Archiv der Kategorie: Rezensionen

Kaes, Wolfgang – Herbstjagd

Martina Hahne, alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern, hat kein Glück mit Männern. Nach der Geburt ihrer Tochter verlässt sie ihr Mann, auch alle weiteren Beziehungsversuche enden in einer Enttäuschung. Tochter Jasmin will um jeden Preis Model werden, der ältere Boris rebelliert, die harte Arbeit im Supermarkt reibt die gestresste Mutter auf. Da gibt ihr eine Kollegin den Tipp, sich per Internet eine Bekanntschaft zu suchen. Auf diesem Weg lernt sie Mario kennen, einen reichen Kölner Unternehmer, der sie mit Komplimenten und Aufmerksamkeiten überschüttet. Die ersten Treffen verlaufen zaghaft, erst nach und nach werden sie intim miteinander. Dabei verlangt Mario von Martina so genannte „Liebesbeweise“, die immer demütigender für sie werden. Martinas Liebe verwandelt sich in Angst. Als es ihr zu viel wird, trennt sie sich per E-Mail von ihrem einstigen Traummann. Mario verkraftet das Aus nicht und stellt ihr mit Anrufen und drohenden E-Mails nach.

An einem regnerischen Septembertag verschwindet Martinas Tochter Jasmin. Die Fünfzehnjährige kehrt nicht von der Schule heim. Gegen Mitternacht verständigt Martina die Polizei. Zur gleichen Zeit wird auch die vierzehnjährige Anna vermisst gemeldet. Anna stammt aus gutem Haus und kennt Jasmin nicht, doch bei beiden lässt der Täter den Eltern ein Foto der Mädchen zukommen, aufgenommen nach ihrer Entführung. Anhand eines der Bilder gelingt es der Polizei, die beiden Mädchen in einem Naturschutzgebiet zu finden – aber nur eines von ihnen lebt noch.

Der rauhe Bonner Hauptkommissar Jo Morian und seine junge, burschikose Kollegin Antonia Dix übernehmen den Fall. Obwohl sie in alle Richtungen ermitteln, steht der mysteriöse „Mario“ auf ihrer Verdächtigenliste ganz oben. Doch die Nachforschungen erweisen sich als problematisch. Zeugenaussagen ergeben zwei völlig unterschiedliche Phantombilder von „Mario“ und dem Entführer, wichtige Spuren wurden verwischt und einige Polizeimitarbeiter halten die Stalking-Theorie für unglaubwürdig. Auch persönlicher Druck lastet auf dem Duo – Antonia Dix wird wegen ihrer Unerfahrenheit längst nicht von allen Kollegen respektiert. Morian dagegen fühlt sich gegen seinen Willen zu Annas Lehrerin Dagmar, selbst ein Stalking-Opfer von „Mario“, hingezogen. Für die Ermittler beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn niemand weiß, wann der Täter wieder zuschlägt …

Nach „Todfreunde“ und „Die Kette“ bekommen die Leser nun einen dritten Fall von Kommissar Morian präsentiert, der sich nach Kindesmissbrauch und Terror mit dem Thema Stalking befasst. Auch hier beweist der Autor wieder einmal sein Gespür für brisante Themen und liefert einen äußerst spannenden und gelungenen Thriller ab.

|Charakterstarkes Ermittler-Duo|

Serienermittler gibt es in der Krimi- und Thrillerwelt mittlerweile wie Sand am Meer. Schwer genug für einen Autoren, einen Ermittler zu erschaffen, der sich von seinen zahlreichen Kollegen, heißen sie nun Wallander, Cross, Wexford oder Pitt, abhebt und dem Leser einprägt. Mit der Figur des Kommissar Josef Morian ist ihm so ein Charakter gelungen. Dabei ist Morian, wie ihn fast alle Kollegen nennen, eigentlich ein Durchschnittstyp und gewiss nicht fehlerlos, was ihn aber gerade so sympathisch macht. Der ehemalige Amateurboxer hat mittlerweile an Gewicht zugelegt, lebt nach seiner Scheidung alleine, hat zu wenig Zeit für seine beiden Kinder, schweigt mehr als dass er redet und ist bekannt für das Vertrauen, das er gegenüber Zeugen ausstrahlt. Morian ist kein makelloser Superman, der jedes Verbrechen im Handumdrehen löst, doch er ist ein zuverlässiger Kollege, der mit viel Herzblut an seinen Fällen arbeitet und in seiner aufreibenden Arbeit seine Berufung gefunden hat. Kollegin Antonia Dix bietet den perfekten Gegenpol. Erfreulicherweise bilden die beiden kein Liebespaar, sondern stehen vielmehr in einer Art leicht distanziertem Vater-Tochter-Verhältnis zueinander. Antonia ist knapp dreißig, verbirgt ihre rassige Schönheit hinter einem raspelkurzen Haarschnitt und burschikosen Auftreten inklusive stämmiger Kickboxerin-Figur und Militär-Jacke. Morian schätzt die scharfsinnige und ehrgeizige Ermittlerin und verspürt des Öfteren einen Beschützerinstinkt in ihrer Nähe. Ganz anders sieht es dagegen Oberstaatsanwalt Arentz, der, wie auch einige der Polizeimitarbeiter, der Jugend und der Unerfahrenheit von Antonia skeptisch gegenübersteht. Vor allem Arentz nutzt jede Gelegenheit, um die junge Frau zu diskriminieren und ihr offen zu widersprechen. Bei den Ermittlungen lastet nicht nur der Druck der Öffentlichkeit auf Antonia, sondern der Fall weitet sich für sie zu einer Bewährungsprobe aus. Gerade unter diesem Druck unterlaufen der sonst so gefassten Kriminalbeamtin kleine Schnitzer, die sie noch verletztlicher und menschlicher wirken lassen. Auch das Privatleben der beiden wird gestreift, angenehmerweise aber nie zum Hauptthema erhoben. Antonia ist einsamer Single, Morian wehrt sich gegen seine Gefühle für die Zeugin Dagmar Losem; beide haben mit ihren privaten Empfindungen zu kämpfen, doch im Fokus steht zu jeder Zeit die Jagd nach dem psychopathischen Stalker.

Unterstützung erhält Morian dabei wie schon in den vorherigen Bänden von seinem Freund Max Maifeld, einem ehemaligen Journalisten, der nach den Rachedrohungen eines Schwerkriminellen in Köln-Mülheim untergetaucht ist und nun als Detektiv schwierige Fälle übernimmt. Mit dabei ist der durchtrainierte Schwarzamerikaner Hurl, Max Maifelds Partner, der nicht viele Worte verliert, dafür aber mit bestechender Verlässlichkeit selbst gefährlichste Einsätze übernimmt. Morian, Antonia, Max und Hurl bilden ein buntes Quartett, das sich trotz oder gerade wegen seiner Gegensätzlichkeit als ein nahezu unschlagbares Team präsentiert. Hin und wieder gibt es trotz aller Aufregung und der Ernsthaftigkeit des Themas bei Max und Hurl sogar amüsante Erlebnisse – denn obwohl sie die perfekte Zusammenarbeit liefern, ist vor allem Max zeitweise genervt von den unterschiedlichen Lebensvorstellungen innerhalb der Zwangs-WG.

|Spannung und Dramatik bis zum Schluss|

Über 500 Seiten umfasst der Schmöker, doch beachtlicherweise wird der Spannungsfaktor von der ersten bis zur letzten Seite konstant hochgehalten. Viele Fragen warten auf die Beantwortung: Werden sie dem Internet-Stalker das Handwerk legen? Wird es bis dahin noch weitere Opfer geben? Wer ist der Informant, der die Presse immer wieder mit vertraulichen Polizei-Interna über den Fall versorgt? Glaubwürdig werden Höhen und Tiefen der Ermittlungsarbeit aufgezeigt. Morian und seine Helfer verzeichnen wichtige Erfolge, die sie dem Täter näher bringen, doch es gibt auch zahlreiche Rückschläge – entweder, weil Fehler passieren oder weil „Mario“ ihnen intellektuell gewachsen ist. Positiv ist zudem, dass der Autor sich nicht scheut, Charaktere sterben zu lassen oder lieb gewonnenen Figuren Enttäuschungen geschehen zu lassen. Bereits vor den letzten Seiten ahnt man, dass den Leser hier kein geschöntes Hollywood-Ende erwartet, sondern dass Wolfgang Kaes es durchaus wagt, auch hier konsequent zu sein und die harte Realität einfließen zu lassen, in der nicht alle Konflikte eine ideale Lösung erfahren. Bis zum Schluss heißt es bangen um die Protagonisten und die Nebencharaktere – und hoffen, aber nicht wissen, dass die Gerechtigkeit siegen wird.

Den ganzen Roman über ist offensichtlich, dass der Autor lange Jahre als Polizei- und Gerichtsreporter tätig war. Detailgenau und immer verständlich bringt er Einblicke in die Ermittlungsarbeit, sodass man spürt, dass hier ein Experte über Dinge schreibt, die er selber erlebt hat, nicht bloß über angelesenes Bücherwissen. Gleiches gilt für das ausgeprägte Lokalkolorit. Bewohner des Köln-Bonner Raums werden nicht nur zentralen Örtlichkeiten, die auch flüchtige Besucher der Gegenden kennen, begegnen, sondern auch unscheinbaren Straßen und Ecken, die zeigen, dass hier ein Einheimischer seine Kenntnisse spielen lässt.

|Nur kleine Mankos|

Schwächen besitzt dieser Roman nur wenige. Eine davon liegt in der Fülle von Handlungssträngen, die das Werk äußerst komplex machen. Die Schauplätze wechseln häufig; am meisten steht natürlich Morian im Zentrum, aber es wird auch zu Antonia, zu Max und Hurl, zu Stalking-Opfer und Zeugin Dagmar Losem sowie auch zum Täter selbst übergeblendet. Bei manchen Absätzen muss man sich erst ein paar Sätze lang einlesen, ehe man weiß, in welchem Handlungsstrang man sich gerade befindet. Die vielen Schicksale, darunter natürlich auch die der Familien der Opfer, bilden ein miteinander verbundenes Netzwerk. Zum Schluss laufen tatsächlich alle Fände zusammen – doch bis dahin ist es zeitweise mühsam, den Überblick zu behalten, wer in welcher Form mit dem anderen verbunden ist. Auch der Zufall wird hier manches Mal zu oft bemüht. Ein paar der Verbindungen sind nicht naturgegeben, sondern entstehen durch unvorhersehbare Ereignisse, die dafür sorgen, dass sich die Wege mancher Personen kreuzen. Das macht es Morian und seinem Team mehrmals zu einfach, eine Spur zu verfolgen. Während in der ersten Hälfte viele Untersuchungen im Sande verlaufen und die Jagd nach „Mario“ phasenweise fast aussichtslos erscheint, fallen vor allem im letzten Drittel den Ermittlern einige Erkenntnisse durch Zufälle oder Dummheit der Täter in die Hände.

Nicht abschrecken lassen darf man sich vom Stil, der einem auf der ersten Seite entgegenspringt: In der hektischen Erzählweise der erlebten Rede, sogar bis hin zu Anklängen an den Bewusstseinsstrom, werden hier stakkatoartige Sätze verwendet, die oft nur aus einem Wort und aus inhaltlichen Gedankensprüngen bestehen. Allerdings zeigt sich bald, dass dieser Stil nur bei „Marios“ Perspektive zum Einsatz kommt und selbst dort nie mehr so penetrant wie auf der ersten Seite. Zwar durchzieht gründsätzlich ein nüchterner Stil mit kurzen Sätzen den Roman, der sich aber flüssig lesen lässt.

_Unterm Strich_ bleibt ein hochspannender Thriller über das brisante Thema „Stalking“, das durch ein sympathisch-interessantes Ermittlerduo, überraschende Wendungen und Dramatik bis zum ungewissen Ende besticht.

_Der Autor_ Wolfgang Kaes, geboren 1958 in der Eifel, arbeitete nach seinem Studium der Politikwissenschaft, Kulturanthropologie und Pädagogik viele Jahre lang als Journalist. Er schrieb unter anderem als Polizei- und Gerichtsreporter für den |Kölner Stadt-Anzeiger|, für den |Stern| und als Lokalchef der |Rhein-Zeitung| in Bonn. 2004 erschien sein erster Roman „Todfreunde“, 2005 der Nachfolger „Die Kette“, beide mit dem Ermittler Kommissar Morian. Mehr über ihn gibt es auf seiner Homepage http://www.wolfgang-kaes.de.

http://www.rowohlt.de

Colfer, Eoin – Artemis Fowl

Man kommt nicht umhin. Beinahe jedes Fantasybuch, das nach Harry Potter kam, wird mit dem Helden von Joanne K. Rowling verglichen. Die Engländerin hat die Messlatte hoch gelegt und 2001 schickte sich Eoin Colfer an, diese mit den Fingerspitzen zu berühren.

Sein Buch „Artemis Fowl“ wurde zumeist in einem Atemzug mit Harry Potter genannt, obwohl inhaltlich sehr starke Unterschiede bestehen. Artemis Fowl, der Held der Geschichte, ist nämlich keineswegs ein Zauberlehrling, sondern ein hochintelligenter Zwölfjähriger, der aus einer Familie von Kriminellen abstammt. Auch der jüngste Spross der Fowls hat sich zum Meisterdieb aufgeschwungen, und da er immer noch ein Kind ist, trotz seiner Altklugheit und Gerissenheit, glaubt er fest an das Märchen, dass jede Fee ein Goldtöpfchen in ihrer Behausung hat. Und er glaubt an die unterirdischen Wesen, auch wenn es lange dauert, bis er endlich die Spur einer Fee in Ho-Chi-Minh-Stadt findet. Er reist mit seinem deutlich älteren Bodyguard Butler, der ihm nicht von der Seite weicht, dorthin und schafft es, ihr das Goldene Buch abzupressen, in dem sämtliche Regeln und das Wissen über die Unterirdischen enthalten sind.

Mit dessen Hilfe gelingt es ihm, eine Elfe gefangen zu nehmen, mit deren Hilfe wiederum er die Elfen erpressen will, ihm etwas von ihrem Feengold abzugeben. Doch er hat nicht mit Holly Short, der Geisel und erstem weiblichem Officer der Aufklärungseinheit der Zentralen Untergrund-Polizei, gerechnet, denn diese hat nicht vor, kampflos aufzugeben …

Zentrale Untergrund-Polizei? Richtig gelesen. Elfen und Feen in rosa Rüschenkleidern und mit goldenen Zauberstäben kommen in Colfers Unterirdischen-Welt nicht vor. Stattdessen gibt es Straßen mit dem allmorgendlichen Stau, wenn die Unterirdischen zur Arbeit fliegen. Es gibt Fußgängerzonen im Höhlensystem und technikgewiefte Zentauren, die das gesamte Areal überwachen. Und es gibt die Zentrale Untergrund-Polizei, kurz ZUP, die für Ordnung unter der Erde sorgt und verhindert, dass die Menschen von der Existenz der Unterirdischen erfahren.

Stellenweise erinnert Colfers Welt dezent an die Bank |Gringotts|, aber insgesamt hat der Autor eine sehr eigenständige und sauber gezeichnete Welt ausgetüfftelt, die immer wieder durch ihren Erfindungsreichtum überrascht. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Elfenflügel motorbetrieben sind und es sogar verschiedene Modelle gibt?

Die gleiche Liebe zum Detail wendet Colfer für die Charaktere auf. Sie alle haben eine Hintergrundgeschichte und ihre Eigenheiten. Butler, Artemis‘ Leibwächter, zum Beispiel gehört zur Familie der Butlers, die schon seit Ewigkeiten im Dienst der Familie Fowl steht. Die Behauptung, dass man munkelt, dass das Synonym für Diener auf ebendiese Familie zurückgeht, ist mit einem Augenzwinkern versehen, was man sehr oft in dem Buch findet. Der gute alte englische Humor eben.

Holly Short, um ein weiteres Beispiel zu nennen, ist der erste weibliche Officer der Aufklärungseinheit und somit den sexistischen Angriffen ihres Vorgesetzten Root schutzlos ausgesetzt. Bei Root zeigt sich eine weitere Stärke Colfers. Er weiß zu verhindern, dass seine Charaktere wie lieblose, schwarz-weiße Stereotype wirken, indem er sie mit einem Herz versieht. Natürlich entspricht der Charakter des frauenverachtenden Chefs schon ein wenig dem Klischee, aber Colfer zieht dieses Klischee nicht bis zum Ende durch, sondern erlaubt Root, sich zu verändern. Und so wächst ihm Holly während ihrer Geiselnahme immer mehr ans Herz und letztendlich kommt er nicht umhin, sie zu loben.

Besonderes Augenmerk gilt natürlich dem Helden, Artemis Fowl, der schon aufgrund des Alters Harry Potter zu seiner Konkurrenz zählt. Er wohnt, anders als Harry, jedoch auf der anderen Seite des Gesetzes, und nur weil er noch ein halbes Kind ist, bedeutet das nicht automatisch, dass er nicht gerissen und ziemlich kaltblütig sein könnte. Manchmal beschleicht den Leser natürlich der leise Verdacht, dass der Junge ein wenig zu erwachsen geraten ist, an und für sich hebt sich das aber auf. Zudem hat auch Artemis ein Herz. Er sorgt sich um seine Mutter, die seit dem Verschwinden seines Vaters ein wenig verrückt und einer der Gründe ist, warum er an das Elfengold kommen möchte.

Wenn in einem Buch der Protagonist „der erste artübergreifende Dieb“ (Seite 108) ist, spielt die Geschichte dementsprechend in einem Milieu, in dem mit viel technischem Equipment und Action gehandelt wird. Es ist Colfer gutzuschreiben, dass er es schafft, bei all dem technischen Schnickschnack, den er Artemis zur Verfügung stellt, trotzdem noch auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Das eine oder andere Super-Hightech-aberleiderunrealistische-Handy hat schon so einige Autoren den Kopf gekostet, und auch wenn Colfer es manchmal ein wenig zu viel werden lässt, hält sich diese prekäre Angelegenheit noch im Rahmen.

Die Handlung an und für sich ist spannend gestaltet, hat aber in der Mitte so ihre Längen, während der Leser sehnsüchtig auf den Showdown wartet. Selbiger wird schön ausgestaltet und mit einer überraschenden Wendung versehen, so dass das Buch zu einem gebührenden Abschluss kommt. Allerdings wäre es an einigen Stellen nicht schlecht gewesen, die Action ein wenig zurückzufahren. Sie ist schuld daran, dass der Plot an einigen Stellen auszufransen zu droht.

Trotz dieser wenigen Mängel lässt sich das Buch sehr schön lesen, was dem tollen Schreibstil zu verdanken ist, der ebenfalls einige wenige Parallelen zu Rowling ziehen lässt. Sollte man das überhaupt machen? An und für sich ist der Humor, der „Artemis Fowl“ zugrunde liegt, dieser typisch englische, sehr trockene Humor, und Rowling und Colfer sind nicht die Einzigen, die ihn verwenden. Das lockert das Buch angenehm auf, genau wie der Einsatz von witzigen Metaphern („… genauso aussichtslos wie der [Versuch], eine Kartoffel in einen Fingerhut zu zwängen.“ (Seite 116) und die Hinwendung zum Leser, der humorvoll gesiezt wird.

„Artemis Fowl“ weist sicherlich einige Berührpunkte zu Harry Potter auf, aber Harry Potter weist sicherlich auch einige Berührpunkte zu Büchern auf, die vor ihm geschrieben wurden. Fakt ist, dass Eoin Colfer diese ständigen Vergleiche nicht nötig hat, denn er kann locker mit Rowling mithalten. Sein Schreibstil entfaltet ebenfalls einen mitziehenden Charme, seine Charaktere sind liebevoll ausgearbeitet und seine Geschichte ist mit Hintergründen, Spannung und einer nachvollziehbaren Handlung aufgepolstert. Der eine oder andere Wehmutstropfen lässt sich nicht verhindern, doch ansonsten spielt Colfer in der Oberliga der Kinderfantasybücher, die sich auch Erwachsene zu Gemüte führen können.

http://www.artemis-fowl.de/

McDermott, Will – Monde von Mirrodin, Die (Magic: The Gathering – Mirrodin #1)

Mirrodin ist eine Welt aus Metall. Quecksilber-Ozeane, Steppen rasiermesserscharfer Gräser, Bäume aus Chrom, Kupfer, Eisen prägen ihr Antlitz; Lebewesen -Tiere und Humanoide – tragen über ihrem Fleisch metallene Panzer, die den ganzen Körper oder auch nur Teile davon bedecken; mechanische Konstrukte suchen Länder und Städte heim und hinterlassen nur zu oft eine Spur der Verwüstung.

Mirrodin ist die Heimat der Elfin Glissa. Je näher die Zeremonie des Zurechtweisens rückt, einer Konditionierung, welche die Elfen ihrer Träume beraubt, desto stärker plagen die Kriegerin Visionen von grünen Bäumen, lebendiger Natur, einem Körper ganz aus Fleisch und sie spürt eine undefinierbare Falschheit in ihrer Existenz. Die Entscheidung, diese Visionen zu behalten und nicht an der Zeremonie teilzunehmen, wird Glissa abgenommen, als die Gleichmacher, insektoide, voll mechanische Tötungsmaschinen, ihr Zuhause, das Knäuel, überfallen und ihre Familie töten; ihr selbst gelingt es im letzten Moment, schwer verletzt in die ihr unbekannte Welt außerhalb ihres Heims zu fliehen.

Der einsiedlerische, von seinem Volk verstoßene Goblin Slobad findet die verletzte Elfin. Da er ihre Wunden nur unzureichend versorgen kann, bietet er an, sie zu einem Heiler in die Stadt der Leoniden, Taj Nar, zu bringen. Doch der Empfang in Taj Nar ist alles andere als herzlich, denn erstens liegen die Leoniden im Krieg mit dem Volk der Nim und zweitens prophezeit die Schamanin Ushanti, Glissa werde die Welt vernichten. Dennoch kann die Elfin schließlich den Herrscher der Löwenmenschen von ihren lauteren Absichten überzeugen. Geheilt bricht sie auf, um zuerst den Krieg mit den Nim zu beenden und danach den Verantwortlichen für den Mord an ihren Eltern, einen geheimnisvollen Mann mit schwarzer Kutte und einer Spiegelmaske, zu suchen, der – wie sich herausstellt – auch für die Morde an vielen aufstrebenden Kriegern anderer Völker verantwortlich zeichnet.

Gleich zu Beginn ihrer Reise finden Glissa und der Goblin in den Sümpfen des Mephidross einen versunkenen und fast zerstörten Golem, der dank Slobads mechanischen Fähigkeiten zu neuem Leben erweckt wird und die beiden Gefährten fortan unter dem Namen Bosh auf ihrer Suche begleitet. Nachdem sie den Herrscher der Nim höflich aber bestimmt davon überzeugen konnten, seine Angriffe auf die Stadt der Leoniden zu beenden, führt sie die Spur des maskierten Kuttenträgers zu den Menschen Mirrodins, wo sich ihnen die Magierin Bruenna anschließt. Die nächste Station der Reise ist die Stadt Lumengrid, die Heimat der Vedalken. Jene humanoiden, vierarmigen Kreaturen halten sich für die überlegene Rasse Mirrodins und scheinen aus machtpolitischen Motiven tatsächlich hinter all dem Morden und den Verwüstungen zu stecken. Doch auch die Vedalken dienen nur einer größeren Macht: Memnarch, dem wahnsinnigen Wächter Mirrodins.

Der Text auf dem Buchrücken verheißt wahrhaft exotische Fantasy in einer Welt, die ihresgleichen sucht. Aber Versprechen wollen gebrochen werden, und so hält der Roman nicht einmal annähernd, was die Werbung vollmundig in Aussicht stellt.

Dabei lässt sich das Versagen an drei Punkten festmachen. Erstens haut der Autor dem Leser Orts-, Personen- und Figurennamen um die Ohren, dass es kracht. Auf Leute, die sich nicht mit der Mirrodin-Edition des Sammelkartenspiels auskennen – solche soll es tatsächlich geben -, nimmt McDermott keine Rücksicht und verzichtet konsequent auf mehr als nur oberflächliche Beschreibungen der Welt, von Fauna, Flora oder dem spezifischen Magie-System, welches „Magic the Gathering“ auszeichnet. Nach dem Motto „Keine Zeit! Muss weiter, muss weiter!“ hetzt er den Leser durch das Setting, Zeit zum Verweilen und Staunen lässt er ihm nicht. Eine fesselnde, greifbare Atmosphäre kann angesichts solcher Ignoranz selbstverständlich nicht erwartet werden.

Zweitens stoßen die zahlreichen, oft unmotiviert wirkenden Kämpfe der Helden sauer auf, mangelt es ihnen doch a) an fantasievoller Ausgestaltung und b) einer nachvollziehbaren, inneren Glaubwürdigkeit. Spannung lässt sich nicht dadurch erzeugen, dass man von Mal zu Mal lediglich mehr Gegner aufs Schlachtfeld schmeißt, wenn gleichzeitig Glissa & Co. wie Götter durch den größten Energieblitzhagel und andere Widrigkeiten spazieren und stets zur rechten Zeit einen hilfreichen Zauber aus ihren Ärmeln zu ziehen wissen.

Der dritte Kritikpunkt betrifft die Protagonisten und lässt sich in drei Worten subsumieren: unglaubwürdig und oberflächlich. Unter den zahlreichen Personen, die auftauchen, um gleich darauf im Nebel der Geschichte wieder zu verschwinden, schenkt der Autor lediglich Glissa und Slobad etwas mehr Aufmerksamkeit – rein quantitativ versteht sich, denn von einer qualitativen Charkterentwicklung kann keine Rede sein. Anfangs wird Glissa als eine Person eingeführt, für die die Welt jenseits des Knäuels vollkommen unbekanntes Terrain darstellt. Im Fortgang der Geschichte erweist sich diese Tatsache als ebenso wenig prägend wie ihre anfängliche Trauer über den Tod der Eltern, der Schwester und – später – des Geliebten. Ähnlich oberflächlich verfährt der Autor mit Slobad: Eingeführt als mürrischer Einzelgänger, verstoßen, gezeichnet durch bittere Erfahrungen und Verluste, erweist sich der Goblin überraschend schnell als kontaktfreudiger Technikfreak (mit komischem Akzent). Als Ergebnis dieser Inkonsistenz scheinen sämtliche Emotionen und Verhaltensweisen der Protagonisten aufgesetzt, sodass dem Leser die Befindlichkeiten der Charaktere letztendlich egal bleiben.

Über die sprachlichen und stilistischen Qualitäten des Buches möchte ich mich nicht groß auslassen. Einige Begriffe scheinen etwas angestrengt eingedeutscht und klingen merkwürdig (bspw. Lakune, Gleichmacher, Knäuel, Mephidross, u. a.), was ich aber in Unkenntnis des Originals nicht abschließend werten will. Unterm Strich ist der Roman – stellt man keine allzu hohen Ansprüche – lesbar und erträglich geschrieben, was ihn von Band 2, „Das Nachtstahlauge“, signifikant positiv unterscheidet. Aber das ist eine andere Rezension …

Ein Roman mit einem interessanten Grundkonzept, dessen Potenzial der Autor jedoch zu keinem Zeitpunkt auch nur näherungsweise auszuschöpfen vermag. Was bleibt, sind ein Haufen seelenlos anmutender Action, plumpe Figuren und die vage Ahnung, dass eine große Chance vertan wurde, „Magic the Gathering“ auch für Nicht-Spieler genießbar zu machen.

© _Frank Drehmel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Johns, Geoff / Jimenez, Phil – Infinite Crisis 3 (von 7)

„Ein Heft voller Enthüllungen, voller Schlachtengetümmel, voller dramatischer Momente und Überraschungen“ – so steht es im Nachwort der dritten Ausgabe der „Infinite Crisis“, und so ist es auch tatsächlich. Endlich kommt ein wenig mehr Licht in die komplexen Verstrickungen im Multiversum, und endlich werden auch die etwas verwobenen Zusammenhänge klar. Mit anderen Worten: Jetzt kann’s richtig losgehen beim selbsternannten DC-Event des Jahres.

_Story_

In Sub Diego und Atlantis bricht die Hölle los, als ein Kontingent Society-Schurken plötzlich die Stadt und nachfolgend Atlantis angreift. Aquaman und seine Gefährten scheinen hilflos gegen die Armada der Bösewichte, die ihre Welt bedrohen, und können nur noch darauf hoffen, schnellstmöglich Hilfe von außen zu bekommen.

Währenddessen hadert Batman weiter mit dem Brother-Eye-Satelliten. Er versucht ihn davon zu überzeugen, das Geschehene rückgängig zu machen, ist aber gegen die Macht der Maschine ohne Chance. Als der Superman der Erde-2 ihn bittet, mit ihm in seiner Welt eine neue Erde aufzubauen und die fehlgeleiteten Dinge auf Erde-2 zu verbessern, widersetzt Batman sich ihm aber. Dies hieße nämlich, sein Leben auf der ‚richtigen‘ Erde zu opfern – und auch all die Personen, die dann ‚ersetzt‘ werden müssten. Doch als Batman sieht, welch verheerenden Dinge sich im Multiversum ereignen, gerät er ins Grübeln, ob seine Entscheidung die richtige war.

Auch Wonder Woman befindet sich in einer empfindlichen Schlacht. Die OMACs bedrohen das Volk der Amazonen und mit ihnen auch die Superheldin. Und Hilfe können sie nicht erwarten, denn nach außen hin wird der Krieg dargestellt, als hätte Wonder Woman ihn angezettelt. Es gibt nur eine Lösung: Die Flucht von der geliebten Paradiesinsel. Aber nicht nur hier tobt eine aussichtlose Schlacht; auch auf Erde-1 steigt eine neue Bedrohung auf: der Shadowpact, eine weitere Vereinigung von Bösewichten, die in den Vereinigten Staaten für jede Menge Unruhe sorgt. Und als wäre dies nicht schon genug, kämpft auch der Oberschurke Lex Luthor wieder – dieses Mal gegen sein eigenes Spiegelbild einer anderen Erde …

_Meine Meinung_

Ich möchte in meiner Kritik direkt noch einmal auf das oben angeführte Zitat eingehen und dabei vor allem die vielen Enthüllungen betonen, die in diesem Heft für ein gesteigertes Erzähltempo sorgen. Dies wird zwar weiterhin von den vielen Dimensionssprüngen zwischen all den handlungsbezogenen Schauplätzen bestimmt, nimmt aber gerade deswegen noch einmal Fahrt auf, weil die Hintergründe immer klarer werden. Endgültig scheinen die Rollen verteilt, und abgesehen vom ‚wahren‘ Batman, der noch immer vor einer ungewissen, persönlichen Zukunft steht, hat jeder Superheld seinen Part eingenommen. Verwirrung stiften lediglich die beiden Luthors, die hier ziemlich hart gegeneinander angehen und ihre individuellen Genies miteinander messen. Zu welchem Zweck, das muss sich erst noch zeigen.

Doch zurück zur verrufenen Erde-1, dort, wo ein monströses Inferno tobt und nach und nach auch große Teile der Zivilbevölkerung bedroht. Die dortige Welt wird immer deutlicher zum Schauplatz eines unaufhaltbaren Krieges, dessen Schlachtfelder vor allem in den großen Städten liegen. Noch können Superman und seine Gefährten sich der vielen Bösewichten erwehren, doch es ist allzu deutlich, dass ihr starker Wille nicht auf ewig die große Krise verhindern kann. Die einzige logische Lösung wäre, diese Erde sich selbst zu überlassen und an anderer Stelle ein neues Leben anzufangen, denn im Paralleluniversum scheint bereits Erde-2 ein sicherer Ort zu sein. Allerdings trügt auch hier der Schein, denn auch in dieser Welt herrscht eine bestimmte Hoffungslosigkeit, unter anderem geprägt durch die im Sterben liegende Lois Lane, deren hier lebendes Alter Ego zudem stark gealtert ist.

Zwischenzeitlich hat es den Eindruck, als hätte alleine Batman, der für die überdimensionale Krise ja mitverantwortlich ist, das Schicksal der Welt in der Hand, doch andererseits ist er absolut hilflos gegen die vielen Krisenherde, die sich um ihn herum und auf seinem Bildschirm in der Bathöhle breitmachen. Was kann er tun? Wird er dem ‚zweiten‘ Superman folgen und seinen Ratschlag beherzigen? Oder ist er ebenso wie die schon zur Hälfte zugrunde gerichtete Erde-1 dem Untergang geweiht?

Und was geschieht mit Wonder Woman? Ihre Geschichte wird mitunter zur Nebenhandlung, ist aber nichtsdestotrotz von großem Wert, denn auch sie kann und muss noch aktiv ins Geschehen eingreifen, damit das drohende Unheil abgewendet werden kann. Doch welche Möglichkeiten stehen ihr zu? Wird man ihr überhaupt noch Vertrauen schenken, wo doch die ganze Welt von dem OMACs geblendet und die Position der Superheldin somit verfälscht wurde?

Es ergeben sich weiterhin viele Fragen, unter anderem auch resultierend aus den verschiedenen Enthüllungen, die man in Ausgabe 3 antrifft. Zumindest bekommt man schon einmal in Ansätzen Klarheit über die Tragweite der „Infinite Crisis“, und das ist doch sehr angenehm, denn kurz vor Halbzeit der Serie erwartet man doch schon so etwas wie einen ungefähren Durchblick. Dieser ist nun gegeben, jedoch nicht ohne dass Autor Geoff Johns bereits neue Verstrickungen eingeführt hätte, mit denen er die Spannung weiter am Siedepunkt hält. Die Frage ist nur, wie lange ihm dies noch gelingen wird, denn der Umfang der Handlung ist bereits so immens groß, dass es schwierig sein wird, rechtzeitig die Kurve zu bekommen und auf ein homogenes Ende zuzusteuern.

Ich bin schon sehr gespannt, was er in den noch folgenden vier Ausgaben daraus machen wird, und ob es ihm gelingt, die Sache ‚rund‘ zu bekommen. Zwar habe ich daran an dieser Stelle noch absolut keine Zweifel, doch ist mir wohl bewusst, dass es keine einfache Aufgabe ist, ein derart gewaltiges Comic-Epos wieder in die rechten Bahnen zu lenken. Mit Band 3 hat er zumindest schon einmal einen wichtigen Anfang gemacht und für vorübergehende Klarheit gesorgt. Hoffentlich baut er in Zukunft darauf auf und löst die Geschichte weiterhin etappenweise auf. Bis dato ist die „Infinite Crisis“ trotz der anfänglichen Verworrenheit nämlich ein echter Erfolg.

http://www.paninicomics.de

Huiskes, Alexander A. / Franke, Jürgen E. – Perry Rhodan – Das Rollenspiel (Grundregelwerk)

|Die größte Science-Fiction-Serie der Welt erlebt in den letzten Jahren es großes Comeback. Neue Romane, überarbeitete Auflagen, Sonderbände, Kalender, Hörspiele und Poster lassen die Herzen der Perry-Fans höher schlagen. Doch nicht nur Fans der ersten Stunde, auch zahlreiche neue Fans konnte die Serie in den letzten Jahren verbuchen. Und mit dem neuen „Perry Rhodan“-Rollenspiel der edition DORIFER scheint nun ein neuer Stern am Science-Fiction-Rollenspielhimmel aufzugehen. |

_von Dominik Cenia_
Mit freundlicher Unterstützung unseres Partnermagazins [Ringbote.de.]http://www.ringbote.de/

_Was (oder wer) ist Perry Rhodan?_

Um 1961 erschienen in Deutschland die ersten „Perry Rhodan“-Romane in Form von Groschenromanen bei dem Verlag |Pabel-Moewig|. Die damaligen Autoren K. H. Scheer und W. Ernsting hatten die Serie eigentlich nur auf 50 Hefte ausgelegt. Doch nachdem bereits die ersten Ausgaben innerhalb kürzester Zeit nachgedruckt werden mussten, entwickelte die Serie ein quasi nie endendes Eigenleben, das bis heute anhält. Die Abenteuer des unsterblichen Raumfahrers Perry Rhodan und seiner Crew, die Begegnungen mit zahllosen Außerirdischen und Superintelligenzen bilden mittlerweile eine Jahrtausende überspannende Geschichte, die aktuell bis in das Jahr 4919 n. Chr. (1332 NGZ) reicht. Wer jetzt fürchtet, das Spielsystem sei nur etwas für gestandene „Perry Rhodan“-Experten, der wird erfreut sein zu hören, dass eine vortreffliche Zusammenfassung der galaktischen Ereignisse dem Regelteil des Rollenspiels vorausgeht.

Science-Fiction wird im Perryversum groß geschrieben. Verschiedene Galaxien, der Hyperraum, Raum-Zeit-Fallen, Psi-Technologie und Kosmokraten sind nur ein paar Elemente in Perrys Milchstraße. Selbst „Star Trek“ dürfte sich bei dieser Technologie ganz hinten anstellen …

_Midgard goes Perry Rhodan_

Das neue „Perry Rhodan“-Rollenspiel basiert auf den bewährten Regel von „Midgard“, wobei das System einer kleinen Frischzellenkur unterzogen wurde. Die Spieler übernehmen die Rollen von Raumfahrern, Agenten, Medikern, Söldnern oder Technikern verschiedener Völker und Spezies. Neben den Menschen (z. B. Aras, Akonen, Terraner) kann man auch zwischen den echsenhaften Topsidern, den merkwürdigen Jülziish oder den katzenhaften Kartanin wählen. Insgesamt neun verschieden Völker und vierzehn Archetypen stehen bei der Charaktererschaffung zur Auswahl. Wem das nicht reicht, der hat noch die Auswahl zwischen Berufen wie z. B. Planetograph, Astronom, Physiker, Scout, Kopfgeldjäger und noch einer ganzen Menge weiterer Tätigkeiten.

Die Charaktererschaffung und ­entwicklung ist sehr ausführlich geraten. Die Abenteurer im „Perry Rhodan“-Rollenspiel sind zwar keine unsterblichen Überhelden, die Dimensionen verschieben können, stechen aber trotzdem weit aus dem Durchschnitt hervor. Die Charaktere bestehen zum einen aus Eigenschaften (z. B. „Geschicklichkeit“) und Fertigkeiten (z. B. „Astrogation“ oder „Computernutzung“). Neben volksbedingten Fähigkeiten hat jeder Charakter zum anderen noch Vorzüge und Mängel, also Vor- und Nachteile. Vor allem bei den über hundert Fertigkeiten hat man bei der Auswahl nicht gespart, sodass eigentlich für jeden etwas dabei sein müsste.

Psi-Kräfte ersetzen die klassische Magie und Zauberei und lassen sich in verschiedenen Psifeldern lernen (z. B. Antipsi, Parakinese, Psychokognition usw.). Das Regelsystem von „Midgard“ lässt eine unglaubliche Vielzahl an Möglichkeiten bei der Charaktererschaffung zu, sodass es einer Gruppe anfangs vielleicht etwas schwerfällt, ein möglichst ausgeglichenes Team auf die Beine zu stellen. Außerdem ist die Charaktererschaffung zum Teil etwas formellastig geworden. Gerade beim Ausrechnen der persönlichen Ausstrahlung, der Selbstbeherrschung oder der abgeleiteten Eigenschaften sind richtige kleine Rechenoperationen mit Taschenrechner nötig. Muss das wirklich sein?

Der zweite Teil des Buchs erklärt alle Regeln, die für das Spiel notwendig sind. Neben einer Beschreibung der Fertigkeiten und Psi-Kräfte gibt es Regeln für den Kampf, Erfahrung und Lernen, Raumkämpfe, Verwundungen und Ausrüstung.

Kämpfe im Perryversum haben starke Bezüge zu Tabletop-Spielen. Zinnminiaturen und Spielpläne mit quadratischen Feldern werden empfohlen und mit entsprechenden Beispielen im Kapitel „Kampf“ dargestellt. Es gibt Tabellen für kritische Treffer und ein paar Zahlendiagramme für den Einsatz von Schusswaffen.

Bei den meisten Feuergefechten kommen Energie- und Schutzschilde zum Einsatz, die ein Charakter direkt am Körper tragen kann. Diese sind auch bitter nötig, denn der Einsatz von Blastern und Hitzestrahlern kann verdammt tödlich sein. Ähnlich läuft der Kampf mit Raumschiffen ab. Leder vermisse ich die Möglichkeit, spezielle Manöver zu fliegen oder andere Schiffe zu entern. Die für ein Science-Fiction-Rollenspiel üblich umfangreichen Regeln für Raumschiffe und Schiffskonstruktionen fehlen bei „Perry Rhodan“ leider völlig. Nur zwei Raumschiffstypen werden genauer beschrieben.

Ein weiteres großes Kapitel beschäftigt sich mit Ausrüstung und Bewaffnung. Neben verschiedenen Robotern kennt das Perryversum Körperimplantate, Klonrepliken, Transmitter und verschiedene Feldtechniken. Bei den Waffen kommen neben archaischen Nahkampfwaffen auch Strahlen- und Plasmawaffen sowie Nadler, Kombi- und Sprengwaffen zum Einsatz. Obwohl das Kapitel recht ausführlich geworden ist, sind die Tabellen für allgemeine Ausrüstung, Kleidung, etc. etwas knapp ausgefallen.

Alles in allem macht das Rollenspiel jedoch einen guten Eindruck. Ein beiliegendes Poster mit dem spielbaren Völkern und ein paar wirklich hübsche Farbtafeln lockern das ansonsten ziemlich textlastige Buch ein wenig auf. Die Bindung des Hardcovers ist von der Qualität her sehr gut geworden. Die Karte der Milchstraße auf dem Vorsatz ist etwas detailarm.

Das Rollenspiel ist meiner Ansicht nach weniger für Anfänger gedacht. Ein reines Kapitel für den Spielleiter fehlt ganz. Und das im Anhang befindliche Bestarium bietet nur eine geringe Auswahl an möglichen Gegnern. Auch fehlt ein Einstiegsabenteuer. In meinen Augen ein echtes Problem, denn irgendwie will die Charaktererschaffung mit der Geschichte von „Perry Rhodan“ nicht so ganz zusammenpassen. Die meisten Perry-Geschichten sind von epischer Größenordnung. Kämpfe mit Superintelligenzen und feindlichen Imperien sind für frisch geschlüpfte Spieler dann doch ein paar Nummern zu groß. Leider bietet das Buch auf der anderen Seite aber zu wenig Ideen, welche Art Abenteuer man mit unerfahrenen Helden stattdessen spielen könnte.

_Fazit:_ Endlich mal wieder ein deutschsprachiges Science-Fiction-Rollenspiel abseits von D20! Wer den Klassiker „Traveller“ kennt und mag, wird hier einen würdigen Nachfolger finden. Die ausführliche Charaktererschaffung, die zahlreichen Fertigkeiten und das taktische Kampfsystem zeichnen das „Perry Rhodan“-Rollenspiel aus. Etwas enttäuschend sind allerdings die zu knapp ausgefallenen Regeln für Raumschiffe und Raumkämpfe sowie die fehlende Zugänglichkeit für Einsteiger. Außerdem fällt es mir persönlich etwas schwer, die passenden Abenteuerideen für eine relativ normale Gruppe im Perryversum zu entwickeln.

Trotzdem empfehlenswert! Vor allem, weil der Preis von 34,80 Euro für fast 350 Seiten im Hardcover keinesfalls zu hoch ist.

Haberlin, Brian (Autor) / Anacleto, Jay (Zeichner) – Athena Inc. 1

_Story_

Gwen ist ein glückliches, verwöhntes Mädchen, welches in seinem Alltag bislang selten über Hindernisse gestolpert ist. Doch bis heute hat Gwen auch noch nie etwas von ihrer Vergangenheit erfahren. Mary hingegen ist eine brutale Auftragskillerin, eine Agentin, die nicht lange fackelt und dafür auch innerhalb ihrer geheimen Organisation sehr geschätzt wird. Ihr Geheimnis: Sie teilt ihren Körper mit einer zweiten Person, einem Menschen, der von seinem Schicksal noch nichts ahnt, bis plötzlich die Athena Inc., Marys Ausbildungsstätte, beide Frauen verfolgt.

Langsam aber sicher wird sich Gwen bewusst, welch grauenvolles Geheimnis ihre Person umgibt. Sie ist der zweite Teil, nicht nur psychisch sondern auch physisch, und soll nun für die Taten ihres Schattens mitbestraft werden. Den anderen Teil ereilt nämlich der Ruf des ‚Manhunters‘, und als solcher hat sich Mary im Laufe der letzten Jahre zahlreiche Feinde gemacht, was ihr und auch Gwen nun zum Verhängnis werden soll.

_Meine Meinung_

Brian Haberlin verfolgt im ersten Teil seiner „Athena Inc.“-Reihe einen unheimlich interessanten Ansatz, sowohl strukturell als auch inhaltlich. „The Manhunter Project“ ist nämlich in keiner Weise das, was man unter einem gewöhnlichen Comic versteht, sondern schon ein sehr eigenwilliger Thriller, der alleine bezüglich des Aufbaus sämtliche Grenzen sprengt – was ja beim |Infinity|-Verlag mittlerweile kein Novum mehr ist.

ALl dies beginnt schon damit, dass es in „Athena Inc.“ keine handelsüblichen Sprechblasen gibt. Die düsteren, futuristischen Zeichnungen werden stattdessen mit längeren Textfeldern belegt, deren Anordnung zunächst einmal sehr konfus erscheint. Es ist nämlich nicht so, dass jeder geschriebene Abschnitt auch gleich einem entsprechenden Bild zuzuordnen ist. Vielmehr bekommt man, jedenfalls zu Beginn, den Eindruck, als würden Zeichnungen und Dialoge unabhängig voneinander agieren, so dass man sich schon sehr genau konzentrieren muss, um den Überblick zu behalten – zumal es ja auch hinsichtlich des Inhalts gar nicht mal so einfach ist, der Entwicklung der beiden Protagonistinnen und ihrer Zusammenhänge zu folgen.

Aus diesem Grunde wollte ich mich nach den ersten gelesenen Seiten auch schon zu der Aussage hinreißen lassen, dass diese neue Reihe ausschließlich für absolute Freaks geeignet ist, allerdings konnte dieser Eindruck nach und nach relativiert werden, weil sich die Ereignisse immer deutlicher zusammenfügen lassen und man nach gut der Hälfte dieses ersten Bandes den Blick fürs Wesentliche bekommen hat. Bis dorthin ist „The Manhunter Project“ aber eine verdammt harte Nuss, von der man ständig in die Irre geführt wird, und deren unkonventionelles Erscheinungsbild die gesamte Dauer über gewöhnungsbedrüftig bleibt.

Nachdem man diese Hindernisse allerdings übersprungen hat, wird man Zeuge einer wahrhaft rasanten Action-Handlung, deren schizophren anmutende Charaktere ebenso wie der Comic an sich absolut einzigartig sind. Man weiß irgendwie alles und nichts über Mary und Gwen, glaubt vor allem, das Handeln der Erstgenannten zu durchschauen, fällt aber wieder in ein Loch, während ihr Kontrapart noch hart mit sich kämpfen muss, ihre ‚böse‘ Seite zu erfahren, kennen zu lernen und zu akzeptieren bzw. zu tolerieren. Für sie scheint mit einem Mal alles so sinnlos zu sein; ihr Leben, ihre falsche Vergangenheit und ihre manipulierte Identität, von der sie tagein, tagaus durch ihre Scheinwelt geführt wurde.

Dieser Zwiespalt wurde auch von Zeichner Jay Anacleto sehr gut eingefangen, dessen finstere Charakterprofile in „Athena Inc.“ zum besten gehören, was der Comicmarkt dieser Tage zu bieten hat. Mit seinen düsteren Illustrationen verschärft er von Seite zu Seite die dichte Atmosphäre dieses spannenden Agenten-Thrillers und erlaubt sich bei all seiner unterschwelligen Detailverliebtheit nicht einen Patzer. Mit einem Wort: Stark!

Überhaupt funktionieren Anacleto und Haberlin als Team sehr gut und ergänzen sich an den erforderlichen Stellen nahezu perfekt. Für den Zeichner muss diese Arbeit aber auch eine sehr schwere Aufgabe gewesen sein, denn sein Kollege hat ihm auf manchen Seiten derart umfangreiche Texte zur Verfügung stellt, deren Dramatik Anacleto wiederum in nur ein oder zwei Darstellungen aufarbeiten musste. Aber wie gesagt, seine Zeichnungen sind über alle Zweifel erhaben!

Dies ist im Grunde genommen auch der gesamte Comic, wenngleich die anfangs leicht kritisierte Aufmachung zu einem echten Stolperstein werden könnte. Die komplexe Geschichte ist die eine Sache, die schwer überschaubare Darstellung die andere. Wer „Athena Inc.“ verstehen und genießen möchte, muss daher auch ein wenig Zeit investieren, um die Kombination aus Bild un Text auf sich wirken zu lassen, denn andernfalls wird man hier schnell den Faden verlieren. Dass es sich aber lohnt, seinen Horizont mit diesem ersten Band zu erweitern, steht außer Frage. So ambitioniert und fortschrittlich, aber auch derart wagemutig wie Haberlin gehen heute nur wenige Autoren an ihre Arbeit heran, und genau das gilt es auch reichlich zu honorieren.

http://www.infinity-verlag.de/

Conor Kostick – Epic

Story

Nach einer gewaltigen Explosion auf der alten Erde sah sich das Zentrale Lenkungskomitee auf Neuerde dazu gezwungen zu handeln. Beschlossen wurde fortan, dass alle Probleme, die sich dort ergeben, nur noch in der virtuellen Welt des Computer-Rollenspiels ‚Epic‘ gelöst werden sollen,und dies in der dortigen Arena.

Erik und seine Familie sind von dieser Entscheidung auch betroffen und müssen auch schon erste Opfer bringen. Seine Mutter war der Epic-Welt nicht mehr gewachsen, und auch Erik selber hat unlängst ein weiteres Leben in der Cyberwelt verloren. Ihm bleibt nur noch die eine Chance, mittels eines weiteren selbst kreierten Charakters in ‚Epic‘ zu bestehen und das Zentrale Lenkungskomitee zu besiegen, und hierfür greift er auf recht unkonventionelle Mittel zurück.

Conor Kostick – Epic weiterlesen

Tobias O. Meißner – Hiobs Spiel – Traumtänzer

_Handlung_

Und weiter geht das wilde Höllenspiel um den Posten als Herrscher des Wiedenfließ. Wie auch im ersten Buch hat der junge, aber ehrgeizige Hiob Montag sich zum Ziel gemacht, den Herrscher des Wiedenfließ zu stürzen und selber über die Schicksale der Menschen bestimmen zu können. 78 Punkte sind das Ziel, und inzwischen fehlen nur noch 71. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn der Gegenspieler nicht anfinge aufzurücken.

_Schreibstil_

Tobias O. Meißner – Hiobs Spiel – Traumtänzer weiterlesen

Pepper, Kate – 7 Minuten zu spät

Die Freundinnen Alice, Lauren und Maggie sind alle Mitte dreißig und stehen sich so nah wie Schwestern. Alice, verheiratet und bereits Mutter zweier Kinder, ist im sechsten Monat mit Zwillingen schwanger. Auch Lauren steht kurz vor der Entbindung ihres zweiten Kindes. Die beiden Frauen freuen sich schon auf die gemeinsame Zeit mit ihren Babys. An einem heißen Sommertag kommt Alice mittags ein paar Minuten zu spät zu ihrer Verabredung. Alice und ihrem Mann wurde die Wohnung gekündigt und sie braucht ihre Freundin dringend als Beraterin, da diese gerade eine ähnliche Erfahrung gemacht hat. Doch Lauren erscheint nicht am Treffpunkt. Zunächst macht sich Alice keine Sorgen. Sie holt ihre beiden Kinder, Nell und Peter, und Laurens Sohn Austin von Kindergarten und Schule ab, schaut bei Kollegin Maggie vorbei, mit der sie gemeinsam einen Schuhladen führt und nimmt deren Sohn mit zum Einkaufen.

Die Zeit vergeht und niemand hat etwas von Lauren gehört. Alice vermutet, dass bei ihr frühzeitig die Wehen eingesetzt haben, aber auch die Anrufe in allen Krankenhäusern bleiben ohne Erfolg. Laurens Ehemann Tim ist in großer Sorge und verständigt am Abend schließlich die Polizei. Die Ermittlungen ergeben, dass Lauren auf dem Weg zu ihrem Schwangerschaftsgymnastik-Kurs verschwunden ist. Wenige Tage später dann der Schock: Laurens Leiche wird im Fluss gefunden. Lauren wurde mit einem Kopfschuss getötet. Anschließend wurde ihr Bauch aufgeschnitten und das Baby entführt.

Alice und die anderen stehen unter Schock. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Bereits vor zwei Jahren verschwand eine schwangere Frau in der gleichen Gegend. Hat es ein Serienmörder auf die ungeborenen Babys abgesehen? Lebt Laurens Kind etwa noch? Eine fieberhafte Suche nach dem Täter und dem Baby beginnt. Doch auch Alice bekommt immer mehr das Gefühl, in Gefahr zu schweben, seit sie ein seltsamer Mann verfolgt. Aber sie will nicht eher ruhen, bis Laurens Mörder gefunden ist …

Eine verschwundene Frau, ein grausamer Mord, die Suche nach einem Baby und die Mördersuche einer Schwangeren, die sich selber dabei in Gefahr bringt – aus diesen Zutaten hat die Autorin einen über weite Strecken unterhaltsamen, wenn auch nicht überdurchschnittlichen Thriller gebastelt.

|Spannung in der ersten Hälfte|

Die Spannung ist von Anfang an hoch. Nur wenige Seiten dauert es, bis klar ist, dass Alices Freundin Lauren etwas zugestoßen sein muss. Gerade weil es sich um eine hochschwangere Frau handelt, ist die Situation besonders brisant. Der Leser wird hineingesogen in die hektische Suche nach der werdenden Mutter. Die Polizei führt erste Ermittlungen durch, Alice und ihre Freunde hängen Suchzettel in den Straßen auf, die Freundin macht gar Anstalten, eine Internetseite zu der Vermissten zu erstellen. Mit jeder weiteren Stunde, die vergeht, schwindet die Chance, dass Lauren unversehrt gefunden wird.

Als ihre Leiche auftaucht, entstehen gleichzeitig unzählige neue Fragen: Wo ist das Baby, lebt es noch? War Lauren ein Zufallsopfer oder wurde sie gezielt ausgesucht? Schweben auch andere schwangere Frauen in Gefahr? Besteht ein Zusammenhang mit der vor zwei Jahren verschwundenen Christine? Dem Leser wie den Charakteren ist völlig unklar, wer hinter dem grausamen Mord stecken mag. Lauren schien keine Feinde zu haben, ihre Angehörigen sind geschockt und ratlos.

Besonders fesselnd wird es, als Alice sich mehr und mehr beobachtet fühlt und Grund zur Annahme hat, dass auch sie ins Visier des Täters geraten ist. Gleichzeitig aber weiß Alice oft nicht, wie viele der Gefahren, die sie sieht, wirklich existieren – oder ob sie sich manche Dinge nicht aus Angst einbildet. Auch die Polizei reagiert skeptisch auf einige ihrer Mutmaßungen; immerhin ist Alice hochschwanger, die bevorstehende Zwillingsgeburt schwächt sie körperlich, dazu der schwere Schock über den Tod der Freundin. Ähnlich wie in „Rosemarys Baby“ wissen weder Alice noch der Leser hundertprozentig, welche Verdächtigungen ihrer angespannten Phantasie und welche realer Gefahr zuzuschreiben sind.

Hochgehalten wird die Spannung zusätzlich durch das rasche Tempo, in dem die Handlung verläuft. Es existieren keine abschweifenden Nebenschauplätze. Die Story verläuft geradlinig, auch die Sätze sind eher kurz gehalten, die Beschreibungen eher spartanisch, sowohl was Örtlichkeiten als auch was das Aussehen der Personen angeht. Selbst wenn man das Buch mal eine Weile zur Seite legen sollte, gibt es keine Probleme, sich anschließend wieder in die Geschichte hineinzufinden.

|Sympathische Protagonistin|

Einen guten Anteil an der Spannung trägt auch die Hauptfigur Alice mit sich. Alice ist zwar kein herausragender Charakter, aber angenehm sympathisch. Als Leser leidet man mit ihr, wenn sie vom Tod ihrer Freundin erfährt. Ihre Lage wird durch ihre Schwangerschaft zusätzlich belastet. So fürchtet man nicht nur, dass der Täter es auch auf sie abgesehen haben könnte, sondern ebenso um ihren Gesundheitszustand.

Darüber hinaus lernt man Alice nicht nur als Mörderjägerin kennen, sondern es werden auch Aspekte aus ihrem alltäglichen Leben mit eingeflochten. So muss sie sich mit den oft gegensätzlichen Ansichten ihrer Freundin Maggie auseinandersetzen, die ihr manches Mal weniger eine Stütze als vielmehr ein Ärgernis bedeutet. Auch ihre Ehe ist einer Belastungsprobe ausgesetzt, denn Ehemann Mike arbeitet fast rund um die Uhr. Dazu kommen die Probleme mit ihrem neuen Hauseigentümer, der sie dazu zwingt, sich unter Zeitdruck ein neues Heim suchen zu müssen.

Zu guter Letzt fühlt sich Alice auch, was ihr Verhältnis zur Polizei betrifft, hin- und hergerissen. Einerseits ist ihr die junge Ermittlerin Frannie, die sie per Zufall bereits im Vorfeld kennen lernte, mehr als sympathisch. Sie hofft, in ihr eine neue Freundin zu finden, muss aber feststellen, dass die Umstände kein normales Verhältnis zulassen.

|Schwächen im zweiten Teil|

Leider stellen sich vor allem in der zweiten Hälfte einige Schwächen ein. Zum einen wird bald klar, dass es nicht um einen perfiden Serienkiller geht, der Ritualmorde verübt. Im Gegenteil, die Spuren, die verfolgt werden, deuten auf ganz profane Gründe für den Mord hin. Die Täterfrage wird zwar erst kurz vor Schluss geklärt, aber die Spannung verpufft merklich. Auch wenn Serienmörder nichts Neues mehr sind, bringen sie doch meist ein unheimliches Flair mit sich, ein Katz-und-Maus-Spiel, eine Note des Unberechenbaren, das zusätzlich Angst einflößt. Stattdessen konzentrieren sich die Ermittler und Alice auf Personen, die ganz rationale Gründe verfolgen könnten, Lauren aus dem Weg zu räumen.

Die zweite Schwäche liegt im sehr abrupten Ende, das insgesamt gesehen auch nicht besonders glaubwürdig ist. Im Gegensatz zu guten Thrillern stellt sich hier keine Erleichterung beim Leser ein, wenn sich die Täterfrage klärt. Der Schluss bietet kein klug eingefädeltes Aha-Erlebnis, sondern eher eine Enttäuschung. Statt einer befriedigenden Auflösung erwartet uns eine Pointe, die zu bemüht wirkt, um sich angemessen aus der vorherigen Handlung zu ergeben. Zwar bleiben keine wichtigen Fragen offen, doch das Ende wird zu kurz abgehandelt und wirkt lieblos angefügt.

Noch verwirrender ist der kurze Epilog, der etwa zwei Jahre nach den Ereignissen spielt. Vermutlich soll er beim Leser Nachhaltigkeit bewirken, ruft aber tatsächlich mehr Verärgerung hervor, da die Ereignisse zu konstruiert sind.

_Als Fazit_ bleibt ein in der ersten Hälfte durchaus unterhaltsamer und spannender Thriller um einen Mord und ein entführtes Baby. In der zweiten Hälfte lässt die Spannung deutlich nach, dem Täterkreis und dem Motiv fehlt es an Brisanz. Auch das abrupte Ende und der konstruierte Epilog enttäuschen. Insgesamt ein durchschnittlicher Thriller, der thematisch vor allem Leserinnen anspricht.

_Die Autorin_ Kate Pepper wurde in Frankreich geboren und lebt heute mit ihrer Familie in New York. Nebenbei gibt sie Kurse in Kreativem Schreiben. Ihr Debütroman „5 Tage im Sommer“ erschien 2005.

Robert Harris – Imperium

Nach seinem viel gepriesenen Roman „Pompeji“ setzt Robert Harris seine Linie konsequent fort. Mit „Imperium“ siedelt er die Handlung erneut im Römischen Reich an, um dort mittels einer bekannten historischen Figur einen Politik-Thriller zu konzipieren, dessen Brisanz ohne Weiteres auch auf die Gegenwart bezogen werden kann. Auch wenn viele Elemente der Handlung unter dem Schleier der Vergangenheit nicht mehr vollständig rekonstruiert werden konnten und daher von Harris dramaturgisch geschickt gefüllt wurden, stützt sich der Autor auf zahlreichen zeitgenössische Quellen. Sein Studium im Cambridge und seine langjährige journalistische Arbeit haben ihn mit akribischer, aber dafür fruchtbarer Recherche vertraut gemacht. Und sein Vorgehen zahlt sich aus, denn nach „Pompeji“ gelingt es dem Briten ein weiteres Mal, der römischen Epoche gerecht zu werden und zugleich einen spannenden Roman abzuliefern.

Robert Harris – Imperium weiterlesen

Ruth Rendell – Das Verderben

Rendell Wexford Verderben Cover TB 2004 kleinJunge Frauen werden entführt, ein Kind verschwindet, ein Familientyrann wird ermordet: In einer englischen Kleinstadt schürt die Angst die Aufregung zur Lynchstimmung, während die Polizei unter Zeitdruck die wirren Tatfäden zu entwirren versucht … – Der 18. Wexford-Krimi präsentiert einen Plot, der einerseits beliebig und andererseits übertrieben wirkt; besonders logisch ist das Geschehen zudem nicht, weshalb vor allem die Routine einer erfahrenen Autorin für Lektüre-Unterhaltung sorgt.
Ruth Rendell – Das Verderben weiterlesen

Brandis, Katja – Verrat der Feuer-Gilde, Der (Kampf um Daresh 1)

Die Reihe „Meister der Fantasy“ im |Ueberreuter|-Verlag verspricht Qualität. Schließlich werden hier auch die jeweiligen Gewinner des Wolfgang-Hohlbein-Preises verlegt. Katja Brandis‘ „Der Verrat der Feuer-Gilde“ muss also hohe Erwartungen erfüllen …

Bevor man den Inhalt des Buches erläutert, lohnt es sich, einen Blick auf das Land Daresh zu werfen, in dem die Geschichte spielt. Es ist eine bunte Fantasywelt mit magischen Geschöpfen, wie man sie ähnlich auch von der amerikanischen Fantasyautorin Tamora Pierce (u. a. „Die schwarze Stadt“) kennt. Da gibt es zum Beispiel Dathlas, echsenartige Reittiere, die sich bei Gefahr eingraben, und jede Menge so genannter Halbmenschen. Iltismenschen, Storchmenschen, Nattermenschen … Brandis fehlt es auf jeden Fall nicht an Fantasie.

Im Mittelpunkt des Buches stehen allerdings die vier Gilden – benannt nach den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft -, in denen der Großteil der Bevölkerung organisiert ist. Jede Gilde lebt unter sich und ihre Mitglieder haben jeweils bestimmte Eigenschaften, die sie dazu benutzen können, um nach einer Lehre Meistertitel verschiedenen Grades zu erwerben.

Die fünfzehnjährige Rena ke Alaak gehört zur Erd-Gilde und macht gerade eine Ausbildung bei ihrem Onkel im Weißen Wald. Eines Tages nimmt er sie mit zur Felsenburg, in der die Regentin residiert, deren Regierungsstil nicht gerade beliebt ist bei der Bevölkerung. Sie unterdrückt ihre Untertanen, und anstatt dafür zu sorgen, dass die Gilden in Frieden zusammenleben, scheint sie deren Zwistigkeiten sogar noch zu unterstützen.

Als Rena einen Streifzug durch die Felsenburg unternimmt, wird sie von einer magischen Kraft in einen Raum gelockt, wo die „Quelle“ liegt, ein weißer, unscheinbarer Stein. Doch nachdem sie ihn berührt hat, verändert sich einiges. Die Iltismenschen, die gegen ihren Willen als Diener missbraucht werden, zetteln eine Revolte an und Rena versteht die Sprachen der Halbmenschen. Um für ihre Tat nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden, muss sie fliehen.

Auf ihrer Reise begegnet sie dem offenen Hass, den die einzelnen Gilden untereinander pflegen, und wird Zeugin mehrerer Gildenfehden. Um ihren lang gehegten Wunsch, Mitglied in der Feuergilde zu werden, zu erfüllen, wird sie Dienerin bei der raubeinigen Alix ke Tassos, die im Dienst ihres Rates den Spion finden soll, der die geheimen Formeln der Feuer-Gilde verbotenerweise an die Regentin weitergibt. Als ihre Mission misslingt, geht sie murrend auf Renas Vorschlag ein, vor den Räten der anderen Gilden vorzusprechen und um den Frieden zu bitten. Sie begeben sich auf eine lange Reise durch Daresh, die zuerst von Erfolg gekrönt ist, doch dann werden sie verraten …

Katja Brandis‘ Debüt ist von der ersten Seite an packend. Das hängt damit zusammen, dass sie auf einen langen, einleitenden Vorspann verzichtet und stattdessen Rena sofort ins Verderben schickt. Danach geht es Schlag auf Schlag, was dem Buch nur guttut. Es gibt kaum Verschnaufpausen. Im Gegenteil passiert am Ende so viel auf einmal, dass es beinahe ein wenig unübersichtlich wird. Doch ansonsten zieht sich ein schnurgerader Strang Spannung durch das Buch, wie man es gerne bei jedem sehen würde.

Ein weiterer, wichtiger Grund für den mitreißenden Charakter des ersten Bandes der „Kampf um Daresh“-Triologie ist das Zusammenspiel der beiden Hauptcharaktere Rena und Alix, die zehn Jahre Altersunterschied zwischen sich haben. Während Rena das leicht naive, aber dennoch entschlossene Mädchen in der Pubertät ist, mimt Alix die raubeinige Kämpferin mit eisernem Willen und feurigem Charakter. Gegensätze ziehen sich an und nachdem Alix ihre Dienerin am Anfang nicht wirklich ernst genommen hat, entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden.

Auch sonst spart Brandis nicht mit frischen Gesichtern. Eine ganze Fülle von Charakteren baut sie in ihre Geschichte ein und es ist ihr und dem Personenverzeichnis zu Gute zu halten, dass der Leser dadurch nicht verwirrt wird. Stattdessen beleben die Nebenpersonen den Roman ungemein und bringen beständig frischen Wind in die Angelegenheit. Es ist zwar nicht jede Person zu hundert Prozent perfekt ausgearbeitet, aber alle sind immerhin so gut erdacht, dass sie ihren eigenen Platz in der Geschichte haben.

Der Schreibstil ist solide, aber nicht herausragend, auch wenn Alix ein wenig trockenen Humor in die Dialoge bringt. Ansonsten erfüllen die Buchstaben ihren Zweck: Sie tragen die Geschichte und unterstützen deren packende Wirkung mit ihrer klaren, nüchternen Struktur. Anderweitig lassen sich wenig Eigenheiten ausmachen, jedoch auch keine negativen Punkte.

„Der Verrat der Feuer-Gilde“ ist ein Debüt, das sich sehen lassen kann. Figuren, Handlung und die Atmosphäre gefallen wirklich sehr, doch leider wirkt der Schreibstil recht beliebig, was verhindert, dass das Buch zur Crème de la crème gehören könnte.

http://www.piper.de

H. P. Lovecraft – Der Fall Charles Dexter Ward

lovecraft-charles-dexter-ward-cover-2006-kleinEin unvorsichtiger Privatforscher erweckt einen bösen Hexenmeister zum Leben. Der Schurke nimmt seine Stelle ein, um seinem blasphemischen Handwerk erneut nachzugehen, bis sich zwei beherzte Männer gegen das Grauen stellen … – Locker dem „Cthulhu“-Zyklus angehörend, erzählt Autor Lovecraft die bekannte aber spannende Geschichte vom Zauberlehrling, der nicht mehr los wird, was er gerufen hat. Die Geschichte enthüllt sich gekonnt pseudodokumentarisch aus alten Dokumenten, Berichten, Zeitungsartikeln etc., bis sie ihren Bogen im Finale in einem wahren Pandämonium vollendet.
H. P. Lovecraft – Der Fall Charles Dexter Ward weiterlesen

Goebel, Joey – Freaks

Bevor Joey Goebel für seinen Roman [„Vincent“ 1827 reichlich Applaus erntete, schrieb er bereits ein Drehbuch, das, umgeschrieben zum Roman „Freaks“, nun zu etwas verspäteter Ehre kommt. „Freaks“ ist ein Roman, der gleich mit dem ersten Satz bereits Punkte sammelt, steigt er doch mit einem der vermutlich besten Romananfänge der Literaturgeschichte in die Handlung ein: |“Leicht war es nicht, sechs Milliarden gebrochene Herzen auf einmal zu flicken, doch ich schaffte es.“| (S. 9)

Bei „Freaks“ ist der Name Programm. Die titelgebenden Freaks sind eine Band, zur der kaum ein Name besser passen dürfte als „The Freaks“. Eine bunter zusammengewürfelte Truppe dürfte man in noch keinem Probenraum der Welt gesehen haben.

Frontman und Sänger der Gruppe ist Luster, ein schwarzer Hobbyphilosoph und Möchtegern-Weltverbesserer. Aufgrund seiner schnellen Zunge und seines nie enden wollenden Redeschwalls sonderbaren Inhalts glauben die meisten Leute, er wäre durchgehend auf Drogen. Das mag auch schon deswegen naheliegen, weil seine Brüder stadtbekannte Dealer sind, hat mit der Realität aber nichts zu tun, denn Luster ist konsequent drogenfrei.

An den Drums sitzt die bildschöne, im Rollstuhl sitzende, 19jährige Aurora. Derzeit versucht sich die ehemalige Stripperin als Satanistin, was ihr permanentes Konfliktpotenzial in der ohnehin schon angekratzten Beziehung zu ihrem Vater, einem Pfarrer, liefert.

Gitarristin Opal zieht mit ihren 80 Jahren den Altersdurchschnitt der Band enorm nach oben. Sie will auf ihre alten Tage noch einmal richtig abrocken und fühlt sich eigentlich zu jung fürs Altersheim. Sie will noch mal richtig Spaß haben, ohne sich darum zu scheren, dass sie mit ihren Cowboystiefeln und dem Sex-Pistols-T-Shirt von den meisten Leuten ausgelacht wird.

Das krasse Gegenteil (zumindest dem Alter nach) ist Ember, die Bass spielt. Ember ist gerade einmal acht Jahre alt und damit kaum größer als ihre Bassgitarre. Auch Ember hat ein etwas gestörtes Verhältnis zu ihrer Umwelt, vor allem zu Eltern und Lehrern. Sie hasst alles und jeden, außer ihren Bandkollegen. Sie will alles sein, aber nicht süß.

Der fünfte im Bunde ist Ray, der Keyboarder. Ray ist ein irakischer Ex-Soldat, der sich nach Kentucky aufgemacht hat, um den amerikanischen Soldaten zu suchen, den er im ersten Golfkrieg verwundet hat. Ray will sich eigentlich nur entschuldigen, hat sich aber inzwischen so gut in Amerika eingelebt, dass er amerikanischer ist als so mancher Amerikaner.

Das Thema von „Freaks“ – eine kleine Band aus dem Mittleren Westen, die ihr Glück versucht – dürfte Joey Goebel aus persönlicher Erfahrung vertraut sein. Goebel, in Kentucky geboren, tourte früher mit seiner Punkrockband „The Mullets“ durch den Mittleren Westen.

Joey Goebel erzählt die Geschichte der Band aus ständig wechselnden Perspektiven. Jeder Absatz gibt in der Überschrift an, aus wessen Sicht er erzählt wird. Dabei werden auch vermeintliche Statisten zu Erzählern. Immer wieder lässt Goebel Außenstehende die Hauptfiguren beobachten – ein kleiner Kniff, um seine kuriosen Hauptfiguren auch immer wieder aus der Distanz betrachten zu können. Ihre Wirkung auf Außenstehende, ihr kurioser Eindruck, wenn sie zusammen einen Raum betreten, all das wird so besonders deutlich vermittelt.

Durch die ständigen perspektivischen Sprünge liegt dem Roman ein recht hohes Tempo zugrunde. Die Geschichte entwickelt sich mit einiger Dynamik und die perspektivischen Wechsel sorgen für eine gewisse Spannung. Teils bekommt man erst durch das Zusammensetzen der unterschiedlichen Beobachtungen und Gedanken ein vollständiges Bild der Geschehnisse, was den Reiz, der Geschichte weiter zu folgen, mit fortschreitender Seitenzahl erhöht.

Auf den ersten Blick mag „Freaks“ wie ein oberflächlicher Unterhaltungsroman erscheinen. Die Figuren wirken allesamt zu abgedreht, um realistisch zu erscheinen. Vielmehr polarisieren sie, stellen jeder für sich ein eigenes Extrem dar und erfordern auch beim Leser ein gewisses Maß an Toleranz. Wenn Goebel allerdings die Gedanken der unterschiedlichen Protagonisten schildert, dringt er tiefer in die Persönlichkeiten ein. Man kann zwar dennoch nicht gerade sagen, man würde in die Figuren eintauchen und mit ihnen fühlen können, dennoch macht Goebel ihre Motive und Gedanken größtenteils recht gut deutlich.

Das alles reicht verständlicherweise noch nicht für einen überragenden Roman, aber es gibt da noch die sprachliche Komponente, die Joey Goebel besonders auszeichnet. Auch sprachlich legt Goebel ein recht hohes Tempo vor. Er formuliert vor allem aber gewitzt und mit einer gewissen Ironie. Der Humor geht dabei gar nicht so sehr auf Kosten der Protagonisten, wie man mit Blick auf ihr Erscheinungsbild meinen möchte, sondern mehr auf Kosten ihrer Umwelt. Immer wieder kann man über komische Situationen und sonderbare Gespräche schmunzeln, die stets auch ein Stück weit den Geist der Zeit einfangen und die gesellschaftliche Situation portraitieren. Und darüber mag man den Protagonisten so manche Abgedrehtheit verzeihen.

Verglichen mit „Vincent“ wirkt „Freaks“ dennoch nicht ganz so ausgereift. Man merkt deutlich, dass „Freaks“ dem Ursprung nach ein etwas älteres Werk ist. Mit „Vincent“ hat Goebel sich schon erheblich weiterentwickelt. Mag manches an „Freaks“ noch etwas kindisch wirken, auch wenn Goebels Talent zwischendurch immer wieder zwischen den Zeilen hindurchfunkelt, so wirkt „Vincent“ eben schon ein ganzes Stück ausgegorener und zeigt wesentlich deutlicher als „Freaks“, dass Goebel ein ernstzunehmender und talentierter Autor ist, der großartige Ideen hat und diese sprachlich gelungen umsetzen kann.

Bleibt unterm Strich der Eindruck, dass „Freaks“ gegenüber „Vincent“ etwas schwächer daherkommt. Man merkt bei der Lektüre sehr schnell, dass es sich um ein früheres, nicht ganz so ausgereiftes Werk des Autors handelt. Dennoch weiß der Roman zu unterhalten. Die Figuren sind interessant, wenngleich ziemlich abgedreht, Goebels Sprache ist gewitzt und sein Erzählstil temporeich und voller spannungssteigernder Perspektivenwechsel. Alles in allem also durchaus gute Unterhaltung, obwohl man weiß, dass Goebel es eigentlich noch besser kann.

http://www.diogenes.de

Stuart MacBride – Die dunklen Wasser von Aberdeen

Ein perverser Kindermörder sorgt in der schottischen Stadt Aberdeen für Aufruhr. Polizist McRae ermittelt im verzweifelten Wettlauf mit der Zeit, denn der Täter wird wieder töten, während zornige Bürger zur Selbsthilfe bzw. Hexenjagd rüsten … – Auf den Spuren von Ian Rankin wandelt Stuart MacBride, der die Ekelschraube noch ein wenig schärfer anzieht als sein ‚Kollege‘ und einen zwar nicht originellen aber sauber geplotteten, spannend und mit trockenem Witz erzählten, atmosphärisch dichten und somit lesenswerten „Tartan Noir“-Thriller als Start einer neuen Reihe vorlegt.

Das geschieht:

Nach krankheitsbedingter Arbeitspause kehrt Detective Sergeant Logan McRae in den Dienst der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen zurück. Bereits am ersten Tag muss er einen grausigen Mordfall übernehmen: In einem Graben fand man den Körper des erst dreijährigen David Reid. Seit drei Monaten wurde das Kind vermisst. Sein Mörder hat ihn erdrosselt. Schlimmer noch: Er ist offensichtlich zur Leiche zurückgekehrt und hat sich „Souvenirs“ abgeschnitten.

Wie sein Chef, der aufbrausende Detective Inspector Insch, schließt McRae aus dem planvollen Vorgehen des Mörders, dass David womöglich nicht dessen erstes Opfer ist. Außerdem ist davon auszugehen, dass er seine kranke Fantasie an einem weiteren Kind ausleben wird. Und tatsächlich verschwindet kurz darauf der fünfjährige Richard Erskine. Die schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten, als auf einer Müllhalde eine Kinderleiche gefunden wird. Allerdings handelt es sich um den Körper eines drei- oder vierjährigen Mädchens, das niemand als vermisst gemeldet hat.

Alle Beamten der Grampian Police ermitteln intensiv in diesen Fällen von Mord und Entführung. Die Öffentlichkeit ist aufgestört, die Medien fachen den die Auflage stärkenden Volkszorn gezielt an. Auch die Politik wird aufmerksam und setzt Insch und seine Leute publicitywirksam unter Druck. McRae muss sich nicht nur um die unbekannte Kinderleiche kümmern. Man überträgt ihm auch einen Mordfall, dessen Opfer man ohne Kniescheiben aus dem Hafenbecken gezogen hat. Es handelt sich um einen engen ‚Mitarbeiter‘ des Gangsters Malcolm McLennan, genannt „Malk the Knife“, der aus Edinburgh in die Unterwelt von Aberdeen drängt. Es wird eng für die Polizei. Immer neue Verdächtige tauchen für alle Fälle auf. Nur langsam klärt sich das Durcheinander; es verschafft dem Kidnapper die Zeit, sich ein weiteres Kind zu schnappen …

Tartan Noir – etwas grobmaschiger

Breit ist der Schatten, den Ian Rankin als Krimiautor über Schottland wirft. Seit er den unvergleichlichen Inspektor John Rebus in ebenso tragische wie bizarre Fälle verwickelt, hat sich für diese nordenglische Variante des Thrillers sogar ein eigener Genrebegriff namens „Tartan Noir“ eingebürgert. Er beschreibt sehr gut ein bestimmtes literarisches Webmuster, das Rankin vorbildhaft vorexerzierte: Düstere Mordfälle geschehen in einer rauen (Stadt-) Landschaft, die von ebensolchen Bewohnern bevölkert wird. Die Stimmungs-Tonart ist (wie das Wetter) Moll, wobei die „skandinavische Tristesse“, die spätestens seit den Wallander-Romanen des Henning Mankell als Markenzeichen für den sozialkritischen europäischen Krimi der Gegenwart gilt, durch einen ruppigen, trockenen Humor angenehm gebrochen wird: Die Welt ist schlecht, aber das muss uns nicht auch noch den Leseabend verderben!

Nun tritt Stuart MacBride in Rankins Fußstapfen – die Parallelen sind unübersehbar. Sie werden vom Verfasser auch gar nicht geleugnet, sondern in einem hübschen In-Joke auf S. 421 angesprochen. „Die dunklen Wasser von Aberdeen“ liest sich wie ein Rebus-Roman, was zunächst einmal als Lob zu verstehen ist. Der Plot ist angenehm vertrackt und wird sauber entwickelt, die Ermittlungen sind spannend geschildert, die Schauplätze plastisch beschrieben, die Figuren wirken lebendig.

Und doch ist da zweierlei, das irritiert. Die Übereinstimmung zwischen Rankin und MacBride ist manchmal allzu auffällig; man spricht nicht nur dieselbe Sprache, sondern auch mit derselben Zunge, wobei Rankin ‚unverdächtig‘ dasteht – John Rebus ermittelt schon seit den 1990er Jahren. (Der deutsche Goldmann Verlag unterstreicht die ‚Verwandtschaft‘ übrigens durch eine Buchgestaltung, die sich eng an die der Rankin-Bestseller anlehnt; hier sollen Leser ‚umgeleitet‘ werden.)

Brachiale Taten, gebeutelte ‚Helden‘

Zweitens missvergnügt MacBrides Versuch, sich durch noch größere Originalität in der Schilderung perverser Gewaltverbrechen zu etablieren. Der Autor setzt hier auf ein Mehr an Blut, Verwesung und Pathologen-Gemetzel. Gleichzeitig nagt er wie ein politisch unkorrekter Biber am ohnehin morschen Stamm eines Tabus: Er lässt seinen Serienmörder auf kleine Kinder los, die er als Opfer unter getreuer Schilderung aller grässlichen Details quasi instrumentalisiert. Dies wäre nicht nötig; ein Irrer, der sich an Erwachsenen vergreift, hätte es genauso getan. MacBride setzt hier unverhohlen auf den unvergleichlichen Schrecken, den das Kapitalverbrechen am ‚unschuldigen‘ Kind auslöst; ein Trick, den man übel nimmt, weil es kalkuliert wirkt.

Ist Logan McRae ein bisher unbekannt gebliebener Bruder von John Rebus? Auch hier sind die Ähnlichkeiten frappant, nur dass das Geschick dem Kollegen aus Aberdeen deutlich heftiger mitgespielt hat – ein weiteres „Mehr“, aber nicht unbedingt „Besser“, das MacBride seinem Helden angedeihen lässt. McRae ist ganz genretypisch ein guter Polizist, was von den bornierten Vorgesetzten natürlich nicht zur Kenntnis genommen wird, dazu ein sperriger Charakter, von Natur aus sogar für einen Schotten ein wenig eigenbrötlerisch, und die Kollegen meiden ihn fast abergläubisch, seit ihn – jetzt dreht MacBride mächtig an der Schicksalsschraube – ein 15-facher Frauenmörder bei einem Kampf auf Leben & Tod mit dem Messer beinahe ausweidete. „Lazarus“ nennt man ihn nun im Revier, ist er doch dem Sensenmann nur knapp entronnen und muss für den Rest seines Lebens mit Narben und Schmerzen leben.

Privat sieht es auch nicht rosig aus. Natürlich – auch hier regiert das Klischee – hat ihn die Freundin verlassen, die ihm indes – Stoff für allerhand zukünftige Verwicklungen ist garantiert – als Arbeitskollegin verbunden bleibt. McRae bläst nach Feierabend ordentlich Trübsal, schaut zu tief in die Flasche, verstrickt sich ungeschickt in perspektivenlose Liebeshändel. Glücklicherweise ist Constable Watson, McRaes Partnerin, recht bodenständig. Sie erdet den manchmal allzu sehr von seiner Inspiration mitgerissenen McRae und vermittelt darüber hinaus dem Leser pflichtschuldig die übliche Palette chauvinistischer Ungerechtigkeiten, denen auch die Polizeibeamtin von Heute ausgesetzt ist.

Debüt als Petrischale

McRaes Vorgesetzter bleibt eine prägnante Nebenrolle als großer Exzentriker. Detective Inspector Insch ist ein poltriger Dickwanst, der pausenlos Gummibärchen, Lakritz und anderen Geleekram mampft. Selbstverständlich verbirgt sich hinter dieser Fassade nicht nur ein wacher Verstand, sondern auch ein mitfühlendes Herz, sodass McRae und Insch sich in jenen Ritualen ergehen können, die in einer wahren Männerfreundschaft sentimentale Sympathiebekundungen ersetzen.

MacBride besetzt viele Rollen seines Krimis geschickt mit überzeichneten Figuren. Hart an der Grenze zum Klischee agieren abgebrühte Polizisten, wüste Ganoven, dreiste Reporter. In der doch sehr düsteren Geschichte sorgen trockene Wortwitze für notwendige humoristische Momente, ohne dadurch den Plot zu unterminieren. In diesem Punkt kann MacBride Ian Rankin übrigens mühelos das Wasser reichen, so dass der Kreis sich schließt: Dieser „Tartan Noir“ kann empfohlen werden, auch wenn er direkt am Webstuhl neben dem Original entstanden ist.

Ein Blick in die Zukunft sei an dieser Stelle gestattet: Rasch emanzipierte sich der Autor von seinem Vorbild. Die Logan-McRae-Serie fand ihr Publikum und wird bis heute regelmäßig fortgesetzt. Dabei hat MacBride seinen eigenen Weg gefunden. Die Routinen des Polizeialltags wichen mehr und mehr dem alltäglichen Irrsinn. Immer abgedrehter wurden die Figuren. MacBride wich vom Konzept des zentralen Falls ab und ließ seine Romane immer episodischer ablaufen. Im Finale werden die Fäden zusammengefasst. McRae ist wesentlich umgänglicher geworden, und seine Verletzung findet kaum mehr Erwähnung. Obwohl Krimi-Puristen murren, kann diesen Romanen weder Spannung noch Unterhaltungswert abgesprochen werden: Logan McRae hat sich freigeschwommen, und wie es aussieht, wird er den Kopf noch eine ganze Weile über den Wasser von Aberdeen & Co. halten können!

Autor

Stuart MacBride wurde am 27. Februar 1969 im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.

Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website, die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.

Taschenbuch: 544 Seiten
Originaltitel: Cold Granite (London : HarperCollins UK 2005)
Deutsche Erstausgabe: Oktober 2006 (Wilhelm Goldmann Verlag/TB Nr. 46165)
Übersetzung: Andreas Jäger

eBook: 1310 KB
ISBN-13: 978-3-641-12238-6
http://www.randomhouse.de/goldmann

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Kent, Christobel – Ein Sommer in Ligurien

Rose Fell ist Anfang vierzig, als ihr Mann sie wegen einer jüngeren Frau verlässt. Während er seine neue Freundin heiratet, bricht für Rose eine Welt zusammen. Um wieder auf die Beine zu kommen, beschließt sie, ein radikal neues Leben zu beginnen. Sie verlässt England und kauft sich ein kleines Haus an der ligurischen Küste. In der Abgelegenheit eines ländlichen Dorfes richtet sie sich ihr neues Zuhause ein und geht ihrem Beruf als freie Journalistin nach. Doch die Eingewöhnung fällt nicht leicht. Für die überwiegend älteren Dorfbewohner bleibt sie eine Außenseiterin, eine Ausländerin mit fremder Kleidung und fremden Einstellungen. Ihre Tochter Jess lebt ein Studentenleben und meldet sich nur selten, die alten Freunde kommen sie nicht besuchen. Nur der wortkarge Gennaro, der im Dorf kaum weniger als Außenseiter gilt als sie, sucht ihren Kontakt. Rose droht zu vereinsamen, ehe sie per Zufall den reichen und attraktiven Engländer Richard Bourn kennenlernt.

Unweit von Rose lebt die einstige Leinwandschönheit Elvira Vitale, von den Bewohnern wegen ihrer früheren Ehe mit einem Grafen „Contessa“ genannt. Vor vielen Jahren war sie ein gefeierter Star, doch heute lebt sie zurückgezogen mit ihrem Mann Jack auf ihrem Anwesen. Während Elvira unter ihrem Alter leidet, vergnügt sich ihr Mann auf Partys mit jüngeren Frauen. Als Rose davon erfährt, dass Elvira in ihrer Nähe wohnt, hofft sie auf ein Interview mit der Diva. Ein Regisseur, den sie aus einer früheren Zusammenarbeit kennt, soll Elvira eine Empfehlung über Rose vermitteln.

Gerade als Rose sich einzuleben beginnt, erschüttert ein Mordfall das Dorf. Am Strand wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die erst erwürgt und dann aus einem fahrenden Zug geworfen wurde. Der ermittelnde Commissario Cirri erinnert sich an den Mord an einer Prostituierten im vergangenen Jahr, der bis heute nicht geklärt wurde. Besteht etwa ein Zusammenhang? Auch die Bevölkerung zeigt Unruhe, im Dorf wird viel geredet. Rose reagiert vorsichtig auf Richard Bourns Einladungen, obwohl sie sich zu dem interessanten Mann hingezogen fühlt. Elviras Haushälterin, die junge Ania, verschwindet in diesen Tagen und die Contessa erstattet eine Vermisstenanzeige. Nach und nach kreuzen sich die Wege der beiden Frauen Rose und Elvira, trotz ihrer unterschiedlichen Schicksale …

|Interessante Charaktere|

Das malerische Ambiente der italienischen Küstenstadt Levanto bildet den trügerisch-idyllischen Schauplatz für eine Mixtur aus Krimi und Frauenroman. Im Mittelpunkt steht die knapp vierzigjährige Rose, die misstrauisch beäugte Ausländerin, die sich fern von ihrer Heimat England ein neues Leben aufbaut. Die ganze Handlung über bleibt Rose eine sympathische Bezugsperson für den Leser.

Dafür ist vor allem die Ausgewogenheit ihres Charakters verantwortlich: Einerseits fühlt man mit der verlassenen Frau, die weder Familie noch Freunde in ihrer Umgebung hat und auch nach einem Jahr noch verletzt und deprimiert an ihre gescheiterte Ehe zurückdenkt. Andererseits aber präsentiert sie sich als Kämpfernatur, trotzt der Ablehnung, die ihr in Italien entgegenschlägt, und bemüht sich beharrlich darum, endlich den Touristinnen-Status unter den Einwohnern abzulegen.

Ihre Unsicherheiten sind glaubhaft geschildert; die Einsamkeit hat Rose sichtlich vorsichtig gemacht. Sowohl gegenüber dem charmanten Richard als auch gegenüber ihrem entfernten Nachbarn Gennaro wahrt sie Distanz, grübelt über deren Absichten nach, schwankt zwischen Freude über die Zuwendung und Zurückhaltung. Unsicherheit kennzeichnet auch den ehemaligen Filmstar Elvira Vitale, eine fast gebrochene Frau, deren Mann sie mit Tabletten ruhigstellt und sie gerne in der Öffentlichkeit blamiert. So verschieden Rose und Elvira auf den ersten Blick auch sind, ihre Empfindungen gleichen sich und man erwartet gespannt ihr erstes Zusammentreffen.

Ebenfalls gelungen und interessant sind die Nebencharaktere, die in den Leben der beiden Frauen eine Rolle spielen. Da ist der undurchschaubare Richard Bourn, den Rose von Beginn an anziehend findet und bei dem sie doch Vorsicht walten lässt. Eine erste Einladung schlägt sie aus, recherchiert lieber zunächst im Internet über den wohlhabenden Engländer, den eine dunkle Vergangenheit einzuhüllen scheint. Da ist der mysteriöse Gennaro, immer freundlich und zuvorkommend gegenüber Rose, aber gleichzeitig auf eine subtile Art zu aufdringlich in ihren Augen. Auch Commissario Cirri ist mehr als der formelle Ermittler, sondern eine mitfühlende Person mit menschlicher Wärme, der sich mit Gespür und scharfer Logik immer weiter an den Mörder herantastet.

|Psychogramm und Krimi|

Auch wenn schon recht bald am Anfang der Mord geschieht, steht vor allem in der ersten Hälfte weniger die Kriminalistik im Vordergrund. Stattdessen präsentiert sich dem Leser ein Psychogramm zweier Frauen, die, jede auf ihre eigene Weise, unter Vereinsamung leiden und ihrem Leben dringend eine neue Wendung geben müssen. Beiden Frauen wünscht man Erfolg bei ihren Bemühungen, sodass die Mördersuche phasenweise in den Hintergrund tritt. Ihre Schicksale sind ein zusätzlicher Interessenpunkt, auf eigene Art ebenso spannend wie die Frage nach dem Täter und geschickt miteinander verwoben.

Obwohl die Autorin im Vorwort erklärt, dass Roses Heimatdorf Grosso fiktiver Natur ist, entsteht beim Leser ein detailliertes Bild dieses beschaulichen Örtchens. Genau wie Rose empfindet man die beruhigende Idylle dieses Schauplatzes, parallel dazu aber auch die Fremdheit, die von der italienischen Mentalität ausgeht. Auf der einen Seite stehen gemütliche Wärme, wilde Natur, ungestörte Ruhe und ein enttechnologisiertes Leben, auf der anderen Seite lähmende Hitze, misstrauische Nachbarn, tuschelnde Dorfbewohner, ungewohnte Sitten und Einsamkeit. Noch nach einem Jahr tritt Rose in Fettnäpfchen, was die italienische Lebensart angeht, und alle Schönheit des Ortes täuscht nicht darüber hinweg, dass sich Rose ihr Paradies hier erst verdienen muss.

In dieser scheinbar friedfertigen Umgebung wirken die grausamen Morde besonders grotesk. Für die Einwohner kommt nur ein Durchreisender, ein Ausländer, als Täter in Frage, doch die Ermittlungen legen nahe, dass sich bereits seit langer Zeit ein Wolf im Schafspelz unter den Einheimischen aufhält und nicht zum ersten oder letzten Mal seinen Morden nachgegangen ist …

|Kleine Schwächen|

Gerade in der Mischung aus Frauenroman und Krimi liegen leider auch strukturelle Schwächen des Romans. Vor allem im ersten Drittel liegt der Spannungsfaktor noch sehr niedrig. Das hat seine Ursache zum einen in den zu ausführlichen Beschreibungen, die das Lesetempo deutlich verlangsamen. Bereits die ersten zwei Seiten bestehen fast ausschließlich aus Ortsschilderungen. Minutiös wird die Lage des Dorfes geschildert, anschaulich genug für einen Reiseprospekt, aber viel zu ausufernd für einen Roman, der möglichst von Beginn an fesseln sollte.

Auch im weiteren Verlauf wird immer wieder in dieser Ausführlichkeit auf Nebensächlichkeiten eingegangen, die zwar den poetischen Leser angenehm einlullen mögen, gerade die Krimihandlung jedoch zum Stagnieren bringen.

Zum anderen übertreibt es die Autorin mit Szenenwechseln und einer Fülle von Handlungssträngen. Die Geschichte spielt hauptsächlich bei Rose und an zweiter Stelle bei Elvira, doch auch zum Familienleben des Commissario und zum Schicksal der entführten Ania wird immer wieder übergeblendet. Bei zahlreichen neuen Absätzen ist nicht sofort klar ersichtlich, an welchem Schauplatz die Handlung gerade stattfindet, sodass man sich erst ein paar Sätze lang einlesen muss, ehe die Situation geklärt wird.

Lobenswerterweise laufen alle Handlungsfäden am Schluss zusammen, ohne wichtige offene Fragen zu hinterlassen, doch bis dahin erfordern die vielen Schicksale, die zunächst gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, eine gewisse Konzentration.

_Unterm Strich_ bleibt ein lesenswerter Krimi, der gleichzeitig auch die Schicksale zweier Frauen behandelt. Interessante Charaktere lassen den Leser von Beginn an mitfühlen, die Spannung stellt sich jedoch erst im späteren Verlauf ein. Trotz einer leicht überbordenden Fülle an Handlungssträngen und Szenenwechseln ein lesenswerter Roman, der vor allem Frauen anspricht.

_Die Autorin_ Christobel Kent wurde 1962 in London geboren, wohnte zeitweise in Florenz und lebt heute mit ihrer Familie in Cambridge. 2003 erschien ihr Debütroman „A Party In San Niccolo“.

Diverse – Robin Hood (Europa-Originale 20)

_Besetzung_

Erzähler – Hans Paetsch
Robin Hood – Rudolf H. Herget
Graf Locksley – Herbert A. E. Böhme
Bruder Tuck – Horst Beck
Little John – Michael Weckler
Guy von Gispert – Christoph Rudolf
Wirtin – Katharina Brauren
Sheriff – Claus Wagener
Sänger Alan – Konrad Halver
Prinz Johann – Peter von Schultz
Richard Löwenherz – Edgar Maschmann

Regie: Heikedine Körting

_Story_

Während König Richard Löwenherz zu den Kreuzzügen ins Heilige Land aufgebrochen ist, häufen sich in seiner Heimat die Missstände. Der Sheriff von Nottingham hat das Zepter in die Hand genommen und sieht sich schon als künftigen König. Ohne jegliche Bestimmung regiert der normannische Anführer das Land und quält diejenigen Einwohner, die sich seinem Machtstreben widersetzen. Einer von ihnen ist der junge Robin von Loxley, der dem Sheriff zum ersten Mal „ins Auge sticht“, als er eine kleine Garnison seiner Männer im Wald überwältigt.

Kurzerhand wird der stolze Betrag von einhundert britischen Pfund auf Robins Kopf ausgesetzt, um dem Burschen sofort den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch Robin ist flinker, so dass man stattdessen das Anwesen seines Vaters angreift, der dabei ums Leben kommt. Von diesem Punkt an schwört der junge Loxley Rache.

Im Sherwood Forest findet er neue Verbündete, mit denen er permanent die Schergen des Sheriffs beraubt, und wird so zum größten Erzfeind des inoffiziellen Machthabers. Ständig ist der mit Pfeil und Bogen bewaffnete, schmächtige Mann aus dem Wald den Häschern und Jägern seines Gegners einen Schritt voraus und bringt den gemeinen Sheriff dabei fast zur Weißglut. Doch werden Robin und seine Gefolgsleute den Normannen auch so lange standhalten können, bis der König von den Kreuzzügen zurückkehrt? Als dem berüchtigten Anführer der sächsischen Aufrührer die öffentliche Hinrichtung droht, sieht es nämlich gar nicht mehr so gut aus …

_Meine Meinung_

Die Geschichte von „Robin Hood“ ist eigentlich hinlänglich bekannt und wurde auch gleich mehrmals verfilmt. Die bekannteste Adaption ist sicherlich das Werk „Robin Hood – König der Diebe“ mit einem damals noch absolut überzeugenden Kevin Costner in der Hauptrolle. Aber auch im Trickfilmbereich ist der junge Bogenschütze aus dem Sherwood Forest längst kein Unbekannter mehr und begeistert schon seit mehreren Generationen ein junges Publikum.

Eine ganze Weile vorher gab es „Robin Hood“ auch schon als Hörspiel beim |Europa|-Verlag, genauer gesagt im Jahre 1971. Und genauso wie die vielen verschiedenen Fassungen dieser legendären Geschichte aus dem Großbritannien zu Zeiten der Kreuzzüge, so setzt auch dieses Hörspiel, welches unlängst in der Reihe „Europa – Die Originale“ neu aufgelegt wurde, andere Schwerpunkte. Vor allem die Vorgeschichte und Robins Ambitionen, als Hüter der Gerechtigkeit aufzutreten, werden hier etwas ausführlicher beleuchtet, jedoch auch anders dargestellt. Wird der junge Loxley an anderer Stelle selber noch als Ritter des Königs beschrieben, so wird er hier als vorlauter Jüngling, der noch unter der Obhut seines Vaters lebt, vorgestellt. Und Letztgenannter kommt dementsprechend auch noch zu Wort und empfiehlt seinem Sohn, sich schnellstens von seinem Anwesen zu entfernen, denn er ahnt schon, dass sein erster unfreundlicher Kontakt mit den Bekannten des Sheriffs schlimme Folgen haben wird.

Natürlich aber nimmt die Geschichte erst richtig Fahrt auf, als Robin sich nach dem Tod seines Vaters gemeinsam mit Bruder Tuc und Little John gegen den offensichtlichen Feind ihres geliebten Königs stellt und diesen mit vielen Verbündeten mehr als nur einmal ärgert. Selbst die gemeinen Meuchelmörder, die man auf ihn ansetzt, kann Robin problemlos überwältigen, und wenn er selber dann mal in die Bredouille gerät, helfen ihm seine Freunde aus dem Wald, die für ihren jungen Anführer stets ihr Leben lassen würden. Und so sorgt Loxley nicht nur im Sherwood Forest, sondern nach einiger Zeit schon in ganz England für Aufsehen – und wird nicht nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen, sondern auch im Heiligen Land, wo sein König schon seit Jahren im Krieg steht, zur Legende.

Im Gegensatz zum Kinospektakel aus den Neunzigern, welches ja zu einem wesentlichen Teil auch auf den Action-Szenen beruhte, setzt das klassische Hörspiel in erster Linie auf Humor und zielt so vornehmlich auf ein jugendliches Publikum, bietet aber andererseits auch schöne Unterhaltung für die gesamte Familie – was sicherlich in dieser Form auch bezweckt war. Und das Ganze macht auch wirklich sehr viel Spaß, denn die Sprecher erledigen einen hervorragenden Job, die kurzen Musikstücke passen sich dem Geschehen wunderbar an und die Geschichte ist trotz einer Spielzeit von gerade einmal 35 Minuten wirklich sehr schön und spannend aufgebaut. Lediglich die für Hörspiele gar nicht so unübliche Tatsache, dass jede Aktion von den beistehenden Personen etwas aufgesetzt erstaunt beschrieben wird, sprich das nicht Sichtbare, jedoch Offensichtliche noch einmal großartig in Worte gekleidet wird, gerät etwas störend. Aber im Großen und Ganzen geht auch das in Ordnung.

Letztendlich wird der Klassiker seinem Status so auch vollends gerecht. Hinzukommt, dass die Hörspiel-Fassung einen sehr eigenständigen Ansatz verfolgt und viele Hintergründe dieser Geschichte, bewusst oder unbewusst, von einer anderen, sehr interessanten Seite beleuchtet. Insofern ist „Robin Hood“ auch ein würdiger Abschluss der zweiten Staffel von „Europa – Die Originale“ und auch in der Kürze der Zeit ein absolutes Hörvergnügen.

http://www.natuerlichvoneuropa.de/

McGarry, Terry – Zauberin des Lichts

Liath hat gerade ihre Prüfung bestanden und ihre [Triskele]http://de.wikipedia.org/wiki/Triskele erhalten. Als sie jedoch helfen soll, einen verletzten jungen Mann zu heilen, versagt sie kläglich. Zutiefst erschrocken über diese Blockade, macht Liath sich zusammen mit einem Boten der Ennead auf den Weg zur Feste. Sie hofft, dass die Ennead, die obersten Magier Eiden Myrs, ihr helfen können. Aber auch ihnen gelingt es nicht, die Blockade zu durchbrechen! Deshalb schicken sie Liath auf die Suche nach Torrin, dem Magier mit dem hellsten, mächtigsten Licht. Nur mit Hilfe seiner Macht, so sagen sie, kann Liath geheilt werden. Die Suche ist allerdings eine gefährliche Angelegenheit, denn Torrin ist ein Schwarzmagier und wird Liath nicht freiwillig in die Feste folgen. Dennoch macht Liath sich auf den Weg. Schon bald muss sie feststellen, dass die wirkliche Gefahr nicht dort lauert, wo sie diese erwartet …

Liath ist nicht unbedingt naiv. Aber aufgrund ihrer Erziehung zur Illuminatorin ist sie fest verankert in der Weltsicht und Lebensweise, die Eiden Myr seit Jahrhunderten prägen. Deshalb, und weil man sie vor der versilberten Zunge des Schwarzmagiers gewarnt hat, wehrt sie sich mit aller Macht dagegen, sich „umdrehen“ zu lassen. Dennoch geht ihre Wanderschaft nicht spurlos an ihr vorüber. Obwohl sie das Töten verabscheut, erlernt sie den Schwertkampf. Um zu überleben, lernt sie zu lügen. Am Ende des Buches, nach vielen Verlusten und grausamen Schmerzen, ist sie eine ernüchterte und vernarbte Frau.

Heff, ihr Wandergefährte, ist bereits vor ihr gezeichnet. Ein Brand hat ihn entstellt, er kann nicht mehr sprechen. Liath scheint die Einzige zu sein, die seine Gesten versteht. Heff beschließt, sie zu beschützen, und folgt ihr überall hin. Nur die Feste der Ennead betritt er nicht. Er ist ein schweigsamer, ernsthafter Mann mit einem tiefen Gespür für die Erde, auf der er geht, für Pflanzen und Tiere. Erdweisheit nennt Liath diese Fähigkeit.

Torrin dagegen ist ein zerissener Mann. Er beschäftigt sich mit Schriften, die nicht für Beschwörungen gebraucht werden und sich folglich nicht in der Magie auflösen, sondern dauerhaft sind! Er bringt Kindern das Lesen bei, ganz gleich, ob sie ein magisches Licht besitzen oder nicht, und das, obwohl diese Kunst den Wortschmieden vorbehalten ist! Aber er ist nicht von der Überzeugung abzubringen, dass er das Richtige tut. Man könnte ihn als Ketzer bezeichnen.

Das Buch bietet noch eine wahre Fülle weiterer Charaktere, die jedoch eher am Rande mitlaufen, als dass sie detailliert ausgearbeitet wären. Auch die Charakterzeichnung der drei Hauptpersonen geht nur bei Liath weiter in die Tiefe. Heff und Torrin bleiben eher blass. So erfährt man zum Beispiel nicht, warum Heff die Magie so sehr ablehnt, oder welche Erfahrungen und Geschehnisse dazu führten, dass Torrin sein Licht abschirmt. Die Autorin lässt ihre Protagonisten diese Themen zwar anschneiden, gibt aber niemals konkrete Antworten. Dadurch wirken viele Passagen diffus und nebelhaft, lassen sich nicht recht fassen. Auf der anderen Seite gelingt es ihr hervorragend, im Laufe der Zeit die Motive der einzelnen Ennead herauszuarbeiten.

Abgesehen von der diffusen Charakterzeichnung der Hauptakteure trägt auch die massive Anzahl an Personen, die im Grunde nicht wirklich wichtig sind, zu Verwirrung bei. Vor allem am Anfang wird der Leser mit einer regelrechten Flut an Namen und Begriffen überschwemmt. Im besten Fall wird im Zusammenhang mit einem Namen beiläufig der Beruf der Person erwähnt. Trotz meines guten Namensgedächtnisses hatte ich massive Schwierigkeiten, die Leute auseinander zu halten. Die Spezialbegriffe im Zusammenhang mit Magie und der Hierarchie der Magier in der Feste muss der Leser erst durch Geduld und Ausdauer im Laufe des Textes zuordnen. Es sei denn, er stößt zufällig auf das Glossar, das irgendwo ganz hinten im Buch, kurz vor der Werbung, versteckt ist …

Interessant fand ich die Art und Weise, wie hier Magie gewirkt wird. Einer schreibt die Worte nieder, einer illustriert das Pergament mit magischen Symbolen und kunstvollen Umrandungen, und einer summt die Melodie der Beschwörung. Die Magier sind stets zu dritt, eine Triade, denn Drei ist die Zahl des Gleichgewichts. Das schlägt sich auch in anderen Bereichen nieder: Die Enneade besteht aus drei Triaden. Entfernungen werden in Dreifuß gemessen, das Alter in Neunjahren.

Die Idee einer Insel, die vor dem Rest der Welt verborgen ist, ist allerdings nicht unbedingt neu, auch nicht die Tatsache, dass Torrin Schwarzmagier nicht das eigentliche Problem Eiden Myrs ist, was ziemlich früh absehbar ist.

Warum nach der Aufhebung von Galandras Schild die Magie in Eyden Myr erlöschen sollte, ist mir dagegen nicht ganz klar! Schließlich war Galandra nicht der Ursprung der Magie, sondern nur eine von vielen Magiern …

Die Verlauf der Handlung erinnert ein wenig an ein widerborstiges Maultier. An manchen Stellen hält die Autorin sich ertaunlich lange auf, zieht kurz darauf das Erzähltempo drastisch an, um dann plötzlich wieder langsamer zu werden. Im Grunde ist das nichts Besonderes, irritierend ist die Auswahl der Stellen, die sie getroffen hat.

So verwendet sie eine Menge Zeit auf die Szene im Wirtshaus an dem Abend, als Liath ihre Trikele erhält. Diese recht lange Sequenz ist gespickt mit Andeutungen, die der Leser erst sehr viel später verstehen kann, als einige Dinge aus Liaths Kindheit näher erklärt werden. Auch der Teil, den Liath bei den Berufenen, sozusagen den Magier-Azubis, verbringt, ehe sie die Ennead um Hilfe bittet, ist weit ausführlicher als nötig und trägt mit seinen Erklärungen über die verschiedenen Kleiderfarben der Festenbewohner eher zur Verwirrung bei als zur Erläuterung. Der Prolog ist von der eigentlichen Geschichte unabhängig und wird erst spät in den Kontext eingebunden. All das macht die Geschichte am Anfang ziemlich langatmig.

Auf Liaths Reise dagegen huscht die Handlung von einem Ziel zum nächsten. Manche werden lediglich erwähnt, andere etwas genauer ausgeführt, doch die Informationen innerhalb dieser Abschnitte sind für den eigentlichen Zusammenhang im Grunde unerheblich. Fast die gesamte Reise Liaths durch Eiden Myr ist gekennzeichnet durch kurze, schnappschussartige Eindrücke, als hätte McGarry versucht, einen kurzen Überblick über die verschiedenen Landstriche und die Eigenheiten ihrer Bewohner zu geben. Der Gesamteindruck ist aber eher bruchstückhaft. Einerseits verständlich, denn für mehr war einfach kein Platz, andererseits aber fehlt der Darstellung so die Intensität, um sie wirklich interessant zu machen. Es entsteht der Eindruck, als hätte die Autorin einmal mit weit ausholender Geste über die Landkarte gewischt.

Bei Liaths zweitem Besuch in der Feste hingegen überschlagen sich die Ereignisse regelrecht! Wie auf einer Achterbahn wechseln Gefangennahmen und Flucht mit Revolten und Befreiungen. Innerhalb dieser kurzen Zeit – grob gesehen, knapp ein Drittel des Buches – findet auch Liaths Verwandlung von der gläubigen Schülerin zur kritischen, selbstständig denkenden Frau statt. Nachdem die Handlung sich erst ziemlich hinzog, wird hier das Erzähltempo drastisch angezogen.

Der Schluss hingegen wirkte ein wenig konstruiert, vor allem die Sache mit Jonnula.

Eine recht durchwachsene Mischung, die Terry McGarry da geschrieben hat. Die Grundidee fand ich durchaus gelungen, wenn auch nicht alle Einzelheiten wirklich neu waren. Die Ausarbeitung war dagegen noch etwas unausgewogen. Ein wenig mehr Konzentration auf den eigentlichen Handlungsstrang und weniger Verzettelung in nebensächlichen Details käme der Spannung zugute. Rätsel und Andeutungen machen Geschichten durchaus interessanter, solange sie sich nicht auf so viele verschiedene Sachverhalte beziehen, dass der Leser den Überblick verliert.

Bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich der Folgeband entwickelt. Eigentlich ist es kaum vorstellbar, dass die Magie im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielen sollte, immerhin handelt es sich immer noch um Fantasy.

Terry McGarry war nach dem College in den verschiedensten Berufen tätig und ist letztlich im Verlagswesen hängen geblieben. Sie schrieb schon seit längerem Kurzgeschichten, ehe sie „Zauberin des Lichts“ schrieb. Die Fortsetzungen zu diesem Roman, „The Binder’s Road“ und „Triade“, sind auf Deutsch noch nicht erschienen.

http://www.eidenmyr.com
http://www.heyne.de

Stanišic, Saša – Wie der Soldat das Grammofon repariert

Saša Stanišics bisherige literarische Karriere mutet ein wenig so an, als wäre sie selbst einem Roman entsprungen. Es war 1992, als der 1978 in Bosnien geborene Autor mit seiner Familie im deutschen Exil Zuflucht suchte. Seit 2001 schreibt und publiziert er deutschsprachige Texte und erreichte 2005 etwas, das für jemandem, für den Deutsch im Grunde immer noch eine Fremdsprache ist, umso beeindruckender erscheint: Er gewann den Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. In diesem Jahr setzt er mit seinem Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ noch eins drauf, indem er es bis auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2006 gebracht hat. Ist schon faszinierend, wie der junge Bosnier den Deutschen zeigt, was man mit deutschen Worten so Feines zaubern kann.

Um das Zaubern geht es gewissermaßen auch in besagtem Debütroman. Es ist sein Opa Slavko, der den jungen Aleksandar mit Zauberhut und Zauberstab ausstaffiert und ihm mit auf den Weg gibt, dass Erfindung und Fantasie die wichtigsten Gaben sind, die der Mensch hat. Aleksandar soll sich die Welt schöner denken, als sie ist – ein Ratschlag, den Aleksandar schon bald zu beherzigen weiß.

Opa Slavko segnet kurz darauf das Zeitliche und auf Aleksandars Heimat kommen große Veränderungen zu. In Jugoslawien bricht der Krieg aus. Die Schrecken des Krieges, Ängste und Verluste dominieren das Leben und Aleksandar ist in der Tat gut damit beraten, sich die Welt schöner zu denken, als sie ist. Aleksandars Heimatstadt Višegrad fällt, seine Familie flieht und Aleksandar verliert in der Hektik des Aufbruchs das Mädchen Asija aus den Augen, mit dem er erst vor kurzem Freundschaft geschlossen hatte.

Aleksandar wird mit seiner Familie in Deutschland heimisch, doch stets hält Aleksandar die Erinnerungen an die Heimat und die große Familie wach. Er schreibt von Begebenheiten in der Familie und Kuriositäten seiner Heimat. Zehn Jahre nach der Flucht bucht der mittlerweile erwachsene Aleksandar endlich einen Flug nach Sarajevo, um zu sehen, was aus Familie und Heimat geworden ist und ob er Asija endlich wieder findet …

„Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ist unterm Strich im Grunde eine literarische Bewältigung des Balkankrieges. Es gibt schon auf den ersten Blick auffällig viele Parallelen zwischen Autor und Protagonist; so gesehen kann man die Geschichte sicherlich auch als persönliche und autobiographische Aufarbeitung des Themas sehen. Genau wie seine Hauptfigur Aleksandar ist auch Saša Stanišic im bosnischen Višegrad geboren und beiden gemein ist sicherlich auch die Vorliebe, Erinnerungen und kuriose Geschichten schriftlich festzuhalten.

Obwohl Stanišic kein Muttersprachler ist, geht er mit der deutschen Sprache absolut souverän um. Er hat eine verschmitzte Art, seine Geschichte zu erzählen, legt eine gewisse Poesie in seine Worte und unterstreicht seine Geschichte mit Ironie und Wortwitz. Dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist, merkt man ihm beileibe nicht an, und das ist schon durchaus beachtlich und zeigt, wie intensiv Stanišic sich mit der deutschen Sprache auseinander gesetzt haben muss.

Stanišic schafft es mit seinen Worten, die Geschichte und die Figuren wirklich lebendig werden zu lassen und gerade auch die Hörspielproduktion des Bayerischen Rundfunks unterstreicht diese Lebhaftigkeit ganz wunderbar. Die Stimmen passen ganz fantastisch zu den Figuren. Man sieht sie förmlich vor sich – Opa Slavko, wie er Maß nimmt für Aleksandars Zauberhut, Tante Taifun, die beim Familiefest in hektischer Aufregung umherwirbelt, und selbst als Aleksandar beim Angeln Zwiesprache mit der Drina hält, die durch Višegrad fließt, wirkt das Ganze so wunderbar plastisch, dass es einem nicht eine Sekunde lang komisch vorkommt, dass sich ein Junge mit einem Fluss unterhält.

„Wie der Soldat das Grammofon repariert“ vereint enorm viele menschliche Gefühle in sich und wirkt wie ein Stück Leben auf CD gebannt. Die Unbeschwertheit der Kindheit, die Geborgenheit der Familie, die mit der sich verändernden Stimmung im Land erste Risse bekommt. Die Unbegreiflichkeit und Unbeschreiblichkeit der Kriegsgräuel, die Sehnsucht nach Frieden und Heimat, die Ängste von Flucht und Zerstörung, die Tragik wie auch die Komik, die all den kleinen alltäglichen Dingen innewohnt – „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ist ein schillerndes Kaleidoskop menschlicher Gefühle.

Ganz nebenbei sensibilisiert Stanišic den Leser bzw. Hörer für das, was Anfang der 90er im ehemaligen Jugoslawien geschah – ein unbeschreiblich brutaler Krieg mitten in Europa. Und so stimmt „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ in jedem Fall auch nachdenklich. Die Hörspielproduktion, die unter der Regie von Leonhard Koppelmann entstand, fängt (nicht zuletzt dank der gelungenen musikalischen Untermalung) diese Stimmungen und Gefühle ein, macht sie dem Leser zugänglich und das Buch damit zu einem echten Erlebnis.

Unterm Strich ist Saša Stanišic mit „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ein in jeder Hinsicht lobenswerter Debütroman geglückt. Sprachlich fantastisch, wunderbar bildhaft und voller großer Gefühle, weckt auch die gleichnamige Hörspielproduktion vielfältige Gefühle. Tragisch und komisch zugleich präsentiert sich Stanišics Geschichte als ein Stück manifestierte Zeitgeschichte um Familie, Krieg und alltägliche Kuriositäten.

Man kann das Werk eigentlich nur jedem ans Herz legen. Als Buch dürfte „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ schon für sich genommen ein wunderbar melancholischer Genuss sein. Das 78-minütige Hörspiel füllt die Geschichte obendrein auf wunderbare Weise mit Leben.

Der gleichnamige Roman erschien im |Luchterhand Literaturverlag|:
[luchterhand-literaturverlag.de]http://www.randomhouse.de/luchterhand/
[randomhouseaudio.de]http://www.randomhouse.de/randomhouseaudio/

Beecher-Stowe, Harriet – Onkel Toms Hütte (Europa-Originale 4)

_Besetzung_

Erzähler – Hans Paetsch
John Shelby – Franz-Joseph Steffens
Chloe – Uta Höpfner
Sam – Harald Pages
Mr. Haley – Andreas von der Meden
Mr. Shelby – Helmut Kolar
Mrs. Shelby – Imme Froh
Evangeline St. Claire – Regine Lamster
Mr. St. Claire – Horst Stark
Mr. Legree – Heinz Harm

_Story_

Vor 150 Jahren war es in den amerikanischen Südstaaten noch Usus, dass die weißen Großgrundbesitzer zur Bearbeitung ihrer Plantagen schwarze Sklaven hielten. So auch der besonnene Mr. Shelby, einer der wenigen dieser Leute, der seine Sklaven auch tatsächlich als Menschen betrachtet und ihnen innerhalb ihres Aufgabenbereichs einzelne Freiheiten gewährt.

In seinem Besitz befindet sich auch der gutmütige Tom, ein fleißiger und beliebter Schwarzer, der mit seiner Familie sogar eine eigene Hütte auf Shelbys Anwesen bewohnt. Dort lebte er trotz seiner Fessel mit sich und seiner Welt in Frieden, zumal er seinen Glauben auf der Farm in vollen Zügen ausleben konnte. Eines Tages jedoch bleibt Shelby keine Wahl, als ‚Onkel Tom‘, so der Rufname des Sklaven, für eine hohe Summe zu verkaufen. Ein Sklavenhändler macht ihm ein Angebot, das man einfach nicht ausschlagen kann, und sucht alsbald einen neuen Besitzer für seinen neuen Schützling.

Während einer Schiffsfahrt lernt Tom die junge Evangeline St. Claire kennen, freundet sich mit dem jungen Mädchen an und wird schließlich von ihrem Vater in den Dienst genommen. Glücklich über seine neue Anstellung, erwirbt sich Tom sehr schnell erneut einen sehr guten Ruf und lebt nicht nur als Sklave, sondern auch als Freund der Familie St. Claire.

Dann jedoch beginnt das Drama: Das kleine Mädchen wird todkrank, und Tom und die Familie müssen hilflos mit ansehen, wie die junge Eva in den Himmel auffährt. Ihr letzter Wunsch ist, dass Tom nach ihrem Tod ein freies Leben führen darf. Doch als Mr. St. Claire nach dieser Tragödie die Formalitäten für Toms Freiheit in die Wege leiten möchte, folgt auch schon der nächste bewegende Schicksalsschlag, der den gutmütigen Neger wieder meilenweit zurückwirft.

_Meine Meinung_

„Onkel Toms Hütte“ ist eine der dramatischsten Sagen der gesamten Literaturgeschichte; ein liebevolles Märchen über Glaube, Liebe und Hoffnung, das jedoch bei jedem ‚wunderbaren‘ Entwicklungsschritt von noch schlimmeren Ungerechtigkeiten überschattet wird.

Dabei werden die düsteren Rahmenbedingungen weitaus positiver dargestellt, als sie eigentlich sind bzw. waren. Die Sklaverei wird als die normalste Sache der Welt hingestellt, als Fakt, den es nicht anzuzweifeln gilt. Gut, man muss berücksichtigen, dass es sich hier vorrangig um eine Geschichte für das jüngere Publikum handelt, weswegen eine detailliertere Auseinandersetzung nicht zweckmäßig wäre, aber es ist im Grunde genommen schon erschreckend, wie selbstverständlich dieses finstere Kapitel der amerikanischen Geschichte hingenommen wird. Aber das ist keine Kritik am Hörspiel, sondern vielmehr eine generelle Kritik am leichtfertigen Umgang mit der strikten Rassentrennung, die in „Onkel Toms Hütte“ erst zum Ende hin ins Abseits gerät und indirekt scharf verurteilt wird.

Jenseits dieser Problematik ist die Geschichte wirklich ein wunderbares Märchen, aber auch ein sehr trauriges, das einem besonders in den letzten Sequenzen sehr nahe geht. Erst der Tod des armen kranken Mädchens, dann das ungerechte Schicksal von Onkel Tom und schließlich noch all die Niederträchtigkeiten, die der Mann über sich ergehen lassen muss. Stellenweise ist es echt hart, was hier geschieht, bisweilen sogar fast brutal, was aber Teil der Dramaturgie der Handlung ist.

Der Umgang mit den Sklaven, zunächst noch als menschlich und rücksichtsvoll beschrieben, entwickelt sich zu einem bewegenden Drama bis hin zum Gipfel der Ungerechtigkeit. Ausgerechnet der gutherzige, immerzu liebevolle Tom wird permanent zum Opfer, obwohl er sein Leben lang dankbar und zuverlässig geschuftet und sich wirklich alles gefallen lassen hat. Ähnlich sieht es mit der Geschichte der kleinen Eva aus; ein so lebendiger Charakter, voller Liebe und Zuversicht und außerdem schon so erwachsen, und plötzlich befindet sie sich im aussichtslosen Kampf gegen den Tod.

Auch wenn es eine sehr moralische, lehrreiche Story ist – sie ist kein leichter Stoff, aber deswegen noch umso schöner. Sie beschreibt in kurzen, aber sehr eindrucksvollen Zügen all das Leid und den Frevel sowie die Unbarmherzigkeiten, denen die schwarze Bevölkerung vor anderthalb Jahrhunderten ausgesetzt war, dies sicher in entschärfter Fassung, aber grundsätzlich doch schonungslos hart.

Das Hörspiel aus der „Europa-Originale“-Reihe fängt die bedrückte Stimmung ein, die im Gegensatz zu Onkel Toms fröhlicher Ausstrahlung einen enormen Kontrast aufwirft, den man erst einmal gar nicht begreifen will. Doch Tom ist ein tiefgläubiger Mensch, der die Hoffnung nie verliert, seine gesamte Familie mit dieser Laune ansteckt und somit sein Leben meistert – bis hin zum traurigen Tod, dem Sinnbild für das ungerechte Leben dieses einzigartigen Menschen.

Das Original, aufgenommen im Jahre 1972, ist basierend auf dieser wechselhaften Atmosphäre auch ein echter Ohrenschmaus, der gekonnt all die tiefgreifenden Emotionen der Geschichte beeindruckend widerspiegelt. Die Sprecher, allen voran Franz-Joseph Steffens, der mit seiner rauen Stimme die Rolle des gutmütigen Brummbärs absolut souverän ausfüllt, erledigen einen prima Job und spielen ihre Rollen nicht nur lebhaft, sondern auch der betrübten Handlung entsprechend sehr authentisch aus. Es wird gelacht und geweint, geschimpft und geliebt, aufgegeben und gehofft, und jedes Mal wissen die Stimmen dieses Hörspiels, wie sie ihren Part auszufüllen haben. Selbst die vermeintlichen Fieslinge geben der Erzählung die erforderliche Herzlosigkeit und machen „Onkel Toms Hütte“ zu einem weiteren, absolut hörenswerten Vertreter dieser ’neu‘ gestarteten Reihe.

Oder um es anders zu sagen: Das Hörspiel setzt genau das um, was man von einer Klassiker-Adaption erwarten darf. Trotz der anfänglichen Zweifel ob des Umgangs mit dem Thema Sklavenhaltung kann ich „Onkel Toms Hütte“ aus dem Hause |Europa| daher auch nur dringend weiterempfehlen.

http://www.natuerlichvoneuropa.de/