die hier getätigten Ansätze den alten, fast schon vergessenen Rahmen wieder kitten und auch künftig endlich wieder klassische Science-Fiction geboten wird. Nr. 28 ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung!

Taschenbuch ‏ : ‎ 158 Seiten
http://www.BLITZ-Verlag.de

Frost, Scott – Risk. Du sollst mich fürchten

Scott Frost ist bislang eher für seine Drehbücher für Serien wie „Akte X“ oder „Twin Peaks“ bekannt gewesen. Mit „Risk. Du sollst mich fürchten“ soll sich das ändern. Der Psychothriller ist Frosts erstes Buch und wurde sogar für den |Edgar Award| als bestes Thrillerdebüt nominiert.

Der Fall, mit dem Lieutenant Alex Delillo sich beschäftigt, beginnt recht harmlos mit dem Mord an einem Blumenhändler. Als sie einen vorbestraften Mitarbeiter des Geschäfts überprüfen wollen, fliegt dessen Haus in die Luft und Alex‘ Partner Dave Traver wird lebensgefährlich verletzt.

Schon bald zeigt sich, dass der Täter zu noch weit grausameren Taten fähig ist. Immer wieder greift er auf selbst gebastelte Bomben zurück und schon bald kristallisiert sich sein Ziel heraus: Er möchte eine Bombe auf der jährlichen Rosenparade in Pasadena zünden. Für Alex und ihren neuen Kollegen Dylan Harrison, Experte für Sprengstoffe, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Alex ist davon ganz besonders betroffen, denn der Täter hat ihre Tochter Lacy entführt und droht damit, sie umzubringen, wenn nicht alles nach seinem Plan läuft …

Die Handlung, die Frost in seinem Buch anbietet, ist nicht unbedingt das Nonplusultra. Der Bombenleger, der sich inszeniert und die Welt in die Luft sprengen möchte, ist ein bisschen abgeschmackt. Trotzdem schafft der Autor es, immer wieder unkonventionelle Ereignisse in seinen Plot einzubinden. Er verfolgt also nicht immer das übliche Schema, kann uns aber auch nicht völlig vom Gefühl des bereits Dagewesenen befreien.

Auch wenn das Thema nicht neu ist, so kann man sich über den Aufbau des Buches nicht beklagen. Man merkt Frost seine Vergangenheit als Drehbuchautor an. Schlag auf Schlag passieren die Morde und werden meist actionreich dargestellt. Für Ausschweifungen bleibt wenig Platz. Einzig Alex gönnt sich ab und an ein paar Zeilen, um über das schwierige Verhältnis zu ihrer Tochter zu philosophieren oder ihre eigene Vergangenheit zu beleuchten.

Diese Passagen tragen dazu bei, dass der Thriller trotz seiner actionreichen und teilweise hightechlastigen Handlung viel menschliche Wärme in sich trägt. Die Ich-Perspektive, aus der Alex erzählt, ist dem Autor sehr gut gelungen. Alex ist eine schlagfertige, im Beruf kompetente Frau, die an ihrer Unfähigkeit als Mutter zu knabbern hat. Das Verhältnis zu ihrer Tochter Lacy ist sehr schlecht. Sie weiß nur wenig über deren Leben und wird mit dieser Tatsache immer wieder konfrontiert. Frost schafft es, Alex‘ Verzweiflung, Reue und Angst im Verlauf des Buches sehr gut darzustellen. Dabei vernachlässigt er nicht, die Geschichte mit sarkastischen, teils selbstironischen Bemerkungen aufzulockern.

Auch die anderen Charaktere sind sehr vielschichtig gezeichnet, wenn auch nicht immer so interessant wie Alex. Frost setzt weniger auf wirkliche Originalität als auf gute Handarbeit. Seine Personen sind dementsprechend gut ausgearbeitet, wirken aber alltäglich.

Alex‘ Ich-Perspektive bestimmt das Buch weitgehend. Sie wird von einem klaren, sauberen Schreibstil gestützt, der bis auf die humorvollen Bemerkungen kaum Besonderheiten in Form von rhetorischen Stilmitteln besitzt. Da Frost aber sehr dicht und flüssig schreibt, ist das nicht weiter negativ. Weiterer positiver Nebeneffekt der Wahl der Ich-Perspektive ist die Homogenität in der Handlung. Scott Frost verzichtet auf weitere Perspektiven. Alles wird aus der Sicht von Alex Delillo erzählt. Dadurch gibt es nur einen Erzählstrang in der Geschichte und keine unnötigen Nebenhandlungen, die vom Kriminalfall ablenken. Eintönigkeit kommt trotzdem nicht auf. Alex Delillo ist aufgrund ihres Berufs und ihrer Sorge um ihre Tochter immer nah am Hauptgeschehen. Und auch, wenn die Handlung nicht immer zieht, so ist sie doch gut dargestellt und wird von einer sympathischen Protagonistin erzählt.

Scott Frost ist nicht der hellste Stern am Thrillerhimmel, aber er muss sich mit seinem Debüt „Risk“ auch nicht in einem schwarzen Loch verstecken. Der souveräne Thriller kann vielleicht nicht unbedingt mit dem schon oft durchgekauten, aufmerksamkeitsüchtigen Serienkiller punkten, aber dafür ist Protagonistin Alex Delillo eine sehr sympathische Frau. Der Aufbau des Buches ist spannend und die Ereignisse passieren Schlag auf Schlag. Insgesamt ist Scott Frost ein lesenswertes Buch gelungen.

http://www.knaur.de
http://www.droemer-knaur.de/trailer/risk__trailer.html
http://www.droemer.de/thriller/risk-test/

Schröter, Andreas (Hg.) – Honigfalter

_Autoren:_

Sibylle Zimmermann
Achim Wagner
Malte König
Dietmar Hübner
Michaela Grollegg
Angelika Brox
Bettina Jungblut
Christoph Schwarzenböck
Michael Metzner
Lutz Schafstädt
Ingrid Fohlmeister
Gudula Goering
Werner Anthon
Annemarie Nikolaus
Sibylle Luithlen
Silvia Konstantinou
Ingeborg Restat
Birgit Erwin
Anant Kumar
Ulrich Meurer
Anne Zeisig
Evelyn Sperber
Marion Schäfer
Fran Henz
Iris ter Haar
Barbara Jung

Mit „Honigfalter“ hat der |Schreiblust|-Verlag von Andreas Schröter 2003 seine erste große Anthologie herausgegeben, die immer noch zu den meistverkauften Büchern des Verlags gehört. 26 Autorinnen und Autoren haben sich mit dem zeitlosen Thema „Liebe“ auseinandergesetzt, welches laut Klappentext zu Kurzgeschichten führte, die jenseits von Kitsch und Schwülstigkeiten liegen. Eine Vorgabe, die freilich nicht jede Story erfüllt. Die Beiträge „Paris“ und „Hochwasser“ wurden nicht nur sehr gefühlvoll erzählt, sondern sind auch stark angereichert mit verträumten, ein wenig schnulzigen Liebesbekundungen.

Doch originell sind sie alle, die Geschichten um Liebesglück und Liebesschmerz. Und so, wie in vielen Kriminal-, Science-Fiction- und Fantasy-Romanen eine Liebesgeschichte vorkommt, spielen einige der Storys in dem vorliegenden Buch in eben jenen Genres. „Der einsame Fels“ beispielsweise ist eine Science-Fiction-Geschichte, in der es um eine bedingungslose Liebe zu einem vollkommen fremdartigen Wesen geht. Auch „Anders“ bewegt sich vor einem futuristischen Hintergrund.

Zwei historische Liebesgeschichten schrieben Ingrid Fohlmeister und Fran Henz mit ihren Storys „Bluthochzeit“ und „Träume“. Beide wurden nicht nur flüssig und anschaulich verfasst, sondern zeugen auch von einem hervorragenden Fachwissen und guter Recherche. Die erstgenannte Geschichte handelt dabei von einem bekannten Freibeuter namens Störtebeker.

Eine sehr fantasievolle Episode steuerte Marion Schäfer mit „Casanova Clothing Trade Mark“ bei, welche aus einer vollkommen unerwarteten Sichtweise geschildert wurde. Sehr humorvoll ist dagegen Malte Königs Geschichte „Hannos erster Kuss“, der sich sehr einfühlsam mit den Tücken des Erwachsenwerdens auseinandersetzt. Aber auch die dunkle Seite der Liebe wird nicht unter den Tisch gekehrt und kommt in der Erzählung „Als die Farben Trauer trugen“ von Silvia Konstantinou zur Sprache.

Dass jedem Leser jede Geschichte gleich gut gefällt, kann nicht erwartet werden, aber es sind mit Sicherheit für jeden Leser einige Beiträge enthalten, mit denen er sich identifizieren kann.

Das Cover wirkt aufgrund seiner einfachen Gestaltung ein wenig bieder, und auch auf Illustrationen muss der Leser verzichten, obwohl sie gerade diesem Band gut zu Gesichte stünden. Dafür wurde bereits diese erste Anthologie mit stabilem Karton broschiert und auf hochwertigem Papier gedruckt.

_Fazit:_ Eine abwechslungsreiche Reise durch die Welt der Liebe mit originellen Beiträgen, die nur selten in die kitschigen Gefilde abdriften. Ein Buch, das sein Geld ebenso wert ist wie die Zeit, die der Leser für die Lektüre investieren muss.

http://www.schreib-lust.de

_Florian Hilleberg_

Garfield, Richard – Magic: The Gathering – Blick in die Zukunft – Themendeck »Schicksalszündung«

_Schicksalhafte Zukunftsvisionen_

Irgendwie hat man sich in den ersten drei Themendecks der jüngsten „Magic: The Gathering“-Erweiterung gefragt, welche Bedeutung der Faktor Zukunft nun tatsächlich hat. Zweifelsohne sind hier und dort einige zeitverschobene Karten eingesetzt worden, und auch die Fähigkeit ‚Hellsicht‘ fällt hierbei auf, aber den eigentlichen Zweck, nämlich tatsächlich sicher vorausschauend zu agieren, der wurde noch in keinem Deck explizit offenbart.

An diesem Zustand soll „Schicksalszündung“ nun gehörig was ändern; das vierte und letzte Set aus „Blick in die Zukunft“ ist fast ausschließlich auf besagte ‚Hellsicht‘-Eigenschaft ausgelegt und basiert in erster Linie auf einem sehr kontrolliert ausgelegten Spiel, welches darauf abzielt, sich eine gute Übersicht über die eigene Bibliothek sowie die des Gegners zu verschaffen und hierdurch das Schicksal des Spiels weitestgehend zu lenken. Allerdings hat dies sowohl Vor- als auch Nachteile …

_Karteninhalt_

Länder:
• 14x Insel
• 11x Gebirge

Kreaturen:
• 2x Weiser aus Egyptir (common)
• 2x Vedalken-Äthermagier (common)
• 1 Dandän (zeitverschoben)
• 3x Blindes Traumwesen (common)
• 2x Avior-Augur (common)
• 3x Kryptischer Ringelwurm (uncommon)
• 1x Magus der Zukunft (rare)
• 2x Glutroter Augur (common)
• 2x Stachelgeißler (common)
• 1x Uthden-Troll (zeitverschoben)
• 2x Zackenbewehrter Schocker (uncommon)
• 1x Boldwyr-Einschüchterer (uncommon)

Andere:
• 2x Mystische Spekulationen (uncommon)
• 2x Vensers Zerstreuung (common)
• 1x Voraussehen (common)
• 1x Gefrorener Äther (uncommon)
• 1x Mark des Gestaltwandlers (rare)
• 2x Ins Mystische abdrehen (uncommon)
• 1x Tödliche Anziehung (common)
• 2x Rätselhaftes Gewitter (common)
• 1x Shivanischer Meteor (uncommon)

_So spielt man das Deck_

Ziel des Spiels mit dem „Schicksalszündung“-Themendeck ist vorrangig die Manipulation der unterschiedlichen Bibliotheken, was natürlich bedeutet, dass man versucht, im eigenen Nachziehstapel die besten Karten möglichst schnell nach oben zu bringen bzw. die stärksten Kreaturen und Zauber des Gegners ans Ende zu verbannen. Mit Karten wie ‚Mystische Spekulation‘, ‚Rätselhaftes Gewitter‘ und ‚Kryptischer Ringelwurm‘ darf man nun die obersten Karten der Bibliothek aufdecken, sich Passendes zurechtlegen und unbrauchbare Karten ans Ende der Reihe versetzen. So gelangen die wertvollsten Kreaturen und furchtbar effektive Zauber wie ‚Shivanischer Meteor‘ (13! Schadenspunkte) relativ zügig ins Spiel und müssen nicht hinter der Schwemme an Ländern zurückstecken. In dieser Beziehung ist auch der ‚Magus der Zukunft‘ ein wichtiges Element, weil er die Möglichkeit eröffnet, die oberste Karte der Bibliothek direkt zu spielen. Und sollte der Magus schlussendlich doch nicht so schnell wie gewünscht an die Oberfläche kommen, spielt man halt einfach den ‚Vedalken-Äthermagier‘, mit dessen Hilfe man einen Zauberer direkt und gezielt aus dem Nachziehstapel entnehmen kann.

Insofern sollte man also darauf bedacht sein, die Geschicke beider Bibliotheken möglichst zügig unter seine Kontrolle zu bringen und das Nachziehen neuer Karten entschieden zu lenken. Der Gegner bekommt so selten die Gelegenheit, seine stärkeren Werte auszuspielen, weil sie auf eigenes Drängen hin wieder weichen müssen, während man selbst langsam aber sicher einen kontinuierlich wachsenden Angriffswall aufbaut, mit dem man auch in schwereren Schlachten eine Chance hat. Problematisch sind diesbezüglich lediglich die minder ausgeprägten Offensivwerte. Es ist zwar positiv hervorzuheben, dass die Manakosten bei fast allen Kreaturen ziemlich gering sind, doch bekommt man als Gegenwert kaum effektive Angriffspower, um die vorab herbeigeführte Kontrolle auch in eine kontrollierte Offensive umsetzen zu können. Sollte man beispielsweise gegen das diesbezüglich stark besetzte „Zukunftsschock“-Deck spielen, liegen die Chancen wohl eher im Nullbereich, da man sich irgendwann auch mithilfe der Hellsicht nicht mehr gegen die richtig starken Kreaturen erwehren kann. Eine schnelle Vormachtstellung herauszuspielen, ist schließlich die eine Sache – sie auch gewinnbringend zu nutzen, die andere, wesentlich schwerere …

_Fazit_

„Schicksalszündung“ mag dasjenige Deck in der „Blick in die Zukunft“-Serie sein, welches am homogensten abgestimmt ist und bei dem die einzelnen Karten auf ihren Effekt bezogen am stärksten harmonieren, doch weil der Karteninhalt bestenfalls mäßig ist und weder Zauber noch Kreaturen großen Schaden beim Gegner hervorrufen können, kommt meist mitten im Spiel die befürchtete Kehrtwende, die trotz des anfangs eindeutig kontrollierten Spiels nicht mehr abgewendet werden kann. Erschwerend hinzu kommt die übermäßig hohe Anzahl der Standardländer, die aufgrund der vergleichsweise geringen Kosten für das Tappen der Karten eher unlogisch scheint und besser der einen oder anderen mächtigeren Kreatur gewichen wäre.

So eignet sich die Zusammenstellung letztendlich ausschließlich für das experimentierfreudige Publikum, welches sich etwas intensiver mit Fähigkeiten wie ‚Hellsicht‘ oder ‚Schicksal besiegeln‘ auseinandersetzen bzw. den Umgang mit diesen genauer erproben möchte. Sollte die Motivation des Spiels indes sein, mit aller Kraft um den Sieg zu spielen – und dies ist schließlich die einzig logische Herangehensweise an „Magic: The Gathering“ – dann sieht es mit der „Schicksalszündung“ ziemlich mau, um nicht zu sagen mies aus. Meines Erachtens ist dieses zukunftsorientierte Set jedenfalls das schwächste der aktuellen Erweiterung!

http://www.magicthegathering.de/
http://www.universal-cards.com
http://www.wizards.com/

|Siehe ergänzend dazu:|

[Magic: The Gathering 9. Edition – Schnelleinstieg 3335
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Armee der Gerechtigkeit« 3337
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Schon wieder tot« 3370
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Luftige Höhen« 3591
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Welt in Flammen« 3592
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Remasuri-Entwicklung« 3371
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Kreuzritter der Hoffnung« 3372
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Pelzige Pilzwesen« 3667
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Realitätsbruch« 3670
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Endloser Marsch« 3731
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Verwirrtes Hirn« 3734
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Ixidors Vermächtnis« 3741
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Rituale der Wiedergeburt« 3746
[Magic: The Gathering – Blick in die Zukunft – Themendeck »Rebellenvereinigung« 3748
[Magic: The Gathering – Blick in die Zukunft – Themendeck »Ausgesetztes Urteil« 3800

[Magic: The Gathering – Zeitspirale-Zyklus Band 1 3720
[Outlaw 1864 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 1)
[Der Ketzer 2645 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 2)
[Die Hüterin 3207 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 3)
[Die Monde von Mirrodin 2937 (Magic: The Gathering – Mirrodin #1)