Archiv der Kategorie: Rezensionen

Viehl, S. L. – Stardoc – Der Klon (Band 2)

Band 1: [„Die Seuche“ 2883

_Story_

Nach dem Tod ihres Mannes Kao Torin befindet sich Cherijo auf der Flucht vor den Söldnerschiffen der Liga, die im Auftrag ihres Vaters Joseph Grey Veil das Universum nach der gentechnisch modifizierten Heilerin durchkämmen. An Bord der |Sunlace|, dem Schiff der Joreianer, findet sie Schutz und verdient sich an der Seite der Obersten Heilerin erste Sporen in ihrem neuen Hausclan und schließlich auch Respekt und Bewunderung.

Doch die friedliche Idylle täuscht, denn nach wie vor wird Cherijo mit Konflikten jedweder Art konfrontiert und in ihrem Job als praktizierende Ärztin bis aufs Äußerste gefordert. Als schließlich eine Mordserie die |Sunlace| erschüttert, gerät die Heilerin in Verdacht, daran beteiligt zu sein. Besonders die skeptischen Vertreter des Clans Torin trauen der exzentrischen Ärztin nicht über den Weg, und als schließlich mehrere Fährten in ihr Quartier führen, sieht sie sich zum Handeln gezwungen. Erneut tritt sie in den Gedankenaustausch mit dem Obersten Linguisten Duncan Reever, um der Ursache der Morde auf den Grund zu gehen. Doch je tiefer sie in ihr eigenes Bewusstsein eindringt, umso bedrohlicher wirkt der Feind.

Als wäre dies nicht schon genug, wird Cherijo auch ständig von Kaos Clanbruder Xonea belästigt; der mächtige joreianische Krieger will die Nachfolge seines Bruders antreten und die Heilerin zu seiner Gattin erwählen. Diese jedoch zeigt kein Interesse am launischen Vertreter Jorens, der daraufhin auch vor Gewalt nicht zurückschreckt. Gerade als die beiden Frieden miteinander geschlossen haben und die Vielzahl der Bedrohungen abklingt, wird Cherijo dann wieder an die jüngste Vergangenheit erinnert. Joseph Grey Veil fordert nach wie vor das Recht auf seinen Besitz, seine konstruierte Tochter, und dazu sind dem berüchtigten Wissenschaftler alle Mittel recht.

_Meine Meinung_

Im Gegensatz zum ersten Teil, der eigentlich erst nach der Hälfte der Zeit so richtig durchstartete, beginnt die eigentliche Action in „Der Klon“ schon im ersten Kapitel. Wobei Action in diesem Fall nicht auf klassische Art und Weise verstanden werden sollte. Es ist vielmehr so, dass von Beginn an mächtig Trubel herrscht, die Hauptfiguren von einem Chaos ins nächste stürzen und besonders Cherijo viele Prüfungen bestehen muss, um ihren neuen Verbündeten und vor allem sich selbst zu beweisen, was wirklich im Körper der flüchtigen Terranerin steckt. Dabei hat die vorlaute Heilerin zahlreiche Grabenkämpfe auszutragen, beginnend mit dem Machtkampf um die Nachfolge der Obersten Heilerin der |Sunlace|, den sie mit ‚Spliss-Lippe‘ Squillip austrägt, bis hin zum permanenten Familienzwist mit ihrem Clanbruder Xonea, der sein Recht einfordert und Cherijo ehelichen will, von seiner Erwählten jedoch nicht als Gatte akzeptiert wird. Ständig geraten die beiden aneinander, bekämpfen und beschimpfen sich und gehen dabei bis ans Äußerste ihrer Substanz – und darüber hinaus.

Neben den vielen Beziehungsdramen, die in „Der Klon“ einen wesentlichen Teil übernehmen, steht indes eine Mordserie im Mittelpunkt, bei der viele Indizien dafür sprechen, dass Cherijo darin verwickelt ist. Immerzu befinden sich am Tatort Spuren, die auf eine Beteiligung der angehenden Obersten Heilerin schließen lassen, und stets muss sich die begabte Ärztin wieder aus der daraus entstehenden Bredouille befreien. Weil die wichtigsten Zeugen nach und nach auf mysteriöse Weise ausgelöscht werden, sieht sich Cherijo dazu gezwungen, selber verdeckt zu ermitteln und sich von aller Schuld freizusprechen. Doch ihr Gegner scheint mächtiger als alles, was sie bislang erlebt hat.

Natürlich wird auch die Jagd auf die gentechnisch auf Perfektion programmierte Tarranerin näher beleuchtet. Jede kurze Abweichung von der Norm der Schiffsroute bringt die Liga-Truppen wieder auf den Plan, und immer wieder greifen einzelne Söldner an, um Cherijo in die Obhut ihres Vaters zurückzubringen. Dabei müssen viele unschuldige Joreianer sterben, unter anderem auch Personen, zu denen die Heilerin eine ganz spezielle Beziehung hatte, wie etwa Tonetka, die einem plötzlichen Söldnerangriff zum Opfer fällt. Immer wieder wird Cherijo an die Zwickmühle erinnert, in der sie sich befindet, denn nur wegen ihrer Existenz muss ein ganzes Volk in Angst leben. Mehrfach äußert sie das Bedürfnis, sich Dr. Grey Veil auszuliefern, eventuell auch zu sterben, um ihre Gefährten von dieser Geißel zu erlösen. Doch das Volk Jorens steht nach alldem, was Cherijo für die Angehörigen der einzelnen Clans getan hat, vollends hinter seiner Adoptivtochter. Und so kommt es wie es kommen musste: Ein Aufeinandertreffen der ganz besonderen Art wird unfreiwillig arrangiert – und mündet in ein Finale, das selbst Hartgesottene vollkommen überraschen wird.

Nach dem fulminanten Ende von „Die Seuche“ hatte ich an „Der Klon“ große Erwartungen, die letzten Endes auch ausnahmslos erfüllt wurden. Die Geschichte wird rasant fortgesetzt, auf nahezu allen Handlungsebenen vertieft und intelligent ausgedehnt und hinsichtlich Action und Dramaturgie noch einmal um ein Vielfaches gesteigert. Dabei mag zwar hier und dort mal eine Tatsache unrealistisch erscheinen – so zum Beispiel, dass Cherijo nach beinahe jedem stressigen Erlebnis in Ohnmacht oder sogar ins Koma fällt – aber weil dies meist dazu beiträgt, das Mysterium um die wirklich faszinierend dargestellte Hauptfigur zu bekräftigen, geht das voll und ganz in Ordnung.

Apropos Cherijo Grey Veil bzw. Torin: Der Charakter, den die Autorin hier entworfen hat, ist schlichtweg genial. Rebellisch, einfühlsam, exzentrisch, egoistisch, aggressiv, behutsam, ruhig, gelassen, hysterisch, hasserfüllt: Es gibt keinen einzigen Wesenszug, den die Heilerin im Laufe der Geschichte nicht zeigt, was nicht nur ihr, sondern auch dem Roman selber einen großen Teil seiner Unberechenbarkeit beschert, die ihn über die gesamte Dauer auszeichnet. Man fühlt mit der außergewöhnlichen Dame, verliebt sich mitunter in sie und lernt sie im nächsten Moment wieder zu verachten. Solche Figuren sind im Science-Fiction-Genre äußerst rar, aber dringend erforderlich, um das Niveau des Genres aufrechtzuerhalten.

In diesem Sinne, und speziell dank solch genialer Charakterzeichnungen, wie man sie in „Der Klon“ zuhauf vorfindet, kann und muss man beim zweiten Band der „Stardoc“-Saga von einem furiosen, atemberaubenden und dazu auch noch enorm eigenständigen Roman sprechen. Die Weichen für eine rasante Fortsetzung sind ebenfalls schon gestellt, so dass die Begeisterung auch noch eine Zeit lang anhalten wird. Aber erst einmal gilt es, diesen besonderen Roman bzw. dessen Inhalt auszukosten. Der dritte Band, „Die Flucht“, erschien im Sommer 2006 bei |Heyne|.

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Antje Babendererde – Zweiherz

Ursprünglich war es ein ganz normaler Tag für Kaye, als sie Großvater Sam sein Essen brachte. Doch dann erzählt ihr der alte Mann, dass sein Enkel Will bald nach Hause kommen wird. Will, ihr bester Freund, der seit fünf Jahren im Gefängnis sitzt, weil er den Direktor seines Internats getötet hat. Viel früher als erwartet steht er vor der Tür ihres Ladens, und Kaye stellt erschrocken fest, dass das Wiedersehen ganz anders ist, als sie es sich all die Jahre über vorgestellt hat. Will hat sich sehr verändert …

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Ellis, Warren / Williams III., J. H. – Desolation Jones 1: Made in England

_Story_

Michael Jones, ehemaliger Agent des MIG, leidet noch immer unter den Schatten seiner Vergangenheit. Als einziger Überlebender des Desolation-Tests ist er als Privatdetektiv einer geheimen Untergrundorganisation untergetaucht und übernimmt seit einiger Zeit Fälle für Leute, denen ein arg zwielichtiger Ruf anhängt. Sein neuester Auftrag führt ihn zum stark entstellten Colonel a. D. Nigh, der über eine große private Porno-Sammlung verfügt und seit einigen Tagen sein wertvollstes Stück, eine pornografische Dokumentation von Hitlers sexuellen Leidenschaften, vermisst. Jones soll das verlorene Video wiederbeschaffen und begibt sich alsbald in die Erotikszene.

Von Beginn an kämpft der Ex-Agent mit harten Bandagen und macht den Produzenten des anrüchigen Film-Genres ordentlich Druck, gerät dabei aber selber recht schnell in einen Sumpf aus politischen Intrigen und Machenschaften, in die Nighs Töchter involviert zu sein scheinen. Als Jones während seines Einsatzes angeschossen wird, sieht der kaltblütige Detektiv rot und erklärt seine herkömmlichen Ermittlungen vorzeitig für beendet: denn scheinbar verstehen seine Gegner nur die harte Tour …

_Meine Meinung_

Warren Ellis – dieser Name hat mich bereits mit der fulminanten Science-Fiction-Story in [„Ocean“ 3401 begeistert. Und auch in seiner neuesten Reihe leistet der Autor ganze Arbeit und führt mit dem eigenartigen Detektiv Michael ‚Desolation‘ Jones einen Charakter ein, der typischer für einen lupenreinen Antihelden gar nicht sein könnte und aufgrund der makellosen Darstellung und der farbenfrohen, teils aber auch gnadenlos harten Inszenierung sofort den Status einer zukünftigen Comic-Ikone einnehmen dürfte. So viel zum ersten Eindruck …

Die Story im ersten Band „Made in England“ ist dementsprechend fantastisch: Jones schnüffelt mit skrupellosen Methoden im Porno-Business und durchleuchtet sowohl Produzenten als auch Darsteller. Auf der Suche nach einem privaten Video Hitlers eckt der Detektiv sofort an und zieht in Windeseile den Hass vieler bedeutsamer Namen auf sich. Für Jones ist dies jedoch kein Problem, denn spätestens nach dem Desolation-Test ist er allen erdenklichen Kontrahenten gewachsen und erwehrt sich gewaltsamer Attacken mittels einiger schneller, brutaler Handgriffe, was den Hass der Gegenseite weiter schürt.

Als er dann einen Schritt weiter kommt, stößt er auf erste Zweifel bezüglich seines Auftrags. Immer stärker sind die Bedenken gegenüber Nighs Vertrauenswürdigkeit, zumal sich aus den Reihen seiner Familie erste Attacken gegen den mysteriösen Colonel andeuten. Sowohl seine offensichtliche Lieblingstochter, eine pflichtbewusste CIA-Agentin, als auch ihre verschwundene Schwester sind ihrem Vater auf der Spur wegen eines Vorfalls in der Vergangenheit. Während die eine seine Unschuld beweisen will, versucht die andere, ihn mit erdrückenden Beweisen massiv zu belasten.

Der Konflikt ist vorprogrammiert, und mittendrin der verdeckte Ermittler Jones, der erst nach und nach hinter die wahren Hintergründe seines Falls kommt. Als die Situation dann zu eskalieren droht, sieht er rot: Ein Angriff auf seine Person und die ständigen Lügen, denen er ausgesetzt wird, überstrapazieren seine Nerven. Er bringt die betroffenen Personen zusammen und deckt die Sache auf – jedoch auf eine erbarmungslose Art und Weise, die man schon seit jeher an ihm fürchtet.

Die Geschichte, die Ellis im Debütalbum von „Desolation Jones“ erzählt, ist nicht nur unheimlich spannend, sondern aufgrund der zahlreichen Wendungen und des generell total unberechenbaren Verlaufs wahrhaftig überwältigend. Keine der im Mittelpunkt stehenden Personen gibt zu viel von sich preis, und jeder Einzelne scheint noch ein weiteres Geheimnis für sich zu bewahren, welches die Story wieder vollkommen umzukrempeln vermag. Nicht zuletzt die vielen, scheinbar nur zum Statisten degradierten Figuren, die plötzlich entscheidend in die Handlung eingreifen, sorgen hier für beinharte Thriller-Atmosphäre und darauf aufbauend auch für knallharte permanent spürbare Action.

Dies wird weiterhin von den genialen Zeichnungen von J. H. Williams III verstärkt, der hier, einem Frank Miller ähnlich, recht spärlich mit bunten Farben umgeht und wegen der Betonung einzelner Segmente sofort starke Parallelen zu dessen Meisterstück „Sin City“ hervorruft. Letztere könnte man, zumindest was den Umgang der Charaktere miteinander betrifft, ebenso auf den Plot beziehen, wenngleich Ellis ein wenig stringenter vorgeht als sein Pendant Miller, dabei aber mittlerweile schon in derselben Liga spielt bzw. schreibt wie die Legende.

Letztendlich ist „Desolation Jones“, vor allem, was die Atmosphäre und die eingebrachten Ideen angeht, eine Art Tarantino-Werk im Comicformat. Mich würde jedenfalls nicht wundern, wenn cineastische Vorlagen wie „Pulp Fiction“ hier Pate gestanden und dem Autor die Inspiration für diese geniale Inszenierung geliefert hätten. Und alleine diese Tatsache sollte ein relativ großes Publikum aus der Reserve locken und Interesse für das neue Meisterstück des |Panini|-Ablegers |Wildstorm| wecken. „Made in England“ ist ein absolut tadelloser Auftakt dieser neuen Serie!

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Holt, Anne – Was niemals geschah

Die norwegische Autorin Anne Holt hat sich mit ihren Büchern rund um ihre Krimiheldin Hanne Wilhelmsen einen Namen gemacht, der sich nicht hinter denen anderer großer (auch nordischer) Krimiautoren verstecken muss. Doch der vorliegende Roman wird dieses Mal nicht von der lesbischen Krimiheldin Wilhelmsen gelöst, sondern vom nicht minder interessanten Ermittlerduo Yngvar Stubø und seiner Frau Inger Johanne Vik, die nicht bei der Polizei arbeitet, sondern als Profilerin hilft.

In diesem Fall ist von Beginn an alles anders. Während nämlich die erste Leiche gefunden wird, ist Stubø auf dem Weg ins Krankenhaus zu Inger Johanne und ihrem gemeinsamen Baby, das zeitgleich mit der norwegischen Thronerbin Ingrid geboren wurde. Als er also von seinen Kollegen die Nachricht erhält, dass eine bekannte Fernsehmoderatorin ermordet und mit herausgeschnittener und gespaltener Zunge aufgefunden wurde, muss Stubø sich zunächst um seine schwierige Stieftochter Kristiane kümmern, die sehr sensibel und „komisch“ ist, ohne dass irgendjemand Stubø und seiner Frau sagen könnte, was mit Kristiane eigentlich los ist. Dementsprechend groß ist Inger Johannes Angst, dass auch ihre zweite Tochter krank sein könnte. Nach der Geburt ist sie deshalb höchst sensibel und zunächst überhaupt nicht am Kriminalfall interessiert. Als allerdings eine bekannte norwegische Politikerin gekreuzigt in ihrem eigenen Schlafzimmer und mit einem Koran zwischen ihren Beinen aufgefunden wird, drängt sich eine düstere Ahnung in Inger Johannes Bewusstsein.

Es dauert nicht lange, bis eine dritte bekannte Persönlichkeit unter mysteriösen Umständen ermordet wird, doch die Polizei tappt im Dunkeln, keine einzige Spur ist zu finden, niemand wurde am Tatort beobachtet und der Täter hat offensichtlich auch keine verwertbaren Spuren hinterlassen. Stubø und seine Kollegen jagen also ein Phantom, das sie nicht greifen können. Aber Inger Johanne wühlt in ihrer Vergangenheit beim FBI, die sie viel lieber vergessen würde, da sie so unvorstellbar große Wunden hinterlassen hat, dass sie nicht einmal mit ihrem Mann darüber sprechen kann. In ihrer Erinnerung findet sie eine Mordserie, von der ihr Ausbilder beim FBI in seiner Vorlesung erzählt hat und die viele Gemeinsamkeiten mit der jetzigen Mordserie aufweist. Was Inger Johanne aber am meisten Angst macht, ist der noch ausstehende fünfte Mord, denn hier wartet ein Anschlag auf den ermittelnden Polizeibeamten und seine Familie, was in diesem Fall Yngvar Stubø und Inger Johanne selbst sind. Die junge Mutter kann kein Auge mehr zutun und muss hilflos mit ansehen, wie der vierte Mord geschieht und sie die nächste auf der Liste ist.

Anne Holt inszeniert ein perfides Katz-und-Maus-Spiel, das von seinen Hauptfiguren lebt. Auch wenn man zunächst Hanne Wilhelmsen vermissen mag, so erinnert man sich schnell und gerne an „Das einzige Kind“ zurück – den ersten Fall, den Stubø und Inger Johanne einst zusammen gelöst haben. Doch „Was niemals geschah“ ist wahrscheinlich noch spannender und packender als dieser erste Stubø-Fall.

Auf den ersten Blick scheint es ein Mörder auf Prominente abgesehen zu haben, die in ihrem Leben etwas zu verbergen haben. Schnell kommt die Polizei dem dunklen Geheimnis des ersten Opfers auf die Spur und damit einem dringenden Tatverdächtigen. Doch nichts ist so, wie es scheint. Denn hinter der Mordserie steckt noch viel mehr. Und wie findet man eigentlich einen Mörder, der kein Motiv für seine Taten hat? Diese Frage muss sich die Polizei stellen, denn bei der erfolglosen Suche nach Spuren und Motiven tappt sie weiterhin im Dunkeln. Und auch wenn die Opfer genügend Feinde gehabt haben, so können doch alle Verdächtigen ein zumindest oberflächlich betrachtet wasserdichtes Alibi nachweisen.

Anne Holt wühlt im Privatleben ihrer Protagonisten und zerrt Geheimnisse ans Licht, die ihre Charaktere gerne im Dunkeln belassen hätten. So hat auch der Verlobte des zweiten Opfers einiges zu verbergen, was ganz nebenbei offenkundig wird. Es gibt daher neben den Mordopfern noch weitere Opfer zu beklagen, die im Laufe der Ermittlung plötzlich im Rampenlicht stehen und ihre Geheimnisse aufgedeckt finden. Bei Anne Holt haben alle Charaktere Ecken und Kanten, aber insbesondere auch einige Leichen im Keller. Doch wer hat das nicht? Wir lernen hier Personen kennen, die viel erlebt und auch Fehler gemacht haben, die sie nun gerne verheimlichen würden. Aber die Polizei deckt so manches davon auf, weil sie vergeblich hofft, dem Täter auf der Spur zu sein.

Die Charakterzeichnung ist absolut großartig und hält so einige Überraschungen für den Leser bereit, die erstmal verdaut werden wollen. Wir lernen die handelnden Figuren sehr genau kennen und blicken bis in ihr Innerstes. Besonders lobend hervorheben muss man hier die Beziehung zwischen Yngvar Stubø und Inger Johanne Vik, die eigentlich angesichts ihrer quietschfidelen Tochter überglücklich sein müssten, deren Glück aber überschattet wird von der grausamen Mordserie und von Inger Johannes düsteren Erinnerungen, die nun wieder ans Tageslicht kommen.

Stubø kann sich nicht damit abfinden, dass seine Frau nicht über ihre Zeit beim FBI reden möchte, obwohl die beiden doch ihr Leben teilen. Dies sorgt für prickelnde Spannung zwischen den beiden jungen Eltern, obwohl sowohl Stubø als auch Inger Johanne gerade in dieser schwierigen Situation doch alle Unterstützung von ihrem Partner benötigt hätten. Und dies sei vorweg genommen: Dieses Spannungsverhältnis ist noch nicht aus der Welt geschafft und hält genügend Potenzial bereit für weitere Kriminalromane mit diesem Ermittlerduo.

Langsam aber sicher kommt Stubø schließlich mit der Hilfe seiner Frau, aber auch mit der Hilfe des Täters selbst, dem Mörder auf die Spur. Doch was er hier entdeckt, kann er zunächst selbst kaum glauben, da er sich so etwas Perfides auch in seinen dunkelsten Alpträumen nie hätte vorstellen können. Anne Holt durchschreitet hier Abgründe, wie sie düsterer kaum sein könnten. Den Leser wiederum überrascht dies nicht wirklich, da er den Täter von Beginn an kennt und ihn auf seinen Wegen oftmals begleitet hat. Dies mindert allerdings weder Spannung noch Lesegenuss, da man immer gespannt darauf wartet, ob die Mordserie weitergeht oder ob die Polizei dem Täter noch rechtzeitig auf die Spur kommt, um den fünften Mord zu verhindern und dadurch Stubø und seine Familie zu retten.

Schade fand ich, dass Anne Holt einige Fragen offen lässt, die zum Teil wohl nie erklärt werden. Zur Abrundung des Buches hätte die Aufklärung der offenen Fragen sicher gutgetan, doch auch so bleibt ein durchweg positiver Eindruck zurück. „Was niemals geschah“ ist der gut durchkonstruierte zweite Kriminalfall eines sympathischen Ermittlerduos, das nicht nur bei der Arbeit, sondern auch privat einige Schwierigkeiten zu meistern hat.Doch wenn alles ganz einfach wäre, würde es sich ja nicht lohnen, ein Buch darüber zu schreiben. Trotz winziger Abzüge in der „B-Note“ freue ich mich schon jetzt auf den nächsten Fall, den Stubø und Vik zu lösen haben!

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Schneider, Brian – Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Pelzige Pilzwesen«

_Roman-historischer Hintergrund_

Die Geschichte von Sarpadia liegt unter dicken Schichten aus Sand und Staub in Dominarias Einöden verborgen. Sie erzählt vom Aufstieg des Ordens der dunklen Hand und den Kreaturen, die er als Diener erschuf: den Thrulls. Als das Klima immer kälter wurde und immer mehr Feinde seine Heimat bedrängten, wandte sich Thelon von Heavenwood mit der Bitte um Hilfe an die Dunkle Hand. Er lernte vom Orden, wie man neues Leben erschaffen konnte, und er verband dieses Wissen mit seiner eigenen Magie, um die Pilze des Waldes zum Leben zu erwecken. Die Thalliden waren entstanden. Die Zeiten wurden immer verzweifelter, und die Elfen von Heavenwood benutzten die Thalliden als Nahrung und als Opfer, um dem Wald neue Lebensenergie zu geben. Doch am Ende erlagen die Elfen der Kälte und dem schwindenden Nahrungsangebot, und nur die Thalliden überlebten.

_Angriffslustige Pilze_

Rache ist süß, je kontrollierter, desto besser. Ihrer einstigen Opferrolle sind die Thalliden längst entwachsen, so dass sie nun umso mehr dafür gewappnet sind, sich auch außerhalb ihres Heimatwaldes zu behaupten und jegliche Angriffswelle bereits im Keim zu ersticken. Die pelzigen Wesen verschlingen Nahrung, was das Zeug hält, und breiten sich immer weiter aus. Und in ihrer Vielzahl halten sie zusammen, was die Produktion von Saprolingen ungemein fördert. Als Einheit wachsen sie Schritt für Schritt zu einem mächtigen Machtinstrument heran, welches sie mit Hilfe von Thelon von Heavenwood schließlich dazu in die Lage versetzt wird, aus der ehemaligen frustrierenden Situation in eine Position zu rücken, in der sie endlich die Herren der Lage sind – und somit den Grundstein für ein weiteres interessantes Themendeck setzen.

_Karteninhalt_

• 10x Sumpf
• 13x Wald
• 1x Pendelhaven (zeitverschoben)
• 3x Todessporen-Thallid (common)
• 2x Thallid (zeitverschoben)
• 2x Ältester von Pendelhaven (uncommon)
• 3x Muschelbewohnender Thallid (common)
• 1x Thelon von Heavenwood (rare)
• 3x Aukeimender Thallid (common)
• 1x Wurmholzdryade (common)
• 2x Herden-Gnarr (common)
• 2x Spordensäender Thallid (uncommon)
• 2x Wilder Thallid (common)
• 1x Kraftlosigkeit (common)
• 1x Meucheln (common)
• 2x Gefallenes Ideal (uncommon)
• 2x Plötzlicher Tod (uncommon)
• 1x Furchteinflößende Rückkehr (uncommon)
• 1x Macht des alten Krosa (uncommon)
• 2x Sprießen (common)
• 2x Stärke durch Überzahl (common)
• 1x Krosas Eingriff (uncommon)
• 1x Blühende Umarmung (rare)
• 1x Klauen des Gix (zeitverschoben)

_So spielt man das Deck_

„Pelzige Pilzwesen“ baut in erster Linie darauf auf, eine langsam heranwachsende Gemeinschaft zu bilden, die im Kollektiv unheimlich an Effizienz gewinnt und schließlich mit geballter Kraft kaum noch zu schlagen ist. Nahezu alle Kreaturen bringen während des Versorgungssegments Sporenmarken ins Spiel, die man nach drei überlebten Runden schließlich in Saprolinge vom Wert 1/1 umwandeln kann, um somit sowohl die Offensive als auch die Verteidigung individuell zu verstärken. Auskeimende, wilde und muschelbewohnende Thalliden verfügen allesamt über diese Eigenschaft, wohingegen der sporensäende Thallid sogar jedem Pilzwesen eine weitere Sporenmarke verleiht. Bei wachsender Kreaturenzahl im aktiven Spiel verstärkt man somit nicht nur die einzelne Kreatur, sondern das gesamte Deck um ein Vielfaches, so dass der Gegner, sobald er einmal zurückgeschlagen wurde bzw. man selber eine Runde ohne große Verluste überstanden hat, kaum noch Kontermöglichkeiten besitzt, weil die Kollektivpower in der anschließenden Runde noch einmal um weitere Sporen und Saprolinge anwächst. Und wäre dies nicht schon genügend Unterstützung von dieser Seite aus, kann man mit Spontanzaubern wie ‚Sprießen‘ sogar sofort einen Saproling ins Spiel bringen.

Davon unabhängig sind die meisten Zauber generell darauf ausgelegt, die Pilzwesen in ihrer Angriffs- und Defensivkraft gehörig zu verbessern bzw. die Gegner direkt verheerend zu schwächen. Dies sollte man gerade dann ausspielen, wenn man noch im Begriff ist, das ausliegende Deck aufzubauen, denn gerade in der Abwehr sind Verstärkungen wie ‚Macht des alten Krosa‘ und ‚Blühende Umarmung‘ unheimlich effektiv und aufgrund ihres hohen Werts kaum zu schlagen. Sobald dann endlich eine starke Gemeinschaft im Spiel ist, sollte man sich zügig in den Angriff werfen. Karten wie ‚Stärke durch Überzahl‘ verbessern den eigenen Angriffswert um einen Punkt pro zu tappender Kreatur und sind bei entsprechendem Rückhalt quasi schon ein Garant für den Erfolg. Sollte dieser dennoch ausbleiben, geben weitere Spontanzauber wie ‚Plötzlicher Tod‘ dem Gegner den Rest. Aber auch für Rückschläge ist man bestens ausgerüstet, denn Karten wie ‚Gefallenes Ideal‘ kommen immer wieder aus dem Friedhof zurück und dienen auch in künftigen Runden der Verzauberung einer Kreatur – einer immens schlagkräftigen.

Im Grunde genommen führt der Weg zum Sieg jedoch über die richtige und vor allem hemmungslose Verwendung der Saprolinge. Sie liefern den Thalliden die perfekte Nahrung, um ihre Fähigkeiten den Anforderungen anzupassen und ihnen gerecht zu werden. Der zweite entscheidende Faktor ist die Opferbereitschaft, die in keinem bisherigen Set so ausgeprägt gefordert wurde wie hier. Kreaturen werden zum Kanonenfutter, um einzelne Thalliden weiter zu stärken, was zwar ein geringes Risiko mit sich bringt, bei geschickter Anwendung jedoch kaum schiefgehen kann. Denn wie gesagt: Sind erst einmal genügend Thalliden im Spiel, sind die „Pelzigen Pilzwesen“ nur noch schwer aufzuhalten.

_Fazit_

„Pelzige Pilzwesen“ ist definitiv ein Deck für risikofreudige, offensive Spieler, die ihren Angriff aber dennoch erst aus einer gesicherten Deckung heraus spielen. Dies mag sich konträr anhören, ist aber eigentlich logisch, denn man kann die geballte Kraft der Thalliden-Kreaturen erst dann nutzen, wenn man einen gesunden Wall derartiger Pilzwesen aufgestellt hat und sich um überraschende Gegenschläge und anschließende Verluste keine Sorgen mehr machen muss.

Kontrollierte Offensive, dann jedoch bedingungslos und rasch – so in etwa könnte die Devise eines Spielers des nunmehr dritten Themendecks der „Zeitspirale“-Erweiterung zu „Magic: The Gathering“ lauten, und in nicht wenigen Fällen sollte sie auch gute bis sehr gute Chancen auf ein siegreiches Spiel in Aussicht stellen, denn diese pelzigen Kreaturen sind wirklich penetrant in ihrem Zusammenhalt und als Einheit mit ausreichend Sporenmarken und Saprolingen kaum kleinzukriegen. Nicht zuletzt der Fakt, dass ihre nackten Angriffs- und Verteidigungswerte meist nicht von schlechten Eltern sind und man sie trotzdem verhältnismäßig leicht tappen kann, unterstreicht die Tatsache, dass gegnerische Spieler es im Vergleich mit diesem Set oft mit einer unüberwindbaren Hürde zu tun haben. Mehrere Duelle mit anderen Sets aus der „Zeitspirale“ haben am Ende bewiesen, wie schwer den Thalliden beizukommen ist, was schlussendlich auch dafür spricht, sein Deck um einige dieser Wesen aufzubauen – zumal es unheimlich viele Variationen gibt, um welche Taktik herum man das Spiel „Pelzige Pilzwesen“ strukturiert. Ergo: Wieder mal eine gelungene Zusammenstellung, die den ebenfalls sehr positiv aufgenommenen bisherigen Themendecks aus dieser Edition definitiv in nichts nachsteht.

http://www.magicthegathering.de/
http://www.universal-cards.com
http://www.wizards.com/

|Siehe ergänzend dazu:|

[Magic: The Gathering 9. Edition – Schnelleinstieg 3335
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Armee der Gerechtigkeit« 3337
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Schon wieder tot« 3370
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Luftige Höhen« 3591
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Welt in Flammen« 3592
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Remasuri-Entwicklung« 3371
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Kreuzritter der Hoffnung« 3372

[Outlaw 1864 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 1)
[Der Ketzer 2645 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 2)
[Die Hüterin 3207 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 3)
[Die Monde von Mirrodin 2937 (Magic: The Gathering – Mirrodin #1)

Ciencin, Scott / Stakal, Nick – Silent Hill 3: Tot/Lebendig

Band 2: [„Innerlich sterben“ 3161

_Story_

Erinnerungen an seine ehemalige Geliebte sowie ein gewisser Drang zur Wiedergutmachung treiben den Filmstar Kenneth Carter nach Silent Hill. Dort trifft er auf das kleine Mädchen Christabella und nimmt sich ihrer an, zunächst nicht wissend, auf welch finsteres Spiel er sich einlässt. Doch dann nehmen die Dinge ihren Lauf: In Silent Hill vermischen sich für den bekannten Schauspieler auf immer konfusere Art Realität und Fiktion, bis Carter schließlich die komplette Macht über seine Bestimmung verliert und dem grausamen Spiel des abgeschiedenen Ortes unterliegt.

Während er mit einigen Dämonen der eigenen Vergangenheit ringt und feststellt, wie weit sein Leben in der Vergangenheit bereits mit der kleinen Stadt in Verbindung stand, wird er vor mehrere Entscheidungen gestellt, die sowohl das eigene Leben als auch das seiner Liebsten gefährden. Und dabei ist er eigentlich nur zurückgekommen, um Connie wiederzusehen …

_Meine Meinung_

Bereits die vorangegangene Episode „Innerlich sterben“ war eine verdammt harte Nuss, die besonders aufgrund der durchgehend düsteren Atmosphäre rein gar nichts für sanfte Gemüter war. Die grausame Geschichte um die junge Christabella und ihr Schicksal bewegte auf der einen Seite und erschreckte wiederum auf der anderen. Dazu das unheimliche Setting und weitere fürchterliche Charaktere – willkommen in Silent Hill, wo nichts mehr so ist, wie es einmal war.

Nun, in der aktuellen Ausgabe, trifft man alerdings schon noch auf einige alte Bekannte, darunter zum Beispiel den mutierten Dr. Troy, der nach seinem Tod immer noch in Silent Hill verweilt und auf Rehabilitation hofft. Oder die seltsame Lauryn, die nach außen hin reifer wirkt als ihre Schwester Christabella, aber stets in ihrem Schatten steht. Und natürlich die Achtjährige selber, wie sie sich umgeben von der schaurigen Umgebung gegen alles und jeden behauptet und ihr Umfeld zum Wahnsinn treibt. Sie alle greifen in dem Moment ein, in dem der Schauspieler Kenneth Carter nach Silent Hill kommt und hofft, sein Gewissen in irgendeiner Art zu erleichtern.

Dies gelingt ihm jedoch von Beginn an in keiner Weise. Stattdessen steigt die Zahl seiner potenzieller Gegner von Seite zu Seite; er gerät in das Kreuzfeuer einer Verschwörung, die ihm jeglichen Sinn für die Realität und letztendlich den Verstand raubt. Denn was tatsächlich um ihn herum geschieht, das kann er selbst mit etwas Weitsicht nicht erfassen. Silent Hill hat seine eigenen Gesetze, und dies bekommt er ab der Sekunde seiner Ankunft permanent am eigenen Leib zu spüren.

Zu beschreiben, worum es in Band 3, „Tot/Lebendig“ tatsächlich geht, würde definitiv den Rahmen der Rezension sprengen, denn die neue Story ist derart komplex, dass ein individuelles Charakterprofil jeder einzelnen, halbwegs wichtigen Figur vonnöten wäre, um zumindest in Ansätzen zu verstehen, wie die Charaktere in Verbindung zueinander stehen und was die daraus resultierenden Beziehungen ausmachen. Christabella, Lauryn und auch Leonora bleiben die großen Unbekannten im Spiel, dem sich Carter ausgesetzt fühlt.

Letzterer hingegen übernimmt die Rolle eines Anti-Helden, der eigentlich stets im Mittelpunkt steht, dann aber wieder vollkommen unwichtig erscheint, weil sein Handeln im nächsten Moment wieder als nicht real beschrieben wird. Dies überhaupt zu erfassen, stellt für den Leser wohl auch die größte, mitunter auch die einzige Herausforderung dar. Der Autor wechselt stets von der Realität in den phantastischen Bereich, verharrt dort kurz, schwenkt zurück und wiederholt diesen Vorgang binnen weniger Szenarien derart oft, dass man sich als Leser sehr gut in die Situation des Protagonisten Carter versetzen kann. Mit anderen Worten: Man weiß nicht, wie einem geschieht, und obwohl man der Handlung in groben Zügen folgen kann und irgendwann ungefähr den Kern erfasst hat, bleibt „Tot/Lebendig“ bis zum Schluss ein einziges Rätsel – zwar mit vielen Hinweisen, aber sicherlich nicht mit stringentem, geschweige denn transparentem Verlauf.

Nichtsdestotrotz gelingt es Autor Scott Ciencin problemlos, das Niveau der vorangegangenen Bände zu halten. Er hat nicht nur einen hohen Anspruch an sich und seine Storys, sondern vor allem auch an seine Leserschaft. Dies spiegelt sich zwar nicht flächendeckend in den teils doch recht gewöhnlichen Dialogen wider, wird aber in der sprunghaften, superspannenden und eben nur schwer zu durchschauenden Geschichte immer wieder mit zahlreichen Beispielen unterlegt – und gottlob zum Schluss auch befriedigend aufgedeckt. Zugegeben, nach dem Verwirrspiel, das Ciencin gerade im mittleren Teil des schmucken Sammelbands mit seinen Lesern treibt, hatte ich ernsthafte Bedenken, ob das Ganze nicht eine Spur zu bizarr und abgehoben sein könnte. Aber im Grunde genommen führt der Autor hier nun in einem arg kontrastreichen, unberechenbaren Programm auf, worum es in „Silent Hill“ geht und was für die Kreation dieser einzigartigen Atmosphäre erforderlich ist. Und eine gewisse Komplexität steht da deutlich an erster Stelle!

Vorsicht ist geboten, das sollte man sich bewusst machen, wenn man sich an „Tot/Lebendig“ heranbegibt, es ist nämlich höchste Konzentration gefragt, um einerseits die schockierenden Skizzen auf sich wirken zu lassen und gleichzeitig die einzelnen Handlungsschritte nicht aus den Augen zu verlieren. Der Lohn ist ein ziemlich abgefahrener, bisweilen auch abgehobener Comic, dessen wichtigste Eigenschaft wohl die ist, dass man ihn, einmal gelesen, so schnell nicht wieder vergessen wird. Die Materie geht unter die Haut und hinterlässt einen bleibenden Eindruck, der schlussendlich in Begeisterung umschlägt. Diese Erkenntnis stellt sich allerdings auch zu dem Zeitpunkt ein, an dem die inhaltlichen Verständnisprobleme endgültig geklärt sind und man die Ereignisse verdaut hat. Daher auch noch einmal ein deutlicher Appell an das Durchhaltevermögen. In kaum einer anderen illustrierten Erzählung war dies in vergleichbarem Maße gefragt wie hier. Doch wie gesagt: Es lohnt sich wieder einmal!

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Jackson, Steve – Munchkin Impossible

[„Munchkin“ 3628

_Nichts ist unmöglich …_

… „Munchkin“. Diesen allseits beliebten Slogan einer japanischen Automobilmarke kann man definitiv auch auf das kultige Kartenspiel von Steve Jackson übertragen. In einer der aktuellen Ausgaben schlüpfen die Munchkins daher in die Rolle von Spionen. Als Playboy, Assassine oder Tourist heuert man für die internationalen Geheimdienste an und schlägt sich dabei auf die Seite von Russen, Briten, Amerikanern und Chinesen. Mit den gefährlichsten Waffen und mickrigsten Spezialgegenständen kämpft man gegen Klempner, Fanatiker und Spione von der Gegenseite und hofft, möglichst schnell die heiß begehrte zehnte Stufe erreicht zu haben. Doch nur derjenige, der am geschicktesten verhandelt, am gewieftesten taktiert und die besten Trainingsprogramme durchlaufen hat, kann dies als Erster schaffen.

_Spielmaterial/Design_

Wie üblich besteht das Deck aus 168 Karten, die von Altmeister John Kovalic einmal mehr mit herrlichen, brüllend komischen Illustrationen bereichert wurden. Es ist schier der Wahnsinn, wie es dem Grafiker jedes Mal wieder gelingt, den Balanceakt zwischen dem eigentlichen Thema und dessen satirischer Darstellung zeichnerisch aufzufangen, und genau dies ist auch in „Munchkin Impossible“ mal wieder ein echtes Kaufargument. Einfach stark, was der Mann aus den Gesichtern der unzähligen Figuren herausholt und wie er dies mit dem Hintergrund des Spielsystems kombiniert. Auch die Texte auf den Karten sind mal wieder erste Sahne, wobei die Ideen zu den verschiedenen Monster- und Gegenstandstiteln schlussendlich die Krönung der rundum überzeugenden Aufmachung sind. Keine Frage – dem Team Jackson/Kovalic macht so schnell niemand etwas vor.

_Spielablauf_

Im Vergleich zum ersten „Munchkin“-Set bietet das Reglement dieses Mal keine Neuerungen. Wieder einmal gilt es für die einzelnen Munchkins, verborgene Türen zu öffnen, sich den dahinter versteckten Monstern zu stellen, ihre Schätze bei deren Tod abzukassieren und am Ende eine weitere Stufe emporzusteigen. Hierbei kann man sich mit anderen Mitspielern zusammenrotten, im Zweifelsfalle weglaufen oder aber durch einen ausgeglichenen Kampf den Tod riskieren. Ziel ist es, als Erster Stufe zehn zu erreichen, wobei die grundlegende Voraussetzung darin besteht, den letzten Aufstieg durch den Tod eines Monsters und nicht mit einer speziellen Karte zu erreichen.

_“Munchkin Impossible“ – Die Vorzüge des Sets_

Wie auch bei allen anderen „Munchkin“-Sets stellt sich auch hier die Frage: Warum ausgerechnet dieses? Taugt es als Ergänzung oder ist es gar besser als das Original? Nun, da das Spielsystem sich eigentlich überhaupt nicht verändert hat – mal abgesehen davon, dass man nicht nur Doppel- sondern auch Dreifachagenten besitzen und so verschiedenen Loyalitätsklassen angehören kann (hierzu gleich mehr) -, hat sich am ursprünglichen Prinzip rein gar nichts geändert, so dass diejenigen, die nach taktischen, strategischen oder systematischen Veränderungen bzw. Verbesserungen suchen, mit diesem Set leer ausgehen würden. Doch darum geht es ja nicht, denn grob betrachtet bauen ja alle Sets auf den gleichen Regeln auf. Stattdessen kommt es auch in „Munchkin Impossible“ auf die grafische bzw. textliche Umsetzung des Kartenmaterials und damit auch des Themas an, und was das betrifft, haben die Designer Spitzenarbeit geleistet.

Statt die Rollen von Elfen und Zwergen zu bekleiden, schlüpft man also in das Korsett eines Geheimagenten, der zumeist einer bestimmten Loyalität angehört. Diese Angehörigkeit ist vor allem beim Kampf gegen die Widersacher, die hier in erster Linie von schmierigen Fieslingen bekleidet werden, relevant, weil verschiedene Gegner unterschiedliche Spezialeffekte gegen Briten, Amerikaner, Chinesen oder Russen ausrichten. Guiness und Killer-Kenny zum Beispiel schlagen gegen die Briten stärker zu, Agent Orange hasst Russen und der kommunistische El Presidente Magnifico hat etwas gegen die Nachbarn aus den Vereinigten Staaten.

Unter der Loyalität stehen verschiedene Klassen, darunter aalglatte Playboys, verpeilte Touristen und extrem qualifizierte Assassinen. Auch ihnen gehören verschiedenartige Fähigkeiten an, sofern sie das richtige Training belegt haben. Dies wäre dann die dritte Stufe, mit der man im Kampf noch weitere Vorteile erhaschen kann. Wer gut trainiert ist, hat die halbe Miete für ein erfolgreiches Spiel gezahlt. Man erlernt nützliche Missgeschicke, Schummeln und die Eigenschaft, die Maske im rechten Augenblick fallen zu lassen, was sich in der Bedrängnis gegen Monster stärkerer Stufen als Geheimwaffe äußerst nützlich erweisen kann.

Im Spiel weniger effektiv, in der Illustration jedoch die Favoriten sind die Fallen. Schlimme Dinge erwarten einen in der Schlangengrube, im Nudistencamp oder beim gefürchteten Mordinstrument Numero uno, dem Piano Mortale. Wehe dem, der hier nicht entsprechend ausgerüstet ist

_Meine Meinung_

Sieht man also mal davon ab, dass „Munchkin Impossible“ lediglich ein ummodelliertes Äquivalent zur Originalausgabe ist – und das sollte eigentlich Voraussetzung bei der Bewertung jeder „Munchkin“-Fassung sein –, kann man Jackson und vor allem seinem Partner Kovalic zu einer weiteren exzellenten Variante des Kultspiels gratulieren. Mit anderen Munchkins gegen anrüchige Geheimagenten, skrupellose Gangster und korrupte Fieslinge anzutreten und dabei einmal mehr die merkwürdigsten Waffen einzusetzen, ist ein wahrer Genuss und eine prima Abwechslung zum Basisspiel. Und wem dies noch zu wenig ist, der sollte mal die gemischte Variante ausprobieren, denn obwohl das Spiel mit mehreren kombinierten Fassungen ein wenig an Geschwindigkeit verliert, ist der Spaßfaktor unheimlich hoch, wenn Wesen aus anderen Welten gegen erbarmungslos brutale Mafiosi antreten und Fabelwesen mit der Wasserstoffbombe attackiert werden.

Wie man es auch dreht, das satirische Pendant zur uralten TV-Serie bzw. den effektreichen Kinofilmen ist in jeglicher Hinsicht eine Bereicherung für die heimische Kartenspielsammlung, auch bzw. gerade dann, wenn man schon einen der zahlreichen „Munchkin“-Titel sein Eigen nennt.

http://www.pegasus.de/munchkin.html

Power, Susan – Grastänzer, Die

„Die Grastänzer“ gehört zu den außergewöhnlichsten Bücher, die ich je gelesen habe. Das meiste, was je über Indianer und ihre Kultur geschrieben wurde, stammt aus der Feder von Nicht-Indianern. Mit „Die Grastänzer“ hielt ich zum ersten Mal ein Buch in der Hand, das von einer Indianerin geschrieben wurde.

Aber das war es nicht allein. Als ich versuchte, etwas zu diesem Buch zu schreiben, stellte ich fest, dass ich keinen ordentlichen Inhaltsabriss zustande brachte. Diese Geschichte ließ sich einfach nicht auf gewohnte Weise in Worte fassen. Erst, als ich das Pferd von hinten aufzäumte, war der Sache beizukommen!

_Fangen wir also mit den Charakteren an:_

Zunächst ist da Harley Wind Soldier, ein junger Bursche kurz vor seinem High-School-Abschluss. Harley hat ein Problem mit sich selbst, mit seinem Inneren. Er fühlt sich leer, an der Stelle, wo sein Ich sein sollte, ist nur ein schwarzes Loch.

Harleys Mutter Lydia ist seine einzige Verwandte. Seit Harleys Vater und Bruder bei einem Autounfall ums Leben kamen, hat sie kein Wort mehr gesprochen, nur noch gesungen.

Dann ist da noch Charlene, eine Klassenkameradin von Harley, die ihn ziemlich anhimmelt. Auch sie hat ein Problem, nämlich ihre Großmutter Mercury, die ziemlich besitzergreifend ist.

Mercury hieß früher Anna, hat sich aber irgendwann einfach umbenannt. Sie ist im ganzen Reservat gefürchtet, denn sie besitzt Zauberkräfte, die sie sehr selbstsüchtig einsetzt, nicht zum Wohl der Menschen.

Zu guter Letzt sei noch Red Dress erwähnt. Sie ist eine Vorfahrin von Anna, genau gesagt, ihre Großtante, und eine Kriegerin.

_Die Geschichte_ beginnt in der Gegenwart, genau gesagt 1981, im Reservat der Dakota. Das Buch ist in mehrere Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel trägt eine Jahreszahl und geht in der Historie ein Stück zurück. Es wird sozusagen rückwärts erzählt. Manche Kapitel tragen auch einen Namen, in der Regel den derjenigen Person, von der die Geschichte gerade handelt.

Hauptsächlich ist es Annas Geschichte. Die Geschichte einer erstaunlichen Frau, die zunächst nichts Besonderes zu sein schien, bis sie durch ein Ereignis gewissermaßen zu Stahl gehärtet wurde, und die die oben genannten Personen und noch weitere in ihr Schicksal mit hineinzieht, sich selbst zu ihrem Schicksal macht.

Je weiter man liest, desto mehr erfährt man über das Warum: Man erfährt, warum Harley sich so leer fühlt, warum Lydia nicht mehr spricht, warum Jeanette McVay, die weiße Lehrerin, das Reservat nicht verlassen kann, warum Anna so eine harte, selbstsüchtige Frau ist; aus den Lebensfäden der Personen wird ein Netz von Verstrickungen und Abhängigkeiten, durch die Annas Faden sich zieht wie eine leuchtendrote Linie.

Dadurch, dass die Geschichte von hinten nach vorn erzählt wird, hat man den Eindruck einer Blume. Am Anfang sieht man nur die äußere Hülle der Knospe. Doch je weiter man liest, desto weiter erblüht die Blume, desto mehr innere Blätter kann man erkennen, bis sie schließlich voll erblüht ist, an ihrem Ursprung, bei Red Dress. Und während die Blume erblüht, erblüht auch das Verstehen.

Am Ende kehrt die Geschichte in die Gegenwart zurück, die, wie wir jetzt wissen, unter dem Schatten der Vergangenheit liegt, um zu erfahren, wie die, auf denen der Schatten lastet – Harley, Charlene und Jeanette McVay -, sich daraus lösen, um ihren eigenen Weg zu gehen.

_Faszinierend_ ist aber nicht nur der Erzählverlauf an sich, sondern auch die Sprache, das heißt, die Bilder, die sie entstehen lässt. Es sind Bilder, denen eine andere Weltsicht, eine andere Art zu denken zugrunde liegt. Für die Indianer sind ganz andere Dinge wichtig als für uns, auch ihr Umgang miteinander und mit der Welt im Allgemeinen ist anders. Das mag wie eine Binsenweisheit klingen, trotzdem zeigt sich immer wieder, dass der Weiße Mann diese Tatsache noch immer nicht wirklich begriffen hat. Mag sein, dass er ganze Bücher mit Informationen über die Indianer und ihre Kultur füllen kann; Wissen kann man das aber nicht nennen. Das fängt schon damit an, dass die indianische Kultur ungefähr so einheitlich ist wie die europäische. Deshalb wird in „Die Grastänzer“ auch nicht die Kultur der Indianer lebendig, sondern die der Dakota.

Die Welt der Dakota ist von Geistern erfüllt, denen verstorbener Vorfahren, und anderen. Man kann sie sehen und mit ihnen reden, wenn sie und man selbst es zulassen. Sie sind Mahner, Ratgeber, manchmal auch Helfer zur Erkenntnis sowohl seiner selbst als auch anderer.

Das macht das Buch stellenweise sehr mystisch. Man sollte das aber keinesfalls mit Mystery verwechseln! Hier geht es nicht um die Inszenierung des Geheimnisvollen oder Unerklärlichen, sondern um eine tiefe Verbundenheit der Dakota mit ihrem Volk und ihrem Land, aber auch um die Tatsache, dass diese Verbindung zu einem großen Teil verloren gegangen ist.

Was mich an diesem Buch so gefesselt hat, war, dass all das, was ich bisher aus trockenen Sachbüchern erfahren hatte (und das war leider nicht viel), hier nicht nur durch ganz unerwartete Dinge ergänzt und erweitert wurde, sondern dass all das in diesem Buch zum Leben erweckt wird, eine konkrete Bedeutung erhält, mit Sinn gefüllt wird. Wir lesen nicht das Buch eines Forschers, der niederschrieb, was er wusste oder glaubte zu wissen, sondern wir lesen direkt in den Wolken, im Wasser und im Gras.

Eines darf man allerdings nicht erwarten: Wildwestromantik. Die Indianer und Weißen in diesem Buch sind keine Helden und Schurken, wie wir sie von Karl May oder Cooper kennen, sondern einfach Menschen. Ihr Leben besteht nicht aus dem, was wir unter Abenteuern verstehen, auch nicht im Kapitel von Red Dress. Dies ist die Geschichte des „Wilden Westens“ aus Sicht der Indianer, nicht aus Sicht der Weißen. Diese Geschichte ist auf ihre Art ebenso dramatisch, aber nicht so stilisiert, nicht so idealisiert.

Wer also nostalgisch veranlagt ist und seine Träume von einem Amerika à la Winnetou nicht demontiert sehen will, der lese dieses Buch nicht.
Es bietet keine Spannung im Sinne eines Krimis oder Abenteuerfilmes, es bietet keine große Liebesgeschichte, keine Lacher und auch keinen echten Grusel. Aber es bietet durchaus Dramatik und Gefühl. Jedem, der sich für Menschen und für indianische oder überhaupt für fremde Kulturen interessiert, kann ich das Buch nur wärmstens empfehlen. Einziger Nachteil: Das Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich.

_Susan Power_, geboren 1961 in Chicago, ist eine Standing-Rock-Sioux und Nachfahrin des berühmten Häuptlings Mato Nupa (Two Bears). Schon als Kind hat sie sich intensiv mit der Kultur der Sioux und der benachbarten Cheyenne auseinandergesetzt und studierte schließlich in Harvard Literatur und Kunstgeschichte. Außer „Die Grastänzer“ hat sie einige Kurzgeschichten geschrieben, die u. a. in „The Best American Short Stories“ sowie als Sammlung unter dem Titel „Roofwalker“, allerdings nicht auf Deutsch, erschienen sind.

|Originaltitel: The grass dancer, 1993
Deutsch von Marion Sattler Charnitzky|

Grahame-Smith, Seth – große Porno-Buch, Das

„Das große Porno-Buch“ verspricht Einblicke in ein Genre, das zwar ebenso alt wie der Film selbst ist, doch von den Filmhistorikern und -fachleuten seltsamerweise mit weitgehender Missachtung gestraft wird, obwohl sich der Pornofilm heute zu einer regelrechten Industrie entwickelt hat, die allein in den USA Jahresumsätze in zweistelliger Milliardenhöhe erzielt. Diesem Versäumnis möchte der Verfasser – so gibt er jedenfalls vor – in sieben Kapiteln abhelfen.

Seine „Kurze Geschichte des Pornofilms“ (S. 11-36) führt zurück ins ausgehende 19. Jahrhundert. Sobald es die Technik gab, Bilder zu Filmen zu reihen, wurde sie genutzt, um nackte Menschen bei eindeutigen Aktivitäten zu zeigen. Dies war freilich keineswegs die Geburtsstunde der Pornografie, denn die gab es zu diesem Zeitpunkt schon so lange, wie es möglich war, Nacktheit und Sex bildlich und literarisch darzustellen. Der Film bot dem Porno nur eine neue Ausdrucksform mit allerdings ungeahnten Möglichkeiten.

Obwohl der Pornofilm mehr als ein Jahrhundert alt ist, bestand er notgedrungen lange Jahre aus simplen „Fickfilmchen“, deren Bezeichnung ihre inhaltliche wie formale Qualität adäquat widerspiegelt: Die Justiz drängte den Porno im Bund mit moralisch aufgestörten Saubermenschen in die Illegalität ab. Salonfähig wurde er erst in den 1970er Jahren: Das Kapitel „Pornokunde: Die Klassiker“ (S. 37-86) erzählt von der kurzen Zeit, als sein Sprung in die Seriosität der Mainstream-Kinos möglich schien und nackte Tatsachen im Rahmen echter Handlungen präsentiert wurden.

„Im Pantheon des Porno“ (S. 87-126) sieht der Verfasser jeweils zehn Damen und Herren (sowie fünf Regisseure), die sich in dieser „goldenen Ära“ einen Namen gemacht haben. Er stellt sie und ihr Filmschaffen (oder -treiben) in kurzen Worten vor und erläutert, wieso der Pornofilm des späten 20. und 21. Jahrhunderts kaum mehr „Stars“ kennt: Durch Video und DVD ist er zu einem Massengeschäft degeneriert, in dem Quantität vor Qualität rangiert und die Halbwertszeit vor allem für die austauschbaren Darstellerinnen jener von Schnee in der Wüste entspricht.

„Wer suchet, der findet“ (S. 127-152), nämlich Pornos für jeden Geschmack und noch so abseitige Vorlieben. Der Verfasser taucht vorsichtig ein in eine seltsame Parallelwelt mit eigenem Jargon („ATM“, „Bukkake“, „Creampie“, „Hentai“ usw.), den zu übersetzen ihn zu überfordern scheint bzw. zu blumig-schraubigen Umschreibungen zwingt. Außerdem stellt er in diesem Kapitel die unerhörten Möglichkeiten des Internets vor, schildert das Innere einer (US-amerikanischen) „XXX“-Videothek und hat sich zwecks Recherche auch in Sexshops und an Kioske getraut.

Die „Schöne schmuddlige Welt“ (S. 153-166) stellt den Verfasser vor das Problem, als stolzer und typischer US-Bewohner den Globus außerhalb seines Heimatlandes anscheinend nie bereist zu haben, weil dort bekanntlich überall Terroristen lauern und Verworfenheit herrscht. Folglich hat er sich für seine Darstellung des pornografischen Alltags in den Ländern zwischen Afghanistan – der Krieg am Golf fördert zumindest auf dieser Ebene den kulturellen Austausch – und dem United Kingdom primär des Internets bedient. Was er nicht herausfinden konnte, ersetzte er – siehe die Beiträge „Deutschland“ und „Japan“ – durch Hörensagen, Vorurteile und Dummheit.

Die technische Seite des Pornofilms versucht Grahame-Smith im Kapitel „Drehen Sie Ihre eigenen Pornos“ (S. 167-188) darzustellen. Wer tritt in solchen Filmen auf, welche Kameras kommen zum Einsatz, wie ist das Licht zu setzen – solche und andere Fragen werden seltsamerweise so beantwortet, als sei die Welt des Pornos ausschließlich eine des Amateurfilms.

Diverse „Extras“ (S. 189-201) runden das „Porno-Buch“ ab: Ein „Pornoglossar“ erläutert Fachtermini des Genres. Ergänzt wird fast jeder Eintrag durch Anmerkungen des Verfassers, der sich hier abermals erfolglos als Comedian versucht. „300 echte Pornotitel“ künden vom Einfallsreichtum der Pornofilmer, den Hollywood-Mainstream zu parodieren („An Officer and a Genitalman“, „For a Few Inches More“, „Lord of the Cock Rings“). Abschließend folgen ein Register, ein Verzeichnis der Bildquellen und eine in ihrer Peinlichkeit schwer erträgliche Danksagung.

Aus der Inhaltsbeschreibung – in die sich schon früh des Rezensenten merklicher Ärger mischt – wird schnell deutlich, dass „Das große Porno-Buch“ keinesfalls zu den Glanzleistungen der Reihe |Heyne Hardcore| gehört; tatsächlich ist es wohl auch im Original ein Schuss in den Ofen. Das liegt zum einen an der erwähnten „Anrüchigkeit“ des Themas, das eine seriöse Behandlung anscheinend unmöglich macht bzw. diejenigen, die über das fachliche und schriftstellerische Rüstzeug verfügen es darzustellen, von einer ernsthaften Recherche abschreckt. Auch Seth Grahame-Smith macht ausdrücklich deutlich, dass er kein Journalist ist. Wir werden mit dem Werk eines Amateurs & Infotainers konfrontiert – und genauso wirkt es.

Das andere Hindernis könnte auch ein fähiger Verfasser nicht umschiffen: Die Zensur, die es in vielen Ländern dieser Welt angeblich nicht (mehr) gibt, während sie tatsächlich nur ihren Namen und ihre Erscheinungsform verändert, gestattet es nicht, ein „richtiges“ Sachbuch zum Thema Porno mit einschlägigen Abbildungen zu versehen. Das ist in den USA so, und das gilt auch für Deutschland, d. h. nicht nur in Bayern. Unter diesen Umständen ist eine Darstellung, die ihren Namen verdient, schwierig bis unmöglich. An ihre Stelle treten zweifelhafte „Als-ob“-Machwerke wie dieses, dessen Untertitel „Ein unzensierter Blick hinter die Kulissen der Sexindustrie“ eine dreiste Lüge zum Zwecke der Lockung vertrauensvoller Käufer darstellt.

Eine detaillierte Analyse der Textbeiträge möchte ich mir und den Lesern dieser Zeilen ersparen; sie würde viele, viele Seiten füllen, deren Quintessenz sich knapp und präzise so zusammenfassen lässt: Grahame-Smith weiß nicht viel und hat sich offensichtlich darauf beschränkt, diverse Null-Infos aus Pressemappen und Werbeflyern zu klauben, die er grob sortiert und mit eigenen „Zwischentexten“ zu einem „Buch“ zusammengeklittert hat. Selbst das Ordnen fiel ihm schwer, denn das Inhaltsverzeichnis belegt ein wüstes Durcheinander ohne roten Faden – wenn dem „Verfasser“ nichts mehr einfiel, begann er ein neues Kapitel.

Grahame-Smith nimmt sein Thema und damit seine Leser nicht ernst. Damit ist nicht gemeint, dass man sich des Pornofilms nicht humorvoll annehmen dürfte. Doch Grahame-Smith scheint sich vor allem nicht wirklich in die Höhle des Löwen zu wagen, sondern späht nur vom Eingang ängstlich hinein. Grahame-Smith bleibt die meiste Zeit auf der Flucht vor seinem Thema. Was sollen seine nutzfreien „Tipps“ zum Dreh eigener Pornofilme? Sein mit allgemeinen Daten und Ereignissen zur Filmgeschichte gespickter „historischer Rückblick“? Sein vor weißen Flecken, Ignoranz und Fehlern strotzender „pornografischer Atlas“? Grahame-Smith schindet Seiten, trotzdem ist das Buchende noch weit, als ihm endgültig die Luft ausgeht.

Die Dürftigkeit der so gewonnenen „Erkenntnisse“ wird selbst dem Verfasser aufgefallen sein. Er bemüht deshalb einen alten Trick, der aus der Zeit stammt, als sich das Filmpublikum an „richtige“ Pornofilme erst gewöhnen musste: Nackte Haut wird mit Klamauk gemischt. Bevor es „ernst“ wird vor der Kamera, geschieht etwas „Komisches“, das die gefährliche und „verbotene“ erotische Spannung löst. Da Grahame-Smith das nicht wie in den deutschen Lederhosen-Filmen der 1970er Jahre erreichen kann, indem er den Herrn Pfarrer durch das Schlafzimmerfenster stürzen lässt, versucht er es mit einen anbiedernd humorigen Tonfall, der aussagen soll: Seht her, ich schreibe zwar über den Porno, aber ich bin kein Ferkel, dem solche Sauereien gefallen, und mein Buch ist nur ein großer Spaß, den wir uns jetzt alle gemeinsam auf Kosten des Pornos machen.

Der Spaß bleibt aus, denn plumper Klamauk und Schweinigeleien ersetzen ihn (eben nicht) und erzeugen beim Leser Ratlosigkeit und Ärger. Daran kann das an sich sehr hübsche Layout des „Porno-Buches“ nichts mehr ändern. Sehr grell und bunt kommt es daher, mischt Raster und Muster mit etlichen Schriftfonts und -größen. Auch das Fotomaterial kann sich zumindest sehen lassen, was seine Abbildungsqualität angeht, die zu keiner Kritik Anlass gibt. Vor allem die nostalgischen Plakate von Pornofilmen der 1970er Jahre werden auf feinem Kunstdruckpapier gestochen scharf wiedergegeben.

Schade um den Aufwand, denn was die Bildauswahl betrifft, bringt Grahame-Smith das traurige Kunststück fest, ein „Porno-Buch“ mit einer Altersfreigabe ab sechs Jahren zu fabrizieren. Jedes Foto wurde sorgfältig „entschärft“, sei es, indem betont „harmlose“ Schnappschüsse ausgewählt wurden, oder sei es, dass per Bildausschnitt so manipuliert wurde, dass „Anstößiges“ buchstäblich abgeschnitten wurde. „Nacktheit“ wird ausschließlich durch blanke Busen definiert, was in den USA völlig ausreicht, um brünstige Junghengst-Hirne zu Schaum zu verkochen, wie man aus „American Pie“ und anderen Lehrfilmen weiß. Im deutschen Werbefernsehen geht es „schärfer“ zu als in diesem Buch, was angesichts des Themas sicher keine Empfehlung ist.

So ist dieses „Porno-Buch“ nichts als (allerdings nicht im Kaufpreis) billige Bauernfängerei und tauglich höchstens als deutlicher Beleg dafür, dass es mit der „sexuellen Freiheit“ auch im 21. Jahrhundert nicht weit her ist. Wer wirklich etwas wissen möchte über Sex in der Filmgeschichte, greife zum fast zeitgleich veröffentlichten Band „Erotic Cinema“, verfasst von Douglas Keeney und erschienen im |Taschen|-Verlag. Obwohl der Porno weitgehend ausgeklammert bleibt, wird das Thema informativ und offen behandelt und auch so bebildert, was Grahame-Smith und seinem Zielpublikum vermutlich einen Hirnschlag bescheren (und immerhin weitere Dumm-Dumm-Geschosse aus dieser Richtung verhindern) würde.

|Anmerkung|

„Seth Grahame-Smith kann es immer noch nicht fassen, dass ihn jemand dafür bezahlte, ein Jahr lang Pornos zu schauen. Er lebt in Los Angeles mit seiner erstaunlich toleranten Frau Erin und Logan, seinem unglaublich vergesslichen Hund. Dies ist sein erstes Buch.“

Lüftet dieser Klappentext das Geheimnis dieses gedruckten Trauerspiels? Wenn mich meine Grammatik-Kenntnisse nicht im Stich lassen, bezieht sich „Dies ist sein erstes Buch“ auf den Hund Logan, was die „Qualität“ des Werks sowie das Autorenfoto erklären konnte …

PS: „Seth Grahame-Smith“ ist (natürlich?) ein Pseudonym, hinter dem sich der Filmemacher Seth Jared Greenberg (geb. 1976) verbirgt.

http://www.heyne.de

Nelson, Arvid / Johnson, Eric (EricJ) – Rex Mundi 1 – Der Wächter des Tempels

Im März 2007 wurde »Rex Mundi 1 – Der Wächter des Tempels« auf Deutsch in der |Ehapa Comic Collection| veröffentlicht. Es handelt sich dabei um die Übersetzung des ersten US-Paperbacks »The Guardian of the Temple«. In den USA gibt es bereits insgesamt vier Paperbacks. Zwei sollen noch in naher Zukunft folgen. Mit dem sechsten Paperback also wird die Serie in absehbarer Zeit abgeschlossen sein.

Rex Mundi ist ein Verschwörungsthriller in der Tradition von Dan Browns [»The Da Vinci Code«. 1897 Die Geschichte spielt in einer alternativen Welt des Jahres 1933, in der die Reformation nie stattgefunden hat und die Kirche noch immer über große Macht verfügt. Die Hauptfiguren sind die Ärzte Dr. Julien Saunière und Dr. Genevieve Tournon. Der Leser folgt abwechselnd einem der beiden durch die Hinterhöfe und Salons von Paris. So bilden diese Figuren das grundlegende Erzählgerüst von Rex Mundi.

Die Geschichte beginnt mit einem Klopfen in der Nacht. Es ist der Priester Gérard Marin, der an die Tür seines alten Schützlings und Freundes Dr. Julien Saunière pocht. Saunière öffnet verschlafen die Tür und späht hinaus in die Dunkelheit. Was der Pater ihm zu erzählen hat, vertreibt in Windeseile alle Müdigkeit aus seinen Gliedern. Marin behauptet, er sei der Hüter einer geheimen Bibliothek, die sich unter der Kirche La Madeleine befindet. Ein magiebegabter Einbrecher habe von dort letzte Nacht eine wertvolle Schriftrolle gestohlen. Der Pater bittet Saunière, ihm bei der Suche nach dem Dieb zu helfen. Der Erzbischof darf nichts von dem Diebstahl erfahren.

Marin führt Saunière auf dessen Wunsch hin nach La Madeleine. Der Doktor möchte sich den Schauplatz des Verbrechens genauer ansehen. Unter dem Altar der Kirche führt eine geheime Wendeltreppe tief unter die Erde. Es liegt ein starker Geruch von Sandelholz und Schwefel in der Luft, ein untrügliches Zeichen, dass ein dämonisches Wesen vor Ort war. In der unterirdischen Bibliothek gesteht Pater Marin, dass noch jemand von diesem geheimen Ort wusste, und zwar die junge Prostituierte Marie-Christine. Mit süßen Einflüsterungen entlockte sie dem alten Priester sein wertvolles Geheimnis. Die Prostituierte könnte eine erste Spur zu dem Dieb sein. Als der Doktor sie aufsuchen will, findet er das Mädchen tot in seinem Zimmer. Sie wurde in einem Ritual hingerichtet, ihr Blut bedeckt die Wände. Nun schwebt auch Pater Marin in Gefahr, denn der Wächter des Tempels hat die Jagd eröffnet.

Obgleich man hin und wieder merkt, dass Arvid Nelson noch kein eingefleischter Veteran im Erzählen ist, beeindruckt doch seine Arbeit am Universum von |Rex Mundi|. In kaum einem anderen Comic findet man solch eine detaillierte und zugleich glaubwürdige alternative Realität. Die Bildwelten des EricJ fallen weder besonders glatt noch dynamisch aus, recht so, denn schließlich ist Rex Mundi nicht Batman oder Spider-Man. Mit einer Vorliebe für Einzelheiten und Schatten trifft er den Grundton der Geschichte bemerkenswert gut. Manchmal wirken seine Figuren leider etwas hölzern, aber darüber lässt sich hinweglesen. Zu erwähnen ist außerdem die hervorragende Aufmachung, die |Ehapa| der Serie hat zukommen lassen. Hier stimmt alles: Hardcover, ordentliche Bindung, dickes Papier. Man muss keine Sorge haben, dass bald einzelne Blätter aus dem Leim gehen. |Rex Mundi| lässt sich getrost mehrmals lesen. Wer Thriller mag, sollte lieber keinen Bogen um diese Serie machen.

Deutsche Leseprobe Band 1
http://www.ehapa-comic-collection.de/media/RexMundi__LP.pdf

Offizielle US-Website von Rex Mundi
http://www.rexmundi.net/main/index.html

Dark Horse Comics
http://www.darkhorse.com

Ehapa Comic Collection
http://www.ehapa-comic-collection.de

Bosworth (Herausgeber) – Hochzeits-Liederbuch, Das (Alt/Bariton)

„Das Hochzeits-Liederbuch“ – das ist kein offizielles Rahmenprogramm zur kirchlichen Hochzeit, sondern eine weitere Liederkollektion aus dem Hause |Bosworth|, in der einmal mehr eine breite Palette von bekannten Welthits und ausgewählten klassischen Kompositionen in gesammelter Form veröffentlicht wird. Dem Anlass entsprechend umfasst dieses feine Büchlein natürlich eine ganze Reihe bekannter Love-Songs, dabei unter anderem Stücke von Whitney Houston, Elvis Presley und zum gegebenen Anlass auch Ausschnitte aus dem Werk Andrew Lloyd Webbers. Gleichzeitig sind auch viele legendäre Momente der klassischen Kompositionslehre enthalten, angefangen bei Bizets ‚Agnus Dei‘ über Wagners ‚Brautlied‘ bis hin zu Griegs ‚Ich liebe dich‘. Weiterhin beinhaltet das zweiteilige Sammelbuch noch eines der wohl am meisten verwendeten Hochzeitslieder, nämlich das Traditional ‚Amazing Grace‘, welches genau deshalb auch eine offensichtliche Wahl für eine solche Kollektion ist.

Überhaupt ist die Auswahl sehr treffend. Zwar sind die Songs von Elvis und Tammy Wynette (‚Stand By Your Man‘) natürlich überhaupt nicht mit den Meisterwerken von Bach, Schumann und Händel zu vergleichen, aber weil ausnahmslos jeder Titel das Thema perfekt trifft und nicht selten am wichtigsten Tag in mancher Leute Leben erklingt, harmonieren die Stücke aus den unterschiedlichsten Genres wirklich sehr gut. Insofern ist „Das Hochzeits-Liederbuch“ für die Gestaltung der musikalischen Untermalung des Hochzeitstags also auch völlig brauchbar.

Die Arrangements der insgesamt 20 Stücke sind dabei für die Stimmen Alt und Bariton geschrieben und werden mit der Gesangsstimme sowie den zugehörigen Texten erweitert. Und um den Einstieg und die erstmalige Begleitung zu erleichtern, ist dem Ganzen zusätzlich noch eine CD beigefügt worden, auf der die Rohfassungen der Lieder noch einmal nachzuhören sind. Alles in allem kann man daher auch wieder von einem tollen Komplettpaket sprechen, dessen Thema zwar zunächst einmal sonderbar erscheint – schließlich werden nur die wenigsten mal die Gelegenheit bekommen, auf einer Hochzeit den Pionisten zu geben – aufgrund der tollen Auswahl jedoch als generelles Werk gefällt und zu einem erschwinglichen Preis als Anschaffung auch durchaus empfehlenswert ist. 20 wunderschöne Songs, inhaltlich grob miteinander verbunden, rein äußerlich sehr breit gefächert und für Tastenfreunde mit Hang zu ruhigeren Klängen genau das Richtige.

_Inhalt_

ELBIS PRESLEY – Love Me Tender
LEONARD BERNSTEIN – One Hand, One Heart
ANDREY LLOYD WEBBER – Memory
ANDRES LLOYD WEBBER – Think Of Me
TAMMY WYNETTE – Stand By Your Man
COLE PORTER – I Get A Kick Out O You
SHANIA TWAIN – From This Moment On
WHITNEY HOUSTON – I Will Always Love You
WHITNEY HOUSTON – One Moment In Time
TOMMASO GIORDANI – Caro Mio Ben
JOHANN SEBASTIAN BACH – Dir, Jehova, will ich singen
JOHAN SEBASTIAN BACH / CHARLES GOUNOD – Ave Maria
EDVARD GRIEG – Ich liebe Dich
FRANZ SCHUBERT – Ungeduld (Dein ist mein Herz)
ROBERT SCHUMANN – Du Ring an meinem Finger
EUGEN HILDACH – Wo du hingehst, da will ich auch hingehen
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL – Dank sei dir, Herr
GEORGES BIZET – Agnus Dei
RICHARD WAGNER – Brautlied

http://www.bosworth.de

McCarthy, Cormac – Straße, Die

Filme und Romane, die sich mit dem Ende unserer bekannten Welt und Zivilisation befassen, gibt es viele. „The Day after“ zeigte uns in den Achtzigerjahren die Eskalation der Weltmächte und Angriffe auf die USA mit Nuklearwaffen; ob es dabei nun ein Erst- oder Gegenschlag war, wusste der Zuschauer nicht.

Es ist eigentlich auch egal, denn das Ende der Welt ist nicht mehr aufhaltbar. Der Bevölkerung bleiben nach dem Atomschlag nur verbrannte Erde, völlig zerstörte Großstädte, es gibt keine Zivilisation mehr und keine Gesetzgebung, keine Krankenhäuser, kein gezähmtes Wasser und keinen Strom, keine für uns so selbstverständlichen Güter, auf die wir scheinbar unbegrenzt zugreifen können und ohne die wir wahrscheinlich nicht mehr überleben könnten.

Wer die Bilder von Hiroshima und Nagasaki gesehen hat, bekommt eine Vorstellung von den möglichen Ausmaßen eines solchen Endzeitszenarios. Nicht nur die Bilder zerstörter Städte sind es, die uns erschrecken, sondern auch die der Bevölkerung, die zwar der Atombombe nicht sofort zum Opfer fiel, doch viele dieser Überlebenden sterben noch Jahrzehnte später an den Folgen der Radioaktivität oder geben ihr krankes Erbgut an die folgenden Generationen weiter – die Erb- und Krebskrankheiten steigen überdimensional an.

In der heutigen Zeit glauben nur noch die wenigsten an einen Atomkrieg. Die Theorie der atomaren Abschreckung gelingt scheinbar. Die militärische und politische Lage wirkt zwar zurzeit nicht entspannt, aber auch nicht kritisch. Es gab schon zu Zeiten Kennedys schwerwiegendere Krisen und Gefahren für die Weltbevölkerung.

Der amerikanische Autor Cormac McCarthy hat in diesem Jahr „Die Straße“ bei uns veröffentlicht. Der apokalyptische Reiter betritt wieder einmal die literarische Welt und reitet dem Untergang entgegen. Cormac McCarthy hat mit „Die Straße“ ein packendes und düsteres Endzeitdrama vorgelegt, in dem die uns bekannte Welt und die verbliebene Menschheit nach einer nicht näher benannten Kriegs- oder Naturkatastrophe auf ihren kleinsten Nenner reduziert und die Hinfälligkeit von allem und jedem endlich zutage getreten ist.

Unerbittlich zieht Cormac McCarthy den Leser mit einer traumwandlerischen Sicherheit in die Unausweichlichkeit hinein, die keine Hoffnung mehr lässt. In dieser Hoffnungslosigkeit existiert nur noch die Liebe zwischen einem namenlosen Vater und seinem Sohn. Das Leben der beiden auf der Straße kann sekündlich zu Ende sein – beide wissen dies, und ihr Martyrium führt den Leser an die Grenze des Erträglichen.

_Die Geschichte_

Ein verbranntes Amerika, eine verlorene Zivilisation, ohne Leben und ohne Hoffnung. Es existieren keine Städte mehr, das verkohlte schwarze Gelände erstreckt sich meilenweit. Astlose Baumstümpfe, Asche weht über die Straßen und von den geschwärzten Strommasten hängen die abgerissenen Kabel und wimmern ein Klagelied im Wind. Eine verlassene Baustelle an der Straße und Reklametafeln, die für Hotels werben, die aufgehört haben zu existieren. Die Einöde erhebt sich wie eine makabere Kohleskizze.

Ein namenloser Mann wandert mit seinem Sohn durch ein verbranntes Land, durch eine versunkene Zivilisation. Ihr einziges Hab und Gut ist ein quietschender Einkaufswagen mit wenigen gefundenen Habseligkeiten. Die Luft ist eiskalt und der Schnee grau. Ihre Kleidung hängt nur noch in Fetzen an den ausgemergelten unterernährten Körpern. Der Mann trägt als einzige Waffe einen Revolver, zwei Kugeln sind die letzte Munition, die sie noch haben. Sie haben nichts mehr, nur noch einander.

Ihr Weg ist das Ziel, und auf der Straße bewegen sie sich vorsichtig. Der Rückspiegel am Einkaufswagen warnt sie vor marodierenden Überlebenden, die schon lange alles an Menschlichkeit verloren haben, nicht aber vor Kälte und dem Hunger und schon gar nicht vor der Hoffnungslosigkeit, die sie wie ein treues Tier begleitet.

Auf der Straße bewegen Vater und Sohn sich in Richtung Süden, geradewegs auf das Meer zu; vielleicht ist das Meer noch blau, vielleicht gibt es noch Hoffnung auf Nahrung, auf Hilfe. Der Weg ist lang und voller Gefahren. In zerstörten Städten suchen sie in den schwarzverbrannten Ruinen nach Nahrung, nach Kleidung, die sie wärmt. Auf der Straße liegen die Autos und zeugen von einer Zerstörung, welche die Insassen in Sekundenbruchteilen überrascht hat, auf der Flucht vor dem Inferno verbrannt und vernichtet. Andere Überlebende wie sie, von Vater und Sohn nur die „Bösen“ genannt, haben ihre Menschlichkeit aufgegeben, und andere Menschen dienen diesen nur als Nahrung. Zeugnis davon geben aufgesteckte Köpfe und ausgeweidete Körper, die in Höfen liegen, und Feuerstellen, in denen man noch Knochen menschlicher Körper entdecken kann.

Doch die Tage des Überlebends sind limitiert. Der Vater erkrankt, und bereits Blut spuckend, ist er panisch verzweifelt, spricht aber dem Sohn noch immer Hoffnung zu. Notfalls, überlegt er, sind vielleicht die beiden letzten verbleibenden Kugeln für sie selbst die letzte Straße in ein neues Leben …

_Mein Eindruck_

Die dunkle Pilgerfahrt eines Vaters mit seinem Sohn durch ein offenbar nuklear vernichtetes Amerika ist ein verstörendes Stück Literatur. Der Leser erschauert, aber er wacht auch auf angesichts der Zerstörung und der Hoffnungslosigkeit. Cormac McCarthy hat mit seinem Roman „Die Straße“ ein packendes Endzeitdrama veröffentlicht. Er beschreibt in einem kühlen literarischen Stil den grausamen Pilgerweg seiner beiden Protagonisten und verschönert die Tragödie durch kein Wort. Wenn der Autor das Leben und Sterben im offenbar nuklearen Winter beschreibt, so wirkte der Roman düsterer, als jeder Film es uns zeigen könnte.

Es wird sehr wirksam mit der Frage jongliert, ob ein gütiger und gnädiger Gott noch über die Menschheit wacht oder jemals gewacht hat. Es gibt keine zufriedenstellende Antwort, nur die Liebe zwischen dem Sohn und seinem Vater, der ihn bis zuletzt vor allem beschützt. Spätestens jetzt wissen wir, wohin die Reise sich bewegt. Auch wenn die apokalyptische Erzählung grausam geschildert ist, so bildet die Liebe zwischen Vater und Sohn ein zärtliches Band in einer unwirtlichen, zerstörten Welt.

„Die Straße“ ist ein Roman über die letzten Dinge des Lebens. Über das Schlimmste und Beste, wozu die Menschheit fähig ist; ultimative Zerstörung, verzweifeltes Durchhaltevermögen und, nicht zuletzt, die Zärtlichkeit und Zuneigung, die Menschen im Angesicht der Vernichtung die nötige Kraft zum Überleben geben.

_Fazit_

Diese Vater-Sohn-Geschichte geht unter die Haut; bereits beim Lesen des ersten Kapitels wird dem Leser klar, welche Stimmung sich durch die Geschichte ziehen wird. Am Ende des Romans wird kein Leser sich entspannt zurücklehnen können oder gar den Kopf schütteln und vielleicht milde lächeln.

Wenn wir alles Materielle, allen Luxus, jegliche Annehmlichkeit unseres Lebens verloren haben, was bleibt dann übrig? Letztlich nur die Liebe und Opferbereitschaft, für den liebenden und geliebten Menschen alles zu geben. Wo Leben ist, ist auch Hoffnung, wo Liebe besteht, herrschen Menschlichkeit und Güte.

„Die Straße“ fasziniert nicht zuletzt durch das realitätsnahe Grauen und die individuelle Vorstellung einer verbrannten Welt, einer zerstörten und verstörten Zivilisation. Es gab einzelne Passagen, die zu lesen schwerfiel, nicht wegen des Stils, sondern wegen der Szenen, die der Autor gekonnt und erschreckend zu erzählen weiß. Was bleibt am Ende der Straße? Es gibt Hoffnung, eine offene, nicht endgültige, und das Ende, das letzte Kapitel ist mitnichten das wichtigste.

Wenn der Autor uns dazu bewegen wollte, über unser Dasein und unsere Verantwortung gegenüber uns und unseren Mitmenschen nachzudenken, so hat er mit „Die Straße“ ein gewaltiges Werk geschaffen.

„Wer vom Tod nicht sprechen will, der ist kein seriöser Schriftsteller“
|Cormac McCarthy|

McCarthy wurde 2007 für „The Road“ der Pulitzer-Preis verliehen. Eine Verfilmung des Stoffes ging im April 2007 in Arbeit; Regie wird John Hillcoat führen, dessen düsteres Westernepos „The Proposition – Tödliches Angebot“ Mitte Mai 2007 als DVD bei uns in den Handel kommt.

_Der Autor_

Cormac McCarthy wurde im Jahre 1933 in Rode Island geboren und wuchs in Knoxville, Tennessee auf. Für seine Romane wurde er mit dem William Faulkner Award, dem American Award, dem National Book Critics Circle Award und dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. McCarthy lebt in El Paso, Texas.

http://www.rowohlt.de

Crisse – Atalante 2: Nautiliaa

Band 1: [„Der Pakt“ 3630

_Story_

Gemeinsam mit den Argonauten reist Atalante unter der Führung Jasons aufs offene Meer hinaus. Unschlüssig über den genauen Seeweg, folgt Jason bei der Erfüllung seines Schicksals einer Gruppe Delphine und reist mit seiner Mannschaft in die absolute Ungewissheit. Kurz bevor die Vorräte zu Ende gehen, entdecken sie eine scheinbar unbewohnte Insel.

Doch die friedliche Idylle trügt; einige Kriegerinnen stellen sich ihnen in den Weg und fordern ihr sofortiges Verschwinden. Laut ihnen ist nur den weiblichen Lebewesen das Leben auf dieser Insel erlaubt. Doch Atalante ist skeptisch, schließlich müssen auch diese Damen von Männern erzeugt worden sein. Schließlich erfahren die Seefahrer vom Schicksal der entschwundenen männlichen Inselbevölkerung, darunter auch das des Gatten von Nautiliaa, die jeden Tag am Ufer auf ihren zum Delphin verwandelten Geliebten Itys wartet. Das magische Wesen Alcyrrhoe kennt jedoch noch einen Ausweg, um die Verwandlung rückgängig zu machen. Doch dazu benötigt Nautiliaa die Unterstützung von Atalante …

_Meine Meinung_

Der zweite Teil von „Atalante“ knüpft nahtlos an die Geschichte aus „Der Pakt“ an. Nach bestandener Prüfung ist die Titelheldin auf dem Schiff von Jason willkommen und wird auch von Beginn an von der herrischen Besatzung respektiert. So kann sie unter anderem den jungen Satyr retten, der sich ein weiteres Mal eingeschlichen und einen Teil der Vorräte gestohlen hat und vom erzürnten Herakles gerne zerquetscht würde. Ausgerechnet diese Vorräte gehen nach und nach zur Neige, so dass es wie eine Fügung des Schicksals scheint, dass die Seeleute doch noch die unbekannte Insel entdecken, wo sie auch schon von frischen Fischwaren, aber später auch von einer Gruppe kriegerischer Weibsbilder erwartet werden, welche die Ankömmlinge wieder in die Flucht schlagen wollen, schließlich aber erkennen, dass sie auf die Männer angewiesen sind, weil man sich ohne Partner nicht fortpflanzen kann.

Für Atalante entwickelt sich ein Zwiespalt, denn einerseits möchte sie schnellstmöglich verschwinden, um ihre Gefährten nicht den verlockenden Möglichkeiten auszusetzen und ihre Triebe in Schach zu halten, andererseits möchte sie auch gerne den verlassenen Damen helfen, speziell als sie von Nautiliaa erfährt, deren Mann zum unschuldigen Opfer der Götter wurde und seitdem als Delphin tagein, tagaus wiederkehrt, in der Hoffnung, eines Tages wieder in realer Gestalt mit seiner Gattin leben zu können. Wieder steht Atalante vor einer folgenschweren Entscheidung. Das nächste Abenteuer kann kommen – und dabei wollte sie eigentlich nur nach Kappadokien, um sich den Amazonen anzuschließen …

Hinsichtlich Aufbau und Inhalt ähnelt „Nautiliaa“ recht deutlich dem ersten Band. Atalante ist zwar mittlerweile schon erwachsen und auch allerorts anerkannt, und dieses Mal ist die Herausforderung (natürlich) eine andere, letztendlich aber nicht ganz so schwere, doch grundlegend sind starke Parallelen zu erkennen, was man sowohl positiv als auch negativ sehen kann. Ersteres gerade deswegen, weil schon „Der Pakt“ ziemlich sympathisch und witzig war und man sich sehr schnell mit der weiblichen Hauptfigur anfreunden konnte. Hierauf baut der Autor auch im zweiten Teil auf, wenngleich man sich nun natürlich direkt in vertrauter Umgebung befindet. Ebenso greift man wieder einige Sagen der griechischen Mythologie auf und nimmt sie stellenweise auch leicht auf die Schippe, was gerade dem Humor recht zuträglich ist, beispielsweise wenn Herakles und der kleine Satyr aneinander geraten.

Was die Entwicklung neuer Ideen betrifft, tritt Crisse hingegen ein wenig auf der Stelle. Ein wesentliches Problem besteht darin, dass der eigentliche Plot erst recht spät so richtig in die Gänge kommt und dies auch ganz schnell wieder vorübergeht. Nautiliaa und das Schicksal ihres Mannes lernt man erst im letzten Drittel intensiver kennen, wohingegen vorab viel (wenn auch lesenswertes) Geplänkel stattfindet, das jetzt aber nur minimal auf die eigentliche Haupthandlung bezogen ist. Klar, die Reise auf die Insel gehört natürlich mit zur Story, aber sie wird im Vergleich zur eigentlichen Titelgeschichte doch recht breit ausgeschmückt. Speziell was das Erzähltempo angeht, ist „Nautiliaa“ sicherlich verbesserungswürdig, so dass man die humorige Detailverliebtheit in diesem Fall besser einigen flotteren inhaltlichen Fortschritten untergeordnet hätte. Aber das mag auch Geschmackssache sein, schließlich pflegt der Autor einen recht eigenwilligen Stil, der auch im zweiten Band dieser Serie sehr stark durchschimmert.

Mich persönlich hat „Atalante 2: Nautillia“ zwar nach wie vor gut unterhalten, jedoch war die Spannung nicht ganz so ausgeprägt wie beim direkten Vorgänger. Einige vermeidbare Längen haben sich eingeschlichen, werden von Crisse aber gekonnt mit witzigen Zeichnungen überbrückt und durch einen versöhnlichen Schlussteil wieder halbwegs ausgemerzt. Im Resümee darf man daher nun nicht von einem begeisternden Highlight, aber immerhin noch von einem netten Comicband reden, dessen Titelfigur dem Leser trotz der kleinen Makel der aktuellen Ausgabe noch weiter ans Herz gewachsen ist.

http://www.carlsen-comics.de/

O’Connor, Ed – Mit eiskalter Klinge

Das Cover von Ed O’Connors Thriller „Mit eiskalter Klinge“ sorgt für Gänsehaut. Ein blutbeflecktes Messer zieht sich über die gesamte Seite und scheint eine blutrünstige Story zu versprechen.

Unblutig geht es tatsächlich nicht zu. Detective Alison Dexter hat gerade einen Vergewaltiger hinter Gitter gebracht, als bei einem illegalen Faustkampf einer der Kämpfer getötet wird. Blutspuren und DNA-Material des Mörders gehören zu einem guten Bekannten von Alison. Bartholomäus Garrod wurde vor sieben Jahren von ihr verdächtigt, mehrere Menschen geschlachtet und anschließend verspeist zu haben. Während die Polizisten beim Stürmen des Wohnhauses der Gebrüder Garrod dessen Bruder töteten, konnte Bartholomäus entkommen. Seitdem hält er sich versteckt, doch als Alison Dexter wieder auf den Plan tritt, will er seine Drohung von damals wahrmachen und sich für den Tod seines Bruders rächen. Alison befindet sich in größerer Gefahr, als sie ahnt, denn Garrod war in den letzten sieben Jahren nicht untätig und weiß mehr über sie, als ihr bewusst ist …

Wirklich viel kann man über „Mit eiskalter Klinge“ nicht erzählen, denn der Thriller ist sehr durchschnittlich geraten.

Die Handlung ist solide aufgebaut und erzählt sowohl aus der Perspektive von Alison als auch von Garrod, wobei nicht immer deutlich wird, wer Jäger und wer Gejagter ist. Das ist allerdings kein Nachteil, sondern ein geschickter Schachzug. O’Connor schafft es, kontinuierlich Spannung aufzubauen und immer wieder Wendungen und neue, zwielichtige Personen einzubringen.

Die Spannung, die O’Connor aufbaut, ist allerdings nichts weiter als solides Handwerk; Bewunderungsrufe kann er dem Leser nicht entlocken. Dafür fehlt es zu sehr an unkonventionellen Handlungselementen.

Die Protagonisten sind ebenfalls als solide, aber nicht als herausragend zu bezeichnen. Es ist schön, dass O’Connor darauf verzichtet, Unmassen an privaten Details einfließen zu lassen und sich hauptsächlich auf die Kriminalhandlung konzentriert. Trotzdem wirken die Charaktere tiefgründig und gut ausgearbeitet. Sie transportieren die Handlung anschaulich, mehr allerdings auch nicht. Auch in diesem Fall gilt, dass der Autor auf dem sicheren Weg bleibt und sich dadurch einige Möglichkeiten nimmt.

Der Schreibstil erfüllt alle Anforderungen. Er beschreibt schön und anschaulich und weist ein gehobenes, dennoch verständliches Vokabular auf. Dialoge spielen eine wichtige Rolle im Buch und sorgen dafür, dass es lebendig und authentisch wirkt. Ansonsten geschieht nicht viel. Ein übersichtlicher Einsatz von rhetorischen Mitteln und Humor hieven das Buch in die Mittelklasse, aber kein bisschen darüber hinaus.

Ed O’Connors Thriller „Mit eiskalter Klinge“ ist solide Handarbeit. Spannend, gut erzählt, aber nichts Besonderes. Es gibt wenig, das man bekritteln kann, aber genauso wenig, das man wirklich loben möchte. Letztendlich bleiben knapp 400 Seiten gute Unterhaltung. Nicht mehr und nicht weniger.

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Graysmith, Robert – Zodiac. Auf der Spur eines Serienkillers

Ab 1968 wird in und um San Francisco der „Zodiac“ aktiv – ein Serienmörder, den nach eigener Auskunft pure Mordlust dazu bringt, vor allem junge Paare zu überfallen und niederzumetzeln. Er raubt nicht, er vergewaltigt nicht – er schreibt Briefe an die Presse, in denen er sich seiner Taten rühmt, sie detailliert schildert und die Fortsetzung seiner Mordserie ankündigt. Die Öffentlichkeit ist ebenso alarmiert wie fasziniert: Der „Zodiac“ weiß um seine Medienwirksamkeit und inszeniert sich als mysteriöse, böse Macht.

Die Polizei fahndet fieberhaft nach dem „Zodiac“. Dass sie ihn trotz zahlreicher Indizien nicht fassen kann, fördert den Nimbus des Serienkillers, der seine Jäger mit immer neuen Botschaften und auch telefonisch verhöhnt. Die Abstände zwischen seinen Mordattacken werden kürzer, seine Angriffe gewagter. Doch nie verliert der „Zodiac“ die Kontrolle, und die zeitgenössischen Ermittlungsmethoden reichen nicht aus, ihn zu finden. Nachdem er mindestens fünf Menschen getötet hat, kündigt er eine Änderung seiner Mordmethode an und taucht unter, schickt aber weiterhin Briefe mit neuen Mordgeständnissen.

Der Journalist Robert Graysmith gehört zu denen, die von Anfang an die „Zodiac“-Morde verfolgten. Die Zeitung, für die er Ende der 1960er Jahre arbeitete, wurde vom Killer mit Briefen und Karten „beehrt“. Graysmith konnte und wollte die Einstellung der Ermittlungen nicht akzeptieren. Viele Jahre sichtete er die vorhandenen Beweise, entdeckte neue Indizien und Zeugenaussagen, erstellte eine Liste möglicher Täter und fand schließlich „seinen“ Hauptverdächtigen, der alle Voraussetzungen erfüllte, der „Zodiac“ zu sein.

1986 veröffentlichte Graysmith sein Buch „Zodiac“, das erst jetzt in Deutschland erscheint. (Dazu mehr weiter unten.) Auf den Seiten 9-458 schildert der Verfasser in chronologischer Reihenfolge die Morde und die Ermittlungen der Polizei, ihre Erfolglosigkeit und seine eigene Odyssee in die Welt des „Zodiac“, die nach endlosen, immer wieder in Sackgassen endenden Bemühungen in der plausiblen Benennung des wahrscheinlichen Killers gipfelte. Freilich reichten die Beweise nie aus, diesen wirklich zu überführen. In einem Epilog muss Graysmith dies zugeben, bekräftigt aber noch einmal die Richtigkeit seiner Nachforschungen und fasst seine Argumentation zusammen.

In einem ausführlichen Anhang (S. 463-479) listet Graysmith sämtliche Äußerungen und Botschaften auf, die der „Zodiac“ hinterlassen hat. Seine Aufzeichnungen umfassen „Zodiacs“ Handschrift, seine Stimme und Sprechweise, seine Ausdrucksweise, Beschreibungen seiner Person, seines Autos, seiner Waffen, Geräte und Hilfsmittel, seiner (möglichen) Ausbildung und Kenntnisse, seiner Vorgehensweise. Abschließend folgt ein psychologisches Profil.

Das perfekte Verbrechen gibt es offenbar tatsächlich. Wie sonst ließe sich der „Erfolg“ des „Zodiac“ erklären, der scheinbar ungestört von einem bemerkenswerten Polizeiaufgebot seine Schreckenstaten verübte und von der Bildfläche verschwand, als er – und nur er – so entschied?

Der „Zodiac“ blieb freilich auch deshalb unvergessen, weil er seine Mordtaten stolz und dreist der Presse und der Öffentlichkeit präsentierte. Das haben nur wenige Serienmörder gewagt. „Jack the Ripper“ ist einer von ihnen und gehört bis heute zu den Kultfiguren seiner üblen Art. Der „Zodiac“ war noch wesentlich mitteilsamer, während er gleichzeitig die Kunst kultivierte, zwar viel zu sagen, aber keine relevanten Hinweise auf seine Person zu geben – eine beachtliche Leistung, die ihn als entweder sehr cleveren oder wirklich intelligenten Menschen kennzeichnet.

„Zodiac“, das Buch von Robert Graysmith, belegt freilich auch, dass der Mörder von den Beschränkungen der zeitgenössischen Kriminalistik profitierte. Noch definierte der Fingerabdruck die Möglichkeit einer Identifizierung – von den Möglichkeiten, die der DNA-Test beinhaltet, wagte man nicht einmal zu träumen. Auch die Vernetzung der beteiligten Behörden, der gemeinsame Zugriff auf zentrale Datenbanken, die beschleunigte Kommunikation – das gesamte Arsenal, das uns „CSI“-geschulten Laien heute so vertraut ist, war vor vier Jahrzehnten noch unbekannt. Auch die Frage, wie die Story, die Graysmith uns erzählt, im Zeitalter des Handys abgelaufen wäre, bleibt nicht aus: „Zodiac“ ist auch eine Reise zurück in die kriminalistische Vergangenheit.

Darüber hinaus ist es natürlich die Geschichte eines großen Versagens. Der „Zodiac“ wurde nie vom Arm des Gesetzes erreicht. Am mangelnden Einsatz der Beteiligten hat es sicher nicht gelegen; Graysmith vermag zu vermitteln, was er bereits in seinem Vorwort andeutet: „Wenn man die Geschichte rund um den Zodiac mit einem Wort charakterisieren müsste, so wäre dieses Wort ‚Besessenheit‘.“ (S. 12) Die Jagd kostete viele Beteiligte ihre Gesundheit und Karrieren, während der „Zodiac“ seine hämischen Kommentare abgab. Graysmith selbst gehört zu denen, die dem Rätsel verfielen – seine Ehe wurde geschieden, weil der „Zodiac“ zu seiner Obsession geworden war.

In den 1970er Jahren kamen die offiziellen Ermittlungen allmählich zum Erliegen; es fehlten neue Spuren. Graysmith rückt sich in seiner Darstellung nun selbst ins Zentrum, denn er gab nicht nach und siebte in Eigenregie das gut bestückte Feld der Verdächtigen – eine frustrierende Aufgabe, da die meisten Spuren wie gehabt ins Leere führten. Irgendwann trugen Graysmith‘ Mühen allerdings doch ihre Früchte – und dies ist der Zeitpunkt, an dem es für den Leser heißt vorsichtig zu werden. Graysmith ist überzeugt von seiner Lösung, die er uns detailliert vorstellt. Bei nüchterner Betrachtung kann man ihm glauben, muss es jedoch nicht: Die Jagd auf den „Zodiac“ litt immer unter einem Zuviel an viel versprechenden Andeutungen und einem Zuwenig an aussagenkräftigen Indizien.

Wie alle am „Zodiac“-Fall Beteiligten drehte und wendete Graysmith wieder und wieder die bekannten Belege. Diese sind indes oft ohne Verbindung und deshalb vielfältig interpretierbar, so dass sie sich leicht zu einem Bild fügen lassen, das sich der Fahnder wünscht. Mit der Realität muss es nicht identisch sein. Graysmith ist dieses Problem durchaus bekannt, doch er mag sich ihm offenbar nicht wirklich stellen. Verständlich ist das, denn er hat Jahre seines Lebens auf die Jagd nach dem „Zodiac“ verwendet und will eine Lösung, weil er sie nach allem Aufwand und Mühen „verdient“ hat. So funktioniert das wirkliche Leben freilich nicht. Graysmith legt letztlich nur eine weitere Vermutung vor, die er mit Fakten untermauern, aber definitiv nicht beweisen kann.

Der „Zodiac“ ist ein Serienmörder-Mythos wie Jack the Ripper geblieben. Das hat ihn „frisch“ gehalten: Wer hätte z. B. gedacht, dass sich die Plots von Filmklassikern wie „Dirty Harry“ (1971) oder „Exorzist III“ (1983) aus dem „Zodiac“-Fall speisen? Aktuell kommt im Frühling 2007 „Zodiac“, der Spielfilm, in die Kinos. David Fincher hat ihn inszeniert, der mit „Fight Club“, „Sieben“ oder „Panic Room“ Filmgeschichte schrieb. Das Drehbuch stützt sich stark auf Graysmith‘ Buch (ohne jedoch auf den „Hollywood-Touch“, d. h. die Verdrehung von Tatsachen des filmischen Effektes wegen, zu verzichten), das deshalb auch dort, wo es bisher unveröffentlicht blieb, als „Buch zum Film“ aufgelegt wird.

Was theoretisch eine erfreuliche Tatsache ist, erweist sich in der Praxis als Mogelpackung. Die Hauptkritik an der deutschen Ausgabe von „Zodiac“ gilt nicht Graysmith und seinem inzwischen inhaltlich wie formal angejahrten Werk, sondern dem |Heyne|-Verlag, der dieses Buch auf dem Stand von 1986 veröffentlicht. 2007 kommt wie gesagt David Finchers Thriller in die Kinos; ein weiterer Blockbuster ist zu erwarten, von dem sich der Verlag mit dem „Buch zum Film“ eine Scheibe abschneiden möchte. An sich nicht zu tadeln, doch in diesem Fall eine Zumutung, da mehr als zwei Jahrzehnte verstrichen sind, seit Graysmith sein „Zodiac“-Buch schrieb. Dieses markiert indes keineswegs den Endpunkt aller Ermittlungen. Seit 1986 wurde der Fall mehrfach wieder aufgerollt – zuletzt Anfang 2007. Der Fortschritt der kriminalistischen Wissenschaften und Techniken ermöglichte und forderte das.

Was zwischen 1986 und 2007 diesbezüglich geschah, bleibt uns jedoch vorenthalten. Dazu gehört die nicht unerhebliche Tatsache, dass jener Hauptverdächtige, dem Graysmith das Pseudonym „Robert Hall Starr“ gab, längst als Arthur Leigh Allen identifiziert ist. Der mutmaßliche „Zodiac“ starb 1992 und darf deshalb jetzt mit seinem richtigen Namen genannt werden. Auch sonst hat sich das Bild vom „Zodiac“ seit 1986 erheblich geschärft. Das quasi zu ignorieren und ein zwanzig Jahre altes Buch ohne entsprechende Nachträge auf den Markt zu bringen, ist deshalb eine Unverfrorenheit.

Natürlich musste sich Graysmith zu Allens Lebzeiten auch mit dem Bildmaterial zurückhalten. Wir sehen also nie ein Foto vom möglichen „Zodiac“. Die Fotostrecken beschränken sich auf die Wiedergabe der zodiacschen Schmähbotschaften, doch was sollen sie dem Leser in ihrer Häufung sagen? Darüber hinaus ist die Wiedergabequalität der Abbildungen auf dem Stand von 1986. Die Fotos sind schlecht belichtet, unscharf, oft so verkleinert, dass Details verschwinden. In der deutschen Ausgabe werden sie nicht einmal auf Fotopapier gedruckt.

Den deutschen Lesern, die sich über den aktuellen Status der „Zodiac“-Ermittlungen informieren möchten, bleibt deshalb nur das Internet; http://www.zodiackiller.com ist hier als erste Anlaufstelle zu nennen. Stets aktuell und mit reichem Fotomaterial garniert, wird man über den Stand der „Zodiac“-Forschungen in Kenntnis gesetzt. Dazu gibt es zahlreiche Links auf weitere Websites, was darauf hinweist, dass der „Zodiac“ auch im 21. Jahrhundert seinen festen Platz in der US-Alltagsgeschichte einnimmt. (Dies unterstreicht die Tatsache, dass der „Zodiac“-Stoff schon vor Fincher 1971, 1996 und 2005 verfilmt wurde.)

Robert Graysmith wurde als Robert Gray Smith am 17. September 1942 in Pensacola im US-Staat Florida geboren. Zum Zeitpunkt der „Zodiac“-Morde arbeitete er als politischer Karikaturist für den „San Francisco Chronicle“, die größte Zeitung in Nordkalifornien. Der Killer wandte sich mit seinen Botschaften gern an dieses Blatt, so dass Graysmith quasi einen Logenplatz hatte, was die polizeilichen Ermittlungen betraf. Er schaltete sich deshalb selbst journalistisch in die Suche ein und setzte sie fort, nachdem die erfolglos bleibende Fahndung abgebrochen wurde. Seine Ergebnisse schrieb Graysmith in zwei Büchern nieder. Er blieb dem „True Crime“-Genre treu und verfasste mehrere Werke über weitere mysteriöse Mörder.

http://www.heyne.de
http://wwws.warnerbros.de/zodiac/

Heller, Frank (Chefredakteur) – Cthuloide Welten 12

_Inhalt_

Die „Cthuloiden Welten“ gehen also nun in die zwölfte Runde, und das mit folgendem Inhalt:

– |Kurzer Überblick über das deutsche Waffenrecht (Hintergrund für „Cthulhu Now“)|

– |Disharmonie oder das Geheimnis der Spieluhren (Abenteuer)|
Das Abenteuer „Disharmonie oder das Geheimnis der Spieluhren“ spielt in den 1920ern in Nürnberg. Die Investigatoren müssen sechs cthuloide Spieluhren jagen. Dabei bekommen sie es aber mit einer Horde von Straßenmusikanten zu tun.

– |Köln: Klüngel, Kölsch und Karneval (Cthulhu Regionalia)|
Köln in der 1920ern. Der Artikel enthält folgende Punkte: Geschichte, Kultur, Verkehrswesen, Sehenswürdigkeiten, eine Stadtkarte, einen Exkurs über die kölsche Sprache, der Kölner Dom, Universität, Museen und Sagen und Legenden der rheinischen Domstadt.

– |Das Voynich-Manuskript (Mythosbibliothek)|
Hier befasst sich Stephan Behrens mit dem wohl mysteriösesten bekannten Schriftstück. Neben dem vermutlichen Inhalt wird auf die verschiedenen Besitzer, die Versuche der Entschlüsselung des Manuskriptes sowie dessen spielrelevante Bedeutung eingegangen.

– |Der Dicke von der Mordinspektion (Personen in den 20ern)|
Hier wird der Berliner Kriminalrat Ernst Gennat genauer vorgestellt, auf den die Investigatoren in der Hauptstadt treffen können.

– |Black Magic Music (Hintergrund für Cthulhu Now)|
Als Hintergrund für „Cthulhu Now“ wird ein cthuloides Black und Death Metal Label vorgestellt.

– |Cthulhus Lieblingsdesigner (Interview mit Manfred Escher)|

– |Abenteuerwerkstatt|

_Mein Eindruck_

Die „Cthuloide Welten 12“ bietet diesmal richtig starkes Material für alle Freunde des „Cthulhu-Rollenspiels“. Herausragend sind das Abenteuer „Disharmonie oder das Geheimnis der Spieluhren“, der regionale Hintergrund zu Köln sowie der Artikel über das Voynich-Manuskript. Das Abenteuer spielt in Nürnberg und ist gut dazu geeignet, einer Gruppe eine richtig schöne Paranoia zu verpassen. Der Plot ist sehr stimmig gestaltet und schön schaurig geworden. Der Umfang geht mit 15 Seiten in Ordnung, und die Handouts sind wieder sehr gut gelungen.

Ebenfalls sehr gut gelungen ist die Städtebeschreibung Kölns: tolle Karte und schöne Hintergründe über Politik und das kölsche Leben in den 1920ern. Besonders positiv aufgefallen ist mir hier auch der kleine Exkurs in die kölsche Sprache, welcher, man möge mir das verzeihen, mich endgültig davon überzeugt hat, dass Kölsch sicherlich eine eigene Sprache ist und kein deutscher Dialekt. Hier sind die Bilder und Pläne wirklich sehr anschaulich und interessant ausgewählt worden.

Neben diesen zwei schon sehr starken Artikeln ragt der Bericht über das so genannte Voynich-Manuskript noch einmal deutlich heraus. Dieses Manuskript, das nach seinem Entdecker benannt wurde, ist bis heute weder entschlüsselt noch halbwegs von der Forschung verstanden. Das Beste daran: Das Manuskript gibt es wirklich! Es lagert in der Bibliothek der Universität Yale. Das Ganze ist nicht nur sehr mysteriös, sondern auch irgendwie gruselig, also der perfekte Stoff für die Mythosbibliothek. Das Thema wird perfekt in den Cthulhu-Mythos assimiliert und den Spieleitern zur Verfügung gestellt. Hier sind besonders die Originalbilder aus eben jenem in Yale lagernden Original sehr gelungen – Respekt dafür, wie viel Arbeit sich die Redaktion mit diesem Thema gemacht hat. ´Wer sich noch näher mit dem Voynich-Manuskript befassen möchte. kann ja mal auf http://de.wikipedia.org/wiki/Voynich-Manuskript nachschauen.

Der Rest ist in gewohnt guter Qualität gehalten, auch wenn mir diesmal zwei Sachen negativ aufgefallen sind. Als Erstes der Überblick über das deutsche Waffenrecht: Er erfüllt zwar vollkommen seinen Zweck, wirkt aber so lieblos neben das Impressum geklatscht, dass es geradezu nach Füllstoff schreit. Der zweite Punkt, der mir negativ aufgefallen ist, ist das Layout, denn es sind immer wieder so verwirrend Kästchen in Abschnitte eingefügt worden, dass es den Lesespaß schon etwas mindert. Mir ist es zwei-, dreimal passiert, dass ich dachte, der Absatz wäre fertig, so dass ich dann das Kästchen gelesen habe, nur um festzustellen, dass dieser auf der nächsten Seite weiter geht. Alles in allem wertet das diese Ausgabe aber auf keinen Fall ab, denn insgesamt ist der Inhalt wirklich überdurchschnittlich gut.

_Fazit:_ Drei wirklich überragende Artikel kombiniert mit der bekannten Qualität machen die „Cthuloide Welten 12“ zu einer der besten Ausgaben der Reihe. Pflichtkauf für Spielleiter des „Cthulhu-Rollenspieles“.

http://www.cthuloide-welten.de/

Robinson, James / Kramer, D. / Kirk, L. – Batman 2

[Band 1 3281

_Story_

Nach dem Tod einiger bekannter Superschurken wie KGBeast, Magpie und dem Bauchredner stecken Batman und Robin mitten in den Ermittlungen. Bei der Videoanalyse des jüngsten Todesfalls stoßen sie auf die Spur von Orca, in deren Territorium auch die Mordwaffe entdeckt wird. Der dunkle Rächer begibt sich in die Kanalisation, um die Walfrau zur Rede zu stellen, entdeckt jedoch nur noch ihre Leiche. Nach umfangreicher Spurensuche führt Batmans Spur einmal mehr zu Harvey Dent, der in der Zwischenzeit gänzlich von seinem schizophrenen Alter Ego Two-Face befreit scheint.

In der Abwesenheit der Fledermaus hatte Dent dessen Job übernommen und seine ehemaligen Kumpanen reihenweise zur Strecke gebracht. Doch Batmans Rückkehr scheint ihm gar nicht zu behagen, denn sein Status wird mit einem Mal wieder völlig aufgelöst. Dent befindet sich in einem gefährlichen Zwiespalt. Die Abstinenz seines zweiten Ichs macht ihm ebenso zu schaffen wie der Verlust der Rolle als erster Verbrechensbekämpfer Gothams, und just zu dem Zeitpunkt, wo der innerliche Konflikt auszuarten droht, taucht auch Two-Face wieder auf.

_Meine Meinung_

Batmans Rückkehr schlägt im zweiten Band noch größere Wellen als bei seiner direkten Wiederkehr im Auftakt der neuen Comicserie. Besonders Harvey Dent, einst als Two-Face bekannt geworden, leidet darunter sehr, obwohl sein wahres Ich eigentlich froh darüber ist, dass sein einst neu gewonnener Kumpan wieder an seiner Seite steht. Doch sein zwielichtiges Pendant ist damit gar nicht einverstanden. Die Dämonen, die Dent längst besiegt wähnte, tauchen plötzlich wieder auf und machen dem ehemaligen Schurken gehörig zu schaffen. Außerdem belastet der dunkle Rächer ihn auch noch mit schweren Vorwürfen, weil die Spuren der jüngsten Morden alle zu ihm führen. Während Batman und Robin weiter ermitteln, stellt sich Harvey seinem Spiegelbild und trifft eine folgenschwere Entscheidung. Wieder scheint seine Vergangenheit ihn zu übermannen …

Mir will nicht in den Kopf gehen, warum die neue „Batman“-Serie hierzulande solch starker Kritik ausgesetzt ist, denn schließlich zeigt Autor James Robinson zumindest den Mut, die etwas angestaubten Strukturen ein wenig zu lösen und mit dem Superhelden aus dem großen |DC|-Universum neue Wege zu beschreiten. Gerade im Verlaufe der „Infinite Crisis“ war Batman zu einer unberechenbaren Größe herangewachsen. Er stand im ständigen Widerstreit mit sich selbst und geriet daraufhin gleich in mehrere Gewissenskonflikte, die er in der einjährigen Auszeit aufarbeiten musste. Doch genau jene Frischzellenkur, die er sich dabei gönnte, scheint dem ’neuen‘ Batman arg gut bekommen zu haben, denn so munter und zielstrebig wie in Robinsons aktueller Adaption hat man die Fledermaus schon seit längerem nicht mehr erlebt. Zumindest was die Imagepflege betrifft, hat man hier wieder einige Vorzüge der älteren „Batman“-Comics heraufbeschworen und diese in der hier vorliegenden, modernen Interpretation auch sehr schön verarbeitet. Es mag ja sicher Ansichtssache sein, aber meines Erachtens ist im Bezug auf die neue Story jegliche Kritik völlig unangebracht. So viel dazu!

Die Fortsetzung der Mini-Serie „Im Zwiespalt“ ist indes ähnlich actionreich wie der Auftakt. Noch immer beschäftigt eine Mordserie die Vertreter des Gesetzes, wobei vor allem die ungewöhnliche Tatsache, dass gefürchtete Schwerverbrecher die Opfer der Gewaltanschläge sind, Batman und Co. auf Trab hält. Magpie, KGBeast und nicht zuletzt der Bauchredner besitzen im Untergrund von Gotham City einen wohlklingenden Namen und werden seit einiger Zeit auch mit Oswald Cobblepot, besser bekannt als der Pinguin, in Verbindung gebracht, was jedoch auch ein Motiv für die Morde sein könnte. Nachdem die ebenfalls ermordete Orca aus dem Rennen ausscheidet, führt die Spur zum unberechenbaren Harvey Dent, womit sich der Kreis anscheinend schließt. Doch Dents Rolle bleibt bis auf weiteres unschlüssig und die Ursache für die Verbrechen weiterhin ein großes Geheimnis.

Spannend bleibt das neue „Batman“-Abenteuer auf jeden Fall, nicht zuletzt, weil nach wie vor nicht klar ist, wer genau sich hinter den aktuellen Geschehnissen verbirgt. Ist tatsächlich der ehemalige Rechtsanwalt Harvey Dent für die Morde verantwortlich? Oder eher der lange Zeit untergetauchte Pinguin? Oder doch ein bisher unbekannter Verbrecher? Robinson spielt mit den verschiedenen Mysterien, die im Übrigen auch auf die Persönlichkeitsentwicklung einzelner Beteiligten umschlägt. Harvey Bullock zum Beispiel, einst Batmans schärfster Kritiker, scheint plötzlich von ihm angetan. Two-Faces Zwiespalt ist bekannt. Und auch Batman ist noch nicht ganz mit sich und seiner immens hohen Verantwortung im Reinen und hat mit der Vergangenheit zu kämpfen.

So entstehen im zweiten Teil der Serie recht viele Nebenschauplätze, verstärkt durch eine kurz eingeworfene Zwischenstory um die Ermittlungen bei der Suche nach der verschollenen Orca. Batman, Dent, Bullock, Robin – alle werden sie gründlicher beleuchtet, und alle tragen sie mitsamt ihrem untransparenten Erscheinungsbild dazu bei, dass die Spannung hier weiter angetrieben wird. Insofern gilt auch für Part zwo berechtigter Beifall mit kleiner Einschränkung bezüglich der eigenwilligen, nicht ganz so detailreichen Zeichnungen. Wer den Titelhelden also liebt, sollte sich von keiner Kritik einschüchtern lassen und die neue Serie ruhigen Gewissens antesten. Spannend und generell lesenswert ist sie allemal.

http://www.paninicomics.de

|Siehe ergänzend dazu auch:|
[Batman – Year One / Das erste Jahr 2884 (Rezi 1)
[Batman – Year One / Das erste Jahr 1530 (Rezi 2)
[Batman Begins 1562

Willingham, Bill / Buckingham, Mark – Fables 2 – Farm der Tiere

Band 1: [„Legenden im Exil“ 3175

Comics sind angeblich Geschmackssache. Kein Werk darf als „gut“ oder „schlecht“ bezeichnet werden, höchstens als „anders“. So grenzt man sich ab, bewertet aber nicht. Vielleicht handelt es sich ja bei dem betrachteten Objekt um das Lieblingsstück meines Gegenübers … Was da so resistent durch die Chatrooms und Foren geistert, behauptet gerne, eine Meinung oder ein Standpunkt zu sein. Tatsächlich ist es aber nicht mehr und nicht weniger als ein respektvoller und höflicher Umgangston, der sich verkleidet hat und das Urteilen scheut. Sicher, das ist politisch korrekt und enorm wichtig für die Kommunikation. Schließlich sind viele empfindliche Gemüter unterwegs. Aber es ist nur ein Teil der Wahrheit.

Wenn man einen Augenblick lang nachdenkt, fällt einem sicherlich das eine oder andere Kriterium ein, mit dem man einen Comic bewerten könnte. Zeichnungen, Plot, Cover, Kolorierung – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wenn bald wieder in San Diego die alljährlichen |Eisner Awards| verliehen werden, hat sich die Jury im Vorfeld lange über solche Dinge Gedanken gemacht. Und es hat dann nichts mit einem Mangel an Höflichkeit oder Respekt zu tun, wenn die Frage des persönlichen Geschmacks außen vor bleiben muss.

In diesem Jahr unterhält man sich in San Diego auch wieder über „Fables“. Die Fantasy-Serie des Autors Bill Willingham gehört zu den Senkrechtstartern der letzten Jahre und hat schon in früheren Preisverleihungen den einen oder anderen |Eisner| mit nach Hause nehmen dürfen. In Deutschland erscheint die Serie bei |Panini|. Der zweite Band wurde im März veröffentlicht und trägt den Titel „Farm der Tiere“. Es handelte sich dabei um die US-Hefte 6-10, die erstmals bei |DC/Vertigo| erschienen sind (12/2002 – 04/2003).

Hierzulande wird auf dem Cover damit geworben, dass „Fables“ bereits mit fünf |Eisner Awards| ausgezeichnet wurde. Die Trophäen gab es unter anderem in der Kategorie Best New Series, allerdings hat die sechsteilige Storyline „Animal Farm“ keine davon abbekommen. Das sollte aber nicht davon abhalten, hineinzublättern und sich über die Qualität der Geschichte zu unterhalten.

„Farm der Tiere“ setzt sich im Wesentlichen aus zwei Handlungssträngen zusammen. Eine Linie handelt von der schwierigen Beziehung zwischen den Schwestern Snow White und Rose Red. Beide sind sich im Laufe der Jahrhunderte fremd geworden und können einander nicht besonders gut leiden. Die Unterschiedlichkeit ihrer Wesensarten macht es ihnen dabei nicht gerade leichter. Snow White ist eine kühle, selbstbehrrschte Führungspersönlichkeit, Rose Red hingegen ist ein Punk, sexy und mit frechem Mundwerk.

Eine andere Linie handelt von umstürzlerischen Schweinen und Bären. Die Bewohner der Farm fühlen sich von den Städtern eingesperrt. Sie dürfen nicht in die Welt der Menschen, damit die geheime Märchengemeinde nicht auffliegt und in Gefahr gebracht wird. Beide Erzählstränge sind miteinander verwoben, wechseln einander gleichmäßig ab und beeinflussen sich gegenseitig. Persönliches verschmilzt hier mit Politischem zu einem interessanten Amalgam. Anspielungen auf literarische Vorlagen wie „Animal Farm“ von George Orwell oder „Lord of the Flies“ von William Golding sind absolut beabsichtigt. Dankenswerterweise behält der Leser dabei allzeit den Überblick. Man könnte also sagen, Willingham versteht sein Handwerk als Autor.

Auch Zeichner Mark Buckingham versteht sein Handwerk. Die vielen unterschiedlichen Menschen und Tiere wirken plastisch und haben Substanz. Diffuse Schatten und andere offene Formen gehören nicht zu seinem Repertoire. Buckinghams Strich ist ruhig und klar. Die sehr aufgeräumten, sauberen Panels erinnern ein wenig an „Tim und Struppi“ und andere Werke der französischen |Ligne claire|. Die Figuren allerdings sind amerikanisch und könnten auch jedes beliebige Superhelden-Szenario bevölkern. Ausbaufähig ist sicherlich die Kolorierung. Der Umgang mit Licht und Schatten ist toll, was aber zu kurz kommt, ist die Stofflichkeit der Objekte. Alles ist irgendwie glatt. Ein Türrahmen sieht aus wie eine Motorhaube sieht aus wie das Fell eines Bären…

Als letztes Bewertungskriterium stand das Cover auf unserer Liste. Der von James Jean gestaltete Umschlag ist voll, aber nicht überfüllt. Die Formen fließen ineinader, ohne jedoch an Schärfe zu verlieren oder das gesamte Gleichgewicht zu stören. Ein Mittelpunkt oder eindeutiger Blickfang ist nur schwer zu bestimmen. Der Blick wandert hin und her, geht tief hinein in die Ebenen des Covers und wieder zurück.

Ob nun der zweite Band von „Fables“ an dieser Stelle gut beobachtet wurde, sei dahingestellt. Ebenso ließe sich darüber streiten, ob dieser Text hier klar und deutlich genug formuliert wurde. Lässt man sich jedoch einmal darauf ein und folgt dem eingeschlagenen Pfad, wird erkennbar, dass es sich bei „Farm der Tiere“ um einen extrem gut gemachten Comic handelt – persönlicher Geschmack hin oder her. Der bleibt an dieser Stelle nämlich draußen.

http://www.paninicomics.de

Cullmann, Volker – Don Peperoni

_Delikat-scharfer Wahlkampf_

Im kleinen mexikanischen Örtchen Peperoni wird ein neuer Bürgermeister gesucht. Die anrüchigsten Personen bewerben sich für die machtreiche Position, doch nur einer kann am Ende das Rennen machen. Alle sind sie dabei, die abgebrühte Zockerin, der gescheiterte Kriegsveteran und der Hobbyalkoholiker, und jeder von ihnen hat einige korrupte Wahlhelfer in seinen bzw. ihren Reihen, um das bestechliche Volk der Provinz zu überzeugen. Mit Geldgeschenken und zweifelhaften Agenten wird gerangelt und gekämpft, bis schließlich die Wahl getroffen wurde. Der Wahlkampf zur Ermittlung des neuen Don Peperoni kann beginnen …

_Worum es geht_

In „Don Peperoni“ wird geblufft und bestochen, denn jedes Mittel ist im Wahlkampf recht. Jeder Spieler schlüpft in die Rolle eines Kandidaten und entsendet seine zwei Wahlhelfer in die einzelnen Häuser des Dorfes, um sich dort die Stimmen der Bewohner zu sichern. Ein probates Mittel sind hierbei die Geldgeschenke, über die sich jeder Einwohner des kleinen Örtchens freut. Wer am meisten zahlt, der hat im korrupten Peperoni die besten Chancen. Und wenn das Geld einmal alle ist bzw. die Konkurrenz höhere Beträge gezahlt hat, stehen einem immer noch Leute wie der Revolverheld, der Anwalt oder die Putzfrau zur Verfügung, um selbst schon verloren geglaubte Wählerstimmen zu ergattern.

Genau acht Tage sind es noch, bis die Wahl stattfindet, und an jedem einzelnen Tag bewegen sich die Wahlhelfer in die verschiedenen Häuser. Manche Stimmen werden bereits vorab gezählt, andere wiederum erst am Tag der Wahl ermittelt. Und an genau diesem wird sich auch zeigen, wer seine Agenten am cleversten platziert hat und sich die entscheidenden Stimmen einheimsen darf. Wer schließlich die meisten hat – Demokratie ist trotz Korruption nämlich das A und O in Peperoni –, der darf sich fortan Bürgermeister, also Don Peperoni schimpfen.

_Spielmaterial_

• 1 Spielplan
• 5 Sichtschirme
• 5x 20 Geldscheine
• 5 Agententeams (bestehend aus Anwalt, Bodyguard, Spitzel, Putzfrau und Revolverheld)
• 2 Polizeimarken
• 5x 15 Wahlplakate
• 6 Sperrschilder für die 3-Spieler-Variante
• 5x 2 Wahlhelfer
• 5 Stimmenzähler
• 1 Rundenzähler
• 1 Spielregel

Rein qualitativ ist das Material von „Don Peperoni“ eher besserer Durchschnitt, was jedoch vorwiegend daran liegt, dass die visuelle Gestaltung der Materialien mal wieder fantastisch ist und den üblich hohen Humorlevel des Pegasus Verlags bestätigt. Allerdings ist das Gros der Spielmittel, darunter auch der recht anfällige Spielplan aus dünner Pappe, langfristig gesehen eher unstabil. Auch die Polizeimarken werden leicht beschädigt, ebenso wie die Wahlplakate. Das ist insofern schade, als „Don Peperoni“ optisch betrachtet mal wieder ein echter Augenschmaus ist und man alleine schon beim ersten Blick auf das Spielfeld und die eigenwilligen Charaktere zum Schmunzeln aufgefordert wird. Die diesbezügliche Detailverliebtheit hätte man sich im Übertrag auch für die Stabilität des Spielmaterials gewünscht, denn ein solches Spiel, welches aufgrund des enorm hohen Spaßfaktors (so viel vorab) sicherlich recht häufig wieder auf den Tisch kommen wird, bedarf definitiv qualitativ hochwertiger Ware. Schade, dass man dem hier nicht ganz gerecht wird. Aber die Optik …

_Vorbereitung_

Nachdem man vor der ersten Partie das reichhaltige Material ausgestanzt hat, wird erst einmal einiges verteilt. Wahlplakate, Agenten und Geldscheine in der Farbe des gewählten Charakters werden ausgehändigt, dazu ein Sichtschirm, damit auch niemand einsehen kann, welche Mittel man einzusetzen gedenkt bzw. schon eingesetzt hat. Außerdem erhält natürlich jeder einen Satz Wahlhelfer, der später dann in eines der Häuser positioniert wird. Letzteres geschieht nach eigener Auswahl, wobei es zu beachten gilt, dass abhängig von der Spielerzahl nur begrenzter Raum auf dem Spielfeld zur Verfügung steht. Allerdings sind die Häuser, in denen die einzelnen Charaktere starten, aus Gründen der Gleichberechtigung schon vorgezeichnet; es muss lediglich jeder noch auswählen, welches der zur Verfügung stehenden er zum Start nimmt. Ist dies entschieden, werden dort ein Wahlplakat des eigenen Kandidaten abgelegt und eben die Wahlhelfer eingesetzt. Da es sich hierbei um Häuser mit insgesamt acht Stimmen handelt, setzt jeder seinen Stimmenzähler auf die Position 8 auf der Zählleiste.

Jetzt werden noch die beiden Polizeimarken auf ihre Position in der Rundenzählerleiste abgelegt und der Rundenzähler selber auf die erste Position gesetzt. Hat jeder sein Material hinter dem Sichtschirm aufgebaut, beginnt das Spiel mit demjenigen, der als nächster Geburtstag hat.

_Rundenablauf_

„Don Peperoni“ wird in genau acht Runden gespielt, wobei in jeder Runde genau ein Tag des finalen Wahlkampfs dargestellt wird. Der Startspieler beginnt nun, indem er seine beiden Wahlhelfer bewegt. Hierfür stehen ihm acht Bewegungspunkte zur Verfügung, die er frei auf beide Figuren verteilen kann, jedoch nicht vollständig ziehen muss. Ein Bewegungspunkt entspricht dabei einem Schritt auf dem Spielfeld. Wer sich dafür entscheidet, ein Haus zu besuchen, benötigt für das Ein- und Auskehren ebenfalls einen Bewegungspunkt.

Während der Bewegungsphase ersucht man nun die Stimmen der Bevölkerung, das heißt man besucht die anliegenden Häuser, verteilt dort Geldgeschenke und spekuliert gleichzeitig darauf, ob die anderen Spieler/Kandidaten Geschenke von höherem oder niedrigerem Wert ablegen werden. Jedes Haus hat einen festgeschriebenen Stimmenwert, den man sich erkaufen muss. Dies geschieht schließlich, indem man ein Geldgeschenk verdeckt bei seinem Besuch dort ablegt. Allerdings ist pro Haus vorerst nur ein Geldgeschenk erlaubt. Die Werte der Häuser schwanken zwischen zwei und zehn Punkten/Stimmen. Abgesehen von den Zehner-Wohnungen erfolgt in jedem Haus eine Wertung, sobald zwei Geldgeschenke abgelegt wurden. Für den größtmöglichen Wert sind indes drei Geschenke notwendig, um zu werten. Gewertet wird durch Umdrehen der verdeckten Geldscheine. Derjenige mit dem höchsten Wert erhält das Haus, platziert dort ein Wahlplakat und zieht den Stimmenwert auf der Zählleiste voran. Bei einem Patt bleibt das Haus erst einmal neutral; diejenigen, die jedoch das Unentschieden herbeigeführt haben, können im weiteren Verlauf jedoch nachlegen und im zweiten Wahlgang die Stimmen bekommen. Auf diese Art erkämpft man sich letzten Endes die ersuchten Stimmen.

Ärgerlich ist es jedoch, wenn man ein anvisiertes Haus nicht gewonnen hat. Für diesen Fall hat man die Agenten, die man parallel oder auch unabhängig von den Geldgeschenken in die Häuser einschleusen kann. Da wäre zum Beispiel der Anwalt, der sich alle Stimmen erschleicht, sofern nicht ein feindlicher Agent im selben Haus ist. Die Putzfrau hingegen erfüllt lediglich die Funktion, den Anwalt zu neutralisieren. Dann gibt es noch den Revolverhelden, der im Prinzip ähnliche Vorzüge wie der Anwalt hat, jedoch nicht gleich neutralisiert wird, wenn ein weiterer Agent das Haus betritt. Nur ein zweiter Revolverheld oder der Bodyguard schalten ihn aus. Der Bodyguard beschützt jedes Haus. Ganz gleich, wer auch eindringen mag, er verwehrt den Zutritt und somit den Effekt. Als Letztes wäre da noch der Spitzel. Er hat eine spezielle Aufgabe und kann am Ort des Geschehens die Geldscheine der Gegenspieler aufdecken. Allerdings bleibt er nicht bis zum Ende des Spiels dort liegen, sondern verabschiedet sich nach einmaliger Aktion aus dem Spiel.

Reihum tüftelt und taktiert jeder Spieler, blufft, zockt und spekuliert, bis schließlich acht Runden, also acht Tage vergangen sind. Zwischendurch kommt dabei noch die Polizei zum Einsatz, die jedoch auch bestochen werden kann. Nach genau vier Tagen durchsucht sie die Spieler, verfällt aber demjenigen, der den höchsten Preis zahlt. Auf beide Polizeimarken kann geboten werden. Wer insgesamt den höchsten Preis für eine der Marken bezahlt, bestimmt, wer in der fünften Runde den Startspieler abgibt. Die Gewinner beider Gebote können ihre Marken indes einsetzen, um einen Wahlhelfer in einer der kommenden Runden stillzulegen. Auch hier muss man abwägen, ob ein finanzielles Risiko den Effekt der Polizeimarken wert ist. Allerdings ist in „Don Peperoni“ grundsätzlich jeder korrupte Zug hilfreich …

_Spielende_

Sind acht Tage vergangen, kommt es zur Schlusswertung. Nun werden erst einmal alle Häuser gewertet, in denen noch keine Direktwertung stattgefunden hat. Entsprechend werden die Geldscheine umgedreht und der Wahlsieger in diesem Bezirk ermittelt. Wie gehabt, erhält er auf der Zählleiste die gewonnenen Stimmen. Dann werden die Agenten aufgedeckt und ihre Funktion ausgespielt. Sollte es tatsächlich noch gelingen, bereits vergebene Stimmen zurückzuholen bzw. Häuser von Gegenkandidaten zu besetzen, gewinnt man Stimmen eines Gegners, der wiederum die Stimmen auf der Leiste abgeben muss. Des einen Freud ist auch hier es anderen Leid. Wurden alle verbleibenden Häuser gewertet, steht das Endresultat fest. Derjenige mit den meisten Stimme ist Don Peperoni und hat das Spiel gewonnen.

_Meine Meinung_

Mensch, das nenne ich doch mal wieder einen Volltreffer. Appellierten |Kosmos| zuletzt noch mit [„Hart an der Grenze“ 3152 in einem ähnlichen Setting an die korrupte Ader eines jeden Spielers, setzen |Pegasus| dem Ganzen mit ihrem 2006er-Neuling „Don Peperoni“ die Krone auf und haben mit diesem Titel eines der sicherlich besten Bluff-Spiele auf dem aktuellen Spielemarkt veröffentlicht. Das Spiel hat eigentlich alles, was man von einem Brettspiel dieser Sparte erwartet: Witz, Humor, Tempo und Spannung – und Letztere definitiv bis zur letzten Sekunde. Weil hier nämlich keiner genau abschätzen kann, welche Pläne die übrigen Spieler verfolgen, und die Verteilung der Stimmen tatsächlich bis zum letzten Spielzug, genauer gesagt sogar bis zur Schlusswertung offen bleibt, wird hier niemand vorzeitig die Segel streichen, im Glauben, das Spiel längst verloren zu haben. Mir persönlich ist dies zum Beispiel im ersten Testdurchlauf passiert. Als sicherer Sieger wähnte ich mich mit zwei gewonnenen 10er-Parteien, und am Ende reichte es mit Ach und Krach zu einem dritten Platz. Klar spielt Glück hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle, aber worauf es in erster Linie ankommt, ist das Geschick, seinen Gegner in die Irre zu führen, nicht sofort auf die wertvollsten Stimmen zu spekulieren und intuitiv zu erdenken, worauf die anderen Kandidaten aus sind. Ein schönes Element sind außerdem die Agenten, die erst für diesen Spannungsaufbau sorgen. Nichts ist bereits gewonnen, aber bis zum Schluss auch genauso wenig schon verloren. Der richtige Schurke am rechten Ort, und schon ist man wieder auf dem besten Weg zur Siegerstraße.

Gelacht wird jedoch allemal, sei es nun über die witzigen Hintergrundgeschichten zu den beteiligten Charakteren oder aber bei der Auflösung am Spielende, und darauf kommt es speziell bei solchen Spielen ja auch eigentlich nur an. Der Verlag hat mal wieder ein feines Näschen für ein wahrhaft begeisterndes, jederzeit spaßiges Spielkonzept bewiesen. Da kann man auch dennoch locker über das etwas instabile Material hinwegsehen, das den enormen Spielspaß insgesamt auch nicht mehr beeinträchtigt. Mich hat „Don Peperoni“ auf allen Ebenen überzeugt, weshalb an dieser Stelle nichts anderes stehen darf als eine klare Empfehlung für ein weiteres, witziges Highlight aus dem |Pegasus|-Katalog.

http://www.pegasus.de

Nuyen, Jenny-Mai – Drachentor, Das

Es herrscht Krieg. In einer großen Schlacht besiegt Haradons Heer das der Myrdhanen.

Alasar sitzt wie jeden Sonnenaufgang in den letzten Tagen auf einem hohen Felsen und hält Ausschau nach den Rückkehrern aus der Schlacht, nach seinen Eltern und Brüdern. Doch was er an diesem Morgen heranziehen sieht, ist das Heer der Haradonen! Eilig holt Alasar seine Schwester Magaura und alle Einwohner seines Dorfes, die bereit sind, ihm zu folgen, und führt sie hinauf in die Höhlen der Berge, während die Feinde hinter ihm alles in Schutt und Asche legen. Doch was er mit den Flüchtlingen, die wie er fast ausschließlich Kinder sind, aus dem Nichts aufbaut, ist kein Neuanfang …

Ardhes ist die Prinzessin von Awrahell, die personifizierte Hoffnung der Elfen auf eine Zukunft in dem Land, das einst ihnen gehörte, und aus dem die Menschen sie immer weiter verdrängen. Doch Königin Jale, gebürtige Haradonin, verabscheut die Elfen und hat den Elfenkönig Octaris nur um der Macht willen geheiratet. Sie drängt ihre Tochter dazu, einen Menschen zu heiraten und zu Ende zu führen, was sie selbst begonnen hat: die endgültige Vertreibung der Elfen. Da beobachtet Ardhes zufällig ihre Mutter mit einem Geliebten!

Revyn hat für Krieger und Soldaten nichts als Verachtung übrig. Doch um seiner dunklen Vergangenheit zu entfliehen, schließt er sich ihnen an und lässt sich in Logond, der Hauptstadt Haradons, zum Drachenreiter ausbilden. Der Umgang mit den schönen, mächtigen und unsagbar traurigen Wesen ist der einzige Lichtblick in seinem düsteren Leben. In kürzester Zeit hat er sich einen Namen als begnadeter Drachenzähmer gemacht. Einziger Wermutstropfen ist die Tatsache, dass immer wieder Drachen einfach spurlos verschwinden. Eines Nachts gelingt es einem Mädchen, nahezu sämtliche Drachen zu befreien und aus der Stadt zu führen. Revyn beteiligt sich an der Verfolgung, doch nicht, um das Mädchen einzufangen, sondern um das Rätsel der verschwundenen Drachen zu lösen…

In einem Sog, dem sich keiner der drei entziehen kann, treiben sie aufeinander zu, und ihr Zusammentreffen wird die Welt unwiederbringlich verändern. Denn sie sind Ahirah, Kinder von Ahiris, dem Gott des Schicksals …

Wie schon „Nijura“, so zeigt auch „Das Drachentor“, dass Jenny-Mai Nuyen eine große Begabung für Charakterzeichnungen hat.

Alasar ist der geborene Anführer. Er weiß, wie man andere überzeugt, wie man die Begeisterung in ihnen weckt, die nötig ist, um auch Aufgaben von herkulischem Ausmaß erfolgreich durchzuziehen. Unter seiner Führung hätten die Höhlenkinder zu einer blühenden Gesellschaft werden können. Doch der Krieg hat ihn vergiftet. Verlustängste und der Wunsch nach Rache bestimmen all sein Tun, und sie werden umso stärker, je älter er wird. Er ignoriert die Tatsache, dass die Höhlenkinder erwachsen werden, auch Magaura. Selbst den vernünftigsten Argumenten seines besten Freundes Rahjel ist er schließlich nicht mehr zugänglich, Kritik wird als Verrat gewertet. Alasar ist auf dem besten Weg, ein grausames, kaltherziges Ungeheuer zu werden.

Ardhes ergeht es ähnlich. Jale ist verlogen, intrigant und machthungrig, Octaris dagegen besitzt zwar mächtige Gaben, lässt aber alles um sich herum einfach widerstandslos geschehen. Ardhes verachtet sie beide. Sie fühlt sich ungeliebt und benutzt und reagiert darauf zunächst mit Verweigerung, dann mit Trotz. Dabei verschwendet sie keinen einzigen Gedanken an die Folgen ihres Tuns für andere. Von allen drei Ahirahs zeigt Ardhes am stärksten das Verhalten einer noch unreifen Heranwachsenden, was wiederum nicht verwundert, da sie als Einzige zumindest relativ behütet und sicher aufgewachsen ist.

Revyn dagegen ist ein Kind ohne Wurzeln, nirgendwo fühlt er sich zuhause. Er verabscheut sowohl den Alkohol als auch das Töten, doch sich selbst verabscheut er auch. Erinnerungen und Gewissensbisse verfolgen ihn überall hin. Alles, was er sich wünscht, sind Friede für seine Seele und ein Ort, an den er gehört. Aber all seine Bemühungen, das Richtige zu tun, all seine Versuche der Sühne und Wiedergutmachung scheinen zu seiner wachsenden Verzweiflung nur immer weiter in die Katastrophe zu führen!

Eine gute Portion Einfühlungsvermögen hat diese drei so glaubhaft und lebendig werden lassen, dass man sie förmlich vor sich zu sehen meint. Aber auch die Nebencharaktere wie Königin Jale, König Octaris oder Revyns Kriegskameraden Twit und Capras sind ungemein plastisch und in sich stimmig ausgeführt. Selbst dem König der Myrdhanen, der nur in ein paar kurzen Szenen auftaucht, hat die junge Autorin dieselbe Aufmerksamkeit und Sorgfalt angedeihen lassen wie ihren Hauptfiguren, ohne sich dabei in Details zu verlieren.

Die Geschichte selbst braucht ein wenig Anlaufzeit. Es ist nicht von Anfang an ersichtlich, was die Drachen mit dem Krieg zwischen Haradon und Myrdhan zu tun haben. Erst als zum ersten Mal ein Drache verschwindet, wird dem aufmerksamen Leser die Verbindung deutlich.
Das Hauptaugenmerk des Geschehens liegt zunächst auf einer Prophezeiung, von der Octaris Ardhes erzählt. Wobei Prophezeiung wahrscheinlich nicht unbedingt das richtige Wort ist. Vielmehr handelt es sich um Visionen. Octaris ist ein Seher. Und wenn er nachts zu den Sternen hinaufstarrt, sieht er die Zukunft der Welt, in der die Ahirah eine entscheidende Rolle spielen. Ardhes lauscht diesen Visionen ihres Vaters. Doch wie es bei Visionen oder Prophezeiungen üblich ist, sind sie nicht in klare, eindeutige Worte gefasst. Ardhes ist nicht die Einzige, die aus den Worten ihres Vaters falsche Schlüsse zieht.

Das hört sich jetzt nicht unbedingt neu an. Ist es auch nicht. Aber es ist mit viel Engagement und Herzblut erzählt. Und eines ist tatsächlich ungewöhnlich: Hier gibt es keinen Tyrannen, Zauberer oder finsteren Gott, in dem sich alles Böse konzentriert und den es zu besiegen gilt. Deshalb hat das Buch auch kein Happyend. Es hat überhaupt nur ein halbes Ende, insofern, als der Leser erfährt, was aus zweien der drei Ahirah geworden ist. Doch ein Schicksal bleibt offen.

Auch die Handlung als solche hat nicht den sonst üblichen Abschluss erhalten. Nicht nur, dass der drohende Untergang nicht aufgehalten werden konnte; da es kein personifiziertes Böses gibt, das hätte besiegt werden können, gibt es auch keinen strahlenden Helden, der nach der Schlacht mit dem Wiederaufbau beginnen könnte. Jenny-Mai Nuyen erzählt hier das Ende einer Epoche, ohne einen Blick auf einen Neuanfang zu werfen.

Insofern ist „Das Drachenauge“ für einen Fantasy-Roman unerwartet realistisch. Das Böse ist kein Fremdkörper, der von außen in die bis dahin heile Welt eindringt und mit Heldenmut und Opferbereitschaft wieder vertrieben werden kann. Gut und Böse sind Teil der Welt, waren es immer und werden es immer sein. Sie bleiben von Umwälzungen, von Aufstieg und Fall, völlig unberührt. Trotzdem hat das Buch kein negatives Ende. Denn einer der drei Hauptcharaktere hat eine Wandlung durchgemacht und wirft zumindest ein kleines Hoffnungslicht auf den düsteren Weg ihrer Welt, auf den die Autorin einen Ausblick gegeben hat.

Um es kurz zu machen: Jenny-Mai Nuyen hat die Hoffnungen, die ich in ihr neuestes Buch setzte, voll erfüllt. Ihre Sprache ist nach wie vor bildhaft und ausdrucksstark, sowohl was Stimmungen als auch Landschaften betrifft; ihre Charaktere agieren nicht nur glaubhaft und nachvollziehbar, sie sind voller Leben, als hätte ich sie persönlich gekannt; und auch ihre Ideen, vor allem im Zusammenhang mit der Welt der Drachen, haben mir sehr gut gefallen, auch wenn der Gedanke von Fell bei einem Drachen etwas ungewöhnlich erscheint.

Jemand, der sich langweilt, sobald der Held der Geschichte nicht ununterbrochen von einer unermesslichen Gefahr in die andere stolpert, sollte besser die Finger von dem Buch lassen. Wer dagegen mehr als rasante Action im Sinn hat, dem kann ich das Buch wärmstens empfehlen. Jenny-Mai Nuyen schreibt nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit ihrer Seele. Das ist deutlich zu spüren. Zur Abwechslung mal finde ich das vollmundige Lob von Verlag und Presse, für das ich normalerweise überhaupt nichts übrig habe, durchaus gerechtfertigt.

Jenny-Mai Nuyen stammt aus München und schrieb ihre erste Geschichte mit fünf Jahren. Mit dreizehn wusste sie, dass sie Schriftstellerin werden wollte. „Nijura“, ihr Debüt, begann sie im Alter von sechzehn Jahren. Inzwischen ist sie neunzehn und studiert Film an der New York University. Ihr neuester Roman „Nocturna – Die Nacht der gestohlenen Schatten“ ist für Juli dieses Jahres angekündigt.

Taschenbuch, 576 Seiten
ISBN-13: 978-3-570-30388-7

www.jenny-mai-nuyen.de/
www.randomhouse.de/cbjugendbuch/index.jsp

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