Archiv der Kategorie: Rezensionen

Thomas Kohlschmidt – BLIND

Thomas Kohlschmidt, in der Phantastikszene bekannt durch zahlreiche veröffentlichte Artikel und Kurzgeschichten, legt jetzt mit dem Phantastikthriller „BLIND“ sein Romandebüt vor.

Professor Keller sitzt in einer Hamburger Psychiatrie gefangen, da er ein Buch über eine merkwürdige Dunkelheit veröffentlichte, die die Erde zu beherrschen drohe. Mit diesen esoterischen Thesen kam er einem Kollegen in die Quere, der seinen gesamten Einfluss geltend machte, um Keller aus dem Verkehr zu ziehen.

Gerade diese beschworene und verlachte Dunkelheit ist nun im Begriff, sich auf die Erde herabzusenken, und Keller wird von einer amerikanischen Sturmtruppe aus der Psychiatrie befreit. Außerdem sind die Russen, die UNO und andere Mächte plötzlich an ihm interessiert, so dass er als Spielball von einem zum anderen wechselt, bis ihn eine Söldnertruppe nach Kalkutta, dem Ort seiner Forschungen und einzig mögliche Ausgangsbasis zur Lösung des Problems, bringt.

Seine Anhänger haben ihm im Verlauf der Gefangenschaftsjahre ein Labor ganz nach seinen Wünschen eingerichtet und in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt, von dem aus er nun auf die andere Seite, in die „Nicht-Licht-Welt“, vorzudringen gedenkt, um der Gefahr zu begegnen. Für die Außenstehenden wird seine krankhafte Fantasie von Nicht-Licht-Wesen plötzlich zur alles betreffenden Gefahr; die Weltbevölkerung bricht in Panik aus und jede Macht will Keller für die nationale Sicherheit benutzen, ohne zu akzeptieren, dass er das Übel an seiner Wurzel in Kalkutta packen muss, wo er vor Jahren das Tor zur anderen Seite öffnete, das schon die Magier und Schamanen vergangener Zeiten zu hüten und zu verschließen bemüht waren. Was aber in der Nicht-Licht-Welt vorgeht, ist auch Keller noch unbekannt …

In einem Artikel auf WARP-online nimmt Kohlschmidt Stellung zu seiner Arbeit an diesem Roman und verdeutlicht seine Vorgehensweise bei der Recherche, die eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung gespielt hat, da er seine Geschichte an bekannten Orten mit verschiedensten Nationalitäten und Umgangsformen und realen Techniken erzählt. Dabei schafft er es sehr gut, die gefundenen Informationen zu bearbeiten und in einem gesunden, knappen Maß in seine Geschichte einfließen zu lassen, so dass man an keiner Stelle das Gefühl hat, er wolle möglichst alles, was er an Arbeit mit der Recherche hatte, auf Biegen und Brechen in dem Roman verarbeiten. Diese Fähigkeit muss man hervorheben, tun sich doch sehr viele gestandene Schriftsteller damit schwer und spicken ihre Erzählungen mit seitenlangen Abhandlungen. Kohlschmidt schafft diesen Balanceakt mit Auszeichnung, strafft so die Handlung und rückt das Wesentliche in den Mittelpunkt.

Dagegen erschweren die vielen unterschiedlichen Erzählebenen ein wenig den Lesefluss und behindern die Entwicklung der wichtigen Charaktere. An sich ist gegen die schlaglichtartige Darstellung der Situation nichts einzuwenden, wird so doch der große erdumfassende Zusammenhang sehr deutlich herausgestellt. Damit erhält jedoch jede einzelne Nebenfigur das gleiche Gewicht wie die wirklichen Handlungsträger, um deren Ausarbeitung etwas mehr hätte gegeben werden können.

Die Handlung steht auf etwas tönernen Füßen. Tragende Wichtigkeit kommt der Tatsache zu, dass die Anhänger von Kellers Theorie eine Organisation aufgebaut haben, die keinerlei finanzielle Probleme hat und außerdem die größten Könner aus jedem Gebiet rekrutieren konnte. Das erhebt alles in ein überirdisches Licht und enthebt Keller der Schwierigkeit, seiner (durch seinen Aufenthalt in der Klappsmühle nicht eben im Ansehen gesteigerten) phantastischen Theorie die Mittel und die Anerkennung zu erkämpfen, die es benötigt, um der Gefahr rechtzeitig entgegentreten zu können. So erscheinen die Protagonisten über jede weltliche Schwierigkeit erhaben, was durchaus der Glaubwürdigkeit der Geschichte abträglich ist.

Die Auflösung ist interessant und verknüpft die Mythologien eigentlich sämtlicher frühzeitlicher Völker auf einer neuen Ebene. Und natürlich muss der tragische Tod einer sympathischen Person die emotionale Bindung zum Leser gerade am Ende noch einmal richtig festigen.

Fazit: Kohlschmidts Romanerstling lässt sich locker, flüssig und spannend lesen und bietet kurzweilige Unterhaltung, hat aber einige Schwächen bei der Ausarbeitung der Charaktere und durch ein paar klischeehafte Wendungen. Ausbaufähig, aber ein Roman, der hohes Potenzial erkennen lässt.

Preußler, Otfried – Krabat

Die Geschichte spielt in der Gegend um Hoyerswerda in Schlesien, Ende des 17. Jahrunderts: Der vierzehnjährige Krabat ist ein Waisenknabe. Gemeinsam mit zwei anderen Jungen zieht er nach Neujahr als Dreikönig durch die Gegend. Sie kehren auf Höfen ein, singen ihre Lieder und verdienen sich damit ihr Essen. Eines Nachts hat Krabat einen seltsamen Traum von elf Raben und einer heiseren Stimme, die ihn beschwört, zur Mühle in Schwarzkolm zu kommen. Krabat ignoriert den Traum zunächst, doch nachdem er sich in den folgenden Nächten wiederholt, folgt er dem Ruf. Obwohl ihm unterwegs geraten wird, die Mühle zu meiden, lässt er sich von seinem Vorhaben nicht abbringen.

In der abgeschiedenen Mühle empfängt ihn der Meister, ein schwarz gekleideter Mann mit Augenklappe und unheimlicher Ausstrahlung. Krabat wird als Lehrjunge aufgenommen. Außer ihm leben und arbeiten noch elf andere Jungen dort. Zum ernsten und vernünftigen Altgesell Tonda fasst Krabat rasch Vertrauen. Umso misstrauischer steht er dagegen dem dürren Lyschko gegenüber, der jede Heimlichkeit dem Meister zuträgt. Außerdem gibt es da noch die beiden starken und gutmütigen Vettern Michal und Merten, den Spaßvogel Andrusch, den kräftigen Hanzo, den handwerklich geschickten Petar, den wieselflinken Staschko, den ewig mies gelaunten Kito, den schweigsamen Kubo und den scheinbar dummen Juro.

Nach dem Ende seiner Probezeit wird Krabat vom Lehrjungen zum Schüler befördert. Nun darf auch er am Unterricht der Schwarzen Künste teilnehmen. Krabat ist stolz auf sein neues Können – doch er spürt auch, dass über der Mühle und dem Meister ein bedrohlicher Schatten liegt. Was hat es mit den Knochensplittern auf sich, die er eines Morgens in einem Mühlgang findet? Wer ist die schwarze Gestalt mit der Kutsche, die in Neumondnächten vorfährt und die selbst der Meister fürchtet? Krabat ahnt, dass sein Lehrherr einen dunklen Pakt abgeschlossen hat, der ihrer aller Leben in Gefahr bringt. Nur die Liebe einer Frau kann Krabat aus seiner Not erlösen …

Die Macht der Liebe gegen dunkle Mächte, der Kampf zwischen Gut und Böse – das sind die bewährten Grundthemen dieses Romans, die in einen unheimlichen und märchenhaften Rahmen eingebettet werden, der für Jugendliche wie für Erwachsene reizvoll ist.

|Sorbischer Sagenschatz|

Die Grundlage des Krabat-Stoffes reicht in seinen Wurzeln über Jahrhunderte hinweg bis ins alte Indien zurück. Es ist die uralte Geschichte vom Kampf eines Zauberlehrlings gegen seinen Meister. Aber nicht nur das Grundthema, sondern auch die Gestalt des Lehrjungen und Zauberschülers Krabat besitzt eine lange Tradition. Der Autor Otfried Preußler begegnete Krabat das erste Mal in einem Sagenbuch mit sorbischen Volkserzählungen. Krabat ist in dieser Gegend als guter und hilfreicher Zaubermeister bekannt, um den sich viele Erzählungen ranken. Der historische Kern dieser Figur liegt in einem kroatischen Oberst, der dem Kurfürst Friedrich August I. – auch bekannt als „August der Starke“ – treue Dienste leistete und wegen seiner fremden Herkunft und seiner Eigenheiten als Zauberer angesehen wurde.

|Tradition statt Innovation|

Die Themen sind nicht wirklich neu, aber wie so oft bei Sagen- und Märchenstoffen ist es nicht Innovation, sondern Tradition, die den Reiz ausmacht. Statt ausgefeilter Handlungsstränge beschränkt sich die Erzählung auf das Wesentliche, auf die großen alten Themen wie Liebe, das Böse, der Wert der Freundschaft und der mutige Versuch eines Jungen, sich und seine Freunde aus Fängen der dunklen Mächten zu befreien. Dabei verzichtet der Autor bewusst auf blumige Ausschmückungen, sowohl was den Stil als auch was die Handlung betrifft. „Krabat“ ist kein Harry Potter, dessen Stärken im Phantasiereichtum liegen und dadurch allerdings auch stärker polarisieren. Preußlers Roman greift auf alte Sagen zurück und bewahrt ihren einfachen, für jeden zugänglichen Stil. Diese Reduziertheit überträgt sich auch auf die Geschichte, die in sehr konzentrierter Form dargeboten wird. Es erfolgen keine ausführlichen Beschreibungen, weder der Orte noch der Figuren. Die eher auf Knappheit beschränkten Informationen lassen viel Raum für eigene Phantasie. Die Figuren und die Umgebung werden in der Vorstellung des Lesers lebendig. Bereits nach wenigen Seiten ist man gefangen in der rauhen Welt und der dichten Atmosphäre der Mühle und dem Leben ihrer Bewohner. Voller Spannung begleitet man Krabat über die Jahre hinweg auf seinem Weg vom einfachen Bettelknaben zu einem respektablen Zauberlehrling, der sich auf einen Kampf auf Leben und Tod einlässt, um sich aus den Klauen des Bösen zu befreien.

Trotz vieler märchenhafter Elemente wie dem sich wiederholenden Jahresablauf, die Alltagszaubereien, die magischen Gegenstände und die Erlösung durch die Liebe ist der Roman insgesamt weitaus differenzierter als ein gewöhnliches Märchen. Krabat ist kein austauschbarer Held, sondern eine Entwicklungsfigur, die im Verlauf dazulernt. Vor allem aber herrscht hier kein simples Schwarz-Weiß-Schema vor, das eine exakte Einteilung ermöglicht.

|Keine Schwarz-Weiß-Charaktere|

Mit Krabat ist dem Autor eine Titelfigur gelungen, die sich jedem Leser sofort als Identifikationsfigur anbietet. Preußler verliert nicht viele Worte, um seinen jungen Protagonisten vorzustellen. Es ist ein Junge wie jeder andere, vorbehaltlos, neugierig und gerne bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Jeder Leser kann nachvollziehen, warum der mittellose Betteljunge dem Ruf zur Schwarzen Mühle folgt. Ebenso verständlich ist seine Neugierde, als er herausfindet, dass an diesem Ort nicht nur das Müllern, sondern auch mysteriöse andere Künste gelehrt werden. An keiner Stelle des Buches gerät man in Gefahr, den Bezug zu Krabat zu verlieren. Stattdessen hofft, fürchtet, leidet und freut man sich mit dem Jungen, der nie einen unrealistischen Helden abgibt. Krabat vereint dankenswerterweise nicht nur positive Eigenschaften in sich, sondern tritt zuweilen auch naiv oder unvernünftig auf. Die anderen Lehrjungen sind ein bunt zusammengewürfelter Burschen aller möglichen Charaktere. Dabei stechen vor allem der ruhige Tonda, sein Altgesell-Nachfolger Michal und der dumme Juro hervor, der letztlich gar nicht so dumm ist, wie es scheint. Eine weitere positive Figur ist der Pumphutt, ein freier Müllersbursche, der den Meister in einem Zauberduell besiegt und dafür Sorge trägt, dass die Burschen gut behandelt werden. Er steht im direkten Gegensatz zum Meister, der seine Macht in der Mühle auslebt, während der Pumphutt umherzieht und seine Kräfte dafür einsetzt, um den Bedürftigen zu helfen.

Mindestens ebenso interessant wie die „guten“ Charaktere sind die „bösen“ unter ihnen, allen voran der Müllermeister und der Herr Gevatter. Preußler vermeidet eine reine Schwarz-Weiß-Malerei und trägt dadurch erheblich zum Spannungscharakter der Erzählung bei. Der Meister ist ohne Frage ein finsterer Mensch, der den Jungen Unheil bringt. Doch er kennt auch menschliche Züge wie Lob, Großzügigkeit und sogar Angst. So herrisch er in seiner Mühle gegenüber den Schülern auftritt, so duckmäuserisch verhält er sich wiederum gegenüber dem Herrn Gevatter, vor dem er echte Furcht empfindet. Der Herr Gevatter, auch „der mit der Hahnenfeder“ genannt, wird durch die Unaussprechlichkeit seines wahren Namens zu einer noch mysteriöseren Gestalt stilisiert. Ist es der Teufel, ist es der Tod? In jedem Fall geht von ihm eine unheimliche Macht aus, der sich selbst der Meister nicht zu widersetzen vermag. Auch er ist nicht einfach das personifizierte Böse, wie sich zeigt, als er den Meister für die Misshandlung eines der Lehrjungen tüchtig bestraft. Gerade diese Undurchsichtigkeit ist es, die bei seinem Auftauchen für den wohligen Grusel sorgt.

|Finstere Handlung|

Am Ende dieses spannenden Leseabenteuers warten der märchenhaft gute Ausgang und die ersehnte Erlösung durch die Allmacht der Liebe, der der böse Zauber des Meisters hoffnungslos unterlegen ist. Doch bis dahin geschehen allerleih finstere Dinge, die in einem Kinderbuch keine Berechtigung haben. Spätestens mit Tondas Tod wird offensichtlich, dass „Krabat“ tatsächlich ein Jugend- und Erwachsenenroman ist. Tonda ist eine melancholische, verlässliche und kluge Gestalt, zu der sowohl der Leser als auch Krabat rasch Vertrauen fassen. Sein gewaltsames Ableben hinterlässt Spuren bei Krabat, der sich ohne seinen bewunderten Freund einsamer denn je fühlt. Tonda ist nicht der letzte Tote in der Mühle, Krabat wird im späteren Verlauf noch einen weiteren Freund verlieren. Der Teufelspakt des Meisters und die jährlichen Opferungen der Jungen sind erschreckende Elemente, die allzu junge Leser überfordern und ängstigen.

Unterm Strich ist „Krabat“ ein düsterer und über weite Strecken trauriger Roman. Der einfache Stil mag zwar bereits für Grundschulkinder zu bewältigen sein, doch die Thematik ist erst für Jugendliche ab etwa zwölf Jahren zu empfehlen. Durch die vielen interpretatorischen Ansätze und Diskussionspunkte über die Charaktere, über die Symbolik und den sagenhaft-historischen Hintergrund eignet sich der Roman hervorragend als Schullektüre und wird als solche auch gerne verwendet.

_Fazit:_ „Krabat“ ein leicht geschrieber märchenhafter Roman über den alten Kampf zwischen Gut und Böse und die Erlösung durch die wunderbare Macht der Liebe. Trotz des einfachen Stils ist das Werk aufgrund der düsteren Thematik nicht für Kinder unter zwölf Jahren geeignet. Auf Jugendliche und Erwachsene dagegen wartet ein wunderbares Leseabenteuer, das besonders in die kalte Jahreszeit passt und zu Recht bereits zu Lebzeiten des Autos ein Klassiker geworden ist.

_Otfried Preußler_ zählt zu den bekanntesten Kinderbuchautoren Deutschlands. Er wurde 1923 in Böhmen geboren. Später zog er nach Oberbayern, wo er noch heute zuhause ist. Bis 1970 arbeitete er als Volkschullehrer, ehe er sich dem Schreiben widmete. „Der kleine Wassermann“ war sein erstes Kinderbuch. Es folgten zahlreiche weitere Werke, die allesamt erfolgreich wurden, u.a.: „Die kleine Hexe“, „Das kleine Gespenst“, „Der Räuber Hotzenplotz“, „Hörbe mit dem großen Hut“ und „Die Abenteuer des starken Wanja“.
Für den „kleinen Wassermann“ erhielt Preussler den Deutschen Kinderbuchpreis. Es folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen, u.a. der Deutsche sowie der Europäische Jugendbuchpreis („Krabat“), Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, Eichendorff-Literaturpreis, Konrad-Adenauer-Preis für Literatur der Deutschland-Stiftung e.V.
Viele seiner Werke wurden erfolgreich vertont bzw verfilmt.

Mehr über den Autoren erfährt man auf seiner Homepage: http://www.preussler.de.

Diverse – Indianermärchen

Die Märchen aus dem europäischen Kulturkreis haben in den letzten Jahren ein wenig an Bedeutung verloren. Dies liegt jedoch nicht daran, dass sie nach all den Jahren weniger interessant wären, sondern einfach nur daran, dass sich die belesenen Märchenkenner über die Grenzen der eigenen Kultur hinaus weiter umsehen. Neben den orientalischn Geschichten, die besonders im letzten Jahrzehnt Hochkonjunktur hatten, und den weisen japanischen Erzählungen sind diesbeüglich auch die lehrreichen Sagen der Indianer sehr beliebt. Der |Patmos|-Verlag hat dies auch erkannt und sieben solcher Kurzgeschichten auf eine CD gepresst, die bereits 2003 als Kassette auf den Markt gekommen ist und nun auch mein Interesse geweckt hat.

Das schlicht „Indianermärchen“ (nicht zu verwechseln mit dem etwas bekannteren „Indianermärchen aus Nordamerika“) betitelte Werk enthält dabei jeweils kurze Märchengeschichten von sechs verschiedenen Stämmen sowie eine recht lustige Geschichte über die eigenwillige Namensfindung der Indianer von Richard Melach.

Abgehandelt werden hierbei unter anderem Themen, die besonders indianische Kinderherzen beschäftigt haben müssen. So werden unter anderem der Ursprung des Feuers und die Herkunft der Büffel in einem kurzen Märchen erzählt. In „Der Geist, der so gerne tanzte“, einer alten Sage der Arikara, beschäftigt man sich hingegen mit dem Mystischen, das ja in der Indianerkultur ebenfalls eine gewichtige Rolle spielte. Der Beitrag des Stammes der Lakota hingegen besteht aus einer lustigen Heldengeschichte, die von einem jungen Mann handelt, der sich vor gar nichts fürchtete. Den sonderbarsten, gleichzeitig aber auch humorvollsten Plot liefern indes die Irokesen in Form von „Blauwolke und der fliegende Riesenkopf“. Bleibt noch die schönste Geschichte, und die entstammt dem Volke der Cree. „Der Windigo am Ende der Fährte“ beschreibt die Geschichte eines Jungen, der mit seinem neuen Gefährten gegen einen bösen Geist vorgeht und für das Gute einsteht.

Alle sieben Geschichten sind natürlich in erster Linie für ein kindliches Publikum geschrieben und werden dementsprechend auch sehr langsam, dennoch aber lebhaft von den beiden Sprechern Anja und Volker Niederfahrenhorst erzählt. Es sind allesamt kleine Lehren, teils gespickt mit einem moralischen Aspekt, teilweise aber auch nur unterhaltsam und fröhlich und trotzdem in ihrer Art sehr eigenwillig. Der Ursprung der gänzlich andersartigen Kultur der Indianer ist schnell erkennbar, gleichermaßen aber auch die Tatsache, dass sich die verschiedenen Stämme in ihren Wurzeln noch einmal stark voneinander unterscheiden. Natürlich kann man von diesen Kurzgeschichten nicht auf ein ganzes Volk schließen, aber es sind schon einige kleine Unterschiede, die sich in den Ansätzen von beispielsweise „Der Geist, der so gern tanzte“ und „Wie das Feuer auf die Erde kam“ gut herausfiltern lassen.

Doch die Märchen sind nun nicht dazu gedacht, irgendetwas Tiefsinniges zu analysieren. Sie sollen unterhalten und dem nach unten hin altersmäßig uneingeschränkten Zielpublikum Freude bereiten. Und genau dies ist, vor allem durch die beruhigenden Erzählstimmen der beiden Niederfahrenhorsts, absolut der Fall. Wer seinen Kleinen mal eine Freude machen möchte, ist mit diesem kurzweiligen Hörbuch bestens beraten.

_Übersicht_

1. Wie die Büffel in die Welt kamen (Märchen der Comanchen)
2. Der Geist, der so gern tanzte (Märchen der Arikara)
3. Sonne-über-dem-Kürbis (von Richard Melach)
4. Der Windigo am Ende der Fährte (Märchen der Cree)
5. Blauwolke und der fliegende Riesenkopf (Märchen der Irokesen)
6. Wie das Feuer auf die Erde kam (Märchen der Cherokee)
7. Der Junge, der vor nichts Angst hatte (Märchen der Lakota)

Hörproben gibt es übrigens [hier.]http://www.patmos.de/title/23/349124071/mode/quick/singleBook.htm

Dahl, Arne – Rosenrot

Kriminalromane haben Hochkonjunktur, insbesondere, wenn ihre Autoren aus Skandinavien und dort speziell aus Schweden kommen. Doch seit Henning Mankell immer seltener seine beliebten Wallanderromane veröffentlichte, schaffen auch andere Autoren den Sprung nach ganz oben in die Krimi-Bestsellerlisten. Ein Autor, der Mankell nicht nur in seiner Schreibweise und einigen Anspielungen sehr nahe kommt, ist der ebenfalls schwedische Autor Arne Dahl, der mit „Rosenrot“ seinen nunmehr fünften Roman rund um die so genannte A-Gruppe vorlegt.

Im Einsatz gegen illegale Einwanderer erschießt der Polizist Dag Lundmark – vermeintlich in Notwehr – den Südafrikaner Winston Modisane, als dieser seinen Fluchtweg versperrt vorfindet. Zunächst sieht alles nach einem ganz normalen Polizeieinsatz aus, doch schnell mehren sich die Verdachtsmomente gegen Dag Lundmark, der offensichtlich etwas zu verbergen und vielleicht doch nicht in Notwehr gehandelt hat. Der Leser weiß natürlich bereits, dass auf Lundmark kein Schuss abgegeben wurde und dass Modisane unschuldig sterben musste. Die A-Gruppe kommt zum Einsatz, sodass wir schnell auf Paul Hjelm und Kerstin Holm treffen, die Lundmark verhören sollen. Doch Holm ist befangen, trägt sie doch noch den Verlobungsring von Dag Lundmark, mit dem sie vor Jahren eine unglückliche Beziehung geführt hat. Tief in Kerstin Holm kommen Gefühle zum Vorschein, die sie sicher verwahrt geglaubt hatte. Obwohl Dag Lundmark sie damals regelmäßig vergewaltigt hatte, trägt sie nach wie vor seinen Verlobungsring und kann ihrem Ex-Geliebten immer noch nicht so recht unter die Augen treten.

Zu dem mutmaßlichen Mord an Winston Modisane gesellt sich eine zweite Leiche, über die ein erkälteter Einbrecher stolpert, dessen Nase so verstopft ist, dass er die halb verweste Leiche zunächst gar nicht bemerkt und ebenso wenig, dass er selbst so sehr nach Leiche stinkt, dass er von der nächsten Polizeikontrolle aufgelesen wird. Bei der zweiten Leiche handelt es sich um Ola Ragnarsson, der einen mysteriösen Abschiedsbrief hinterlassen hat, in welchem er sich als Massenmörder zu erkennen gibt. Doch wieso konnten Ragnarssons Morde unentdeckt bleiben und wieso wurden keine Menschen vermisst gemeldet? Ein verdeckter Hinweis führt die Polizisten zu einem Acker, in welchem zwei Leichen begraben liegen, die offensichtlich auf Ragnarssons Konto gehen. Die Spuren führen bis nach Monte Carlo, wo Ragnarssons Ex-Freundin lebt, die den Ermittlern einen wichtigen Hinweis geben kann.

Zur gleichen Zeit verschwindet Dag Lundmark, gegen den sich die Verdachtsmomente so weit verdichten, dass er schnell als Modisanes Mörder entlarvt werden kann. Langsam aber sicher entdecken die Ermittler die Verbindung zwischen den beiden so unterschiedlich aussehenden Todesfällen, doch bis dahin ist es ein langer Weg für die schwedische Polizei und insbesondere für Kerstin Holm, die von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt wird und schlimme Dinge entdecken muss …

Arne Dahl präsentiert uns einen zunächst absolut unspektakulären Fall, in dem ein vielleicht rassistisch veranlagter und zu Brutalität neigender Polizist im Dienst einen schwarzen Einwanderer erschießt und dies wie Notwehr aussehen lässt. Doch ist dies nur die Oberfläche, an der wir kratzen. Hinter der Fassade versteckt sich ein ausgeklügelter Plan, der weitreichende Konsequenzen hat. Nach und nach streut Arne Dahl weitere Hinweise ein, die uns Dag Lundmark besser kennen lernen lassen. Wir erfahren wichtige Dinge aus seiner Vergangenheit und auch von Kerstin Holms Vergangenheit, die vor Dag Lundmark bereits von einem Freund ihrer Familie sexuell belästigt und vergewaltigt wurde. Die sonst so toughe A-Ermittlerin erscheint verletzlicher und angreifbarer denn je. Ein „schwarzes Loch“ zieht sie an und droht, sie in die Tiefe zu reißen. Kerstin Holm kann nicht länger vor ihrer eigenen Vergangenheit flüchten und ist in diesem Kriminalfall die Marionette in einem perfiden Plan.

Nach etwa hundert Seiten tritt die zweite Leiche auf den Plan und die Ermittlungen spalten sich in zwei vermeintlich unterschiedliche Kriminalfälle auf, die selbstverständlich miteinander zusammenhängen, obwohl sie erst gar nichts miteinander zu tun haben. Der Einbrecher Björn Hagmann erhält einen anonymen Hinweis und beschließt daraufhin, auch mit seiner schweren Erkältung einen Einbruch zu verüben, der jedoch nur dazu dient, dass die Leiche von Ragnarsson entdeckt werden kann. Kurz nach dem Einbruch gelingt Hagmann die Flucht vor der Polizei, doch kann er nicht einem Mordanschlag entkommen, den er nur knapp überlebt.

Die schwedische Polizei hat alle Hände voll zu tun, liefern beide Todesfälle doch viel Anlass zu Ermittlungen, sodass wir etliche Ermittler kennen lernen, die in einem schwer durchschaubaren Miteinander leben und arbeiten. Arne Dahl entwirft ein kompliziertes Beziehungsgeflecht, in dem die meisten Protagonisten eine bewegte Vergangenheit haben und auch aktuell nicht frei von Problemen und Sorgen sind. Leider lässt Dahl allerdings so viele Ermittler und Verdächtige auf den Plan treten, dass man sich als Leser nur schwer zurechtfinden kann. Die fremdartigen Namen helfen natürlich auch nicht gerade, um die jeweilige Hintergrundgeschichte einem Protagonisten zuzuschreiben. Einzig Paul Hjelm und Kerstin Holm bleiben gut im Gedächtnis und hinterlassen ihre Spuren beim Leser. Besonders Kerstin Holm wird uns näher gebracht, auch wenn wir ihre Handlungen nicht nachvollziehen können. Doch im Nachhinein zeigt sich, dass Kerstin Holms Taten von ihren verwirrten Gefühlen getrieben wurden und hierbei sehr verständlich bleiben.

Personell ist „Rosenrot“ leider etwas überfrachtet; man bekommt den Eindruck, dass die schwedische Polizei sogar überbesetzt ist, weil so viele unterschiedliche Personen an den beiden Fällen arbeiten. Das macht die Identifikation mit den einzelnen Figuren beim Lesen deutlich schwieriger. Hier vermisst man dann doch den Mankell’schen Wallander, der in seinen Romanen stets im Mittelpunkt steht und dem Leser als Identifikationsfigur oder zumindest doch Bezugsperson dient. Dies fällt in „Rosenrot“ deutlich schwieriger.

Doch Arne Dahl überzeugt dafür an anderer Stelle: Wie dem Leser schnell klar wird, hängen beide Kriminalfälle natürlich eng zusammen und gehören zu einem großen Plan, auch wenn Dahl uns nur langsam die Verbindungen zeigt und uns erst spät verstehen lässt, wie alles zusammenhängt und wo die Motive für die Morde versteckt liegen. Dahl eröffnet immer mehr Handlungsspielorte und lässt seine Akteure in viele unterschiedliche Richtungen ermitteln, sodass die Erzählung immer mehr Tempo aufnimmt und den Leser zunehmend fesselt. Die Geschichte in „Rosenrot“ ist verwickelt, aber sehr gut konstruiert. Der Kern zur Auflösung der Todesfälle liegt versteckt unter einem Haufen verhüllender Schichten, die nur nach und nach angehoben werden. Als Leser muss man sich mit wohldosierten Informationshäppchen zufrieden geben, die sukzessive den Blick unter die vielen Schichten erlauben und den Leser ganz am Ende mit einer Auflösung belohnen, die ein echtes Aha-Erlebnis ist. Wenn sich die Hintergründe der Todesfälle offenbaren, bleibt der Leser sprachlos zurück. Arne Dahl hat mit „Rosenrot“ eine überzeugende und bewegende Romanhandlung komponiert, die nachwirkt und sich äußerst positiv vom Durchschnitt der aktuellen Kriminalromane abhebt. Mit diesem Buch festigt Arne Dahl seinen Anspruch auf die oberen Plätze der Bestsellerlisten und seinen Platz unter den großen Autoren der Spannungsliteratur.

Abschließend bleibt nur noch festzuhalten, dass Arne Dahl mit „Rosenrot“ einen klug inszenierten Roman vorgelegt hat, der logisch durchkomponiert ist und absolut überzeugen kann. Wie sein schwedischer Kollege Mankell scheut auch Dahl sich nicht davor, seinem Roman einen politisch kontrovers diskutierbaren Hintergrund zu geben und darüber hinaus Protagonisten, die alles andere als perfekt sind und einige Krisen zu durchleben haben. „Rosenrot“ beginnt zwar erst gemächlich, nimmt dann aber ein solches Tempo auf, dass man das Buch nicht mehr zur Seite legen kann. Und auch das Ende enttäuscht nicht, allerdings sollte man sich als Leser zurückhalten und vor der Lektüre lieber nicht den Umschlagtext zum Buch lesen, da meiner Meinung nach einiges vorweggenommen wird, was Arne Dahl dem Leser erst spät präsentiert. „Rosenrot“ ist eine runde Sache, endlich wieder ein Autor, der Henning Mankell so nah kommt wie vielleicht kein anderer!

http://www.piper.de

Siehe ergänzend auch die [Rezension 3091 von Michael Matzer zur Lesung bei |steinbach sprechende bücher|.

Nimmo, Jenny – Charlie Bone und die magische Zeitkugel (Die Kinder des roten Königs 2)

Die Kinder des roten Königs 1: [„Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ 1992

Nach den turbulenten Ereignissen in der Ruine der Bloor-Akademie hat Charlie seine Ferien so richtig genossen. Aber jetzt ist Weihnachten herum, und obwohl draußen beinahe arktisches Wetter herrscht und in Benjamins Schule der Unterricht ausfällt, holt Charlie die Schule wieder ein.

Und gleich am ersten Abend stolpert er über das nächste Abenteuer in Form eines Jungen, der plötzlich in der Eingangshalle wie aus dem Nichts auftaucht. Der Junge heißt Henry, sieht Charlie ziemlich ähnlich und ist auch ungefähr genauso alt. Bald stellt sich heraus, dass er Charlies Urgroßonkel ist. Eine magische Zeitkugel hat ihn um neunzig Jahre in die Zukunft versetzt.

Jetzt gilt es, Henry schleunigst zu verstecken. Denn die beiden wurden von Billy Raven beobachtet, und Charlie hat längst gemerkt, dass mit Billy in letzter Zeit etwas nicht stimmt. Tatsächlich suchen schon am nächsten Tag sämtliche Bloors nach Henry, und natürlich vor allem auch nach der magischen Zeitkugel. Um diese beiden in Sicherheit zu bringen, müssen Charlie und seine Freunde sich ganz schön anstrengen …

Jenny Nimmo baut ihren Zyklus sehr vorsichtig weiter aus. Bei den Charakteren sind drei Neuzugänge zu verzeichnen.

Zunächst natürlich Henry, der gleichaltrige Urgroßonkel. Seine Verwirrung angesichts der fremdartigen Welt, in die er geraten ist, hält sich in Grenzen. Das kommt wahrscheinlich daher, dass ihm als einem Verwandten der Bloors Magie nicht völlig fremd ist. Er weiß, wie die Zeitkugel funktioniert, was ihn aber nicht davon abgehalten hat, trotzdem hineinzuschauen. Kinder sind eben oft einfach noch unvernünftig und die Neugier stärker als die Angst. Insofern ist Henry gut getroffen.

Desweiteren wäre Mrs. Bloor zu nennen. Die Misshandlung und Unterdrückung durch die Familie ihres Mannes, der sie aus reiner Geldgier geheiratet hat, haben aus ihr ein verhuschtes, trübseliges Geschöpft gemacht. Dass aber sogar Manfred mit Begeisterung seine eigene Mutter quält, obwohl er gleichzeitig wohl eine gewisse Zuneigung zu ihr empfindet, zeigt schon einen recht verqueren Charakter! Kein Wunder, dass Mrs. Bloor die unverhoffte Gelegenheit der Zeitkugel nutzt, um schleunigst zu verschwinden!

Der wichtigste Zuwachs ist die Köchin. Eine mütterliche und gleichzeitig resolute Frau, der es ein großes Bedürfnis ist, Kinder zu beschützen, vor allem, wenn sie es schwer haben. Wie zum Beispiel der verfolgte Henry … Dabei bietet sie sogar Manfred die Stirn, was nicht weiter verwundert, denn offenbar ist auch die Köchin sonderbegabt. Sie wohnt in einer kleinen gemütlichen Wohnung innerhalb der Akademie, deren Zugang hinter einem Küchenschrank versteckt ist. Wie weit die Absonderlichkeiten im Hinblick auf diese Frau den Bloors bekannt sind, ist nicht ganz klar, jedenfalls kommt keiner von ihnen auf die Idee, Henry bei ihr zu suchen. Nicht einmal der Hund von Manfreds Großvater ist bereit, sie zu verraten.

In welchem Umfang Henry in den folgenden Bänden noch eine Rolle spielen wird, ist nicht sicher. Zwar ist er noch in Reichweite, aber da er keine Sonderbegabungen hat, gibt es eigentlich keinen Grund mehr für ihn, noch einmal aufzutauchen. Mrs. Bloor hat sich wie gesagt aus dem Staub gemacht.
Der einzige auf Dauer relevante Neuzugang dürfte deshalb die Köchin sein. Die ist aber auch wirklich interessant und ein echter Gewinn. Eine Verbündete innerhalb der Akademie, dann auch noch in einem solchen Versteck und mit einer Sonderbegabung, das klingt vielversprechend!

Auch im Hinblick auf die Handlung und die „Ausstattung“ erfolgte der Ausbau eher zurückhaltend.

Neu ist natürlich die Zeitkugel. Eine nette Idee, die die Handlung für diesen Band gestiftet hat, ähnlich wie der Roboter und der Metallkasten im ersten Teil. Genau wie diese ist auch die Zeitkugel am Ende des Buches wieder verschwunden und macht Platz für einen neuen Handlungsmotor.

Eine nachhaltigere Neuerung ist die Tatsache, dass Charlie inzwischen nicht nur die Leute auf Fotos und Gemälden hören, sondern auch in die Bilder eintreten kann. Er befindet sich dann tatsächlich an dem Ort auf der jeweiligen Abbildung und in Gegenwart der dort anwesenden Personen, die ihn auch wahrnehmen können. Nur der Rückweg bereitet ihm noch ziemliche Schwierigkeiten. Seinen ersten Versuch wagt er mit einem Gemälde, das seine Großmutter Bone absichtlich in der Küche liegen gelassen hat. An sich bereits ein ziemliches Wagnis, wenn man bedenkt, dass diese Großmutter nicht unbedingt seine Freundin ist! Wie war das noch mal mit dem kindlichen Leichtsinn? Trotzdem ist es Charlie gelungen, mit genau dem Werkzeug aus dem Bild zurückzukehren, das er braucht, um Henry zu helfen, anstatt sich von dem Magier im Bild zu einer Dummheit überreden zu lassen. Immerhin!

Das Werkzeug ist die zweite Neuerung, die langfristigere Auswirkungen besitzt. Es handelt sich um einen weißen Zauberstab, der einst einem walisischen Zauberer gehört hat. Jetzt hat Charlie nicht nur seine Sonderbegabung, sondern auch außerhalb dieser Zugriff auf Magie. Zumindest so lange, wie er den Stab vor den Bloors geheimhalten kann.

Die Erweiterung der Rahmenhandlung schließlich kommt sandkörnchenweise daher. Neu sind eigentlich nur der Baum mit den rotgoldenen Blättern, das Café der glücklichen Haustiere und sein Geheimgang in die Ruine des Bloors sowie der Schatten hinter dem Bild des roten Königs im Hausaufgabenzimmer der Sonderbegabten, dem einzigen Bild, das Charlie nicht reden hören kann. Hier lässt die Autorin sich besonders viel Zeit, aber schließlich soll der Rahmen ja wohl noch für einige weitere Bände reichen.

Was den Aufbau der Geschichte angeht, hat sich Jenny Nimmo an ihr Konzept vom ersten Band gehalten. Beschreibungen von Gegenständen und Charakteren oder auch Erklärungen von Funktionsweisen – etwa der Zeitkugel – wurden zugunsten der eigentlichen Handlung eher knapp gehalten. Die Handlung selbst ist nicht mit so vielen Überraschungen gespickt wie im ersten Teil, macht dafür aber einen etwas atemlosen Eindruck, vor allem, weil Henry sich ständig aus seinen Verstecken davonschleicht und jedes Mal entdeckt wird! Charlies Rettungsversuche werden oft genug vereitelt, nicht nur durch Billys Spionage, sondern auch durch die aufmerksame Bewachung, die ihm tagsüber durch Manfred, nachts durch seine Tante Lucretia zuteil wird. So verwundert es nicht, dass Henrys Rettung letztlich außerplanmäßig auf ganz unkonventionelle Weise erfolgt …

Der einzige Knacks, über den ich gestolpert bin, betrifft den Speisesaal. Im ersten Band saßen noch alle im selben Raum, jeder Schulzweig an seinem Tisch. Jetzt erwähnt die Autorin plötzlich einen eigenen Speisesaal für jeden Zweig, und sogar für jeden der drei Speisesääle eine eigene Küche. Wie in diesem Fall allerdings Olivia Manfreds bissige Bemerkung über ihre Haare gehört haben soll, und wo bei einer solchen Aufteilung die Lehrer sitzen, das ist ziemlich unklar. Ich denke aber nicht, dass solche Dinge auch Kindern zwischen acht und zwölf auffallen.

Im Vergleich zu Rowlings Blockbuster, der sich aufgrund der doch recht starken Ähnlichkeiten immer wieder aufdrängt, klingt das alles ziemlich bescheiden. Andererseits hat Charlie Bone am Ende des ersten Bandes gerade mal ein paar Wochen am Bloor verbracht, der zweite Band umfasst nur drei Wochen. Harry hat nach zwei Bänden bereits zwei ganze Schuljahre hinter sich.

Spätestens hier zeigt sich deutlich, dass Charlie Bone für jüngere Kinder geschrieben wurde. Und während Harry seiner ursprünglichen Leserschaft spätestens im fünften Band aus den Schuhen rauswächst, wird Charlie Bone wohl noch länger Kind und damit seinen Fans treu bleiben.

Jenny Nimmo arbeitete unter anderem als Schauspielerin, Lehrerin und im Kinderprogramm der BBC. Geschichten erzählte sie schon als Kind, Bücher schreibt sie seit Mitte der Siebziger. Unter anderem stammt der Zyklus |Snow Spider| aus ihrer Feder, sowie „Im Garten der Gespenster“, „Der Ring der Rinaldi“ und „Das Gewächshaus des Schreckens“. „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ ist der erste Band des Zyklus |Die Kinder des roten Königs| und hat sie auch in Deutschland bekannt gemacht. Seither sind drei weitere Bände von Charlie Bone erschienen, „… die magische Zeitkugel“, „… das Geheimnis der blauen Schlange“ und im Februar dieses Jahres „… und das Schloss der tausend Spiegel“.

http://www.ravensburger.de

Caleb Carr – Das Blut der Schande

Das geschieht:

Irgendwann in den späten Tages des 19. Jahrhunderts – ein exaktes Datum verschweigt uns der Verfasser, aber den Hund der Baskervilles deckt bereits der kühle Rasen – tritt Mycroft, der ältere Bruder des berühmten Privatermittlers Sherlock Holmes, mit einem Spezialauftrag an diesen heran: In Holyroodhouse, dem Sommerlandsitz der britischen Königin Victoria, sind zwei Männer auf grausige Weise zu Tode gekommen: Man fand ihre Leichen von unzähligen Klingenstichen durchbohrt; jeder Knochen im Leib war zerbrochen.

Mycroft, welcher der Regierung als ‚Berater‘ nahe steht, wähnt schottische Anarchisten oder sogar deutsche Spione am Werk. Diskret soll die peinliche Affäre aufgeklärt werden. Sherlock freut sich, denn zur Sorge seines treuen Gefährten Dr. Watson hegt der sonst so rational denkende Detektiv seit einiger Zeit merkwürdige Theorien, die um die Existenz jenseitiger Welten kreisen. Holyroodhouse war vor drei Jahrhundert Schauplatz eines düsteren Ereignisses: Vor den Augen einer entsetzten Königin Maria Stuart ermordeten schottische Adlige ihren italienischen Sekretär und Vertrauten. Seither soll der Geist dieses David Rizzio im Westturm von Holyrood umgehen und rachedurstig die Unvorsichtigen packen, die ihm zu nahe kommen. Caleb Carr – Das Blut der Schande weiterlesen

Chrono, Nanae – Peace Maker Kurogane 05

Leider hat die Freude über den fünften Band der „Peace Maker Kurogane“-Serie auch einen negativen Beigeschmack, der sich auf die Zukunftspläne von Nanae Chrono bezieht. Die Autorin möchte nämlich zunächst mal eine längere Pause einlegen und die Geschichte zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen – und dies ausgerechnet an einem Punkt, an dem die Spannung nicht größer sein könte. Aaaarrrgghhh …!
Nun, freuen wir uns aber jetzt erst einmal über diesen fünften Band, denn der hat es, was die Action anbelangt, wirklich in sich!

_Story_

Die politischen Zustände haben sich in letzter Zeit deutlich zugespitzt, besonders nach dem Tod von Ryoma Sakamoto, für den verfeindete Gruppen Tetsu verantwortlich machen. Weiterhin scheint die Organisation des verräterischen Ito, die „Kaiserliche Grabwache“, nach dem Einstieg der beiden geheimnisvollen Shinsengumi-Persönlichkeiten Heisuke Todo und Hajime Saito immer mehr an Macht zu gewinnen und ihren alten Auftraggeber langsam zu untergraben. Der Kampf scheint vorprogrammiert, und nach einem weiteren Aufeinandertreffen zwischen Ito und den Shinsengumi kommt es zu einem Überfall, bei dem der stark angetrunkene Führer der „Kaiserlichen Grabwache“ hinterhältig ermordet wird.

Dessen Handlanger, darunter eine beträchtliche Zahl Ronin-Söldner, lassen sich nicht lange bitten, rücken in voller Kampfmontur und Heerstärke gegen die Shinsengumi vor und umzingelt die zahlenmäßig unterlegene Organisation. Es kommt zu einer brutalen, blutigen Schlacht, in deren Mittelpunkt einmal mehr Tetsu steckt, der aufgrund des Mordverdachts zum Tode verurteilt wurde. Der wahre Mörder Sakamotos hingegen spinnt eine Intrige nach der anderen und freut sich über jeden weiteren Shinsengumi, der ohne besondere Anzeichen Hochverrat begeht.

In einem Rückblick wird die Geschichte von Soji Okita erzählt, der wegen seines mädchenhaften Äußeren in seiner Kindheit eines Samuraikämpfers für nicht würdig befunden wurde. Katsuta Kondo und Toshiza Hijikata, gerade mal 18 bzw. 17 Jahre alt, finden jedoch schnell heraus, dass sich hinter dem kleinen unscheinbaren Jungen ein furchtbares Geheimnis verbirgt, das unmittelbar mit einem verschollenen Schwert in Verbindung steht …

_Meine Meinung_

Der fünfte Teil der Serie ist auf jeden Fall der gradlinigste bislang. Es ist zwar weiterhin nicht gerade einfach, die vielen gemeinen Intrigen zu durchschauen, doch da sich die Verräter dieses Mal nicht mehr so sehr im Verborgenen aufhalten und durch die Vorgeschichte langsam Licht ins Dunkel gekommen ist, bekommt man hier relativ schnell den Durchblick.

Und sobald man sich hier (in meinem Fall nach längerer PMK-Abstinenz) wieder zurecht gefunden hat, steckt man auch schon mitten drin in der Action. Band 5 ist gefüllt von weiteren hinterhältigen Mordplänen, vielen Schwertkämpfen, verräterischen Hinterlisten und Ungerechtigkeiten, in deren Mittelpunkt wiederum Tetsunosuke Ichimara steht, der diesmal das Opfer eines feigen Komplotts werden soll. Hintergründige Gefühle und Emotionen spielen kaum noch eine Rolle, und auch die politischen Schachzüge finden hier in den rasanten Kampfhandlungen ein jähes Ende.

Leider aber gilt dieser Schlussstrich fürs Erste auch für die gesamte Handlung; etwa zur Mitte des Buches – der Kampf zwischen den Ronin und der Shinsengumi ist gerade beendet, die Spätfolgen sind aber noch nicht geklärt – stoppt Nanae Chrono den Hauptplot und führt den Leser über einen größer angelegten Flashback zurück in die Kindheit des zart wirkenden Sojimoro Okita, hinter dem sich insgeheim aber ein brutaler Kämpfer und offenkundiger Mörder verbirgt. Mehr dazu möchte ich an dieser Stelle nicht sagen, aber mit dem Beginn der so genannten Hino-Kapitel startet die Autorin eine weitere sehr interessante Facette, die den gesamten Storyverlauf sicherlich noch ein weiteres Mal umkrempeln wird und das Hintergrundwissen um einen weiteren wichtigen Charakter aufwertet. Hinter dem heutigen Shinsengumi Soji steckt viel mehr als das, was die kindliche Seele nach außen hin ausstrahlt, und diesen Kontrast hat Chono auch wieder sehr gut in die Zeichnungen mit aufgenommen.

Zu Letztgenannten möchte ich abschließend auch noch ein paar Worte loswerden; was mir nämlich sehr positiv aufgefallen ist, sind die weniger hektischen Bildfolgen in den Action-Szenen. Die Kampfhandlungen verschwimmen nicht im Wust an überladenen Skizzen, sondern sind in ihren Details sehr gut zu differenzieren. Selbst die Passagen, in denen die Ronin mit ihrer geballten Masse gegen die Shinsengumi vorgehen, entbehren der vorher schon mal öfter aufgetreten, illustrierten Hektik und zeugen von einer optimalen Weiterentwicklung seitens der Zeichnerin. Kompliment an Nanae Chrono, die sich jetzt leider erst einmal für unbestimmte Zeit zu Ruhe setzen möchte. Angesichts des prima Spannungsaufbaus und der toll inszenierten Action wäre es jedoch wünschenswert, wenn die Dame auf schnellstem Weg mit einem weiteren „Peace Maker Kurogane“-Band aus dem Handgelenk käme – auch wenn man landläufiger Meinung nach eigentlich auf dem Höhepunkt aufhören sollte! Band 5 ist ein – man verzeihe mir die ungezügelte Ausdrucksweise – endgeiles Manga-Erlebnis!

http://www.tokyopop.de/

Haydon, Elizabeth – Tochter des Sturms (Rhapsody / Symphony of Ages)

Rhapsody Saga

Band 1: Rhapsody: Child of Blood, Tor 1999, ISBN 0-312-86752-2
Tochter des Windes, Heyne 2003, Übersetzer Michael Windgassen, ISBN 3-453-86372-0
Band 2: Prophecy: Child of Earth, Tor 2000, ISBN 0-312-86751-4
Tochter der Erde, Heyne 2003, Übersetzerin Christine Struth, ISBN 3-453-87069-7
Band 3: Destiny: Child of Sky, Tor 2001, ISBN 0-312-86750-6
Tochter des Feuers, Heyne 2004, Übersetzer Michael Siefener, ISBN 3-453-87549-4
Band 4: Requiem for the Sun, Tor 2002, ISBN 0-312-87884-2
Tochter der Zeit, Heyne 2005, Übersetzer Michael Siefener, ISBN 3-453-87911-2
Band 5: Elegy for a Lost Star, Tor 2004, ISBN 0-312-87883-4
Tochter des Sturms, Heyne 2006, Übersetzer Michael Siefener, ISBN 3-453-52067-X
Band 6: The Assassin King, Tor 2007, ISBN 0-765-30565-8
Tochter der Sonne, Heyne 2008, Übersetzer Michael Siefener, ISBN 978-3-453-53256-4
Band 7: The Merchant Emperor, Tor 2014, ISBN 978-0-7653-0566-4
Band 8: The Hollow Queen, Tor 2015, ISBN 978-0-7653-0567-1
Band 9: The Weaver´s Lament, Tor 2016, ISBN 978-0-7653-2055-1

Lost Journals of Ven Polypheme

The Floating Island, Starscape 2006, ISBN 0-765-30867-3
The Thief Queen’s Daughter, Starscape 2007, ISBN 978-0-7653-0868-9
The Dragon’s Lair, Starscape 2008, ISBN 978-0-7653-0869-6
The Tree of Water, Starscape 2014, ISBN 978-0-7653-2059-9
(Quelle: Wikipedia.de)

Als Achmed von der Westküste zurückkehrt, wo er Rhapsodys Entführer nachgejagt ist, findet er schon auf den Krevensfeldern Glassplitter, die eindeutig von den Scheiben in der Kuppel des Gurgus stammen! Fluchend reitet er weiter. Aber kaum zu Hause angekommen, muss er schon wieder aufbrechen …

Rhapsody und Ashe haben beschlossen, Gwydion sei alt genug, um die Nachfolge seines Vaters als Herzog von Navarne anzutreten. Zusammen mit Anborn führt ihn sein erster offizieller Staatsbesuch nach Tyrian. Die Fortsetzung der Reise nach Sorbold ist eher weniger offizieller Natur. Schon die ersten Entdeckungen allerdings sorgen dafür, dass Gwydion eilig nach Navarne zurückkehrt, um Ashe zu warnen, während Anborn auf seiner Erkundung bis in die Hauptstadt Jierna’Sid vordringt …

Ashe ist allerdings nicht mehr zu Hause, als Gwydion zurückkehrt. Denn Rhapsody ist gleichzeitig mit Gwydion aufgebrochen, um die Drachin Elynsinos zu besuchen, wo jetzt wiederum Ashe sie besucht, denn sie fehlt ihm ganz entsetzlich! Er kommt fast gleichzeitig mit Achmed dort an, der zum Glück Krinsel, die Hebamme, dabeihat. Nur alle gemeinsam sind sie in der Lage, Rhapsody und ihr Kind heil durch die Geburt zu bringen! Der Knabe erhält den Namen Meridion.

Er ist allerdings noch keine Stunde alt, als er sich bereits auf der Flucht befindet. Anwyn, die als Drachin das erste Konzil der Cymrer nach dem cymrischen Krieg verheerte und daraufhin von Rhapsody in der Erde eingeschlossen wurde, ist entgegen aller Annahmen nicht tot. Die Erschütterung der Explosion am Gurgus hat sie geweckt und ihr Gefängnis aufgebrochen. Nun will sie Rache!

Als wäre das noch nicht übel genug, hat der neue Kaiser von Sorbold Faron, das missgestaltete Kind von Rhapsodys Entführer, durch irgendeine alte Magie in eine Statue aus lebendigem Stein verpflanzt, um einen willenlosen und unbesiegbaren Soldaten zu schaffen. Dafür musste er die Kathedrale von Terreanfor schänden und hinterher sämtliche Priester beseitigen, weil sie allesamt Zeuge der Schändung waren.

Und dann taucht auch noch Estens Stellvertreter Dranth bei ihm auf, um ihm ein Geschäft vorzuschlagen …

Sechs verschiedene Handlungsstränge, das klingt komplizierter, als es wirklich ist. Grob gesagt teilt sich der Band in zwei Hälften, wobei „teilt“ eigentlich zu viel gesagt ist. Die Gewichtung verschiebt sich lediglich im Laufe der Erzählung ein wenig. Liegt sie zunächst etwas mehr auf Sorbold und seinem Kaiser, so wechselt sie später stärker zu den Ereignissen um Anwyn.

Kaiser Talquist von Sorbold stellt sich allmählich als extrem skrupellos heraus. Er giert nach Macht mindestens ebenso sehr wie die F’dor nach Zerstörung. Nicht nur, dass er die Waage manipuliert hat, um Kaiser zu werden, inzwischen zeigt sich, dass er absolut alles gnadenlos ausbeutet, was sich ihm nähert beziehungsweise dem er sich nähern kann. Der Nachschub an Sklaven, der durch Sorbold strömt, ist nahezu unermesslich, und man fragt sich, wo in aller Welt er diese vielen Menschen herholt! Er betreibt Raubbau an der Macht eines Heiligtums und bedient sich ihrer ganz unverblümt. Er benutzt jedermann, selbst jene, die ihn für ihren Freund halten, er intrigiert und schachert, und als Krönung verpflanzt er einfach ein Geschöpf von einem Körper in den nächsten, nur so als Test, und nimmt in Kauf, dass so ziemlich alles schief geht, was nur schief gehen kann. Und tatsächlich entzieht sich das Ergebnis des Experiments sogleich seiner Kontrolle …

Faron, das einst hilflose, ans Wasser gebundene Geschöpf, steckt jetzt in einem Körper, den es kaum versteht. Es versteht überhaupt fast nichts, weder die Welt selbst, noch die Wesen darin, noch was mit ihm geschehen ist. Aber er spürt die Klänge der bunten Schuppen, von denen ihm auf dem Weg nach Sobold zwei abhanden gekommen sind. Unwillkürlich folgt er den vertrauten Klängen durch den Kontinent zurück, um sich das Verlorene wiederzuholen. Und womöglich die violette Schuppe gleich dazu, die sich in den Händen Talquists befindet? Beim Anblick des stumpfsinnigen, aber unverwundbaren Kriegers aus lebendem Gestein packt den neuen Kaiser von Sorbold die Panik …

Am gelungensten fand ich die Beschreibung von Anwyn, die sich beim Erwachen an nichts mehr erinnert, nicht einmal an ihren eigenen Namen. Nur langsam und allmählich gehen ihre Gedanken über bloßen Instinkt hinaus, findet sie Antworten auf die vielen Fragen, die durch ihren Kopf schwirren. Und je mehr sie herausfindet, desto größer wird ihre Wut!

So kann man für diesen Band getrost dasselbe feststellen wie für den Vorgängerband: Die Autorin hat wieder viel Sorgfalt auf ihre Nebenfiguren verwendet.

Leider muss gleichzeitig auch für das ursprüngliche Trio Rhapsody/Achmed/Grunthor dasselbe festgestellt werden wie zuvor: Im Vergleich zu den ersten drei Bänden wirken sie einfach blass. Immerhin hat Rhapsody endlich ihr Kind entbunden. Jetzt, wo es ihr wieder besser geht, wird sie hoffentlich auch wieder aktiver und stärker, und zwar in jeder Hinsicht, in der sie es ursprünglich war. Auch Achmed wird hoffentlich wieder vermehrt zu dem dhrakischen F’dor-Jäger, der er sein sollte, denn im Augenblick ist er ein wenig zum Dauerretter Rhapsodys verkommen! Grunthor kommt ja fast gar nicht mehr vor.

Handwerklich gesehen, ist der Band gewohnt souverän aufgebaut. Elizabeth Haydon hat ein paar kleine Details eingestreut, die grundsätzlichen Fragen aber offen gelassen, um die Neugier wach zu halten. So erfährt der Leser zwar, dass es sich bei Farons bunten Schuppen offenbar um eine Art Kartenspiel handelt, aber nicht, wozu es dient und wie man es benutzt; dass die Glaskuppel, die Achmed so verbissen nachzubauen versucht, alte Magie anzapft, aber nichts Genaues über ihre Funktion. Außerdem finden sich wie gewohnt Ansätze zu neuen Handlungssträngen, zum Beispiel in der Figur des Jal’asee, des Gesandten der Magierinsel, oder der der Portia, die Ashe von Tristan Steward sozusagen aufgedrängt wurde, und die offenbar geheime Fähigkeiten hat. Die Frage, zu welchem Zweck genau Tristan sie unbedingt dort haben will, ist noch offen, ebenso wie die Pläne, die Dranth von der Rabengilde und der sorboldische Kaiser miteinander geschmiedet haben.

Das größte Rätsel ist allerdings erst zur Welt gekommen, nämlich Meridion. Aus dem dritten Band ist bekannt, dass er sein körperloses Selbst nicht nur durch die Zeit bewegen, sondern auch in die Geschehnisse eingreifen kann. Woher er diese Fähigkeiten hat, wie es dazu kam, dass er diese Fähigkeiten tatsächlich einsetzte, und wer sein Meister ist, der kurz erwähnt wurde, sind die Fragen, die mich derzeit am brennendsten interessieren. Ich fürchte allerdings, um diese zu beantworten, wird die Autorin – im Hinblick darauf, dass das Kind gerade erst geboren wurde – noch mal drei zusätzliche Bände brauchen! Ob sie dann noch alle Fäden ohne Verhedderungen weiterführen kann?

Schon in Band vier zeigen sich erste Schwierigkeiten, als Rhapsodys Entführer einen bestimmten Raum seiner Behausung aufsucht, um mit dem F’dor zu sprechen, dessen Wirt er doch ist, sodass das eigentlich gar nicht nötig sei sollte. Schnitzer dieser Art tauchen jetzt öfter auf. Anwyn hat bei ihrem Erwachen nicht mehr alle Verletzungen, die sie beim Kampf auf dem Konzil davongetragen hat, und von der Rede bei Meridions Namensgebung, die am Ende von Teil drei erwähnt wird, fehlt bei der tatsächlichen Namensgebung im neuesten Band jede Spur.

Auch das Lektorat war nicht ganz fehlerfrei. So tauchte die überraschende Mehrzahl Kinds auf, gemeint sein dürften wohl Kinder. Und obwohl sich die Verlage bei der Übersetzung von Titeln jegliche Freiheiten nehmen – was besonders bei den beiden neuesten Bänden auffällt, deren Titel wohl nur noch der Einheitlichkeit des Zyklus dienen und keinerlei Bezug zum Inhalt mehr haben -, schaffen sie es nicht, ihre Übersetzung sprachlicher Logik anzupassen. So heißt es an einer Stelle: “ … sprach drei Worte …: ‚Es tut mir leid.‘ „. Das sind eindeutig vier Worte, und nicht drei wie im englischen Original. Hier wäre ein Abweichen vom Originalwortlaut wenigstens mal sinnvoll gewesen!

Insgesamt entspricht das Niveau des fünften Bandes ungefähr dem vierten, was schade ist. Der Spannungsbogen ist längst nicht mehr so straff gespannt wie in den ersten drei Bänden. Der Leser ist zwar neugierig, weil die Autorin immer noch geschickt ihre Antworten nur häppchenweise verteilt, aber das Mitfiebern, das zu Anfang noch vorhanden war, schwindet zusehends, weil die drei Sympathieträger des Zyklus so schwächeln. So interessant die neuen Ideen auch sind, richtig mitreißen kann die Handlung nicht mehr. Ich hoffe doch sehr, dass wenigstens im sechsten Band, wo voraussichtlich die Zuspitzung auf den Höhepunkt erfolgen dürfte, endlich wieder Schwung in die Geschichte kommt.

Das Erscheinen dieses sechsten Bandes wurde allerdings auf Januar 2007 verschoben; wann die deutsche Übersetzung zu „Assassin King“ erscheinen wird, steht also noch in den Sternen. Ob diese großen Abstände zwischen den einzelnen Bänden dem Zusammenhang und der Logik dienlich sind, wird sich noch zeigen.

Elizabeth Haydon lebt an der Ostküste der USA mit ihrem Mann und drei Kindern. Sie interessiert sich für Kräuterkunde und Geschichte, singt und spielt selbst Harfe. Bevor sie zu schreiben begann, arbeitete sie im Verlagswesen. Außer |Symphony of Ages| schrieb sie auch |The Journals of Ven Polypheme| für Kinder.

http://www.elizabethhaydon.com/
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French, Nicci – falsche Freund, Der

Miranda Cotten ist Ende zwanzig, lebt in London und führt ein lockeres, ungebundenes Leben. Ehe oder feste Partnerschaft gibt es bei ihr nicht, doch sie trifft sich ein paar Mal mit Brendan Block. Aber bevor sich die Sache zu einer ernsthaften Beziehung entwickeln kann, ertappt sie ihn dabei, wie er heimlich in ihre Wohnung eindringt und ihr altes Tagebuch liest. Ohne Zögern macht Miranda Schluss und hofft, ihn nie wiederzusehen.

Bald darauf taucht Brendan jedoch wieder in ihrem Leben auf – als neuer Freund von ihrer Schwester Kerry. Miranda fühlt sich in dieser Konstellation sehr unwohl. Aber es kommt noch schlimmer, denn Brendan erzählt jedem, dass er es war, der Miranda verlassen hat, anstatt umgekehrt. Innerhalb kurzer Zeit integriert sich Brendan in Mirandas Familie und ihrem Bekanntenkreis. Kerry schwebt im siebten Himmel, die Eltern sind von dem charmanten Mann angetan und auch Mirandas Freunde finden ihn sympathisch. Immer freundlich, verständnisvoll und hilfsbereit präsentiert er sich seiner Umgebung, sodass ihn alle für den perfekten Traummann halten.

Doch hinter der Fassade lauert ein unberechenbarer Psychopath. Nach wie vor ist Brendan von Miranda besessen. Er spioniert ihr Leben aus, er verfolgt sie, er spinnt Intrigen gegen sie. Mit teuflischem Geschick gelingt es ihm sogar, sich und Kerry für einige Zeit in ihrer Wohnung einzunisten. Immer öfter fühlt sich Miranda von ihm belästigt und bedroht, kann es jedoch niemandem beweisen. Verzweifelt versucht Miranda, ihre Familie und Freunde vor ihm zu warnen, doch die anderen schlagen sich immer weiter auf Brendas Seite. Um Abstand zu gewinnen, zieht sie vorübergehend zu ihrer besten Freundin Laura, aber auch hier will man ihr langsam nicht mehr glauben; bald darauf zerbricht ihre neue Beziehung. Miranda gilt bei allen als hysterisch und krankhaft eifersüchtig. Hilflos muss sie mitansehen, wie Brendan und Kerry sich verloben und ihre Hochzeit planen. Als sich schließlich eine schreckliche Tragödie ereignet, glaubt sich Miranda endgültig am Ende – bis sie beschließt, zurückzuschlagen …

Spätestens seit dem Film „Eine verhängnisvolle Affäre“ ist das Thema Stalking abgewiesener Liebhaber ein immer wieder gern genommenes Thema für Kino und Literatur. Ob es sich bei dem Psychopathen um Mann oder Frau handelt, ist dabei relativ egal; in jedem Fall geht es um verletzten Stolz und unerwiderte Gefühle, die sich zu einer Hass-Liebe steigern und dem Liebesobjekt das Leben zur Hölle machen. Auch die Darstellung des Verfolgten, dem niemand aus seiner Umgebung Glauben schenkt, ist ein beliebtes Mittel, das hier seine hitchcockeske Wirkung nicht verfehlt.

|Fiebern mit Protagonistin|

Der Roman wird aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur Miranda erzählt. Die Identifikation des Lesers und seine Sympathie sind daher ein wichtiges Kriterium, um sich in die Handlung vertiefen zu können. Tatsächlich gelingt es den Autoren gut, Miranda überzeugend darzustellen und den Leser mit ihr mitfiebern zu lassen. Miranda erscheint als durchschnittliche Frau mit mehr oder weniger liebenswerten Zügen; kein perfektes Barbiepüppchen, sondern eher eine handfeste Frau mit Charakter, die in ihrem Maler- und Tapezierberuf aufgeht, bescheiden wohnt und ihr Leben mit großer Selbstständigkeit meistert. Die Beziehung zu Brendan ist für sie kaum mehr als eine belanglose Affäre, der sie keine Sekunde lang hinterhertrauert. Miranda ist nicht oberflächlich, aber selbstbewusst genug, um zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen in ihrem Leben zu unterscheiden – und Brendan gehört dabei eindeutig zu den unwichtigen Dingen. Dazu kommt, dass sie den Schlussstrich aus sehr nahe liegenden Gründen zieht.

Auch den Leser beschleicht Empörung, als er liest, wie sich der neue Freund ungefragt in der Wohnung ausbreitet und in Seelenruhe in Mirandas Tagebuch blättert. Die Antipathie gegen Brendan ist damit unausweichlich, während man sich bereits um Mirandas Willen vor seiner Rache fürchtet. Hinzu kommt, dass uns sofort bewusst ist, dass Miranda sich nichts vorzuwerfen hat und ohne eigene Schuld die Zielscheibe von Brendans Aktionen wird. So wie sie ahnungslos in seine Fänge stolperte, könnte es auch jedem Leser ergehen, der genau wie sie nicht jeden Menschen auf Anhieb richtig einschätzen kann. Im Grunde könnte in jedem Menschen auf der Straße ein Charakter wie Brendan stecken – und das ist durchaus eine beunruhigende Vorstellung, der man sich nur schwer entzieht.

Einer weiterer gut gelungener Charakter ist Mirandas kleiner Bruder Troy. Der knapp Siebzehnjährige leidet seit Jahren unter schweren Depressionen, die ihn zum Sorgenkind der Familie Cotton machen. Gleichzeitig führen seine Intelligenz und seine kurzzeitigen Gute-Laune-Phasen bei allen Beteiligten zur besonderer Freude. Miranda liebt ihren kleinen Bruder mit aller Zärtlichkeit und kann ebenso wenig wie der Leser den Gedanken ertragen, dass Brendan ihm schaden könnte.

|Von Tatsachen und Beweisen|

Für Miranda liegt es auf der Hand, dass es sich bei Brendan um einen Psychopathen handelt. Dabei ist sie zunächst durchaus gewillt, sich für ihre Schwester zu freuen und hofft, sich mit Brendan auf einer oberflächlichen Basis – Kerry zuliebe – arrangierne zu können. Doch sein unbefugtes Eindringen in ihre Wohnung, der Einbruch in ihre Privatsphäre und obszöne Bemerkungen unter vier Augen reichen bereits aus, damit Miranda ihn von ganzen Herzen zu hassen beginnt. Vielleicht hätte ein mehrwöchiger Abstand ihre Antipathie gedämpft, doch stattdessen ziehen Kerry und Brendan vorübergehend in ihre kleine Zweizimmerwohnung.

Brendan benutzt ihr Badezimmer und tritt ungefragt ein, während sie in der Badewanne liegt; Brendan plaudert ihre Tagebuchgeständnisse auf Familienfeiern aus. Aber hat er auch nach seinem Auszug ihre Wohnung betreten, hat er tatsächlich ihr Badezimmer überflutet? Miranda ist dessen sicher, aber Beweise für diese Taten hat sie nicht. Während sie in ihrer Wut Brendan offen Beschuldigungen vorwirft, reagiert dieser so lammfromm, dass alle Freunde und Familienmitglieder ihm Glauben schenken. Auch der Leser darf hin und wieder zweifeln, ob er wirklich für alle schlimmen Taten verantwortlich ist, oder ob Mirandas Verstand wirklich beginnt, ihr Streiche zu spielen – denn schließlich kennt man nur ihre Sicht der Dinge.

Noch schlimmer kommt es, als Miranda beim Versuch, Beweise für Brendans Schuld zu finden, selber ertappt wird, wie sie seine Sachen durchwühlt. Die Detektivin wird zum Tatverdächtigen, und anstatt Brendan von ihren Lieben zu entzweien, treibt sie ihn immer weiter in deren Arme. Beinah schmerzhaft wird uns bewusst, wie schwer es ist, einen geschickten Lügner zu überführen. Für jedes Indiz, das Miranda auftreibt, hat Brendan eine Ausrede parat, die er gelassen und überzeugend den anderen erklärt. Bald hat Miranda niemanden mehr, dem sie vertrauen kann – aber sie schwört sich, nicht zu ruhen, bis sie ihre Rache bekommt …

|Kleine Konstruktionen und offene Fragen|

Auch wenn die Autoren bemüht sind, die Ereignisse subtil zu steigern, erscheint es doch ein wenig unglaubwürdig, wie viel Glück und Geschick Brendan bei seinem Vorgehen zufliegen. Es gelingt ihm, so gut wie jeden aus Mirandas Umgebung einzuwickeln und von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen und nicht zuletzt auch Kerry äußerst schnell zu einer Verlobung zu überreden. Der Zufall will es zudem, dass ein Unterkommen im Haus der zukünftigen Schwiegereltern unmöglich ist, sodass Miranda den beiden gezwungenermaßen Zuflucht in ihrer winzigen Wohnung bieten muss.

Auch muss man sagen, dass Mirandas Familie und Freunde ihr viel zu wenig vertrauen. Es scheint gar keine harte Arbeit von Brendans Seite nötig zu sein, um Miranda bei allen anderen Menschen zu diffamieren. Man möchte doch meinen, dass beste Freundinnen und engste Familienangehörige sich nicht so leicht von Fremden überzeugen lassen und zunächst einmal dem Menschen glauben, den sie ein Leben lang kennen. Unrealistisch wirkt in dem Zusammenhang ebenfalls, dass sich Brendan rasch mit dem ermittelnden Polizeibeamten, Rob Pryor, anfreundet, der natürlich im Gegenzug einer der härtesten Widersacher von Miranda wird.

Wer bis ins letzte Detail alle Hintergründe geklärt haben will, wird zum Schluss womöglich eine kleine Enttäuschung erleben. Obwohl Miranda hartnäckige Nachforschungen in Brandons früherem Leben anstellt, bleiben doch viele Fragen offen, wie er sich zu dem Menschen entwickeln konnte, der er ist. Hier bleibt Raum für Andeutungen und Spekulationen – aber manchmal ist genau das von Vorteil, denn im wahren Leben erfährt man auch nicht immer alle Beweggründe.

|Flüssiger Stil|

Nicht nur die sich immer weiter zuspitzende Handlung, sondern auch der flüssige Schreibstil sorgen dafür, dass man die knapp 400 Seiten locker in zwei Tagen herunterlesen kann. Schon ab den ersten Seiten ist man mitten im Geschehen und lebt sich in Mirandas Welt und ihre Sicht der Dinge ein. Die Autoren lassen keinen Platz für Abschweifungen oder überflüssige Nebenhandlungen; die Ereignisse werden teilweise in rascher Abfolge, aber immer überschaubar präsentiert.

Wer nicht in der glücklichen Lage ist, den Roman binnen kürzester Zeit zu verschlingen, der braucht sich nicht zu sorgen, dass ihm ein erneuter Einsteig nach einer Pause Schwierigkeiten bereitet. Die Handlung verläuft einsträngig und geradlinig, es gibt weder viele Schauplatzwechsel noch eine Masse an Namen zu merken. In der deutschen Übersetzung (und so wohl auch im Original) sind die Sätze überwiegend kurz und in einer einfachen Sprache gehalten, sodass keine hohen Konzentrationsanforderungen gestellt werden. Damit eignet sich der Thriller ideal als Urlaubszeitvertreib oder auch als Nebenherlektüre, wenn man Erholung von schwierigeren Werken sucht.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer Thriller, der sich zwar des altbekannten Themas über psychopathische Stalker bedient, die Handlung aber solide umzusetzen versteht. Dank des raschen Einstieges und des temporeichen Verlaufs der Handlung ist der Leser sofort drin im Geschehen. Die Ich-Erzählerin lädt zur Identifikation ein und die Spannung spitzt sich in höchstem Maße immer weiter zu. Dank des flüssigen Stils, der keinen Platz für Abschweifungen lässt, liest sich der Roman in kurzer Zeit herunter. Einige Schwächen, die aber nicht gravierend sind, liegen in der Vorhersehbarkeit der ersten Hälfte, ein paar konstruierten Ereignissen und kleine Unglaubwürdigkeiten.

_Hinter Nicci French_ verbergen sich in Wirklichkeit gleich zwei Autoren, nämlich das Journalistenehepaar Nicci Gerrard und Sean French. Nicci Gerrad wurde 1958 geboren, studierte Englische Literatur und lehrte später in Los Angeles. Ihr Partner Sean French ist ein Jahr jünger und studierte ebenfalls Englische Literatur. Weitere Werke sind u.a.: „Höhenangst“ (1999), „Der Sommermörder“ (2000), „Das rote Zimmer“ (2001) und „In seiner Hand“ (2002). Zuletzt erschien auf Deutsch „Der Feind in deiner Nähe“.

Crossley-Holland, Kevin – Artus – Zwischen den Welten (Band 2)

Band 1: [„Der magische Spiegel“ 2420

_Story_

Es ist erst ein Jahr ins Land gezogen, seit Artus von Merlin den geheimnisvollen Obsidian geschenkt bekommen hat, und dennoch hat sich in dieser Zeit unheimlich viel ereignet. Artus hat über sein gleichnamiges Spiegelbild in der anderen Welt bereits eine Menge in Erfahrung bringen können, versteht aber noch immer nicht ganz die Zusammenhänge, die sich für sein eigenes Leben dadurch ergeben. Gleichzeitig muss er die Wahrheit seiner Herkunft verarbeiten, denn in Wirklichkeit ist Lord Stephen sein leiblicher Vater, wohingegen die Frage nach seiner richtigen Mutter noch geklärt werden muss. Dadurch ergeben sich auch Komplikationen für die vielen Verehrerinnen Artus’; die schwärmende Grace ist aus dem Rennen ausgeschieden, wohingegen mit der rothaarigen Winnie eine neue Bewerberin hinzugekommen ist. Zunächst bleibt Artus von Caldicot allerdings noch seiner derzeitigen Freundin Gatty treu …

Währenddessen ist Artus auf dem Weg zum Ritter ein ganzes Stück weitergekommen; Stephen hat ihn zum Knappen beordert und ihm wichtige Fertigkeiten in seiner Ausbildung zum Schwertkämpfer beigebracht. Gleichzeitig widmet sich Artus aber auch der Poesie, die ihm von seiner Tätigkeit am Hofe auch abverlangt wird. Doch für Romantik ist in Großbritannien nicht mehr viel Zeit; nach der Ära von Richard Löwenherz ist das Reich am Boden und die sind Menschen von Tag zu Tag unzufriedener. Als Papst Innozenz schließlich die Kreuzzüge einberuft, schließt sich Artus seinem Vater an, begleitet ihn nach Frankreich und leistet dort einen Schwur auf das Kreuz ab. Und damit sind seinem Ziel, als tapferer Ritter für sein Land zu kämpfen, kaum noch Hindernisse im Weg.

Zur gleichen Zeit hat Artus aber auch hart an der verbotenen Suche nach seiner Mutter zu knabbern. Er spürt, dass er einem undurchdringlichen Mysterium auf der Spur ist, das mit ihrem Verschwinden in direktem Zusammenhang steht. Weil ihm die Entwicklungen in der Heimat aber keine andere Wahl lassen, stellt er dieses Thema erst mal wieder hinten an. Die Ereignisse, die er im Spiegelstein von Merlin sieht, lassen ihn indes auch bei seinem Aufbruch zu den Kreuzzügen keine Ruhe. Dort nämlich wird ihm zum ersten Mal das Bild einer mächtigen Tafelrunde offenbart, an der auch ein Ritter namens Artus teilnimmt …

_Meine Meinung_

Kevin Crossley-Holland vertieft im zweiten Teil seiner Artus-Trilogie die Geschehnisse in der von Artus erblickten Parallelwelt und führt den jungen Artus immer mehr an sein eigenes Schicksal heran. Ständig wechselt der Autor zwischen der Erzählung der Legende um König Artus und der Entwicklung des schmächtigen Knappen am Hofe von Lord Stephen und hält so in beiden Hauptsträngen die Spannung auf einem konstant hohen Level.

Insgesamt aber ist „Zwischen den Welten“ noch einmal um einiges umfangreicher als der vorangegangene Band, und das nicht etwa nur wegen der etwas größeren Seitenzahl. Crossley-Holland bearbeitet wesentlich mehr Themen und erforscht vor allem die Herkunft des 13-jährigen Artus und die sich daraus ergebenden Konsequenzen etwas genauer. Zudem rückt das Liebesleben des angehenden Ritters etwas weiter in den Vordergrund, zumal hier auch neue weibliche Charaktere, allen voran Stephens Nichte Winnie, in den Plot eingeführt werden und ihn entscheidend verändern. So fühlt sich Artus zwischenzeitlich hin- und hergerissen zwischen der Treue zu seiner derzeitigen Herzensdame Gatty und der Frau, in die er sich bei Ankunft auf dem Hofe des leiblichen Vaters sofort verliebt hat.

Der wichtigste Punkt der Handlung ist aber natürlich die weitere Ausbildung zum Ritter, bei welcher der ehrgeizige Jüngling ein erstaunliches Talent zeigt und dementsprechend auch große Fortschritte macht. Daher sind die Zweifel, die Artus anfangs noch an seinem Zukunftsweg hegte, mittlerweile auch völlig verschwunden, erst recht ab dem Moment, in dem der junge Knappe realisiert, dass ihm die Ehre zuteil wird, als Ehrenmann in die Kreuzzüge aufzubrechen. Der romantische Zwiespalt muss hintanstehen, denn die Verwirklichung der selbst auferlegten Bestimmung ist das Nahziel, und bevor Artus sich versieht, wird ein Traum endlich Wirklichkeit – ähnlich wie beim jungen König Artus, dessen Abenteuer der Sohn des Lords weiterhin durch den Obsidian Merlins beobachtet.

Der Autor hat den Plot nicht nur logisch weiterentwickelt, sondern ihn auch um viele neue Binnenhandlungen bereichert. Die Schwerpunkte werden dabei gleichmäßig verteilt und beschreiben die Hauptperson sowohl in der Rolle des mutigen und wissbegierigen Ritteranwärters, als auch in der Figur des emotionalen Jünglings, der ebenso mit den Schatten der Vergangenheit wie mit den durch die verschiedenen Liebeleien aufgeworfenen Beziehungsschwierigkeiten umgehen muss – und dies alles, während im parallel ablaufenden Strang die Legende von König Artus erzählt wird. Stark gemacht! Wenn man „Zwischen den Welten“ überhaupt etwas anlasten kann, dann ist es der manchmal doch etwas kindliche Stil des Autors, doch weil weder die Atmosphäre noch die Story selber darunter leiden, ist dies kein Nebeneffekt, der nicht zu verschmerzen wäre. Insofern: sehr schöner zweiter Teil einer bis dato herausragenden Jugendbuchtrilogie.

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Joann Crispi – Roxane und Alexander

Das Leben des großen Feldherren Alexander ist ja schon in vielen historischen Romanen aufgearbeitet worden, in denen der junge König meistens mehr schlecht als recht weggekommen ist. Vom ersten echten Pascha war da mal die Rede, an anderer Stelle aber auch vom klugen Kriegsstrategen. Es ist eben die Frage, aus welcher Sicht man Alexander betrachtet, als Menschen oder als Herrscher. Joann Crispi hat sich zum Beispiel in ihrem Roman „Roxane und Alexander“ vorwiegend auf den erstgenannten Teil konzentriert und diesbezüglich speziell die Beziehung zwischen Alexander und seiner Gattin Roxane analysiert – und dies aus Sicht der zunächst unfreiwillig Vermählten, die nach dem Tode ihres Mannes im Alter von gerade mal zweiunddreißig Jahren die Geschichte ihres gemeinsamen Lebensabschnitts niederschreibt.

Story

Joann Crispi – Roxane und Alexander weiterlesen

Cheyney, Peter – Rote Lippen – blaue Bohnen

Zwei hochrangige Physiker sind spurlos verschwunden. In der mexikanischen Sierra Leone sollten sie zum Nutzen des freien Westens atomare Überraschungen für die heimtückischen Sowjetroten testen. J. Edgar Hoover, Leiter des FBI, entsandte den Agenten Pepper über die Grenze. Er sollte sich dort unauffällig umhören – und ging ebenfalls verloren.

Auftritt Lemuel H. „Lemmy“ Caution, FBI-Mann der draufgängerischen Sorte, der selten im Büro sitzt, sondern lieber durch die Welt gaukelt und die Bösen das Fürchten lehrt, wobei manche Flasche Whiskey und noch mehr schöne Frauen seinen Weg säumen. Inkognito reist Caution Pepper hinterher, dessen Leiche er in einem einsamen Wüstengrab findet. Auch Lemmy bekommt es sofort mit jenen dunklen Mächten zu tun, die weitere Nachforschungen und ihn im Keim ersticken wollen. Unter seinen Gegnern findet er erstaunt den Schläger Jack Hotshot, genannt „Spiegelei“, der für den Mafiaboss Mike Koltisow in Chicago die Drecksarbeit erledigt.

Aber auch dieser sitzt noch längst nicht am Ende der Fahnenstange: Dort lauern die finsteren Sowjets, die gern viel Geld für die brisanten Dokumente zahlen würden. Diese müssen ihnen – die verdrehte Dramaturgie dieser Räuberpistole will es so – in Frankreich übergeben werden. Also macht sich Lemmy auf den Weg ins alte Europa, zumal sich im Schlepptau der Gangster die schöne Georgette befindet, die es zu retten gilt. Bloß: Ist sie Opfer – oder steckt sie gar hinter den Ereignissen, die in Paris ins Rollen kommen, Lemmys Pläne gründlich durcheinander bringen und in einem furiosen Finale auf dem offenen Atlantik münden …?

Nein, der Plot ist es wirklich nicht, der den Krimifreund hier fesseln könnte. Autor Cheyney macht freilich nie einen Hehl daraus, dass er die dünne Handlung nur als Vorwand für ein turbulentes Garn betrachtet, das primär durch Schlägereien und schwitzige Techtelmechtel mit willigem Weibsvolk geprägt wird, wobei die einen mit den anderen abwechseln.

Ernst zu nehmen ist hier nichts. Physiker wurden entführt? Es könnten auch Marsmenschen sein. Der Plot ist ein Hitchcockscher „McGuffin“, d. h. eine von den Lesern verlangte Notwendigkeit, die der Handlung ein Fundament verschaffen soll. Peter Cheyney, der wie Edgar Wallace stets mit zahllosen Gläubigern auf den Fersen schrieb, kümmerte sich wenig um die Schlüssigkeit seiner Geschichten. Er erzählte sie schnell und ohne sich Gedanken über die Logik zu machen. Viel mechanisches Schreibhandwerk wird allzu offenbar, wenn sich Lemmy wieder und wieder auf offensichtlich kriminelle Frauen einlässt und Schurken vertrimmt.

Trotzdem geht die Rechnung auf: „Rote Lippen – blaue Bohnen“ unterhält. Cheyney macht Tempo, jagt Lemmy Caution kreuz & quer durch Mittel- und Nordamerika. Dass er von den realen Verhältnissen auf beiden Kontinenten nur rudimentäre Kenntnisse besitzt, ist eigentlich unwichtig. Heute gilt dies mehr denn je; Lemmy prügelt und liebt sich durch diverse Märchenländer, über die zu lesen nostalgisches Vergnügen (mit gewissen Einschränkungen – s. u.) bereitet.

Wer heute an Lemmy Caution denkt, vor dessen geistigem Auge entsteht sofort die narbige, dauergrinsende Visage des Schauspielers Eddie Constantine, der mit dieser Figur nicht nur die Rolle seines Lebens fand, sondern ihr vor allem eine Gestalt verlieh, die sie angenehm vom literarischen Vorbild unterschied.

Lemmy Caution à la Peter Cheyney ist eine Figur, über welche die Zeit längst hinweggegangen ist. Einst war er der Held für kleine und große Jungs – ein Kriminalist, der jeglicher bürokratischer Vorschriften und alltäglicher Langeweile enthoben war, und stattdessen durch die ganze Welt zog, um dort allerlei Gangsterpack zu jagen. Stets hat dieser Lemmy einen coolen Spruch auf und eine Flasche Whiskey an den Lippen. („Ich muss selbst auf mich aufpassen, denn mein FBI-Ausweis ist hier für mich genausoviel wert wie ein Erdbeereis für einen Eskimo mit doppelseitiger Lungenentzündung.“) Schöne Frauen ziehen ihn an wie das Licht die Motte; auf die weibliche Gegenseite wirkt die Anziehungskraft sogar noch stärker.

Diese Damen heißen hier Fernanda oder Zellara aber ihre Namen sind unwichtig: Cheyney-Frauen sind austauschbar schön aber heimtückisch. Sie schmelzen wie Butter in der Sonne, sobald Lemmy auf der Bildfläche erscheint, doch den freigiebig (wenn auch zeitgebunden züchtig) dargebotenen Reizen ist meist nicht zu trauen. Dame und Herr tauschen andeutungsreiche Anzüglichkeiten aus, denen aber niemals bettschwere Taten folgen.

Caution kämpft gegen Verbrecher, die mit der Realität rein gar nichts verbindet. Raue Kerls sind das, denen ihr Job ins hässliche Gesicht geprägt steht. Sie reden und handeln so, wie sich der fleißige Kinosesseldrücker das einst vorstellte. Bei aller Brutalität sind sie ziemlich dumm, so dass sich Caution mit flinken Fäusten & flotten Sprüchen aus jeder Todesfalle winden kann.

Das geht in Ordnung so, denn Cheyney-Thriller sind unter kriminalliterarischen Gesichtspunkten fröhlicher Unsinn, der einfach nur unterhalten soll. Allerdings war der echte Peter Cheyney, der sich gern als kosmopolitischer Lebemann gab, nach Aussagen seiner Zeitgenossen kein durchweg angenehmer Mensch. So soll er ausgesprochen rassistisch gewesen sein. Nach der Lektüre von „Rote Lippen – blaue Bohnen“ will oder muss man das gern glauben. Die Geschichte spielt in Mexiko, dessen Bürger der Verfasser entweder herablassend – Lemmy duzt sie alle, während er selbstverständlich gesiezt wird – oder offen als „Menschen minderer Klasse“ behandelt werden:

– „Sie setzen sich hin, greifen nach ihren Gitarren und gucken verdutzt aus der Wäsche, wie das die Mexikaner immer tun, wenn sie merken, dass sie arbeiten müssen.“ (S. 9)
– „Ich stelle fest, dass sie für eine Mexikanerin einen verteufelt hübschen Mund hat. Sie hat nicht solch dicke Lippen wie die meisten Frauen hier unten …“ (S. 11)
– „Er hat den Mund voll Gold wie jene naiv-protzigen Südamerikaner, die damit zeigen wollen, dass sie die Taschen voll Geld haben.“ (S. 109)

Dies sind willkürlich herausgegriffene Beispiele. Die traurige Liste lässt sich leicht verlängern. Für Caution = Cheyney sind alle (männlichen) Mexikaner faule, verlogene, geldgierige, korrupte Gockel, die man ordentlich züchtigen muss. Die Frauen sind hitzig und allzu freizügig, so dass ein (weißer) Mann, der auf sich hält, es tunlichst vermeidet, sich in amouröse Niederungen zu begeben. Dass solche Niederträchtigkeiten quasi wie nebenbei und in Nebensätzen geäußert werden, zeigt, dass sie vom Verfasser so beabsichtigt sind.

Die deutsche Übersetzung versucht den Verfasser offenbar noch zu übertrumpfen. „Don’t Get Me Wrong“ wurde 1939 veröffentlicht, „Rote Lippen – blaue Bohnen“ indes erst 1954, als die Lemmy-Caution-Filme auch die deutschen Zuschauer in die Kinos lockten. Die Handlung wurde „aktualisiert“: Plötzlich lesen wir von Lemmys Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg, der zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung gerade erst begonnen hatte. Es fällt ohne Blick in den Originaltext schwer zu beurteilen, ob sich der Plot auch ursprünglich um Atomspionage mit sowjetischen Drahtziehern drehte. Sowjets gab es auch 1939 schon, aber die gesamte Kalter-Krieg-Szenerie muss dem Roman nachträglich aufgepfropft worden sein – samt hysterischer Hasstiraden gegen die roten Teufel, die Lemmy am liebsten über den Haufen schießen will.

|“Rote Lippen – blaue Bohnen“ – der Film|

Eddie Constantine spielte die Lemmy-Caution-Figur mit der nötigen Dosis Selbstironie, welche zum operettenhaften Geschehen passt, was ihr bei Cheyney völlig abgeht. Constantines Caution ist ein sympathischer, großer, nie erwachsen gewordener, kalauernder Junge, der weder sich noch die absurden „Kriminalfälle“ ernst nimmt, in die er ständig verwickelt wird. Diese Unbekümmertheit floss in die rasant gemachten B-Movies der 1950er Jahre ein, die Constantine, ein US-Amerikaner in Frankreich, wie am Fließband drehte. „Rote Lippen – blaue Bohnen“ („Vous Pigez?“/“Il Maggioratio Fisico“), eine französisch-italienische Coproduktion, entstand 1955 unter der Regie von Pierre Chevalier. Vor und hinter der Kamera tummelten sich filmerfahrene Leute, so dass dieses vierte Filmabenteuer von Lemmy Caution trotz der dicken Staubschicht, die sich auf diesen Streifen gelegt hat, auch heute noch anschaubar ist. (Hier dreht sich die Story übrigens nicht um geheime Sprengstoffe, sondern um die Herstellung künstlicher Diamanten – ein weiterer Hinweis auf die Nebensächlichkeit von Logik.)

Reginald Evelyn Peter Southouse Cheyney wurde am 22. Februar 1896 in London, Stadtteil Whitechapel, als jüngstes von fünf Kindern geboren. Rechtsanwalt sollte er werden, doch wie so viele seiner Altersgenossen musste er in den I. Weltkrieg einrücken, wo er es bis zum Lieutenant brachte. Der junge Mann versuchte nach seiner Entlassung im Showbusiness Fuß zu fassen. Jahre der Armut folgten, in denen Cheyney kleine Theaterrollen ergatterte, Sketche und Lieder schrieb. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre verzeichnete Cheyney endlich Erfolg als Ghostwriter, der unter dem Namen eines ehemaligen Polizisten „wahre Kriminalgeschichten“ verfasste. Er gründete eine Literaturagentur, die gleichzeitig Detektei war.

1936 versuchte sich Cheyney als Schriftsteller unter eigenem Namen. „This Man is Dangerous“, der erste Roman einer Serie um den FBI-Agenten Lemmy Caution, wurde sogleich ein großer Erfolg. Auch mit Slim Callaghan, einem britischen Privatdetektiv, traf Cheyney ins Schwarze. In den nächsten 15 Jahren verfasste er mindestens zwei Romane pro Jahr. Hinzu kamen unzählige Kurzgeschichten, die sich derselben Mixtur aus Sex & Crime bedienten wie später u. a. Ian Fleming (James Bond) oder Mickey Spillane (Mike Hammer).

Peter Cheyney ließ die Kerze seines Lebens an beiden Enden kräftig brennen. Schon in den späten 1940er Jahren begann der Raubbau, den er mit seinen Kräften trieb, seine Folgen zu zeigen, ohne indes seine Produktivität zu beeinträchtigen. Am 26. Juni 1951 ist Cheyney im Alter von nur 55 Jahren gestorben.

Den eigentlichen Erfolg seiner Werke erlebte Cheyney nicht mehr. Besonders in Frankreich erfreuten sich seine unbekümmert harten, anspruchslosen Geschichten großer Wertschätzung. Zwei Jahre nach seinem Tod entstand mit „La mome vert-de-gris“ (dt. „Im Banne des blonden Satans“) der erster einer langen Reihe von Lemmy-Caution-Streifen, die den aus Los Angeles stammenden, in den USA erfolglosen Schauspieler Eddie Constantine (1917-1993) zum europäischen Film- und Kultstar machten. Auch in Deutschland liefen diese rabaukig charmanten B-Movies viele Jahre erfolgreich in den Kinos und später im Fernsehen. Primär kamen die deutschen Leser in den Genuss der Cheyney-Romane um Caution und Callaghan, während das sonstige Werk nur sporadisch Aufmerksamkeit gewann. Seit den 1980er Jahren werden die lange nachgedruckten Romane nicht mehr aufgelegt.

Die Lemmy-Caution-Serie:

01. This Man is Dangerous (1936, dt. „Eine Dame stiehlt man nicht/Dieser Mann ist gefährlich“)
02. Poison Ivy (1937; dt. „Hiebe auf den ersten Blick“)
03. Dames Don’t Care (1937; dt. „Schwierige Damen/Serenade für zwei Pistolen“)
04. Can Ladies Kill? (1938, dt. „Frauen sind keine Engel/Lemmy schießt nicht auf Blondinen“)
05. Don’t Get Me Wrong (1939, dt. „Rote Lippen – blaue Bohnen“)
06. You’d Be Surprised (1940; dt. „Auf Befehl der FBI“)
07. Your Deal, My Lovely (1941; dt. „1 : 0 für Lemmy“)
08. Never a Dull Moment (1942; „Im Bann der grünen Augen/Lemmy lässt die Puppen tanzen“)
09. You Can Always Duck (1942; dt. „Gut versteckt ist halb gewonnen“)
10. I’ll Say She Does (1945; dt. „Die Geheimakten/Wer Lemmy eine Grube gräbt“)

Pramas, Chris – Warhammer Fantasy-Rollenspiel

_Die „Warhammer“-Welt_

Das „Warhammer Fantasy-Rollenspiel“ spielt in der so genannten „Alten Welt“, die geographisch grob an das irdische Europa erinnert. Das Hauptland dieses Settings ist das „Imperium“, welches aus zehn Kurfürstentümern besteht. Weitere Länder, die in diesem Grundregelwerk kurz beschrieben werden, sind Bretonia, Estalia, Tilea und Kislev. Allerdings wird davon ausgegangen, dass man zu Beginn einen Charakter aus dem Imperium spielt (obwohl es durchaus möglich ist, einen Ausländer zu spielen).

Das Imperium wird ständig von den Horden des Chaos bedroht, welche aus Tiermenschen, Kultisten des Chaos, Orks, Goblins und anderem Schrecken bestehen. Diese von den Chaosgöttern Geschaffenen oder Pervertierten wollen nichts anderes als die Menschheit (respektive Zwergen, Elfen, Halblinge) zu vernichten. Natürlich gibt es außerdem noch „normale“ Schurken, doch könnten das auch durchaus die Spieler sein.

Von der Entwicklung her ist das Imperium als eine Mischung aus Mittelalter und früher Neuzeit zu beschreiben. Zwar gibt es schon Schusswaffen, doch sind diese selten und vor allem teuer. Die politische Ordnung, in der die Kurfürsten den Imperator wählen, ist in etwa mit der im Deutschland der Frühen Neuzeit zu vergleichen.

An spielbaren Rassen bevölkern, neben den Menschen, Zwerge, Elfen und Halblinge die „Alte Welt“. Natürlich gibt es im „Warhammer Fantasy-Rollenspiel auch Magier, doch ist die Magie in diesem System ein zweischneidiges Schwert, denn sie ist nicht nur gefährlich (auch für den Anwender), sondern treibt die Zaubernden leider allzu oft in die Arme der Chaosgötter.

_Charaktererschaffung und System_

Zuerst steht bei der Charaktererschaffung die Auswahl der Rassen an, also Mensch, Halbling, Zwerg oder Elf. Jede dieser Rassen hat bestimmte Rassenmerkmale. So haben etwa Elfen, Zwerge und Halblinge Nachtsicht, Menschen nicht. Um dem Charakter anschließend etwas Fleisch auf die Knochen zu bringen, werden nun die Eigenschaftswerte bestimmt. Diese setzen sich immer aus einer Standardzahl und zwei Würfelwürfen mit einem zehnseitigen Würfel (W10) zusammen, da wären also etwa 10+2W10 / 20+2W10 / 30+2W10. Wie hoch die Standardzahl ist, hängt von der Rasse ab, so dass sich Halblinge etwa bei Kampfgeschick mit 10+2W10 begnügen müssen, während Zwerge mit 30+2W10 starten.

Insgesamt gibt es zehn Eigenschaften: Kampfgeschick (KG), Ballistische Fertigkeit (BF), Stärke (ST), Widerstand (WI), Gewandtheit (GE), Intelligenz (IN), Willenskraft (WK) und Charisma (CH).

Um dem neuen „Warhammer“-Helden dann ein Gesicht zu geben, wird auf die Tabelle der Anfangskarrieren gewürfelt. Auch hier hängen die möglichen Karrieren von der Rasse ab, so dass etwa die Klasse des „Trollslayers“ nur Zwergen vorbehalten ist. Die Karriere bestimmt dann, welche Fertigkeiten und Talente der neue Charakter erhält. Außerdem wird so auch bestimmt, welche Folgekarieren in Zukunft möglich sind. So kann man etwa als Zauberlehrling beginnen und dann später zu einem Fahrenden Magier aufsteigen. Von diesem kann man dann zum Meistermagier werden, und so weiter.

Die Proben werden mit 2W10, also einem Prozent-Wurf abgelegt. Dieser geht dann entweder direkt auf eine Eigenschaft oder eine passende Fertigkeit. Da aber wiederum die Fertigkeiten alle einer Eigenschaft zugeteilt sind, werden eigentlich alle Proben auf die Eigenschaften abgelegt. Der Unterschied zwischen den Proben auf Eigenschaften und denen auf Fertigkeiten besteht darin, dass man, falls man eine Fertigkeit noch nicht erworben hat, auf den halben Eigenschaftswert würfeln muss.

_Mein Eindruck_

„Warhammer“ ist das abgefahrenste Fantasy-Rollenspiel, das mir bisher untergekommen ist. Die Stimmung ist düster, wahnsinnig und gewalttätig. Hübsche Feen, die durch einen von Rosenduft geschwängerten Wald schweben, passen definitiv nicht zum „Warhammer Fantasy-Rollenspiel“. Wer sich die Charakterklassen wie Trollslayer, Riesenslayer, Dämonenslayer, Grabräuber oder Räuberhauptmann anschaut, kann sich sicher denken, was ich meine. Man kann den klassischen Helden spielen, man muss aber nicht.

Genauso ist auch das Kampfsystem: schnell, blutig und vor allem tödlich. Besonders gut kommt der Flair bei den Zeichnungen des toll aufgemachten Grundregelwerkes rüber, denn strahlende Ritter in blitzender Rüstung wird man hier eher nicht finden. Das „Warhammer“-Äquivalent dazu ist ein schmutziger, abgehalfterter Kämpe mit wahnsinnigem Blick. Wo wir gerade beim Wahnsinn sind: Jeder Charakter sammelt bei schweren Verletzungen oder schlimmen Erlebnissen so genannte Wahnsinnspunkte. Hat er hier eine bestimmte Grenze überschritten, kann es sein, dass er sich eine Geisteskrankheit zuzieht.

Auch die Magie ist nicht so wie in anderen Rollenspielen. Sie ist zwar durchaus mächtig, aber auch für den Anwender extrem gefährlich. Die magisch begabten Heldentypen fangen zu Beginn mit einem Magiewert von eins an, das heißt sie Würfeln beim Zaubern mit 1W10. Falls die Mehrzahl der Würfel eine Eins zeigt, ist der Zauber nicht nur misslungen, sondern der Charakter zieht sich zudem noch einen Wahnsinnspunkt zu. So ist es nicht verwunderlich, dass bei einer zehnprozentigen Chance pro Zauber, einen Wahnsinnspunkt zu erhalten, viele Magier relativ früh dem Chaos verfallen. Allerdings wird es mit zunehmender Stufe auch nicht besser, denn dann kann die Magier zusätzlich noch Tzeentchs Fluch treffen: Jedes Mal, wenn der Magier bei einem Zauberwurf einen Pasch würfelt, kommt es zu Chaosmanifestationen. Je mehr Würfel an dem Pasch beteiligt sind, desto schlimmer fallen diese aus. Da ist es doch nur ein schwacher Trost, dass ein Magier so oft wie er nur möchte zaubern kann.

So ansprechend ich das „Warhammer Fantasy Rollenspiel“ auch finde, Schwächen hat es trotzdem. Fangen wir bei der Fertigkeiten an: Dass eine Fertigkeit einer Eigenschaft zugeordnet ist, ist unglücklich. Dies ist gut sichtbar, wenn man sich die Fertigkeit „Klettern“ anschaut: Hier wird ein Wurf auf Stärke abgelegt. Wäre hier die Gewandtheit nicht die sinnvollere Alternative gewesen? Worauf ich hinauswill ist, dass solche Einteilungen immer ein fauler Kompromiss sind, ob jetzt bei diesem Rollenspiel oder bei so vielen anderen.

Richtig schlecht finde ich die Vorschrift, dass man nur in eine Folgekarriere wechseln kann, wenn man sich die vorgegebene Ausrüstung beschafft hat. Die Regel scheint zwar durchaus logisch zu sein, wird allerdings von den vorgegebenen Ausrüstungslisten ad absurdum geführt. So muss ich mir, wenn ich einen Spion spielen möchte, vorher vier Brieftauben kaufen (nicht drei, nicht fünf, nein vier an der Zahl!), sonst ist es mir nach den Regeln nicht gestattet, diese Karriere zu beginnen. Dies fördert eine Stereotypenbildung, zumal es echt blöd ist, wenn dann während des Spiels Sätze kommen wie: „Vorsicht, der hat vier Brieftauben, das ist sicher ein Spion!“. Sorry, diese Voraussetzungen sind einfach lächerlich!

Allerdings möchte ich betonen, dass diese Regelschwächen von jedem durchschnittlich begabten Spielleiter mit Hausregeln einfach behoben werden können und daher nicht wirklich schlimm sind.

_Fazit_

Alles in allem ist das „Warhammer Fantasy-Rollenspiel“ durchaus sehr gelungen und eine willkommene Alternative zu den klassischen Fantasy-Rollenspielen wie „DSA“ oder „Midgard“. „Warhammer“ hat einfach ein cooles Flair und ist richtig abgefahren. Zudem sind die Regeln einfach und verständlich und daher sowohl für Einsteiger als auch für erfahrene Spieler geeignet. Als Tipp: Schaut euch einfach mal die Bilder im Regelwerk an, ob euch der Stil gefällt. Daraus lässt sich gut auf die Gesamtstimmung des „Warhammer Fantasy-Rollenspiels“ schließen.

http://www.feder-und-schwert.com

Kevin Crossley-Holland – Artus – Der magische Spiegel (Band 1)

Wer sich einmal etwas näher mit der Artus-Sage befasst hat und einen der unzähligen Romane zu diesem bereits unzählige Male verarbeiteten Thema gewälzt hat, wird der Geschichte sicherlich kaum noch etwas abgewinnen können. Schließlich unterscheiden sich die verschiedenen Abhandlungen nur in geringen Details voneinander. Warum also jetzt einen weiteren Anlauf starten, gerade wo die hier vorliegende Auflage in erster Linie auf ein eher jugendliches Publikum zugeschnitten ist? Nun, ganz einfach: Autor Kevin Crossley-Holland betrachtet die Sage aus einer ganz anderen Perspektive und kopiert die vielen Vorlagen nicht blindwegs nach. In seiner mittlerweile schon zum dritten Mal aufgelegten Trilogie (hier erstmals im Taschenbuchformat erhältlich) beschreibt er die Geschichte aus der Sicht des jungen Artus. Und dies liest sich im ersten Band „Der magische Spiegel“ wie folgt:

Story

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Sarah Kuttner – Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens

Man kann sie lieben oder hassen, aber man kann ihr ihren Erfolg nicht absprechen. Sarah Kuttner hat es geschafft. 2001 begann sie ihre Fernsehlaufbahn als lausige |Viva|-Moderatorin zwischen lauter pseudowitzigen, jungen Menschen, doch konnte sie sich schon bald durch ihre freche Art von den anderen – und vom Image des Senders – absetzen. 2004 bekam sie schließlich ihre eigene Show, die nach der Fusion mit |MTV| dort ihren Platz fand und seit Herbst unter dem Titel „Kuttner.“ dienstags und donnerstags läuft. Außerdem moderierte die siebenundzwanzigjährige Ostberlinerin 2004 den deutschen Vorentscheid des „European Vision Song Contest“ und hat im letzten Jahr bereits zum zweiten Mal ihre eigene Revue „Kuttner on Ice“ zelebrieren dürfen.

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Hausdorf, Hartwig – weiße Pyramide, Die

Der Untertitel dieses Werkes: „Außerirdische Spuren in Ostasien“ lässt bereits darauf schließen, dass es sich hier nicht um Archäologie im eigentlichen Sinne dreht. Autor Hartwig Hausdorf gehört zum Dunstkreis Erich von Dänikens. Dieser ist nun nicht grade unumstritten und Grund für manche Zeitgenossen, aufstöhnend die Augen zu verleiern. Ob seine Götter-aus-dem-All-Theorien nun kompletter Humbug sind oder nicht, das muss im Endeffekt jeder für sich entscheiden. Seine Person sei hier auch nur deswegen explizit erwähnt, da sich der Einband damit schmückt, dass eben jener EvD das Vorwort dazu spendierte.

Der Titel gehört somit in die Rubrik Grenzwissenschaften. Das heißt jenen Literaturzweig, der sich mit allerhand kuriosem Zeug beschäftigt, das a) abseits der Lehrmeinung steht, b) schwer zu beweisen und c) manchmal noch schwerer zu glauben ist. Die Spanne reicht hierbei von UFOlogie über Esoterik und „verbotene Archäologie“ bis hin zur globalen Verschwörungstheorie. Sehr oft hängt das alles auch kunterbunt gemischt zusammen. Unterhaltsam sind solche Publikationen aber meistens auf jeden Fall, und sei’s nur, um manche Behauptungen und Theorien durchzudenken und genüsslich zu zerpflücken oder sich darüber zu amüsieren, wie lächerlich sich so mancher Autor machen kann.

_Zum Inhalt_

Was die wenigsten wissen, ist, dass nicht nur in Meso-Amerika und in Ägypten Pyramiden zu finden sind. Im Reich der Mitte – sprich: China -, aber auch in den umliegenden Staaten Süd-Ost-Asiens sind diverse geheimnisvolle Monumentalbauten anzutreffen, über deren Herkunft man seit der Öffnung dieser Länder für westliche Augen heftig spekuliert. Die besagte „Weiße Pyramide“ steht in der chinesischen Provinz Shaanxi, wurde bereits um die Jahrhundertwende von Reisenden beschrieben und erstmals 1944 von einem amerikanischen Piloten im zweiten Weltkrieg fotografiert. Diese Aufnahme des 300 Meter hohen Monumentalbaus ist unlängst durch alle wissenschaftlichen Zeitschriften und archäologischen Publikationen gegangen und selbstmurmelnd findet sie sich auch hier wieder.

Die Pyramide in der Nähe der Stadt Xiang ist bei weitem nicht die einzige ihrer Art, jedoch mit Abstand die größte davon. Forscher, die das Glück haben, sie aus der Nähe begutachten zu dürfen, sind sehr euphorisch, dass sie tatsächlich unangetastet sein könnte, und hoffen darauf, bei einer weiteren Öffnung der kommunistischen Volksrepublik daran ausgiebig forschen zu dürfen. Sind die ägyptischen und meso-amerikanischen Pyramiden allesamt über die Jahrhunderte und – tausende hinweg ausgiebig gefleddert worden, so verhindert dies allein schon der chinesische Ahnenkult. Denen kommt es kaum in den Sinn, solche Grabmäler (so es denn wirklich welche sind) zu schänden. Leider ist auch dieser Umstand das wohl größte Hemmnis, so dass es Wissenschaftlern immer wieder verwehrt wird, sich intensiv damit zu befassen oder sie gar zu betreten. Bis hierher schon mal interessant, nicht wahr?

_Meinung_

Wie es sich für einen Däniken-Jünger gehört, bleibt es aber nicht bei der sachlichen Betrachtung der nüchternen Tatsachen. Es kommt nämlich schon – wenn nicht bereits mit Lesen des Untertitels – im Vorwort des Selbigen der Verdacht auf, dass sich das Buch darauf stürzen wird, wie angebliche Götter aus dem All diese weltweiten Monumente als Zeichen für die Menschheit hinterlassen haben. Diese Thematik ist nicht neu und wird von diversen Pseudo-Wissenschaftlern, Publizisten mit Sendungsbewusstsein vertreten. Das heißt im Umkehrschluss nun nicht, dass die ganze Zunft kollektiv an BSE leidet, es gibt durchaus auch einige ernst zu nehmende, sachliche Autoren darunter, die sich so ihre Gedanken über die Entwicklung auf Erden machen.

Hier ist die titelgebende Pyramide als solche schon recht schnell gar nicht mehr Thema, sondern vielmehr diverse Geschichtchen und andere seltsame Funde in Asien, die der Autor natürlich (!) Aliens in die eventuell vorhandenen Schuhe schiebt. So begleiten wir Hausdorf zu verschiedenen Fundstätten kurioser Artefakte und alter, kultureller Überlieferungen aus sämtlichen Gegenden rund um China, als da wären: Mongolei, Wüste Gobi, Tibet und auch Japan. Hier versucht er anhand von Storys und deren Interpretation nachzuweisen, dass die dortige Kultur (und auch sonst auf unserem Planeten) nicht oder nur zum Teil von uns Homo sapiens sapiens abstammt, sondern maßgeblich auf dubiose E.T.s zurückgeht.

Damit jedoch nicht genug, denn ehe sich’s der Leser versieht, landen wir bei – vermutlich bis an den Kragen der Kutte zugedröhnten – tibetischen Mönchen, die Abduktionen (Entführung durch Außerirdische) erfahren haben wollen. Was Drogen nicht alles bewirken können. Gegen Ende des Buches freuen wir uns, auch noch über diverse Entführungsanekdötchen (auch aus Deutschland) informiert zu werden, welche noch nicht so lange zurückliegen. Was das alles mit der Pyramide zu tun hat? Äh, ja nun … Nix! Um zu illustrieren, wohin die Reise thematisch geht, hier die Kapitelauflistung:

1 Söhne der gelben Götter:
Ein besonderes Erbe von den Vätern aus dem All?

2 Baian-Kara-Ula:
Eine Bestandsaufnahme

3 Im Tal der Weißen Pyramide:
Stätten, die für Besucher tabu sind

4 Der große Unterschied:
Drache ist nicht gleich Drache

5 Tibet, Dach der Welt:
Sind die Astronautengötter noch unter uns?

6 Geheimnisse der Mongolei:
Schreckensklöster im Lande der Dämonen

7 Inselreich von göttlicher Abkunft:
Wo Dogus und Kappas an die Besucher aus dem All erinnern

8 UFOs in China:
Vom Feind der Doktrin zum Mittelpunkt des Interesses

9 Unheimliche Begegnung der Vierten Art:
Wer experimentiert an den Entführten herum?

10 Licht am Ende des Tunnels:
Steckt hinter all den Absurditäten ein Plan?

Nun, wir sehen: Was die Pyramide angeht, steht da nur wenig auf dem Programm. Und nichts, was nicht längst aus Zeitschriften, wie der |PM|, |National Geographic| oder der |GEO| längst bekannt ist. Zudem stützen sich diese Publikationen auf wesentlich greifbarere Ergebnisse. Leider nimmt der Teil über archäologische Funde auch nur einen sehr geringen Platz im Buch selbst ein und dient vielmehr als Transportmedium für die darauf folgenden, wüstesten Alien-Theorien, die Däniken-Jünger so gern pflegen. Hierbei setzt Hausdorf weniger auf Fakten denn auf Interpretationen und Mutmaßungen, die er anhand von Bildern und (ziemlich schlechten) Zeichnungen zu untermauern versucht.

Hartwig Hausdorf ist bestimmt ein viel gereister Mann (der bekundet, in der Reisebranche tätig zu sein) und sein schreiberisches Talent sowie Sendungsbewusstsein möchte ich ihm nicht in Abrede stellen, aber um dieses heikle und kontroverse Thema unters Volk zu bringen, bedarf es doch schon einer stichhaltigeren Beweiskette, die weniger angreifbar ist als die Seine. Daran ändern auch seine Quellenangaben nichts, die stammen wiederum nämlich ebenfalls von teils sehr fragwürdigen Autoren und Organisationen.

Man muss hier bewussten Etikettenschwindel unterstellen. Zwar ist die Überleitung zu modernen Entführungen durch angebliche Aliens geschickt gemacht, doch immer wieder stellt sich die Frage, was das denn nun mit der Pyramide als solches zu tun hat. Der ganze Krempel hat in einem Buch mit diesem Titel eigentlich nichts verloren. Punkt. Okay, der Autor präsentiert einige archäologische Funde aus Asien, doch verliert er sich alsbald in kruden Phantasien, die nur noch nachvollziehbar sind, wenn man sich zuvor jahrelang in einem abgeschiedenen Bergkloster mächtig die Kante gegeben hat. Offenheit für Denkanstöße in diese Richtung in allen Ehren, doch – wie hier – hinter jedem Busch ein Alien an den nicht vorhandenen Haaren hervorzuzerren, halte ich für arg übertrieben.

Wer kann schon nachprüfen, was an den Geschichten irgendwelcher tibetanischen Mönchen dran ist, die sich im Hochland Himalayas irgendeinen Nonsens aus den Fingern gesogen haben und sich jetzt wohl noch ins Fäustchen lachen, dass sie wieder einem Alien-verrückten Europäer einen von Darth Vader erzählt haben. Auch den japanischen Mythos der mysteriösen „Kappas“ (Wesen, die aussehen wie Froschmänner) sofort eifrig irgendeinem E.T. anzukreiden, ist ganz amüsant zu lesen. Ausschließen kann und soll man ja nie eine Möglichkeit, doch beweisen lässt sich indes anhand einiger krakeliger Felszeichnungen nichts und muss daher ins Reich der Spekulation verbannt werden.

Gewiss, man nun von (UFO-)gläubiger Seite entgegenhalten, dass unser ganzes gesellschaftliches Wertesystem, welches ebenfalls auf Interpretationen entweder der Bibel, des Korans oder des Talmud oder-weiß-der-Henker-was beruht, ebenso angreifbar ist. Korrekt. Alles eine Sache der Sichtweise. Dagegen kann man auch nichts einwenden, die volle Wahrheit über so manchen (Irr-)Glauben wird wohl kaum jemand herausfinden. Allerdings halte ich das Suchen auf Biegen und Brechen nach Aliens als Erklärung der göttlichen Vorsehung für genauso dogmatisch und verwerflich wie anderen religiös kolorierten Fundamentalismus.

_Fazit_

Wenngleich ich bereits vorher wusste, worauf ich mich bei der Lektüre einlasse, habe ich doch mehr Information zur Weißen Pyramide vorausgesetzt. Die wird aber nur am Rande behandelt und dann plötzlich jeder müffelnde Pinkelstein eines mongolischen Ureinwohners eifrig zum außerirdischen Artefakt erhoben – das find ich dann doch um Lichtjahre am Thema vorbeigeschossen. Amüsant, aber weitgehend unbrauchbar. Gut und flüssig zu lesen ist das Buch schon, was aber nicht verwundert, schließlich ist es für die breite Masse verfasst und nicht an einen elitären, intellektuellen Zirkel gerichtet. Noch ein paar Bildchen dazu und fertig ist die extrem löchrige Beweisführung auf tönernen Füssen: Die Aliens waren es! Was? Egal, was.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
LangenMüller / Herbig 1994
3. Auflage 2002
240 Seiten Hardcover, 31 Schwarzweiß-Fotos / 3 Zeichnungen
ISBN: 3-7844-2482-1
Preis: um 10 Euro
http://www.herbig.net/

James P. Blaylock – Brunnenkinder

Blaylock Brunnenkinder Cover kleinDas geschieht:

Placentia, ein kleiner Flecken unweit der südkalifornischen Küste, im Jahre 1884: Hale Appleton, geistiger Führer eines obskuren spiritistischen Kultes, ertränkt seine kleine, kranke Tochter in einem der Brunnen. Er ist davon überzeugt, dass sich die letzten Gedanken des sterbenden Kindes als gläserne Kugel manifestieren werden, mit deren Hilfe er das Kind sogar ins Leben zurückrufen kann.

Tatsächlich findet sich im Opferbrunnen eine solche Kugel, doch sie wird Appleton vom zwielichtigen Alejandro Solas gestohlen, der damit ein lukratives Geschäft plant. Der gutherzige Lehrer Colin O=Brian erfährt von der Schandtat und entwendet seinerseits die Kugel, um sie dem Dorfpfarrer zu bringen, der wissen wird, wie damit zu verfahren ist. Unterstützt wird er von den Freundinnen May und Jeanette. Doch das Trio verhält sich recht ungeschickt. Bald ist ihm der gefährliche Solas auf die Schliche gekommen; ihm folgt der vor Kummer irrsinnig gewordene Appleton. Über dem Brunnen kommt es zum großen Finalkampf aller Beteiligten. Als sie dabei ins Wasser stürzen, entpuppt sich dieser als Tunnel durch die Zeit, der die Geister der fünf Menschen in der Zukunft verstreut … James P. Blaylock – Brunnenkinder weiterlesen

Shocker, Dan – Dämonen (Larry Brent, Band 27)

_Lady Frankenstein_

Larry Brent und Iwan Kunaritschew sind von ihrem spanischen Freund und Kollegen Alfonso Gomez alias X-RAY-12 eingeladen worden, mit ihm auf dessen Berghütte in den Pyrenäen ein paar Tage zu verbringen. Als sie die Behausung erreichen, finden sie aber nur noch den Leichnam des Mannes; beide Arme fehlen ihm.

Sofort beauftragt X-RAY-1 die Agenten, nach dem Mörder des PSA-Kollegen zu suchen. Die Freunde legen sich auf die Lauer und machen in der kommenden Nacht einige Geräusche in der stillen Bergwelt aus, was sie darauf schliessen lässt, dass in der Tat jemand im Dunkeln unterwegs zu sein scheint.

Doch sie sind nicht alleine auf der Pirsch. Der Bauer Paco Arimez-Prado und sein Knecht Pedro jagen seit einiger Zeit einen unheimlichen Tiermörder, der Pacos Hof ziemlich zugesetzt hat. Pedro wird jedoch bei einer der Nachtwachen von einer Art Monstrum angegriffen und getötet. Seine Leiche bleibt verschwunden.

Arimez-Prado vermutet, dass das wohlhabende Paar Alfredo und Carmen Mojales von der nahe gelegenen Hazienda hinter den Ereignissen steckt. Doch die Wahrheit ist noch viel erschreckender.

Larry und Iwan lernen die hübsche Carmen und ihre ansehnliche Tochter Maria-Rosa kennen. Sie werden von den Damen zum Essen eingeladen. Nur verfolgt Carmen Mojales ganz andere Pläne mit den beiden Herren. In Wirklichkeit ist sie die Assistentin des berühmten Baron Victor von Frankenstein gewesen. Durch einen Unfall kam sie zu Tode, wurde aber von Frankenstein wieder zum Leben erweckt, ebenso wie ihr späterer Mann Alfredo. Durch die Bekanntschaft mit dem Baron erlernte sie aber auch dessen Fähigkeiten. In einem verborgenen Keller unter der Hazienda experimentiert die Dame munter vor sich hin. Eines ihrer missratenen Geschöpfe ist Marco, eben jenes Monstrum, welches bereits Pacos Tiere, dessen Knecht und ebenso Gomez auf dem Gewissen hat – denn auch Marco versucht sich an einigen makabren Experimenten in einer versteckten Höhle.

Da Alfredo Mojales in Barcelona von einem Auto erfasst und getötet wird, steht für Carmen eine neue Operation auf dem Programm. Dazu braucht sie den Körper von Iwan Kunaritschew, um diesen für ihren toten Mann zu verwenden. Sie kann die beiden Agenten ausschalten und verfrachtet sie in ihr Labor.

Doch ein unerwarteter Besucher stört den Eingriff: Frankenstein höchstpersönlich will sein Wissen endgültig von der Welt tilgen und diesem Treiben eine Ende setzen. In dem Labor unter der Hazienda kommt es zum letzten Showdown …

Der Beginn dieser fast schon trashigen Geschichte gestaltet sich relativ ruhig und die Handlung baut sich ohne große Eile auf. Iwan und Larry machen ihren makabren Fund in der Hütte und werden dann stückchenweise in die seltsamen Ereignisse in dieser einsamen spanischen Berglandschaft eingeführt – übrigens in der Tat eine nett gewählte Umgebung, die ihren ganz eigenen Reiz versprüht.

Relativ früh kommt man hinter das düstere Geheimnis, welches Carmen Mojales umgibt – zumindest erfährt man von ihrem geheimen Labor, ihren medizinischen Fähigkeiten, aber auch ihre gefährliche Erotik kommt zum Tragen. Ein witziger Einfall von Shocker ist es übrigens, als er Carmens Bett als Lösung diverser Probleme erwähnt – erst in der darauf folgenden Szene wird aber deutlich, dass es sich hier nicht um ein mögliches Schäferstündchen, sondern um die technischen Raffinessen der Liegestatt dreht, mit denen sie den Kopf ihres Mannes aus dem Labor heraufbefördern und am Leben erhalten kann.

Nach dem tödlichen Unfall ihres Gatten wird zwar Carmens kranker Wahn offensichtlich, dennoch präsentiert sie ihre wahre Identität dem Leser erst bei dem aufreibenden, teilweise auch wirklich makabren Finale. Speziell bei der Leküre der letzten Seiten, auf denen abschließend noch erwähnt wird, was Marco eigentlich mit den Körperteilen seiner Opfer veranstaltet hat, bleibt ein Schauder nicht aus.

Großes Kino ist es auch, als Frankenstein himself das große Geheimnis um die Mojales in seinem Monolog lüftet und für das dramatische Ende sorgt. Das Auftauchen dieser klassischen Figur der Gruselliteratur ist eine feine Idee von Dan Shocker, und wieder mal drückt er diesem Thema seinen ganz eigenen Stempel auf.

Wer die eigenständige (und leider nicht abgeschlossene) „Frankenstein-Serie“ von DS kennt, sollte sich von dieser Version des Frankenstein-Themas nicht irritieren lassen – theoretisch könnte diese Geschichte aber auch das fehlende Ende der Serie sein …

_Corrida der Dämonen_

Larry Brent ist spurlos verschwunden! Die PSA schlägt umgehend Alarm, als von dem Agenten kein Lebenszeichen mehr zu vernehmen ist. Von dem PSA-Ring ist zwar noch nicht Larrys Todesmeldung gesendet worden, dennoch wird Morna Ulbrandson schnellstens nach Mexico-City geschickt, um am letzten Aufenthaltsort des Verschollenen nach dem Rechten zu sehen.

Sie findet einige Spuren ihres Kollegen, doch er selbst bleibt unauffindbar. Wie es scheint, war er einer unheimlichen Vereinigung auf den Fersen, denn in Mexico-City haben sich einige Anhänger der Dämonengöttin Rha-Ta-N’my niedergelassen, wo sie Vorbereitungen zur Rückkehr ihrer Herrin treffen.
Immer wieder werden in jüngster Zeit Menschen in Mexico entführt.

Die männlichen Opfer wachen mitten im Dschungel in der Ruine einer alten Arena wieder auf. Von einem dämonischen Torero werden sie vor den Augen einiger vermummter Gestalten auf den Zuschauerrängen über den Sandplatz gehetzt, um abschließend ihren gewaltsamen Tod zu Ehren der Dämonengöttin zu finden. Die weiblichen Entführten hingegen infizieren sich mit einer Art Teufelsmal, welches sich rasend schnell ausbreitet, den gesamten Körper in eine unansehnliche blaue, knotige Masse verwandelt und dabei auch das Wesen der Mädchen verändert. Sie mutieren zu willenlosen Dienerinnen der Rha-Ta-N’my.

Hinter diesen dunklen Machenschaften scheint ein Mann namens Raymondo Camero zu stecken. Morna versucht diesem Kerl auf die Schliche zu kommen, da er auch etwas über den Verbleib Larry Brents wissen könnte, doch noch ahnt sie nicht, dass die Ereignisse in Mexico-City erst der Anfang sind …

Wir lesen hier ein Solo-Abenteuer von Morna Ulbrandson, und fast wird sie schon zu einer Randfigur degradiert, denn die Ereignisse um die Rha-Ta-N’My-Sekte entwickeln sich ohne großes Zutun der PSA-Agentin.

Sie ist vielmehr damit beschäftigt, ihrem Freund und Kollegin Larry auf die Spur zu kommen, der wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint. Gegen Ende erst gerät sie in die Mühlen von Cameros Machenschaften, erfährt von den düsteren Ereignissen in Mexico-City und muss erkennen, dass sie erst ganz am Anfang steht.

Ebenso wie der Leser, denn diesen Band kann man als eine Art Einleitung in den Zyklus um die geplante Rückkehr der Dämonengöttin ansehen. Wie sich die Handlung weiterentwickelt und wo unser guter Freund Larry denn letztendlich abgeblieben ist, dürften wir wohl erst in dem Folgeband erfahren. Etwas irritierend stieß mir dieser fantastische Rahmen auf, wie er oft bei den Geschichten um Rha-Ta-N’my seinen Gebrauch findet. Dieser Charakter passt nun mal nach meinem Geschmack besser in die MACABROS-Serie …

Diesmal entführt uns Dan Shocker jeweils in eine wild-romantische Gegend. Einmal in die einsame Berglandschaft der spanischen Pyrenäen und später in den undurchdringlichen Dschungel bei Campeche, wenn wir nicht gerade durch die verwinkelten Straßen von Mexico-City stolpern. Beide Geschichten unterscheiden sich diesmal absolut in ihren Rahmen und Motiven. Zuerst serviert man uns eine fast schon klassische Gruselgeschichte, gefolgt von einem magisch-fantastisch angehauchten Horror-Thriller.

Von Pat Hachfeld bekommen wir dafür bei den Illustrationen ein gemeinsames Motiv geboten – beide Male eine widerlich anzusehende Horror-Fratze. Einmal das von Carmen Mojales geschaffene Wesen Marco und dann den entstellten Schädel einer der infizierten Rha-Ta-N’my–Dienerinnen.

Auf dem Buchdeckel finden wir diesmal das Original-Cover von „Corrida der Dämonen“ – dieser arme Kerl in der Arena dürfte entweder Bill Hathly oder Phil Hawkins sein (wobei ich auf Letzeren tippe), jedenfalls einer der beiden namentlich erwähnten Männer, die durch die Arena gehetzt werden. Insgesamt ist das Cover düster, makaber – fast schon brutal, aber in alter Lonati-Manier einfach gut gemacht.

Gespannt kann man jedenfalls schon auf Band 28 sein, um das weiterzulesen, was in Band 27 begonnen wurde …

http://www.BLITZ-Verlag.de

Kôji Suzuki – Ring 0: Birthday

Drei Kurzgeschichten vertiefen einige in der „Ring“-Trilogie um das rachsüchtige Videoviren-Gespenst Sadako Yamamura bisher nur am Rande erwähnte Episoden. Was zunächst wie ein für das Gesamtwerk nutzloses und dreistes Aufkochen der multimedial erfolgreichen Saga wirkt, erweist sich als letztlich als Roman in drei Großkapiteln, der die „Ring“-Story zu ihrem (vorläufigen?) Abschluss bringt. Das ist sicherlich weder originell noch gänzlich überzeugend, wird aber so ordentlich erzählt, dass die Lektüre auch dem nicht ganz beinharten „Ring“-Fan empfohlen werden kann.
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Moore, Alan / Lloyd, David – V wie Vendetta

|Eigentlich schreibt Alan Moore gar keine Comic-Szenarios. Seine in den Achtzigerjahren entstandene Geschichte »V wie Vendetta« ist vielmehr eine Studie über den Faschismus. Sie gilt bis heute als ein Meilenstein der Comic-Literatur. Darin ist es einer kleinen Gruppe machthungriger Männer gelungen, die Kontrolle über England zu erringen.|

»V wie Vendetta« spielt in einem fiktiven England Ende der Neunzigerjahre. Ein begrenzter Atomkrieg hat dazu geführt, dass das Land im Chaos versank. Im Zuge der allgemeinen Misere wurde der Ruf nach einer starken Hand laut, um die Probleme in den Griff zu bekommen und die englische Nation zurück zu alter Größe zu führen. So gerieten die Faschisten auf den Plan.

Das alles ist inzwischen Vergangenheit. Die Gegenwart, in die Moore den Leser versetzt, spielt diverse Jahre nach der Krise und der Zeit der Neuordnung. Die Verhältnisse haben sich beruhigt. Viele Details der Handlung lassen vermuten, dass sich Moore beim Schreiben am Nationalsozialismus und dem Dritten Reich orientiert hat. Er möchte zeigen, dass Faschismus und Totalitarismus auch in anderen Ländern als in Deutschland entstehen können, sie also ein allgemeines Problem sind.

Dabei sieht zunächst alles nach einem gewohnten Superhelden-Szenario aus. Ein ominöser Mann mit Maske tritt auf und tötet Männer der Geheimpolizei, als diese sich an einem Mädchen vergreifen wollen. Wenige Minuten später explodiert das Parlamentsgebäude. Die Machthaber und das Volk erfahren: »V« war hier und hat dem Regime den Krieg angekündigt.

Der Held, dessen Identität lange im Dunkeln bleibt, hat politische Absichten. Diese Motivation ist ungewöhnlich, wenn man im Schema üblicher Superhelden-Szenarios bleibt. Ungewöhnlich ist ebenfalls, dass der Held nicht gegen einen Schurken kämpft, sondern gegen ein System. Er möchte England die Freiheit zurückgeben und steht anarchistischen Staatsvorstellungen nahe. In diesem Zusammenhang gehört Vs Selbstgespräch mit der Statue der Justitia zu den eindrucksvollsten Szenen der Geschichte. Er kündigt ihr seine Liebe, kritisiert ihre Blindheit und Sprunghaftigkeit, um schließlich zu gestehen: Es gibt eine andere Frau in meinem Leben – und ihr Name lautet »Anarchie«.

Die Atmosphäre der Zeichnungen wird ihrem Inhalt gerecht. David Lloyd zeigt uns keine überstilisierte Welt der »Guten und Bösen«, in der physikalische Gesetze bloß ungefähre Richtwerte sind, sondern er wählt eine realistische Darstellung in ruhigen Panels. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Figuren. Bei der Umwelt operiert er mutig mit Schatten und schwarzen Flächen.

Alan Moores Hauptaugenmerk liegt auf den einzelnen Figuren, ihren persönlichen Absichten und Abgründen. Er fragt nach der Verantwortung jedes Einzelnen. Obwohl der Leser hin und wieder wittert, dass er es mit einer konstruierten Kopfgeburt zu tun hat, gelingt es Moore jedoch immer wieder, diesen Eindruck zu zerstreuen. Er traut seinen Figuren etwas zu und lässt sie die Handlung tragen. Was eine besondere Qualität von »V wie Vendetta« ausmacht, ist der Umstand, dass Moore nicht in Kategorien von »Gut und Böse« denkt, sondern stets durchaus beide Seiten der Medaille im Blick hat. Sicherlich keine leichte Unterhaltung, aber ein außergewöhnlich anspruchsvoller Comic.

Seit dem 16. März läuft die Verfilmung der Wachowski-Brüder (»Matrix«) mit Natalie Portman und Hugo Weaving in den deutschen Kinos.

http://www.paninicomics.de/