Archiv der Kategorie: Rezensionen

Dabb, Andrew / Kurth, Steven / Raffaele, Stefano / Weis, Margaret / Hickmann, Tracy – Drachenzwielicht I (Die Chronik der Drachenlanze)

_Story_

Schwere Zeiten für Krynn: Finstere Goblins und grausame Echsenmenschen durchstreifen das Land und drohen, es zu unterwerfen. Religiöse Fanatiker steigen auf und mit ihnen eine Dunkelheit, die auch von den längst verschwundenen alten Göttern nicht mehr erleuchtet werden kann. In diesen schweren Tagen reist der Halbelf Tanis mit seinem alten Gefährten, dem Zwergen Flint, und einigen weiteren Gestalten durch das Land, um für sich selber Sicherheit zu finden und gleichzeitig das Dunkel abzuwenden. Fünf lange Jahre waren sie getrennt, und keiner von ihnen hat erfahren, dass Raistlin, der Zwillingsbruder von Caramon, zwischenzeitlich grausam gefoltert und als Einziger die schweren Leiden, die dem Land drohen, bereits am eigenen Leib erfahren musste.

Doch auf der Seite der Gefährten befindet sich ein Gegenstand, der in ganz Krynn heiß begehrt ist und daher auch Ziel mehrerer Angriffe auf die Heldentruppe war: der blaue Kristallstab, dem man magische Heilkräfte nachsagt. Immer wieder gelingt der Bande dank des Stabs die Flucht vor den finsteren Gestalten, die sie auslöschen möchten, doch als sie schließlich die Ruinen von Xak Tsaroth erreichen, scheint auch die Geheimwaffe nichts mehr ausrichten zu können. Inmitten der zerstörten Stadt leben nämlich die Gossenzwerge – und mit ihnen ein furchtbarer Riesendrache, gegen den selbst tapfere Kämpfer wie Tanis und Goldmond chancenlos scheinen.

_Meine Meinung_

Nachdem man sich bei |Panini Comics| bereits an mehrere Adaptionen aus der Welt von „Dungeons & Dragons“ gemacht hat und dabei auch kontinuierlich hervorragende Resultate erzielte, folgt nun mit dem neuen Werk aus dem Themenbereich „Die Chroniken der Drachenlanze“ der erste kleine Durchhänger.

Nicht etwa, dass die Story nicht interessant aufgebaut und ordentlich erzählt wäre. Das Problem besteht lediglich darin, dass die gesamte Handlung viel zu sprunghaft dargestellt ist und man sich nie so richtig auf den verschiedenen Stationen der Gefährten zurechtfinden kann. Dort, wo die Romanvorlage wirklich viele Spielräume hat und diese auch entschieden nutzt, fehlt „Drachenzwielicht“ der Platz, um näher auf die einzelnen Charaktere und die Beziehungen untereinander einzugehen – und gerade das ist im ersten Teil dieser Reihe ein elementarer Faktor. Hier und dort gibt es zwar einige Wortgefechte zwischen dem Kender Tolpan und dem mürrischen Zwergen Flint, und auch das Verhätnis der Zwillingsbrüder untereinander scheint nach den jüngsten Vorfällen nicht mehr das beste zu sein, aber irgendwie wird diese Seite der Geschichte nur sehr oberflächlich behandelt und der Schwerpunkt vorrangig auf den Action-Anteil von „Drachenzwielicht“ gesetzt.

Was dies betrifft, hat man bei der illustrierten Adaption auch sicher ganze Arbeit geleistet; „Drachenzwielicht“ steht im Zeichen der vielen Schlachten und Gefechte, bedient dabei aber nur in wenigen Abschnitten die einzelnen Geflechte, die sich in Krynn ranken und das Land zu vernichten drohen.

Insgesamt betrachtet, gehen somit recht viele entscheidende Details unter, weil aus Platzgründen nur ein grober Querschnitt der eigentlichen Erzählung wiedergegeben werden konnte. Genau hier liegt meiner Meinung nach der Knackpunkt des Problems. Entweder hätte man sich einfach noch einige Seiten mehr Raum nehmen oder aber die gesamte Story auf mehrere Bände verteilen sollen. „Drachenzwielicht“ ist zwar zweifelsohne ein actionreiches Fantasy-Album, aber eben leider kein tiefgreifendes oder gar spannungsgeladenes Epos wie „Die Legende von Huma“ oder „Die Saga vom Dunkelelf“.

Diese Kritik schlägt sich übrigens auch in den Zeichnungen nieder. Die weitestgehend düsteren Illustrationen unterstützen die Atmosphäre des Comics nur geringfügig und erreichen nicht das bis dato gewohnte Niveau der bisherigen „Dungeons & Dragons“-Comics, was letzten Endes wohl auch ein nicht zu vernachlässigender Faktor für die Enttäuschung ob dieses neuen Bandes ist.

_Fazit_

Man war ja in den letzten Monaten wirklich sehr verwöhnt, was die Fantasy-Seite der |Panini Comics| betrifft. Besonders „Die Saga vom Dunkelelf“ war ein echter Knüller und vielleicht sogar das absolute Highlight der vorangegangenen Saison. Natürlich kann man nicht voraussetzen, dass dieser hohe Maßstab auch von den nächsten D&D-Comics gehalten wird, aber ein gewisses Niveau durfte man schon erwarten – und dieses wurde im Falle von „Drachenzwielicht“ leider unterschritten. Bleibt wenigstens noch zu hoffen, dass man im abschließenden zweiten Band irgendwie die Kurve bekommt. Was aber definitiv schwierig wird …

http://www.paninicomics.de

|Siehe auch unsere Rezensionen zu:
[„Die Legende von Huma“ 2417 (DragonLance 1)
[„Heimatland“ 2498 (Forgotten Realms – Die Saga vom Dunkelelf 1)|

Jary, Micaela – geheime Königin, Die

Religionsunruhen gehören zu den Dingen auf dieser Welt, die immer wieder die Nachrichten füllen. Allerdings denkt man beim Wort „Religionsunruhen“ heutzutage eher an den Islam. Dabei ist die Weste der Christen auch nicht gerade weiß.

Micaela Jarys historischer Roman „Die geheime Königin“ spielt im 16. Jahrhundert zur Zeit der großen französischen Unruhen zwischen Protestanten und Katholiken.

Die junge Protestantin Isabelle gehört zum Hofstaat von Diane de Poitiers, der Mätresse von König Henri, die er seit Jahren vergöttert und mehr an seinen Regierungsgeschäften beteiligt als Königin Catherine de Médicis. Es weiß allerdings niemand von der religiösen Gesinnung Isabelles, denn sie ist nicht die, die sie vorzugeben scheint. Als Spionin für die Protestanten versucht sie, Diane, die geheime Königin, auszuhorchen und verfolgt dabei noch einen eigenen Rachefeldzug. Schloss Chenonceau, wo Diane residiert, gehörte früher Isabelles Familie, die das Schloss durch einen intriganten Prozess an die Mätresse verlor.

Doch Isabelles Pläne zur Rache an Diane werden gestört, als sie den Hauptmann Gabriel de Montgommery kennen lernt und dem jungen, geschmeidigen Charmeur verfällt. Hin- und hergerissen zwischen ihrem Auftrag und ihrer Religion, versucht sie, ihm aus dem Weg zu gehen, doch er kommt ihr auf die Schliche …

Jarys Roman basiert auf realen historischen Ereignissen, allerdings hat sich die Autorin die Freiheit herausgenommen, diese an einigen Stellen etwas zu ändern. Gabriel de Montgommery zum Beispiel war in Wirklichkeit ein verheirateter Familienvater, doch Jary benutzt ihn als jungen, schneidigen Kavalier.

Gegen dieses Vorgehen ist an und für sich von Laienseite (ein Historiker mag das vielleicht anders sehen) aus nichts zu sagen. Trotzdem ist es kein Freibrief, um die Charaktere übertrieben schwülstig darzustellen, wie in diesem Fall geschehen. Der Klappentextzusatz „Ein packendes Liebesepos …“ wird dezent übererfüllt. Besonders die Figur der Isabelle trieft auf manchen Seiten geradezu vor Pathetik und romantischem Gehabe. Die Art und Weise, wie sie Gabriel verfällt, erinnert stellenweise stark an einen Groschenroman, und das trägt nicht gerade dazu bei, dass „Die geheime Königin“ sehr realistisch wirkt. Außerdem fragt man sich als Leser, wieso ausgerechnet diese junge Dame als Spionin ausgewählt wurde, wo sie doch in schöner Regelmäßigkeit in Ohnmacht fällt oder sich gefährlich verhaspelt. Warum sie trotzdem nicht entdeckt wird, ist wirklich ein Wunder.

Die historischen Tatsachen werden nicht nur anhand der Zeittabelle im Anhang aufgeführt, sondern direkt in die Geschichte eingebunden. Da Isabelle als Spionin arbeitet, hat sie ein eigenes Interesse an den Ereignissen, wie zum Beispiel der Verhaftung eines hohen Protestanten. Man kann also durchaus noch etwas lernen, wenn man „Die geheime Königin“ liest.

Die Handlung hat ohne Frage ihre Momente, besonders wenn nicht sicher ist, auf welcher Seite Gabriel de Montgommery nun eigentlich steht, aber genauso hat sie auch ihre Längen. Insgesamt fehlt es dem gesamten Roman an Spannung. Isabelles Seelenleben gibt leider auch nicht genug her, um diesen Makel auszugleichen. Die knapp 450 Seiten Buch werden dadurch stellenweise zu Quälerei, denn neben der Handlung und den Charakteren hat auch der Schreibstil nicht viel zu bieten.

„Die geheime Königin“ liest sich wie jeder andere durchschnittliche Historienroman auch. Trocken, ohne großartige Stilmittel, aber dafür mit einer Menge schwülstig-archaischer Ausdrücke, die das Lesen mehr verkomplizieren als es plastisch zu gestalten. Der Schreibstil sorgt insgesamt nicht für einen reibungslosen Verlauf der Geschichte, sondern ist im Gegenteil oft schuld daran, dass die Handlung sich zieht.

„Die geheime Königin“ ist ein wenig angestaubt, ein wenig langweilig und ein wenig schwülstig – also nicht gerade die beste Leseempfehlung.

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Ellis, Warren / Williams III, J. H. – Desolation Jones 1 – Made in England

Wenn man sagt, dass Warren Ellis gut darin ist, eine Menge abgefahrener, kranker Ideen auf engstem Raum zu versammeln, dann ist das in etwa so, als würde man die Bemerkung fallen lassen, dass es im Sommer in der Sahara ganz schön heiß werden kann. Warren „Transmetropolitan“ Ellis ist als Schöpfer abgefahrener, kranker Ideen hinlänglich bekannt. Sie sind gewissermaßen sein Aushängeschild.

Gemeinsam mit dem Zeichner J. H. Williams III holt er jetzt eine neue Serie aus der Kiste. „Desolation Jones“, so der Titel, erscheint seit März 2007 auf Deutsch bei |Panini|. Band 1 heißt „Made in England“ und enthält die ersten sechs Hefte der Serie, die seit Juli 2005 bei |DC Wildstorm| erschienen sind.

Hauptfigur und Namensgeber der Serie ist Michael Jones, ein ehemaliger MI6-Agent, der aus dem regulären Dienst entlassen wurde und nun ein Schattendasein in Los Angeles führt. In der Stadt der Engel existiert eine verborgene Enklave ehemaliger Geheimagenten, die weder ihren Dienst tun noch ins normale Leben zurückkehren können. Die Behörden haben sie auf das Abstellgleis geschoben. Nun hängen die Ex-Agenten fest in einem Zwischenraum und sammeln die verbliebenen Stücke ihres menschlichen Wesens ein. Jeder schleppt seine eigene, sehr spezielle und verhängnisvolle Vergangenheit mit sich herum.

Die Community der Ex-Agenten ist zugleich eine Community der Freaks. Jones selbst ist der einzige Überlebende eines biochemischen Versuchs mit dem Namen „Desolation-Test“. Durch den Test ist sein Körper ausgezehrt und bleich. Er verträgt kein Sonnenlicht mehr und schläft höchstens noch eine Stunde am Tag. Emotional ist Jones ausgebrannt und total am Ende. Hinzu gesellen sich eine Handvoll ausgeflippter Nebenfiguren. Da ist beispielsweise Jeronimus, Jones‘ Auftraggeber, der nur einmal im Jahr essen muss, dann aber jede Menge und am besten rohes Fleisch. Mit einem Gebiss aus Stahl jagt er Kühe. Oder Colonel Nigh, Jones‘ anderer Auftraggeber, ein sexabhängiger Militär, mit siebzig Krankheiten gestraft, der seinen Penis in Bombay sicher weiß.

So abgefahren die Protagonisten, so krank ist auch der Plot. Jeronimus bittet Jones, unter den Mitgliedern der Enklave zu ermitteln. Colonel Nigh hat die Vermutung, dass drei junge Ex-Soldaten der US-Army aus seiner Privatsammlung einen Porno-Film mit Adolf Hitler gestohlen haben. Er möchte ihn um jeden Preis wieder zurückbekommen. So zieht Jones los und klopft an die Türen des örtlichen Porno-Business. Während seiner Ermittlungen handelt er sich nicht nur einen Haufen Ärger ein, sondern entdeckt zugleich, dass der Hitler-Porno nicht mehr als eine Finte ist. Um den Fall zu lösen, muss er in anderen Gefilden herumschnüffeln. Zum Beispiel in den Familienverhältnissen von Colonel Nigh. Oder in dem Projekt |Temple Farm|, das der Colonel zu seinen aktiven Zeiten geleitet hat.

Im Vergleich mit Warren Ellis‘ bekannter Serie „Transmetropolitan“ fällt „Desolation Jones“ ruhiger und gesetzter aus. Die Welt ist nicht so bunt und quietschig wie zu Spider Jerusalems Zeiten, sondern eher dunkel und melancholisch. Wer die abgefahrenen, kranken Ideen einmal beiseite lässt, bemerkt, dass es bei „Desolation Jones“ im Kern um die Themen Manipulation und Abhängigkeit geht. Als hätte der Autor zu oft |Eurythmics|‘ „Sweet Dreams“ gehört: „Some of them want to use you, some of them wanna get used by you …“ Wer nutzt letzten Endes wen aus? Wer wird wie benutzt? Das ist die Triebfeder, die hinter „Made in England“ steckt. Das Porno-Business als Metapher bietet sich dafür ganz gut an.

Kranke, abgefahrene Ideen sind natürlich nicht jedermanns Geschmack. Was gibt es sonst noch? Leider kommt der Humor in „Desolation Jones“ etwas zu kurz. Gerade die völlig maßlosen Übertreibungen von Spider Jerusalem haben mir bei „Transmetropolitan“ immer am meisten Spaß gemacht. Die Zeichnungen sind toll, realistischer Stil, dynamisch und abwechslungsreich. Insgesamt ist „Made in England“ ein gutes Stück Comic, eine dunkle Mischung aus Thriller-, Agenten- und Action-Comic, bei der die Satire leider ein bisschen zu kurz geraten ist. Wenn man abgefahrene, dreckige Szenarios gern hat, dürfte man auf dem deutschen Comic-Markt derzeit kaum etwas Vergleichbares finden.

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Odenhoven, Thomas – Portobello Market

_Das neue Spiel des Jahres?_

Bereits vor der regulären Veröffentlichung von „Portobello Market“ wurde in Internetforen heiß über den neuesten Titel aus dem Programm von |Schmidt Spiele| diskutiert. Ersten Meinungen zufolge könnte dieses Spiel sogar ein heißer Anwärter auf die heiß begehrte „Spiel des Jahres“-Trophäe sein, einen Titel, den im letzten Jahr bereits der Sub-Verlag |Hans im Glück| für das grandiose „Thurn und Taxis“ einheimsen konnte.

Dieser Titel ist übrigens gar nicht mal direkt aus der Luft gegriffen, sondern im Bezug auf das Spielprinzip von „Portobello Market“ in manchen Zügen vergleichbar. Statt Kutschen und Kurieren sind es dieses Mal jedoch Marktstände, die einem die notwendigen Punkte zum Sieg bringen. Dennoch gibt es hinsichtlich der grundlegenden Systematik einige Parallelen zum Top-Hit der vergangenen Saison. Haben wir es daher also tatsächlich mit einem berechtigten Anwärter auf den wichtigsten deutschen Spielepreis zu tun? Genau das galt es zu prüfen …

_Spielidee_

Die Gassen auf dem Portobello Market sind gefüllt mit lukrativen Marktständen, die sich bei den Kunden recht unterschiedlicher Beliebtheit erfreuen. Schon straßenintern gibt es große Unterschiede, was die Effektivität eines Verkaufsstands betrifft, so dass immer derjenige, der den ersten Marktstand in eine Gasse setzt, einen großen Vorteil hat. Doch der Bau dieser Stände ist nicht immer einfach, denn nur die Anwesenheit des Bobbys in einem angrenzenden Distrikt erlaubt es dem Spieler, einen Markt aufzubauen.

Aber ein Stand alleine ist noch kein Garant für reißenden Absatz; erst die Kunden entscheiden, wessen Ware die beste und teuerste sein soll, doch diese erscheinen nicht immer in der begehrtesten Kombination. Jeder strebt danach, den Lord eines Tages bei sich zu begrüßen und ihm seine Produkte zu verkaufen – denn niemand bezahlt so gut wie er. Aber auf ihn ist nicht immer Verlass, so dass man dennoch versuchen muss, die übrigen Kunden zu seinen wertvollsten Märkten zu locken. Erst dann kann man ein Wörtchen beim Streit um den Sieg mitreden.

_Spielmaterial_

• 30 rote Marktstände
• 30 gelbe Marktstände
• 20 grüne Marktstände
• 16 blaue Marktstände
• 20 Aktionsplättchen
• 4 Wertungssteine
• 5 Gehilfen
• 5 Bürger
• 1 Lord
• 1 Bobby
• 1 Stoffbeutel
• 4 Spielertableaus
• 1 Spielbrett
• 1 Spielregel

Grundsätzlich ist das Material von „Portobello Market“ zweckdienlich und eher praxisbetont aufgebaut: robuste Holzspielsteine, stabile Plastiktableaus und –marker und ein leicht überschaubarer Spielplan. Im Gegensatz zum üblichen Verlagsprogramm ist das Design jedoch nur durchschnittlich. Etwas mehr Farbe hätte dem Material merklich gut getan, besonders bei der Bemalung der Spielfläche, die doch arg düster erscheint. Dies ist jedoch noch nicht so verheerend wie die vielen Schönheitsfehler bei den Holzsteinen im mir vorliegenden Spielset. Ungefähr die Hälfte der Marktstände weist bereits Beschädigungen und gravierende Farbunterschiede auf, teilweise ist die Farbe sogar ganz abgeblättert. Für die Praxis macht dies zwar sicherlich nicht viel aus, aber etwas mehr Liebe zum Detail hätte der Sache auf jeden Fall gut getan. Zumindest in dieser Hinsicht ist „Portobello Market“ definitiv noch kein verdienter Anwärter auf das „Spiel des Jahres“.

_Spielvorbereitung_

„Portobello Market“ ist mit zwei bis vier Spielern spielbar, und dementsprechend ist auch das Spielmaterial rationiert. Abhängig von der beteiligten Spielerzahl werden zunächst einmal die Marktstände in den gewählten Farben aufgeteilt. Weiterhin erhält jeder ein Tableau, die Aktionsplättchen mit den Ziffern 2 bis 4 sowie seinen Wertungsstein ausgehändigt. Die übrigen Aktionsplättchen werden mit dem höchsten Wert oben absteigend sortiert und neben das Spielfeld gelegt. Als Letztes werden nun die elf Kunden (Bürger, Gehilfen und der Lord) in den Stoffbeutel gemischt und bis auf weiteres dort aufbewahrt. Der Startspieler platziert nun vor Beginn des Spiels noch den Bobby auf einen beliebigen Distrikt. Jetzt kann das Spiel beginnen.

_Ziel des Spiels_

Punkte sind auch bei „Portobello Market“ das A und O. Nach dem Bau eines jeden Markstandes bekommt man Punkte, sobald die Gasse, in der sich dieser Stand befindet, komplett bebaut ist und an beiden Seiten von Kunden heimgesucht wird. Mit Hilfe zweier Aktionsplättchen ist es jedoch auch möglich, Zwischenwertungen durchzuführen und somit wertvolle Punkte einzuheimsen, die den Mitspielern eventuell verwehrt bleiben. Sieger ist schließlich derjenige, der am Ende die meisten Punkte sammeln konnte.

_Ein Spielzug_

Am Anfang des Spiels stehen jedem Spieler drei eigene Aktionsplättchen zur Verfügung, mit Hilfe deren er vor dem jeweiligen Zug wählt, wie viele Aktionen er nun durchführen wird. Er kann entweder zwei, drei oder auch vier Aktionen hintereinander erledigen oder aber die Plättchen mit den Ziffern 2 oder 4 in einem Distrikt ablegen und eine Distrikt- bzw. Zwischenwertung vollziehen. In diesem Fall nimmt er sich anschließend das oberste Plättchen des Ersatzstapels und kann dieses nun in zukünftigen Runden zum Einsatz bringen. Das Plättchen, das man zu benutzen gedenkt, legt man nun an sein Tableau, wo es so lange verharrt, bis jedes Plättchen einmal gespielt wurde. Ist dies geschehen, hat man wieder die freie Auswahl zwischen allen drei Markern, usw.

Egal für wie viele Aktionen man sich nun entschieden hat, muss man wählen, ob man entweder einen neuen Marktstand aufstellt oder einen Kunden platziert. Möglichkeit Numero eins würde bedeuten, dass man einen seiner Marktstände auf ein freies Feld in einer Gasse setzt, die direkt an den Distrikt angrenzt, in dem sich derzeit der Bobby befindet. Man kann diesen Bobby auch an eine gewünschte Position verschieben, allerdings kostet dies ggf. Punkte – es sei denn, die Gassen, die der Bobby überschreitet, gehören zu einer Mehrheit einem selber. Diese Punkte werden bei Gleichstand lediglich auf der entsprechenden Leiste nach hinten verschoben oder bei Mehrheit eines Mitspielers sogar auf seiner Leiste zusätzlich noch addiert. Die Bewegung es Bobbys gilt jedoch nicht als Aktion. Beim Bau des Markstandes gilt es weiterhin zu beachten, dass man denjenigen mit den meisten Punkten besetzt und, falls die Gasse nicht mehr leer ist, direkt an einen schon platzierten Marktstand ansetzt.

Wer indes die Option wählt, einen Kunden auf den „Portobello Market“ zu bringen, zieht blind eine Figur aus dem Stoffbeutel und setzt sie auf eine beliebige vakante Position zwischen den Gassen. Hierbei sollte man tunlichst darauf achten, an eigene Märkte bestimmte Kundenkombinationen anzusetzen, da diese den Wert der Märkte um ein Zwei-, Drei- oder gar Vierfaches erhöhen. Dort, wo also viele eigene Märkte stehen, wäre es gut, an einer Seite den Lord und an der anderen einen Bürger zu haben. Dies würde den Punktewert zum Beispiel vervierfachen.

Sobald eine vollständig bebaute Gasse an beiden Seiten von Kunden heimgesucht wird, folgt eine Wertung, die so genannte Gassenwertung. Alle Märkte werden gewertet und eventuell noch einmal mit einer Zahl, die sich aus der Kombination der Kunden ergibt, multipliziert. Anschließend rücken die Besitzer der Märkte die erzielte Punktzahl vorwärts. Bei einer Distriktwertung wird hingegen unabhängig von Kunden gewertet. Hiervon betroffen sind auch nur die Gassen, die noch nicht gewertet wurden, so dass eine frühe Distriktwertung in einem Distrikt, der vorwiegend von eigenen Marktständen umgeben ist, sehr lohnenswert sein könnte. Eine solche Wertung löst man mit dem Ablegen des 4er- oder 2er-Aktionsplättchens aus. Man legt es auf den gewünschten Distrikt und multipliziert alle umliegenden Märkte mit der individuellen Ziffer. Natürlich werden dabei auch gegnerische Märkte mitgerechnet.

Zum Ende des Spiels könnte es dann noch zur Lord-Wertung kommen. Falls der Lord nach Spielende am Ende einer oder mehrerer Gassen steht, die nicht komplett sind, können die darin befindlichen Stände trotzdem noch Punkte erzielen, und zwar genauso viele, als wäre die Gasse vollständig bebaut.

_Spielende_

Genau dann, wenn ein Spieler seinen letzten Marktstand aufgebaut hat, wird die Finalrunde eingeläutet. Jeder kommt noch einmal zum Zuge, dann folgt die Schlusswertung, in der dann der Sieger ermittelt wird. Dies ist, wie eben bereits beschrieben, derjenige mit den meisten Punkten.

_Meine Meinung_

Ich kann nicht abstreiten, dass ich aufgrund der hohen Erwartungshaltung ein wenig voreingenommen an „Portobello Market“ herangegangen bin, daher hielt sich die Euphorie nach der ersten Partie auch ein wenig in Grenzen. Problematisch war hierbei, dass die ersten Erfahrungen mit dem Spiel im Duell zu zweit gesammelt wurden, und in dieser Konstellation ist „Portobello Market“ auch nicht der günstigste Vertreter. Dies ändert sich jedoch sofort, sobald der Spieltisch komplett besetzt ist und man zu viert um die lukrativsten Plätze für die eigenen Stände buhlt.

Mit einem Schlag wird das Spiel um ein Vielfaches taktischer und lebendiger. Intuitives Handeln ist plötzlich gefragt, dazu Geschick bei der Planung und die Ausarbeitung guter Konterschläge, sobald man einmal in die Enge getrieben wurde und die Verschiebung des Bobbys teuer werden kann. Natürlich sind alle diese Eigenschaften auch im Zweierspiel gefragt, allerdings kommen hier weder das Tempo noch der Spaß auf, den die variantenreichere Partie mit maximaler Spielerzahl bietet. Dies sollte man bei der Kaufentscheidung also schon mal im Hinterkopf behalten.

Davon abgesehen, bietet „Portobello Market“ inhaltlich sicher nichts Revolutionäres. Ähnlich aufgebaute, simpel gestrickte Spiele gibt es heuer wie Sand am Meer, und nicht wenige von ihnen sind auch von einem vergleichbaren Kaliber wie dieser neue |Schmidt|-Titel. Und dennoch würde ich im Zweifelsfall für „Portobello Market“ stimmen, weil es schlichtweg sehr gefällig ist, wie Strategie, Intuition, Planung und natürlich auch Glück hier miteinander harmonieren. Interessant ist diesbezüglich auch, dass sich das Blatt in einer Partie relativ häufig wendet und so auch jedes Mal bis zum Schluss eine sehr hohe Motivation besteht, denn oftmals wird der Sieger tatsächlich erst in einer der letzten beiden Runden ermittelt – was für mich persönlich ein ausschlaggebender Punkt ist, dieses nette, interessante Familienspiel zu empfehlen. Das „Spiel des Jahres“ denke ich zwar hiermit nicht gespielt zu haben, doch für frischen Wind sorgt „Portobello Market“ allemal. Auch ohne wirklich neue Ideen …

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Peter Straub – Schattenstimmen

Straub Schattenstimmen Cover 2008 kleinSchriftsteller Underhill hat einen Serienkiller verunglimpft, dessen Geist rachsüchtig aus dem Jenseits zurückkehrt; gleichzeitig stellt der Autor fest, dass er einen Riss im kosmischen Gefüge verursacht hat, der Realität und Fiktion bizarr zusammenfließen lässt … – Erneut schreibt Peter Straub vom unmerklichen Einbruch des Phantastischen in den Alltag. Das gelingt ihm vor allem im ersten Teil, doch obwohl der Verfasser dann auf ausgefahrene Horror-Geleise einbiegt, wahrt er seine stilistische Brillanz und ringt dem Plot manche Überraschung ab: Genrefreunde dürfen freudig zugreifen.
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Bennett, Joe – Nur für Anfänger – Gitarre Songbook 2

Ebenso wie zum ersten Teil seines „Nur für Anfänger – Gitarre“-Buches veröffentlicht Joe Bennett auch zum zweiten ein Praxiswerk, in dem sich der angehende Gitarrist an 16 weiteren Songs versuchen kann. Wiederum setzt der studierte Instrumentalist und Autor dabei vorwiegend auf vermutlich weniger bekanntes Material wie etwa ‚Heroes‘ von David Bowie oder ‚Moonshadow‘ von Cat Stevens. Natürlich dürfen aber auch bekanntere Acts wie (auch dieses Mal wieder) die BEATLES nicht fehlen, deren Beitrag ‚Norwegian Wod‘ sicher nicht zu den absoluten Tophits der Fab Four zählt.

Im Großen und Ganzen ist also auch Part zwo in erster Linie ein Insider-Album mit Zugpferden wie ‚Hotel California‘ und ‚Gimme Some Lovin‘, aber eben auch Klassikern aus der zweiten Reihe wie in diesem Fall ‚Twist And Shout‘, ‚Bye Bye Badman‘ und ‚Bohemian Like You‘. Dazu gibt es dann noch Episches wie BON JOVIs ‚Blaze Of Glory‘, richtig Rockiges wie ‚White Riot‘ von Joe Strummer und ‚Woodcutter’s Son‘ aus der Feder von Paul Weller.

Im Gegensatz zum ersten Songbook ist der Stoff dieses Mal jedoch ein wenig anspruchsvoller; 21 Akkorde werden als bekannt und beherrscht vorausgesetzt, der Einfachheit halber aber wie gehabt auch noch einmal am Kopf jedes Songs mit entsprechenden Grifffotos demonstriert. Hier sollte also eigentlich nichts schiefgehen, zumal nach wie vor weder rasche Wechsel noch hohes Tempo abverlangt werden, sondern lediglich ein reichhaltiges Repertoire an erlernten Akkorden. Der gesteigerte Anspruch macht sich indes im Intro von ‚Hotel California‘ oder im längeren Solo von ‚Blaze Of Glory‘ bemerkbar, die aber beide mit ein wenig Übung nicht allzu schwer zu meistern sind. Um alles besser einzustudieren, ist schließlich auch wieder eine Playback-CD integriert, die vor allem diese Passagen betont – so gehört sich das.

Am Fazit zum ersten Buch muss daher auch kaum etwas geändert werden; das zweite „Gitarre-Songbook“ ist eine fabelhafte und lebhafte Ergänzung zu den separat erhältlichen „Nur für Anfänger“-Lernbüchern und gerade für diejenigen, die bereits mit Joe Bennetts Einstiegswerken in die Welt der klassischen Gitarre Erfahrungen gemacht haben, dringend empfehlenswert. Insbesondere wegen der verhältnismäßig ungewöhnlichen, daher aber auch löblichen Songauswahl lohnt es sich hier nämlich, zuzugreifen.

In diesem Buch enthalten sind Akkorde und Texte zu folgenden Kompositionen:

A Little Less Conversation
Babylon
Blaze Of Glory
Bohemian Like You
Bye Byde Badman
Gimme Some Lovin‘
Heroes
Hotel California
The Middle
Moonshadow
Norwegian Wood
Pick A Part That’s New
Side
Twist And Shout
White Riot
Woodcutter’s Son

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König, Johann-Günther – Lobbyisten, Die. Wer regiert uns wirklich?

Da gibt es eine SPD, die jahrelang die paritätische Beitragszahlung bei den Sozialversicherungen wie eine Monstranz vor sich herträgt, bis unter einem Kanzler Schröder Arbeitnehmern und Rentnern ein Sonderbeitrag aufgebrummt wird. Dann sind da die Unionsparteien, die lauthals für das Wettbewerbsprinzip bei den Krankenkassen trompeten, bis unter einer Kanzlerin Merkel der zentral eingezogene Einheitsbeitragssatz beschlossen wird. Allerhöchste Zeit also, sich einmal gründlich mit dem Phänomen Lobbyismus auseinanderzusetzen. Wer sich informieren will, sollte ein gutes Buch zum Thema lesen – keineswegs aber Johann-Günther Königs „Die Lobbyisten. Wer regiert uns wirklich?“

_Die Kerndefizite des Buches_

König versucht, in seinem Buch über den Lobbyismus eine „umfassende Analyse“, so der Klappentext, zu leisten und das Thema am Beispiel der Geschichte Deutschlands und der USA in den letzten 200 Jahren zu verdeutlichen. Leider bleibt es beim Versuch. Das Buch leidet unter vier grundsätzlichen Mängeln:

1. Der Begriff „Lobbyismus“ wird vom Autor selbst nicht definiert und unzureichend in einen Zusammenhang mit Interessenvertretung im Allgemeinen und in der Demokratie gebracht. So redet er von Lobbyismus, wenn Manager Abgeordnetenmandate innehaben, ohne zu merken, dass dies den abgeschriebenen Definitionen widerspricht.

2. Konkrete Fälle von Lobbyismus, also von äußerem, unmittelbarem Einfluss der Interessenvertreter auf politische Entscheidungen, muss man in dem Buch mit der Lupe suchen. Wenn einige Firmen einen Branchenverband gründen oder ein Politiker mit einem Unternehmer auch nur spricht, schreit König gleich „Skandal“, und auf belastbare Fakten wartet man meist vergebens.

3. In dem Buch, das zum großen Teil aus Sekundärliteratur zusammengepinnt ist, gibt es besonders in den ersten grundlegenden Kapiteln keinen gedanklichen roten Faden. König kommt z. B. kurz auf Arbeitsgrundsätze oder Berufsbilder von Lobbyisten zu sprechen, huscht dann gleich zum nächsten Punkt und greift das Thema einige Seiten später noch mal oberflächlich auf. Dass er etwa in den geschichtlichen Kapiteln, die den Großteil des Buches ausmachen, seitenweise eher eine kleine Wirtschaftsgeschichte schreibt als konkret am Thema Lobbyismus zu bleiben, ist scheinbar weder ihm noch seinem Verlag aufgefallen.

4. König sieht das Grundproblem im Kapitalismus, dem „heimlichen Herrscher“ (S. 16). Nun gut, er nennt wenigstens ehrlich sein Feindbild, darauf kann sich der kritische Leser dann einstellen. Dass er dabei den Gewerkschaftslobbyismus nicht ganz unter den Tisch fallen lässt, muss man ihm zugute halten. Das Problem dabei ist, dass er einerseits jede Interessensartikulation von Wirtschaftsseite gleich für einen illegitimen Angriff auf die Staatsorgane hält und andererseits Lobbyismus fast nur als Problem der Wirtschafts- und Arbeitswelt sieht.

Der Begriff Lobbyismus kommt nicht zufällig von Lobby, der Vorhalle von Parlamenten. Es ist ein Phänomen der Demokratie. In der Demokratie, dem Namen nach der „Volksherrschaft“, hat jeder Bürger – also auch der Unternehmer, der Gewerkschafter, der Vereinsfunktionär – das Recht, gemäß seinen Interessen zu wählen, Öffentlichkeitsarbeit zu treiben und bei politischen Entscheidungsträgern vorzusprechen. Wo die Grenze zwischen legitimer Interessenvertretung und illegitimem Lobbyismus verläuft, wird hier nicht systematisch erörtert. Erst im letzten Kapitel wird dieser Aspekt kurz angerissen. Das Buch hätte schon ein wenig gewonnen, wenn man dieses Schlusskapitel an den Anfang gesetzt hätte.

Dass Regierung und Parlament Bürger und Organisationen anhören, bevor sie Gesetze für sie machen, ist ja nicht das Schlechteste an der Demokratie. Und dass man in Bereichen, die ein großes Detailwissen erfordern, Experten zu Rate zieht, ist auch nicht grundsätzlich falsch. Mittlerweile kommt es aber vor, dass Externe sogar Gesetzesvorlagen formulieren. König nennt hier einige Fälle, aber eine systematische Analyse der Beziehung Politik / Berater oder auch nur eine Erörterung des mehrdeutigen Begriffs „Berater“ bleibt aus.

_Zur Geschichte_

Die fundamentalen Defizite des Buches schlagen sich dann auch im historischen Abriss nieder.

Zum Beispiel: Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg. Weder konnten die damals noch marxistisch orientierten Gewerkschaften die Privatwirtschaft aushebeln, noch konnten die Arbeitgeber Bismarcks Sozialversicherung verhindern. Und wie König selber schreibt, unternahm die Bankenlobby nicht einmal den Versuch, Gesetze zur Regulierung und Besteuerung des Aktienhandels abzuwenden (S. 134). Überhaupt kann er keinen einzigen Paragraphen benennen, der durch Lobbyeinfluss verabschiedet oder nicht verabschiedet wurde. Die einzige Schlussfolgerung kann nur sein: Natürlich gab es Lobbyarbeit, aber das Deutsche Reich vor (und weitgehend auch nach) dem Ersten Weltkrieg war resistent gegen Lobbyismus. Wenn der Autor dann immer noch von der Allmacht der Lobbyisten schwadroniert, ist das entweder Meinungsmache oder aber er war mit der Auswertung des eigenen Datenmaterials überfordert.

Dass einige Angehörige des Großkapitals (übrigens auch des ausländischen) Hitlers Aufstieg unterstützten, steht mittlerweile in jedem Schulbuch. Aber bald nach seiner Machtübernahme wurden die Lobbyverbände verboten oder in halbstaatlichen Gremien gleichgeschaltet. Typischer Fall von denkste! Dass die braunen Mörder nicht auch noch wie die roten Mörder die Betriebe verstaatlichten, ist für König scheinbar schon ein unerhörter Fall von Lobbyismus.

Nachkriegsgeschichte: Nun gibt es die wirtschaftspolitische Auffassung, dass Unternehmen, die Gewinne machen, Steuern zahlen, den technischen Fortschritt vorantreiben und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, im Interesse der ganzen Volkswirtschaft sind. Selbstverständlich muss man diese Meinung nicht teilen, aber man sollte sie zur Kenntnis nehmen und nicht bei jedem firmenfreundlichen Gesetz „Lobbyismus“ schreien, wenn man nicht mal den Hauch eines Beweises hat. Die einzigen konkreten Fälle von Lobbyeinfluss auf Gesetze in der jungen BRD, bei denen dann auch endlich mal Ross und Reiter genannt werden, liest man in der langen Abschrift von Theodor Eschenburg (S. 213ff).

Seit dem schmählichen Ende der Kommission Santer dürfte jeder wissen, dass der Moloch Brüssel ein Magnet für Lobbyisten ist. Hier liest man z. B., dass das „Entwicklungs-, Wettbewerbs- und Beschäftigungsprogramm“ der Kommission Delors von 1993 einem Strategiepapier der Industrielobby entsprach (S. 247). So ist denn das Kapitel über die EU noch das beste, wenn auch im Verhältnis etwas knapp.

_Was nicht im Buch steht_

Wie erwähnt, wird Lobbyismus von König fast nur im Zusammenhang mit der Wirtschaft besprochen. Umweltorganisationen erwähnt er zwar als Lobbyisten, geht auf das Thema aber nicht weiter ein. Kann sich noch jemand erinnern, wie man uns vor etwa zehn Jahren weismachen wollte, dass das Ozonloch von der Industrie verursacht wäre, bis sich die Wahrheit, dass es schon seit Jahrtausenden existiert, nicht mehr unterdrücken ließ? Wer z. B. wissen möchte, wie Greenpeace unter Missachtung von Anstand und Ehrlichkeit die „Brent Spar“-Kampagne anzettelte, dem sei Udo Ulfkottes Buch „Wie Journalisten lügen“ empfohlen. (Es hat zwar nicht eigentlich Lobbyismus zum Thema, gibt dazu aber mehr her als Königs Machwerk.). Und Umweltorganisationen sind beileibe nicht die einzigen „zivilgesellschaftlichen“ Gruppen, die regelmäßig Hysteriekampagnen fahren, sich selbst als Retter präsentieren und so ihren Funktionären ein schönes Einkommen aus Staatsknete und Spenden verschaffen.

Weiterhin wäre es verdienstvoll gewesen zu untersuchen, inwieweit die Parteien heute noch politische Bürgervereine sind oder vielleicht doch eher Lobbygruppen zur Karriereförderung von Berufspolitikern. Oder inwieweit gewisse Staaten mit Nichtregierungsorganisationen eine Lobby neben der Diplomatie unterhalten, mit der sie die Politik anderer Staaten beeinflussen.

_Fazit_

„Die Lobbyisten. Wer regiert uns wirklich?“ bringt keine neuen Erkenntnisse und geht in weiten Teilen am Thema vorbei, so dass es beinahe schon geeignet ist, den Lobbyismus zu verharmlosen. Das, was König effektiv zum Thema zu sagen hat, hätte man auch auf zehn Prozent des Papiers unterbringen können. Dass sich der Autor auch nicht die Mühe gemacht hat, in einem Wirtschaftslexikon den Unterschied zwischen „Konzern“ und „Unternehmen“ nachzuschlagen oder wiederholt von Faschismus plappert, wenn er Nationalsozialismus meint, macht denn auch nichts mehr. Offenkundig hat sich auch niemand das Manuskript gründlich durchgelesen, wie die vielen Druckfehler anzeigen. Nach dem Motto „Zeichensetzung ist Glückssache“ wurden Kommata anscheinend mit dem Salzstreuer gesetzt.

http://www.patmos.de

Ebel, Martin – Ponte del Diavolo

_Das Vermächtnis eines Großen_

Alex Randolph war zu Lebzeiten einer der bekanntesten und einflussreichsten deutschen Spieleautoren; der Mann, der bis zu seinem Tod in Venedig lebte, zeichnet unter anderem für Titel wie „Hol’s der Geier“, „Tempo, kleine Schnecke“ und den Klassiker „Sagaland“ verantwortlich. Unter anderem entwickelte er auch das Strategiespiel „Twixt“, welches dem hier rezensierten Titel „Ponte del Diavolo“ auch die Idee geliefert hat.

Zwei Jahre nach Randolphs Tod 2004 griff Martin Ebel den Grundgedanken von „Twixt“ wieder auf und modifizierte ihn insofern, dass noch mehr Handlungsalternativen möglich wurden. In seiner kurzen Hommage an Randolph erklärt Ebel, dass er den Schwerpunkt des Handelns auf Intuition gelegt hat, während das Original verstärkt auf Logik aufbaute. Und tatsächlich: Intuition ist der wesentliche Punkt in „Ponte del Diavolo“ – ebenso wie Logik …

_Spielidee_

In „Ponte del Diavolo“ müssen die Spieler auf einem 10 x 10 Quadrate großen Spielfeld mit zwei verschiedenfarbigen Holzplättchen Inseln bauen und sie anschließend auch mit Brücken verbinden. Dabei gibt es aber verschiedene Regeln zu beachten, was die Anordnung und die Größe der Inseln betrifft. Man darf nämlich noch längst nicht jede Insel beliebig erweitern, geschweige denn sie anschließend noch ohne Einschränkungen mit Brücken verbinden.

Ziel ist es dabei, eine möglichst große Inselgruppe zu erstellen und sie miteinander zu verbinden, wobei der Gegenspieler natürlich unterliegen muss. Während man nämlich an allen Stellen des Spielbretts nach neuen potenziellen Bauflächen für seine Holzplättchen sucht, gilt es ebenfalls, Brücken- und Inselbau des Gegners zu kontrollieren und zu dessen Nachteil zu intervenieren. Oft reicht es sogar schon, einfach nur einen Baustein zu setzen, um den Gegner räumlich derart in die Enge zu drängen, dass er nur über große Umwege wieder auf die rechte Bahn kommt. Und das ist häufig noch wichtiger, als selber zu punkten.

_Spielmaterial_

• 40 rote Inselbausteine
• 40 weiße Inselbausteine
• 15 graue Brückenbausteine
• 1 Spielplan
• 1 Stoffbeutel
• 1 Spielregel

Bei den Spielmitteln setzt man bei |Schmidt Spiele| einmal mehr auf hochwertiges und gleichzeitig zweckdienliches Material. Dies bedeutet zwar auch, dass die Insel- und Brückenteile ebenso wie der Spielplan nur über ein sehr symbolträchtiges Design verfügen, doch weil im Vordergrund ja auch stets die Spielpraxis stehen sollte – und hier ist das Spielmaterial nun mal unschlagbar –, ist dies kein Punkt, der Kritik rechtfertigt. Was vielleicht noch etwas besser hätte aufgebaut sein können, sind die vorgezeichneten Flächen, in die man im Laufe des Spiels die Quadrate bringt. Weil hier ab und zu mal etwas verrutscht und die Vorlagen ein kleines bisschen größer sind als die Holzplättchen, wäre es eventuell sinnvoll gewesen, die einzelnen Flächen leicht einzustanzen. Aber dies ist nicht der Platz für Verbesserungsvorschläge, schließlich gibt es gerade im Bereich Spielmaterial keine nennenswerten Mängel sondern im Gegenteil fast ausschließlich Lob.

_Spielvorbereitung_

Eine Partie ist in Windeseile vorbereitet; man sortiert lediglich die einzelnen Farben der Steine und legt sie neben dem Spielplan bereit. Dort sollten sich auch die Brücken befinden, die dann später eingesetzt werden können. Sind diese Vorbereitungen getroffen, kann’s auch schon losgehen. Der älteste Spieler eröffnet, indem er zwei der hellen Steine in beliebiger Anordnung auf dem Spielfeld verteilt. Im direkten Anschluss darf nun sein Gegenüber entscheiden, ob er fortan mit den hellen Steinen spielt oder ob er seinem Kontrahenten die hellen Steine überlässt und selber die dunklen nimmt. Ist diese Farbauswahl getroffen, steigt man dann im gegenseitigen Wechsel ins Duell ein und unternimmt abwechselnd einen Spielzug.

_Die Regeln_

Im Laufe des Spiels hat jeder Spieler pro Zug immer die Wahlmöglichkeit, zwei Steine oder eine Brücke zu setzen. Dies geschieht so lange, bis eine der beiden Parteien keinen weiteren Stein mehr anlegen kann und keine Brücke mehr bauen möchte. Man sollte dabei versuchen, möglichst viele Inseln zu bauen, allerdings auch beachten, dass eine Insel nur aus genau vier sich berührenden Steinen bestehen darf. Mehr Steine sind nicht erlaubt, weniger Steine machen das Ganze nur zur Sandbank. Weiterhin dürfen an eine eigene Insel keine Steine mehr angrenzen; es gilt also eine Abstandsregel zu beachten. Sollte man indes eine Sandbank, also noch keine fertige Insel, auf dem Feld haben, dürfen noch eigene Steine daran angrenzen. Hier muss man also ganz klar differenzieren, aber auch schon einmal vorausplanen, denn wer sich hier auf zu engem Raum verteilt, verspielt später eventuell die Möglichkeit, seine Inseln noch zu komplettieren. Unterschiede gibt es wiederum zwischen eigenen und gegnerischen Steinen; Letztere dürfen sich nämlich in jeder Situation bedingungslos berühren und auch aneinander angrenzen.

Beim Brückenbau ist wichtig, dass man nicht über bereits gelegte Inselteile bauen darf. Umgekehrt darf ein solches Teil auch nicht unter eine Brücke gelegt werden, weil dort eine Blockierzone besteht. Außerdem dürfen Brückenverbindungen nur von leer stehenden Insel- bzw. Sandbankabschnitten aufgenommen werden. Zwei Brückenende auf einem Baustein sind demzufolge nicht erlaubt.

Was hier vielleicht ein wenig konfus klingt, ist in der Praxis recht simpel und auch sofort umzusetzen. Und dennoch muss man erst einmal in mehreren Partien in Erfahrungen bringen, worauf es eigentlich ankommt, wie man den Gegner am besten blockt, und wie man sich selber löst, so dass möglichst viele Inseln zu einer Gruppe verschmelzen, also mit Brücken verbunden sind. Erst nach und nach entwickelt man ein Gespür dafür, wie man diese verschiedenen Aspekte am besten adäquat ausbalanciert, so dass man davon ausgehen kann, dass die Gesamtpunktzahlen in späteren Runden immer geringer werden, weil man vor allem im defensiven Bereich Fortschritte bei diesem Balanceakt machen wird.

Apropos Punktzahlen: Diese sind natürlich ausschlaggebend für den Sieg und basieren in erster Linie darauf, wie viele Inseln miteinander verbunden sind. Fast exponentiell steigt hier die Punktzahl für jede weitere zugehörige Insel, während man für einzelne Inselflächen zumindest noch einen Punkt bekommt. Der Spieler mit den meisten gesammelten Punkten ist schließlich der Sieger des Wettkampfs.

_Meine Meinung_

„Porte del Diavolo“ ist entgegen der üblichen |Hans im Glück|-Spiele sehr schlicht, aber dennoch nicht minder effizient aufgebaut. Die Regeln sind leicht zu begreifen, der Ablauf dynamisch und das Tempo recht zügig. Eine Runde dauert im Optimalfall rund 20 Minuten, einzelnes Abwägen und längeres Taktieren mit inbegriffen. Dennoch ist der Verlauf einer jeden Runde sehr spannend, weil es oft nur kleine Tücken sind, die gelegentlich schon recht früh, meist aber erst kurz vor Schluss das Spiel entscheiden und zu einer wahren Kniffelaufgabe machen.

Interessant ist dabei, wie sich dabei das Spielverständnis und damit das eigene Handeln verändert. In den verschiedenen Testrunden war zum Beispiel zu beobachten, dass man sich immer deutlicher von einer Offensivstrategie verabschiedete, um über Vermeidungsstrategien den Gegner auf andere Art und Weise in die Enge zu treiben. Dies ist dann auch der Zeitpunkt, an dem man heraus hat, wie und wo man ansetzen muss, um ein Maximum an angeschlossenen Inseln zu erreichen. Dort nämlich, wo ich dem Kontrahenten den Weg verbaut habe, bleibt mehr Raum für mich – und schon hat man einen elementaren Bereich des Spielplans beschlagnahmt, bevor der Gegenspieler noch reagieren kann.

Die Idee für „Ponte del Diavolo“ hat Ebel schlussendlich also sehr gut von Alex Randolph transferiert und auch entscheidend verarbeitet. Das Ziel, eine intuitivere Variante von „Twixt“ zu erstellen, darf man ebenfalls als sehr gut gelungen bezeichnen, denn im direkten Vergleich ist „Ponte del Diavolo“ weitaus deutlicher auf gezielte und langfristige Vorausplanung angelegt.

Mich persönlich hat der neueste Titel aus dem Hause |Hans im Glück| gerade deswegen überzeugt, weil hier mit simpelsten Mitteln ein maximaler Spaßeffekt erzielt und gleichermaßen ein gehöriges Langzeitpotenzial integriert wurde. Hat man einmal gespielt, kommt man nur schwer wieder von „Ponte del Diavolo“ los, gerade dann, wenn man sich nach einer Niederlage beweisen will, dass man es noch besser kann als zuvor gezeigt. Das Fazit kann daher auch nur eindeutig positiv sein. Der Verlag hat ein weiteres tolles Strategiespiel mit ins Programm aufgenommen und in diesem Genre definitiv ein vorzeitiges Saisonhighlight veröffentlicht. Wer dieses Jahr in Essen mitreden möchte, sollte „Ponte del Diavolo“ kennen, gespielt haben und bestenfalls besitzen.

|Alter: ab 10 Jahre
Spieleranzahl: 2
Spieldauer: 15 bis 30 Minuten|

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Setterfield, Diane – dreizehnte Geschichte, Die

|“Alle Kinder mythologisieren ihre Geburt. Das ist nur allzu menschlich. Du willst jemanden wirklich kennen lernen? Mit Leib und Seele? Dann frag ihn, wann und wo er das Licht der Welt erblickt hat. Du wirst nicht die Wahrheit zu hören bekommen, sondern nur eine Geschichte. Und nichts ist so aufschlussreich wie eine Geschichte.“|

Und genau eine solche Geschichte hat die berühmte Schriftstellerin Vida Winter zu erzählen. Viele Geheimnisse umranken ihre Person, niemand weiß, welcher Mensch sich wirklich hinter diesem Pseudonym versteckt, und niemand kennt ihre sagenumwobene dreizehnte Geschichte, denn wo diese stehen sollte, finden sich in ihrem Buch nur leere Seiten. Nun ist Vida Winter alt und sterbenskrank und genau in diesem Moment erhält die Buchhändlerin Margaret Lea einen geheimnisvollen Brief der Schriftstellerin, in welchem Vida Winter ihr anbietet, ihr erstmals die Wahrheit über ihr Leben zu erzählen. Doch obwohl Margaret Lea leidenschaftlich gerne liest und in alten Büchern stöbert, muss sie zugeben, dass sie noch keinen Bestseller von Vida Winter jemals gelesen hat. Als sie aber erst einmal mit Vida Winters Büchern zu lesen beginnt, ist sie sofort gefesselt von den Erzählungen und möchte der Person Vida Winters und auch ihrer dreizehnten Geschichte auf den Grund gehen. Und so reist Margaret Lea zu der sterbenden Autorin, um die Wahrheit zu hören und um die heißersehnte Autobiografie einer Autorin zu schreiben, von der eine ungeahnte Faszination ausgeht.

Doch noch immer kann sich Margaret keinen Reim darauf machen, warum gerade sie diesen Brief erhalten hat und warum Vida Winter gerade ihr die Wahrheit erzählen will, kennen die beiden Frauen sich doch nicht und hat Margaret Lea niemals eine Biografie eines noch lebenden Autors geschrieben. Dennoch fühlt Margaret sich magisch von der rätselumwobenen Schriftstellerin angezogen, denn auch Margaret umgibt ein Geheimnis. Noch als sie klein war, hat sie herausgefunden, was ihr immer gefehlt hat, warum sie sich nie komplett gefühlt hat, denn Margaret hatte einst eine Zwillingsschwester, die allerdings kurz nach der Geburt gestorben ist. Margarets Mutter ist an diesem Verlust zerbrochen und konnte nie ein normales Mutter-Tochter-Verhältnis aufbauen, und genau aus diesem Grund wollte sie Margaret vor der schrecklichen Wahrheit bewahren. Umso neugieriger ist Margaret nun, Vida Winters Familiengeschichte zu hören, denn auch Vida Winter, die einst einen anderen Namen trug und in Angelfield aufgewachsen ist, hatte eine Zwillingsschwester. Doch bei einem schrecklichen Feuer in Angelfield kam Vidas Schwester ums Leben. Niemand hat aber jemals die Wahrheit erfahren über die Nacht des Feuers.

Viele Geschichten sind zu entwirren, viele Geheimnisse aufzudecken, als Vida Winter damit beginnt, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Sie berichtet von Isabelle und ihrem Bruder Charlie, die eine innige Liebe miteinander verbindet. Als Isabelle einen anderen Mann kennen lernt, plagt Charlie die Eifersucht und er tröstet sich stattdessen mit zahlreichen anderen Frauen. Isabelle heiratet Roland schließlich und bekommt Zwillinge von ihm. Doch kurz nach der Geburt der beiden Mädchen stirbt Roland und Isabelle kehrt nach Angelfield und zu ihrem rastlosen Bruder zurück. Der Verlust des Mannes und die ganz unbrüderliche Liebe ihres Bruder entfremden Isabelle von ihren Kindern, sodass das Hausmädchen sich um die Erziehung von Adeline und Emmeline kümmert. Die jedoch ist dieser anspruchsvollen Aufgabe kaum gewachsen, denn Adeline ist ein rücksichtsloser Wildfang, Emmeline dagegen ein stilles, zurückhaltendes und vielleicht auch zurückgebliebenes Mädchen, das sich immer wieder stillschweigend von seiner Schwester quälen lässt. Als später Hester als Kindermädchen für die beiden eingestellt wird und auf die Idee kommt, die Zwillinge voneinander zu trennen, beschwört sie damit eine Tragödie herauf, die das ganze Leben auf Angelfield für immer verändern wird …

Es ist eine stille und ganz sensible Geschichte, die uns Diane Setterfield in ihrem Roman zu erzählen hat. Mit großem Sprachgefühl und viel Einfühlungsvermögen bringt sie uns die Lebensgeschichte der handelnden Personen und vor allem ihre Gefühle, ihre Sorgen und ihre Stimmungen näher. Ganz geschickt hat Setterfield verschiedene Geschichten ineinander verwoben, denn es ist nicht nur die Geschichte der Familie Angelfield, die wir zu hören bekommen, sondern auch die von Margaret Lea und ihrem merkwürdigen Aufenthalt bei Vida Winter. So verschlingen sich Gegenwart und Vergangenheit ineinander und wir entwirren nur ganz allmählich die Gedankengänge der Autorin und die zugrunde liegenden Zusammenhänge.

Was die gesamte Romanhandlung, die sich über insgesamt 520 Seiten erstreckt, trägt, sind die persönlichen Beziehungen zwischen den handelnden Figuren und die eingehende Charakterstudie, die Setterfield anstellt. Ganz vorsichtig und zaghaft berichtet sie von Lieben, die nicht sein dürfen, von Geschwisterbeziehungen, die nie zustande kamen bzw. die fast krankhafte Zustände annehmen, und von den Sorgen, die die einzelnen Personen mit sich durchs Leben tragen. Auf dem Wege zur schlussendlichen Auflösung kommen wir allen Charakteren so nah, dass man das Gefühl hat, man würde sie persönlich kennen.

Margaret Leas persönliches Schicksal ist es, das sie regelrecht in die Geschichte der Familie Angelfield hineinzieht, denn auch dort geht es um die Liebe zwischen Geschwistern und um die Beziehung zwischen Zwillingen, die kaum voneinander lassen und ohne einander scheinbar nicht leben können. Und obwohl die persönlichen Beziehungen der Charaktere so unglaublich sind, dass sie sich jedem Menschenverstand entziehen, so können wir sie doch nachfühlen, können wir nachvollziehen, warum die Figuren handeln, wie sie eben handeln müssen. Das ist der Verdienst von Diane Setterfields einfühlsamen und eindringlichen Schreibstil, der in jeder Situation so weit ins Detail geht, dass wir plötzlich mitten in der Geschichte stehen und alles hautnah miterleben können. Jede Kleinigkeit findet Erwähnung und Setterfield zieht unzählige Metaphern heran, um auch alles ganz genau zu beschreiben, bis wir es bildlich vor Augen haben. Es ist wahrlich meisterhaft, was wir hier zu lesen bekommen.

Aber auch der Spannungsbogen, der nur ganz zurückhaltend immer wieder aufblitzt, ist äußerst gelungen, denn wir möchten unbedingt erfahren, welche Geheimnisse sich um Vida Winters Kindheit ranken, welch schreckliche Dinge in der Nacht des Feuers geschehen sind und wie die dreizehnte Geschichte lautet. Als dann mitten im Buch plötzlich ein geheimnisvoller Mann auftaucht, der als Baby ausgesetzt worden und nun auf der Suche nach seiner Familie ist, kann der Leser diesen neuen Handlungsstrang zunächst nicht in das Gesamtgefüge einordnen, doch nach und nach legt Setterfield die Verbindungen dar und wir erhalten immer mehr Hinweise, die schließlich zum großen Aha-Erlebnis führen werden.

„Die dreizehnte Geschichte“ ist ein ganz stiller und leiser Roman, der zwar unter der Fassade auch Mord, Familienzwistigkeiten und menschliche Tragödien verborgen hält, aber dennoch sind es andere Elemente, die zu genau der gleichen Faszination führen, die auch Margaret Lea gepackt hat, als sie Vida Winters Geschichte zu hören bekommt. Diane Setterfields Schreibstil ist unglaublich lautmalerisch, einfühlsam und detailreich, sodass jeder Satz ein reines Vergnügen ist, und dennoch – trotz all der Lobeshymnen – ist „Die dreizehnte Geschichte“ wohl doch auch ein Frauenroman, denn es wird wahrscheinlich nur wenige männliche Leser geben, die sich so sehr in die Erzählung eindenken und einfühlen wollen, wie es notwendig ist, um sich von Diane Setterfield mitreißen zu lassen. Aber wenn man sich auf die Geschichte einlässt, dann gibt es Großartiges zu entdecken!

|Originaltitel: The Thirteenth Tale
Originalverlag: Orion
Aus dem Englischen von Anke und Dr. Eberhard Kreutzer
Gebundenes Buch, 528 Seiten, 13,5 x 21,5 cm|
[Verlagsspezial]http://www.randomhouse.de/dynamicspecials/setterfield__geschichte/
http://www.thethirteenthtale.com/

Collins, Max Allen / Woodward, J. K. / Perkins, Collins – CSI: NY – Blutiger Mord (Bd. 4)

_Story_

In einem New Yorker Park wird mitten in der Nacht eine grausam entstellte Leiche gefunden. Das Team von der CSI ist sofort zur Stelle und vernimmt die direkten Augenzeugen, die jedoch auch nicht mehr zu berichten haben als die Umstände des Funds. Bei der Obduktion werden dann einige merkwürdige Beobachtungen gemacht; die Wunden, die das Opfer davongetragen hat, sind denen eines Wolfsbisses ähnlich. Und weil gerade in diesem Stadtteil die Legende von einem Werwolf umgeht, glauben die Ermittler sogar kurzzeitig an Übersinnliches.

Als schließlich die Identität des Opfers enthüllt und ihr Arbeitsplatz, ein renommiertes Theater, aufgesucht wird, scheint sich das Mysteriöse zu lichten. Der Täterkreis beschränkt sich immer stärker auf die Mitwirkenden der aktuellen Produktion, einem Remake des Klassikers „Die Werwölfe von Soho“. Doch die Lösung des Problems erweist sich letztendlich als schwieriger als befürchtet, denn jeder hätte ein Motiv gehabt, aber niemand hat echte Spuren hinterlassen.

_Meine Meinung_

Im mittlerweile bereits vierten Comicband zur erfolgreichen Krimiserie darf nun endlich auch das Team aus New York mal ran. Infolgedessen vergeht beim Einstieg in das Buch auch ein wenig Zeit damit, die Charaktere auf der Seite der Ermittler vorzustellen, bevor die Action dann starten kann. Dennoch geht’s zu Beginn schon ziemlich rasant zu, denn schon nach wenigen Bildern steht die Leiche im Blickpunkt und legt die Basis für ein merkwürdiges Ratespiel um Herkunft und Schicksal des ermordeten Mädchens. Merkwürdig vor allem deshalb, weil die Bissspuren an der Leiche darauf schließen lassen, dass sie von einem bestialischen Tier angegriffen wurde, was jedoch gerade in diesem Stadtviertel unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unmöglich ist. Kurze Zeit später entdeckt das Team der CSI dann jedoch Fell- und Blutspuren an einem nahe gelegenen Einstieg in die Kanalisation – und prompt werden wieder Parallelen zu einer uralten Legende gezogen.

Dank einer glücklichen Fügung – das Opfer war einst schon einmal mit dem Gesetzt in Konflikt geraten – entdecken Mac Taylor und Co. das Mädchen in der internen Datenbank und verfolgen ihre Spur bis in ein Theater, in dem es gerade die Hauptrolle in einem bekannten Stück übernommen hatte. Entsprechend bestürzt über den wichtigen Verlust in der Besetzung, offenbaren die weiteren Schauspieler ihre Fassungslosigkeit, doch das junge Mädchen namens Dani hatte im Grunde genommen auch zahlreiche Konkurrenten und potenzielle Feinde.

Da wäre ihr Gegenpart, der auch neben der Bühne mit ihr angebandelt hatte, oder aber die Zweitbesetzung, die sich jedoch in den Gesprächen mit der Polizei gekonnt diplomatisch zeigt. Doch auch im Keller des Theaters und selbst in der Kanalisation treiben sich seltsame Gestalten herum, die kein schlüssiges Alibi haben. Ein seltsam verkleideter Jüngling, aber auch ein alkholkranker, verwahrloster Ex-Darsteller kommen dort in Frage, zumal Ersterer sogar noch am Tatort war und auch die Leiche gesehen hatte. Ist er oder ein Kumpane seiner Untergrund-Gruppe der Täter?

Die Suche nach dem Mörder der kurz vor dem Durchbruch stehenden Schauspielerin ist für das Team der CSI New York eine ziemlich harte Nuss, vor allem weil der Täterkreis so groß ist und grundsätzlich jeder in Frage kommt. Das macht die Geschichte nebst den kurzen Seitentrips ins Horror-Genre (war hier wirklich ein Werwolf aktiv?) auch bis zum Schluss spannend. Leider ist dann aber die Überraschung bei der Entdeckung des Mörders eher gering; denn da man vorab jede Person als Täter in Betracht ziehen musste, bleibt der große Aha-Effekt zum Schluss aus.

Dennoch ist die Geschichte mal wieder blendend aufgebaut; der Leser wird sofort mit einem packenden Fall konfrontiert und befindet sich nach kurzer Einleitung inmitten eines schaurigen Geschehens. Erst später schlägt die finstere Story in einen Krimiplot um, übernimmt aber dieses Gänsehaut-artige Prickeln, welches auch schon die vorherigen „CSI“-Comics auszeichnete. Wenngleich das Ende meines Erachtens ein wenig zu nüchtern ausgefallen ist, ist der Gesamteindruck erneut sehr gut. „Blutiger Mord“, der erste Fall aus New York, überzeugt mit einem tollen, sphärischen Rahmen, einer spannenden Aufklärungsstory und perfekt inszenierten Charakteren. Da die Zeichnungen, dieses Mal von J. K. Woodward entworfen und wie immer von einzelnen Rückblicken aus der Feder von Steven Perkins erweitert, ebenfalls zur Genre-Referenz zählen, kann man hier wieder bedenkenlos zuschlagen.

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McFarlane, Todd / Holguin, Brian / Medina, Angel / Jones, Natt – Spawn 73

_Story_

Carrie alias Nyx steht vor einer kaum lösbaren Aufgabe; sie will ihre Freundin Thea befreien, die seit einiger Zeit in der Unterwelt gefangen ist. Tatsächlich dringt sie zu ihr vor, entdeckt aber eine lebensentmutigte Person, deren einziger Wille es ist, zu sterben. Mit der Aussicht auf freies Geleit durch die Hölle ringt sie sich dazu durch, ihre alte Kumpanin mit dem Schwert zu töten.

Zurück an der Oberfläche, trifft sie auf Spawn und muss ihm eingestehen, ihn verraten zu haben. Bereitwillig nimmt sie die wohlverdiente Strafe hin, als mit einem Mal Redeemer auftaucht und den auferstandenen Höllenkrieger herausfordert. Der jedoch kennt keine Gnade mit seinem Kontrahenten – was schließlich auch die diebische Hexe Nyx am eigenen Leibe zu spüren bekommt.

_Meine Meinung_

Endlich wieder „Spawn“. Nachdem die Comic-Serie noch im letzten Jahr einer ungewissen Zukunft entgegensah, hat man nun für den deutschen Vertrieb die bestmögliche Lösung gefunden. Von nun an werden nämlich |Panini| die legendäre Serie von Star-Zeichner Todd McFarlane deutschlandweit veröffentlichen, und was noch viel besser ist: Ab jetzt erscheint „Spawn“ als Mini-Sammelband mit jeweils drei Episoden des amerikanischen Originals. So will man möglichst schnell zur US-Ausgabe aufschließen. Wenn das mal keine gute Nachricht ist …

Eine ganze Weile nachdem der |Infinity|-Verlag das letzte Heft auf den Markt gebracht hat, geht man nahtlos zum bis dahin 73. Magazin über und schließt darin auch die „Eine letzte Rettung“-Trilogie ab. Außerdem startet man sofort mit der nächsten Mini-Serie „Abrechnung“ durch, in der Spawn und der wortgewandte und heimtückische Redeemer aufeinandertreffen. Allerdings geht dem Ganzen ein recht langatmiges Vorspiel voran, welches gerade deswegen nicht so recht zünden will, weil die Vorgeschichte nur dürftig abgearbeitet wird und die Schlusssequenz von „Eine höllische Rettung“ jetzt nicht ganz so prickelnd ist.

Dafür ist der Beginn des zweiten Drittels umso überzeugender. McFarlane begibt sich auf philosophisches Terrain und leitet mit langsamen Schritten ein erstes Intermezzo zwischen Nyx, Redeemer und Simmons vor. Bereits hier kommt es zu einer erbitterten Schlacht, die der Rächer aus der Hölle letztendlich fast spielerisch für sich entscheiden kann. Redeemer scheint geschlagen, zumindest vorerst, doch schon wird wieder die hinterlistige Hexe aktiv, bis alle dann eine sehr unangenehme Überraschung über sich ergehen lassen müssen.

Nun, bezogen auf die Story entwickelt sich die deutsche Nr. 73 nur sehr behäbig. Dies liegt aber vor allem daran, dass in der Mitte des Heftes ein Strich gemacht und erst später wieder der Bezug zur Gesamtstory hergestellt wird. Erst zum Ende hin wird’s wieder richtig rasant und auch verdammt actionreich, also genau so, wie es „Spawn“-Fans lieben. In Sachen Zeichnungen sind die 76 Seiten hingegen eine echte Offenbarung. Der finale Showdown, aber auch der Dialog zwischen Carrie und dem Redeemer in der ersten Story sind mit herrlich sphärischen Illustrationen untermalt, für die dieses Mal Nat Jones verantwortlich zeichnet. In der zweiten Geschichte kommt dann wieder die bewährte „Spawn“-Grafikerin Angel Medina zum Zuge, die besonders zu Beginn auf krasse Kontraste setzt und damit den Krieg zwischen Himmel und Hölle so liebevoll wie schon lange nicht mehr beleuchtet. Zumindest auf diesem Gebiet ist der neue „Spawn“ ein echter Knüller.

Sicher darf man gespannt sein, wie Nyx, Redeemer und natürlich der Hellspawn ihre Fehde beenden werden, aber dennoch könnte der Spannungslevel der Handlung noch ein wenig aufgestockt werden. Warten wir einfach mal ab, was die nächste Ausgabe bringt. Viel gespannter darf man indes auf die bereits angekündigten Crossover „Spawn/Batman“, die Fantasy-Geschichte „Spawn Godslayer“ und das endlich auch in Deutschland erscheinende „Armageddon“ sein. Für Fans der legendären Comic-Figur scheint nach einigen tristen Monaten nun wieder die Sonne aufzugehen. „Spawn 73“ ist trotz einzelner Längen ein willkommener und letztendlich auch gelungener Auftakt für die neue |Panini|-Reihe.

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Max Allan Collins – Chicago 1933

collins heller01 chicago 1933 cover kleinDas geschieht:

Anfang der 1930er Jahre hat die Großstadt Chicago einen weithin üblen Ruf. Die Behörden sind mindestens so kriminell wie das organisierte Verbrechen. Zwar sitzt Al Capone seit einiger Zeit hinter Gittern, doch er zieht von dort weiterhin an den Fäden. Sein Imperium verwaltet Frank Nitti, der dafür sorgt, dass der Dollar weiterhin rollt. Nun hat ausgerechnet Bürgermeister Anton Cermak, der korrupteste Beamte der Stadt, dem Verbrechen den Kampf angesagt, denn Chicago wird 1933 die Weltausstellung ausrichten. Den zahlreichen Besuchern aus aller Welt soll eine ‚saubere‘ Stadt präsentiert werden.

Cermak geht auf für ihn typische Weise vor: Er stellt einen Killertrupp aus ihm hörigen Polizisten zusammen und lässt sie die lästigen Gangster einfach umbringen. Zuerst erwischt es Nitti. Doch unter den Beamten, die ihm eine Falle stellen, ist der ahnungslose Nate Heller, ein Mann, der sich nicht kaufen ließ. Er soll als Sündenbock dienen, falls etwas schief geht – und genau das geschieht: Von drei Kugeln getroffen, überlebt Nitti das Attentat. Max Allan Collins – Chicago 1933 weiterlesen

Safier, Daniel – Mieses Karma

Das Leben nach dem Tod birgt schon seit Urzeiten eine Faszination, der sich kaum jemand entziehen kann. Die Anhänger der unterschiedlichen Religionen haben verschiedene Vorstellungen vom Leben nach dem Tod – aber dass die Möglichkeit besteht, als Ameise wiedergeboren zu werden, um genug Karma für das Nirwana zu sammeln, das kann man sich wohl nur schwer vorstellen; umso größer ist Kim Langes Überraschung, als ihr genau das widerfährt.

Kim ist eine berühmte Talkshowmoderatorin, die auf dem Gipfel ihrer Karriere steht, als sie zum Deutschen Fernsehpreis fährt. Auch wenn sie durch die Verleihung den fünften Geburtstag ihrer Tochter Lilly verpasst und Kim sich endgültig eingestehen muss, dass ihre Ehe zu Alex gescheitert ist, und auch wenn sie von Versace versehentlich das falsche Kleid für die Preisverleihung zugeschickt bekommt (und dann einen hochnotpeinlichen Moment überstehen muss), so hat dieser denkwürdige Tag doch immerhin (im wahrsten Sinne des Wortes) einen Höhepunkt, nämlich den großartigen Sex mit ihrem gutaussehenden Kollegen Daniel Kohn.

Doch als Kim nach dem Sex auf das Dach des Hotels steigt, um dort frische Luft zu schnappen, passiert das Undenkbare: Das Waschbecken einer russischen Raumstation fällt ihr auf den Kopf und Kim stirbt bei diesem Unfall.

Doch damit ist die Geschichte noch lange nicht vorbei, denn nachdem ihr Leben an ihr vorbeigezogen ist und sie ein helles Licht gesehen hat, von dem sie zurückgestoßen wurde, steht sie Buddha gegenüber, der ihr in Form einer Ameise erscheint und ihr eröffnet, dass nun ihr Leben nach dem Tod begonnen hat – als Ameise. Denn Kim war zu Lebzeiten alles andere als nett zu ihren Mitmenschen, und so bleibt ihr das Nirwana verschlossen, bis sie genug gutes Karma gesammelt hat, um schlussendlich ins Nirwana aufsteigen zu können.

So findet sich Kim plötzlich inmitten einer Horde fleißiger Ameisen wieder, die gerade dabei sind, ein klebriges Gummibärchen zu transportieren. Doch ganz so leicht ist das Leben als Ameise nicht, denn Kim stirbt einige Tode als Ameise, wird aber immer wieder neugeboren. Langsam gewöhnt sie sich fast an das ständige Sterben und Wiedergeborenwerden, zumal sie im berühmten Casanova einen Leidgenossen gefunden hat, der ebenfalls seine Sünden als Ameise abarbeiten muss. Gemeinsam beschließen sie, gutes Karma zu sammeln, um die Reinkarnationsleiter aufzusteigen.

Und tatsächlich, bald werden sie wiedergeboren – als Meerschweinchen. Passenderweise leben die beiden als Meerschweinchen bei Kims Familie, die noch in tiefer Trauer wegen Kims Tode ist. Doch muss Kim erkennen, dass ihre ehemals beste Freundin Nina, die schon immer ein Auge auf Alex geworfen hatte, bereits in den Startlöchern steht, um Kims Platz einzunehmen. Die Zeit eilt also, denn Kim möchte auf jeden Fall verhindern, dass Nina sich in ihre Familie einschleicht. Ein guter Plan muss also her, was aber gar nicht so einfach ist als Meerschweinchen …

Daniel Safier erzählt eine Geschichte, wie sie schräger und absurder kaum sein könnte. Wir lernen die rücksichtslose Kim Lange kennen, die für ihre Karriere über Leichen geht und diese Sünden im Tode büßen muss. Besonders herzerfrischend ist allerdings die Figur des Casanova, der inzwischen seit etwa 200 Jahren sein Nach-Leben als Ameise fristet und gar nicht daran denkt, gutes Karma zu sammeln. Doch als er Kim kennen lernt, wird sein Ehrgeiz plötzlich angestachelt und die beiden schließen sich als grandioses Karma-Sammel-Team zusammen, auch wenn sie noch gar nicht wissen, was am Ende der Reinkarnationsleiter auf sie warten wird, denn Buddha hält sich mit seinen Informationen sehr bedeckt, wenn er nach erneutem Ableben bei den beiden auftaucht und ihnen einen guten Spruch für den weiteren Weg mitgibt.

So ganz kann Casanova sich an die merkwürdigen Zeiten ohne Kutsche nicht gewöhnen, vieles ist ihm fremd, aber als er sich dann in Kims Widersacherin Nina verliebt, ist er wieder ganz in seinem Element und unterstützt Kim bei ihren Racheplänen mit voller Kraft. Allerdings sind Rachepläne natürlich schwer vereinbar mit dem Sammeln von gutem Karma, und so sterben die beiden einen Tod nach dem anderen und müssen sich immer spitzfindigere Pläne ausdenken, um ihr zwischendurch gewonnenes Karma nicht wieder zu verlieren.

Safiers Geschichte wird immer abgedrehter, immer witziger und immer erfrischender, denn obwohl Kim und Casanova meist aus ziemlich eigennützigen Motiven handeln, so wünscht man ihnen doch von ganzem Herzen Erfolg bei ihrer Mission. Denn obwohl Nina merkwürdigerweise – wie Kim zähneknirschend eingestehen muss – ihrer Familie offensichtlich besser tut als sie selbst, sammelt sie beim Leser doch kaum Sympathiepunkte, weil Casanova und Kim absolut im Mittelpunkt der gesamten Romanhandlung stehen.

Mit großem Tempo, viel Wortwitz und ohne Atempause erzählt Safier die Geschichte von Kim Lange und Casanova, die sich beherzt auf den Weg die Reinkarnationsleiter hinaufmachen und dabei die kuriosesten Abenteuer zu überstehen haben. Denn wer hätte sich vorher wohl ausmalen können, dass sie als Versuchsmeerschweinchen in einem Tierlabor landen und dort einen Affenaufstand anzetteln würden, oder dass Kim als Kuh dafür sorgt, dass alle ihre „Mit-Kälber“ eingeschläfert werden und sie dadurch wieder einiges Karma verliert. Am abgefahrensten wird die Geschichte aber, wenn Kim und Casanova als tierisches Duo Infernale versuchen, die Hochzeit zwischen Alex und Nina zu verhindern.

Selten habe ich bei einem Roman so sehr geschmunzelt, gelacht und mich königlich amüsiert wie bei diesem. Daniel Safier beweist unglaublich viel Einfallsreichtum, Wortwitz, Ironie, Humor und Sprachgefühl, dass es ein absolutes Vergnügen ist, „Mieses Karma“ zu verschlingen. Und auch wenn manche Szenen vielleicht etwas weichgespült sind, so bin ich schon jetzt sehr gespannt auf den nächsten Roman von Daniel Safier, den ich mit Sicherheit wieder lesen und dann hoffentlich genauso gut unterhalten werde wie dieses Mal.

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Alexander, Alma – Drachenkaiserin, Die

Filme wie „Tiger & Dragon“ oder „Hero“ haben es vorgemacht: China ist immer ein guter Schauplatz für eine Geschichte.

In „Die Drachenkaiserin“ von Alma Alexander dreht sich alles um eine fiktive Schwesternschaft, die Jin Shei, wobei es sich dabei nicht um einen Orden oder ähnliches handelt. Jin-Shei-Schwester zu sein, bedeutet einfach, dass man mehr als eine bloße Freundin ist und immer für den anderen da sein sollte.

Die Schwesternbündnisse, von denen im Buch die Rede ist, entwickeln sich schon in junger Kindheit und umspannen sowohl die Arbeiter Chinas als auch den Kaiserhof. Die junge Schneiderstochter Tai schließt Freundschaft mit der Prinzessin Antian, und die beiden sind ein Herz und eine Seele, bis eines Tages etwas Schreckliches passiert.

Ein Erdbeben begräbt den Sommerpalast unter sich und die einzige Thronfolgerin, die jetzt noch vorhanden ist, ist Liudan. Das junge Mädchen, dessen Vater zwar der Kaiser, die Mutter aber eine in Ungnade gefallene Konkubine war, weigert sich, die Marionette ihres machtgierigen Hofes zu sein, und beschließt, selbst zu regieren. Damit bringt sie das ganze chinesische Reich in Aufruhr. Nicht alle ihre Entscheidungen sind durchdacht, aber mit der Schwesternschaft an der Seite gelingt es ihr, das Reich zusammenhalten. Bis sie eines Tages die Nachricht erreicht, dass es noch eine weitere Tochter des Kaisers gibt, und diese ist älter als sie und damit die eigentliche Thronfolgerin …

Alma Alexanders Roman ist ein kleines Universum. Sie erzählt aus verschiedenen Sichten zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Bevölkerungsgruppen, wodurch ein abgerundetes Gesamtbild des chinesischen Reiches entsteht. Manche Perspektiven wären vielleicht gar nicht so wichtig, aber sie runden das Buch wunderbar ab und sind so lebendig und mit Liebe gestaltet, dass sie nicht stören.

Sowohl die Welt, in der die Geschichte spielt, als auch die einzelnen Charaktere sind mit sehr viel Herzenswärme gestaltet und beschrieben. Besonders wenn die Mädchen jünger sind, liest sich „Die Drachenkaiserin“ beinahe wie ein Kinderbuch, wenn auch nicht ganz so simpel. Das ist allerdings kein Negativpunkt, denn diese Niedlichkeit macht den Charme des Buchs aus. Charme hat „Die Drachenkaiserin“ nämlich auf jeden Fall, und das ist gut so.

Der Charme ist es auch, der das Spannungsnetz, das Alma Alexander webt, zusammenhält. Die Autorin setzt nicht direkt auf eine ansteigende Spannungskurve, sondern vielmehr auf ein dichtes, verwobenes Netz. Dies hat seinen Ursprung in den vielen verschiedenen Perspektiven, die teilweise einen unterschiedlichen Wissensstand über den Lauf der Dinge offenbaren. Dadurch entstehen Konflikte, von denen der Leser meist mehr weiß als die Charaktere, was wiederum die unterschwellige Spannung ausmacht.

Der einzige Kritikpunkt, den man anbringen kann, ist, dass die Masse an Figuren am Anfang verwirrend ist. Alexander führt die verschiedenen Personen ziemlich schnell hintereinander ein, ohne dass bereits erkennbar ist, was sie eigentlich für einen Nutzen für die Geschichte haben. Nach einigen Seiten, wenn die Personen sich in ihren Rollen verfestigen konnten, ist die Verwirrung wieder vorbei. Trotzdem stellt sich die Frage, ob dieses Vorgehen den Leser am Anfang nicht ein wenig überfordert.

Alma Alexanders historischer Roman „Die Drachenkaiserin“ ist ein leises, unauffälliges, aber magisches Buch. Personen und Schauplätze sind lebendig und mit Liebe gestaltet und die Handlung beinhaltet zwar keine Spannungskurve, dafür aber ein dichtes Netz an zwischenmenschlichen Beziehungen mit Konfliktpotenzial. Der charmante Schreibstil trägt noch zusätzlich dazu bei, dass „Die Drachenkaiserin“ wunderbar zu lesen ist.

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Udo Lindenberg – Panikperlen: Das Beste von Udo Lindenberg

Auch wenn Udo Lindenberg seinen Zenit schon längst überschritten hat und heute lediglich auf Benefizveranstaltungen wie dem „Red Nose Day“ und dergleichen anzutreffen ist, so ist sein Einfluss auf die aktuelle deutsche Popmusikszene nicht zu unterschätzen. Als Exzentriker und absoluter Ruhepol in Personalunion hat sich der Mann mit dem Hut über drei Jahrzehnte zu einem der wichtigsten nationalen Musiker und Künstler der Nachkriegsgeschichte entwickelt und in dieser Zeit sowohl provoziert als auch polarisiert.

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Gowdy, Barbara – Hilflos

Kindesmissbrauch ist ein äußerst sensibles Thema. In ihrem Roman „Hilflos“ nähert die Kanadierin Barbara Gowdy sich diesem schwierigen Komplex an und hat dabei ein äußerst einfühlsames Werk geschaffen.

Rachel Fox ist neun Jahre alt und ein hübsches Mischlingskind, das Interesse erweckt. Braune Haut mit blonden Haaren und blauen Augen – das ist ein Erscheinungsbild, das so manchen Blick auf sich zieht. Rachel stammt aus einfachen Verhältnissen. Die Mutter ist alleinerziehend, der Vater unbekannt. Die Mutter Celia verdient den Lebensunterhalt als Pianistin in einer Bar, aber das Geld reicht nur so gerade eben.

Rachel weiß, dass ihre Mutter sich ständig Sorgen macht, und so erwähnt Rachel auch nicht, dass sie seit einer Weile ein Mann beobachtet. Sie will nicht, dass ihre Mutter sich noch mehr sorgt. Der Mann, der Rachel beobachtet, ist Ron. Er ist hin und weg von Rachel und kann sich von ihrem Anblick kaum losreißen. Und so passiert eines Tages das, was unvermeidlich zu sein scheint und wovor die Mutter immer Angst hatte. Rachel wird entführt – von Ron.

Ron hat im Keller seines Hauses ein schickes Kinderzimmer eingerichtet, mit allem, was das Kinderherz begehrt: hübsche Möbel, viele Spielsachen, eine DVD-Sammlung. Und so versteht Ron auch gar nicht so recht, warum Rachel unbedingt wieder nach Hause will und sich weigert, sich bei ihm einzuleben. Zum Glück ist da aber noch Nancy, Rons Freundin. Ron selbst bringt es kaum fertig, in die Nähe von Rachel zu gehen, und so kümmert Nancy sich um das Kind und entwickelt dabei wahre Muttergefühle.

Während draußen die Fahndung auf Hochtouren läuft und Rachels Mutter vor Sorge und Verzweifelung fast umkommt, träumt Ron davon, mit Nancy und Rachel in Florida einen Neuanfang zu starten – als Familie. Rachel lässt er glauben, dass er sie vor bösen Männern gerettet hat, die hinter ihr her sind. Und so fasst Rachel doch irgendwann langsam Vertrauen, während Ron darum kämpft, seine Liebe zu Rachel unter Kontrolle zu halten. Doch wie lange wird ihm das gelingen?

„Hilflos“ ist das Porträt einer fehlgeleiteten Liebe. Ron ist voller Liebe für Rachel, und so will er selbst an seine edlen Motive glauben. Er will glauben, dass er Rachel retten musste, weil die nackte Wahrheit auch für ihn zu schmerzhaft ist. Er weiß, dass mit seiner Liebe zu Rachel etwas nicht in Ordnung ist, aber dagegen anzugehen, ist für ihn ein ständiger Kampf. Er ringt mit sich, um nicht so zu enden wie andere Männer, und er kämpft gegen einen Trieb an, den er nicht abstellen kann.

Dieses Bild des Kindesentführers Ron entwirft Gowdy und setzt dem Leser damit einen schwer verdaulichen Brocken vor. Ron ist ein schüchterner und zurückhaltender Mensch, stets höflich zu seinen Mitmenschen und wegen seiner Fähigkeiten als Mechaniker geschätzt. Dass er gleichzeitig ein Pädophiler ist, ist nicht das eigentlich Erschreckende, schließlich sind die Medien voll mit Menschen, die ein Doppelleben führen.

Das eigentlich Erschütternde ist, dass Ron ein Pädophiler mit Gewissen ist, denn das macht ihn menschlich. Er ist nicht das Kinder missbrauchende Monster, das die Medien so gerne darstellen, und so muss der Leser ganz anders mit ihm umgehen und ihn ganz anders begreifen. Man tut sich teils schwer damit, eindeutig Stellung zu beziehen. Rons Annäherung gegenüber Rachel ist so behutsam und vorsichtig; er wirkt dabei so schüchtern und eingeschüchtert zugleich, dass sich irgendwo tief im Leser auch ein gewisses Mitleid für diesen seltsamen Menschen mit seiner fehlgeleiteten Liebe regt.

Genau das ist eine der Stärken von Gowdys Roman. Sie zeichnet nicht schwarzweiß, sondern bewegt sich irgendwo in den schummrigen Grauzonen der Liebe, die man schwer begreifen kann. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse. Und dabei lotet sie ihre Figuren überaus einfühlsam aus. Auf der einen Seite die der Opfer in Form von Rachel und Celia, und auf der anderen Seite die der Täter in Form von Nancy und Ron.

So einfach, wie man es sich wünschen mag, lassen sich Täter und Opfer dabei nicht abgrenzen. Zum eindeutigen Täter lassen Nancy und Ron kriminelle Energie und skrupellose Entschlossenheit vermissen. Sie wirken stets unsicher, haben keinerlei böse Absichten und handeln teilweise in gutem Glauben und aus Liebe, und allein das erscheint schon fast unglaublich.

Und so tut man sich auch etwas schwer damit, die Taten der beiden eindeutig zu verurteilen. Natürlich ist es falsch, was sie machen, aber da man nicht umhinkommt, sie selbst aufgrund ihrer persönlichen Geschichte in gewisser Hinsicht als Opfer zu sehen und ihnen eine gewisse moralische Hemmschwelle zuzugestehen, fällt es schwer, sie mit aller Entschiedenheit zu verurteilen. Gowdy zwingt den Leser zu einem differenzierteren Urteil, in dem es nicht einfach nur Schuldige und Unschuldige gibt, und das ist eben auch eine der Herausforderungen des Buches.

Das Szenario, das sie entwirft, das Luxus-Kinder-Gefängnis im Keller von Rons Haus, ist geradezu furchteinflößend. Die Gegensätzlichkeit seiner großen Liebe zu Rachel und der Abgründigkeit seiner Tat ist absolut erschreckend. Man fürchtet und ahnt, worauf das Ganze hinauslaufen wird und auch hinauslaufen muss. Wie lange wird es Ron gelingen, seinen Trieb zu unterdrücken? Je mehr Rachel Zutrauen zu Ron fasst, desto gefährlicher entwickelt sich die Lage für sie, ohne dass sie es ahnt, und das sorgt dafür, dass „Hilflos“ sich zu einer wirklich nervenaufreibenden Lektüre entwickelt.

Gowdys Roman entfaltet ein enormes Spannungspotenzial und schöpft dieses auch voll aus. Dabei bleibt bis kurz vor Schluss offen, wie das Ganze überhaupt endet. Alles erscheint möglich, ein Happyend genauso wie die Katastrophe, und doch kann es eigentlich gar nicht anders enden als so, wie Gowdy es auflöst.

„Hilflos“ ist ein Buch, das voller Emotionen und Abgründe steckt und sich dabei zu wahrer Spannungslektüre entwickelt. Gowdy blickt tief in die Seelen ihrer Protagonisten und skizziert ein differenziertes Bild von ihnen. „Hilflos“ ist eine Lektüre, die es wirklich in sich hat, sie steckt voller Leben und Liebe und ist im gleichen Moment gespenstisch und düster.

Bleibt unterm Strich ein sehr positiver Eindruck zurück. „Hilflos“ ist eine intensive Leseerfahrung. Gowdy zieht das Thema Kindesmissbrauch einmal von einer ganz anderen Warte auf und entwirft so das Porträt einer krankhaften und fehlgeleiteten Liebe, das es in sich hat.

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John Sinclair – Die Comedy

Story

Sinclair und Suko werden im Cheshunt Forest von einer mordlustigen Truppe Einheimischer gejagt und blicken dem Tod direkt ins Auge. Ausgerechnet in diesem Moment stürzt Suko auch noch in eine Bärenfalle, und schon rollt ein Zug heran und droht, den Geisterjäger und seinen kampfsporterprobten Begleiter zu überrollen. Beide sind sie auf der Suche nach Jane, als tatsächlich ein Grizzlybär auftaucht und den Geisterjäger packt. Als dann auch noch ein Ghoul in die Szenerie eintritt, ist dem Agentenduo klar, dass dies der Auftakt zu einem völlig außergewöhnlichen Fall ist.

Meine Meinung

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Ulrich Kiesow – Dämmerung (Das zerbrochene Rad 1; DSA-Hörbuch)

„Das zerbrochene Rad“ gilt unter Kritikern und Fans des Rollenspiels |Das Schwarze Auge| als einer der besten Romane, welche die Spielwelt bisher hervorgebracht hat. Bei nunmehr knapp 100 Titeln unterschiedlichster Autoren ist die Auswahl da keineswegs an einer Hand abzählbar. Die Spannweite reicht da von kurzweilig und nett bis hin zu literarischen Vergewaltigungen, die zu Recht vergessen worden sind und selbst die eingefleischten Fans nicht überzeugen konnten. Doch es gab seit dem Beginn der 1985 gestarteten Buchreihe immer wieder ein paar wenige Perlen, die zu lesen es sich auch für Liebhaber fantastischer Lektüre lohnte, die mit dem Rollenspiel an sich nicht viel verband.

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Bennett, Joe – Nur für Anfänger – Gitarre Songbook 1

Nach der Pflicht die erste Kür: Wer seine ersten Erfahrungen an der klassischen Gitarre gemeinsam mit dem „Nur für Anfänger“-Buch von Joe Bennett gemacht hat und die dort erlernten zehn Akkorde sicher beherrscht, darf sich nun im zugehörigen Songbook schon einmal an verschiedenen mehr oder minder bekannten Songs aus der Geschichte der Rockmusik versuchen. Insgesamt 15 Songs aus einem stilistisch sehr breit gefächerten Bereich können hier erprobt werden, darunter Sachen wie der alte Bob Dylan-Gassenhauer ‚All Along The Watchtower‘ und Chuck Berrys Welthit ‚Johnny B. Goode‘, vielleicht der Rock-’n‘-Roll-Song schlechthin. Doch es sind nicht bloß die offensichtlichen Stücke, die Bennett hier anbietet und mit Texten/Akkorden unterlegt. Eine Komposition wie beispielsweise ‚Common People‘ von den Brit-Poppern PULP würde man in einem solchen Buch ebenso wenig erwarten wie ‚Hand In My Pocket‘ von Alanis Morrissette oder ‚Not Fade Away‘ von Norman Petty. Auch der zweite Brit-Pop-Song, ‚Roll With It‘ von OASIS, erscheint in diesem Rahmen eher ungewöhnlich, ganz zu schweigen von ‚Yellow‘ von SMOKIE.

Dies ist aber letztendlich ein enorm wichtiger Aspekt, der dieses Liederwerk dann auch auszeichnet. Nicht etwa diejenigen Stücke, die man in Dutzenden Vergleichswerken wieder findet, bilden den Kerninhalt des Songbooks, sondern vor allem auch vergessene Klassiker, die es gerade für Neueinsteiger hier noch zu entdecken gilt. Natürlich: Songs wie die BEATLES-Gassenhauer ‚Hey Jude‘ und ‚Let It Be‘ sind in einem solchen Rahmen unvermeidlich, aber genauso schätze ich auch ‚Romeo & Juliet‘ von Mark Knopfler oder einen der letzten wirklich fetzigen Bryan-Adams-Tracks, nämlich ‚Run To You‘ – und das ist auch der wahrscheinlich wichtigste Aspekt, warum diese kleine Sammlung dem Gros der konkurrierenden Songbooks ein ganzes Stück voraus ist.

Davon abgesehen ist „Gitarre Songbook 1“ aus der |Bosworth|-Reihe „Nur für Anfänger“ ebenfalls höchst niveauvoll aufgebaut. Zu jedem Song sind noch einmal separat alle Griffe zum Vergleich abgebildet, und wer selbst dann noch Schwierigkeiten hat, kann zur Begleit-CD greifen und sich dort die Originale – speziell wenn sie noch nicht bekannt sind – noch einmal in Gänze anhören. Das Einzige, das hier noch fehlt, sind kurze Hintergrundinfos bzw. generell eine Einleitung. Abgesehen vom Song und –Akkordmaterial ist das Buch nämlich ziemlich nackt. Allerdings ist dies jetzt auch nicht tragisch, schließlich geht es hier einzig und allein darum, elementare Inhalte zu verinnerlichen und sein erstes Praxiswissen effektiv zu testen. Und genau dies sollte mit dem ersten „Gitarre Songbook“ von Joe Bennett ein Kinderspiel sein, zumal es ja auch Spaß macht, ein wenig von der Theorie wegzukommen und sein erstes Können zu demonstrieren.

Joe Bennetts Lernbücher aus der Serie „Ganz einfach blöffen …“ waren schon ein echter Gewinn und gerade für Anfänger eine Offenbarung. Mit Werken wie diesem baut er seinen gut sortierten Katalog an derartigen Veröffentlichungen nun mit einem weiteren lohnenswerten Gitarrenbuch aus, welches sich Käufer des ersten Teils von „Nur für Anfänger – Gitarre“ zur Vertiefung unbedingt besorgen sollten – vor allem, weil eben hier auch mal anderer Praxisstoff geboten wird.

In diesem Buch enthalten sind schließlich folgende Songs:

Blue Suede Shoes
Johnny B. Goode
The Boxer
All Along The Watchtower
Let It Be
Not Fade Away
Sunny Afternoon
No Woman, No Cry
Wonderful Tonight
Romeo And Juliet
Run To You
Common People
Hand In My Pocket
There She Goes
What Can I Do?

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Boyd, William – Ruhelos

William Boyd wird vielfach als einer der überragenden Erzähler der europäischen Gegenwartsliteratur betrachtet. Seine Werke wurden mehrfach prämiert, so auch sein aktuelles Werk „Ruhelos“. „Ruhelos“ steht in der Tradition des Spionageromans, geht aber dabei auch ganz klar über die Grenzen des Genres hinaus.

Die Handlung spielt sich auf zwei zeitversetzten Ebenen ab. Ausgangspunkt ist Oxford im Jahr 1976. Im Sommer dieses Jahres erfährt Ruth Gilmartin Details aus dem Leben ihrer Mutter Sally, die alles auf den Kopf stellen. Sally Gilmartin heißt in Wirklichkeit Eva Delektorskaja, ist eine russische Emigrantin und wurde 1939 von Lucas Romer für den britischen Geheimdienst angeworben. Eva soll die Arbeit fortführen, die ihr von den Nazis ermordeter Bruder Kolja angefangen hat.

Eva willigt ein, wird unter Lucas‘ Anleitung zu einer hochkarätigen Spionin ausgebildet und arbeitet fortan für die British Security Coordination. Ziel dieser kleinen Geheimdiensteinheit ist es, durch geschickte Nachrichtenmanipulation den Weg für den Kriegseintritt der Amerikaner zu ebnen. Eva macht ihre Sache gut und arbeitet stets zur vollen Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten, bis es bei einem Einsatz in New Mexico zu einem heiklen Zwischenfall kommt, der für Evas gesamtes weiteres Leben von Bedeutung ist …

Im Jahr 1976 fühlt Eva sich immer noch von den damaligen Ereignissen verfolgt und vertraut sich ihrer Tochter Ruth an, die daraufhin eigene Recherchen beginnt. Ehe Ruth sich versieht, steckt sie auch schon selbst mitten in der Geschichte drin und wird vom Sog der Ereignisse mitgerissen …

William Boyd greift in seinem Roman einen Aspekt der britischen Geheimdienstgeschichte auf, der in der Öffentlichkeit eher wenig bekannt ist: die Geschichte der British Security Coordination. Diese Einheit operierte von New York aus und versuchte dort direkten Einfluss auf die Medien zu nehmen. Man manipulierte die Nachrichten so, dass der in Europa tobende Krieg den Amerikanern als größere Bedrohung der eigenen Sicherheit erscheinen musste, als er es bis zum Angriff auf Pearl Harbour wirklich war. Die Briten wussten, dass die Amerikaner wohl nur dann in das Kriegsgeschehen eingreifen würden, wenn auch Amerika einer unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt war, und genau diesen Eindruck versuchte die British Security Coordination mit ihrer Arbeit zu erwecken.

Auch Eva Delektorskaja arbeitet in „Ruhelos“ für diese Einheit, und ihre Geschichte sorgt für einige Spannung. Es ist eine typische Agentengeschichte, die stets dem Leitsatz „Traue niemandem“ folgt. Trauen und Misstrauen spielen eine zentrale Rolle. Eva vertraut wirklich niemandem, denn auch unter den Kollegen durchwühlt man sich gerne mal gegenseitig die Manteltaschen, während der andere gerade auf dem Klo sitzt. Und dennoch ist es gerade das Vertrauen, das Eva am Ende in Gefahr bringt. So gesehen ist der Handlungsverlauf zwar nicht wirklich überraschend, aber dennoch ist es aufregend zu beobachten wie die Agentin Eva mit der Situation umgeht.

Ein wenig erinnert „Ruhelos“ an die Romane, die Ken Follett rund um das Thema zweiter Weltkrieg und Spionage geschrieben hat. Die Spannung ist eine ganz ähnliche, wenngleich sie bei Follett noch wesentlich greifbarer ist. Auch Follett rückt die Protagonisten in den Mittelpunkt der Betrachtung und inszeniert ein spannendes Geflecht aus Spionagethriller und Liebesgeschichte. Boyd arrangiert seine Geschichte in einem ganz ähnlichen Spannungsfeld.

So gesehen ist das, was er mit „Ruhelos“ abliefert, nicht unbedingt neu, aber Boyd geht das Ganze mit einer sehr dichten Erzählweise und einer hohen Intensität an, und das macht dann eben doch den Reiz der Geschichte aus. Die zeitversetzte Erzählweise baut eine gewisse Spannung auf. Der Leser ist gespannt zu erfahren, wie Vergangenheit und Gegenwart miteinander verknüpft sind, welche Auswirkungen die eine Erzählebene auf die andere hat.

In der Gegenwart ist es vor allem das Leben von Ruth, das im Mittelpunkt steht. Boyd erzählt von Ruths Erlebnissen als Englischlehrerin, die Sprachunterricht für ausländische Berufstätige anbietet. Er erzählt von ihrem Privatleben, ihrem Sohn, der aus einem kurzen Verhältnis zu einem deutschen Professor hervorgegangen ist, von Ludger, dessen Bruder, der mit der RAF in Verbindung steht und sich bei Ruth eingenistet hat. Boyd baut einige Nebenstränge auf, die aber allesamt von eher marginaler Bedeutung für die eigentliche Handlung sind.

Teilweise kann man sicherlich den Kritikpunkt äußern, dass die Nebenhandlungen eher wie schmückendes Beiwerk erscheinen. Sie mögen zwar von Bedeutung für Ruth sein, aber für die Handlung spielen sie im Grunde eine so untergeordnete Rolle, dass man auf sie auch hätte verzichten können, zugunsten eines etwas gradlinigeren Plots – zumal sie tendenziell dann auch im Nichts verschwinden.

Dennoch stören diese Randerscheinungen der Handlung zumindest im Hörbuch nicht wesentlich. Martina Gedeck liest die Geschichte so gekonnt, dass die Handlung mit der Zeit zu einem faszinierenden Sog wird. Man verliert sich in der Geschichte, vergisst dabei die Zeit und stört sich daher auch kaum an Teilen der Handlung, die im Grunde keine Bedeutung haben. Ich könnte mir gut vorstellen, dass mich diese Dinge mehr gestört hätten, wenn ich den Roman selbst gelesen hätte und das reicht in meinen Augen auch schon aus, um leise Zweifel daran zu hegen, ob „Ruhelos“ wirklich das große literarische Meisterwerk ist, als das der Verlag es anpreist.

Doch das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Ruhelos“ eine sehr intensive und atmosphärisch dichte Geschichte erzählt, die den Leser in seinen Bann schlägt. Die Figur der Eva Delektorskaja ist faszinierend und ein spannendes Objekt der Beobachtung, ihre Geschichte eine wirklich fesselnde. Auch die Art und Weise, wie ihre Erlebnisse sich in die Gegenwart fortsetzen, ist absolut interessant.

So bleibt unterm Strich trotz kleinerer Schönheitsfehler ein positiver Eindruck zurück, der sicherlich gerade auch in der absolut gelungenen Hörbuchproduktion und der tollen Vortragsweise von Martina Gedeck begründet liegt. „Ruhelos“ ist spannend und dicht erzählt, eine intensive Geschichte, welche die Bandbreite der menschlichen Gefühle auslotet und sehr schön mit den Begriffen Vertrauen und Misstrauen umgeht. Und so ist „Ruhelos“ dann auch mehr als einfach nur ein Spionagethriller. Obendrein beleuchtet Boyd mit der Medienmanipulation der British Security Coordination ein interessantes und wenig bekanntes Kapitel der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Alles in allem also durchaus empfehlenswerte Kost, die gerade auch als Hörbuch für ein paar kurzweilige Stunden sorgt.

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