Archiv der Kategorie: Rezensionen

Fitzek, Sebastian – Amokspiel

Mit seinem Debüt „Die Therapie“ ist Sebastian Fitzek im letzten Jahr ein rundum guter und erfolgreicher Thriller geglückt, der mittlerweile auch schon fürs Kino verfilmt wird. Nun liegt mit „Amokspiel“ sein zweiter Roman vor und man darf gespannt sein, ob Fitzek damit an den Erfolg des Vorgängerwerks anknüpfen kann.

Eigentlich wollte Kriminalpsychologin Ira Samin schon längst ihren geplanten Selbstmord hinter sich gebracht haben, als ihr SEK-Kollege Oliver Götz sie Hals über Kopf zu einem wichtigen Einsatz mitschleppt. Ein unberechenbarer Psychopath hat einen Radiosender besetzt und hält dort mehrere Menschen als Geiseln fest. Er treibt dort ein makaberes Spiel. Wahllos ruft er Leute an. Wenn sie sich mit der Parole „Ich höre 101Punk5 und jetzt lass die Geisel frei“ melden, darf eine Geisel gehen. Sagt der Angerufene etwas Falsche, so soll eine Geisel sterben.

Wie ernst es dem Geiselnehmer ist, stellt sich gleich in der ersten Spielrunde heraus. Das muss auch die Polizei einsehen, und so stehen Ira Samin und ihren Kollegen harte Stunden bevor. Iras Verhandlungen mit dem Geiselnehmer werden live übertragen. Der Geiselnehmer schwört weiterzuspielen, bis seine Verlobte Leonie zu ihm ins Studio gebracht wird, die Monate zuvor unter merkwürdigen Umständen bei einem Unfall gestorben sein soll. Doch ist sie wirklich tot, wie Jan May, der Geiselnehmer, behauptet? Oder ist der Mann einfach ein Wahnsinniger, dem der Realitätsbezug entglitten ist? Ira muss es herausfinden, doch die Verhandlungen sind ein Wettlauf mit der Zeit. In jeder Stunde will der Geiselnehmer „Cash Call“ spielen und jemanden anrufen. Jede Stunde steht damit aufs Neue das Leben der Geiseln auf dem Spiel …

Der Plot verspricht zunächst einmal jede Menge Spannung. Ein Wettlauf mit der Zeit, eine Geiselnahme, die in der Abgeschlossenheit eines Sendestudios stattfindet und damit wenig Ansatzpunkte für die Polizei zur Stürmung bietet. Obendrein ist der Geiselnehmer selbst Psychologe und kann somit die Tricks der Verhandlerin Ira Samin leicht durchschauen. Für die Polizei und das SEK ist die Situation absolut verfahren, und dadurch, dass der Geiselnehmer bei erster Gelegenheit schon beweist, wie ernst er es meint und dass auch sein einziger Verhandlungsspielraum, sein einziges Pfand (nämlich seine Geiseln) ihm nicht sonderlich viel wert ist, will die Polizei das Dilemma möglichst schnell lösen.

Was für Ira und ihre Kollegen die Sache ebenfalls erschwert, ist die Tatsache, dass Jan May keine wirklich konkreten Forderungen stellen kann. Er fordert den Kontakt zu einem Menschen, der nachweislich bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Keiner weiß so recht mit dieser Situation umzugehen, und während Ira versucht, wenigstens einen Aufschub für die nächste Spielrunde zu erzielen, arbeiten die Kollegen fieberhaft an einem Plan zur Stürmung des Studios.

Für Spannung ist allein durch den Plot somit schon zur Genüge gesorgt. Fitzek verschwendet keine Seite mit Ausschmückungen. Er beginnt acht Monate vor der Geiselnahme mit dem Moment, als Jan May von Leonies Autounfall erfährt, und setzt die Geschichte dann unmittelbar am Tag der Geiselnahme fort. Eine kurze Einführung in das Leben der beiden Protagonisten an diesem Tag, und schon beginnt die nervenaufreibende Geiselnahme, die für Spannung bis zur letzten Seite sorgt.

So gesehen ist „Amokspiel“ auf jeden Fall ein Roman mit „Pageturner“-Potenzial. Man mag das Buch einfach nicht mehr zur Seite legen, denn Fitzek versteht es gut, den Leser bei der Stange zu halten. Immer wieder setzt er in Sachen Spannung neue Akzente, streut Andeutungen ein, welche die Neugier anstacheln, und zieht den Leser in den Bann seiner Geschichte.

Einblicke in die Figuren erhält der Leser dabei vor allem während der Verhandlungen. Ira ist eigentlich als Psychologin arbeitsunfähig. Sie fühlt sich verantwortlich für den Selbstmord ihrer ältesten Tochter, ist Alkoholikerin und wollte sich noch wenige Momente vor ihrem Einsatz das Leben nehmen. Im Grunde ist sie ein psychisches Wrack, und dass sie die Verhandlungen mit Jan May dabei noch so gut meistert (auch trotz des einsetzenden Alkoholentzugs), lässt sie leider ein wenig überzeichnet wirken. Sie mag die beste Verhandlerin des SEK sein, aber dass sie in ihrer gegenwärtigen psychischen Verfassung noch so gute Arbeit leistet, lässt dann doch hie und da Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit aufkommen.

Nichtsdestotrotz machen auch gerade die Verhandlungen einen Reiz des Buches aus. Fitzek lässt insbesondere über die Verhandlungen den Leser einen näheren Blick auf Ira Samin und Jan May werfen. Dass beide gut geschulte Psychologen sind, macht die Verhandlungen nur umso interessanter.

Besonders die Figur des Jan May ist ein interessantes Objekt der Betrachtung. Fitzek lässt den psychopathischen Geiselnehmer im Laufe der Verhandlungen immer menschlicher erscheinen. May wird zu einem Menschen, für den man einerseits Mitleid für seine Situation und andererseits auch eine Portion Sympathie empfindet. Er steht im Grunde ahnungslos einer Situation gegenüber, von deren Ausmaßen er nicht den Hauch einer Idee hat. Mit seiner Forderung versetzt er einige Menschen in rege Betriebsamkeit und setzt eine Reihe von Entwicklungen in Gang, deren ganzes Ausmaß niemand einzuschätzen weiß.

Auch der Leser weiß lange Zeit nicht, worauf das Ganze hinauslaufen wird. Ist Leonie nun tot oder lebt sie doch noch? Sicher ist nur, dass an der Sache irgendetwas faul ist. Das ganze Ausmaß der Geschichte kann der Leser nicht so leicht erahnen. Es gibt irgendwo im Polizeiapparat einen Maulwurf, doch den hat Fitzek leider nicht sehr gut versteckt, und so gibt gerade diese Rolle in der Auflösung dann doch Anlass zur Kritik. Den Maulwurf zu entlarven, stellt für den Leser keine große Herausforderung dar, und so ist dementsprechend ein Teil der Auflösung recht unspektakulär.

Bleibt unterm Strich ein durchwachsener Eindruck. „Die Therapie“ war im Vergleich zu „Amokspiel“ wesentlich raffinierter konstruiert und konnte auch am Ende noch sehr schön überraschen. „Amokspiel“ ist zwar kein schlechter Thriller, denn immerhin mag man das Buch bei der Lektüre kaum aus der Hand legen, dennoch kann Sebastian Fitzek die hochgesteckten Erwartungen, die „Die Therapie“ geweckt hat, nicht so ganz erfüllen. Dafür ist der Maulwurf bei der Polizei zu offensichtlich platziert und dafür wirken auch manche Aspekte der Figurenskizzierung ein wenig zu überzeichnet. Dennoch ist „Amokspiel“ ein ausgesprochen spannungsgeladener Lesegenuss, der aber eben aus der Masse an Thrillern auch nicht sonderlich deutlich hervorsticht.

http://www.knaur.de

Ange / Varanda, Alberto / Xavier, Philippe / Lyse – verlorene Paradies, Das – Band 2: Fegefeuer

Band 1: [„Hölle“ 3712

_Story_

Julien scheint verloren und somit das glückliche Schicksal von Himmel und Hölle besiegelt. Zu groß ist die Furcht, dass der Junge der falschen Fraktion in die Hände fällt, zu groß der Respekt vor seinen Fähigkeiten und der unbändigen Willenskraft. Dennoch will Gabriel seinen Freund nicht aufgeben und spürt ihn tatsächlich wieder auf.

Zusammen mit der unsteten Anya flieht er aus der Hölle in die Treppenwelt, dem Übergang in die Stadt der Engel. Doch Gabriel hat sich verändert und tritt Julien gegenüber nicht mehr so liebevoll und fürsorglich auf. Immer mehr Zweifel keimen in dem offenbar so wichtigen Jugendlichen auf, und als Gabriel schließlich von Anya erstochen wird, gerät seine bisherige Perspektive endgültig aus den Fugen. Als der Wächter der Engel dann auch noch wegen Verrats und unnötiger Erweisung von Liebe und Zuneigung in mehreren Punkten für schuldig gesprochen wird und seine Engelsflügel ausgerissen bekommt, findet Julien langsam aber sicher heraus, dass auch die Heerscharen des Himmels vom Bösen beherrscht werden. Doch zu diesem Zeitpunkt ist es schon zu spät, denn wiederum ist jemand auf seinen Fersen, um ihm endgültig die Lebenskraft zu rauben.

_Meine Meinung_

Viel Verwirrung keimt im zweiten Teil von „Das verlorene Paradies“ auf. Nach dem spannenden Abschluss und dem offensichtlichen Todessturz Juliens wusste man zwar überhaupt nicht, was man von der Fortsetzung inhaltlich erwarten durfte, doch dass sich Anne und Gerard in ein derart wechselhaftes, zwischenzeitlich auch ein wenig unstrukturiertes Abenteuer stürzen würden, lag erst einmal nicht nahe.

Generell wird in „Fegefeuer“ das gesamte Bild, welches noch in „Hölle“ entstanden war, wieder auf den Kopf gestellt. Der Großteil der Handlung spielt sich dieses Mal im Himmel und der Zwischenwelt ab und beschäftigt sich vorrangig mit dem Schicksal Gabriels. Der Wächter hat seinen Eid gebrochen und mehrfach aus Liebe gehandelt, was ihm nun zum Verhängnis werden soll. Sein gesamtes Auftreten wird einer radikalen Veränderung unterworfen; er ist nicht mehr der sympathische, hilfsbereite Engel, sondern ein zielstrebiger, eigensinniger Sturkopf geworden, der sich seiner bevorstehenden Bestrafung durchaus bewusst ist, jedoch versucht, durch seinen aufopferungsvollen Kampf um Julien seine Strafe zu mildern und überhaupt die Wege des Schicksals zugunsten seiner strengen Vorgesetzten zu lenken. Doch sein guter Wille unterliegt einem fatalen Irrtum, denn im Himmel schmort eigentlich das Böse, geprägt von Egoismus und einer grausamen Grundgesinnung, und so hat er keine Chance, sich seinem Ende als Engel zu entziehen.

Indes verlaufen die Wege Juliens und die des Lesers teilweise parallel. Erneut entstehen einige merkwürdige Mysterien, die dieses Mal jedoch sehr viel abstrakter dargestellt werden und den Grad der Komplexität der Handlung gehörig steigern. Seltsame Entscheidungen werden getroffen, fragwürdige Motivationen verfolgt und einige undurchsichtige Wendungen eingeleitet. Gerade Gabriels Rolle erscheint in einem ganz neuen Licht, wobei er später plötzlich komplett fallen gelassen wird. Sein Schicksal ist besiegelt, er wird verstoßen, doch irgendwie spürt man, dass man noch von ihm hören wird. Doch warum das alles? Dies, aber auch einige weitere Ungereimtheiten im Bezug auf die einzelnen Charaktere, gilt es in den nächsten Bänden noch aufzuarbeiten.

Der Gesamtzusammenhang entwickelt sich in „Fegefeuer“ zu einer zunehmend bedeutsameren Schwierigkeit. Nicht jeder Teil des Strangs wird logisch zu Ende gebracht, weil den beiden Autoren außerordentlich viel daran liegt, ein Höchstmaß an Ideen und neuen Nebenbaustellen im Rahmen eines gerade mal knapp 50 Seiten starken Comics zu platzieren. Wo im ersten Teil die Action noch partiell überhand nahm und man den Inhalt in angemessenem Tempo vorantrieb, wird es in Band zwei ein wenig knapp, weil die Masse an Inhalt gerade kurz vor Schluss die Handlung zu überfrachten droht und manches deshalb nicht schlüssig scheint.

Tiefgreifende Verständnisprobleme treten aber Gott sei Dank nicht auf, so dass der hohe Grad der Spannung trotz steigernder Komplexität nicht gefährdet ist. Aber trotzdem ist das Endresultat nicht ganz so begeisternd, wie man es vielleicht erwartet hätte, weil man einerseits viel zu sehr damit beschäftigt ist, konzentriert die versteckten Details der Handlung zu durchleuchten, sich andererseits aber auch wünschen würde, dass das Erzähltempo auch tatsächlich mit den rasanten Fortschritten der Story harmonieren würde.

Einen insgesamt guten Gesamteindruck hat „Fegefeuer“ aber bei all der verschärften Kritik dennoch hinterlassen. Hier und dort gibt es zwar noch einiges, was man verbessern oder einfach runder gestalten könnte, doch die Motivation, der Serie treu zu bleiben, ist nach wie vor vorhanden und wird durch ein erneut geniales Finale weiter verstärkt. Man darf gespannt sein, ob Ange im dritten Band wieder kompakter und schlüssiger arbeiten. Inhaltlich behält „Das verlorene Paradies“ sein unheimlich großes Potenzial, aber das Autorenteam muss zusehen, dass der Faden nicht verloren geht und man die Zielstrebigkeit der Charaktere auch auf die Entwicklung der Handlung übertragen kann. Nach den letzten Seiten von „Fegefeuer“ und der darin thematisierten Vorbereitung auf den bevorstehenden Krieg zwischen Himmel und Hölle darf man, was dies betrifft, aber definitiv guter Dinge sein.

http://www.splitter-verlag.de/

Loomis, Chauncey – Verloren im ewigen Eis. Der rätselhafte Tod des Arktisforschers Charles Francis Hall

Im Jahre 1845 laufen in England zwei Schiffe zu einer historischen Expedition aus: Sir John Franklin, Held zahlreicher Entdeckungsreisen, hat es sich in den Kopf gesetzt, endlich die sagenhafte Nordwestpassage zu finden, die angeblich quer über den nordamerikanischen Kontinent läuft und in den Pazifik mündet. Dieser natürliche Kanal würde die Reise zu den lukrativen Geschäftsgründen Asiens um einiges verkürzen. Neben handfeste wirtschaftliche Gründe treten darüber hinaus patriotische Erwägungen: Die Briten beherrschen die Weltmeere, ihr Empire breitet sich über den Globus aus, und deshalb stellen sie auch die tüchtigsten und fähigsten Forschungsreisenden – Punkt! Ein Vierteljahrhundert wurde bereits nach der Nordwestpassage gefahndet, und Franklin wird sie nun gefälligst finden!

Leider lehnt es die Realität ab, sich dieser Argumentation zu unterwerfen. Mit der |Erebus| und der |Terror| verschwinden über einhundert Menschen im Dunkel der nordpolaren Gewässer. Nächstenliebe ist eigentlich keine Eigenschaft, die das 19. Jahrhundert auszeichnet, doch John Franklin ist kein „normaler“ Mensch, sondern ein Idol seiner Epoche, und so wird sein ungewisses Schicksal als nationale Tragödie betrachtet. Zwischen 1848 und 1853 machen sich mehr als dreißig Suchmannschaften auf den beschwerlichen Weg in die endlosen Weiten der nordamerikanischen Polarwüste. Viele fallen selbst der grausamen Natur zum Opfer – und meist tragen sie allein die Schuld an ihrem Ende, denn die Entdeckungsreisenden aus Europa und den noch jungen USA erforschen ferne Länder nicht: Sie erobern sie, und je größer die Qualen sind, die sie dabei erleiden, desto süßer schmeckt der Sieg!

Daher haben sich Franklin und jene, die nach ihm kamen, niemals wirklich Gedanken darüber gemacht, dass es dort, wo sie frieren und hungern, schon seit ewigen Zeiten Menschen gibt: Die Inuit oder Eskimo haben sich an das Klima und die Lebensbedingungen angepasst und führen ein hartes, aber zufriedenes Leben. Aber sie sind Wilde und Heiden, und der wahre Gentleman stirbt eher in luftiger Tuchkleidung und mit einem Zylinder auf dem Kopf (das ist die Uniform für britische Offiziere zur See – und sie wird in der Nordsee wie in der Karibik oder auf dem Polarmeer getragen …), als dass er sich auf ihr Niveau begäbe!

Genau an dieser Mischung aus Unwissenheit, Hochmut und Dummheit ist die Franklin-Expedition längst zugrunde gegangen. Das ahnt man allmählich in Großbritannien und in den USA, wo die Suche aufmerksam verfolgt wurde, aber man weiß nichts Genaues. Unter denen, die diese Ungewissheit nicht nur zu schaffen macht, sondern zu Taten drängt, ist in der Stadt Cincinnati im US-Staat Ohio, einem Ort, der dem Nordpolarkreis denkbar fern liegt, der erfolgreiche Geschäftsmann und Verleger Charles Francis Hall. Niemand würde in ihm einen Nachfahren Columbus‘ oder Magellans vermuten, doch tatsächlich brodelt in Hall schon lange das Fernweh. Zwischen 1860 und 1871 unternimmt er zwei Expeditionen, die ihn jeweils über mehrere Jahre in den äußersten Nordosten des nordamerikanischen Kontinents führen. Aus dem enthusiastischen, aber unerfahrenen Abenteurer wird ein erfahrener Reisender, der nicht nur über-, sondern sich einlebt, weil er begreift, dass man in Norden nicht gegen, sondern mit der Natur leben muss. Hall lernt bereitwillig von den Inuit, er unternimmt ausgedehnte Fahrten über das Eis, findet die Relikte früherer Polarforscher – aber niemals eine Spur von der Franklin-Expedition.

Doch Charles Hall wird trotz aller scheinbaren Weltoffenheit niemals ein echter Bewohner des Nordens. Er kann und will nicht von seiner strengen Frömmigkeit ablassen. Mit den Inuit lebt er weniger zusammen, als dass er sich zu ihnen herablässt. Sein ungestümes Temperament bringt ihn immer wieder in gefährliche Situationen – kurz: Hall verlässt sich ahnungslos ein wenig zu sehr auf die Gunst des Schicksals. Er sieht sich als Bezwinger des ewigen Eises, und als solcher fasst er ein neues, schier wahnwitziges Ziel ins Auge: Er will als erster Mensch den Nordpol erreichen!

Mit der ihm eigenen Energie gelingt es ihm, ein Schiff zu finden und eine Besatzung zusammenzustellen, doch dieses Mal verlässt ihn sein Glück: Auf der [„Polaris“ 311 beginnt 1871 eine Reise ins Herz der Finsternis, die in Streit, Wahnsinn, Schiffbruch und womöglich Mord endet und die Überlebenden für den Rest ihres Lebens zeichnen wird …

„Verloren im ewigen Eis“ ist ein Sachbuch im besten Sinne des Wortes: Wissen wird dem Leser in leicht verständlicher Form präsentiert, ohne dass die Fakten „vereinfacht“ würden. Chauncey Loomis ist auf seine Weise selbst ein Besessener vom Schlage Halls, dessen Schicksal ihn seit Jahrzehnten bewegt. „Verloren …“ ist sichtlich das Resultat langwieriger und penibler Recherchen; kein Schnellschuss auf der Jagd nach dem Buchmessen-Bestseller der Saison. Chauncey hat viel Zeit in diversen Archiven verbracht; als Dozent für englische und amerikanische Literatur wusste er, wie und was er dort zu suchen hatte. Aber er klebte nicht an seinem Schreibtisch, sondern hat im Laufe der Jahre viele der Orte, die Hall einst bereiste, selbst besucht – und er ist dem Subjekt seiner Recherchen dabei buchstäblich bis ins Grab gefolgt.

So ist „Verloren …“ ein Kleinod auf dem Gebiet der historischen Reiseliteratur. Halls Erlebnisse werden immer wieder in die Geschichte des 19. Jahrhunderts eingebettet; vor diesem Hintergrund wird vieles klar, was heute fremd erscheint, denn die Welt vor 150 Jahren folgte eigenen, längst vergangenen Regeln. Mit spielerischer Leichtigkeit (die definitiv das Ergebnis harter Arbeit ist) verbindet Chauncey Fakten, Erläuterungen und Anekdoten zu einem echten „Pageturner“. Er hatte dabei Glück: Hall war ein eifriger Tagebuchschreiber. Aber auch hier zeigt sich Chaunceys souverän der Informationsflut gewachsen. Er zitiert nicht einfach, sondern wählt aus, prüft nach und interpretiert dort, wo es ratsam erscheint. Außerdem verschweigt er endlich einmal nicht jene Passagen, die kein so gutes Licht auf ihren Schreiber werfen. Es ist eigentlich eine bekannte Tatsache, dass berühmte Entdecker auf Reisen oft wenig von der menschlichen Größe an den Tag legten, die sie sich selbst in ihren Büchern bescheinigten, oder die ihnen ihre bewundernden Zeitgenossen und Nachfahren unterstellten. Dabei nahmen sie vor Ort durchaus kein Blatt vor den Mund und verewigten ihre (Un-)Taten womöglich selbst in später sorgfältig zensierten Aufzeichnungen. Hall war hier keine Ausnahme. Kluger Kopf, der, aber ungebildet, wie er war, hielt er sogar geradezu exemplarisch fest, wie die Forscher seiner Zeit über die unglücklichen Einheimischen kamen, ihnen Krankheiten, Alkohol oder die zweifelhaften Segnungen der christlichen Religion brachten, sie ohne Skrupel als lebendige Ausstellungsobjekte in die Fremde verschleppten oder wie selbstverständlich voraussetzten, von ihnen, die kaum echten Grund hatten, sich dem Forscherdrang zu ergeben, in gefährliche Region geführt oder gar noch bedient zu werden.

„Verloren …“ ist die erweiterte, aktualisierte Neuausgabe eines Buches, das zum ersten Mal Ende der 60er Jahre erschien. Chauncey tat gut daran, die Forschungsergebnisse der seither verstrichenen Jahrzehnte zu berücksichtigen, denn in der verstrichenen Zeit konnten doch einige damals notgedrungen offene Fragen geklärt werden. Aber in einem Punkt ist Chauncey hart geblieben: In der Frage, ob Charles Hall nun ermordet wurde oder einem Unfall zum Opfer fiel, legt er sich (zum Kummer seines Lektors) auch jetzt nicht fest. Die Indizien reichen eben für eine endgültige Entscheidung nicht aus, und Chauncey ist redlich genug, historische Genauigkeit vor marktschreierische Werbewirksamkeit zu setzen.

Mut beweist der Verlag mit der Wahl des Titelbildes. Wir sehen dort den kühnen Forscher Hall im Porträt gewürdigt; allerdings nicht als zeitgenössisches Foto oder Kupferstich, sondern so, wie er 1968 vorgefunden wurde, als ihn seine von Wissbegier durchdrungenen Nachfahren aus seinem eisigen Grab hoben – als verweste Leiche, deren Anblick selbst den (medien-)horrorerfahrenen Kindern des 21. Jahrhunderts schlaflose Nächte bereiten könnte.

Poehl, Henning / Sigman, Tyler – Hexenhammer (Kartenspiel)

_Abgekartete Hexenverbrennung_

Der „Hexenhammer“ entführt seine Spieler in die Zeiten der (un-)heiligen Inquisition, in eine Epoche, in welcher der Scheiterhaufen über Recht und Unrecht entschied und die Gerechtigkeit auf einer zwielichtigen Scheinmoral basierte. Das Spiel versetzt einen dabei in ein kleines Dörfchen, welches von allerlei Gaunern und merkwürdigen Gestalten gesäumt wird und dessen Bewohner händeringend versuchen, den fauligen Gestank der anrüchigen ‚Gäste‘ mit dem Feuer des Scheiterhaufens zu beseitigen. Mit der Hilfe von Spitzeln erforscht man die Redlichkeit der jeweils anderen und bringt sie auf die Anklagebank. Doch dabei ist Vorsicht geboten: In Windeseile wird der Kläger zum Angeklagten und droht durch eine abgewehrte Klage selber auf den feurigen Scheiten Haufen zu landen. Ziel ist es, möglichst viele Figuren der anderen Spieler zu verbrennen und die eigenen vor ihrem unheilvollen Schicksal zu bewahren. Und gewonnen hat schließlich derjenige, der sich die wenigsten Feinde gemacht, jedoch nicht davor zurückgescheut hat, scheinbare Verbündete in den entscheidenden Momenten anzuklagen.

_Spielmaterial_

• 15 Dorfbewohner
• 15 Scheiterhaufen
• 78 Verleumdungskarten
• 2 Spielverlaufskarten

Das Spielmaterial ist einerseits recht simpel und auf Anhieb verständlich aufgebaut, lässt jedoch den ironischen Witz, den die beiden Autoren Henning Poehl und Tyler Sigman in mancher Zeichnung versteckt haben, mal wieder nicht vermissen. Wer also hinter „Hexenhammer“ ein thematisch recht kritisches Spiel erwartet, sollte sich schon mal darauf einstellen, dass die unterschwellige gesellschaftliche Kritik hier mit einer Menge Humor verarbeitet wurde, ganz wie es in den Rahmen des Verlags passt.

Poehl und Sigman haben viel mit Symbolen gearbeitet und dabei Schlagbegriffe der Inquisition in illustrierter Form als eine Art Leitfaden durch die Karten gezogen. Dazu gibt es feine Kartentexte, nette Charaktere und überschaubare Aktionskarten. Sehr gut gemacht.

_Wenn der Hexenhammer fällt – wie das Spiel funktioniert_

„Hexenhammer“ ist eines dieser Spiele, welche sich beinahe von selbst erklären, sobald man die Karten etwas ausführlicher studiert hat. Daher lohnt es, sich vor dem ersten Spiel zunächst einmal einen umfassenden Überblick über die verschieden Eigenschaften der unterschiedlichen Kartentypen zu verschaffen und anschließend noch einmal genau zu lesen, in welche Phasen der Spielablauf unterteilt ist. Und genau das soll nun in den folgenden Zeilen auch geschehen.

Vor jedem Spiel werden allerdings erst einmal die Karten aussortiert, die eventuell gar nicht gebraucht werden. „Hexenhammer“ ist für drei bis fünf Spieler konzipiert, und abhängig von der Spielerzahl werden auch nur bestimmte Karten benötigt. Nachdem diese aussortiert wurden, erhält nun jeder Spieler jeweils drei Scheiterhaufen und drei Dorfbewohner. Auf den Scheiterhaufen sind verschiedene Rangstufen abgebildet, beginnend bei Ziffern wie 3 bis hin zur Endstufe, die auf jedem Scheiterhaufen den Wert 18 hat. Je nachdem, welche Startziffer die eigenen Scheiterhaufen haben, platziert man nun die Dorfbewohner in beliebiger Anordnung auf den jeweils untersten Punkt eines Scheiterhaufens. Die Dorfbewohner haben ebenfalls ganz unterschiedliche Funktionen. Gemäß der Anklage, die sie anderen gegenüber äußern, bringen sie bestimmte Bonuspunkte, die den jeweils Verurteilen noch tiefer ins Feuer seines Scheiterhaufens rutschen lassen.

Damit ist der eigentliche Ablauf des Spiels auch schon kurz umrissen: Man muss versuchen, andere Dorfbewohner in ihrem eigenen Scheiterhaufen zu verbrennen, indem man Anklagen und Beschuldigungen ausspielt, während man versucht, mit Spenden und korrupten Mitteln die eigenen drei Bewohner vor der Höchststrafe der Hexenverfolgung zu bewahren.

Das Spiel beginnt nun folgendermaßen: Nachdem die Bewohner auf die Scheiterhaufen aufgeteilt wurden, beginnt „Hexenhammer“ mit der ersten Phase: die Anklage. Jeder Spieler hat nun zwei Möglichkeiten; entweder spielt er der Anzahl der Dörfler entsprechend Karten aus und zieht anschließend eine Karte nach (vor jeder Runde besitzt man sechs Handkarten), oder aber er ruft die Inquisition aus. Diese erste Phase ist, genauso wie die übrigen Phasen, mit einem speziellen Symbol gekennzeichnet. Folglich dürfen auch nur Karten ausgespielt werden, auf denen ebenfalls dieses Symbol abgebildet ist. Wichtig ist hierbei, dass man genau benennt, welche Person wen anklagt, denn möglicherweise folgt prompt eine Gegenklage, die dann den Ankläger tiefer ins Feuer reißt. Wer sich indes für die letztgenannte Variante entscheidet, ist am Ende auch derjenige, der die Siegpunkte für Personen, die dem Scheiterhaufen zum Opfer gefallen sind, bekommen wird. Es gilt also abzuwägen, ob man aktiv Anklagen erhebt oder doch lieber das Risiko eingeht, dann aber mit etwas Glück später die erstrebten Punkte einkassiert.

Sobald die Inquisition ausgerufen wurde, geht das Spiel in Phase 2 über, die da heißt: die Eynkerkerung. Hier geht es nun zur Sache. In beliebiger Reihenfolge und in willkürlicher Menge dürfen nun Karten mit dem Ringsymbol ausgespielt werden, und zwar so lange, bis niemand mehr Karten ausspielen kann oder möchte. Der Inquisitor nimmt anschließend das Zepter in die Hand und wechselt in die nächste Phase, den Glaubensprozess.

Die Karten mit dem Symbol des Hammers – das sind diejenigen, die während der dritten Phase ausgespielt werden dürfen – haben oft ganz besondere Fähigkeiten. Besonders die effektiven grünen Karten werden hier oft bemüht und verdrehen mit einem Mal den ganzen Spielverlauf, indem sie zum Beispiel die Siegpunkte vom Inquisitor rauben oder aber eine Figur in einem Schritt ins Feuer stürzen. Dementsprechend darf in dieser Phase auch nur eine Karte gespielt werden, und dies reihum. Anschließend wird entschieden, wer nun in dieser Runde verbrannt wird, wobei der- oder diejenige dieses Schicksal erleidet, dessen Person am weitesten in den Scheiterhaufen hineingerückt ist. Ist die Hexe verbrannt, bekommt der Inquisitor die zugehörigen Siegpunkte, es sei denn, durch eine grüne Karte wurde dies zuvor beeinflusst.

Mit der letzten Phase – Hinweise sammeln – endet die Runde. Jeder Spieler darf nun Karten abwerfen, die ihm nicht zusagen, und daraufhin die Kartenhand wieder auf das Limit von sechs Karten auffüllen. Der Inquisitor gibt sein Amt zeitweilig wieder ab, bis in der anschließenden Runde während der Anklage-Phase sein Nachfolger bestimmt wurde.

_Spielende_

Das Spiel endet sofort, wenn nur noch so viele Dorfbewohner leben, wie Spieler an „Hexenhammer“ beteiligt sind. Der Sieger wird nun ermittelt, indem die Pentagramme der eigenen überlebenden Dörfler mit den Streichhölzern der verbrannten ‚Feinde‘ addiert und schließlich mit den Resultaten der anderen Mitspieler verglichen werden. Derjenige mit den meisten Gesamtpunkten hat natürlich gewonnen.

_Meine Meinung_

„Hexenhammer“ ist ein ziemlich witziges und enorm temporeiches Spiel, so viel schon einmal vorweg. Das Autorenteam Poehl und Sigman war spürbar darum bemüht, einerseits das prekäre Thema adäquat zu verarbeiten, es andererseits aber auch mit einer Mischung aus Zynismus und Sarkasmus für jedermann zugänglich zu machen, so dass letztendlich ein Spiel entstanden ist, welches zwischenzeitlich an die Produktpalette des |Pegasus|-Verlags erinnert, wenngleich die Illustrationen hier viel weniger denn die Kartentexte den Witz des Spiels ausmachen. Statt also mit witzig umrissenen Figuren zu arbeiten, haben sich Poehl und Sigman dazu entschlossen, mit unmissverständlichem Symbolismus an die Sache heranzugehen, dessen stetige Zweideutigkeit ganz klar die Missstände der Zeit der Hexenverbrennungen anprangert, jedoch ohne dass man hierbei den Eindruck bekommt, „Hexenhammer“ sei ein strenges Politikum und nur Mittel zum Zweck einer offenkundigen Message.

Letztere ist zwar zweifelsohne ins Spielgeschehen integriert worden, gerät aber während einer Partie dieses Kartenspiels nach und nach wieder in den Hintergrund und weicht vielmehr der rasanten Interaktion und dem strategischen Denken, welches hier von Partie zu Partie mehr in den Vordergrund rückt. Ist man also zunächst noch damit beschäftigt, die Texte zu deuten und die Thematik für sich selber aufzuarbeiten, findet man langsam Zugang zu einem vorerst etwas chaotischen, später aber wirklich gelungenen Spiel. Chaotisch vor allem deshalb, weil es zwei bis drei Partien dauert, bis man tatsächlich einen Überblick über das Spielgeschehen gewonnen hat und versteht, welche Karten man nun wann abwerfen darf und wie ‚das mit dem Inquisition ausrufen‘ nun funktioniert.

Aber der Spielfluss pendelt sich langsam ein, das hohe Tempo begeistert und der Humor sowie der dadurch bedingte Spaß dringen langsam durch und machen „Hexenhammer“ nicht nur zu einem Geheimtipp für den Einstieg in den Spieleabend (quasi als Stimmungsanheizer), sondern bieten auch genügend Potenzial für abendfüllende Unterhaltung. Die angegebene Spieldauer sollte man allerdings nicht ganz so ernst nehmen, denn 60 Minuten dauert eine Partie sicherlich nicht. Gut die Hälfte der Zeit ist selbst im 5-Spieler-Modus nur nötig, um einmal den Hammer kreisen zu lassen und die Hexenverbrennungen durchzuführen, so dass sich dieses nette und flotte Kartenspiel wahrlich zu jeder Gelegenheit anbietet. Nicht nur aus diesem Grund, sondern vor allem wegen des anhaltenden Reizes gibt es daher auch eine klare Empfehlung für „Hexenhammer“.

http://www.sphinxspiele.de

Frank-Burkhard Habel – Ekel Alfred

Gestatten – Tetzlaff mein Name, ich bin hier der Gastgeber

Heinz Schubert verkörperte in den 70er-Jahren in der Gestalt des Alfred Tetzlaff – von seinen Freunden „liebevoll“ Ekel Alfred genannt – den Typus des hässlichen Deutschen und spaltete damit die Nation. Seine Seitenhiebe auf Willy Brandt, den Emigrantenkanzler, und die Sozis, die seiner Meinung nach zum Zerfall Deutschlands beitragen, sind zum Kult geworden und sind charakteristisches Moment einer der letzten richtig guten deutschen Familienserien.

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Fredric Brown – Die grünen Teufel vom Mars

brown-teufel-cover-kleinDie Marsianer kommen! – kleine grüne Männchen, die nicht kriegerisch sondern gemein und lästig sind und sich nicht loswerden lassen, bis die irdische Zivilisation sich in einen Scherbenhaufen verwandelt … – Dieser Klassiker der humorvollen Science Fiction hinterfragt den (US-typischen) Alltag (der 1950er Jahre), indem er dessen Normen und Regeln außer Kraft setzt und sich ausmalt, welche Folgen dies haben könnte. Gewaltfrei, ideenreich und erfreulich respektlos (wenn auch aus heutiger Sicht harmlos) spielt der Verfasser seinen Plot durch und kann damit auch im 21. Jahrhundert noch zum Lachen und zum Nachdenken reizen.
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Boelinger, Christophe – Dungeon Twister (Basisspiel)

_Im Labyrinth des Erzmagiers_

Auf dem mythischen Planeten lebte einst ein Erzmagier, der größte Hexenmeister seiner Zunft, der stets darum bemüht war, die größten Geheimnisse der Magie zu erkunden. Lediglich die Wege zur Unsterblichkeit waren ihm bis dato verschlossen, doch da seine Lebenserwartung von den Elfen auf 3000 Jahre geschätzt wird, bleibt ihm noch enorm viel Zeit, um seinen diesbezüglichen Traum zu verwirklichen. Doch sein Reichtum und seine unvorstellbare Macht konnten dem Erzmagier nicht seine Langeweile nehmen. Jahrtausend für Jahrtausend verstrich, bis er schließlich eine Möglichkeit gefunden hatte, sich zu unterhalten.

Er heuerte Zwerge und Gnome zum Bau unterirdischer Labyrinthe an und teleportierte verschiedene Kämpfer unterschiedlicher Rassen in seine neuen Katakomben. Völlig überrascht von der neuen Umgebung, fanden sich diese in einem unerwarteten Alptraum wieder. Auf der Suche nach dem Ausgang mussten sie Fallen ausweichen, Gitter durchbrechen und den Tücken der einzelnen Räume des Labyrinths ausweichen. Sie befanden sich mitten in der Welt von „Dungeon Twister“, in einer Welt, in der nur der Stärkste überlebt.

_Spielidee_

In „Dungeon Twister“ schlüpft man in die Rolle eines Heldenteams, das versucht, mit vereinten Kräften der Gefangenschaft des Labyrinths zu entweichen. Das Spiel ist für zwei Spieler konzipiert, die sich an bestimmten Punkten der Katakomben treffen und versuchen müssen, sich gegenseitig auszulöschen und schließlich ihre Helden zuerst aus den finsteren Räumen zu befreien. Ziel ist es dabei, als erster Spieler fünf Siegpunkte zu erzielen und dabei möglichst schnell mit seinen Figuren ans Tageslicht zu rücken. Dies ist nämlich eine Möglichkeit, an diese begehrten Punkte zu kommen. Einen weiteren gibt es obendrauf, wenn die betreffende Figur der Goblin ist oder sie einen Schatz bei sich trägt. Weitere Siegpunkte werden verteilt, wenn eine gegnerische Figur ausgelöscht wurde, womit klar ist, dass in „Dungeon Twister“ Kämpfe unvermeidlich sind. Allerdings ist Angriff auch hier nicht immer die beste Verteidigung …

_Spielmaterial_

• 8 quadratische Hallen
• 2 Startzonen
• 2 Sichtschirme-Spielhilfen
• 2 Serien Plättchen à 8 Figuren und 16 Sockel
• 2 Kartensets mit 16 Karten je Spieler
• Verschiedene Marker ‚offenes Gitter‘ bzw. ‚geschlossenes Gitter‘
• 5 Aktionsmarker pro Farbe
• 1 Spielregel

Im Gegensatz zur edel bestückten Konkurrenz von |Fantasy Flight Games| greifen die Ideengeber von „Dungeon Twister“ auf kartonierte Figuen zurück, die im Spiel entweder nur als Plättchen (beim Status ‚verletzt‘) oder eben als Aufsteller im Sockel verwendet werden. Dies kann man jetzt von zweierlei Seiten betrachten. Einerseits sind die Figuren dadurch natürlich vergleichsweise instabil und machen auch optisch bei weitem nicht so viel her wie das Material von Spielen wie „Descent“, „Runebound“ oder „Doom“. Was ist ein Pappaufsteller schon im Vergleich zur Plastikminiatur aus dem Gussrahmen?

Andererseits gelingt mitsamt der bunten, zweifarbigen Figurenmarker eine sehr differenzierte Abgrenzung der beiden Spielfarben, was gerade für das aktive Spiel sehr zweckdienlich ist. Die beiden Parteien sind immerzu sehr gut voneinander zu unterscheiden, wobei lediglich einige Schwierigkeiten bei der Trennung der recht gleichförmig gezeichneten Charaktere bleiben.

Insgesamt hinterlässt das Material so trotz der guten Bespielbarkeit einen leicht faden Beigeschmack, gerade wenn man bereits in den Genuss besagter Spiele gekommen und somit etwas verwöhnt ist. Aber dadurch konnte letztendlich zumindest der Preis auf einem anständigen Niveau gehalten werden.

_Vorbereitung_

Vor dem Spiel werden die acht Hallen-Platten gemischt und verdeckt zu einem Rechteck ausgelegt, also mit einer Fläche von 2 x 4 Quadraten. Daneben werden die Startzonen mit den Startfeldern für die ersten vier Figuren jeder Seite ausgelegt. Beide Spieler wählen nun vier ihrer acht Charaktere und platzieren sie auf diese Startfelder. Es erweist sich natürlich als günstig, hierbei Personen zu wählen, die sich flink fortbewegen können, weil sie den weitesten Weg zum Ausgang des Labyrinths haben werden. Anschließend verbirgt man die übrigen Figuren und alle Plättchen hinter seinem Sichtschirm.

Der zuvor gewählte Startspieler beginnt nun, jene Plättchen auf den verdeckten Hallen-Platten zu verteilen und beachtet dabei das Limit, welches für alle ausgelegten Plättchen auf jeder Karte gilt. Hier beginnt der strategische Teil, denn jeder muss sich nun genau überliegen, welche Waffe bzw. welche Figur er wo platziert und ob er sich nun eher auf ein offensives oder ein abwartendes Spiel einlässt. Sind alle Plättchen ausgelegt, beginnt die Partie erneut mit dem Startspieler.

_Spielablauf_

Jeder Spielzug ist in mehrere Phasen unterteilt, deren Umfang der Spieler individuell mit seinen Aktionskarten bestimmen kann. Von zwei bis fünf Zügen bieten ihm seine vier Karten unterschiedliche Möglichkeiten, wobei man immer den kompletten Kartensatz einmal eingesetzt haben muss, bevor man wieder aus dem Vollen schöpfen darf. Eine komplette Runde besteht also aus vier Phasen mit jeweils anderer Anzahl von Aktionen.

Nachdem man also seine Aktionskarte ausgespielt hat, setzt man die darauf abgebildeten Aktionspunkte nun für die verschiedenen Handlungsalternativen ein. Mit einem Aktionspunkt kann man zum Beispiel eine bislang noch verdeckte Halle erkunden. Dies ist genau dann möglich, wenn einer der Helden in direkter Nähe zu einer umgedrehten Hallen-Platte steht. Wer sich für diese Option entscheidet, nimmt nun alle Plättchen von der großen Platte, wendet sie, fügt sie anschließend wieder ins Labyrinth ein und verteilt die darauf abgelegten Plättchen nach seiner freien Entscheidung auf einem leeren Spielfeld.

In jeder Halle befindet sich ein Feld mit dem sogenannten Rotations-Mechanismus. Wer diesen speziellen Punkt betritt, kann für einen weiteren Aktionspunkt nun die Halle einmal um 90 Grad drehen, muss sich allerdings dabei an die Pfeilrichtung halten. Es ist also möglich, dass aus einer nötigen 90 Grad-Drehung unfreiwillig eine Drehung um 270 Grad wird, weil der Pfeil nicht die erwünschte Richtung aufweist. Weiterhin kann man auch andere Hallen von einem Punkt aus drehen, der sich nicht in der zu drehenden Halle befindet. Jeweils zwei Hallen sind mit einer Ziffer verbunden. Betritt man den Rotations-Mechanismus, kann man nun Hallen mit derselben Ziffer auch aus einer größeren Entfernung bewegen.

Die mitunter wichtigste Aktion ist natürlich die Bewegung der Figuren. Jeder Charakter hat einen individuellen Bewegungswert, um den man ihn für jeweils einen Aktionspunkt fortbewegen darf. Dabei muss man Sonderbedingungen wie etwa Gitter und Gruben beachten, die man nur mit speziellen Gegenständen öffnen bzw. überqueren darf oder in der Gestalt einer Person, deren Spezialfähigkeit es ist, solchen Hindernissen zu trotzen. So kann der Krieger beispielsweise Gitter zerstören, während die Diebin sich elegant über Gruben bewegt. Gleich ist jedoch allen, dass sie auf manchen Feldern ihren Zug nicht beenden dürfen und nicht durch feindliche Charaktere hindurchziehen können. Außerdem gilt die goldene Regel, dass sich am Ende eines Zuges jeweils nur eine Figur und ein Plättchen oder aber zwei Plättchen auf einem Feld befinden dürfen.

In manchen Situationen werden die Helden in einen Kampf hineingezogen. In diesem Fall setzen sie ihre festgelegte Kampfkraft ein und erweitern ihre Fähigkeiten mit den Kampfkarten der Spieler, die gleichzeitig aufgedeckt, dann verglichen und schließlich bewertet werden. Der Spiele mit der höheren Summe aus Karten und genereller Kampfkraft gewinnt das Gefecht und verletzt den Kontrahenten. Dieser ist jedoch noch nicht völlig zerstört und könnte sich vom Kleriker seines Teams heilen lassen. In einem weiteren Kampf wäre er seinem Gegner aber fast schutzlos ausgeliefert, weil seine Kampfkraft fortan gleich null ist und nur noch Karten eingesetzt werden dürfen. Verletzten Figuren kann man auch problemlos Gegenstände rauben, weil sie gegen derartige Überfälle machtlos sind.

Eine letzte Möglichkeit für die Verwendung eines Aktionspunkts ist der Einsatz von Spezialgegenständen und –kräften. Mit dem Trank der Schnelligkeit kann man zum Beispiel für den Preis eines Aktionspunkts vier weitere Aktionen mit der gleichen Figur erkaufen, was besonders in brenzligen Situationen äußerst hilfreich ist. Der Magier hingegen kann den Feuerballstab einsetzen, um einen Gegner ohne langen Kampf zu vernichten, muss dafür aber auch einen vergleichsweise günstigen Aktionspunkt zahlen. Der Troll kann sich für diesen Einsatz selber regenerieren, die Wandläuferin durchquert hierfür Wände, der Kleriker hat heilende Hände, der Mechanork kann als Einziger die Halle rotieren lassen und der Krieger zerstört mit nur einem Aktionspunkt ein Gitter. In entscheidenden Situationen ist man also auf Spezialeigenschaften dringend angewiesen.

Im weiteren Verlauf bahnen sich die beiden Heldenteams nun einen Weg durch das düstere Labyrinth, das Tageslicht immer im Visier, doch ebenso die feindlichen Schergen. Das Spiel ist genau dann zu Ende, wenn ein Spieler fünf Siegpunkte, ganz egal wie, erreicht hat. Er ist gleichzeitig der Gewinner des Spiels.

_Meine Meinung_

„Dungeon Twister“ war mir bereits auf den Tischen der |Spiel ’06| mehrfach aufgefallen, zumal die einzelnen Aufbauten auch stetig von interessierten Besuchern frequentiert und besetzt wurden, die im Nachhinein nur Gutes über das Spiel zu berichten wussten. Dies im Hinterkopf, aber dennoch mit etwas Skepsis wegen des simplen Spielmaterials wurde „Dungeon Twister“ nun auch auf dem hiesigen Tisch einem abendfüllenden Test über gleich fünf Partien unterzogen, bei dem der Schwierigkeitsgrad von Runde zu Runde durch geänderte Bedingungen erhöht wurde. Und siehe da: Alle verbliebenen Zweifel waren in Windeseile vergessen, denn die kurzweilige Reise durchs Labyrinth ist nicht nur sehr spannend aufgebaut, sondern liefert auch allerhand Spielraum für verwegene Taktiker und Tüftler, so dass mal wieder unzählige Wege zum Sieg führen können.

Schon mit der Startaufstellung beginnt die Strategieschlacht, die zwar thematisch nicht dringend einem Fantasy-Szenario unterliegen müsste, sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen aber problemlos eine (in dieser Form) nicht erhoffte Atmosphäre aufbaut, die wiederum in erster Linie Fans des |Fantasy Flight|-Katalogs ansprechen sollte – auch wenn hier mit Material nicht gerade geklotzt wird.

Das Potenzial des Titels begründet sich vorwiegend auf dem kurzweiligen, temporeichen Aufbau und dem strategiebetonten Variantenreichtum, welchen dieses knapp bestückte Abenteuerspiel trotz des knapp bemessenen Inhalts auf alle Fälle vorweisen kann. Kein Spiel gleicht dem vorherigen, unter anderem, weil die Hallen-Platten jedes Mal wieder anders angeordnet sind, und weil man nie so recht weiß, was einen als nächstes erwartet – das weiß man selbst bei der recht geringen Menge von gerade mal acht Platten nicht –, bleibt der Streifzug der Helden durch den „Dungeon Twister“ bis zuletzt spannend und abwechslungsreich.

Damit bedienen |Pro Ludo| vor allem eine Sparte, die bislang nur mit monströsen Epen verwöhnt wurde, die an einem Abend kaum zu bewältigen waren. „Dungeon Twister“ ist ein jederzeit kurzes, schnelles Vergnügen, aber dennoch ideenreich und mit einem umfassenden Taktik-Repertoire ausgestattet. In Frankreich ist der Titel schon seit längerer Zeit mächtig angesagt, aber auch hierzulande erfreut sich „Dungeon Twister“ wachsender Popularität. Nach diesem Intensivtest ist mir auch klar, warum dem so ist. Ich freue mich schon auf die Erweiterungen!

Homepage

Hyung, Min-Woo – Priest – Band 16

[Band 1 1704
[Band 2 1705
[Band 3 1707
[Band 4 1709
[Band 5 1720
[Band 6 2515
[Band 7 2516
[Band 8 2575
[Band 9 2618
[Band 10 2701
[Band 11 2854
[Band 12 3002
[Band 13 3004
[Band 14 3022
[Band 15 3392

_Story_

Windtale wird von einem infernalischen Blutbad heimgesucht. Die finsteren Jünger der Kirche haben einen mächtigen Krieger auf die Erde herabgelassen, um selber Hand an die Ungläubigen anzulegen. Während die Priester Gerechtigkeit predigen, gerät das Szenario im Western-Städtchen immer weiter aus den Fugen. Menschen werden erbarmungslos abgeschlachtet, nicht einmal Kinder werden verschont.

Mehr denn je zuvor gerät die Welt an diesem anrüchigen Fleck zum Schauplatz von Gewalt, Chaos und Perversion, und kaum einer scheint die Kraft zu haben, sich den Glaubensbrüdern des Christentums zu widersetzen. Ihr verdorbener Machtanspruch droht das gesamte Volk auszurotten. Doch ein rachsüchtiger Indianer und ein kaum zu bändigender weiterer Priester nehmen das Ruder in die Hand und üben inmitten des anarchischen Treibens Selbstjustiz. Aber Temozarela und seine Anhänger kennen kein Erbarmen, denn seine Interpretation von Gottes Worten verlangt nach einer Sprache, deren Akzent mit Blut gefärbt ist.

_Meine Meinung_

In der brandaktuellen Ausgabe der gefeierten Manhwa-Horror-Serie geht es brutal wie selten zur Sache. Wurde in einigen der letzten Bände das Übermaß an Gewalt und Brutalität schon sehr kritisch betrachtet und auch skeptisch in die Gesamtwertung übernommen, so läuft das Fass mit Band 16 nun endgültig über. Spätestens nach dem blutigen Szenario der ersten Taschenbuchhälfte wäre es angebracht, die Jugendfreigabe zu entziehen und die bedenklichen und fast schon gewaltverherrlichenden Zeichnungen zu entschärfen. Fans des Splatter-Genres werden da vielleicht anderer Meinung sein, aber irgendwann wird der Rahmen diesbezüglich dann doch gesprengt, und dies ist genau jetzt der Fall.

Problematisch ist diese Angelegenheit schließlich auch in zweierlei Hinsicht. Autor Min-woo Hyung erzählt die Geschichte des verzweifelten Priesters Ivan Isaacs nämlich trotz der offenkundigen Dokumentation eines immensen Schlachtfests in ähnlich zügigem Tempo weiter, was gerade deshalb schwierig ist, weil man zwischen all den blutigen Kämpfen kaum ausmachen kann, wer nun alles beteiligt ist und wie sich das Gefecht zwischen Gottes Vertretern auf Erden und dem hilflosen Völkchen von Windtale weiterentwickelt. Zwar hebt er einige Zeichnungen sehr markant vor und betont damit die einzelnen Wendepunkte der Handlung, doch weil hier einige Skizzen recht unscharf geraten sind, entstehen besonders in der ersten Hälfte von „Priest 16“ einige vermeidbare Verständnisprobleme, die bei einem geringeren Blutvolumen sicher aufgelöst wären.

Insofern ist die Einleitung des großen Finales zumindest in der Umsetzung leicht missglückt. Dass es nicht gerade zimperlich zugehen würde, war zu erahnen, aber weil der Initiator hier beinahe ausschließlich Wert auf eine äußerst umfassende Darstellung der Gewaltszenen legt und somit die Prioritäten zu Ungunsten einer fließenden Handlung verschiebt, kann man diese deutliche Überstrapazierung selbst als treuer Fan nicht unkritisch verkraften. Schade ist dies besonders deswegen, weil sich im Hintergrund (fast schon unbemerkt) elementare Dinge abspielen, so zum Beispiel der Tod unzähliger entscheidender und bis dato prägender Gestalten. Aber auch das Ende von Netraphim verkommt im letzten Drittel schon fast zur Nebensache, weil der Leser noch immer mit der Verarbeitung des Blutbads beschäftigt ist. So viel zur ungünstigen Umgewichtung.

Anders als bei den letzten Ausgaben bin ich dieses Mal also nicht besonders zufrieden mit dem weiteren Verlauf der Geschichte. Hyung hat viele Elemente über einen langen Zeitraum aufgebaut und zerstört den tollen Spannungsbogen hier teilweise in einem kaum endenden Gemetzel. Wenn dies der Weg ist, den „Priest“ gehen muss, kann man das tolerieren. Aber ob die permanent wachsende Fangemeinde sich mit dieser Entwicklung einverstanden erklärt, steht noch auf einem ganz anderen Blatt.

Die Verfilmung von „Priest“ befindet sich derzeit in der Vorabproduktion. Regie wird Andrew Douglas führen („The Amityville Horror“), Gerard Butler („300“) und Steven Strait (Roland Emmerichs „10.000 B.C.“, „The Covenant“) sollen Hauptrollen übernehmen, zu den Produzenten gehört Sam Raimi („Spider-Man 1-3“, „Schneller als der Tod“).

http://www.tokyopop.de

Genazino, Wilhelm – Mittelmäßiges Heimweh

Es ist Fußballeuropameisterschaft, und Deutschland befindet sich angesichts des bevorstehenden Spiels gegen Tschechien im Ausnahmezustand. Jeder Fußballfan fiebert dem spannenden Spiel entgegen, und auch unser Roman(anti)held Dieter Rotmund schaut sich das Fußballspiel in einer überfüllten Kneipe an. Doch das Getümmel wird ihm fast zu viel: Während er noch überlegt, ob er nicht doch lieber nach Hause gehen soll, erblickt er unter dem Tisch im Dreck sein eigenes Ohr liegen. Zunächst denkt er darüber nach, ob er sich das Ohr in einem unbemerkten Moment schnappen und damit verschwinden soll, doch dann kann er sich doch nicht überwinden, das abspenstige Körperteil vom schmutzigen Fußboden aufzuheben, und beschließt, lieber sein Haar über die kahle Stelle zu legen und sich später eine Ohrklappe zuzulegen.

Aber mit dem Ohr alleine ist der Verfall Rotmunds noch nicht abgetan: Seine Ehe steht auf der Kippe, eigentlich hat er Edith nichts mehr zu sagen, doch seiner Tochter zuliebe fährt er an den Wochenende nach Hause in den Schwarzwald, um die Familienfassade aufrechtzuerhalten. Edith dagegen tut rein gar nichts mehr für die Ehe, gibt am laufenden Band Geld aus, das die Familie eigentlich gar nicht übrig hat, und gesteht ihrem Mann schließlich, dass sie eine Affäre hat und von ihm nichts mehr wissen will.

So ist es also nicht nur Rotmunds Körper, der langsam aber sicher zerfällt, obwohl er doch erst Anfang 40 ist, auch in seinem Privatleben geht es rauf und runter – allerdings eindeutig mehr runter als rauf. Dafür erwartet Rotmund im Berufsleben ein überraschender Aufschwung, denn unverhofft wird er zum Finanzdirektor seiner Firma befördert, obwohl eigentlich jemand anderer für den Job viel besser geeignet wäre, wie sowohl Rotmund als auch besagter Kollege sehr genau wissen.

Eine Zufallsbekanntschaft ist es, die Rotmund so etwas wie „Liebesglück“ beschert, da ist nämlich die geheimnisvolle Frau Schweitzer – seine Vormieterin -, die noch ein paar Sachen aus dem Keller abholen möchte, die sie beim Auszug nicht mitgenommen hat, die Rotmund bislang aber noch gar nicht aufgefallen waren. Nach einer kurzen Phase der Annäherung landen die beiden im Bett, aber da Frau Schweitzer den Eindruck macht, als brauche sie Geld, legt ihr Rotmund nach jedem Geschlechtsverkehr Geld hin, bis sie eines Tages verschwindet und Rotmund sich auf den Weg macht, sie zu finden …

Wilhelm Genazinos Protagonisten sind Antihelden meist männlichen Geschlechts und mittleren Alters – so auch hier. Wir begegnen Dieter Rotmund, der mit seinem Job nicht ganz zufrieden scheint und den Geldsorgen plagen. Seine Frau Edith gibt so viel Geld aus, dass er sich die Bahnfahrkarte am Wochenende nicht leisten kann und lieber im völlig überfüllten Zug vor der Toilette steht, um in diese verschwinden zu können, sobald die Fahrscheinkontrolle droht. Aber als er in einer lauten Kneipe sein Ohr verliert, ist er auch offensichtlich „geschädigt“ und fühlt sich plötzlich nicht mehr komplett. Zunächst kaschiert er sein fehlendes Ohr mit einer Ohrklappe, doch irgendwann lässt er diese einfach weg und geht vermeintlich selbstbewusst seines Weges. Als ihm im Schwimmbad aber plötzlich noch ein kleiner Zeh abhanden kommt, ist das Gejammer sogar noch größer als beim Ohr. Rotmund spürt, dass etwas mit ihm und seinem Leben passiert, will aber die Zeichen nicht erkennen. Nach und nach zerbricht sein Leben, trotzdem macht er weiter, als sei nichts geschehen.

Seine Trauer und sein eigenes verkorkstes Leben kaschiert Rotmund durch die genaue Beobachtung fremder Menschen, an deren Leben er stichpunktartig teilhaben kann, wenn er kleine Situationen beobachten und miterleben kann. Diese Momente sind es, in denen er seinen eigenen Kummer übertönen kann und in denen mehr die Gefühle und kleinen Katastrophen der anderen Menschen zählen. Rotmund flieht vor sich, seinem eigenen Leben und seinen Problemen.

Und auch wenn es merkwürdig anmuten mag, wenn eine Romanfigur nach und nach einzelne Körperteile verliert, so passt es doch zum Buch und Genazinos Antihelden, der auch für andere sichtbar verfällt und sich nicht mehr vollständig fühlen kann. Ihm fehlt etwas, aber es ist nicht nur das Ohr und es ist nicht nur der Zeh, sondern es sind auch Familie, (Lebens-)Glück und Zufriedenheit. Selbst über die unverhoffte Beförderung kann er sich nicht so recht freuen, er denkt vielmehr darüber nach, dass jemand anderer in der Beförderungskette eigentlich vor ihm gestanden hätte.

Rotmund kann nicht einmal Erfolge feiern, stattdessen erscheint er uns resigniert und seinem eigenen Leben gegenüber teilnahmslos. Als er eines Abends zu einer Prostituierten geht und bemerkt, dass sie ihn mit einem billigen Trick um den „richtigen Geschlechtsverkehr“ bringen will, lässt er dies geschehen und sieht es stattdessen als Wink des Schicksals, als ebendiese Prostituierte ihm zu viel Wechselgeld gibt, sodass sein kleines Abenteuer ihn im Endeffekt nichts gekostet hat.

In bestechender Treffsicherheit bringt uns Wilhelm Genazino ein weiteres Mal seinen Antihelden und seine gesamte Umgebung näher. Kaum jemand kann Menschen so genau beobachten und ihre gesamte Persönlichkeit sezieren wie Genazino durch die Worte seines Protagonisten, aber auch kaum ein Schriftsteller lässt so hoffnungslose Charaktere auf den Plan treten wie eben Genazino. Und genau hier liegt seine Besonderheit.

Wir lernen einen eigentlich ganz alltäglichen Menschen kennen, der aber trotz (oder vielleicht auch wegen) seiner Alltäglichkeit gerade so besonders wird. Es sind die kleinen Eigenarten und die kleinen Katastrophen, die diesen Menschen zu etwas Besonderem und auch Interessantem machen. Wie immer passiert auf der Inhaltsebene bei Genazino nicht sonderlich viel; er konzentriert sich ein weiteres Mal auf eine überaus genaue Charakterzeichnung, die seinen Helden als Menschen aus Fleisch und Blut – wenn auch ohne Ohr – erscheinen lässt. Und damit dürfte er seine Fans wieder einmal glücklich gemacht haben.

Unter dem Strich ist „Mittelmäßiges Heimweh“ wieder ein „typischer Genazino“, der von seiner gelungenen Figurenzeichnung, der feinen Sprache und seinen Beobachtungen lebt, die jede noch so winzige Kleinigkeit festhalten und zu etwas ganz Besonderem machen. Verglichen mit der [„Liebesblödigkeit“ 999 schneidet Genazinos aktuelles Werk vielleicht etwas schlechter ab, einfach weil die Rahmengeschichte mich nicht so sehr gepackt hat wie bei seinem letzten Buch, aber Genazino kann an so vielen anderen Stellen punkten, dass er mich erneut nach dem Lesen des Buches tieftraurig zurückgelassen hat – einmal, weil das Buch bereits ausgelesen war, aber auch weil Genazino mir in beeindruckender Weise das traurige Schicksal seines Helden vor Augen geführt und mich damit tief berührt hat. Wilhelm Genazino ist und bleibt einfach etwas Besonderes!

http://www.hanser-verlag.de/

May, Karl – Winnetou III (Europa-Originale 29)

_Besetzung_

Old Shatterhand (Erzähler)- Michael Poelchau
Winnetou – Konrad Halver
Stephan Moody – Curt Timm
Bandit – Hans Meinhardt
Daniels – Rudolf Fenner
Hillmann – Albert Johannes
Farell – Rolf Jahnke
Payne – Horst Stark
Santer – Peter Folken
Pida – Hans König
Tangua- Josef Dahmen
Eine Feder – Konrad Mayerhoff

_Story_

Old Shatterhand wird Zeuge eines Überfalls auf eine Eisenbahn, der von Indianern und Weißen gemeinsam durchgeführt wird. Unbemerkt beobachtet er die Ereignisse und berichtet Winnetou kurze Zeit später vom skrupellosen Vorgehen der Verbrecherbande. Zusammen machen sie sich an die Verfolgung und erfahren dabei, dass die Gauner als nächstes eine Eisenbahnstation berauben wollen.

Die dort arbeitenden Männer sollten zur Tatzeit noch damit beschäftigt sein, den Schaden des jüngsten Überfalls zu begrenzen, so dass die Station leichte Beute wäre. Die beiden Blutsbrüder versuchen den Dieben zuvorzukommen und die Arbeiter zu warnen. Außerdem hinterlassen sie eine Nachricht für die bereits ausgezogenen Männer, die auf dem Weg zur erstürmten Eisenbahn sind, in der Hoffnung, diese mögen in ihre Heimat zurückkehren und bei der Verteidigung Unterstützung bieten. Als die beiden schließlich in der Station eintreffen, merken sie jedoch, wie aussichtslos ihr Vorhaben scheint. Zahlenmäßig komplett unterlegen, müssen sie sich den Gaunern stellen – und enden in einer furchtbaren Tragödie.

_Meine Meinung_

Wie auch schon der zweite Teil der „Winnetou“-Trilogie, so wird auch Folge 3 des ursprünglich zweiteiligen Originals als Doppelepisode neu aufgelegt, so dass Nr. 29 der |Europa|-Originale quasi Überlänge hat. Dies war aber auch dringend erforderlich, um die teils recht emotionalen Ereignisse der Schlussepisode adäquat wiederzugeben und die finale Tragödie gebührend zu umschreiben.

Wie sicherlich allen bekannt ist, bedeutet „WInnetou III“ nicht nur das Ende der Reihe, sondern auch das Aus für den Protagonisten und Namensgeber, der in einem tapferen Kampf sein Leben lässt. So wird das letzte gemeinsame Abenteuer der literarischen Gallionsfiguren Old Shatterhand und Winnetou auch im Hörspiel mit wachsender Dramaturgie und Spannung erzählt, wobei dieses Mal die eigentliche Handlung hinsichtlich ihrer Priorität auf einer Stufe mit der engen Beziehung zwischen den beiden Helden steht.

Hörspiel-Regisseur Konrad Halver hat nicht bloß stringent die Story weiterlaufen lassen, sondern einige bewegende Passagen eingestreut, die aufgrund manch dröger Sprecherleistung zwar nicht immer denselben Effekt entfacht wie meinetwegen die berühmte Verfilmung mit Pierre Brice, aber immer noch sehr ansprechend und berührend gestaltet wurde. Besonders die Stelle, an der Old Shatterhand die letzten Worte seines geliebten Freundes in seinem Abschiedsbrief liest, geht unter die Haut und zeigt (ebenfalls trotz der eher bescheidenen gesprochenen Passagen) ansprechenden Tiefgang, wie man ihn teilweise in den May-Hörspielen vermisst hatte.

Die Geschichte selber ist zudem die bislang spannendste innerhalb des Dreiteilers. Old Shatterhands Jagd auf die Eisenbahndiebe wird im Hörspiel aus der Sicht des Protagonisten, der ja auch gleichzeitig die Rolle des Erzählers übernimmt, sehr schön erzählt, wobei ihm auch die einzige makellose Sprecherleistung attestiert werden kann. Sowohl die Stimmungen der Handlung als auch den gelungenen Spannungsaufbau kann Michael Peolchau auf seine Kappe nehmen, wobei der anschauliche Aufbau des Plots ihm natürlich zugute kommt. Das traurige Finale bildet schließlich den Höhepunkt in der überraschend freien Interpretation von Mays wohl bekanntester Geschichte und bringt das Hörspiel schließlich auf ein Level, das abgesehen von manch eher gelangweilt erscheinender Stimme zweifellos das Publikum des berühmten Schriftstellers zufrieden stellen sollte.

Letztendlich hat Halver es so geschafft, die beiden Legenden Winnetou und Old Shatterhand mit einer gebührenden Produktion zu würdigen. Die Neuauflage aus der dritten Staffel der |Europa|-Originale ist dementsprechend allemal eine Empfehlung wert, und dies nicht nur, wenn man sich bereits zu Karl May bekannt hat.

http://www.natuerlichvoneuropa.de

Steines, Jan Christoph (Redaktion) – Arcana Cthulhiana

|Warnhinweis:

Die in diesem Buch beschriebenen Rituale und Zauber funktionieren nicht. Sollten sie doch ausprobiert werden, übernehmen wir für eventuelle entstehende Schäden keine Haftung.

Bei der Produktion dieses Buches kamen weder Menschen, Tiere noch Bücher zu Schaden; kein Grab wurde geschändet und kein Kunstwerk beschädigt.|

_Allgemein_

Die „Arcana Cthulhiana“ ist sozusagen das „Magie-Kompendium“ für das „Cthulhu-Rollenspiel“. Darin enthalten sind über 230 Zauber, die für Lovecraft’schen Schrecken sorgen sollen. Die Aufmachung des Bandes ist wieder einmal tadellos gelungen und wie immer einfach klasse.

_Cthuloide Magie vs. Magie in der normalen Fantasy_

Cthuloide Magie ist anders als jene, die man aus anderen Rollenspielen kennt. Bei typischen Fantasy-Romanen oder Rollenspielen ist der Zaubernde in der Lage, die Magie zu kontrollieren und dadurch immer stärker zu werden, ohne dabei körperlichen oder seelischen Schaden zu nehmen. Anders ist dies bei „Cthulhu“, denn diese Magie schadet ihrem Anwender, indem sie ihn über kurz oder lang den Verstand kostet. Hier beherrscht die Magie den Zaubernden, nicht umgekehrt. Einzige Ausnahme ist das pulpige „Der Hexer von Salem“-Setting in dem die Spieler die Magie gefahrloser anwenden können.

Was ergibt sich daraus? Nun, zum einen ist die cthuloide Magie für die Spieler weniger von Bedeutung als für den Spielleiter, da die Zauber weniger Mittel zum Zweck sind als vielmehr der Aufhänger für ganze Abenteuer. Eben dies wird in diesem Quellenband auch schon zu Beginn sehr logisch und eindrücklich klargemacht.

_Inhalt_

Ein Großteil des Buches befasst sich natürlich mit den über 230 Zaubern. Wer aber jetzt langweilige Tabellen erwartet, wird zum Glück enttäuscht, denn um die einzelnen Kapitel herum werden immer recht unterhaltsame Geschichten gesponnen, was den Lesespaß im Gegensatz zu manch anderem Magiekompendium deutlich steigert. Auf über 120 Seiten werden die Zauber nach folgendem Schema unterteilt: Wirkung, Kategorie, Zuordnung, Zaubernde, Kosten, Art, Zauberdauer, Wirkungsdauer, Zauberort, Reichweite und Ritual. Unter „Ritual“ wird die Auswirkung des Spruches geschildert. Diese gibt dem Spielleiter teilweise mehrere Ansätze zur Beschreibung der Auswirkungen, welche die Zauber verursachen.

Bevor man allerdings zur Aufzählung der einzelnen Sprüche kommt, wird ein Überblick über die Magie und Religion in der Geschichte geboten. Sehr interessant ist hier der Aufbau, denn er wird in Form eines Briefwechsels verschiedener Wissenschaftler dargestellt. Dies vermittelt nicht nur das Gefühl, mittendrin zu sein, sondern der Wiedererkennungswert der Wissenschaftler ist relativ hoch. So dürfte viele etwa Dr. Helmut Walden aus dem Abenteuer „Chaugnar Faugns Fluch“ kennen. Allgemein ist es dem Autorenteam wieder einmal gelungen, den Eindruck zu wecken, man blättere tatsächlich in einem arkanen Folianten. Daher ist wohl auch obiger Warnhinweis notwendig geworden, was für die Qualität des Bandes spricht.

Die Bereiche „Magie und Schamanismus“, „Die Kabbala und die Sprache der Götter“, „Von mittelalterlichen Alchimisten der Magie“ und „Voodoo“ zeigen ebenso die magischen Traditionen der verschiedener Völker und Zeiten sehr interessant und aus verschiedenen Blickwinkeln auf, so dass sie schon den pseudowissenschaftlichen Eindruck vermitteln, der bei „Cthulhu“ so beliebt ist. Man könnte fast schon sagen, „Cthulhu“-Quellenbänder zu lesen bilde den Verstand. Darauf folgt mit „Magische Orte oder Splitter der Hölle“ noch eine Beschreibung verschiedener magischer Stätten in Deutschland.

_Mein Eindruck_

… ist wieder einmal fast durchgehend positiv. Einzig die Beschreibung der magischen Stätten hätte noch etwas ausführlicher sein dürfen. Aber sonst gibt es wenige Ansätze zur Kritik, denn es macht wirklich Spaß, sich durch diesen Band zu arbeiten. Die verschiedenen Geschichten sind durchweg unterhaltsam, was für reichlich Lesespaß sorgt.

Dem Spielleiter werden zahlreiche wichtige Tipps an die Hand gegeben, wie er die Magie in seine „Cthulhu“-Runde einbringen kann, und wie sich diese auf das Spiel auswirkt. Daher ist dieser Quellenband meiner Meinung nach auch hauptsächlich für Spielleiter geeignet. Besonders wichtig ist auch die Erklärung der Andersartigkeit der cthuloiden Magie im Gegensatz zur üblichen Fantasy-Magie. Wertvoll ist der Band natürlich auch für Spieler des „Der Hexer von Salem“-Settings, da hier deutlich mehr Zauber und Variationen geboten werden als etwa im Grundregelwerk.

_Fazit_

Die „Arcania Cthulhiana“ ist ein sehr gelungener und wichtiger Quellenband für das „Cthulhu-Rollenspiel“. Selbstverständlich ist er für alle Settings geeignet und besonders für das „Hexer“-Setting nahezu unverzichtbar.

http://www.pegasus.de/cthulhu.html

|Siehe ergänzend dazu:|

[CTHULHU Spieler-Handbuch 3512 (zweite Edition)
[CTHULHU Spieler-Handbuch 1744
[CTHULHU Spielleiter-Handbuch 2016
[Expeditionen – Ins Herz der Finsternis 2857
[Chaugnar Faugns Fluch 3010
[Cthulhu Now 3508
[Der Hexer von Salem 2660
[Wenn Engel fallen 2859

Thilliez, Franck – Kammer der toten Kinder, Die

Franck Thilliez gehört zu den bekannten Thrillerautoren in Frankreich und hat dort bereits drei Romane veröffentlicht. In Deutschland ist bis jetzt noch nichts von ihm erschienen, aber das soll sich mit „Die Kammer der toten Kinder“ ändern.

Vigo und Sylvain, zwei arbeitslose Ingenieure, lassen ihre Wut über die Entlassung eines Abends mit Graffitidosen an ihrer alten Arbeitsstätte aus. Auf dem Rückweg beschließen sie, aus Spaß über eine verlassene Industrieanlage zu rasen. Dabei töten sie einen Menschen, der eine Tasche voller Geld bei sich hatte. Aus Angst vor Konsequenzen verstecken sie die Leiche im Sumpf und nehmen das Geld an sich.

Was die beiden nicht wissen: Das Geld war Lösegeld und der Tote der Vater eines kleinen Mädchens, der auf dem Weg zur Übergabe war. Wenig später findet man die Entführte tot auf. Lucie Henebelle, junge Polizistin und alleinerziehende Mutter von zwei Säuglingen, spürt, dass der Mörder nicht einfach nur töten wollte. Er hat die Leiche wie eine Puppe ausgestellt und in ihrem Hals findet sich ein Wolfshaar. Lucie ist sich sicher, dass das erst der Anfang war und tatsächlich verschwindet wenig später ein zweites Kind …

Es verschwindet nicht nur ein zweites Kind – auch Lucie steht auf der Liste der Täter. Zum Leidwesen des Buches, denn das wird sicherlich nicht interessanter, wenn man der Handlung so viele durchgekaute Motive wie möglich hinzufügt. Genau das ist nämlich das Problem von „Die Kammer der toten Kinder“. Viele der Handlungselemente wirken wie aus anderen Thrillern und Krimis zusammengeklaubt, was den Aufbau von Spannung beträchtlich behindert. Wie soll man auch von einer Geschichte gefesselt werden, wenn man sie mehr oder weniger schon kennt?

Und wie soll man eine Handlung verstehen, die an wichtigen Stellen, die normalerweise einen Aha-Effekt für den Leser bringen sollten, versagt? Voreilige Schlüsse sind ein weiterer Fallstrick für „Die Kammer der toten Kinder“. Besondere Ereignisse, wie zum Beispiel die Erkenntnis, wer der Täter ist, wirken an den Haaren herbeigezogen und zaubern dadurch neben einem Ausdruck von leichter Langeweile zusätzlich ein Fragezeichen auf das Gesicht des Lesers.

Ausgerechnet die beiden, von denen man es am wenigsten erwartet hat, bringen das Buch am Ende wenigstens noch ein bisschen in Fahrt. Vigo und Sylvain, die beiden Autofahrer, die im Verlauf der Geschichte immer wieder auftauchen, um von ihrem Umgang mit dem Lösegeld zu erzählen, treffen schließlich auf den Mörder. Dieser will sein Geld zurückhaben, doch die beiden Ingenieure haben andere Pläne. Bis es so weit kommt, langweilen die beiden Männer eher, weil nichts wirklich Relevantes in ihrem Handlungsstrang passiert.

Bei den Personen ist es Lucie, die am meisten hervorsticht, weil sie angenehm frisch wirkt. Die junge Frau ist gerade aus dem Schwangerschaftsurlaub zurückgekehrt und ständig übermüdet, weil die beiden Zwillinge, die sie alleine großzieht, sie auf Trab halten. Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Rolle als Mutter und der Arbeit als Polizistin, was sich vor allem in den wunderbaren selbstironischen Einwürfen zeigt, die sie immer wieder macht. Tatsächlich ist sie eigentlich auch die Person, die der Autor am stärksten ausbaut, obwohl sie nicht wirklich im Mittelpunkt steht.

Thilliez begeht nämlich den Fehler, sich nicht auf eine Perspektive zu konzentrieren, die er besonders hervorhebt, sondern er setzt den Fokus auf mehrere. Dadurch wird Lucie, immerhin die Ermittlerin, etwas erstickt und auch den anderen fehlt der Platz, sich voll zu entfalten. Das ist sehr schade, denn sie hätte das Zeug dazu gehabt, um in dem Buch führend zu sein.

Einfach nur ärgerlich ist die Darstellung der Täter. Wie Titel und Inhaltsangabe des Buches schon andeuten, geht es nicht um einen einfachen Kriminalroman mit einem einfachen Mord. Vielmehr haben wir es (mal wieder) mit einem psychopathischen Mörder zu tun, der im Verlauf des Buches auch als Bestie bezeichnet wird. Auch das ist nicht neu, und ganz ehrlich: Der Markt ist mittlerweile deutlich von Bestien überlaufen, vor allem, wenn sie derart flach und reißerisch dargestellt werden.

Thilliez‘ Schreibstil ist auf der einen Seite durch sehr farbige und lebendige Beschreibungen geprägt, andererseits aber auch wenig überladen. Der Franzose neigt dazu, so viele Infos wie möglich in so viele Nebensätze wie möglich packen zu wollen, was den Lesefluss erheblich stört. Er unterbricht den Detailüberfluss zwar ab und an mit Lucies selbstironischen Gedanken oder gelungenen Bildern wie auf Seite 61 („Staubdiamanten vibrierten in der Luft wie ein wilder Regenschauer“), doch insgesamt tut sich der Schreibstil nicht wirklich hervor.

In der Summe bietet „Die Kammer der toten Kinder“ wenig Überraschungen. Der Plot ist von der Spannung her überschaubar, Charaktere und Schreibe ragen nicht wirklich heraus. Der Psychothriller ist höchstens guter Durchschnitt, obwohl gerade Lucie Henebelle einen schöner Ansatz bietet.

http://www.ullsteinbuchverlage.de

Schulz, Alfred Viktor – Zeitalter der Entdeckungen

_Auf den Spuren der großen Seefahrer_

In „Zeitalter der Entdeckungen“ schlüpfen die Spieler in die Rolle der großen Entdecker und Eroberer. Kolumbus und Magellan erlangten zu jener Zeit im 15. und 16. Jahrhundert Weltruhm und starteten die Zeit der Kolonialisierung gänzlich unbekannter Gebiete, die im neuesten Titel des niederländischen Verlags |Phalanx Games| thematisch aufgegriffen wird.

Es geht darum, Einfluss zu sammeln und ihn an entsprechender Stelle geltend zu machen, Schiffe zu kaufen, neue Kolonien zu erobern. Geld ist dabei der Schlüssel zum Erfolg, denn nur wer auch über großen Reichtum verfügt und ausreichend Handel betreibt, kann sich die nötigen Voraussetzungen schaffen, um überhaupt in See zu stechen. Ein geschicktes Händchen ist gefragt, will man sich im Zeitalter der Entdecker einen Namen machen und viele Siegpunkte sammeln. Wer von Letztgenannten am Ende die größte Anzahl hat, wandelt auf den Spuren von Kolumbus und Co. und geht als Sieger aus dem Spiel hervor.

_Spielmaterial_

• 50 Schiffskärtchen
• 12 Entdeckungsreise-Plättchen
• 24 Handelsauftrags-Karten
• 12 Sonderauftrags-Karten
• 12 Aktions-Karten
• 88 Markierungssteine in vier Farben
• 60 Münzen
• 1 Wertungstafel
• 1 Regelheft

Das Spielmaterial von „Zeitalter der Entdeckungen“ ist rein grafisch mit viele Liebe zum Detail und auch äußerst farbenfroh gestaltet worden, lässt aber gerade für ein dauerhaftes Spielvergnügen die erforderliche Stabilität vermissen. Zumindest die Entdeckungsreise-Plättchen, die lediglich aus dünnem Karton ausgestanzt sind, könnten doch schon ein bisschen robuster sein. Und auch die Wertungstafel, ebenfalls aus diesem Karton, wirkt diesbezüglich recht uninspiriert und zudem auch noch unübersichtlich im Bezug auf ihren Aufbau.

Davon abgesehen, sind die Spielmittel extrem zweckdienlich aufgebaut und leicht zu händeln, was letztendlich auch der wichtigste Aspekt ist. Aber Stabilität als entscheidendes Merkmal hätten den Gesamteindruck sicherlich noch deutlicher verbessert.

_Ziel des Spiels_

In „Zeitalter der Entdeckungen“ geht es darum, viele Kolonien zu besetzen und dabei ein Höchstmaß an Siegpunkten zu erreichen. Innerhalb zwei unterschiedlicher Wertungen bekommen die Spieler ebenso Punkte wie über den Sonderauftrag und alle Schiffe, die zum Ende des Spiels nicht für Kolonien oder Handelsaufträge verplant wurden. Die Summe dessen ergibt die endgültige Siegpunktzahl, die schließlich über Sieg und Niederlage entscheidet.

Allerdings gilt es stetig zu taktieren. Viele Kolonien zu Beginn scheinen lukrativ. Doch solange das Geld nicht fließt und man keine Schiffe für den Handel einsetzt, wird man am Ende kaum noch die finanziellen Möglichkeiten haben, um überhaupt die Kolonialisierung zu forcieren. Der bestmögliche Mittelweg ist gefragt, und den zu finden, ist gar nicht mal so einfach.

_Spielvorbereitung_

Als Erstes wird das Spielmaterial auf dem Tisch verteilt: Die Entdeckungsreise-Plättchen werden nach dem Wert sortiert und so ausgelegt, dass unter ihnen noch Raum für die später angelegten Schiffe bleibt. Die Schiffe werden in fünf Reihen mit jeweils zwei Schiffen gelegt; die verbleibenden Schiffe werden in fünf Stapel unterteilt, wobei im dritten und fünften Stapel die Karten für Zwischen- und Schlusswertung eingemischt werden. Die Handelskarten bilden ebenfalls einen Stapel, neben dem vier Karten offen ausliegen.

Nun bekommt jeder Spieler die Markierungssteine in seiner Farbe, einen Joker und sechs Münzen. Zusätzlich wird noch ein Sonderauftrag ausgeteilt, dies jedoch abhängig von der Spielerzahl.

_Spielaufbau_

Jeder Spieler kann zwischen vier alternativen Handlungsmöglichkeiten wählen, aus denen er maximal zwei verschiedene wählen kann. Zur Wahl stehen:

• zwei Münzen nachziehen
• einen Handelsauftrag erwerben
• Schiffe kaufen
• Schiffe an Entdeckungsreisen und Handlungsaufträgen anlegen

Entscheidet sich der Spieler dafür, Münzen nachzuziehen, nimmt er lediglich zwei aus der Auslage auf die Hand. Er oder sie kann dies pro Spielzug aber ebenso wie die übrigen drei Alternativen nur einmal pro Runde machen. Wer einen Handelsauftrag erwerben möchte, benötigt Schiffe mit einem Ladevolumen, das dem des Handelsauftrags entspricht, und nimmt diesen vom offenen Stapel weg.

Es empfiehlt sich, direkt danach auch Schiffe an den Handelsauftrag anzulegen. Die Schiffe platziert der jeweilige Spieler nun auf der Auftragskarte, wobei noch zu beachten ist, dass sich die Farbe von Schiffen und Auftrag gleichen muss. Jedes verwendete Schiff erfordert Einsatzkosten von genau einer Münze. Gegebenenfalls kann man noch einen Joker oder eine der Auftragskarten einsetzen, die erlauben, ausnahmsweise auch eine andere Farbe zu verwenden.

Ist dies geschehen, überlegt man, über wie viele Runden man den Handelsauftrag ruhen lässt. Bis zu drei Runden ist dies möglich, wobei eine längere Ruhezeit auch einen höheren Ertrag erbringt. Jede Runde zieht man nun einen Markierungsstein auf der Skala auf dem Handelsauftrag weiter, bis man schließlich zur Kasse bitten darf. Die Schiffe bekommt man danach wieder zurück auf die Hand, den erfüllten Auftrag nimmt man ebenfalls an sich, da er später bei der Wertung noch für den Sonderauftrag von Bedeutung sein könnte. Dies wird allerdings auch separat noch einmal auf der Wertungstafel dokumentiert. Währenddessen ist auch die vakante Stelle neben dem Stapel mit den Handelsaufträgen wieder aufgefüllt worden.

Entscheidet man sich dafür, ein Schiff zu kaufen, wählt man eine der fünf Schiffsreihen aus und kauft das unterste der beiden Schiffe. Anschließend wird diese Reihe aufgefüllt bzw. verschoben, und falls nun noch genügend Geld übrig ist und Interesse besteht, kann man auch noch eines oder mehrere Schiffe aus dieser Reihe kaufen. Irgendwann wird dabei auch die Karte mit der Zwischenwertung gezogen. Ist dies der Fall, kommt jeder Spieler noch einmal zum Zug, bevor dann die Wertung stattfindet.

Seine Schiffe auf Entdeckungsreise zu schicken, ist die wohl beste Quelle für Siegpunkte. Es gibt insgesamt 12 verschiedene Plättchen mit verschiedenen Reisen, die jedoch unterschiedlich lukrativ sind. Es gibt Reisen mit Ladevolumen zwischen 3-8, wobei größeres Volumen auch mehr Siegpunkte bedeutet. Und auch hier ist es wichtig, dass die Farben von Entdeckungsreise und Schiffen stimmig sind, denn für eine derartige Harmonie gibt es mehr Siegpunkte.

Dennoch ist man zunächst frei in der Wahl, welches Schiff man als erstes an einer Entdeckungsreise teilnehmen lässt. Erst später, wenn bereits ein Schiff auf einem Plättchen abgelegt wurde, müssen sich alle später platzierten Schiffe danach richten, es sei denn, man verwendet eine Aktionskarte, die freie Farbwahl gestattet. Doch gemeinhin gilt pro Plättchen, dass das erste Schiff die Richtlinie vorgibt. Egal wie man sich hierbei entscheidet, muss man auch pro Schiff eine Münze als Kostenpunkt entrichten.

_Die Wertungen_

Im Spiel gibt es zwei Wertungen von unterschiedlicher Bedeutung. Während in der Zwischenwertung lediglich die Plättchen mit den Entdeckungsreisen gewertet werden, gibt es in der Schlusswertung Punkte für selbige, für den Sonderauftrag und für alle Schiffe, die man noch auf der Hand hat.

_Spielende_

Sobald die Karte mit der Schlusswertung aufgedeckt wurde, ist jeder Spieler noch genau einmal an der Reihe. Anschließend verfährt man mit dem Zählen nach den drei Wertungskriterien, vergleicht die Siegpunkte miteinander, vergisst dabei den Sonderauftrag nicht und ermittelt schließlich den Sieger, der natürlich der- oder diejenige mit den meisten Siegpunkten ist.

_Meine Meinung_

„Zeitalter der Entdeckungen“ ist ein wirklich nettes, leicht verständliches Strategiespiel, das zwar vom thematischen Aspekt her sehr freizügig interpretiert wurde (die Parallelen zur Seefahrt und deren Helden sind nun mal nur durch die Verwendung von Schiffen gegeben), allerdings wegen der netten grafischen Aufmachung und des hohen Spieltempos immer noch sehr viel Spaß macht. Hatte man nach der recht umständlich formulierten Spielanleitung noch befürchtet, es handele sich hierbei um ein unnötig komplexes Spiel, ist man geradezu verblüfft, wie simpel die Abläufe im Spielsystem sind, muss dabei aber auch mehrfach feststellen, dass sich diese Simplizität nicht auf die Entscheidungsfindung in den einzelnen Spielzügen übertragen lässt.

So schlicht nämlich das Prinzip, so verfuchst ist jedes Mal wieder die Frage, welche der vier alternativen Handlungsmöglichkeiten man in seinen zwei erlaubten Spielzügen pro Runde wahrnimmt. Geld nachzuziehen, ist dabei fast immer wichtig, denn ohne Geld funktioniert im „Zeitalter der Entdeckungen“ gar nichts. Doch mit zwei Münzen pro Runde kommt man nicht weit, so dass man flugs zusehen sollte, erste Handelsaufträge zu erwerben, denn durch sie kommt man mit einem Mal an größere Beträge. Hierzu sind aber Schiffe notwendig, und die kosten wiederum auch Geld, wobei man manchmal auch noch ewig lange warten muss, bis die benötigten Farben verfügbar sind.

Und an dieser Stelle hakt das Spiel ein wenig, denn wer versucht, ein wenig zu spekulieren, oder sogar auf ein bestimmtes Schiff angewiesen ist, kann gerade im Spiel zu viert oft das Pech haben, dass ihm die erforderlichen Schiffe vor der Nase weggenommen werden. Es besteht zwar die Möglichkeit, sich zweimal pro Spiel ein Schiff zu reservieren, doch ist diese Möglichkeit bei so mancher Frustration dennoch recht unbefriedigend und hemmt den Fluss des Spiels an einigen Stellen schon einmal entscheidend.

Darauf bezogen ist es aber auch gut und schön, dass man nicht so einfach an die Objekte kommt, die man sich auf die Einkaufsliste gesetzt hat. Man kann nicht einfach so durch das Spiel marschieren und sich die Rosinen herauspicken, sondern muss schon gezielt abwägen, in welcher Reihenfolge man vorgeht, wann man ein Schiff auf Entdeckungsreise schickt, wie lange man es sich leisten kann, Schiffe lieber für Handelsaufträge zu verwenden (schließlich bekommt man sie ja anschließend wieder) und inwiefern man schon bei der Zwischenwertung möglichst breit auf den Entdeckungsreise-Plättchen präsent sein sollte. Dies erhöht den taktischen Wert des Spiels und beschreibt auch den Reiz von „Zeitalter der Entdeckungen“.

Im Hinblick auf die grundlegende Idee mag das Spiel zwar nichts wirklich Besonderes sein, doch die Umsetzung ist dennoch recht ansprechend und macht den aktuellen Titel von |Phalanx Games| zu einem durchweg empfehlenswerten Spiel, welches ein paar vergnügte Stunden garantiert. Oder anders gesagt: Kein sonderlich herausragendes Spiel, aber eben auch definitiv mehr als nur konstantes Mittelmaß!

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Ange / Varanda / Lyse – verlorene Paradies, Das – Band 1: Hölle

_Story_

Nach dem Aufbrechen der Siegel wurde die Hölle wieder aus ihrer Abgeschiedenheit befreit und öffnete an zahlreichen Orten Tore, die es den fürchterlichsten Kreaturen erlaubten, die Erde und den Himmel zu infiltrieren. Um dem vorzubeugen, haben die Erzengel und ihre himmlische Gefolgschaft die Portale mit normalen ‚Working Class‘-Engeln besetzt, die verhindern sollen, dass die Geschöpfe der Hölle an der Oberfläche Angst und Schrecken verbreiten.

Einer von ihnen ist Gabriel, der sich nach jahrelanger Standhaftigkeit eines Tages einen Ausrutscher leistet, als der jugendliche Julien sich seinem Portal nähert und tatsächlich die Ausgeburten der Hölle anlockt. Während die Dämonen durchdringen, kommt auch Gabriels ehemalige Freundin Anya ans Tageslicht, wird aber von den wilden Biestern wieder in die Unterwelt hinuntergezogen. Gabriel und Julien indes fliehen in den Himmel, um Bericht von den jüngsten Ereignissen zu erstatten.

Die strenge Engelsschar fordert Julien auf, von nun an ihrer Kontrolle zu unterliegen, um ihn zu schützen und zu verhindern, dass sich die Wesen der Hölle seiner bemächtigen. Aber der Junge ahnt nichts Gutes. Kurz nachdem Gabriel aufgebrochen ist, um Anya zu befreien, flüchtet er aus seinem neuen Hort und stürzt gemeinsam mit seinem neuen Kumpan in die feurige Welt der Hölle. Dass er damit jedoch Gewalten in Gang setzt, von deren enormem Einfluss nicht einmal etwas erahnen konnte, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

_Meine Meinung_

Neben [„Die Legende der Drachenritter“ 3349 ist „Das verlorene Paradies“ bereits die zweite Fantasy-Serie, die das Comic-Autoren-Gespann Anne und Gerard alias Ange über den deutschen |Splitter|-Verlag veröffentlicht. Allerdings geht es hier ein wenig finsterer zu als bei den Drachenrittern, wobei stellenweise sogar die Grenzen zur Science-Fiction gestreift werden, wenn Gabriel und sein neuer Freund Julien in die Hölle hinabsteigen oder überhaupt von den Armeen geredet wird, die seit Äonen versuchen, das Gleichgewicht durch die Portale zwischen Himmel und Hölle zu bewahren.

Ein weiterer Unterschied – sofern ein Vergleich überhaupt angebracht ist – liegt im Erzähltempo; der erste Band „Hölle“ beginnt recht fulminant mit einem hektisch herumstreifenden Gabriel, der nur noch schemenhaft erkennen kann, wie Julien sich seinem Tor nähert und daraus die ersten bösartigen Gestalten hervorkommen. Sofort wird der Leser in ein sehr actionreiches Szenario eingebunden, das mit dem kurzen Zwischenstopp in der himmlischen Stadt der Engel noch einmal für einen Moment aufgelockert wird, bevor es dann richtig, teilweise auch sehr deftig zur Sache geht.

Gabriel, Julien und die unberechenbare Anya kämpfen sich durch eine unzählbar große Armee teuflischer Kreaturen und abartiger Geschöpfe, die es vor allem auf den Jungen abgesehen haben. Dieser hatte vor seiner Annäherung an das Portal Stimmen in seinem Kopf gehört, die ihn an dieses Tor geführt hatten, so dass die Vermutung nahe liegt, dass hinter ihm eine ganz spezielle Persönlichkeit steckt, was noch dadurch bekräftigt wird, dass später alles in Gang gesetzt wird, um den Jungen auf die richtige Seite zu ziehen. Ob dies aber wirklich diejenige der Engel ist, steht in den Sternen, denn Juliens erste Begegnung mit den Vertretern des Himmels endet in einem hektischen Dialog, infolge dessen der Junge befürchtet, dass er noch an Ort und Stelle sein Leben geben muss, damit sein Geheimnis gewahrt wird. Gerade noch rechtzeitig gelingt ihm die Flucht bzw. der Sturz in die Unterwelt, doch auch dort ergeht es ihm nicht besser. Welche Eigenschaften machen ihn jedoch so begehrenswert? Was verbirgt er? Und welche Kräfte sind es, die ihn überhaupt erst in diese Situation gebracht haben? Dies gilt es in den folgenden Bänden herauszufinden.

In der ersten Episode legen die beiden Autoren einen besonderen Fokus auf die fulminante Action, die in stetigen Kämpfen in beiden Welten ausgetragen wird. Die Hintergründe der Handlung bleiben erst einmal im Verborgenen und werden durch ständig auftretende Überraschungen weiter eingenebelt, was dazu führt, dass sich der führende Strang nach und nach zu einem immer komplexer werdenden Unterfangen entwickelt, welchem man mit wachsender Seitenzahl immer mehr verfällt. Lag zuerst noch die Befürchtung in der Luft, die permanenten Gefechte würden die Bedeutung des eigentlichen Inhalts untergraben, wird genau dies im sich anbahnenden ersten Finale durch eine grandiose Vermengung von Emotionalität, Action, Spannung und Tempo sehr eindrucksvoll widerlegt. Lust auf mehr ist also auf jeden Fall vorhanden, speziell nach dem tollen Abschlussszenario, welches quasi auch schon die Einleitung für den folgenden Comic bietet.

Fazit: Ange starten offenbar in eine neue meisterhafte Serie mit einprägsamen Charakteren, einer interessanten Storyline und tollen Wendungen. „Das verlorene Paradies“ unterstreicht exakt das, wofür der |Splitter|-Verlag steht: eigenwillige Comics mit sehr viel Stil. „Hölle“ ist die nächste Station in dieser Serie …

http://www.splitter-verlag.de/

Stefan Bauer / Marco Schneiders (Hgg.) – Halloween

Inhalt:

Meist ohne Halloween-Bezug und auch sonst willkürlich zusammengeworfene Mischung aus (guten) klassischen und (überwiegend miserablen) deutschen Gruselgeschichten:

– Andreas Eschbach: Halloween, S. 11-25: Am Halloween-Abend kannst du dem Teufel einen Wunsch abringen, du solltest allerdings den Kalender unbedingt besser kennen als er.

Während die Ausgangsidee, ihre Entwicklung und der nur scheinbar überraschende Schlussgag nicht einmal mit gutem Willen als originell zu bewerten sind, lässt die Umsetzung dieser altmodischen Spukgeschichte nichts zu wünschen übrig. Wie der Vergleich mit den übrigen deutschen Gruselstorys dieses Bandes deprimierend belegt, ist dies eine Kunst, die hierzulande nicht viele Autoren beherrschen.

– Saki: Laura (Laura, 1914), S. 26-32: Wer kennt sie nicht – jene unerfreulichen Zeitgenossen, die ihre Mitmenschen zeitlebens vor den Kopf stoßen und womöglich einen Weg finden, dies nach dem Tode fortzusetzen?

Saki alias Hector Hugh Munro (1870-1916) legt eine seiner bissigen, gar nicht verstaubten Geschichten vor, mit denen er der verkrusteten englischen Klassengesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts satirisch einen Spiegel vorhielt. Zwei Jahre später fiel Munro in einem französischen Schützengraben; das oft verspottete blinde Pflichtgefühl seiner Zeit hatte ihn, der eigentlich schon viel zu alt war für das Soldatendasein, schließlich doch eingeholt. Stefan Bauer / Marco Schneiders (Hgg.) – Halloween weiterlesen

Pierre, DBC – Bunny und Blair

DBC Pierre hat sich mit seinem Debüt „Vernon God Little“ (Deutsche Übersetzung: [„Jesus von Texas“) 1336 eine große Anhängerschaft erschrieben, die er hofft, mit „Bunny und Blair“ bei Laune halten zu können.

Erneut setzt er auf sehr schräge Charaktere, denn die beiden im Titel erwähnten Brüder sind getrennte, siamesische Zwillinge, die in einem Heim leben. Sie haben die dreißig bereits überschritten, als sie das erste Mal aus Albion herauskommen und bei einer Art Projekt für eine Weile zu zweit in einer Wohnung in London leben dürfen.

Blair, der Stärkere von beiden, hofft, sich in der großen Stadt endlich seine sexuellen Träume erfüllen zu können, während der schwächliche Bunny am liebsten den ganzen Tag in der Badewanne sitzt, Alkohol trinkt und seinen Bruder mit dreisten Sprüchen aufstachelt. Blair, der ein wenig naiv ist, fällt auf die großherzigen Versprechen seines Chefs herein, was darin endet, dass er sich in das Bild einer jungen Kaukasierin verliebt, das von einem schmierigen Heiratsvermittler ins Internet gestellt wurde. Blair glaubt, das Mädchen seiner Träume gefunden zu haben, und macht sich mit seinem protestierenden Bruder und einem Bündel von Cocktailpulverpäckchen, die ähnlich wie Viagra wirken, auf den Weg zu Ludmilla.

Diese ist dem Leser bereits bekannt, denn zusammen mit den beiden ungleichen Brüdern bestreitet sie das Buch. Es wird erzählt, wie sie ihren aufdringlichen Großvater umbringt, indem sie ihm einen Handschuh in den Rachen schiebt, und wie sie hierauf von ihrer bitterarmen Familie in die nächste Stadt geschickt wird, wo sie mit ihren Englischkenntnissen etwas verdienen soll. Sie landet in der Bar eines windigen Heiratsvermittlers, der ihr auf die Pelle rückt, doch mit ihrer direkten, bäuerlichen Art hat sie dieses Problem sehr schnell im Griff.

Auf verschlungenen Wegen begegnen sich die drei Protagonisten und im Haus von Ludmillas Familie kommt es schließlich zum blutigen Showdown …

Eines vorweg: Wer schon „Jesus von Texas“ als Zumutung empfand, dem wird „Bunny und Blair“ auch nicht gefallen. Pierre kopiert die Geschichte zwar nicht, aber die Mittel bleiben die gleichen: ein paar schräge Vögel von Charakteren, ein politisch nicht ganz korrekter Schreibstil und eine Handlung zwischen echter Spannung, Verwirrung und Ratlosigkeit.

Besonders die Handlung ist ein wenig das Sorgenkind. Lange Zeit besteht sie hauptsächlich aus Wortgeplänkeln zwischen Bunny und Blair oder zwischen Ludmilla und ihrer Familie. Ziemlich langsam kommt Schwung in die Geschichte, wobei sie sich leider manchmal an ihren eigenen Kapriolen verschluckt. DBC Pierre hat ohne Frage ziemlich viel Fantasie, aber er schafft es nicht immer, sie auch in verständliche Bahnen zu lenken. Manchmal sind Sprünge im Plot, die der Leser nicht ganz nachvollziehen kann, und manchmal ist die Handlung so abgehoben, dass man sie beim besten Willen nicht mehr verstehen kann.

Tatsächlich ist das aber das kleinere Übel. Viel besorgniserregender ist, wie bereits erwähnt, der zähe, meterlange Vorspann, in dem einfach nichts passieren möchte. Wortgeplänkel und gelegentliche, banale („banal“ für DBC Pierre’sche Verhältnisse) Ereignisse sind nun wirklich kein Ersatz für einen durchkomponierten und zielorientierten Handlungsaufbau.

Die Charaktere dagegen begeistern, weil sie einfach unglaublich originell und urkomisch sind. Alleine schon die Wahl der Protagonisten – eine osteuropäische Landpomeranze und zwei ehemalige siamesische Zwillinge – ist schon derart ausgefallen, dass daraus nur Gutes erwachsen kann. Und tatsächlich. Unglaublich schillernd und individuell zeichnet Pierre die Personen, wobei er dabei oft auf Klischees zurückgreift und diese schlitzohrig übertreibt. Besonders Osteuropa hat es ihm in diesem Fall angetan, denn neben der Bauernschläue und der Dumpfbackigkeit, die er diesem Volk andichtet, bastelt er ihm auch eine ureigene Sprache. Begriffe wie „Mach die Futterluke dicht!“ oder „Sperr die Lauscherchen auf!“, „Du Ganter!“ oder „Klatsch deinen Kuckuck!“ sorgen dafür, dass man einen sehr guten Eindruck davon bekommt, wie Pierre sich die Bewohner von Ubil vorstellt. Ob das politisch korrekt ist, sei dahingestellt. Lustig ist es allemal und ein paar Lacher tun der transusigen Handlung ganz gut.

Pierres größte Stärke ist aber nach wie vor sein fantastischer Schreibstil. Wild und ungebändigt toben die Worte zwischen den Buchdeckeln herum und formen sich zu grandiosen Bildern und Metaphern. Über allem thront ein skurriler schwarzer Humor, der sich für nichts zu fein ist. Je dreckiger desto besser, und Pierre hat definitiv keine Berührungsängste, wenn es darum geht, Schimpfwörter zu benutzen. Empfindliche Gemüter mögen sich daran stören, aber tatsächlich passt dieser derbe Humor zu dem Buch und seinen Person wie die Faust aufs Auge.

Was Pierres Schreibstil neben dem Witz am meisten auszeichnet, ist sein Umgang mit der Sprache. Er biegt sie sich immer so zurecht, dass alles passt, das heißt, dass er Begriffe zweckentfremdet, seinen Personen eine sehr eigentümliche Sprache in den Mund legt oder sogar selbst Begriffe erfindet. Ein großes Lob gilt an dieser Stelle dem Übersetzer Henning Ahrens, der es geschafft hat, die Atmosphäre, die in Pierres englischsprachigen Büchern herrscht, ins Deutsche zu übertragen.

„Bunny und Blair“ hat durchaus seine Höhepunkte. Die originellen Charaktere und der Schreibstil sind ziemlich einzigartig in der Literaturwelt und machen das Buch, trotz schwacher Handlung, zu einem humoristischen Genuss. Trotzdem, Mister Pierre, das nächste Mal bitte mit etwas mehr Substanz! Dann wird es eines Tages ein Klassiker.

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Alvtegen, Karin – Seitensprung, Der

Eva ist eine berufliche erfolgreiche Frau und glückliche Mutter des fünfjährigen Axel. Die Ehe mit Henrik ist zwar nach 15 Jahren eingerostet, doch in Evas Augen ist sie dennoch stabil. Nach Monaten der Routine versucht sie, ihren Mann wieder einmal zu verführen. Entsetzt erfährt sie an diesem Abend, dass Henrik schon seit einem Jahr mit dem Gedanken an Trennung spielt. Nur seinem Sohn zuliebe hält er die Fassade aufrecht. Eva unterstellt ihrem Mann eine Geliebte, trotz dessen gegenteiligen Beteuerungen. Durch Zufall erfährt sie von heimlichen Telefonaten mit einer angeblichen guten Freundin namens Maria, die allerdings nicht existiert. Der Fund versteckter Ohrringe beweist Eva endgültig, dass eine andere Frau im Spiel ist.

Noch ehe sie ihren Mann zur Rede stellt, erfährt Eva, wer ihre Rivalin ist. Sie überwindet ihren Schock und beschließt, heimlich zurückzuschlagen. Sie spinnt Intrigen, verschickt Liebes-E-Mails unter falschem Absender und forscht in der Vergangenheit der anderen Frau nach dunklen Punkten, um sie anonym zu verleumden. Um sich ihre eigene Attraktivität zu bestätigen, geht sie einen One-Night-Stand mit dem deutlich jüngeren Jonas ein, den sie in einer Bar kennen lernt.

Nach der gemeinsamen Nacht streicht Eva ihren Liebhaber aus ihrem Leben und konzentriert sich auf die Zerstörung ihrer Rivalin. Doch sie ahnt nicht, dass sie bei Jonas an einen Psychopathen geraten ist, der in ihr seine große Liebe sieht. Während sich Eva mit ihren Verleumdungen in eine prekäre Lage bringt, macht sich der eifersüchtige Jonas auf die Suche nach ihr, um sie zurückzugewinnen …

„Eine verhängnisvolle Affäre“ lässt grüßen; insofern hat Karin Alvtegen ein bekanntes Motiv aus Thrillerfilm und -literatur aufgegriffen. Der besondere Kniff des Romans liegt jedoch darin, dass sie diesen Plot mit einem Psychodrama kombiniert.

|Spannung auf mehreren Ebenen|

Geschickt wird das Bildnis einer zerrütteten Ehe mit den dramatischen Folgen eines One-Night-Stands verbunden. So dreht sich das erste Drittel um die mittlerweile einjährige Affäre von Familienvater Henrik und Evas geschocktes Begreifen, dass ihr Mann sie, wenn ihr gemeinsamer Sohn nicht wäre, auf der Stelle verlassen würde. Zunächst versucht Eva mühsam, die Fassade aufrechtzuerhalten. Sie versucht, ihren Mann zu verführen und an schöne alte Zeiten zu erinnern, doch sie erntet nichts als Kälte. Durch Spionage findet Eva heraus, dass es eine konkrete andere Frau geben muss, und der Zufall verrät ihr schließlich, dass es sogar jemand aus ihrem Bekanntenkreis ist, den sie nie verdächtigt hätte. In diesen Bemühungen, ihre Rivalin psychisch und beruflich zu zerstören, spielt der One-Night-Stand mit dem jungen Jonas zunächst scheinbar kaum eine Rolle. Für Eva ist dieses Abenteuer bloß eine kurze Ablenkung und eine Bestätigung, dass wenigstens andere Männer sie noch als attraktive Frau wahrnehmen.

Schon am nächsten Morgen ist sie mit ihren Gedanken wieder vollends bei ihrer Noch-Ehe und plant die nächsten Schritte ihres Rachefeldzugs. Dieser allein böte schon Stoff genug für einen Roman, doch mit dem mysteriösen Jonas kommt eine zweite inhaltliche Ebene hinein. Das Psychodrama wird um Elemente eines Psychothrillers erweitert. Der Leser erfährt die gefährliche Vergangenheit von Jonas und verfolgt seinen Weg, um seine Geliebte wiederzufinden. Der Ausgang ist in jeder Hinsicht offen, daher ist der Leser bis zur letzten Seite gefesselt. Viele Fragen stellen sich während des Lesens: Wie weit wird Eva ihre Rache an ihrer Rivalin treiben? Gibt es noch eine Chance für ihre Ehe? Wird Jonas auf Evas Spur stoßen und ihr etwas antun?

|Interessante Charaktere|

Die Autorin kreiert trotz der nicht gerade ausufernden Länge des Romans vielschichtige Charaktere. Das gilt vor allem für Hauptperson Eva, die dem Leser mal als Identifikationsfigur dient und mal dunkle Schattenseiten zeigt. Zunächst fühlt man automatisch mit der armen Frau, deren Mann sie betrügt und jeden Versöhnungsversuch harsch zurückweist. Schmerzlich verfolgt man ihre Verzweiflung. Ihr Sohn darf nichts von ihrem Kummer ahnen, auch vor ihren Eltern soll die Fassade gewahrt bleiben, doch Eva erlebt immer wieder neue Demütigungen. Es ist der verzweifelte Kampf einer betrogenen Frau, deren Weltbild von einer Sekunde auf die anderen zerbrochen ist. Auch für die ersten Racheaktionen hat man Verständnis, vor allem angesichts der Tatsache, welche Person sich hinter der Affäre verbirgt. Doch Eva treibt ihre Rache zu weit. Gnadenlos geht sie vor und wird in ihrem Verhalten nach und nach noch kühler als ihr Noch-Mann Henrik.

Dieser gewinnt wiederum im Verlauf der Handlung an Sympathie. Anfangs ist man angewidert vom hinterhältigen Familienvater, der seiner Frau seine Verachtung demonstriert. Doch bei fortschreitender Entwicklung erkennt man, dass auch Henrik seine Zweifel besitzt. Ein geplanter Liebesurlaub mit seiner Affäre endet abrupt, und der Verdacht, dass auch seine Frau ihn betrogen haben könnte, ändert plötzlich seine Gefühle. Henrik liebt Eva zwar nicht mehr so wie früher, doch egal ist sie ihm trotzdem nicht. In ihm wird eine Eifersucht geweckt, von der niemals gedacht hätte, dass sie noch existiert.

In der Figur von Jonas liegen dagegen ein paar Schwächen. Der Hauptkritikpunkt begründet sich damit, dass er einem Klischee-Psychopathen entspricht. Seine verlorene Liebe liegt seit Jahren im Koma, die Chancen auf eine Genesung sind minimal. Der One-Night-Stand mit Eva löst in ihm die irrige Vorstellung aus, das Schicksal habe ihm hier seine neue Liebe gezeigt. Kleine Rückblicke in seine Kindheit und Jugend zeigen eine typische Mutter-Dominanz, die sein Frauenbild gravierend gestört hat.

|Kleine Schwächen|

Ein wenig schade ist, wie leicht es Jonas gemacht wird, Evas Fährte aufzunehmen. Immerhin hatte sie ihm sogar einen falschen Namen genannt, aber der Zufall hilft ihm bei der Suche entscheidend weiter. Ähnliches gilt für Evas Racheaktionen. Obwohl sie ursprünglich nur den Namen und Beruf ihrer Rivalin kennt, stößt sie ohne viel Aufwand auf ein brisantes Details aus deren Vergangenheit, das sie gegen sie verwenden kann und inszeniert eine Fälschungskampagne, bei der Eva viel Glück zur Seite steht. Dagegen geht sie bei einer Aktion ein völlig unnötiges Risiko ein, das auch prompt bestraft wird, sodass man sich über ihr Verhalten als Leser regelrecht ärgert.

Ein wenig gewöhnungsbedürftig sind darüberhinaus die ständigen Perspektivenwechsel. Der personale Erzähler berichtet mal über Evas, mal über Henriks und mal über Jonas‘ Sichtweise, sodass man parallel mehrere Handlungsstränge verfolgt. Verwirrung kommt nicht auf, da ja alle Stränge eng miteinander verknüpft sind, doch man bekommt keinen eindeutigen Hauptcharakter präsentiert. In manchen Fällen wird sogar eine Szene nacheinander aus zwei verschiedenen Sichtweisen erzählt. Dieser Stil sorgt dafür, dass dem Leser nicht viele Gedanken der Figuren vorenthalten werden und wenig Raum für eigene Spekulationen bleibt.

_Als Fazit_ bleibt ein bis zum Schluss spannender Roman, der Psychodrama mit Thriller vereint. In klarer, einfacher Sprache wird von einer zerrütteten Ehe, einem Seitensprung und den fatalen Folgen einer eifersüchtigen Rache erzählt, ohne dabei zu moralisieren. Kleine Schwächen trüben ein wenig den positiven Gesamteindruck, doch unterm Strich bleibt ein sehr lesenswertes Buch, insbesondere für weibliche Thrillerfreunde.

_Die Autorin_ Karin Alvtegen wurde 1965 geboren und lebt in Stockholm. Die Großnichte der bekannten Kinderbuchautorin Astrid Lindgren verfasste mit „Schuld“ ihren ersten Kriminalroman. Mit ihrem nachfolgenden Werk „Die Flüchtige“ gelang ihr der Durchbruch. Zuletzt ist „Scham“ auf Deutsch erschienen.

Mehr über sie auf http://www.karinalvtegen.com.

http://www.rowohlt.de

Aubyn, Edward St – Schöne Verhältnisse

Edward St Aubyn, dessen Debütroman „Schöne Verhältnisse“/“Never mind“ in England bereits im Jahr 1992 erschien, hatte lange damit zu kämpfen, dass die englische Presse ihn nicht als Schriftsteller ernst nahm. Die Journaille stürzte sich lieber darauf, dass St Aubyn, Mitglied einer großen Adelsfamilie aus Cornwall, früher drogenabhängig und von seinem Vater sexuell missbraucht worden war. Dabei kann man nicht gerade behaupten, dass der Roman von schlechten Eltern wäre …

Eines schönen Sommertages im einem schönen, kleinen französischen Örtchen bereiten sich drei Pärchen darauf vor, sich zum Abendessen zu treffen. Gastgeber ist der tyrannische David Melrose, der nicht nur einen Heidenspaß daran hat, Ameisen zu ersäufen, sondern auch seinen Sohn tyrannisiert und sexuell missbraucht und seine Frau Eleanor, die ihn ohne Alkohol gar nicht mehr aushält, erniedrigt. Nicholas und Victor waren mit David auf einer Schule und gehören wie er zur gehobeneren Schicht Englands. Während Victor seine Zeit mit Philosophie und der cleveren und schlagfertigen Amerikanerin Anne verbringt, hat Nicholas sich mit der proletenhaften, jointrauchenden Bridget eingelassen.

Bei solch einer Ausgangslage ist es natürlich wichtig, dass die Charaktere dementsprechend ausgearbeitet und originell sind. Der originellste ist dabei David Melrose, um den sich das ganze Buch zu drehen scheint. Er ist ein sadistischer Tyrann, der überzogene Forderungen an seine Mitmenschen stellt und sich dessen auch noch bewusst ist. Da ihm aber niemand Paroli bietet, kann er seinen Zynismus perfekt ausleben. Er unterdrückt seine unterwürfige Frau auf garstige Art und Weise und auch der fünfjährige Sohn Patrick hat unter seinem patriarchischen Vater zu leiden. Das ist in gewisser Weise sicherlich bemerkenswert, denn St Aubyn hat in einem Interview zugegeben, dass Patrick sein literarisches Alter Ego ist.

Die Einzige, die im Verlauf des Abendessens keine Rücksicht auf Davids Eigenheiten nimmt, ist Bridget, die, jung und ungebildet, eine Art Gegenpol zur übrigen Tischgesellschaft darstellt. Obwohl es ihr ein wenig an Intelligenz mangelt, stellt sie sich immer wieder die Frage, was sie hier eigentlich will und wieso alle dem Hausherren so hörig sind.

Sohn Patrick fällt ebenso aus dem Rahmen, was schon allein mit seinem Alter zusammenhängt. Edward St Aubyn gelingt es, sehr authentisch aus der Perspektive des Kindes zu schreiben. Alles sieht aus wie ein Spiel oder ist im kindlichen Kontext übertrieben.

Diese beiden Perspektiven, nämlich Patrick und Bridget, bringen frischen Wind ins Geschehen und lockern das Buch, das stellenweise an den alten Herren etwas zu ersticken droht, auf. Die alten Herren nehmen zwar kein Blatt vor den Mund und ihre zynischen Ansichten erheitern durchaus, doch manchmal zieht der Autor die Dialoge zu sehr in die Länge.

Da kaum Handlungselemente existieren, beruht der Roman hauptsächlich auf der Darstellung der einzelnen Charaktere und deren Beziehungen zueinander. Neben der Bezugnahme auf herrschende Klischees über Briten bzw. Amerikaner wird hauptsächlich „gelästert“. Auffällig ist, dass Beschreibungen von Charakteren, Orten etc. selten objektiv, sondern zumeist persönlich eingefärbt und in eine der Erzählperspektiven eingebunden sind. Bereits dadurch entsteht der Eindruck, als hätten die Personen wahrlich nichts Gutes über einander zu sagen, was auf der anderen Seite aber, dank des fiesen Humors, in gewisser Weise den besonderen Charme ausmacht. Es entsteht ein gänzlich unchristliches Bild von der englischen Intellektuellenschicht, wobei St Aubyn nicht versucht, direkt zu kritisieren, sondern vielmehr durch das bloße Aufzeigen der Ungereimtheiten das Gehirn des Lesers anspricht.

Er wählt dazu einen trockenen, nüchternen Schreibstil ohne großartige Emotionen, dessen beißender Witz sich erst in den Dialogen oder Gedanken der Personen zeigt. Dadurch wirkt das Buch wider Erwarten sehr lebendig, weil nur dann scharfzüngiges Leben im Spiel ist, wenn der Fokus auf den Personen und nicht der Umgebung liegt.

Ist es positiv, wenn sich ein Buch beinahe ausschließlich auf seine Charaktere konzentriert? Diese Frage lässt sich in diesem Fall einfach beantworten, denn wenn die Protagonisten so stimmig sind wie in „Schöne Verhältnisse“, ist die Gefahr der Langeweile gering. Der Roman hat zwar an der einen oder anderen Stelle einen kurzen Durchhänger, aber da er mit knapp 190 Seiten nicht gerade besonders lang geraten ist, fallen Handlungslosigkeit und Dialoglastigkeit nicht sonderlich ins Gewicht.

http://www.dumontliteraturundkunst.de/

|Ergänzend:|
[Interview im Deutschlandfunk]http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/602891/drucken/

John Scalzi – Krieg der Klone

Die Weltraumkriege der Zukunft werden von körperlich regenerierten Greisen geführt. Sie lernen schnell zu kämpfen, um nicht als Kanonenfutter verheizt zu werden, denn die Aliens des Alls kennen keine Diplomatie … – Robert A. Heinlein lebt bzw. wurde offenbar als John Scalzi wiedergeboren: „Krieg der Klone“ präsentiert nicht dumpfe „Military-SF“, sondern erzählt ein rasantes und irritierend unterhaltsames Garn für die Freunde des autoritären Denkens.
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Hamilton, Laurell K. – Tanz der Toten (Anita Blake 6)

Wieder einmal hat Anita Blake reichlich Aufregung in allen Bereichen ihres Lebens. Ein bei „lebendigem“ Leibe verfallender Meistervampir und sein menschlicher Diener bitten sie um Hilfe, um den Vampir zu heilen. Privat kämpft sie mit den Schwierigkeiten, die eine Beziehung zu einem Werwolf mit sich bringt. Das Wolfsrudel, dessen Verhalten für einen Menschen extrem irritierend und gefährlich ist, ist in zwei Gruppen gespalten. Da ihr Freund Richard der Anführer der einen Partei ist, wird sie in die Auseinandersetzung hineingezogen. Dass ihr gleichzeitig ein bezahlter Killer nach dem Leben trachtet, macht ihren Alltag noch komplizierter. So erkennt sie erst spät die Gefahr, die ihr von dritter Seite droht. Bei all den mörderischen Herausforderungen bleibt der Autorin aber viel Raum, um die Heldin reichlich erotisch angehaucht mit den zwei Männern in ihrem Leben turteln zu lassen.

Wie auch schon in früheren Bänden um die Totenerweckerin Anita Blake ist die Hauptfigur die Erzählerin der Geschichte. Cool und selbstsicher, wie weibliche Helden heute im Fantasy- und Horrorgenre sind, hat sie die Gefahren ihres Jobs stets im Griff. Ergänzt wird sie vom genretypischen Personal: einem französisch sprechenden Liebhaber, der natürlich ein schöner Frauentyp ist, dem kühl berechnenden Auftragskiller, gut in die bürgerlich-menschliche Gesellschaft integrierten Lykanthropen und in der Gastronomie tätigen Vampiren.

Was den Schreibstil anlangt, bleibt die Autorin ihrer in dieser Reihe eingeschlagenen Richtung treu. Mit der gebotenen Toughness schildert Anita Blake die Ereignisse und ihre Gefühle. Wieder kabbelt sie sich mit Meistervampir Jean-Claude, der sie in bewährter Manier umschmeichelt.

In diesem Buch treibt Laurell K. Hamilton die schwülstige Erotik zwischen der Vampirscharfrichterin und ihren zwei Verehrern jedoch auf die Spitze. Immer wieder wird die äußere Handlung durch anzüglichen Schlagabtausch unterbrochen. Das erinnert selbst die geneigte Leserin sehr an den Kitsch von Groschenheften mit Liebesgeschichten. Die gruseligen Szenen werden in der heute üblichen Manier drastisch genug geschildert.

Im sechsten Band um Anita Blake mutet die Autorin der Heldin und vor allem den Leserinnen viel zu. Leserinnen, weil wohl kaum Männer solchen schwülstigen Erotik-Unsinn mit Horror-Rahmenhandlung lesen würden, auch wenn es in den hinteren Kapiteln des Buchs befremdend nach Männerphantasie aussieht.

So, wie Anita und ihr Werwolffreund Richard entschlossen unentschlossen einander umschleichen und dann doch nie zur Sache kommen, passt es auf keine Monsterhaut. Dabei kann man Laurell K. Hamilton wirklich keine mangelnde Verwendung des f-Wortes vorwerfen. Aber das Ausmaß an gefühlsmäßiger Verwirrung und Verstrickung der Protagonistin lässt selbst die geneigte Leserin zu oft auf den nächsten Anschlag des Killers hoffen, um von den Passagen abzulenken, in denen man vom Erotikkitsch fast erschlagen wird. Die zum Finale hin sich anhäufende sexualisierte Gewalt erzeugt ebenfalls eher Unbehagen als Spannung. Schade, denn es stecken gute Ideen und überraschende Wendungen in der Story.

|Reihenfolge der Anita-Blake-Romane:

Guilty Pleasures ([Bittersüße Tode, 1009 2003)
Laughing Corpse ([Blutroter Mond, 1027 2005)
Circus of the Damned ([Zirkus der Verdammten, 2165 2005)
The Lunatic Cafe (Gierige Schatten, 2006)
Bloody Bones (Bleiche Stille, 2006)
The Killing Dance (Tanz der Toten, 2007)
Burnt Offerings (Dunkle Glut, 2007)
Blue Moon
Obsidian Butterfly
Narcissus in Chains
Cerulean Sins
Incubus Dreams
Micah
Danse Macabre
The Harlequin |

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_Maren Rhea Fanenbruck-Pelgrim_