Archiv der Kategorie: Rezensionen

Bendis, Brian Michael – Double Trouble (Der ultimative Spider-Man 3)

Die dritte Ausgabe der Sammelbände aus der Reihe „Der ultimative Spider-Man“ hält eine ganze Menge Highlights bereit. Unter anderem findet hier der erste Auftritt der ultimativen Gwen Stacy statt. Außerdem kehrt eine Legende aus der Welt von Spider-Man zurück: der wahnsinnige Doktor Octopus, vielen sicherlich auch bekannt aus dem zweiten Kinofilm um den mutierten Spinnenmenschen. Und als wäre dies nicht schon genug, taucht auch Kraven der Jäger in diesem schicken, 180 Seiten starken Paperback zum ersten Mal auf.

_Story_

Peter Parker scheint entlarvt – zumindest glaubt das ein Mitschüler, der einen ernsthaften Verdacht hat, wer genau hinter dem mysteriösen, in der Presse als Bösewicht verschrienen Spider-Man steckt. Im Zuge eines Wettbewerbs, bei dem sich die Schüler als Superhelden verkleiden sollen, ist die Stimmung innerhalb der Klasse von Peter eh schon ziemlich angeheizt, da nichts anderes mehr zum Thema gemacht wird.

Peter hingegen hat ganz andere Sorgen: Durch ein gescheitertes Projekt sind dem Versuchskaninchen Otto gleich mehrere Tentakel angewachsen. Der schroffe Mutant ist darüber gar nicht erfreut und trachtet bereits nach Rache, während sein Schöpfer sich anderweitig mit intriganten Machenschaften beschäftigt. Allerdings schreckt der als Doktor Octopus zu neuem Leben erwachte Otto auch nicht davor zurück, seine Opfer zu töten, was wiederum Spider-Man als Retter eines jeden Menschenlebens auf den Plan ruft. Doch dieser kann nicht so frei wie gewünscht agieren. Zum einen liegt ihm seine störrische Tante May mit belehrenden Vorwürfen im Rücken und gestattet ihm dabei kaum Freiheiten; zum anderen hat sich unlängst der gescheiterte Fernsehstar Kraven wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, als er in einer neuen Show seine Jagd auf Spider-Man angekündigt hat. Harte Zeiten für einen Superhelden, der nebenbei auch noch die Beziehung mit seiner eifersüchtigen Freundin Mary-Jane und seinen Job beim Bugle-Magazin auf die Reihe bekommen muss …

_Meine Meinung:_

Den dritten Sammelband dieser Reihe muss ganz klar diffenrenziert betrachten, soll heißen, Story und Übersetzung sind getrennt zu bewerten. Leider ist es nämlich so, dass die deutsche Fassung dieses Heftes wirklich schwach übersetzt wurde und so viele moderne, zweideutige Witze enthält, dass dem erfahrenen Leser manchmal sogar richtig übel werden kann. Gerade Spider-Man lässt einige Sprüche vom Stapel, bei denen man sicherlich nicht begeistert schmunzeln, sondern eher verärgert mit dem Kopf schütteln wird. Ein Beispiel ist eine Szene aus dem finalen Kampf mit Doktor Octopus, in dem er den Gegner fragt, ob er gewisse Utensilien aus dem Otto-Katalog bestellt hat. Fast noch schlimmer ist ein Ausschnitt ganz zum Anfang der Geschichte, in dem sogar die Pop-Band |No Angels| mit einem herablassenden Kommentar gewürdigt wird. Ich kann mir dabei jedenfalls nicht vorstellen, dass Autor Brian Michael Bendis nach solchen pseudo-humorvollen Texten in der hiesigen Version getrachtet hat, und dementsprechend groß ist schließlich auch die Enttäuschung af diesem Gebiet.

Hinsichtlich der Story ist dieser dritte Band allerdings alles andere als enttäuschend, sondern im Großen und Ganzen ziemlich genial. Angefangen bei der Auferstehung des verrückten Doktors über die Grabenkämpfe zwischen FBI und der Polizei bis hin zu den vielen rasanten Showdowns entwickelt sich hier eine temporeiche Action-Handlung, bei der lediglich das überschüssige Pathos stellenweise etwas zu dick aufgetragen wurde. Doch daran sollte man sich letztendlich weniger stören als an der biederen Übersetzung. Dazu ist noch zu sagen, dass Brian Michael Bendis immer in den Momenten, in denen er abzuwschweifen droht, geschickt die Kurve bekommt. So glaubt man zum Beispiel kurz vor dem letzten Auftritt Spider-Mans, dass sich der Autor zu sehr auf die Beziehung zwischen Peter Parker und Mary Jane einlässt; an anderer Stelle liegt die Befürchtung nahe, der Streit zwischen den ausübenden Gewalten des Gesetzes würde überhand nehmen. Und wieder andernorts droht der Konflikt zwischen Doktor Octopus und seinem Gegenspieler Justin Hammer zu früh zu eskalieren. Doch all das passiert nicht, weil Bendis seiner Linie treu bleibt und diese mittels der gradlinigen Erzählung auch sehr strikt und konsequent weiterspinnt – bis zum sehr gelungenen, aber eben sehr pathetischen Ende.

Band 3, Untertitel „Double Trouble“, hat auf jeden Fall seine Schwächen, die aber keinesfalls am Original festzumachen sind. Story und auch die sehr bunten und überaus gelungenen Zeichnungen von Mark Bagley sind durchweg überzeugend; nur die Sprache mitsamt ihrer überzogen modernen Inhalte und der etwas zu sehr heroische Unterton erweisen sich zwischenzeitlich als Störfaktoren, die man aber trotzdem noch verschmerzen kann. Ultimativ ist „Double Trouble“ daher sicher nicht, lesenswert aber immer noch allemal.

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Ed McBain – Eine große Hand zum Gruß

Die Polizei findet eine Menschenhand. Ist ihr ‚Besitzer‘ tot, womöglich ermordet? Die Ermittlungen geraten ständig in Sackgassen, bis die Nerven der Kriminologen bloßliegen. Sie müssen auf weitere Leichenteile warten, was die Untersuchung freilich keineswegs einfacher macht … – Der 11. Krimiklassiker aus McBains legendärer, mehr als ein halbes Jahrhundert laufender Serie um das „87. Polizeirevier“ gerät zum unwiderstehlichen Cop-Thriller mit frühem „CSI“-Plot, der mit Spannung, Menschlichkeit und lakonisch-rauem Witz erzählt wird.
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Pratchett, Terry – Pyramiden

„Pyramiden“ ist das zweite Hörspiel zu Terry Pratchett’s heißgeliebter Scheibenwelt und für Freunde eben jener eigentlich unverzichtbar, denn wenn man einmal in der seltsamen Umgebung des Fun-tasy-Schreibers Pratchett gefangen ist, kann man dieser herrlichen Hypnose kaum noch entfliehen und wird geradezu süchtig nach all dem, was sich dort abspielt. Leider wird das aktuelle Hörspiel diesem sehr hohen Qualitätsstandard nicht gerecht, denn obwohl „Pyramiden“ trotz einiger Mängel eigentlich eine ganz anständige, vom Rest der Scheibenwelt losgelöste Geschichte ist, ist die Umsetzung in diesem Falls äußerst bescheiden.

_Story_

Der Pharaohssohn Teppic wird eines Tages nach Ankh-Morpok geschickt, um dort die Ausbildung zum Assassinen zu bestreiten. Jedoch ist sein Ausflug zur dort ansässigen Meuchler-Gilde kein problemfreies Unterfangen. Just an jenem Tag, an dem Teppic seine Lehre endlich beendet hat und sich für seine Bestimmung bereit zeigt, kommt sein Vater Teppicymon XXVII. ums Leben und hinterlässt Teppic sein gesamtes Erbe. Doch als neuer Pharaoh von Djelibeby hat der junge Neu-Assassine nicht die Freiheiten, die er sich in seiner plötzlichen Herausforderung erhofft hatte. Das Leben als Pharaoh ist eben kein Zuckerschlecken, besonders wenn man im eigenen Land überhaupt nichts zu sagen hat. Der Hohepriester Dios ist es nämlich, der Teppic alle Entscheidungen abnimmt und jeglichen Befehl ins Gegenteil verkehrt. So baut er unter anderem eine recht merkwürdige Pyramide, die sein Vater in dieser Form gar nicht akzeptiert hätte. Als der junge Pharaoh sich dann irgendwann doch noch dazu aufraffen kann, die Dinge selber in die Hand zu nehmen, ist es bereits zu spät. Der Pyramidenbau hat das Land nämlich gänzlich aus dem bestehenden Weltengefüge hinausgerissen und die verfeindeten Reiche in der Umgebung von Djelibeby sehr nahe aneinander herangeführt. So entsteht in der gesamten Region ein Chaos, das selbst die alten Götter zu neuem Leben erweckt …

_Meine Meinung_

Über die Story, die Terry Pratchett hier mal wieder mit viel Wortwitz vorangetrieben hat, braucht man eigentlich nicht viele Worte verlieren. Es ist schlichtweg grandios, was der britische Autor aus einigen albern anmutenden ideen, höherer Mathematik und unkonventionellen Formulierungen zusammenstellt, und da bildet auch „Pyramiden“ keine Ausnahme. Lediglich die Entwicklungen, die zum Pyramidenbau in Djelibeby hinführen, sind ein wenig kurios und in ihrer Erscheinung auch nicht immer direkt nachvollziehbar. Dies mag zwar für Pratchett nichts Ungewöhnliches sein, fällt aber aufgrund manch verwirrender Ereignisse in diesem Falle irgendwie negativ auf.

Ansonsten entwickelt sich die Geschichte im Reiche des unverkennbaren Pendants zum irdischen Ägypten wirklich prima fort und steigert sich über die bekannten irrwitzigen gedanklichen Wendungen in ein fulminantes Finale hinein, welches man aber wahrscheinlich nur dann genießen kann, wenn man den hier besonders abgefahrenen Humor des Autors teilt. Aber das setze ich bei diesem Herren einfach mal voraus.

Was mich allerdings an der Hörspielfassung ziemlich stört, ist die teils lustlose Darbietung der beteiligten Sprecher. Ich war anfangs wirklich begeistert, dass es sich bei „Pyramiden“ tatsächlich um ein Hörspiel und eben keine Lesung handelt, war aber nach einiger Anlaufzeit recht enttäuscht, wie dröge die Sprecher ihre Auftritte herunterrasseln. Man findet irgendwie überhaupt keinen passenden Einstieg, da man statt lebendigem Schauspiel auf trockene Berichterstattung setzt und so weder in den Spannungsbogen der Originalvorgabe einzusteigen vermag, noch den Pratchett-üblichen Humor adäquat herüberbringen kann. Beispiel gefällig: Nehmen wir direkt mal die erste Szene, in der Teppic seine Kleidung Stück für Stück aufstockt. Es ist eigentlich witzig, die mit vielen Details gespickte Umschreibung langsam zu verfolgen; da aber jegliche Emotionen – und Wortwitz verlangt einfach nach solchen – ausgespart bleiben, bleibt eine jede Pointe bereits im Ansatz stecken und wird bereits vor ihrem Auftauchen im Keim erstickt.

Zumindest gelingt es den Sprechern dann noch, die Handlung recht authentisch und dem Skript entsprechend vorzutragen, so dass zumindest der Inhalt konsequent geschildert und verständlich erzählt wird. Probleme beim Verständnis des Plots ergeben sich somit nicht, wenngleich die mathematischen Abhandlungen, die Pratchett in seinen irren Kosmos einfügt, gewöhnungsbedürftig und selbst dann nicht jedermanns Sache sein werden. Aber schlussendlich ist dies für ein Hörspiel, das von seiner lebhaften Performance leben soll und davon selbst bei einer Spielzeit von mehr als 300 Minuten nichts einbüßen darf, nicht ausreichend genug, um die anfangs aufgestellte Behauptung, dass es sich bei Produkten rund um die Welt dieses Autors um unverzichtbare Dokumente handelt, berechtigt zu unterstreichen. Pratchett-Fans – und nur solche – sollten sich jetzt nicht abschrecken lassen und sind gerne eingeladen, sich auch mal mit der Audio-Fassung des immerhin schon 17 Jahre alten Romans zu beschäftigen. Neueinsteigern kann ich zum Eintauchen in die Scheibenwelt indes nur die Romane (vor allem die etwas jüngeren) empfehlen, denn hierin steckt meines Erachtens einiges mehr an Potenzial.

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Freund, Peter – Stadt der vergessenen Träume, Die (Die Legenden von Phantásien)

Saranya ist eine Insomnierin und in Seperanza aufgewachsen. Das ist eigentlich schon ungewöhnlich, denn normalerweise sind Insomnier viel unterwegs. Doch in letzter Zeit kommt es so gut wie nicht mehr vor, dass einer von ihnen den Ruf verspürt, den unwiderstehlichen Drang, die Stadt zu verlassen und durch Phantásien zu ziehen. Im Gegenteil, immer mehr Insomnier drängen nach Seperanza hinein, denn das ist der einzige Ort, an dem sie vor dem Vergessen sicher sind. Ein Rat von Gelehrten ist seit langer Zeit schon damit beschäftigt herauszufinden, was es mit dem Ruf und dem Vergessen auf sich hat, bisher erfolglos.

Saranya möchte allerdings etwas ganz Anderes wissen, nämlich, warum das Ehepaar, das sie für ihre Eltern hielt, ihr so lange verschwiegen hat, dass sie ein Findelkind ist! Und was hat die Verbannung des einstigen Gelehrten Philonius Philippo Phantastus mit dieser Sache zu tun?

Während Saranya verbotenerweise in den Saal der Weisheit eindringt, um dort nach Antworten auf ihre vielen Fragen zu suchen, sind zwei andere Insomnier-Kinder auf dem Weg nach Seperanza, um dem Vergessen zu entgehen. Doch sie werden von Traumfängern verfolgt! So sehr sie sich auch abmühen, und obwohl ein Lawinenwicht die Kinder unterstützt, gelingt es den Traumfängern, das Mädchen Elea einzufangen. Natürlich will ihr Bruder Kayún sie auf keinen Fall aufgeben. Gemeinsam mit einem Gräuelgruseler namens Atrox macht er sich an die Verfolgung der Traumfänger …

Saranya ist ein typisches, behütetes Kind. Sie spielt mit ihrer Freundin Colina Schwebeball, geht für ihre Mutter auf den Markt, bringt ihrem Vater das Mittagessen ins Büro und ägert sich, dass sie auf die meisten ihrer Fragen nur ein „wenn du größer bist“ oder „das verstehst du noch nicht“ erhält. Ganz klar, dass sie wütend ist, als sie von ihrer geheimnisvollen Herkunft erfährt, und ebenso klar, dass sie mit allen Mitteln die Wahrheit erfahren will.

Kayún dagegen hat es nicht so leicht. Seine Eltern sind dem Vergessen anheim gefallen, jetzt ist er allein verantwortlich für seine jüngere Schwester und muss außerdem den Weg nach Seperanza finden. Obwohl seine Situation schwierig genug ist, hat er immer noch genug Zeit, sich darüber zu ärgern, dass Atrox ihn wie ein Kind behandelt.

Mit anderen Worten: Beide sind typische Teenager! Tiefer geht die Charakterzeichnung allerdings nicht.

Die Handlungsstränge dieser beiden Charaktere laufen fast das ganze Buch über parallel nebeneinander, ohne sich zu berühren. Erst gegen Ende treffen sie sich scheinbar rein zufällig. Es ist, als würde man zwei Geschichten gleichzeitig lesen. Aber nur fast. Im Grunde sind es zwei halbe Geschichten.

Der Handlungsstrang um Saranya beschäftigt sich nicht nur mit deren Herkunft, sondern auch mit dem Rätsel der Insomnier, mit dem Ruf und dem Vergessen. Denn diese Fragen sind bei weitem nicht so ungelöst wie allgemein angenommen. Und so kommt es, dass Saranya gleichzeitig nicht nur ihre wahre Herkunft aufdecken kann, sondern auch die Wahrheit über das Wesen der Insomnier. Saranya liefert sozusagen die Theorie. Der Handlungsstrang um Kayún dagegen liefert die Praxis. Er beschäftigt sich mit der Bedrohung durch die Traumfänger, sozusagen der Durchführung dessen, was Saranya herausgefunden hat.

So ist der Leser auf der einen Seite mit Detektivarbeit beschäftigt, während er auf der anderen Seite eine Menge Abenteuer zu bestehen hat.

Die Abenteuer selber sind eher unspektakulär. Denn fast alle Geschöpfe, denen Kayún und Eala begegnen, sind harmlos. Sogar der Gräuelgrusler ist ein im Grunde harmloses Geschöpf, das keine schlimmere Aufgabe hat als andere Geschöpfe zu erschrecken. So wundert es nicht, dass die Kinder von allen möglichen Seiten Unterstützung erhalten und immer wieder entkommen können. Allein das Irrlicht Trausdumir wird seinem Ruf gerecht und sorgt so dafür, dass die Traumfänger endlich Elea erwischen.

Die Traumfänger sind die einzige wirkliche Bedrohung, Wergeschöpfe, die wie der Gmork zwischen den Welten wandern können. Ihr Auftrag, Insomnier zu fangen, stammt von Xayide. Denn die Insomnier sind die verkörperten Träume der Menschen. Xayide will sie bei Vollmond in die Menschenwelt verschleppen und sie dadurch zu falschen Träumen machen, zu Optasomniern, langweiligen austauschbaren Geschöpfen, die alle gleich aussehen. Und außerdem will sie Bastian abfangen, bevor er in seine Welt zurückkehren kann …

An dieser Stelle gerät die Sache ins Schwimmen. Zunächst einmal fragte ich mich – wie übrigens schon bei „Die Seele der Nacht“ von Ulrike Schweikert -, wie es sein kann, dass Geschöpfe, die einer Macht außerhalb Phantásiens dienen, sich einer Phantásierin unterwerfen, und das in diesem Fall offenbar regelmäßig. Außerdem: Warum sollte Xayide mit Wergeschöpfen gemeinsame Sache machen? Die Macht, der diese dienen, will Phantásien zerstören, Xayide aber will es beherrschen! Abgesehen davon scheint es, als könne der Autor sich nicht recht entscheiden, welchen Plan Xayide nun eigentlich verfolgen soll.

Wenn sie einfach nur die Insomnier in die Menschenwelt verfrachten lassen will, wofür schleppt sie sie dann mühsam in die einsamste Gegend Phantásiens, anstatt sie bis zum Vollmond einfach irgendwo einzusperren? Braucht sie die Grube Nimroud, den Ort, an dem die vergessenen Träume der Menschen lagern, um die Insomnier in die Menschenwelt zu schicken? Wenn ja, dann erfährt der Leser jedenfalls nicht, warum.

Auch war mir nicht klar, was genau Xayide mit all dem eigentlich bezweckt. Die Insomnier mögen etwas Besonderes sein, weil sie Träume verkörpern, die schlafend geträumt werden. Zumindest weist ihr Name darauf hin. Da der Autor aber nirgendwo erwähnt, ob diese besonderen Wesen auch eine besondere Funktion innerhalb Phantásiens erfüllen und wenn ja, welche, ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für irgendwelche Konsequenzen, die sich aus der Verzerrung der Insomnier für Phantásien ergeben könnten.

Ist Xayide also wegen Bastian nach Nimroud gekommen? Warum? Wäre es nicht einfacher, ihn schon auf dem Weg dorthin abzufangen? Außerdem besteht zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, Bastian als Marionette für ihre eigene Herrschaft zu benutzen, längst nicht mehr. Also wozu braucht sie ihn noch? Der einzige Grund, ihn zurückzuhalten, wäre Rache. Allerdings kann der Leser darüber nur spekulieren, denn der Autor verliert darüber kein einziges Wort! Und dafür hat er Michael Endes Vorgaben umgangen und Xayide mit einem Trick sozusagen wieder auferstehen lassen?

Auch viele andere Fragen – wie zum Beispiel die, warum die Insomnier in Seperanza vor dem Vergessen sicher sind oder warum Mädchen für die Traumfänger besonders wertvoll sind – werden nicht beantwortet.

Eigentlich schade, dass Peter Freund seine Ansätze so in der Luft hängen gelassen hat. Seine Geschichte beinhaltet viele interessante Ideen, allen voran der Lawinenwicht und sein Tausendleuchter, der sinnigerweise den Namen Osmar trägt, sowie das rasende Gerücht und die Wolkenweber. Leider hat der Autor auch sie nur mit knappen Worten umrissen, viele andere sogar nur am Rande erwähnt. Nichts davon wurde detallierter ausgebaut, alle sind nur kurze Durchgangsstationen. Das verleiht der Geschichte etwas Hektisches, Atemloses und hinterlässt einen Eindruck von Lieblosigkeit. Durch Fehler wie „mondäugige Gebieterin der Wünsche“ oder die Bezeichnung der Zauberin Xayide als dunkle Prinzessin wird dieser Eindruck noch unterstützt. Dazu kommt, dass alle seine erdachten Wesen offenbar einen Hang zur Ungeduld und Unfreundlichkeit haben. Die Art und Weise, wie sie mit Kayún reden – und auch seine Art zu antworten -, klingt gelegentlich fast grob und führt zu Abstrichen in der Sympathie!

Die ständige Erwähnung von Wesen, die auch in der „Unendlichen Geschichte“ auftauchen, soll wahrscheinlich einen Bezug zur Vorlage herstellen, wirkt aber eher ein wenig gekünstelt. Vor allem Kayúns Kritik an Bastian empfand ich als ziemlich lästig. Schließlich sind neue Ideen nicht dem in Phantásien anwesenden Menschenkind vorbehalten. Wenn aber die Ideen aller Menschen in Phantásien wahr werden, bedeutet das, dass Phantásien sich ständig verändert – was es laut Michael Ende ja auch tut! Kayún sollte also daran gewöhnt sein. Abgesehen davon dürfte er die Veränderungen eigentlich gar nicht bemerken, denn ab dem Zeitpunkt, da etwas Neues entstand, war es schon immer da und müsste also bekannt sein!

Der abrupte Schluss, der keinerlei Lösung verrät, weder im Hinblick auf diejenigen Insomnier, die dem Vergessen anheim gefallen sind, noch im Hinblick auf diejenigen, die noch in Seperanza auf einen neuen Ruf warten, tut ein Übriges und lässt den Leser mit einem Gefühl der Unzufriedenheit zurück.

Kurz und gut: Hier wurde eine Menge Potenzial verschenkt. Die handelnden Personen bleiben blass und flach und wecken keine echte Sympathie, die den Leser mitfiebern ließe. Die meisten Ideen wurden nur kurz angedacht, die Grundaussage nicht konsequent zuende geführt, und am Schluss bleibt der Leser auf der Aussage sitzen, er solle sich an seine wahren Träume erinnern und den falschen Träumen abschwören. Als ob der Leser sich seine Schlafträume aussuchen könnte!

Damit wurde dem Vorsatz, Phantásien bunter und lebendiger zu gestalten, gerade mal ansatzweise entsprochen, und gleichzeitig die Hoffnung des Lesers auf eine interessante Geschichte durch Oberflächlichkeit und Desinteresse enttäuscht. Es scheint, als hätten dem Autor entweder die Lust oder die Geduld gefehlt, dem Thema mehr als flüchtige Aufmerksamkeit zu widmen. Schade!

Peter Freund lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Berlin und ist seit 1980 in der TV- und Filmbranche tätig. Unter anderem schrieb er Drehbücher und Bücher zum Film. Seit 2002 erscheinen auch Jugendromane von ihm. Sein Zyklus um Laura Leander umfasst inzwischen vier Bände, der fünfte Band soll im November diesen Jahres erscheinen.

Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
ISBN-13: 978-3-426-19644-1

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Der Autor vergibt: (2.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)


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Weber, Thomas A. – Science Fiction

Die sachliche wie literarisch-unterhaltsame Beschäftigung mit Welten der Zukunft und ihren Bewohnern – das ist das Feld der Science Fiction, die als Literaturgenre noch jung, aber deren Geschichte bereits recht komplex geworden ist. Auf 128 kurzen Seiten wird der Versuch gewagt, das Genre auf seine grundsätzlichen Elemente zu reduzieren und auf diese Weise möglichst kompakt zu erläutern.

„Science Fiction“ gliedert sich wie alle Bände der Reihe „Fischer Kompakt“ in vier Abschnitte. Der „Grundriss“ (S. 3-93) liefert eine Gesamtdarstellung, die „Vertiefungen“ (S. 94-120) informieren über ausgewählte und exemplarische Aspekte des Themas. Ein „Glossar“ (S. 121-128) listet kommentierte Fachbegriffe der Science Fiction auf. Die „Literaturhinweise“ tragen der gewollt knappen (bzw. kompakten) Darstellung Rechnung und bieten Hinweise auf weiterführende Sekundärliteratur. Als besonderer Service werden diese auf der Website http://www.fischer-kompakt.de/sixcms/detail.php?template=autor__hinweise&id=481809 durch aktuelle Links auf weitere SF-Websites ergänzt.

Der „Grundriss“ setzt mit der Frage „Was ist Science Fiction?“ ein; diese Definition ist weder simpel noch eindeutig, denn das Genre erlebte eine schwere Geburt. Es gab im späten 18. und 19. Jahrhundert zahlreiche „Wegbereiter der Science Fiction“, doch das Genre in seiner modernen Prägung ist ein Kind der 1920er Jahre und begann in den USA als „»Pulp«-Science Fiction – Die Gernsback-Ära“. Die allmähliche Entwicklung der SF als zunächst durch und durch triviales, wissenschafts- und technikgläubiges aber zunehmend die Regeln der Unterhaltung meisterndes Genre gipfelte in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre im kurzen aber stürmischen „Goldenen“ Zeitalter.

Nach dem II. Weltkrieg wurde die SF erwachsen. In die Begeisterung über die Erwartung einer glänzenden Zukunft mischten sich zunehmend begründete, aus der Erfahrung erwachsende Zweifel: Es ging offenbar nicht stetig voran mit dem Fortschritt. Vom „»Goldenen Zeitalter« zur Respektabilität und Stagnation“ heißt deshalb das nächste Kapitel, denn auch in der SF verebbten die neuen Impulse schließlich. In den 1960er Jahren kam es zur „Revolte der New Wave“. Die Vertreter einer „neuen“ Science Fiction forderten zur Auslotung der „inneren Welten“ der menschlichen Psyche auf. Diese Abkehr von der „harten“ naturwissenschaftlichen und technikorientierten SF ging einerseits einher mit der Berücksichtigung der bisher wenig beachteten „weichen“ Sozial- und Geisteswissenschaften, während andererseits formal radikal experimentiert wurde. Die „New Wave“ gab Anstöße, lief sich jedoch lahm. Wieder befand sich „Die Science Fiction auf der Suche nach neuen Wegen“. Um 1980 begannen „Cyberpunker und kalte Krieger“ ihren Siegeszug. Die SF setzte auf den scharfen Kontrast zwischen Hightech & Cyberspace und einer sozial entfremdeten bzw. verkümmerten zukünftigen Gesellschaft.

Auch der Cyberpunk erwies sich als kurzlebige Mode. Bewährte und niemals verschwundene Subgenres feierten ihre Renaissance: „Neue Weltraumoper, New Weird und neue harte Science Fiction“ prägen das aktuelle Gesicht der Science Fiction. Das Alte wird im aktualisierten Gewand recycelt, die Grenzen zu anderen Genres öffnen sich. Elemente des Horrors, des Krimis oder der Fantasy fließen stärker denn je in die SF ein. Alles scheint möglich zu sein, während ein Aufbruch in echtes Neuland auf sich warten lässt.

Die „Vertiefungen“ greifen die Aspekte „Hohlweltgeschichten“, „Die britische »scientific romance«“, „Raketenpioniere und die Science Fiction“, „Die klassische Weltraumoper“, „Okkultismus, Scheinwissenschaft und Science Fiction“, „»Harte« Science Fiction“ sowie „Alternative Geschichte“ auf, die im Grundriss nur angesprochen wurden.

Gegen diese recht kunterbunt wirkende Auswahl richtet sich denn auch die einzige gravierende Negativkritik an diesem ansonsten informativen und nützlichen Buch, welche allerdings eingeschränkt werden muss: Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte jeder Autor sich andere Themen gewählt, um mit deren Hilfe die grundsätzliche Darstellung zu vertiefen. Hier ist das vorgegebene Format der limitierende Faktor: „Fischer Kompakt“-Bände weisen einen Standard-Umfang von 128 Seiten auf. Die Limitierung als solche ist eine bewusste und auch nachvollziehbare Entscheidung: Es ist einfacher, sich über ein Thema in epischer Breite zu äußern, als sich kurz zu fassen. In der Kürze liegt die Würze, heißt ein Sprichwort, das sich so übersetzen lässt: Die Kürze zwingt sowohl zur Präzision in der Gliederung des Stoffes als auch in der Formulierung. Dieser Herausforderung zeigt sich durchaus nicht jeder kluge Kopf gewachsen. Thomas Weber hat sich ihr gestellt und sie im Großen & Ganzen bewältigt.

Auf knapp 90 Seiten die wechselvolle Geschichte eines ganzen Genres „einzudampfen“, ist eine Leistung, die Respekt verdient. Natürlich mahnt der SF-Fachmann Aspekte an, die zu kurz gekommen sind oder ganz fehlen. Nur: Trifft dies auch zu? Weber hat den Mut zur Lücke und zur Paraphrasierung; er schuppt die Science Fiction bis auf ihr Grätengerüst ab. Dabei stellt sich heraus, dass diese Gräten zum Teil nur lose oder gar nicht miteinander verbunden sind: Die Geschichte der Science Fiction verläuft (vor allem im Hinblick auf ihre Entwicklung in vielen Ländern dieser Erde, die für den westeuropäisch/angelsächsisch zentrierten Sekundärliteraten immer noch weiße Flecken der Unkenntnis bilden) nicht stringent und sie ist reich an Nebenlinien und Sackgassen. Deshalb setzt jeder SF-Historiker besagtes Gerüst im Detail womöglich ein wenig anders zusammen.

Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet Webers Ausführungen als Ganzes, so liefern sie denen, die sich nicht nur als Leser für die Science Fiction, sondern auch für das Genre interessieren, genau die wertvolle Einleitung, die sie schließlich sein sollen: geradlinig in der Darstellung, allgemeinverständlich im Ausdruck, nie verbissen akademisch. (Vielleicht wäre „Science Fiction als Literatur“ als Titel dem Inhalt besser gerecht geworden – die zeitweise außerordentlich engen und wichtigen Wechselwirkungen, die zwischen Kino/Fernsehen und der geschriebenen SF bestehen, werden von Weber nur gestreift, aber dadurch in ihrer Bedeutung immerhin als erkannt markiert.)

Vor allem stellt Weber die Science Fiction nicht als isoliertes Phänomen dar. Auch wenn die Verfechter einer „Hochliteratur“ es immer noch ungern hören, ist die SF ein Element der Literaturgeschichte, die wiederum ein Spiegelbild der gelebten Realität ist. Auch die scheinbar jegliche Bodenhaftung entbehrende Science Fiction wird von Menschen geschrieben, herausgegeben und kommentiert, die politisch, gesellschaftlich, kulturell irgendwo in ihrer Zeit verwurzelt sind. Auf dieser Ebene wird sie zu einer historischen Quelle – zur „Vergangenheit der Zukunft“, wenn man es so ausdrücken will.

Die „Vertiefungen“ sollte man als Angebot verstehen. Sie liefern für ihr jeweiliges Thema interessante Zusatzinformationen. Vor allem machen sie aber deutlich, dass „Science Fiction“ nur einen ersten Überblick bieten kann und soll. In diesem Rahmen bleibt sogar Raum für eine Reihe von Abbildungen. Freilich hätte die deutsche Science Fiction dem deutschen Verfasser Weber wenigstens ein eigenes Kapitel in den „Vertiefungen“ wert sein sollen. Sie kommt definitiv zu kurz! Das ist indes ein Manko, welches nichts am Gesamturteil ändert: „Science Fiction“ gehört in das Regal jedes Lesers, der (oder die) einen Blick hinter die Kulissen „ihres“ Genres werfen möchten.

Paul Stewart / Chris Riddell – Rook in den Freien Tälern (Klippenland-Chroniken VII)

Folge 1: „Twig im Dunkelwald“
Folge 2: „Twig bei den Himmelspiraten“
Folge 3: „Twig im Auge des Sturms“
Folge 4: „Twig – Fluch über Sanktaphrax“
Folge 5: „Rook und Twig, der letzte Himmelspirat“
Folge 6: „Rook und der schwarze Mahlstrom“

Paul Stewart / Chris Riddell – Rook in den Freien Tälern (Klippenland-Chroniken VII) weiterlesen

Franz Brandl – Brandls Barbuch

Franz Brandl ist eine Koryphäe auf seinen Gebiet. Er konnte bereits einen Abschluss als Barmeister vorweisen, als die Barkultur in Deutschland noch nahezu unbekannt war. Er war u.a. Barchef der „Harry`s New York Bar“ in München und des Dreisternerestaurants „Aubergine“. Ferner war er als Barmanager des „Sheraton“-Hotels tätig und veröffentlichte 1982 mit seinem „Mixguide“ einen zeitlosen Klassiker unter den Rezeptbüchern. Mit seinem „Barbuch“ hat er anschließend einen umfassenden Überblick zum Thema Barkultur geschaffen.

„Brandls Barbuch“ widmet sich dem Thema Bar im Allgemeinen, es werden also keine bereits bestehenden Bars vorgestellt. Brandl erläutert zunächst, wie das Phänomen Bar entstanden ist, und welche verschiedenen Bartypen sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben. Anschließend gibt er anschauliche Tips und Erläuterungen zu den Themen Barplanung, Bareinrichtung, Barkarte, Barutensilien, Gläserkollektion, Grundausstattung mit Getränken, Mixzutaten, Garnituren und praktischem Mixen. Dabei erläutert Brandl stets auch die klassischen Anfängerfehler und wie diese zu umgehen sind.

Der Rest des Buches beschäftigt sich mit den Getränken selbst. Die 300 (!) Rezepte zum Mixen unterschiedlicher Drinks nehmen dabei nur einen Bruchteil des Gesamtwerkes ein. Es folgt ein Getränkelexikon, welches wirklich keine (!) Frage zum Thema Geschichte und verfügbare Sorten der einzelnen Getränke offen stehen lässt. Abgerundet wird das Buch durch eine Liste der Getränkehersteller und Importeure sowie ein ausführliches Register.

Obwohl sich das Buch natürlich in erster Linie an Gastronomen richtet, kann es auch eine wertvolle Orientierungshilfe für alle sein, die mal eine private Cocktailparty geben wollen oder gar mit der Anschaffung einer eigenen Hausbar liebäugeln.

Bindung, Layout und Papierqualität des Buches sind erstklassig. Auch Brandls Sprache überzeugt – informativ, aber niemals abgehoben, anregend, aber niemals ordinär. Die dionysischen Sinnesfreuden werden hier auf höchstem Niveau vermittelt. Vollends veredelt wird das „Barbuch“ durch Bodo A. Schierens sinnliche Fotos – ein wahrer Augenschmaus, der Lust aufs Ausprobieren der einzelnen Drinks macht.

Fazit: Der Erwerb dieses Buches macht jede andere Literatur zum Thema Barbetrieb überflüssig (das Wirtschaftliche und Juristische mal außen vor gelassen). Nur wer ein handlicheres Rezeptbuch für Mixgetränke sucht, sollte lieber mit Brandls „Mixguide“ vorlieb nehmen. Man muss kein Gastronom sein, um zu erkennen, dass die „Gastronomische Akademie Deutschlands e.V.“ völlig zu Recht „Brandls Barbuch“ mit der Goldmedaille ausgezeichnet hat. Hier kommen nicht nur Freunde des gepflegten Trinkens, sondern auch Bibliophile und Ästheten im Allgemeinen voll auf ihre Kosten.

http://www.matthaes.de

Martinez, A. Lee – Diner des Grauens

_Umtriebiger Nachwuchs …_

… hat das Licht der Bücherwelt erblickt in den Reihen zwerchfellkitzelnder Phantasten: A. Lee Martinez, ein 33-jähriger Bursche aus Texas, verbeugt sich vor der Komikergilde um Asprin, Pratchett, Rankin, Adams und Co. und hat mit „Diner des Grauens“ einen locker-flockigen Horrorspaß aus seiner Feder gewrungen. Ob er die Eminenzen von ihrem Gelächter-Thron stoßen wird, bleibt fraglich, der Unterhaltungswert dieses Debüts ist es nicht:

_Willkommen im |Gil´s all Fright Diner|!_

Zunächst: Man möge dem Klappentext der deutschen Ausgabe nicht allzu großen Wert beimessen, spricht er doch von Earl als dem „coolsten Vampir“ und von Duke als dem „fettesten Werwolf“ aller Zeiten. Nun, Earl wäre darüber sicherlich sehr geschmeichelt. Er würde sich durch die vampirischen Geheimratsecken fahren und sich freuen, dass er einmal nicht als weinerliche, hochneurotische Vampirnervensäge bezeichnet wurde. Duke allerdings würde dem Verfasser via eingeschlagenem Schädel klarmachen, dass sich eine riesenhafte, jähzornige Kampfmaschine mit unmenschlichen Kräften eben ungern als „fettester Werwolf“ bezeichnen lässt.

Besagtes Pärchen jedenfalls schaukelt mit einem rostigen Pickup durch die Wüsten von Amerika, um schließlich im |Gil´s all Fright Diner| abzusteigen. Wie das Schicksal so will, kommt eine Meute Zombies zur gleichen Zeit auf die gleiche Idee, und ein paar beschäftigungsreiche Augenblicke später bekommen die beiden von Bardame Loretta einen Job, gleich nachdem sie diverse Zombieüberreste vor die Tür gefegt hat.

Das Städtchen Rockwood hat nämlich schon seit längerem unter derartigen Heimsuchungen zu leiden, nicht erst, seit Gil, der ursprüngliche Besitzer des Diners, spurlos verschwunden ist. Also greifen Earl und Duke der beleibten Loretta unter die Arme und stellen fest, dass Rockwood ein wahrer Magnet für übernatürliche Unbilden zu sein scheint. Bald schon finden sie den Grund dafür heraus …

_Zwerchfell- und Nervenkitzel in einem._

Wie das immer so ist, mit „Sensationsromanen“ und mit Werken, denen man „den größten Spaß seit Douglas Adams“ attestiert; die heraufbeschworenen Erwartungen bleiben auf der Strecke. So auch beim „Diner des Grauens“. Aber auch wenn das kein „Sensationsroman“ ist, ist es doch ein wunderbar unterhaltsamer Zeitvertreib, bei dem man mal an den Nägeln kaut, sich mal den Bauch hält, und dann plötzlich erschrocken feststellt, dass man schon am Ende angelangt ist.

Es macht einfach Spaß, die beiden Protagonisten bei ihrem skurrilen Abenteuer zu begleiten: Earl ist ein weinerlicher, empfindlicher Feigling, der sich den ganzen Tag mit Duke in den Haaren liegt. Duke hingegen hat für alles, wenn er denn mal spricht, nur staubtrockene Kommentare übrig und legt ansonsten einen äußerst werwölfigen Aktionismus an den Tag. Kompliziert (und hoch amüsant) wird es, als sich Earl in eine Geisterdame verliebt (und diese Peinlichkeit unbedingt vor Duke verbergen möchte), und als Duke sich gegen die Annäherungen einer attraktiven Teenagerin wehren muss, obwohl ihm das Tier im Manne ganz Anderes schmackhaft macht. Als ob sie mit dem Geheimnis um den verschwundenen Gil und seinen Horror-Diner nicht schon genug um die Ohren hätten …

Die Story an sich gießt ganze Kellen an Spott über die Konventionen des Horror-Genres aus: Da beklagt Earl sich bitterlich, dass ihm den ganzen Tag pubertäre Mädels an die Wäsche wollten, weil das die Ausstrahlung von Vampiren nun mal so mit sich bringe, und er leidet unter riesigen Minderwertigkeitskomplexen, da die Medien unerfüllbare Erwartungen an untote Liebhaber stellen. Es gibt Protoplasma-pinkelnde Geisterhunde, einen sturen Magic-Eight-Ball, der sich nur mit Bonanza zu einer Antwort bestechen lässt, Ghouls, die sich Komplimente machen, während sie auf den tödlichen Sonnenaufgang warten, Beschwörungen in pubertärer Silben-Geheimsprache, und dergleichen mehr, das der Leser wohl besser selbst entdecken sollte.

_Wildwasserfahrt im Comicpark._

Die Figuren sind Comic-Figuren mit Leib und Seele. Keine ihrer Anwandlungen hat etwas Natürliches an sich, alles ist überspitzt und überdreht, aber Tiefe besitzen sie trotzdem. Earl und Duke beispielsweise; es gibt eine Geschichte, wie sie sich getroffen haben, warum sie zusammenhalten und wie sie mit ihrem Schicksal allgemein klarkommen. Aber auch die Nebenfiguren aus Rockwood haben, für ein Comic-Universum, glaubwürdige Motive.

Und diese Motive verknüpfen sich überhaupt erst zu der gesamten Story: Durch den Klappentext erwartet man eigentlich eine Ansammlung unsinniger Skurrilitäten, die mit einem losen Handlungsfaden aneinandergeknüpft wurden, aber das ist im „Diner des Grauens“ überhaupt nicht der Fall. Alles hat seinen Grund: Warum der alte Gil aus seinem Diner verschwunden ist, warum plötzlich Zombie-Kühe auftauchen, warum es ausgerechnet einen Vampir und einen Werwolf an diesen Ort verschlägt. All das steigert sich zu einem Showdown, der nicht nur in sich schlüssig ist, sondern auch spannend, und der an seinem Ende keine offenen Fragen hinterlässt.

Pluspunkte gibt es außerdem für Tammy: Die Antagonistin ist eine hübsche Achtzehnjährige, ein typischer Vamp, die jeden Typen genau in die Richtung manipuliert, in die sie ihn haben möchte, obwohl der Verhexte genau weiß, dass er damit in das offene Messer rennt. Standard eigentlich, so sehr, dass man fast schon von archetypisch sprechen könnte, aber Martinez hat die Verführkünste seiner Gegenspielerin derart lebensecht und spürbar in Szene gesetzt, dass der Verfasser dieser Zeilen zugegebenermaßen recht kribblig geworden ist, das eine oder andere Mal …

_Schmackhaftes Desert nach schweren Gängen._

Nein, es bleiben kaum Wünsche offen nach dem Besuch von Gil’s Diner. Natürlich, um Hochliteratur handelt es sich dabei nicht, aber für einen luftigen Snack nach allzu schwerer Kost taugt es allemal. Zwar erreicht Martinez keinesfalls den Ideenreichtum eines Douglas Adams oder eines jungen Terry Pratchett, und auch ist „Diner des Grauens“ nicht so ausgeklügelt und augenzwinkernd wendungsreich wie die Dämonen-Abenteuer von Robert Asprin. Aber für einen Einstand in das Genre hat sich der junge Texaner hervorragend geschlagen.

Und, um den Brückenschlag zur einleitend erwähnten Umtriebigkeit zu vollführen: Martinez ruht sich auf diesen Lorbeeren keineswegs aus. Im August dieses Jahres wird sich „In the Company of Ogres“ zur Aufgabe machen, das Fantasy-Genre zu verhöhnen, „The Nameless Witch“ ist schon fertig verfasst und befindet sich in der Korrekturphase, während sich Agent und Verleger von Martinez schon über „Nessys Castle“ beugen, und über „Automatic Detective“, eine Verballhornung des Noir-Krimis mit „Robotern, Mutanten und anderem coolen Zeug“. Ob Martinez seinen Horizont erweitern wird? Oder ob er in Pratchett’sches Gag-Recycling verfallen wird? Ob er sein Pulver schon verschossen hat, oder ob er gerade mal anfängt, warm zu werden? Keine Ahnung. Seine Chance hat er sich jedenfalls mit dem „Diner des Grauens“ verdient!

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Bionda, Alisha / Kleugden, Jörg – Schattenkelch, Der (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 5)

Band 1: [„Der ewig dunkle Traum“ 1899
Band 2: [„Kuss der Verdammnis“ 1900
Band 3: [„Die Kinder der fünften Sonne“ 1949
Band 4: [„Blutopfer“ 1977

Nachdem das Kapitel „Antediluvian“ in Band 4 sein endgültiges Ende gefunden hat, werden Dilara und Calvin mit einer ganz neuen Problemstellung konfrontiert: die Vergangenheit Calvins und das Geheimnis um den sagenumwobenen Schattenkelch. Dieser Kelch soll den Nosferati die Fähigkeit geben, dass nicht mal fliessendes Wasser ihnen etwas anhaben kann – damit wären diese Wesen in der Tat unsterblich.

Dilara ist sich sicher, dass ihr Gefährte in einem engen Verhältnis zu diesem Kelch steht – auf seinem Amulett, welches er seit jeher um seinen Hals trägt, ist eben jenes Gefäß abgebildet. Doch Calvin kann oder will sich nicht wirklich dazu äußern, zumindest weicht er Dilaras Fragen deutlich aus. Dafür erinnert sich Dilara wiederum an ein einschneidendes Ereignis im August des Jahres 1914 in Frankreich, kurz vor den Wirren des ersten Weltkriegs:

Um etwas Licht in ihre Vergangenheit zu bringen, nimmt Dilara das Angebot der Hellseherin Geneviève Zaeppfel an, sich an einer ihrer berühmten Seancen zu beteiligen. Doch die mystische Runde soll von einem unerwarteten Ereignis erheblich gestört werden. Schon am Vorabend fühlt Dilara die Anwesenheit eines Vampirs, kann aber noch nicht genau einschätzen, wer aus der illustren Gesellschaft von ihrer Art ist. Inmitten einer Sitzung nutzt der unbekannte Blutsauger dann die Gelegenheit und entführt zusammen mit einem Gehilfen die hilflose Madame Zaeppfel.

Dilara nimmt umgehend die Verfolgung auf und wird mit dem seltsamen Fluggefährt des Entführers konfrontiert – einem Zeppelin. Mit diesem verschleppt der Bösewicht nebst der Vampirin auch Geneviève in seine geheime Festung, um sich dort mit der Hellseherin eingehender zu beschäftigen. Madame Zaeppfel gehört augenscheinlich einer Gruppe an, die den Aufenthaltsort des legendären Schattenkelches kennt. Eben dieses Gefäss will der Vampir in seinen Händen wissen, um mit seiner Hilfe den ewigen Kampf zwischen Licht und Schatten für sich zu entscheiden.

Bevor er jedoch dieses gut gehütete Geheimnis aus Geneviève herauspressen kann, wird die Festung von deren Anhängern überrannt. Dilara und die Hellseherin werden nach einer blutigen Auseinandersetzung befreit. Dabei wird die Vampirin Zeugin, wie die Retter ihre Verwundeten mithilfe eines Kelches tränken und somit heilen können. Dilara ist dem Schattenkelch anscheinend sehr nahe gekommen …

Dieser Rückblick veranlasst Dilara im Juni 2006, ihre Suche nach Madame Zaeppfel wieder aufzunehmen. Vor allem erinnert sie sich auch daran, dass sie in der Klosterbibliothek von Genevièves Bruder Bernard eine französiche Abschrift der Schattenchronik zu Gesicht bekommen hatte, die eben nicht aus diesem sprachlichen Durcheinander zu bestehen schien wie das vorliegende Exemplar aus Antediluvians Besitz – leider konnte sie sich dieses Büchlein damals nicht aneignen.

Zusammen mit Calvin macht sie den Bruder Madame Zaeppfels ausfindig, der mittlerweile am Mont St. Michel sein Dasein fristet. Von ihm erfahren sie tatsächlich mehr über den möglichen Aufenthaltsort des begehrten Kelches. Die französischsprachige Schattenchronik scheint aber leider bei einem Brand vernichtet worden zu sein. Somit geht das Paar den neuen Hinweisen nach. Sie stoßen auf eine Gruppe, die einer gewissen Schwarzen Sara huldigt und im Besitz mehrere Kelche ist – einer davon ist in der Tat der Schattenkelch. Auf die beiden warten aber noch einige große Überaschungen, vor allem da sich mittlerweile einige entschlossene Verfolger an ihre Fersen geheftet haben …

Während Dilara und Calvin also in Frankreich Stück für Stück dem Schattenkelch näher kommen, herrscht in London der Ausnahmezustand. Die einzelnen Vampirgruppen bekriegen sich bis aufs Äußerste, jeder versucht Antediluvians Stelle einzunehmen. Inmitten dieser Wirren beschäftigt sich Guardian in den Katakomben mit dem Nachlass des Urvampirs und entdeckt einige interessante Fakten.

Der geheimnisvolle Cop Mick Bondye hat mit der beleibten Cassandra eine neue Partnerin bekommen, die ihn tatkräftig bei der Aufklärung einer neuen Serie abartigster Morde unterstützt. Bondye wird zunehmend mit seiner wahren Wesensart konfrontiert, denn auch er hat einen speziellen Stand in der Welt der Schatten, mehr als er selbst ahnt.

Dann sorgt noch die plötzlich aufgetauchte Geschäftsfrau Luna Sangue in der englischen Hauptstadt für Unruhe. Das LUNATIC-Cosmetic-Monopol dient nur als Tarnung ihrer wahren Identität, denn in der eiskalten Dame – die der Vampirin Dilara Demimondes verteufelt ähnlich sieht – schlummert unverkennbar die Seele der Göttin Coyolxa. Diese will Calvin von seiner Gefährtin trennen, um diese letztendlich als Instrument zu ihrer Machtergreifung zu missbrauchen. Da sich Calvin in einer schwierigen Selbstfindungsphase befindet, scheinen ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sein …

Alisha Bionda und Jörg Kleudgen – der zweite Streich: Diesmal tun sich ganz andere Facetten auf, denn die Abenteuer von Calvin und Dilara schlagen einen neuen Weg ein. Und wieder haben sich die beiden Autoren in einer fabelhaften Zusammenarbeit die Erzählung der Geschichte geteilt. Der Leser wird auf eine spezielle Gralssuche mitgenommen, auf eine Zeitreise in das Frankreich kurz vor den Wirren des Weltkriegs hinein in eine abenteuerliche Jagd nach dem Schattenkelch, mit dem sich die Vampire zur Überrasse aufschwingen könnten. Für mich als Mensch ein fragliches Unterfangen (smile)!

Jedenfalls werden hier ein paar frische Charaktere ins Leben gerufen, wie Geneviève Zaeppfel oder die multinationalen Teilnehmer der Seance in Schloss Comper. Alles sehr liebevoll gezeichnete Personen, die wie Dilaras neue Gegenspieler zu ihrer ganz eigenen Rolle in diesem wilden Reigen kommen. Dafür genießen die bereits bekannten Personen feinere Züge, sie werden noch tiefer in die Handlung eingestrickt, um ihren festen Stellenwert in der Welt der Schattenchronik einzunehmen. Da wären z. B. Sympathieträger wie Mick Bondye und die drollige Cassandra, aber auch der undurchsichtige Guardian.

Nach Dilara wird nun auch Calvins Vergangenheit thematisiert. Auch hier tut sich ein steiniger Pfad zur Erkenntnis auf, weitere düstere Geheimnisse wollen gelüftet werden und das Finale wartete wieder mit einem fast schon gemeinen offenen Schluss auf. Zum Glück sind die beiden Bände aber zeitgleich erschienen. Der Titel des nächsten Bandes dürfte nämlich deutlich machen, dass in Calvin noch so einiges verborgen ist.

Ein faszinierendes Bild von Calvin hat Mark Freier hier auf das Cover gebracht. Der junge Vampir hält den Schattenkelch in seinen Händen – es mutet schon fast wie ein Foto an. Vor allem das Material des Kelches ist hervorragend dargestellt. So wie Mark gibt auch Pat sein bekanntes Können bei den Anfängen der einzelnen Kapitel zum Besten. Vor allem die Kombinationen zwischen Licht und Schatten, dann noch die ganz spezielle Darstellung des Mondes bei Pat möchte ich hier mal gesondert erwähnen, weil es mir diesmal besonders positiv aufgefallen ist.

Die Geschichte um die Vampirin Dilara hat ihre neue Richtung längst gefunden, jetzt formt sie sich zu einem großartigen Zyklus …

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Freund, Peter – Stadt der vergessenen Träume, Die (Die Legenden von Phantásien)

„Die Legenden von Phantásien“ – klingt das bekannt? Yep. Peter Freund lehnt sich mit dem Roman „Die Stadt der vergessenen Träume“ an keinen geringeren Fantasyklassiker als „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende an.

Auch ich habe „Die unendliche Geschichte“ natürlich gelesen, doch das liegt mittlerweile so weit zurück, dass die Erinnerungen in meinem alternden Gehirn nur noch sehr blass vorhanden sind. Ich leide quasi am Großen Vergessen, einer Krankheit, die das Völkchen der Insomnier ebenfalls befällt. Doch anders als bei mir, bei der nur die Gehirnareale geputzt werden, verschwinden die Insomnier, sobald das Vergessen Besitz von ihnen ergreift. Die einzige Hoffnung, die sie haben, ist die Stadt Seperanza, wo sie sicher sind, bis sie den Ruf hören, der ihnen erlaubt, die Stadt wieder zu verlassen.

Doch etwas hat sich geändert. Niemanden erreicht mehr der Ruf und die Stadt der vergessenen Träume platzt aus allen Nähten, obwohl sie die Pforten für weitere Insomnier bereits geschlossen hat. Trotzdem versucht Kayún mit seiner Schwester die Stadt zu erreichen, nachdem ihre Eltern vom Vergessen dahingerafft worden sind und sich einfach in Luft aufgelöst haben. Die Reise nach Seperanza ist beschwerlich, denn sie führt über das Eisige Gebirge, und große, düstere Gestalten, die Traumfänger genannt werden, verfolgen sie. Doch in Phantásien gibt es nicht nur üble Wesen. Der eine oder andere ist den Geschwistern auch wohlgesonnen oder scheint es jedenfalls zu sein …

Unabhängig davon erzählt ein zweiter Erzählstrang von dem Mädchen Saranya, das in Seperanza wohnt und das Kind des höchsten Stadtherrn ist. Eines Tages findet sie heraus, dass sie gar nicht dessen echte Tochter, sondern ein Findelkind ist. Ihre Welt bricht zusammen, und weil ihre Zieheltern auf ihr Warum? nur Ausflüchte vorbringen, ahnt sie, dass etwas Größeres hinter dieser Geschichte steckt. Gibt es etwa einen Zusammenhäng zwischen dem Geheimnis ihrer Herkunft und dem einzigen Bürger, der jemals der Stadt verwiesen wurde? Magister Philonius Philippo Phantastus, der sich mit dem Ruf und dem Phänomen des Vergessens auseinander gesetzt hatte, ein weiteres Geheimnis, auf das niemand ihr eine Antwort geben kann …

„Die Stadt der vergessenen Träume“ baut explizit auf der unendlichen Geschichte auf, so dass der Vorwurf mangelnder Eigenkreativität, wie ich ihn gerne an frühere Bücher von Peter Freund gestellt habe, sich von selbst aufhebt. Die Handlung, die in einer sehr detailverliebten Fantasiewelt stattfindet, die manchmal schon fast wieder zu überborden mit Fantasiewesen wie Rasenden Gerüchten oder Lawinenwichteln besetzt ist, hat durchaus ihre Momente, auch wenn Saranyas Geschichte dem Leser ziemlich schnell klar wird. Kayúns Reise baut ebenfalls kaum auf Spannung auf, doch immerhin wird der Weg der beiden Geschwister sehr schön beschrieben und über Langeweile kann man sich nicht beklagen. Einzig – worauf der Autor hinauswill, bleibt mir etwas schleierhaft. An manchen Stellen wirkt das Buch hier doch etwas diffus.

Die Charaktere sind nicht wirklich ausgearbeitet, werden aber liebevoll in Szene gesetzt. Immerhin hat Freund damit aufgehört, seine Helden mit übertriebenen Kräften auszustatten, was mich an Laura Leander, der Romanfigur, die ihn bekannt machte, immer gestört hat. Saranya, Kayún und Elea benehmen sich wie normale Kinder und haben weder großartige Macken noch fallen sie durch Besonderheiten auf. Das ist natürlich schade, doch fällt es nur wenig ins Gewicht.

Was mich viel mehr irritiert, ist der Schreibstil. Das Buch ist als Kinderbuch ausgezeichnet und für junge Leser ab 12 Jahren, laut Verlag, geeignet. Der erhabene, stellenweise geschwollene Schreibstil spricht allerdings eine andere Sprache. Freund lehnt sich an diese gewisse bedeutungsschwangere Stimmung mit einem Hang zu Archaismen an, die gerade Fantasyschinken gerne durchzieht. Ob das wirklich kindgerecht ist, stelle ich in Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit zwölf Jahren Wörter wie „Unbilden der Witterung“ (Seite 15), „Folianten“ (Seite 138) oder „Äonen“ (Seite 260) gekannt hätte. Natürlich kann man auf der Gegenseite anführen, dass der Horizont der jungen Leser dadurch erweitert wird, doch welches Kind würde ein Buch freiwillig lesen, wenn ständig Begriffe vorkommen, mit denen es nichts anfangen kann?

Trotz dieses nicht unerheblichen Mankos ist „Die Stadt der vergessenen Träume“ ein lesenswertes Buch für Fans von kindlicher Fantasie, d.h. für jene, die gern in völlig fremde, magische Welten eintauchen. Peter Freund ist zwar nicht der große Wurf gelungen, doch diese Legende aus Phantásien ist nette Unterhaltung für ein paar Stunden.

Henn, Carsten S. – In Vino Veritas

Dass Jürgen von der Lippe ein derart guter Hörbuch-Sprecher sein würde, hätte ich niemals erwartet. Das Original aus Film und Fernsehen mag zwar ein prima Entertainer und auch sonst ein sehr witziger Zeitgenosse sein, doch eine überzeugende und seriöse Leistung in einem solchen Projekt hätte ich persönlich ihm nicht zugetraut. Umso angenehmer ist natürlich die Überraschung in Form der absolut perfekten Gegendarstellung bei der Hörbuch-Fassung von Carsten S. Henns Roman „In Vino Veritas“, einem kulinarischen Krimi, dem von der Lippe hier seine Stimme leiht – und dies wirklich in umwerfend toller Manier.

_Story_

Eigentlich verdient sich Julius Eichendorff seine Brötchen als Koch in seinem Restaurant „Zur Eiche“, einem wohl bekannten, beliebten Lokal an der Ahr. Und eigentlich ist der Mann auch gerade damit beschäftigt, ein Menü zusammenzustellen, mit dem er sich bei den Kritikern des Metiers den ersten Stern für seinen Beruf erkochen will. Doch dann kommt alles anders: Julius‘ Freund Siggi, ein berüchtigter und wegen seiner Sturheit nicht allzu populärer Winzer, wird tot in einem Weinfaß aufgefunden, und neben dessen Ehefrau gerät auch Eichendorff in Verdacht, mit dem kriminellen Akt in Verbindung zu stehen.

Bevor man aber überhaupt nach ihm fahndet, begibt sich der Koch auf eigene Faust auf die Suche nach den Attentätern und den Hintergründen dieser Tat. Dabei stößt er nicht nur auf seltsame Organisationen wie die ortsansässige Weinbruderschaft und weitere eigenbrödlerische Restaurantbesitzer, sondern auch nach einiger Zeit auf eine weitere Leiche, die von Julius höchstpersönlich entdeckt wird. Die neue Kommissarin von Reuschenberg nimmt dies erneut zum Anlass, Eichendorff aufgrund der Umstände in den engeren Kreis der Tatverdächtigen einzubeziehen, möchte so aber auch erreichen, dass dieser seine waghalsigen Ermittlungen aufgibt, bevor ihm dabei noch etwas zustößt. Doch alle Warnungen kommen zu spät: Plötzlich gerät Julius wirklich in Gefahr, und die einzige Möglichkeit, noch einmal aus dem Schlamassel herauszukommen, ist die Zubereitung eines mörderischen Menüs …

_Meine Meinung:_

„In Vino Veritas“ ist ein ziemlich eigenwilliger Krimi, eher eine Mixtur aus Humor, kulinarischem Genuss, Kultur und Kriminalgeschichte, gespickt mit ein paar tollen Charakteren, die Jürgen von der Lippe ihrer Herkunft entsprechend auch wunderbar interpretiert. Sowohl den französischen Gourmet als auch den kölnischen Lokalbesitzer mimt er mit einer außerordentlichen Leidenschaft, der man deutlich anmerkt, dass sich der Vorleser sehr wohl in die Rollen der einzelnen Figuren hineinversetzt hat und so selbst das Hörbuch zu einem sehr lebendigen Ereignis hat werden lassen.

Carsten S. Henn, der Autor der Romanvorlage, hat ihm dazu allerdings auch die besten Voraussetzungen geschaffen. Die beiden parallel laufenden Handlungsstränge – einmal die Mordserie, weiterhin Julius‘ Suche nach dem perfekten Menü – haben jeweils so viel Potenzial, dass die in knapp vier Stunden vorgetragene Hörbuchfassung noch recht knapp wirkt, um all die verschiedenen, oft versteckt angedeuteten Details zu verarbeiten. Gerade im Hinblick auf die kulinarische Vielfalt, mit der Henn hier spielt, wünscht man sich manchmal noch mehr Einzelheiten, wobei die Kombination aus beidem (Hochgenuss und Spannung) dem Autor echt super gelungen ist.

Zudem muss man sagen, dass die Weinkultur im Ahrgebiet mit all ihren seltsamen Eigenheiten auch sehr gut erfasst wurde. Die Winzer sind ein Volk für sich, so viel steht fest; und dies beschreibt Henn über sein Medium von der Lippe auch sehr schön. So gibt es zahlreiche Anlässe zu schmunzeln, und dies über Dinge, die für das weinvernarrte Volk anscheinend normal sind, für unsereins aber eher komisch wirken. Beispiele gefällig? Nein, bitte selber nachhören, denn wenn der Franzose Antoine seine Kritik zur aktuellen Spätlese abliefert oder der Kellner Franz Xaver mit seinem Wiener Schmäh daherredet, beide dabei aber ganz genau in die Szenerie passen, ist das schon eine echte Wonne – nicht zuletzt und einmal mehr wegen der tollen Lesung des Sprechers Jürgen von der Lippe. Aber adäquat wiedergeben bzw. beschreiben kann man das in Worten nicht.

Bei all den ungewöhnlichen Aspekten dieser Geschichte gerät die Kriminalgeschichte schon mal schnell auf die Nebenspur, wo sie aber natürlich nicht hingehört. Sobald sich Henn vollends auf den wichtigsten Teil des Plots konzentriert – und das macht er auch relativ bald – entwickelt sich eine packende, spannungsgeladene Handlung, der es weder an Überraschungen noch an weiteren sonderbaren Ereignissen mangelt. Und dies so lange, bis Julius Eichendorff aus der Not heraus seine Mördermahlzeit brutzelt und darin die letzte Chance sieht, alle Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

_Fazit_

„In Vino Veritas“ ist im wahrsten Sinne des Wortes ein echter Festschmaus. Man darf wirklich erstaunt sein, wie lebendig Jürgen von der Lippe diese Geschichte vorträgt, und wie es ihm dabei gelingt, sowohl den Aspekten des Krimis als auch den genüsslichen Nebenschauplätzen mit all ihren vollkommen unterschiedlichen Charakteren gerecht zu werden. Nach dem erst kürzlich von mir rezensierten [„Tod und Teufel“ 2566 von Frank Schätzing ist dies nun bereits das zweite Hörbuch aus dem Hause |Emons|, von dem ich vollkommen begeistert bin, so dass ich neben meiner Empfehlung für „In Vino Veritas“ auch mal auf das Programm des Verlags hinweisen möchte, in dem es auf jeden Fall eine ganze Menge zu entdecken gibt.

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Roslund, Anders / Hellström, Börge – Bestie, Die

Wieder einmal erobert ein schwedischer Thriller, der mit dem Nordischen Krimipreis ausgezeichnet wurde, die deutschen Bestsellerlisten und wieder einmal erweist sich damit diese Auszeichnung als äußerst verkaufsfördernd. Doch dieses Mal handelt es sich dabei nicht um einen „traditionellen“ nordischen Krimi mit einem Kriminalkommissar in der Hauptrolle, sondern um einen durchaus innovativen und spannend geschriebenen Thriller, der seine Leser zum Nachdenken anregen dürfte.

Auf einem Krankenhaustransport kann der psychopathische Kindermörder Bernt Lund fliehen. Vier Jahre zuvor vergewaltigte, quälte und ermordete Lund zwei neunjährige Mädchen, aber kaum ist er wieder auf freiem Fuße, sucht er sich auch schon sein nächstes Opfer. Dieses Mal schnappt er sich in der Nähe eines Kindergartens die fünfjährige Marie und wiederholt seine grausige Tat.

Maries Vater Frederik sieht rot und stellt seine eigenen Ermittlungen an. Schließlich kann er den Mörder seiner Tochter finden, bevor die Polizei Lund auf die Spur gekommen ist. Frederik erschießt den Kindermörder im festen Glauben, andere Eltern vor dem Schicksal zu bewahren, ebenfalls ihre Tochter zu verlieren. Der anschließende Prozess gegen Frederik wird ein riesiges Medienereignis. Schließlich kommt es zu einem Urteilsspruch, der weit reichende Konsequenzen hat…

Im Fokus der Geschichte steht nicht so sehr die Mordserie bzw. der psychopathische Mörder an sich, sondern die Frage, ob Selbstjustiz als eine Art Notwehr angesehen werden kann. Bernt Lund hatte sich bereits die nächsten beiden Opfer ausgesucht, als Maries Vater seine Rache üben kann. Zwei Leben unschuldiger Kinder konnten also gerettet werden, indem ein Leben – das eines mehrfachen Mörders und Vergewaltigers – ausgelöscht wurde. Ist das Gerechtigkeit? Hat Maries Vater das getan, wozu die Polizei nicht in der Lage war und damit die Welt vor schlimmerem Übel bewahrt? Die Bevölkerung scheint das zu glauben, denn sie steht fest hinter Frederik und feiert ihn als Helden.

„Die Bestie“ wirft viele Fragen auf, die selbstverständlich nicht eindeutig beantwortet werden können – es ist ein moralisches Dilemma, für das es kein Richtig und kein Falsch gibt. Ganz unbeabsichtigt erwischt man sich jedoch häufig bei dem Gedanken, dass Frederik für dieses Verbrechen nicht bestraft werden sollte. Unterstützt werden diese Gedanken insbesondere durch Frederiks sympathisches Wesen. Man kann sich wunderbar in ihn einfühlen und muss unweigerlich mit ihm leiden.

Interessanterweise kommt dieser Thriller dadurch fast ohne die üblichen Verfolgungsjagden und Ermittlungen aus, da Bernt Lund schnell von Maries Vater gestellt werden kann. In der „Bestie“ geht es um viel mehr, und das ist auch der Grund, warum ich das Buch geradezu verschlungen und mich auch gut unterhalten und angeregt gefühlt habe.

Doch ist das Buch trotz dieser überzeugender Ansätze nicht frei von Kritik: Man wird das Gefühl nicht los, als wollten die beiden Autoren mit dem Holzhammer eine Moral in dieses Buch einhämmern. Anders Roslund und Börge Hellström gehen hier meiner Meinung nach einen Schritt zu weit, indem sie dem Leser oftmals eine Meinung vordenken und dadurch eine zwangsläufige Antwort auf die Frage, ob Frederik selbst ein Mörder ist oder als Held gefeiert werden sollte, geben. Ab und an trieft das Buch nur so vor Moral, sodass ich mir gewünscht hätte, die beiden Autoren wären unauffälliger zu Werke gegangen. Irgendwie erscheint es mir etwas zu aufgesetzt, wenn im korrekten Schweden alle Gefängnisinsassen und Schwerverbrecher ganz selbstverständlich so genannte „Schnellficker“ verachten, also Insassen, die wegen Sexualverbrechen verurteilt wurden. Da wird man das Gefühl nicht los, als wollten Roslund und Hellström mit dem ganzen Zaun winken, um auch dem letzten Leser klarzumachen, dass Sexualverbrecher das Widerwärtigste überhaupt sind. Recht haben sie ja, aber darauf bin ich auch ohne ihre Hilfe gekommen.

Schade ist auch, dass die Autoren sich in ihren unterschiedlichen Handlungssträngen geradezu verlieren. Insbesondere anfangs werden so viele verschiedene Handlungsschauplätze aufgemacht, die teils wenig, teils gar nicht adäquat fortgesetzt werden, dass es wirkt, als hätten die beiden Autoren sich nicht gut genug abgestimmt und eventuell den einen oder anderen Handlungsfaden am Ende vergessen – oder was sollte der verheiratete Gefängniswärter, der seit einiger Zeit seine schwulen Neigungen entdeckt hat? Eine wirkliche Rolle hat er leider nicht gespielt. Gerade zu Beginn des Buches verwirren die zahlreichen neu auftauchenden Personen sehr und stören dadurch den Lesefluss.

Insgesamt unterhält „Die Bestie“ sehr gut und bietet auch einige interessante Ansätze, aber dann wirkt mir die Moral doch zu aufgesetzt, um authentisch wirken zu können. Vor allem das Buchende empfand ich als zu abgedroschen und überdramatisiert, dennoch sollte man die Idee, die hinter diesem Buch steckt, würdigen. Wer einmal einen etwas anderen Thriller lesen möchte, der fast ohne die genretypischen Elemente auskommt und dennoch hochspannend ist, der ist bei diesem Buch genau an der richtigen Stelle.

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Felden, Thorsten / Meininghaus, Jan – Signum Mortis – Erinys

|Das Lack-und-Leder-Weibchen Erinys dient dem Musikmagazin |Sonic Seducer| als Maskottchen. Comicstrips in Zeitungen nicht unähnlich, tritt sie dort einmal im Monat auf und unterhält die Leser mit düsterem Gerede. Der kürzlich bei |Ehapa| erschienene Sammelband „Signum Mortis“ stellt den gegenwärtigen Höhepunkt der Serie dar. Man fragt sich allerdings, ob das wirklich sein musste.|

„Schwarz ist eigentlich keine Farbe.“ Meine Kunstlehrerin war immer recht penibel. Sie wusste, dass ich die Farbe mochte und häufig schwarze Kleidung trug. Während ich pinselte, genoss ich die Vorstellung, dass meine Hose und mein Pullover streng genommen gar keine Farbe hatten, sondern sich irgendwie abhoben. Die ihnen innewohnende Verneinung machte sie meiner Ansicht nach zu etwas Besonderem. Was ich übersah: Innen und Außen sind zwei verschiedene Dinge.

Vermutlich geht es Thorsten Felden und Jan Meininghaus mit ihrem Werk „Signum Mortis – Erinys“ ähnlich. Auf jeden Fall hat ihre Hauptfigur eine Affinität zu Schwarz. Erinys, eine junge Frau mit schweren Stiefeln, enger Lederhose und einem Lackoberteil, wandert in den Straßen einer namenlosen Stadt umher. Sie bewegt sich im Niemandsland zwischen Leben und Tod, weiß nicht so recht, woher sie kommt und wohin sie geht. Der Name Erinys erinnert nicht umsonst an die Erinyen, jene griechischen Rachegöttinnen, die überall dort auftraten, wo zu Unrecht Blut vergossen wurde.

Erinys Existenz ist ein merkwürdiger Schwebezustand, der das ganze Album über anhält. Obwohl Nebenfiguren wie die Gerichtsmedizinerin oder der Kommissar auftauchen, ist sie weitgehend mit sich selbst beschäftigt. Sie befindet sich in einer inneren Isolation und ist auf der Suche nach sich selbst. Auf ihrer Reise begegnet sie urbanen Bösewichtern wie dem Kinderschänder oder dem Drogendealer. Durch eine Berührung an der Stirn entzieht sie ihnen das Leben.

Die Geschichte wendet sich an einen pubertären Leser, gaukelt Tiefgang vor und bleibt dabei Teil der Oberfläche, die sie eigentlich durchbrechen will. Erinys ist ein Trendprodukt. Seelenlos und distanziert tritt die Protagonistin dem Leser entgegen. Von emotionaler Anteilnahme kann da keine Rede sein, die Spannung bleibt auf der Strecke. Auf gleiche Weise dümpelt der visuelle Teil des Werks vor sich hin. Die Seiten sind als Kollagen und Bilderfolgen gestaltet, überzeichnet und von dunklen Tönen geprägt. Originell oder einprägsam kann man diese Arbeit nicht nennen.

Schlagen wir den Bogen zurück zum Anfang. Schwarz ist eigentlich keine Farbe. Und „Signum Mortis – Erinys“ ist eigentlich keine tiefgreifende Geschichte über Leben und Tod und den Sinn der Welt, obwohl die Autoren diesen Eindruck gerne erwecken würden. Eigentlich ist der Band eine Foto-Love-Story, allerdings nicht für die Pop-Hörer der |Bravo|, sondern für die Gothic- und Metal-Freunde des |Sonic Seducer|. In Erinys geht es zwar nicht um Dreiecksbeziehungen und den ersten Koitus, aber die Qualitäten ähneln sich. Nichts Besonderes, eben in Schwarz.

Whitton, Steve – Sternental (Sacred: Die Chroniken von Ancaria 2)

Band 1: [Engelsblut 2523

Kaum haben die drei Helden – Zara, die Vampirin mit Seele, Jael, die engelsgleiche Seraphim, und der Gauner Falk – erfahren, dass Sakkara-Kultisten die Tore zur Dimension der Dämonen öffnen wollen (Vgl. Band 1, Engelsblut), machen sie sich auf den Weg, die Welt zu retten. Ihr Ziel ist Burg Sternental, eine Enklave der in Ancaria verhassten Magier und vermeintlicher Sitz des Oberhauptes des Kults, Iliam Zak.

Die Reise, auf der sich der Gruppe ein geheimnisvoller Wolf anschließt, erweist sich als äußerst beschwerlich: Diverse Monster und widriges Gelände fordern von den Gefährten das Letzte. Dennoch erreichen sie ohne Verluste ihr Ziel, nur um zu erfahren, dass Iliam Zak schon lange tot ist und nun ein Anderer dessen unheiliges Werk fortsetzt.

In ihrer Hilflosigkeit bittet Jael als Abgesandte des Königs den Rat der Magier um Hilfe, welche ihnen die alten, verbitterten Männer jedoch verweigern. Zudem müssen Jael und Zara erfahren, dass der Sakkara-Kult längst viele der Zauberer korrumpiert hat. Und die Zeit drängt, denn es bleiben nur noch wenige Stunden, um Ancaria vor den Horden der Dämonen zu retten.

Zugegeben, die Geschichte ist mit leichter Hand geschrieben und daher angenehm zu lesen. Doch das trifft auch auf die meisten Groschen-(oder sagt man jetzt Cent?)Romane zu. Von einem Taschenbuch kann man mehr als nur einen lockeren Stil erwarten, erst recht, wenn es dem Titel nach für sich reklamiert, die Chronik einer (imaginären) Welt zu sein. Bedauerlicherweise bleibt dieser Wunsch nach „Mehr“ aber in fast jeder Hinsicht unerfüllt.

Ancaria wird reduziert auf eine Handvoll Dörfer – die meisten kaum mehr als bloße Namen -, ein, zwei Wälder, einen Sumpf und ein Gebirge – inklusive Talkessel und cooler Burg. Die ganze Welt erscheint dadurch auf eine merkwürdige Art leer und unbelebt, so dass sich der Leser unwillkürlich fragt, wen denn die Helden eigentlich retten wollen.

Immerhin entwirft Whitton eine Art Schöpfungsmythos. Dieser allerdings ist so hohl und hausbacken, dass es regelrecht schmerzt: Gute Götter kämpfen gegen böse Götter; gute Götter haben keinen Bock mehr, basteln sich die Seraphim und machen dann die Fliege; Seraphim kloppen böse Götter in die Unterwelt; böse Götter wollen wieder raus und aus die Maus.

Wirklich interessante Fragen vermag Whitton gar nicht oder nur sehr oberflächlich zu beantworten; insbesondere nicht die, wie die neue Religion des Einen Gottes mit der ganzen Götterklopperei in Einklang zu bringen ist oder warum die Obrigkeit das Praktizieren verbotener Magie auf Burg Sternental offensichtlich toleriert. Unterm Strich spielen politische, gesellschaftliche oder historische Aspekte in dieser Chronik eine so geringe Rolle, dass die Protagonisten ohne nachvollziehbaren Bezugsrahmen agieren.

(Exkurs: Wo wir gerade bei den fehlenden Fakten sind: Liebe Kinder! Auch wenn der Onkel Whitton in seinem Fantasy-Roman etwas anderes schreibt, Spinnen haben keinen Stachel; Skorpione haben einen Stachel, Spinnen haben „hinten“ Spinnwarzen; und die Kutikula der Spinnen besteht auch an ihren Beinen aus Chitin bzw. Sklerotin und nicht – wie euch der Onkel glauben machen will – aus Horn bzw. Keratin.)

Dramaturgisch läuft die Geschichte nach Schema F – „Rettung der Welt in der allerletzten Sekunde“ – ab. Whitton schreibt nichts, was der Leser nicht schon unzählige Male so oder ähnlich gesehen hat. Keine überraschenden Wendungen, nichts Unerwartetes durchbricht den träge dahinplätschernden, schnurgeraden Erzählfluss. Stattdessen verschwendet der Autor lieber ganze sechzehn (!) Seiten daran, zu beschreiben, wie die Helden ein magisches Portal öffnen, um sich dadurch zum finalen Showdown zu teleportieren. Unpassend – wenn nicht sogar unverschämt – empfand ich die Remiszenz Whittons an einen der wirklich großen Phantasten des letzten Jahrhunderts, H. P. Lovecraft, und seinen vielschichtigen Cthulhu-Mythos. Der berühmte Zweizeiler „Das ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass die Zeit den Tod besiegt“ und die Erwähnung des Namens Abdul Alhazred lassen sich mit dem dürftig-kargen Ancaria-Hintergrund nur schwerlich vereinbaren.

Die Zeichnung der Charaktere ist auch in diesem zweiten Band äußerst rudimentär und einfallslos. Zu der Tatsache, dass sowohl Zara als auch Jael übermenschliche Wesen sind, die zudem diametral entgegengesetzte Weltanschauungen repräsentieren, fällt Whitton kaum mehr ein, als dass die beiden im Kampf etwas härter austeilen und ein wenig mehr einstecken können als der Ottonormalmensch. Keine tieferen Innenansichten der Helden, keine Spannungen innerhalb Gruppe, sondern überall Friede, Freude, Eierkuchen! Der geheimnisvolle Wolf, Thor, wird immer dann – und nur dann – aus der Tasche gezogen, wenn es gilt, einem Schurken die Kehle durchzubeißen, bleibt aber ansonsten so bedeutungslos, dass der Leser ihn zeitweise vollkommen vergisst. Die einzige Figur, der die Zurückhaltung relativ gut bekommt, ist Falk, welcher sich – wider Erwarten – von einem wandelnden, großmäuligen Kleinganoven-Klischee zu einem durchaus ernsten Menschen wandelt.

Zu den platten Dialogen und hohlen Phrasen, die einen großen Teil der Rede dominieren, will ich nicht viel Worte verlieren, sondern lediglich zwei Zitate anführen, die für sich selbst sprechen:
„[…] doch dass große Macht auch große Verantwortung mit sich bringt, ist Euch offenbar fremd.“ [S. 197 f]
„Ist es nicht gerade die größte Stärke des Bösen?“, murmelte Zara, „Uns glauben zu machen, dass es das Böse gar nicht gibt?“ [S. 209]

Fazit: Dank der unoriginellen Geschichte, der kraftlosen Charaktere und der platten Dialoge hält sich das Bedauern des Lesers darüber, dass dieses vorerst – und hoffentlich für lange, lange Zeit – der letzte Sacred-Romand Whittons ist, in sehr engen Grenzen.

© _Frank Drehmel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Gregory Benford – Zeitschaft

Zeitschaft von Gregory Benford
Zeitschaft von Gregory Benford

Im Jahr 1998 steht die Welt vor dem Kollaps. Zu schwer waren die ökologischen Sünden der Vergangenheit, doch die lässt sich nun womöglich ändern: Wissenschaftler entdecken eine Möglichkeit, warnende Botschaften in das Jahr 1962 zu senden, doch dort will man sie einfach nicht verstehen … – Moderner Klassiker der „harten“ Science Fiction, der gelungen wie ganz selten eine grandiose Handlung mit glaubwürdigen Charakteren zu einem faszinierenden Gesamtwerk verschmilzt.
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Bionda, Alisha / Kleudgen, Jörg – Blutopfer (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 4)

Dilaras Suche nach ihren eigenen Wurzeln findet durch ein Ereignis im London des Jahres 2005 eine neue Richtung: Im British Museum weckt eine Exhibition mit dem Thema _Versunkenes Aztlan, die Urheimat der Azteken_ das Interesse der Vampirin. Eine dort ausgestellte Mumie verursacht eine gewisse Unruhe, aber auch Vertrautheit in Dilara, die sie sich anfänglich noch nicht erklären kann.

Langsam aber sicher kommen die Erinnerungen wieder an eine Expedition im Jahre 1891, die Dilara damals zusammen mit dem Archäologen Roger Gallet unternommen hat: Der charmante Abenteurer ist von der dunkelhaarigen Schönheit fasziniert und zeigt sich begeistert, als sie bereitwillig einer Forschungsreise nach Mexico zustimmt. Dies geschieht aber auch nicht ohne gewissen Eigennutz seitens der Schönen, denn sie teilt zwar Gallets brennendes Interesse an den Azteken, die wahren Beweggründe sind jedoch anderer Natur – sie fühlt sich in gewisser Weise zu diesem Volk hingezogen. Da das Reiseziel die sagenumwobene Stadt Aztlan sein soll, ergreift Dilara sofort die Gelegenheit, sich diesem Unternehmen anzuschließen. Die Reisegruppe zeigt sich im Endeffekt auch erfolgreich; tatsächlich finden sie die verborgene Urheimat der Azteken; dennoch endet das Unternehmen in einer Katastrophe.

Sie landen mitten in den Wirren eines brutalen Opferungsrituals, sie werden überwältigt und getrennt. Die verschiedenen Priester der einzelnen aztekischen Gottheiten stehen in einem gnadenlosen Clinch, der von zahlreichen Menschenopfern begleitet wird. In Strömen fließt das Blut – was unserer Vampirin nicht wirklich zuwider ist; auch die mordenden Priester in dieser fast schon unwirklichen Welt scheinen ihr vertraut, als würden sie zu ihrer Art gehören – dennoch fühlt sie sich emotional dazu verpflichtet, ihrem Begleiter Roger Gallet aus dieser Misere zu helfen und ihn vor dem sicheren Tod zu bewahren.

Interessanterweise möchte Unvaale, der Hohepriester der Gottheit Tonatiuh, die Blutsaugerin bei ihrem Unterfangen unterstützen. In seinem Interesse liegt es, die Göttin Coyolxa zu stürzen, die auch den Archäologen gefangen hält, und dabei den legendären Sonnenstein zu erbeuten, der die Wiedererweckung der Gottheit Tonatiuh ermöglichen soll. Mit Unvaales Hilfe schafft Dilara es in der Tat, in das Reich der Coyolxa einzudringen und wird mit dieser auch letztendlich konfrontiert.

Die Auseinandersetzung ist unausweichlich, Dilara greift zu einem riskanten Mittel, um Roger Gallet aus den Klauen der untoten Göttin zu befreien – doch auch eine riesengroße Überraschung wartet mit der Demaskierung des geheimnisvollen Unvaale auf die Vampirin …

Während sich Dilara also stückchenweise an die Ereignisse im ausgehenden 19 Jahrhundert erinnert, kommt es auch im modernen London zu einigen Neuerungen. Noch immer wollen die Blutsaugerin und ihr Gefährte Calvin die Schattenchronik in ihre Hände bekommen, um endlich Licht in einige dunkle Nischen zu bringen. Als ideale Schlüsselperson scheint sich der noch immer sein Unwesen treibende Roderick alias John George Haigh, der Vampir von London, anzubieten. In der Tat fällt diese tragische Bestie ihrer tiefen Sehnsucht nach Dilara zum Opfer. Sie verführt den Liebestollen, während Calvin – nicht wirklich begeistert von dieser Methode – die Schattenchronik entwenden kann.
Fast schon zu einfach nach dem Geschmack des Vampir-Paares. Zu allem Überfluss stellt sich heraus, dass der Inhalt der Chronik in einer Art Verschlüsselung durcheinander geworfen wurde, somit nahezu unbrauchbar ist.

Neben dieser Errungenschaft tun sich auch einige neue Schwierigkeiten auf: Guardian, der bisher hilfreiche Anführer der Cemeteries, scheint seine eigenen Pläne verwirklichen zu wollen – sein spezielles Interesse an Dilara nimmt präzisere Züge an, schürrt aber auch das Missfallen Calvins. An die Fersen Rodericks/Johns hat sich dessen ehemaliger Freund Greg Lane geheftet, denn dieser begreift mittlerweile, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem Verschwinden seines Kumpels, der schwarzhaarigen Schönheit aus der Galerie des Apsley House und den abartigen Mordfällen in London besteht. Gregs neuer Kollege Mick Bondye ist ein seltsamer Zeitgenosse, der auch einiges mehr über diese Geschehnisse zu wissen scheint, als er offen zugibt. Sein besonderes Interesse gilt dem Brompton Cemetery. Somit finden sich auf diesem Friedhof einige undurchsichtige Personen ein, die Handlung spitzt sich langsam zu.

Während Dilaras Erinnerungen immer mehr und mehr von den Ereignissen in Aztlan eingenommen werden, steht auch eine endgültige Auseinandersetzung mit Antediluvian kurz bevor. Die Schicksale einiger weiterer Personen werden in diesen Tagen ebenfalls besiegelt …

Mit dem vierten Band wird ein neuer Kunstgriff der Schattenchronik-Serie eingeführt – Alisha Bionda und Jörg Kleudgen widmen sich in Co-Arbeit dieser neuen Facette der Vampirin Dilara.

Während Alisha im London des Jahre 2005 verweilt und die aktuellen Ereignisse um den aufkeimenden Konflikt der Nosferati weiterverfolgt, reist Jörg mit uns in das 19. Jahrhundert in die geheimnisvolle Stadt Aztlan; zwischendrin wird auch noch ein kurzer Sprung in die Anfänge dieser Stadt um 1569 gewagt. Die Autoren haben einige tiefgreifende Recherchen u.a. zu den Azteken angestellt, denn die erwähnten Gottheiten und Rituale entsprechen in der Tat zum größten Teil den dokumentierten Fakten.

Die beiden Handlungsstränge um Aztlan und London laufen parallel ab, ohne den gemeinsamen Faden zu verlieren. Wie Dilara selbst wird der Leser schrittchenweise in die Vergangenheit entführt, er durchlebt die einzelne Zeitsprünge, viele Fragen werden endlich geklärt, dafür aber auch neue Fragen aufgeworfen, auf deren Antworten wir in den Folgebänden gespannt sein dürfen.

Im Ganzen ist diese Geschichte auch die bisher brutalste und blutigste Folge der Schattenchronik-Serie; selbst Dilara gibt hier einige fast schon beängstigende Charakterzüge zur Schau – im Angesicht ihrer Erinnerungen entwickelt sie eine hemmungslose Mordlust, die ihrem „normalen“ Blutdurst nicht mehr wirklich entspricht. Einige uns bereits bekannte Charaktere bekommen eine zusätzliche Tiefe, während neue Personen in die Handlung eingeführt werden, wie z. B. der mysteriöse Cop Mick Bondye.

Vor allem das schicksalhafte Finale am Ende dieser aufregenden Horror-Symphonie endet mit einem mächtigen Paukenschlag, der leider dann auch so abrupt ist, dass man ohne den nächsten Band „Der Schattenkelch“ (interessanterweise sollte dieser mal ursprünglich den Titel „Der Gralsorden“ tragen, wie man der Vorschau entnehmen kann) so ziemlich in der Luft hängt. Dennoch sollte man aber vor der Lektüre des kompletten Buches nicht den Klappentext des Folgebandes lesen, sonst geht dem neugierigen Leser leider eine große Überraschung verloren, was allemal schade wäre …

Natürlich haben auch auch Mark Freier und Pat Hachfeld wieder ihre meisterlichen Leistungen zu diesem Werk geliefert. Marks Titelbild, bedrohlich und beängstigend, absolut passend zum Flair der Handlung – als Thema dient hier die Vision Calvins von der blutgierigen Göttin des Mondes und ihren Anhängern vor einer Wand aus menschlichen Schädeln. Pat leitet wie gewohnt die Kapitel mit seinen düsteren Zeichnungen ein, mal erotisch (wie im ersten Kapitel), mal morbide oder symbolisch, das wichtige i-Tüpfelchen zum Gesamtbild.

Abschließend bleibt mir nur noch zu sagen, dass ich mich schon auf Band 5 freue, welchen ebenfalls dieses meisterliche Duo in gemeinsamer Arbeit verfasst hat. Mit Band 4 ist ihnen bereits etwas Grandioses gelungen …

http://www.blitz-verlag.de/

Brian Hodge – Rune

Das geschieht:

Mount Vernon, ein Städtchen irgendwo im US-Staat Illinois, Ende der 1980er Jahre: Viel tut sich nicht hier in der Provinz, was vor allem die Jugend frustriert. Wie ihre Altersgenossen vertreiben sich die Freunde Chris Anderson, Rick Woodward und Phil Merkley die letzten Monate vor dem College mit Ferienarbeit und abendlichem Herumhängen. Letzteres findet gern in einem abgelegenen Hain an den Ufern eines kleinen Sees statt, den die Freunde „Tri-Lakes“ nennen. Hier lässt es sich faulenzen und ungestört saufen, hierher kann man auch die Freundin zum Fummeln mitbringen.

Doch eine eigentümliche Stimmung lastet auf Tri-Lakes. Nichtige Anlässe führen zu erbitterten, gewalttätigen Auseinandersetzungen. Seltsame Unfälle geschehen. Eines einsamen Abends stürzt Chris gar ein seltsam aussehender Mann vor den Wagen, der sich bei der Autopsie als sechs Tage alte Wasserleiche erweist! Brian Hodge – Rune weiterlesen

Hans Joachim Alpers (Hg.) – Gefährten der Nacht

Alpers Gefährten der Nacht Cover kleinIn zwölf Storys gehen keine Gespenster oder Werwölfe um; thematisiert werden die traumhaften, surrealen Seiten der Phantastik, die sich oft hart an der Grenze zur psychischen (Selbst-) Täuschung selbst im Rahmen der selbst geschaffenen Welten einer ‚logischen‘ Erklärung entziehen; während die angelsächsischen Texte mindestens überzeugen, fallen die deutschen Kurzgeschichten deutlich ab. Hans Joachim Alpers (Hg.) – Gefährten der Nacht weiterlesen

Shocker, Dan – Bluthände (Larry Brent, Band 5)

In diesem Buch sind die beiden Larry-Brent-Heftromane „Der Fluch der blutenden Augen“ und „Die Bestie mit den Bluthänden“ enthalten.

_Der Fluch der ‚blutenden Augen’_

Als Larry Brent im Zuge seines London-Urlaubes eine Fahrt mit einer Geisterbahn macht, ahnt er noch nichts Böses. Auch nicht, als eine schöne Inderin sich zu ihm in den Wagen setzt. Als die Inderin aber während der Fahrt scheinbar an einem Herzinfarkt stirbt, wird der Agent misstrauisch. Dass der Taxifahrer, von dem sich Larry zu seinem Hotel chauffieren lässt, einen Mordanschlag auf ihn verübt und der Agent in seinem Hotelzimmer von einem Inder überfallen wird, vergällt Larry endgültig seinen Erholungsurlaub. An einen Zufall mag der PSA-Agent nicht glauben und er behält Recht. Dummerweise ähnelt der Amerikaner einem Indienforscher bis aufs Haar und dummerweise hat eben jener Forscher aus einem Tempel der Blutgöttin Kali wertvolle Diamanten entwendet. Der Anführer einer Sekte, ein einflussreicher Londoner Geschäftsmann indischer Herkunft, überwältigt Larry und lässt ihn nach Indien überführen, um den vermeintlichen Frevler den Göttern zu opfern. Keine guten Aussichten für X-Ray-3 …

Der Roman beginnt sofort mit einer unheimlichen Szene in einer Geisterbahn und setzt sich fort in einer Aneinanderreihung rasanter Action-Sequenzen. Gekonnt schafft es Dan Shocker, dem Roman die nötige Portion Gruselatmosphäre zu verleihen, und schickt seinen Agenten in sein erstes Abenteuer ohne Auftrag. Über die Wahrscheinlichkeit, dass Larry gerade zu dem Zeitpunkt Urlaub in London macht, wo eine dämonische Sekte nach einem Forscher fahndet, der zufällig genauso aussieht wie Larry, sollte man sich nicht allzu viele Gedanken machen. Immerhin gehört die Serie zur Unterhaltungsliteratur und diesen Anspruch erfüllt der vorliegende Roman allemal. Die indische Mythologie bietet dabei ein interessantes Betätigungsfeld und Larrys Reise, eingeschlossen in einer engen Kiste, kann zarten Gemütern durchaus klaustrophobische Gefühle vermitteln, so eindringlich beschreibt der Autor die Misere seines Helden. Die Dialoge sind realitätsnah und die Charaktere glaubhaft. Rasmandah, der Sektenführer, ist ein interessanter und fieser Bösewicht, wie er im Buche steht, und ein würdiger Gegner des PSA-Agenten.

Insgesamt gesehen ein spannender, kurzweiliger Gruselromanen mit kleinen Schwächen.

_Die Bestie mit den Bluthänden_

PSA-Agent Mike Burtin, alias X-Ray-16, ist verschwunden. Der Spezialagent hatte den Auftrag, in Rostrenen, Frankreich, geheimnisvolle Morde zu untersuchen. Um nachfolgende Tötungen und das Verschwinden seines Kollegen zu klären, wird Larry Brent an den Ort des Geschehens geschickt.

Kurz nachdem X-Ray-3 die Ermittlungen Burtins übernommen hat, findet er in einem verlassen Gehöft ein weiteres Opfer der Bestie und eine Frau, die dem Wahnsinn anheim gefallen ist.

Bei zweien der Opfer wird ein so genannter Quipu entdeckt, eine Knotenschnur, welche die alten Azteken zur Übermittlung geheimer Botschaften nutzten. Die Spur führt zu dem Privatgelehrten Henry Blandeau, der sich sehr für die aztekische Kultur interessiert und sich in seinem abgelegenen Haus eine eigene Welt mit Artefakten und Skulpturen der Azteken und Inkas eingerichtet hat.

Was hat der alternde Franzose mit den grauenhaften Morden zu tun? Die Rätsel werde immer größer und der PSA-Agent muss alles Register seines Könnens ziehen, um Licht in das Dunkel zu bringen …

Der Roman lebt von der unheimlichen Stimmung, die Dan Shocker durch die gruselige Kulisse erzeugt. Der Killer bleibt die gesamte Geschichte über eine namenlose, unsichtbare Bedrohung und bekommt erst zum Ende hin ein Gesicht. Doch die Bestie mit den Bluthänden ist nicht der einzige Verbrecher und darüber hinaus bekommt es Larry mit den Abgründen der menschlichen Seele zu tun, als ein Geschäftsmann seine Frau in den Wahnsinn treiben will. Die Dialoge sind realistisch, auch wenn sie das eine oder andere Mal ein wenig lang und ermüdend ausgefallen sind. Ansonsten erwartet den Leser ein Gruselkrimi par excellence, mit einer undurchsichtigen Handlung. Der Autor schafft es, die Spannung trotz ausgedehnter Dialoge konstant aufrecht zu erhalten und den Leser bei der Stange zu halten.

Auffallend ist bei diesem Roman, dass die weiblichen Agenten beispielsweise die Bezeichnung X-G-C tragen und nicht wie in späteren Romanen X-Girl-C.

Pat Hachfeld hat hervorragende Arbeit geleistet und zwei stimmungsvolle Illustrationen zu den Storys entworfen, wohingegen das vielfarbige Cover, welches schon den Original-Roman „Die Bestie mit den Bluthänden“ zierte, ein wenig verloren vor dem schwarzen Hintergrund wirkt und das Motiv trotz Totenschädels und den blutigen Händen sehr klischeehaft rüberkommt.

Das Buch präsentiert zwei klassische Dan-Shocker-Romane, bei denen dem Fan der eine oder andere Schauer über den Rücken fahren wird. Den beiden Geschichten merkt man besonders das hervorragende Lektorat an, welches so manchen Patzer aus dem Original nachträglich ausgebügelt hat. Die alten Storys wurden so modernisiert, ohne dem Stil des Autors und dem Lesespaß zu schaden.

http://www.BLITZ-Verlag.de

_Florian Hilleberg_

Ciencin, Scott – Stunde des Schurken, Die (EverQuest, Bd. 1)

Während in der Stadt Qeynos ein Schurke ohne Vergangenheit und Gedächtnis ein Mädchen vor Räubern rettet, kämpft an den Gestaden der Küste Kerras ein Ritter der Tiefe gegen ein monströses krakenhaftes Wesen.

Der Name des Ritters ist Uaeldyn; verstoßen von seinem Volk, den Eruditen, entehrt, weil er zuließ, dass die Knochen des Drachen aus seiner Obhut gestohlen wurden, führt der Paladin einen einsamen Kampf gegen das Böse und gegen seine inneren Dämonen. Nun ist aber der Zeitpunkt gekommen, da er seine Schmach tilgen kann, wenn es ihm gelingt, die Reliquien wiederzubeschaffen und so zu verhindern, dass sich der Drache am Ende der Welt erhebt. Dazu muss er drei Männer überzeugen, ihn zu begleiten, womit wir wieder bei dem Schurken sind.

Er ist einer der Auserwählten; allerdings weiß er noch nichts von seinem Glück. Kaum dass er seinen Namen, Rileigh, in Erfahrung bringen konnte, hat er alle Hände voll zu tun, um in Qeynos zu überleben, denn das gerettete Mädchen, Bronwynn, zeigt schon bald ihre hässliche Fratze und Schergen des Ordens der Blutsäbel, ein grausamer Magier und ein verderbter Schattenritter, wollen ihn in ihre Gewalt bekommen. Zwar gelingt ihm die Flucht in die Unterwelt der Stadt, in eine Schurken-Gilde, doch auch hier ist sein Leben bedroht. Daher ist es für ihn keine Frage, den Paladin zu begleiten, als dieser ihn bittet.

Uaeldyn konnte zwischenzeitlich zwei weitere Streiter gewinnen: aus den Nordlanden den jungen Barbaren-Schamanen Connor Tenglass und vom Volk der Zwerge den bärbeißigen, legendären Helden Bracken Unterfuß.

An Bord der |Aegis| machen sich die Helden auf den Weg. Doch die Reise steht unter keinem guten Stern. Piraten und skrupellose Handelsherren sind dabei das kleinere Problem, denn an Bord scheint sich ein Diener des Drachen zu befinden, der mehr über Rileighs Vergangenheit weiß, als diesem lieb ist, und der geheimnisvolle Botschaften überall auf den Schiff hinterlässt. Wachsendes Misstrauen droht die Gruppe zu entzweien und dann beginnen die Tiere an Bord zu sterben.

Ein Vorwort, welches der Gott der eintönigen Roman-Zyklen, R. A. „Kennst du einen, kennst du alle“ Salvatore, daselbst verfasst hat und in dem er sich über seine eigenen Erfahrungen mit dem „Massive Multiplayer Online Rolegamig Game“ EverQuest auslässt, macht tatsächlich Heißhunger auf diesen Roman; und es gelingt Scott Ciencin auf den ersten knapp 60 Seiten, diesen Hunger noch weiter anzuheizen. Die drei zentralen Charaktere dieses ersten Abschnitts – Rileigh, Bronwynn, Uaeldayn – erscheinen interessant und geheimnisvoll, ihr Auftritt wird vom Autor fantasievoll und vor allem sehr anschaulich in Szene(n) gesetzt.

Mit dem Auftauchen der Blutsäbel ändert sich jedoch der positive Eindruck fast schlagartig. Die Handlung wirkt zunehmend konfus, entwickelt sich nicht zwingend weiter. Wie in einem schlecht geschnittenen Film, machen es abrupte Szenenwechsel, fehlende, logische Anschlüsse dem Leser schwer, einem roten Faden zu folgen. Beispiel gefällig? Eben noch sind die Recken zusammen mit zahlreichen Matrosen und eingesammelten Schiffbrüchigen auf der |Aegis|, wo Uaeldyn mit Mühe und Not Kapitän Prentice davon überzeugen kann, die Fahrt fortzusetzen, im nächsten Moment befinden sich die Helden und vier weitere Ritter der Tiefe an Bord der |Klinge des Cazic|, ohne dass das „Wieso“, „Weshalb“, „Warum“ erklärt wird. Es ist, als hätte irgendjemand mit einem imaginären Rotstift ganze Kapitel ausradiert.

Je länger der Roman dauert, desto trüber entwickeln sich auch die Charaktere. Jene, die neu auftauchen, sind von Anfang an entweder stereotyp, klischeehaft – wie der Barbar, der Zwerg, die Bösen Buben der Blutsäbel -, oder völlig unberechenbar, d.h. sie agieren ohne nachvollziehbare Beweggründe inkohärent. Okay, zwei dieser Figuren sind wahnsinnig, aber welche Entschuldigung hält der Autor für den Rest parat?

Selbst der Hauptprotagonist, Rileigh, bleibt von dieser qualitativen Erosion nicht verschont. Irgendwann beginnt es zu nerven, dass ihm trotz seiner Erinnerungslücken alles geradezu spielerisch gelingt. Zudem fragt sich der Leser, inwiefern dieser Gutmensch, dem der Mord an einer Unschuldigen schlaflose Nächte bereitet und der holde Maiden in einer dunklen Gasse zu Hilfe eilt, überhaupt dem Charakterprofil eines Schurken gerecht wird.

Ein letzter großer Schwachpunkt des Romans besteht darin, dass der Leser kaum etwas über die Welt von EverQuest, die Örtlichkeiten, die Kulte, Rassen und Klassen erfährt. Für einen Einstiegs-Roman, welcher den Leser auf eine fantastischen Reise einladen möchte, ist es definitiv zu wenig, diese Dinge einfach nur zu nennen. In diesem Zusammenhang ist auch das Fehlen einer Karte, welche die wichtigsten Regionen und Städte abbildet, mehr als bedauerlich.

Fazit: Ein in vieler Hinsicht schwacher Sword&Sorcery-Roman, der weder die Erwartungen von |EverQuest|-Spielern noch von Fantasy-Fans auch nur ansatzweise erfüllen kann. Nicht empfehlenswert.

© _Frank Drehmel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|