Archiv der Kategorie: Rezensionen

Blazon, Nina – Bund der Wölfe, Der

Nina Blazon war bisweilen nur als Fantasyautorin (und Wolfgang-Hohlbeinpreisträgerin) bekannt, doch mit „Der Bund der Wölfe“ gibt die Stuttgarterin ihr Thrillerdebüt.

Auch dieses Mal schreibt sie für Jugendliche. Blanka, die sechzehnjährige Protagonistin, bekommt ein Stipendium für eine hochangesehene Europa-Schule, in der sich Schüler aus ganz Europa tummeln. Trotz der Modernität hat sich seit dem Mittelalter eine Verbindung namens „Die Wölfe“ gehalten, ältere Schüler, die Blanka von Anfang an nicht besonders zu mögen scheinen. Als sie Opfer einer Mutprobe wird, stößt sie auf eine Frau, die wegen eines Treppensturzes gestorben ist. So sagt es jedenfalls die Zeitung, denn Blanka ist fest davon überzeugt, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Im Internat trifft sie allerdings nur auf verschlossene Ohren. Dort möchte niemand etwas von einem Mord wissen. Nur Niklas, ein Student der nahen Universität, glaubt ihr, denn auch er hat seine Probleme mit den Wölfen. Genau wie bei Blanka verschwinden seine Arbeitsblätter, Noten werden gefälscht und er wird bedroht. Zusammen kommen sie einer Verschwörung auf die Spur, die ihre Wurzeln im Mittelalter hat und die, wie es scheint, mehr mit Blanka zu tun hat, als sie ahnt …

Mit der Erzählperspektive eines gewissen „Es“ schafft Blazon es gleich zu Anfang, eine gewisse Spannung aufzubauen, die im Laufe des Buches wieder etwas abflacht. Trotz einiger Actionelemente ist der Plot stellenweise sehr zäh, da er viel Zeit mit Blankas trockenen Recherchen zu den Hexenprozessen verliert. Zudem fehlt ein authentischer Auslöser, wieso Blanka überhaupt mit den Ermittlungen beginnt. Die bloße Ahnung, dass an diesem Fall etwas nicht stimmen kann, reicht nicht aus, wenn man bedenkt, dass Blanka sich auch sonst sehr von ihrer Umwelt abschottet. Hinzu kommen einige voreilige Entschlüsse und Ungereimtheiten, die nicht ganz in die sonst glatte Struktur der Handlung passen wollen. Denn allen Kritikpunkten zum Trotz ist „Der Bund der Wölfe“ ein richtiger Pageturner.

‚Schuld‘ daran ist Blazons fantastischer Schreibstil, der mich schon in ihren Fantasybüchern gefesselt hat. Man merkt, dass sie als Journalistin arbeitet, denn sie besitzt die großartige Fähigkeit, mit sehr wenigen Worten einen Sachverhalt punktgenau darzustellen. Das fällt vor allem immer wieder in Bezug auf ihre Beschreibungen von Schauplätzen und Zuständen auf.

|“An ihrem Leseplatz in der Bibliothek hatte Blanka ein Gebirge von Büchern aufgebaut. Zwischen den Seiten ragten gelbe Post-its hervor.“| (Seite 58)

|“Blanka kam es so vor, als würde ihre Mitbewohnerin den Geruch nach Magnesiumpulver und dem abgegriffenen Leder der Bälle aus dem Sportraum noch mit sich tragen.“| (Seite 31)

Die Autorin benutzt für derartige Schachzüge ab und an eine sehr bildreiche Sprache, die mich in ihren Fantasyromanen oft gestört hat, doch in „Der Bund der Wölfe“ trifft sie mit ihren Metaphern und Vergleichen zumeist zielsicher ins Schwarze.

|“Frau Lallemande runzelte die Stirn. Blanka hatte das Gefühl, dass sie ihre Worte analysierte, sie in Gedanken gegen das Licht hielt und hin und her wendete wie ein Arzt, der ein Röntgenbild betrachtet.“| (Seite 20)

Das Gleiche gilt für die Beschreibungen der Charaktere, die allesamt sehr gut und sehr tief ausgearbeitet sind. Sie wirken authentisch und nicht stereotyp und sind trotz ihrer Schwächen sympathisch. Blanka ist zum Beispiel eigentlich eine Streberin. Sie ist sehr zielstrebig, was ihren späteren Traumberuf Psychologin angeht, und geht dafür im übetragenen Sinne über Leichen. Aufgrund eines Geheimnisses in ihrer jüngsten Vergangenheit benimmt sie sich sehr schroff und abweisend gegenüber ihren Mitmenschen und schafft sich mit ihrer bissigen Schlagfertig nicht nur Freunde.

Doch ein hervorragender, nüchterner Schreibstil und gut ausgearbeitete Figuren machen noch lange kein gutes Buch. Zwar ist die Handlung eine geradlinige Angelegenheit, doch einige kleine Fehler wie die Ungereimtheiten und die zähen Längen, die durch Blankas Nachforschungen in Büchern entstehen, sorgen dafür, dass sie qualitätstechnisch nicht über den Durchschnitt hinauskommt. Trotz allem hat Nina Blazon allerdings gezeigt, dass sie nicht nur Fantasy, sondern auch Realitätsliteratur schreiben kann, ohne die beiden Genres dabei in irgendeiner Weise zu vermischen. Einziger gemeinsamer Nenner bleibt ihr hervorragender Schreibstil.

http://www.patmos.de

Meißner, Tobias O. – Paradies der Schwerter, Das

_Das Paradies der originellen Ideen._

Tobias O. Meißner steht für ehrgeizige literarische Projekte, deren Erschaffung nichts mit üblichen Herangehensweisen zu tun haben: [„Im Zeichen des Mammuts“ 1938 zum Beispiel, Meißners aktuelles Projekt, verarbeitet die Ergebnisse einer siebenjährigen Rollenspielkampagne.

„Das Paradies der Schwerter“ steht dem nicht nach. Es gibt keinen allmächtigen Autor, der die Story auf ein geplantes und geglättetes Finale zusteuert, stattdessen erschuf Meißner ein Ensemble aus sechzehn Kämpfern, versah sie mit Zahlenwerten, die ihre Stärken und Fähigkeiten repräsentierten, schickte sie in ein Turnier um Leben und Tod, loste die Kampfpaarung selbst aus und würfelte schließlich den Gewinner heraus …

_Rollenspiel-Reality._

Damit wäre über die Story an sich alles gesagt, aber wer nun eine tumbe Schlachtenorgie erwartet, liegt vollkommen falsch. Die erste Hälfte des Buches beschreibt sie erst einmal alle: Die zukünftigen Teilnehmer, die Favoriten, die Veranstalter, von jedem werden die Motive aufgedeckt, manche edel, manche naiv und manche schändlich. Ein Wilderer muss das Turnier bestreiten, als grausame Alternative zu seiner Todesstrafe, weil er ein ganzes Herzogtum aufgemischt hat, ein sadistischer Patrizier nimmt an den Kämpfen teil, ein gedungener Mörder, ein Menschenfresser, zwei naive Brüder, ein noch naiverer Mönch, ein schweigsamer Waffenloser, ein frustrierter Jahrmarktsboxer, ein Gladiator, ein verhüllter Edelmann mit blutroter Klinge, ein mürrischer Kopfgeldjäger, ein Messerkämpfer, ein Barbar mit einem Pflug (!!!), ein trunksüchtiger Söldner, und Publikumsliebling Cyril Brécard DeVlame, der mit zuckendem Degen schon zwei solcher Leben-Tod-Turniere gewonnen hat.

In spannenden kleinen Nebengeschichten entwickelt Meißner seine Kämpfer, und sofort beginnt man sich zu überlegen, ob derjenige auch eine Chance hat, das Turnier zu gewinnen, ob er es verdient hat, das Turnier zu gewinnen. Im zweiten Drittel des Buches marschieren sie dann endlich ein in die hölzerne Arena, und man kann es selbst kaum aushalten vor Spannung: Welcher Kämpfer ist wie gut? Wer wird gegen wen gelost werden? Die beiden Brüder doch nicht etwa gegeneinander!? Immerhin lost der Autor das aus; wenn es geschieht, wollte es das Schicksal …

Immer wieder lässt Meißner dann auch den Blick durch die Zuschauerränge schweifen, auf die Nebenfiguren, die ihre ganz eigenen Erwartungen an die Kämpfe haben, die sich den Tod Bestimmter wünschen, oder den Sieg Anderer, weil ihre materielle Existenz davon abhängt. Auch hier lässt der Autor den Leser alleine: Es gibt keinen Protagonisten, niemanden, der „die richtige Sicht der Dinge“ vertritt, sondern eine Ansammlung von Individuen und Standpunkten, die man entweder teilen oder verabscheuen kann oder irgendetwas dazwischen.

Und als ob die Spannung noch nicht knisternd genug wäre vor dem ersten Kampf, geben noch zwei Buchmacher ihre professionelle Meinung ab und lenken die Aufmerksamkeit auf Details, die dem Leser ohne Turniererfahrung nie aufgefallen wären: Kämpfer XY mag ja geschickt mit dieser Waffe sein, aber gegen die Rüstung von Kämpfer AB wird er seine Probleme haben …

_Aleae jactae sunt._

Die Würfel sind gefallen. In der zweiten Hälfte des Buches wird gelost und gekämpft, punktum. Mehr zu verraten, wäre vorsätzlicher Spannungsmord. Nur so viel sei dem Leser anvertraut: Meißners Würfel nehmen auf gar nichts Rücksicht … und es ist ein seltsames Gefühl, wenn man das Buch wieder zuschlägt, ein Gefühl, das lange hängen bleibt und immer wiederkehrt, wenn einem der Einband ins Auge springt.

_Fantasy fern vom Kindchenschema._

„Das Paradies der Schwerter“ ist ein kompromissloses, düsteres und nachhaltiges Buch, das man jedem Freund moderner Fantasy ans Herz legen kann. Meißner ist kein Schwafler, seine Szenen enthalten keinen unnötigen Info-Ballast und starten immer mitten in der Handlung. Zeit zum Verschnaufen gibt es nie, selbst die „Erklärungspassagen“ beschränken sich nicht auf schlichtes „Erzählen“, sondern sind immer in Handlungsabläufe oder Dialoge eingebettet.

Trotzdem mag ich mich nicht ganz den Lobgesängen der Presse hingeben, denn für einen „absoluten Triumph“ genügt es dann doch nicht. Die knappe Sprache sorgt für Rasanz, hat dafür aber auch wenig Platz für Bilder, Gerüche und lebendige Eindrücke. Dazu kommt, dass Meißner manchmal einen Hang zu recht unschönen Schachtelsätzen hat.

Aber das war’s dann auch schon mit der Kritik. „Das Paradies der Schwerter“ ragt nämlich kilometerweit aus der Masse zuckriger Zauberstab-Fantasy heraus, nicht nur durch die Art, wie es entstanden ist: Es gibt keine heroische Verklärung, das Turnier ist eine schmutzige, voyeuristische Angelegenheit, von Ehre weit und breit keine Spur. Der Leser selbst macht diese Entwicklung mit, von anfänglicher, naiver Begeisterung hinab zu angeekelter Ernüchterung.

|Jetzt fingen die Wächter an zu kichern. „Gerechtigkeit?“ gluckste einer von ihnen. „Und die suchst du ausgerechnet hier, du armes Schwein?“|

„Das Paradies der Schwerter“ ist eine straffe, abgeschlossene Story, die durch würfelbedingte Wendungen auch den erfahrensten Leser zum Mitfiebern nötigt. Wer auf der Suche nach Helden und großen Epen ist, braucht dieses Buch gar nicht erst anzufassen, dem Dark-Fantasy-Leser jedoch dürfte dieses dunkle Gebräu hervorragend munden: bitter wie das Leben, mit einem blutigen Nachgeschmack von Staub und Dreck. Nun denn. Wohl bekomm’s!

|Siehe dazu auch das [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=35 mit dem Autor über „Das Paradies der Schwerter“ vom Juli 2004.|

F. Paul Wilson – Tollwütig

Das geschieht:

Milos Dragovic, Erpresser, Drogenhändler & Mörder, sorgt in New York City für Terror. Das Gesetz ist wie üblich machtlos und kann dem „schlüpfrigen Serben“ seine zahllosen Untaten nicht nachweisen, zu denen sich aktuell die Nötigung der Pharmafirma GEM addiert. Dr. Luc Monnet hat finanzielle Not verlockt, sich mit Dragovic einzulassen, der nun das Sagen in der Chefetage hat.

Gelockt hatte Monnet Dragovic mit einer neuen Designerdroge, die sich unter den Reichen und Schönen der Stadt außerordentlicher Beliebtheit erfreut und folglich famose Gewinne garantiert. Es gibt allerdings ein Problem: Monnet stellt die Droge nicht wirklich her; er verarbeitet einen wahrlich unmenschlichen Lebenssaft, den ein gruseliges Fabelwesen spendet, das in einem heruntergekommenen Wanderzirkus sein Dasein fristet. Aber die Quelle droht zu versiegen, denn das Untier liegt im Sterben. Diese Neuigkeit dürfte bei Dragovic nicht auf Verständnis stoßen. In seiner Not heuert Monnet daher seine geniale Studentin (und Ex-Geliebte) Nadia Radzminsky an, der gelingen soll, woran die GEM-Forscher bisher scheiterten: die künstliche Herstellung der Droge! F. Paul Wilson – Tollwütig weiterlesen

Barbara Büchner – Der Pestarzt

Wien, 1898. Gründerzeit, Aufbruchzeit. Die Pest gilt in Mitteleuropa als Schrecken der Vergangenheit, lange noch nicht besiegt, aber doch zurückgedrängt in weniger zivilisierte Länder. Aus einem dieser fernen Länder jedoch, aus Indien, bringt ein ehrgeiziges Ärzte-Team den Pesterreger mit nach Wien, um ihn dort zu erforschen. Doch nicht nur die Information über das brisante Unterfangen sickert nach außen, auch der Erreger lässt sich nicht vollständig isolieren. Die Pest bricht aus. Mitten in Wien.

Dr. Müller, der Pestspezialist, ein furchtloser und gläubiger Arzt, fühlt sich immun gegen die Seuche und pflegt aufopfernd seine Patienten. Ein äußerst spannendes Buch, mit viel Zeit- und Lokalkolorit. Das Denkmal für den tatsächlich gelebten Dr. Hermann Müller ist in Wien zu besichtigen.

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Bionda, Alisha / Borlik, Michael (Hrsg.) – ewig dunkle Traum, Der (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 1)

Dämonenjäger, Vampire, Zombies, Mumien, wiederauferstandene Tote, ekelerregende Monster – das ist der Stoff, aus dem die Träume des Horrorliebhabers gemacht sind. „Der ewige dunkle Traum“, eine Anthologie, herausgegeben von Alisha Bionda und Michael Borlik, entführt meisterlich in die dunklen Abgründe menschlicher Existenz und deckt durch die Auswahl der Erzählungen ein breites Spektrum bekannter Gruselmotive ab.

Sechzehn Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen – mit einer Länge von zwei bis fünfzig Seiten – füllen den umfangreichen Band, und als kleine Draufgabe gibt es am Schluss noch kurze Essays zu dunklen Themen wie Vampiren, Werwölfen oder dem ägyptischen Totenkult.

„Der ewig dunkle Traum“ ist der Auftakt zu der von Wolfgang Hohlbein herausgegebenen „Schattenchronik“, einer Romanserie beim |BLITZ|-Verlag, die die Vampirin Dilara durch die Jahrhunderte begleiten soll. Zusammen mit Alisha Bionda wird jeweils ein Gastautor für einen Roman der Serie verantwortlich zeichnen und so – hofft zumindest der Leser – vergangene Jahrhunderte wieder auferstehen lassen. Die hier vorliegende Anthologie jedoch soll den geneigten Leser zunächst neugierig machen, in geheimnisvolle Welten entführen und Autoren des deutschen Fantasy- und Horrorgenres vorstellen: ein Vorhaben, das grandios gelingt!

Wolfgang Hohlbein, seines Zeichens Vielschreiber und ungekrönter König der deutschen Fantasy, leiht der „Schattenchronik“ seinen Namen. Und er bringt die Kugel ins Rollen, denn in der Titelgeschichte „Der ewig dunkle Traum“ aus seiner Feder begegnen wir Dilara zum ersten Mal. Da ist sie noch menschlich und erlebt ihren ersten Zusammenstoß mit den Wesen, die in den Schatten hausen. Ein Vampir nähert sich ihr, kennt sie scheinbar. Und ja, etwas beginnt sich in Dilaras Gedächtnis zu regen. Unbekannte Namen plagen sie, halbe Erinnerungen, die sie nicht zuordnen kann, und so fürchtet sie den Abstieg in den Wahnsinn. Eine wunderbare Novelle, die vieles nur anreißt und so nur noch neugieriger darauf macht, wie es denn nun mit Dilara weitergeht.

Die Qualität der in die Anthologie aufgenommenen Geschichten ist durchweg hoch. Nie hat man das Gefühl, einen Autor vor sich zu haben, der sein Handwerk nur halb versteht. Dazu kommt, dass thematisch für jeden Leser etwas dabei sein dürfte. Es gibt die verschiedensten Vampire, Geister und sonstigen Schattenwesen – bekannt oder unbekannt – zu entdecken. Einige der (meiner Ansicht nach) gelungensten Erzählungen sollen hier kurz erwähnt werden.

Da wäre zunächst Eddie E. Angerhubers „Das Nachtbuch“, die mit der Widmung an E.A.P. und T.L. schon zeigt, wohin uns Angerhuber entführen will. Hier wird das Spiel um die wiedererweckte Geliebte, das besonders Poe so gern betrieb, bis zu Ende gespielt. Ein Paar; er offensichtlich ein obsessiver Liebhaber, sie die Leiche, aufbewahrt und wiedererweckt zu seinem Vergnügen. Gerade die Anspielungen zu Poes „Berenice“ sind kaum zu übersehen. Die Erzählung lässt noch einmal die Schönheit des Todes auferstehen, die in der Literatur des 19. Jahrhunderts so beliebt war. Die sehr suggestige Prosa tut ein Übriges.

Alisha Biondas Erzählung „Seelenpfand“ ist ebenfalls technisch überzeugend. Die reine Form der Geschichte ist originell, ebenso wie Biondas Interpretation des Seelenvampirs. Diese Form des Vampirs, der seinem Opfer die Lebenskraft aussaugt, ist an sich keine neue Erfindung. Doch fragt sich Bionda: Wo fängt ein Seelenvampir an? Ist er überhaupt ein übernatürliches Wesen oder nur eine Metapher für einen verzehrenden Menschen, dessen Liebe seinem Gegenüber geradezu die Lebensenergie aussaugt? Und so bleibt es dem Leser überlassen, ob „Seelenpfand“ nun eine übernatürliche Erzählung oder die psychologische Betrachtung einer (zu?) intensiven Liebesbeziehung ist.

Frank H. Haubolds „Die Stadt am Fluss“ ist von einem gänzlich anderen Kaliber. So realistisch und beschaulich die Geschichte auch beginnt, so steigert sie sich doch unweigerlich ins Bedrohliche und Surreale. Haubolds Protagonist Robert begibt sich auf eine Reise in seine provinzielle Heimatstadt, ein Ort, in den er seit Jahren keinen Fuß mehr gesetzt hat. Doch seine Reise in die Vergangenheit wird bald zu einer Reise ins Verderben, denn was einmal verloren ist, das kann nicht so einfach wiederbeschafft werden. Roberts Suche nach seiner verlorenen Jugend scheitert nicht nur, sie endet in einer Katastrophe. Erscheint Robert die Stadt zunächst nur einsam, so wird die Atmosphäre bald unheilschwangerer. Die Straßen sind verlassen, das Haus seines ehemaligen Schulfreundes verwahrlost. Und als die Dunkelheit hereinbricht, wird er gar von einem Rudel streunender Hunde angefallen. Und was hat es mit seiner Jugendliebe Sara auf sich, die eines Tages spurlos verschwand? Als Schmankerl ist die Geschichte von musikalischen Anspielungen durchzogen, versorgt Roberts Autoradio ihn doch nicht nur ständig mit Musik, sondern lockt in schließlich auch in die zuschnappende Falle. Und so dröhnt nicht nur Jim Morrison aus den Boxen, sondern gar „In a Gada da Vida“- die Langversion wohlgemerkt!

Abschließend sei noch Christel Schejas „Der Verfluchte von Tainsborough Manor“ erwähnt, eine Liebeserklärung der Autorin an die schwarze Romantik. An der walisischen Küste lässt sie die Stimmung der Schauergeschichten des 19. Jahrhunderts wiederauferstehen, ganz im Stile der damaligen Größen wie Byron und Shelley. Selbst ihr Vampir hat grüne Augen, ein kleines aber feines Detail, das Liebhaber zum Schmunzeln bringen wird. Doch anstatt bei den tatsächlich blutrünstigen Vampiren des 19. Jahrhunderts stehen zu bleiben, vermischt sie Elemente der schwarzen Romantik mit der modernen Vorstellung vom Vampir als sensiblem Einzelgänger und schreibt eine überzeugende Erzählung, ohne jemals in den Kitsch abzurutschen.

Über „Der ewig dunkle“ Traum gibt es noch viel zu sagen, vereint die Anthologie doch Geschichten von Markus Heitz, Eddie M. Angerhuber, Mark Freier, Alisha Bionda, Armin Rößler, Frank H. Haubold, Dominik Irtenkauf und Javier Hurtado, Wolfgang Hohlbein, Barbara Büchner, Marc-Alaster E.-E., Michael Borlik, Boris Koch, Linda Budinger, Christel Scheja und Markus K. Korb. Es soll an dieser Stelle jedoch genügen, zu versichern, dass die Anthologie 400 Seiten reinstes Lesevergnügen bietet. Da ist garantiert für jeden Geschmack etwas dabei – Gänsehaut garantiert!

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Flannary, Tim – Dschungelpfade. Abenteuerliche Reise durch Papua-Neuguinea

Neuguinea-Pidgin ist eine merkwürdige Kombination aus Englisch und diversen Sprachen der einheimischen Inselbewohner. Aber die Verständigung funktioniert, was ratsam ist in einer Welt, die sich bis vor wenigen Jahren praktisch in jedem isolierten Bergtal neu definierte. „Throwim way leg“ bedeutet: „sich auf eine Reise begeben“. Genau das beherzigte der australische Zoologe Tim Flannery, den in den 1980er Jahren das Fernweh packte. Ihn zog es auf die nach Grönland größte Insel dieses Planeten, wobei über den Eisblock im Norden viel mehr bekannt ist als über die Tropenwelt im Süden. Weiterhin sind große Teile der Insel völlig unentdeckt. Wo gibt es das sonst noch auf diesem Erdball? Ein verlockendes Betätigungsfeld für einen wagemutigen Forscher und Reisenden also. Flannerys launig beschriebenen sieben Reisen führten ihn deshalb direkt auf die Spuren der großen Entdeckungsreisenden der Vergangenheit. Nicht umsonst nennt man ihn den „australischen David Livingston“ (wenn wir dem Klappentext Glauben schenken möchten).

Neuguinea – das wusste Flannery schon – ist zwar geologisch die „Bugwelle“, die der Zwergkontinent Australien auf seiner Drift über das Lavameer unterhalb der Erdschollen aufgeworfen hat, weist aber in seiner Tier- und Pflanzenwelt bemerkenswert wenige Parallelen auf. So leben auf Neuguinea z. B. die Kängurus prinzipiell auf Bäumen – mit Ausnahme der eigentlichen Baumkängurus, denn die leben hartnäckig auf dem festen Boden und unterstreichen eindrucksvoll Flannerys These, dass in diesem seltsamen Winkel alles etwas anders läuft. (Kängurus spielen eine wichtige Rolle in diesem Buch, denn Tim Flannery hat sich auf ihre Biologie spezialisiert; Fledermäuse kann er aber auch gut …)

Seit 45.000 Jahren leben Menschen auf Neuguinea, aber noch in den 1930er Jahren hatten die meisten noch niemals einen weißen Mann gesehen. Das war kein Verlust, wie sich zahlreiche Massaker später herausstellte, aber es hatte gewisse Nachwirkungen, die noch heute Forschungsreisen in abgelegene Regionen nicht ungefährlich macht, zumal Kannibalismus und Kopfjagd auf Neuguinea nicht nur wehmütig erinnerte, sondern durchaus weiterhin praktizierte Gebräuche sind: Die einheimische Bevölkerung kann oft nicht schreiben, aber ihr Gedächtnis ist ausgezeichnet und unendliche Duldsamkeit der kolonialistischen Obrigkeit gegenüber ihr Ding nicht.

Die Entbehrungen, die er auf sich nehmen musste, lesen sich in Flannerys Erinnerung vergnüglich, weil er sich offenbar mit einer Art Crocodile-Dundee-Mentalität ins absolute Abenteuer stürzt. Bei näherer Betrachtung schreckt der couchkartoffelige Durchschnittsleser aber doch schaudernd zurück. Neuguinea wartet nicht nur mit einem meist mörderisch heißen und feuchten Schimmel-Klima, sondern auch mit einer Furcht erregenden Tierwelt auf. Parasiten und giftiges Getümmel gedeiht prächtig hier und schätzt den Menschen gar sehr als Wirt. Was das für Folgen hat, wird von Flannery in drastischen Worten beschrieben. Einige Fotos des Bildteils belegen, dass er nicht untertreibt. (Lerne selbst, was „grile“ ist, liebe/r Leser/in – aber bitte auf eigenes Risiko! Und der Bandwürmer verspeisende Willok gilt selbst unter seinen strapazierfähigen Mitbürgern als Außenseiter.)

Flannery hungert, stinkt und steckt sich mit Krankheiten an, von denen man nicht einmal lesen möchte. Aber er kehrt immer wieder zurück, und man versteht ihn. Neuguinea ist eine fremde und unbarmherzige, aber faszinierende Welt. Inzwischen hat Flannery reichen Lohn empfangen. Er konnte bemerkenswerte Bekanntschaften knüpfen, hat Erfahrungen gemacht, um die man ihn beneiden kann. Aber auch als Wissenschaftler ist ihm Erstaunliches gelungen: Tim Flannery gehört zu denen, die immer wieder völlig unbekannte Tierarten entdecken! Das ist auf Neuguinea noch im 21. Jahrhundert möglich – und wir sprechen hier nicht von Insekten, sondern von ziemlich großen Säugetieren.

Freilich sterben sie oft aus, noch bevor sie richtig entdeckt werden. Trotz seines von angelsächsischem (und robustem) Humor geprägten Schreibstils verschweigt Flannery die eher traurigen Seiten des Urwelt-Lebens auf Neuguinea nie. Sie sind – wen wundert’s – primär von Menschen gemacht. Die Insel ist heute ein zweigeteiltes Land. Der Westen – Irian Jaya – gehört zur Militärdiktatur Indonesien. Papua-Neuguinea im Osten ist selbstständig, aber das bedeutet längst nicht, dass die Ureinwohner über ihre Heimat bestimmen dürfen. In vielen deprimierenden Kapiteln beschreibt Flannery, wie die eigentlichen Bürger der Insel um ihre Rechte betrogen wurden und werden. Gesetzlosigkeit, Krankheit, Hunger, Unterdrückung, Ausbeutung: Neuguinea ist in diesen Punkten ein sehr modernes Land.

Flannery verschweigt noch unangenehmere Wahrheiten nicht. Die bedrängten Ureinwohner sind beileibe keine Engel. Ihr unglaubliches hartes Leben hat sie in Jahrzehntausenden zu einem hoch spezialisierten Menschenschlag werden lassen, dessen Sozialstruktur uns angeblich „zivilisierten“ Erdmenschen äußerst exotisch, ja, grausam anmutet. Aber selbst unter Berücksichtigung der alten Weisheit „Andere Länder, andere Sitten“ und unter großzügig politisch korrekter Auslegung des Selbstbestimmungsrechtes der im Einklang mit Mutter Natur existierenden Ureinwohner lässt sich beim besten Willen nicht leugnen, dass auch diese vor allem – Menschen sind. Flannery entdeckt daher unerfreuliche Wesenszüge auch bei den notorisch über den Tisch gezogenen Inselbewohnern. Sie betrügen einander, sind sich spinnefeind; statt greenpeacige Einigkeit ihren neokolonialistischen Feinden gegenüber zu demonstrieren, lassen sich von alten Naturgöttern keine klügeren Weisheiten vermitteln als von garstig besserwisserischen Missionaren.

Neuguinea ist ganz sicher nicht das verlorene Paradies auf Erden. Auch der eifrige und offene Forscher Flannery muss dies auf die harte Tour lernen – ein schmerzlicher Prozess, der ihm während einer Reise durch den indonesischen Westen ein echtes Trauma bescherte, als er Zeuge wurde, wie die Bediensteten eines Konzerns, der seine aktuelle Expedition finanzierte, rassistisch einen „Wilden“ umbrachten und er sich plötzlich fragen musste, ob er sich mitschuldig an dieser Tat gemacht hatte. Flannery unterschlägt dieses Ereignis und seine womöglich wenig schmeichelhafte Rolle darin nicht. Es hat seiner Liebe zur Insel Neuguinea einen nachhaltigen Dämpfer versetzt.

Flannerys Ehrlichkeit und die lange Kette definitiv berichtenswerter Abenteuer machen „Dschungelpfade“ zum Lektüre-Erlebnis. Rührselig-epiphanisches „Groß ist Mutter Gäa!“-Gestammel bleibt dem Leser erspart. Die eindrucksvollen Farbbilder komplettieren den durchweg positiven Eindruck, den dieses Buch hinterlässt. Dass die Faszination Neuguineas trotzdem aus jeder Zeile spricht – und das überzeugend -, ist die bemerkenswerte Leistung eines klugen Mannes, der sein Wissen teilt statt zu predigen und auf diese Weise einen um so nachhaltigeren Eindruck hinterlässt.

Tim Flannery, geboren 1956 in Canberra, der Hauptstadt Australiens, ist nicht nur Entdeckungsreisender und Feldforscher, sondern „hauptberuflich“ der Direktor des „South Australian Museum“ in Adelaide. Darüber hinaus lehrt er als Professor an der örtlichen Universität. Immer wieder unternimmt er ausgedehnte Forschungsreisen durch die ozeanische Welt. Flannery gilt als bester Kenner der heimischen Säugetierwelt, widmet sich aber auch komplexen ökologischen Studien und macht sich stark für die Tier- und Pflanzenwelt dieser Region, die wie die einheimische Bevölkerung bedroht wird durch den Raubbau der „modernen“ Zivilisation. 18 Bücher hat Flannery veröffentlicht.

Richard Marsh – Der Skarabäus

Das geschieht:

Das Schicksal hat es wirklich auf ihn abgesehen, denkt Robert Holt, ein zum Landstreicher herabgekommener Londoner Bürger, der in dunkler, kalter Nacht in ein einsam gelegenes Haus einsteigt. Leider steht dies nicht leer; ein unheimliches Wesen haust hier, das kaum Menschenähnlichkeit aufweist und sich womöglich in einen riesigen Skarabäus-Käfer verwandeln kann.

Vor allem ist diese Kreatur abgrundtief böse. Sie hat es auf den jungen Politiker Paul Lessingham abgesehen, der ihr während seines Aufenthalts in Ägypten – über den er sich sorgfältig ausschweigt – nach eigener Auskunft großes Unrecht angetan hat. Bis nach London ist sie Lessingham gefolgt und plant nun sorgfältig dessen politischen Ruin, privaten Untergang und schließlich Tod. Der unglückliche Holt muss ihr als Werkzeug dienen. Mit unwiderstehlicher hypnotischer Kraft wird er gezwungen, in Lessinghams Haus einzubrechen und einige persönliche Briefe zu stehlen, die das Geschöpf über die bevorstehende Verlobung mit der schönen Marjorie Lindon informieren. Richard Marsh – Der Skarabäus weiterlesen

Hoffmann, Horst – galaktische Rallye, Die (Magic Edition, Band 9)

Als ich bei Erwähnung des Titels „Die galaktische Rallye“ an die legendäre Trickfilm-Serie „Space Race“ dachte, lag ich damit anscheinend gar nicht mal so verkehrt. Tatsächlich glänzt auch die von „Perry Rhodan“-Autor Horst Hoffmann erstellte Story durch ziemlich abgedrehten Humor, der auf den abwegigsten, aber letztendlich doch klar durchschaubaren Ideen beruht. Damit ist „Die galaktische Rallye“ sicherlich auch der ungewöhnlichste Vertreter der „Magic Edition“ aus dem |BLITZ|-Verlag und will auch nicht so ganz in die Serie hineinpassen, was aber sicherlich nicht heißen soll, dass man dieses Buch als Fan der feinen Reihe nicht trotzdem lesen darf.

_Story:_

Die verschiedenen Völker des Universums haben beschlossen, die Herrschaft über das Weltall neu zu strukturieren. Doch statt einen Krieg um den Thron über die Galaxis zu entfachen, soll ein Wettrennen zwischen den Raumschiffen der verschiedenen Gruppierungen stattfinden, bei dem dann das siegende Volk ermittelt werden soll. Während die Kul-Uys mit einem Bierflaschen-ähnlichen Konstrukt (siehe Cover) ins Rennen gehen und dabei ihrem Ruf als alkoholabhängige Sippe vollends gerecht werden, machen die Treehs mit den einst eingesperrten Knastorianern gemeinsame Sache und werden von ihnen übers Ohr gehauen. An anderer Stelle kämpfen Frauen um die Macht: Bei den Goobhins wird ordentlich um die Führungsposition gerangelt, was natürlich nur Stress einbringt. Für die Terraner geht ein gewisser Oberst Julius von Wolkenheim an den Start, der schwer mit seiner General-Attitüde zu kämpfen hat und deswegen mehrfach sein Schiff demoliert. Deswegen hat er auch keinen einfachen Stand in der galaktischen Rallye, die jedoch nur mit Intrigen und Bösartigkeiten zu gewinnen zu sein scheint.

Der Startschuss ist gefallen, die Punkte einbringenden Aufgaben sind verteilt und die Hindernisse aufgestellt – jetzt geht es für die Beteiligten nur noch darum, mit größtmöglicher Hinterlist und dem ständigen Drang, seinen Gegnern Böses anzutun, um die Führungsposition zu boxen. Aber auch die Ankunft am Ziel als solche ist schon eine große Herausforderung, der nicht jedes Raumschiff gewachsen zu sein scheint …

_Meine Meinung:_

In gewisser Weise kann man den Inhalt dieses kurzweiligen Romans als die deutsche Antwort auf den durchgeknallten Douglas Adams bezeichnen. Wären da nicht einige Schönheitsfehler, dürfte man Autor Horst Hoffmann sogar auf eine Stufe mit dem Kultautor von der Insel stellen. Der Unterschied zu besagtem Adams besteht jedoch darin, dass nicht alle Aspekte der Handlung von „Die galaktische Rallye“ wirklich schlüssig sind. Aber das ist in der begrenzten Spanne von 224 Seiten auch kaum zu realisieren, zumal Hoffmann sich im zweiten Teil ziemlich oft wiederholt oder bereits Bekanntes unnötigerweise rezitiert. Dies liegt jedoch daran, dass die Story damals in etwas größerem Zeitraum über zwei Bände verteilt auf den Markt gekommen ist. Der Lesefluss ist dadurch gerade zur Halbzeit stark eingeschränkt, weil man von den ständigen, wenn auch nicht ausufernden Rückblicken bald genervt ist.

Hoffmann verbringt allerdings – und das muss man ihm zugute halten – nicht allzu viel Zeit damit, die einzelnen Völker und ihre wichtigsten Vertreter vorzustellen. Mit den ersten Seiten ist man direkt in der Story drin, und sofern man noch Hintergrundinformationen zu den jeweiligen Gruppen benötigt, wird man sie im Laufe des Buches an passender Stelle erfahren. Diese Tatsache hilft dem Autor auch dabei, die Spannung mitsamt einiger ungeklärter Geheimnisse aufrecht zu erhalten. Doch von Spannung im klassischen Sinne darf man bei „Die galaktische Rallye“ jetzt nicht sprechen; es steht eher die Frage im Raum, welche ausgefallene Idee sich Hoffmann für den nächsten Zwischenfall auf dem Weg zum Ziel hat einfallen lassen.

Der Humor ist dabei allerdings Geschmackssache; sicher, anfangs wird noch jeder schmunzeln, wenn Oberst von Wolkenheim seine Fähre anhimmelt, oder wenn die Tanks der „Bottle Of Beer“ von den Kul-Uys (natürlich nicht, ohne vorher selber die Geschmacksprobe gemacht zu haben) mit neuem Gerstensaft befüllt werden, doch mit der Zeit wiederholen sich die Gags in ihrer Machart und die skurille Wirkung verfliegt infolgedessen auch ein wenig. Und so etwas wäre einem vollkommen bekloppten und gerade deswegen genialen Autor wie Douglas Adams nicht passiert.

Unterhaltsam ist „Die galaktische Rallye“ aber allemal, dafür sorgen schon die unheimlich witzigen Charaktere und überhaupt der ganze Rahmen, in dem dieser außergewöhnliche Wettkampf stattfindet. Die schlichte Sprache trägt hierzu einen nicht zu unterschätzenden Teil bei und hilft einem selbst in den etwas konfuseren Abschnitten dabei, die jeweilige Situation auf Anhieb zu erfassen. Es gibt jedenfalls keine Stelle, in der man plötzlich nicht mehr wüsste, was jetzt genau Sache wäre – auch nicht beim sehr direkten Einsteig, dessen Hintergründe umgehend aufgelöst werden. Es ist nur manchmal so, dass einige Passagen keinen direkten Sinn und, wie eingangs erwähnt, im Hinblick auf den gesamten Plot keinen erkennbaren Zusammenhang ergeben. Wer das seltsame Ende bereits kennt, wird diese Worte verstehen. Humor um der Lustigkeit willen ist dies zwar nicht, dafür sind die vielen unmterschwelligen Attacken auf die einzelnen Randgruppen der Gesellschaft zu bissig und auch zu gut verpackt, aber dieses Mittel als ausschließliches Element eines Buches zu verwenden, ist in diesem Fall nicht immer glücklich gewählt.

Wer Douglas Adams zu seinen Heldern zählt, sollte sich aber dennoch mal mit dem zweieinhalb Dekaden alten Werk des „Perry Rhodan“- und neuerdings auch „Titan“-Autors befassen. Ich habe es trotz der einzelnen Mängelpunkte nicht bereut, dieser irrwitzigen Wettfahrt einen Abend gegönnt zu haben. Vielleicht auch, weil ich hierdurch in meiner Betrachtung von Douglas Adams als unantastbarem Gott in diesem Genre enorm bestärkt wurde!

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King, Jonathon – Schwarze Witwen

Er hält sich für unsichtbar. Und über die Jahre fällt er in seinem Viertel tatsächlich kaum jemandem mehr auf. Das ist eine optimale Voraussetzung, um den eigenen mörderischen Geschäften und Vorlieben nachzugehen. Wenn man sich dann im ‚richtigen‘ Viertel bewegt, einem Drogenumschlagplatz, um den herum ausschließlich Afroamerikaner leben, und man sich ‚unsichtbar‘ und geschickt verhält, wird eine Häufung von Verbrechen und Todesfällen kaum bemerkt. Zudem sind weder die Behörden noch die Polizei an Ermittlungen interessiert. Vor allem dann nicht, wenn es sich bei den Verstorbenen um über achtzig Jahre alte afroamerikanische Witwen handelt, die offensichtlich nach langer Krankheit eines natürlichen Todes gestorben sind. Erst bei genauerer Betrachtung der Hintergründe fällt eine weitere Überschneidung der Lebenssituationen der Verstorbenen auf: Alle Frauen hatten hohe Lebensversicherungen für ihre Familien abgeschlossen und sie vor nicht allzu langer Zeit überraschend an eine Investmentgesellschaft verkauft. Zwar ist diese Art von Geschäft völlig legal, allerdings ist ein baldiges Ableben der Versicherten für die Investoren wünschenswert, da sie die Policen bis zum Tode der Versicherten bezahlen müssen und erst danach ihre hohen Gewinne kassieren können.

Allein Rechtsanwalt Billy Manchester befürchtet, ausgehend von seinen Recherchen, dass ein Mörder im Auftrag der Investoren dem ’natürlichen Tod‘ der Versicherten ordentlich nachhilft. Mit dieser brisanten Theorie stößt er jedoch bei den Versicherungen wie auch bei der Polizei auf Gleichgültigkeit und Desinteresse. Daher wendet er sich an seinen besten Freund, den Ex-Cop Max Freeman. Doch selbst dieser ist mangels Indizien anfangs skeptisch. Da er sich aber Billy gegenüber verpflichtet fühlt, verlässt er notgedrungen seinen einsamen Unterschlupf in den Everglades, vorwiegend um Billy einen Gefallen zu tun. Als er in der Stadt auf die ersten Ungereimtheiten stößt und von seiner alten Bekannten Detective Sherry Richards erfährt, dass in dem besagten Viertel seit einiger Zeit brutale Vergewaltigungen, manche mit anschließendem Mord gemeldet werden, ist sein Spürsinn geweckt. Freeman, der nie mehr ermitteln wollte, steckt plötzlich mitten in einem höchst brisanten und vielschichtigen Fall.

Dass man ihn auch noch von ’seinem‘ geliebten Fluss in den Everglades vertreiben will, bereitet ihm zusätzlich Sorgen. Aber immerhin kommt er im Laufe der Zeit der ihm mehr als sympathischen Richards wesentlich näher …

Im Original lautet der exzellent gewählte, da für den englischsprachigen Leser mit vielen Assoziationen verbundene Titel „A Visible Darkness“. Das, was sich mit „Eine sichtbare Finsternis“ übersetzen ließe, klingt im Deutschen nicht ganz so elegant und verliert wohl auch seine implizierten Anspielungen. Warum sich jedoch der Verlag für den Titel „Schwarze Witwen“ entschieden hat, ist mir vollkommen schleierhaft, da die somit nahe gelegten Assoziationen von männermordenden Frauen völlig in die Irre führen.

Wie bereits im ersten Roman der Freeman-Serie, „Das Messer im Sumpf“, wird auch der Folgethriller „Schwarze Witwen“ aus der Ich-Perspektive des Max Freeman erzählt. Erweitert wird diese durch Kapitel und Abschnitte über den Mörder Eddie, der sich für unsichtbar hält (eine Anleihe bei Ellisons Klassiker „Invisible Man“). Dass der Mörder von der ersten Seite an bekannt ist, schmälert keinesfalls die Spannung. Ganz im Gegenteil hätte Jonathon King hier m. E. ruhig noch tiefer in die Seele des Mörders vordringen, seine Innenansicht ruhig als Spannungsmoment weiter ausbauen können. Persönlich gefallen mir dennoch diese Passagen über Eddie, ‚den Müllmann‘, mit am besten. Aber auch Natur- und Situationsbeschreibungen (hier setzt sich die professionelle Schreibe des Journalisten Jonathon King durch) gestaltet der Autor hervorragend. Vor allem, wenn er die Wildnis der Everglades einfängt. Im direkten Gegensatz hierzu sind auch die Darstellungen des Großstadtdschungels äußerst atmosphärisch gelungen. So wird u. a. das besagte afroamerikanische Viertel mit seinen kleinen gepflegten Häuschen, den dunklen Gassen und dem Drogenumschlagplatz derart realistisch geschildert, dass das kleinbürgerliche Milieu umgeben vom Drogensumpf überaus lebendig wird. Eine kleine Schwäche des Autors sehe ich in den Dialogen, von denen er selbst, einmal begonnen, gern wieder abschweift, um Hintergrundinformationen rein narrativ zu liefern. Interessant ist, wenn auch für den Fall relativ irrelevant, die eingeflochtene Historie des Sunshine-States. Insgesamt liegt die Stärke des Autors eindeutig in der beobachtenden Beschreibung und Darstellung, und daher halte ich die Wahl, Max Freeman als Ich-Erzähler durch die Handlung zu schicken, für nicht allzu glücklich gewählt. So sympathisch der koffeinsüchtige, traumatisierte Ex-Cop aus Philadelphia auch ist, bleibt er doch über dreihundert Seiten ziemlich durchschaubar und damit berechenbar. Er überrascht in keiner Szene und ist dazu noch gänzlich humorlos, was das Gesamtbild recht dröge werden lässt. Die nicht uninteressanten Figuren des Billy Manchesters und der Sherry Richards werden so zu Nebenfiguren mit großem, aber verschenktem Potenzial.

Dramaturgisch ist „Schwarze Witwen“ von der spekulativen These, ein Fall könne vorliegen, bis zu der Einsicht, dass neben den Morden in besagtem Viertel noch ganz andere Verbrechen geschehen, exzellent konstruiert. (Wenn auch die Täter ziemlich dusselig vorgehen, da die Spuren, die sie legen, recht simpel zurückverfolgt werden können. Doch das könnte, wenn man sich reale Verbrechen anschaut, ein überaus realistisches Moment der Handlung sein). Trotz der eigentlich feinen Dramaturgie stolpert der Rhythmus des Ganzen ein wenig vor sich hin, was m. E. daran liegt, dass Max Freeman zu oft durch Träume und Erläuterungen seiner traumatischen Erlebnisse seine Vergangenheit wie auch die Handlung des Erstlings „Das Messer im Sumpf“ rekapituliert. Rein inhaltlich ist an diesem traumatisierten, gebrochenen Helden nichts auszusetzen, obwohl nicht nur Max Freeman an diesem Zuviel an Vergangenheit leidet, sondern auch das Tempo des Thrillers arg gedrosselt wird.

Ähnlichkeiten übrigens zu James Lee Burkes Serie um den New Orleans Detective Dave Robicheaux sind nicht zufällig, sondern (als Hommage?) vom Autor King beabsichtigt. Insgesamt ist „Schwarze Witwen“ ein überaus passabler, nicht virtuoser, aber solider Thriller, der gut konstruiert mit toller Atmosphäre lediglich ein wenig an seinem Helden schwächelt, den ich mir (und das ist schließlich rein subjektiv) facettenreicher und mit einem Funken Humor, Sarkasmus etc. gewünscht hätte. Am Ende des Falles setzt der Rechtsanwalt Billy seinen Freund Max unter Zugzwang, so dass dieser sich um eine Lizenz als Privatdetektiv bemühen muss, wenn er seinen geliebten Unterschlupf in den Sümpfen behalten will. Somit sind zukünftige Fälle gesichert. Und schließlich steckt die Serie mit dem vorliegenden zweiten Roman ja immer noch in Baby-Schuhen (preisgekrönten übrigens!). Letztlich darf man gespannt sein, wie sich die Charaktere weiterentwickeln. Also lesen – und auf den nächsten Jonathon King warten! (Im März 2006 unter dem Titel „Nacht der Abrechnung“ bei Droemer/Knaur erschienen. Anm. d. Ed.)

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ veröffentlicht.|

Jacques Futrelle – Der überflüssige Finger

13 Fälle, zwischen 1906 und 1908 gelöst von Professor Van Dusen, der „Denkmaschine“:

– Die silberne Box („The Leak“/“The Silver Box“, 1907), S. 7-29: Ein Unsichtbarer spioniert die Geheimnisse des Börsenhais aus und kostet ihn Millionen. Van Dusen vermutet eher Köpfchen und Technik hinter diesem Rätsel …

– Das Motorboot („The Motor Boat“, 1906), S. 30-53: Ein toter Mann in Uniform braust am Steuer seines Boots in den Hafen von Boston. Nur van Dusen kann klären, was hinter diesem mysteriösen Auftritt steckt …

– Der überflüssige Finger („The Superfluous Finger“, 1906), S. 54-78: Warum lässt sich eine schöne Frau ihren völlig gesunden Finger amputieren? Dahinter verbirgt sich ein schlau eingefädeltes Verbrechen, ahnt van Dusen …

– Der unterbrochene Funktelegraph („The Interrupted Wireless“, 1907), S. 79-102: Auf hoher See stirbt der Funker mit einem Messer im Herzen, doch wer setzt in der Nacht seine Arbeit fort? Van Dusen findet die Erklärung, ohne einen Schritt an Bord zu setzen …

– Die drei Mäntel („The Three Overcoats“, 1907), S. 103-118: Was sucht ein fein gekleideter Meisterboxer und Einbrecher, der die übliche Beute verschmäht und stattdessen Mäntel aufschlitzt? Nur van Dusen fragt sich, was in diesen Mänteln steckte …

– Das Rätsel des zerbrochenen Armreifs („The Problem of the Broken Bracelet“, 1907), S. 119-144: Gleich mehrere Diebe raufen einfallsreich um ein scheinbar wertloses Schmuckstück; nur van Dusen entdeckt, dass es buchstäblich etwas in sich hat …

– Das Rätsel des Kreuzes („The Problem of the Cross Mark“, 1907), S. 145-161: Eine groteske Schauspielerscharade deckt van Dusen als Bestandteil einer tückisch ausgetüftelten Erbschleicherei auf …

– Das Rätsel der Ansichtskarten („The Problem of the Souvenir Cards“, 1907, S. 162-178:
Der Dieb stahl den großen Diamanten und irritiert dessen Eigentümer durch die Einsendung unverständlicher Kartenbotschaften, die für van Dusen natürlich nicht lange ein Geheimnis bleiben …

– Das Rätsel des verschwindenden Mannes („The Problem of the Vanishing Man“, 1907), S. 179-200: Ein Geschäftsmann betritt jeden Morgen sein Büro, um sich dort in Luft aufzulösen und feierabends wieder zu erscheinen; wie so etwas möglich ist, erklärt Professor van Dusen …

– Das Rätsel des Taxis („The Problem of the Auto Cab“, 1907), S. 200-216: Reporter Hatch sieht sich in einen Juwelenraub verwickelt und schätzt sich glücklich, ein Vertrauter der „Denkmaschine“ zu sein …

– Das Rätsel der versteckten Million („The Problem of the Hidden Million“, 1907), S. S. 217-232: Auf dem Totenbett verkündet der boshafte Millionär triumphiernd, wie er seine Schätze vor den Erben versteckt hat, aber er hat die Rechnung ohne seinen Papagei und Professor van Dusen gemacht …

– Das Roswell-Diadem („The Roswell Tiara“, 1906), S. 232-253: Wohin ist das berühmte Schmuckstück verschwunden? Van Dusen löst den Fall buchstäblich im Schlaf …

– Der verhexte Gong („The Haunted Bell“, 1906), S. 254-306: Er dröhnt ohne geschlagen zu werden und kündigt den Tod seines Besitzers an – reiner Humbug, so Augustus van Dusen, der diesen Worten eine spektakuläre Beweisführung folgen lässt …

|“In den Naturwissenschaften müssen wir exakt sein – und zwar nicht annähernd, sondern absolut. Wir müssen wissen. … Wissen ist Fortschritt, Wissen erlangen wir durch Beobachtung und Logik – unwiderlegliche Logik. Und die Logik sagt uns, dass zwei plus zwei vier ergibt, und zwar nicht nur manchmal, sondern immer.“| (S. 9)

Dies ist das Credo von Augustus S. F. X. van Dusen, der sich keinesfalls als Detektiv, sondern ausschließlich als Wissenschaftler versteht. Die oben zitierte Ansprache hält er kaum variiert jedem, den es mit einem „unmöglichen Fall“ oder einem „perfekten Verbrechen“ zu ihm treibt (was zwischen 1905 und 1912 immerhin fünfzigmal geschieht). Van Dusen ist die „Denkmaschine“; noch mehr als Sherlock Holmes beschränkt er sich auf die Ermittlung durch Nachdenken. Er ist der „armchair detective“ par excellence, die kaum mehr körperliche Geisteskraft, welche sich Furcht einflößend bemerkbar macht, wenn van Dusens gewaltige Stirn sich in unzählige Runzeln legt: Die „Denkmaschine“ läuft auf Hochtouren!

Für van Dusen gibt es keine Rätsel, sondern höchstens Fragen, auf die noch keine Antworten gefunden wurden. Er ist auch deshalb meist grämlich, weil er einfach nicht verstehen kann, wieso die Menschen um ihn herum dies einfach nicht begreifen. Immer wieder erläutert er sein Vorgehen, wenn er einen neuen Kriminalfall gelöst hat – es besteht darin, die vorhandenen Fakten zu sammeln, zu sichten und auszuwerten. Die Lösung ergibt sich dann automatisch.

Freilich wird sich van Dusen wohl bis an sein Lebensende ärgern müssen. Die Welt, in der er lebt, ist nur zum Teil die seine. In seinem mit Riesenbibliothek und Labor ausgestattetem Domizil brödelt er eigen vor sich hin. Gäbe es nicht seinen Watson – hier in Gestalt des rasenden Reporters Hutchinson Hatch – würde er wohl gar nicht das Haus verlassen und Wissen allein um des Wissens willen anhäufen: „Ph. D., LL. D., F. R. S., M. D., M. D. S.“ lautet die Liste seiner akademischen Titel, die damit wohl sämtliche Bereiche der Naturwissenschaft abdecken. Hatch ist es, der ihn ins Freie lockt und ihn sich praktisch betätigen lässt. Zwar lässt es sich van Dusen nie anmerken, aber geht man von der Bereitwilligkeit aus, mit welcher er sich stets von Hatch ‚verführen‘ lässt, hat die „Denkmaschine“ offensichtlich ihren Spaß an den sich daraus entwickelnden Abenteuern.

Frauen existieren für van Dusen selbstverständlich nur als wissenschaftlich definierte Wesen. Immerhin erkennt er: „Man kann nicht umhin, die Stärke von Frauen unter gewissen Umständen zu bewundern …“ (S. 65) In der Tat trifft die „Denkmaschine“ verblüffend oft auf Frauen, die kriminell, einfallsreich und skrupellos auftreten und sich zweifellos mit den männlichen Schurken messen können. Jacques Futrelle war in diesem Punkt – und nicht nur in diesem – wesentlich „moderner“ als beispielsweise Arthur Conan Doyle, dessen Sherlock Holmes nur „die eine Frau“ (Irene Adler) als gleichwertige Gegnerin akzeptierte.

Wobei Sherlock Holmes hier mit Absicht genannt wird. Augustus van Dusen verdankt ihm viel; die „Denkmaschine“ ist in gewisser Hinsicht ein – durchaus ironisch – überhöhter Holmes. Wie Doyle spielt Futrelle mit offenen Karten. Auch der verzwickteste Fall wird im Finale aufgedröselt. Es gibt keine Tricks oder doppelte Böden und erst recht keine Zauberei. Van Dusen liegt richtig: Wer die Augen offen hält und seine Indizien korrekt deutet, wird obsiegen. Das ist für ihn so selbstverständlich, dass er den Applaus seiner verblüfften Zeitgenossen ablehnt: Er hat doch nur nach der eigenen Maxime gehandelt und konnte deshalb nicht irren! Aus diesem Grund kann es durchaus vorkommen, dass er einen Fall löst und der Täter unbekannt bleibt: Dessen Identität blieb für die Klärung nebensächlich und interessierte van Dusen deshalb nicht.

Mit der Konstruktion seiner van-Dusen-Storys hat sich Jacques Futrelle große Mühe gegeben. Ihm fällt immer eine Ausgangssituation ein, die den Leser in den Bann zieht, wobei er oft auf eigene Spezialkenntnisse zurückgreift – er war u. a. Telegraphist und setzt diese zeitgenössische „Hightech“ gleich mehrfach in seinen Kriminalgeschichten ein. Einhundert Jahre später funktionieren manche Plots natürlich nicht mehr so gut wie einst. Der Nostalgiefaktor gleicht es aus, zumal Futrelle über einen feinen, trockenen Humor verfügt, der seinen Geschichten sehr gut bekommt. Damit einher geht ein Verzicht auf theatralische Gefühlsüberschwänge. Zwar fällt auch bei Futrelle manche feine Dame in Ohnmacht, wenn der Schreck sie überwältigt, doch nicht selten entpuppt sich das nachträglich als Trick einer gewieften Schurkin.

Während Jacques Futrelle im angelsächsischen Sprachraum längst für Augustus van Dusen als wichtiger und prägender Vertreter des frühen Kriminalromans gewürdigt wird, blieb er in Deutschland lange unbemerkt. Als der Durchbruch dann kam, erfolgte er erstaunlicherweise nicht im Buch, sondern im Radio. Zwischen 1978 und 1999 schreibt der Rundfunk-Journalist und Autor Michael Koser für den RIAS Berlin (ab 1993 DeutschlandRadio Berlin) insgesamt 79 Hörspiele um van Dusen und Hutchinson Hatch, die meist vom Verfasser neu erfunden wurden.

Im Druck ist hierzulande nur knapp die Hälfte der van-Dusen-Storys erschienen. Das Fehlen einer ordentlichen Gesamtausgabe ist sowohl ein Manko für den Freund klassischer Krimi als auch ein Ärgernis, denn hier harrt ein Autor seiner endgültigen Entdecker, der auch heute noch gut unterhalten könnte!

Jacques Heath Futrell wurde 1875 in Pike County im US-Südstaat Georgia als Sohn eines Lehrers geboren. Er wuchs mit vielen Büchern auf, die seine Eltern ihn zu lesen ermunterten. Vielleicht wäre Futrell als Literat ins Berufsleben gestartet, doch seine finanzielle Situation zwang ihn zu einer „vernünftigen“ Planung. Schon in seiner Schulzeit half er in einer Druckerei aus und absolvierte später eine Druckerlehre. Mit 18 Jahren ging Futrell zum „Atlanta Journal“, wo er u. a. die erste Sportseite aus der Taufe hob.

1895 heiratete Futrell Lillie May Peel; das Paar zog nach New York um, wo Jacques als Telegraf für den „New York Herald“ tätig wurde. 1904 rief ihn William Randolph Hearst nach Cambridge, Massachusetts, wo er für dessen neue Zeitung, den „Boston American“, arbeitete. Hier erschienen auch die ersten Kurzgeschichten um Professor Augustus Van Dusen, die „Denkmaschine“. Sein Erfolg als Schriftsteller ermöglichte es Futrelle, sich ab 1906 als hauptberuflicher Schriftsteller zu etablieren; nunmehr blieb ihm auch die Zeit für das Verfassen von Romanen, deren erster noch in diesem Jahr veröffentlicht wurde.

Jacques Futrelle wurde auch auf der anderen Seite des Atlantiks populär. Im Frühjahr 1912 begab er sich mit seiner Gattin May auf eine Reise nach England. Für die Rückfahrt beschlossen die Futrelles sich etwas zu gönnen, zumal sich eine einmalige Gelegenheit bot: Sie buchten eine Passage auf dem größten und prächtigsten Passagierschiff ihrer Zeit, der brandneuen und unsinkbaren „Titanic“ …

Das Drama im Nordatlantik überlebte in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912 nur May; ihr Ehemann versank in den Fluten, seine Leiche wurde niemals gefunden. Als Schöpfer der „Denkmaschine“ ging Futrelle in die Geschichte des Kriminalromans ein und gehört zu jenen frühen Vertretern, die das Genre formten und ihm entscheidende Impulse gaben.

(Über Jacques Futrelle informiert die Website www.futrelle.com. Sehr informativ ist die deutsche Site www.profvandusen.com/fut2.htm geraten, die sich außerdem mit der deutschen Hörspielserie um Van Dusen beschäftigt.)

Knaak, Richard A. – Erwachen, Das (WarCraft: Krieg der Ahnen, Buch 3)

Band 1: [„Die Quelle der Ewigkeit“ 1258
Band 2: [„Die Dämonenseele“ 2337

Die Stimmung auf Seiten der Verteidiger Kalimdors ist nicht die allerbeste. Die anfänglichen Erfolge im Kampf gegen die Brennende Legion erweisen sich schnell als trügerisch. Als dann noch der eitle Nachtelfen-General Stareye seinem Schöpfer gegenübertritt, glaubt trotz des unterstützenden Eingreifens der Tauren, Irdenen und Furbolgs kaum einer der Helden mehr an einen Sieg. Doch Kalimdors Götterwelt ist groß und es bedarf nur eines kleinen Anstoßes, die trägen Überirdischen zu mobilisieren.

Dieses ist – wie so oft – Malfurions Aufgabe. Erstens soll er seinen Mentor, den Waldhalbgott Cenarius anspitzen, damit dieser seine besonders gesegneten Kumpel von der „anderen Seite“ scharf aufs Dämonen-Hauen macht.

Zweitens soll er Selbiges mit den Drachen versuchen. Die Flattermänner haben nach Neltharions brutaler Machtübernahme den Flattermann gemacht und hocken nun irgendwo im smaragdgrünen Traum, die Flügel schützend über ihre Köpfe gelegt. Immerhin gelang es Krasus, Brox und dem Druiden zwischenzeitlich, dem üblen Erdwächter seinen Baseball-Schläger, die Dämonenseele, abzujagen; leider waren sie dämlich genug, sie im gleichen Atemzug an den zur Legion übergelaufenen Illidian zu verlieren.

Irgendwie schafft es Malfurion tatsächlich, beide Nachrichten korrekt zuzustellen und schon geht das große Match “Götter & Drachen & Restbevölkerung vs. Dämonen” in die finale Runde. Der Sieger erhält einen hübschen Pokal, einen Kuss von Tyrande und die Herrschaft über Kalimdor.

Nachdem Knaak schon im zweiten Band einen angeschlagenen Eindruck machte, geht er nun endgültig zu Boden. Knockout in der dritten Runde! Selbst sein nach wie vor gefälliger Stil vermag es nicht, die wirre Story zu retten, den Charakteren oder der Welt Kalimdor Leben einzuhauchen.

Viele, viele Helden und noch mehr (Quasi)Götter – zuweilen stellt sich der Leser die Frage, wie und wo zwischen allen den Göttern, Halbgöttern, Drachen, Halbdrachen, Dämonen, Halbdämonen, Satyrn, Titanen, Aspekten und Herrn Tur Tur, dem Scheinriesen, humanoide Lebensformen überhaupt noch Platz zum Atmen finden – bedeuten den totalen Figuren-Overkill.

Die logische Konsequenz ist, dass keiner der Protagonisten auch nur annähernd differenziert gezeichnet ist. Klischeehafte, eindimensionale Charaktere stolpern von einem Kampf in den nächsten, sodass man nach der Hälfte des Buches versucht ist, darum zu betteln, der Ober-Dämon Sargeras möge endlich Klaimdor betreten und dem ganzen Übermenschengesocks den Garaus machen. Doch ein ums andere Mal heißt es nur, „bald ist es soweit“, „das Portal ist fast offen“, „noch wenige Augenblicke“, „eigentlich sollte er schon da sein“, etc.; und so quält sich der Leser durch immer neue Kämpfe und noch mehr Götter und noch mehr Zauber und noch mehr langweilige Szenen.

In wenigen – genau genommen zwei – Passagen kommt tatsächlich etwas Spannung auf, blitzt ein Funke Originalität durch den trüben Schlachtennebel. Dieses sind die Momente, in denen der Erdwächter, Neltharion (aka Deathwing), in das Geschehen involviert ist. Doch bedauerlicherweise sind diese Stellen für die Geschichte letztlich vollkommen unerheblich. Dies lässt sich auch über Tauren und Irdenen sagen, die kaum mehr als nur erwähnt werden – natürlich mit ähnlich dämlichen englischen Nachnamen (Ironcutter, Highmountain) wie ihre nachtelfischen Brüder (Shadowsong, Ravencrest, Whisperwind, …) – und damit, bar jeglichen eigeständigen kulturellen Backgrounds, allenfalls einen peinlichen Kniefall vor den „World of Warcraft“-Spielern unter der Leserschaft darstellen.

Unterm Strich scheitert Knaak daran, in drei Bänden Kalimdor mit Leben zu erfüllen und ein kohärentes Pantheon zu entwerfen. Was als epische Story begann, endet in einem kleinkarierten Hack ’n’ Slay.

Wie schon der zweite Band der Trilogie bietet auch dieser dritte magerste Fantasy-Durchschnittskost ohne Höhepunkte oder originelle Ansätze, wobei es ist nicht auszuschließen ist, dass sich Fans der Warcraft-PC-Spiele an der wirren und tumben Action tatsächlich ergötzen.

© _Frank Drehmel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Nina Blazon – Im Reich des Glasvolks (Woran-Saga 3)

Band 1: [„Im Bann des Fluchträgers“ 2350
Band 2: [„Im Labyrinth der alten Könige“ 2365

Mit „Im Reich des Glasvolks“ beendet Nina Blazon ihre Worantriologie und geht dabei den Weg weiter, den sie bereits mit dem zweiten Band eingeschlagen hat. Auch dieses Mal halten wir keine direkte Fortsetzung in den Händen, sondern ein eigenständiges Buch, das zwar auf die anderen Bücher Bezug nimmt, aber einige Jahre später spielt.

Erneut hat ein Generationenwechsel stattgefunden. Die Hauptperson in diesem Buch ist zum ersten Mal weiblich und die Tochter von Julin und Haliz, die in „Im Labyrinth der alten Könige“ die Protagonisten waren. Jonnvinn, so der Name ihres ältesten Kindes, wird seit geraumer Zeit von Albträumen gequält, in denen wiederholt ihre kleine Schwester Nive, die eine Ausbildung als Glasmacherin im Nachbarland Fiorin macht, stirbt. Sie spürt, dass ihre Schwester in Gefahr ist und an dem Tag, an dem Ravin va Lagar und Amina, Jonns Großeltern, gekrönt werden, reitet sie spontan nach Ganarr. Zusammen mit Karis, dem Pferdeknecht, der unsterblich in Nive verliebt ist, wollen sie die Glasmacherin auftreiben, doch als sie ihre Werkstatt erreichen, erfahren sie, dass die junge Frau vor wenigen Tagen in die Wüste aufgebrochen ist. Sie versucht dort, das legendäre Volk im Glas zu befreien und will dabei auf Kräfte zurückgreifen, die seit Generationen in ihrem Blut schlummern. Dabei tritt sie einen Wüstenkrieg los und bugsiert ihre große Schwester zwischen die Fronten …

„Im Reich des Glasvolks“ beginnt eigentlich sehr spannend. Jonn erwacht schweißgebadet aus ihrem Albtraum und der Leser ahnt, dass hier etwas auf ihn zukommt. Er hofft es jedenfalls, denn schließlich hat Frau Blazon ihn in ihren anderen Büchern, was Spannung und geradlinige Handlungen angeht, sehr verwöhnt. Doch leider wird er dieses Mal enttäuscht. Die Handlung ist dieses Mal übereilt und scheint kein wirkliches Ziel zu haben. Ihr fehlen Hand und Fuß und sie weist einige Unebenheiten auf, die das Wohlbefinden stören. Durch ständige Orts- und Personenwechsel kommt unglaublich viel Unruhe in die Geschichte und es entsteht der Eindruck eines ziemlichen Durcheinanders. Das wundert, weil Blazon sonst immer ein sicheres Händchen für ihre Plots bewiesen hat, doch dieses Mal zittert sie deutlich. Auch die Längen in der Mitte passen so gar nicht zu den ersten beiden Bänden der Woransaga. Besonders auf den ersten, „Im Bann des Fluchträgers“, wird in diesem Buch Bezug genommen. Vor allem am Anfang werden immer wieder Geschichten von Ravins Abenteuer erzählt, so dass manchmal der Eindruck einer Nacherzählung aufkommt und die Eigenständigkeit verloren geht.

Auch die Charaktere bleiben dieses Mal etwas hinter den Erwartungen zurück. Jonn und Karis, die einen Großteil des Buches bestreiten, wirken seltsam oberflächlich und eindimensional. Ihre Persönlichkeit kommt kaum zum Ausdruck und dementsprechend schwer fällt es dem Leser, sich mit ihnen zu identifizieren. Anders sieht es da mit Nive aus. Sie weist immerhin einige klar abtrennbare Wesenszüge auf, doch hinterlassen diese leider einen unauthentischen Eindruck. Ihre Fixierung auf das Glasvolk wirkt sehr unreal, wodurch der Eindruck von Schwarzweiß-Zeichnung bei den Schwestern entsteht.

Der Schreibstil ist dagegen der Gleiche geblieben. Immer noch schafft es Blazon, ein buntes, lebendiges Bild ihrer gut durchdachten Welt zu zeichnen, ohne dabei zu viele Worte zu verschwenden. Das zeigt sich besonders, wenn es darum geht, Spezialitäten ihrer Fantasywelt einzuführen. In den meisten Fällen geschieht dies so gut wie gar nicht. Der Leser erschließt sich die Tiere und Pflanzen durch den Kontext, was in diesem Buch reibungslos verläuft. Während in den ersten beiden Bänden an einigen Stellen die Erklärungen gefehlt haben, werden sie im dritten Woranbuch dadurch gegeben, dass Jonn ebenfalls fremd in Fiorin ist. Leider greift die Autorin aber auch dieses Mal sehr oft zu unkonventionellen Metaphern und Vergleiche, die stellenweise etwas krumm geraten. „In der Morgendämmerung erschien die Wüste schmucklos wie eine Tänzerin, die ihr glänzendes Kleid noch nicht angelegt hatte.“ (Seite 218) ist nur ein Beispiel der dezenten Störfaktoren.

Nachdem ihr Debüt „Im Bann des Fluchträgers“ ihr nicht nur viel Lob, sondern auch den Wolfgang-Hohlbeinpreis eingehandelt hat und der Folgeband „Im Labyrinth der alten Könige“ dem Erstling kaum nachstand, wundert es, dass sich „Im Reich des Glasvolks“ als mittelmäßiges Fantasybuch outet. Die Handlung ist für Blazon’sche Verhältnisse sehr ungeordnet und lässt nicht nur einen straffen Handlungsstrang, sondern auch die Spannung missen. Der Schreibstil überzeugt zwar nach wie vor und präsentiert sich lebendig und farbenfroh wie eh und je, die Personen dagegen sind sehr blass geraten. Ein müder Abschluss für die Woransaga.

Gentle, Mary – 1610: Der letzte Alchemist

Mary Gentle (* 1956, Sussex) ist spätestens seit der [Legende von Ash, 303 für die sie im Jahr 2000 mit dem |British Science Fiction Award| sowie dem |Sidewise Award for Alternate History| ausgezeichnet wurde, als Spezialistin für die Verschmelzung von Historie und Phantastik bekannt.

Ihre akademischen Abschlüsse in Geschichtswissenschaft des 17. Jahrhunderts (Bachelor) und Kriegswissenschaft (Master) dürften ihr bei der Recherche für ihren neuesten Roman „1610“ nur zum Vorteil gereicht haben, denn eine der schillerndsten literarischen Figuren dieser Zeit hat sie sich zum Helden auserkoren:

Valentin Rochefort, Spion, berüchtigter Duellant und oft auch gedungener Mörder. Bekannt als einer der schillerndsten Antagonisten der drei Musketiere in den Romanen von Alexandre de Dumas, wurde Rochefort auch in zahlreichen Verfilmungen vom Schurken bis hin zum stets gegen d’Artagnan verlierenden Finsterling charakterisiert.

Mary Gentle stellt Rochefort aus einer völlig neuen Sicht dar: Sie lässt ihn und auch andere Handlungsträger aus ihren fiktiven Memoiren erzählen. Rochefort präsentiert sich als ein sehr objektiver und amüsanter, sogar selbstkritischer Ich-Erzähler.

_Königsmörder wider Willen_

Rochefort wird vom Jäger zum Gejagten: Er soll im Auftrag der Königin, Maria von Medici, ein Attentat auf Heinrich IV. verüben. Weigert er sich, wird man seine Vertrauten Maignan und Santon umbringen. Doch Rochefort steckt in einem Dilemma: Als Gefolgsmann des Duc de Sully würde er damit seinen eigenen Herren, der ein gutes Verhältnis zum König pflegt, kompromittieren.

Also beschließt Rochefort, das Attentat zusammen mit dem unfähigen François de Ravaillac durchzuführen, in der festen Gewissheit, dass man diesen töten und das Attentat scheitern wird. Der Rest ist Geschichte: Das Attentat gelingt wider Erwarten, und Rochefort muss aus Frankreich fliehen – gejagt von den Agenten Maria von Medicis wegen Mitwisserschaft und offiziell als vermutlicher Beteiligter an der Ermordung des Königs. Zudem muss Sully ihn für einen Verräter halten.

Begleitet wird Rochefort auf seiner Flucht von dem jungen Duellanten Dariole, den er abgrundtief hasst; da die beiden sich in den vergangenen Tagen jedoch wiederholt für die Öffentlichkeit sichtbar getroffen haben, ist auch Darioles Leben in Gefahr. Auf der Flucht nach England retten sie an der Küste Frankreichs den gestrandeten japanischen Samurai Saburo, der dem englischen König James ein Geschenk überbringen soll.

In England angekommen, geraten die Drei unter den Einfluss des Mathematikers und Astrologen Robert Fludd. Fludd kann die Zukunft berechnen und vorhersagen, und was er sieht, gefällt ihm nicht. Rochefort versucht sich ihm zu entziehen, doch Fludd kennt alle seine Winkelzüge bereits im voraus. Er wird von Fludd erpresst, die Zukunft nach seinen Vorstellungen zu verändern: Er soll König James ermorden; nach Fludds Berechnungen kann nur Rochefort das Attentat erfolgreich ausführen und die Zukunft in die gewünschte Richtung lenken. Doch nicht nur er beherrscht diese häretische Kunst. Die Karmeliterin Schwester Caterina warnt Rochefort: Sollte er James ermorden, wird eine ihm sehr wichtige Person innerhalb eines Monats ebenfalls sterben …

_Historie mit einem Hauch Phantastik_

„1610: Der letzte Alchimist“ ist der sehr unglücklich titulierte erste Band der Übersetzung von „1610: A Sundial in a Grave“. Denn Robert Fludd ist Mathematiker und Astrologe, kein Alchemist, und wer würde einen Rochefort als Hauptperson eines Romans mit diesem Titel vermuten?

Wie bereits „Die Legende von Ash“ wurde das Buch aufgeteilt, leider hielt es |Lübbe| nicht für nötig, darauf hinzuweisen. Bis auf den relativ nutzlosen Vermerk „Teil 1 & 2“ – von wie vielen? Der Übersetzer wird weder im Buch noch auf der Homepage von Lübbe genannt; ob es sich um Rainer Schumacher wie bei „Ash“ handelt, kann man nur vermuten. Das verwundert um so mehr, da die Übersetzung nur eine Bezeichnung verdient: erstklassig. Keine Flüchtigkeits- oder Setzfehler, flüssig zu lesen und stimmig. Was nicht gerade selbstverständlich ist, denn Mary Gentle lässt Engländer, Franzosen und sogar einen japanischen Charakter mit den typischen Redewendungen ihrer Sprache um das Jahr 1610 kommunizieren.

So endet das Buch leider bereits nach der etwas langen Einführung, die jedoch keineswegs langweilig ist. Die Vorstellung Rocheforts ist sehr gelungen, auch die anderen historischen Charaktere können überzeugen, Gentles Eigenschöpfungen Dariole und Saburo geben der Geschichte Würze und Humor. Die Ansichten Saburos über die in seinen Augen ungepflegten „Gaijin“ und der Konflikt zwischen europäischer und asiatischer Kultur, insbesondere bezüglich ihrer Ehrbegriffe, die für einen zwielichtigen Charakter wie Rochefort, der durchaus seine Art von Ehre besitzt, keine Entsprechung hat, sind das Salz in der Suppe. Der Pfeffer ist eindeutig der junge Messire Dariole, der den älteren Rochefort ständig in seinem Stolz verletzt und dessen Mordgelüste weckt, aufgrund der Umstände und seiner Schlagfertigkeit aber stets mit dem Leben davonkommt und einen vor Hassliebe schäumenden Rochefort zurücklässt. Der sprechende Name charakterisiert bereits seine Figur, „Dariolet“ bedeutet im Französischen in etwa Mitwisser, Vertrauter, aber auch Zuckerwerk oder Konfekt.

Bis auf die Prophezeiungen Robert Fludds ist das Buch durch und durch historisch exakt: Die Ermordung Heinrich IV. ist tatsächlich bis heute rätselhaft, man geht von einer Mittäterschaft eines Vertrauten des Königs aus, ansonsten hätte de Ravaillac niemals den König auf offener Straße dreimal niederstechen können. Mary Gentle hat diese Affäre geschickt in die Handlung eingebunden, die so auch abseits ihrer schillernden und unterhaltsamen Charaktere mit ihrer Finesse glänzen kann. Doktor Fludd, Caterina und Rochefort haben sehr unterschiedliche Ansichten darüber, wie die Zukunft aussehen sollte, während Fludd einen starken König wünscht, will Caterina eine Zukunft ohne Adel und Könige. Rochefort ist das alles gleich, er wird erpresst und steckt in einem Dilemma; wie er sich auch entscheidet, es scheint kein gutes Ende für ihn zu geben.

_Fazit:_

Rochefort ist eine weitaus gelungenere Hauptfigur als Mary Gentles Söldnerführerin Ash. Sie schafft es, den verrufenen Duellanten amüsant und sympathisch wirken zu lassen; der Kniff, die Geschichte aus dem Blickwinkel der Memoiren des sonst als Bösewicht bekannten Rochefort zu erzählen, ist gelungen.

Die historischen Elemente sind vorzüglich recherchiert und in Szene gesetzt, deutlich über den sonst üblichen Standards historischer Romane. Das fantastische Element beschränkt sich auf die mathematischen Zukunftsprognosen Fludds, die jedoch von höchster Brisanz sind. Mary Gentle spielt hier ein historisches Was-wäre-wenn-Spiel, bei dem sie jedoch hohe Voraussetzungen an das geschichtliche Vorwissen ihrer Leser stellt. Der Nachfolger von James I. / Jakob I. war sein Sohn Charles I. / Karl I., der unter dem berüchtigten Lordprotektor Oliver Cromwell enthauptet wurde; in der Folge erklärte das Unterhaus England für eine kurze Zeitspanne zur Republik.

Doch gerade diesen Machtverlust des Königs möchte Fludd verhindern. Ein Fehler in seinen Berechnungen? Mary Gentle erklärt diesen Widerspruch dem Leser an keiner Stelle, bevor das Buch unabgeschlossen endet; auch sonst setzt sie rücksichtslos Kenntnisse der Geschichte des 17. Jahrhunderts voraus. Auch wenn eine Aufteilung der Übersetzung in mehrere Bände nicht ungewöhnlich ist, der Mangel an Informationen über den Titel des Folgebands und der fehlende Hinweis, dass dieses Buch nur einen Teil des Originals darstellt, ist unverschämt und bewusste Irreführung.

Wer über das nötige Geschichtswissen verfügt, sollte dennoch zuschlagen. Ein vergleichbar intelligentes und unterhaltsames Lesevergnügen findet man bei historischen Romanen nur selten. Mary Gentle sprengt erneut die Grenzen des Genres, diese einzigartige Mischung aus Science-Fiction und Historie scheint ihr Markenzeichen zu werden.

Blazon, Nina – Im Labyrinth der alten Könige (Woran-Saga 2)

Nina Blazons Fantasydebüt [„Im Bann des Fluchträgers“ 2350 war nicht nur der Sieger des Wolfgang-Hohlbein-Preises 2002, sondern auch der Beginn der so genannten Worantriologie. „Im Labyrinth der alten Könige“ ist der Fortsetzungsband, allerdings spielt er viele Jahre nach Ravins und Darians gefährlicher Reise nach Skaris und hat auch eine ganz andere Hauptfigur.

Der rothaarige, musikliebende Zauberlehrling Julin darf Darian Danalonn, der mittlerweile ein legendärer Zauberer ist, auf seiner Reise nach Lom, das Land der Bergwerke, begleiten. Ihre Reise gestaltet sich weniger angenehm als erwartet, denn bereits vor den Stadtmauern werden sie von einer Horde Rebellen angegriffen, die sie, wie es scheint, fangen wollen, um ein Lösegeld zu erpressen. Die Stadtwachen von Lom können das jedoch verhindern und geleiten ihre Gäste sicher in die prächtige Stadt, wo Darian zusammen mit dem Magierzirkel von Lom einen Goldmacher kennen lernen soll, der behauptet, aus Steinen Gold machen zu können. Während dieser Vorführung kommt es zu einem tragischen Zwischenfall, bei dem Darian getötet wird, und obwohl ihn die Trauer fest im Griff hat, muss Julin bald feststellen, dass irgendjemand sein Spiel mit ihm zu treiben scheint. Der tote Darian ist nichts weiter als ein freigekaufter Minensklave, das heißt, dass sein Meister noch irgendwo in Lom sein muss. Zusammen mit der Jägerin Fenja und der Halbworan Haliz – der Tochter von Ravin und Amina – macht er sich auf die nicht ungefährliche Suche, denn in den Bergwerken Loms gelten andere Regeln als in der feinen, reichen Stadt. Kaum hat Julin sich versehen, wird er unschuldig in die Sklaverei verkauft und muss untertage schwer schuften. Das ist allerdings ein Glücksfall für ihn, denn sonst hätte er das Zeichen, das Darian in die Wand eines Stollens geritzt hatte, nie gesehen …

Was Nina Blazon mit „Der Bann des Fluchträgers“ begonnen hatte, wird in diesem Buch fortgesetzt. Auch dieses Mal erschafft die Autorin eine geradlinige Handlung mit viel Spannung, die sich nicht an nutzlosen Nebenhandlungen aufhält und trotzdem enorm viel Tiefe und Platz für das Gefühlsleben ihrer Protagonisten hat. Dieses positive Gesamtbild eines absoluten Pageturners wird eigentlich nur dadurch gestört, dass die Protagonisten in Bezug auf die Handlung an einigen wenigen Stellen zu voreiligen Schlüssen neigen, die nicht so ganz nachzuvollziehen sind.

Dem Leser des ersten Bandes wird die Welt, in der das Buch spielt, noch wohlbekannt sein, auch wenn es dieses Mal in ein anderes Land geht, aber der Quereinsteiger muss sich auch keine Sorgen machen. Durch den Generationenwechsel in der Besetzung lässt sich „Im Labyrinth der alten Könige“ unabhängig vom ersten Band der Triologie lesen. Man mag sich zwar zuerst wie ein unbeachteter Gast vorkommen, wenn man in diese zauberhafte, wunderbar durchdachte Welt mit Ecken und Kanten, Gebietsspezialitäten und kaum einem der unsrigen Welt ähnlichen Tiere oder Pflanzen betritt, da es sehr oft an direkten Beschreibungen von Ranjögs und Jalafrüchten mangelt, doch dies ist normal. Bereits im ersten Buch verzichtete Blazon weitgehend auf Erläuterungen zu den von ihr erdachten Tieren und Pflanzen, so dass der Leser sich diese selbst aus dem Kontext erschließen musste. Das ist auf der einen Seite ein geschickter Schachzug, weil dadurch die Fantasie des Lesers gefordert ist, auf der anderen Seite ist es aber auch bisschen schade, weil dadurch ab und zu Fragezeichen bleiben, wo eigentlich keine sein sollten.

Keine Fragezeichen bleiben bei den Personen, denn diese sind nicht nur wunderbar ausgearbeitet, sondern auch wunderbar authentisch. Wie auch im ersten Band schafft Blazon es erneut, einen Helden zu schaffen, der eigentlich keiner ist. Den Antihelden mimt Julin allerdings auch nicht. Er ist ein ganz normaler Junge (so weit man das bei einem angehenden Magier eben sagen kann), der sich selbst nicht besonders hübsch findet und manchmal ein bisschen arrogant ist, wenn er unter Druck steht. Er ist ziemlich mutig ohne dabei zu heldenhaft zu wirken. Julin ist auffallend menschlich, was im Fantasygenre leider nicht an der Tagesordnung steht. Auch die anderen Charaktere sind sehr authentisch gelungen.

Die bereits erwähnte Geradlinigkeit der Handlung setzt sich in Blazons Schreibstil fort, der es schafft, mit wenigen, einfachen Worten ein buntes Bild zu zaubern. Die Autorin verliert nur wenige unnötige Worte und schafft es, ohne Umwege auf den Punkt zu kommen. Sie verfällt dabei nicht in diese schwülstige Fantasysprache, sondern bleibt angenehm nüchtern. Allerdings benutzt Blazon neuerdings vermehrt unkonventionelle Metaphern, die nicht immer gelungen sind. „Als er sah, wie sie mit dem Eintreiber lachte, fühlte er plötzlich, wie in ihm ein kleines gelbäugiges Tier namens Eifersucht erwachte.“ (Seite 140) ist nur eine von ein paar eher missratenen Textstellen, die zwar selten, aber trotzdem störend sind.

„Im Labyrinth der alten Könige“ ist auf jeden Fall erneut ein überdurchschnittliches Buch aus der Feder der in Stuttgart lebenden Autorin. Allerdings kommt sie an den Esprit ihres Erstlings nicht ganz heran. Kleine Schwächen in Handlung und Schreibstil, die aber nicht wirklich ins Gewicht fallen, sind schuld daran, dass das Buch an einigen Stellen eher zum Stirnrunzeln als zum Weiterlesen einlädt.

Matthews, John – Celtic Totem (Eine Reise zu den keltischen Totemtieren)

Schamanen und ihre Krafttiere umwittern seit je her fantastische Geschichten, Sagen und Märchen, die bis heute nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben. Während die Totemtiere in früheren Zeiten zum alltäglichen Leben gehörten, haben wir sie heutzutage weitestgehend aus unserer Welt verbannt. John Matthews öffnet mit seinem Buch „Celtic Totem“ das Tor zu unseren germanischen Wurzeln und schildert auf eindrückliche Weise, welchen Stellenwert die Tiere als Wegbegleiter, Ratgeber und Verbündete für unsere Vorfahren hatten.

_Über den Autor_

John Matthews lebt in Oxford und verdient seinen Lebensunterhalt als freischaffender Autor. Der frühere Bibliothekar hat einige herausragende Bücher über |König Artus|, den |Heiligen Gral| und die |keltische Mythologie| verfasst.

Seit vier Dekaden ergründet er die weltweite Geschichte des Schamanismus in Theorie und Praxis und gilt als internationaler Experte auf den Gebieten keltische Tradition und Schamanismus. Sein offener Umgang mit den verschiedensten Ausprägungen – seien es die Lehren des |Don Juan Matus| oder der Inuit, sibirische Schamanen oder die vorchristlichen Priester der Britischen Inseln – eröffnete ihm neben einem großen Wissensschatz auch interessante spirituelle Erkenntnisse. 1992 gründete er zusammen mit Felicity Wombwell und seiner Frau Caitlín die |Foundation for Inspirational and Oracular Studies| [(FiOS),]http://www.hallowquest.org.uk/fiosframe.htm die sich der Wiederbelebung der alten Traditionen verschrieben hat.

_Einführung, Geschichten und Praxis_

Der [Arun-Verlag]http://www.arun-verlag.de/ verwöhnt den geneigten Leser mit einem kleinen Schamanismus-Set, in dem neben dem Buch auch eine |Trommel-CD| und 20 |Tier-Karten| enthalten sind. So kann jeder, der sich von diesem Buch inspiriert fühlt, sogleich ans Werk gehen und seine eigene schamanische Reise antreten.

Im ersten Teil des Buches entführt John Matthews den Leser in vergangene Zeiten, und schlägt einen Bogen von den Tierhelfern, die sich in den Namen zahlreicher Stämme wiederfinden, über die „Gestaltwandlung“ der Schamanen bis hin zur sinnbildlichen Wiedergeburt und Seelenwanderung. Er stellt Geschichte und Religion unserer keltischen Vorfahren vor und führt den Leser behutsam an das Thema heran. Seine differenzierte Sichtweise und der strukturierte Aufbau lassen kaum einen Zweifel am historischen Wahrheitsgehalt seiner Ausführungen. Zudem bereichert Matthews seine Einführung mit einigen Textauszügen aus althergebrachten Geschichten.

Der zweite Teil des Buches beherbergt neun klassische keltische Erzählungen. John Matthews sieht sich in der Tradition der alten keltischen Barden und ist bemüht, den Leser mittels dieser Geschichten eigene Erfahrungen mit der Welt der keltischen Totem-Tieren machen zu lassen. Er hat sie aus den wenigen Fragmenten der alten Überlieferungen zusammengestellt und sie in eine der heutigen Zeit entsprechende Sprache übertragen, ohne die mythische, balladeske Stimmung der Erzählungen aus den Augen zu verlieren. Unter anderem finden sich dort |“Die Geschichte des Taliesin“|, in der sich der walisische Seher Taliesin mittels unterschiedlicher Verwandlungen der Verfolgung durch die Göttin Ceridwen zu entziehen sucht, wie auch |“Die Suche nach Mabon“|, eine der wohl ältesten überlieferten Geschichten aus dem Sagenkreis um König Artus. Einige der Geschichten hat Matthews um Fragmente anderer überlieferter Erzählungen erweitert, um dem Leser zum einen Sachverhalte zu verdeutlichen und andererseits Verwirrungen zu ersparen. Am Ende einer jeden Geschichte geht der Autor noch einmal kurz auf die zentralen Elemente ein und belegt etwaige Veränderungen in den Geschichten mit den dazugehörigen Quellenverweisen.

Das Buch endet mit einem kleinen Praxis-Kapitel und einer eingehenden Erläuterung der einzelnen Totem-Tiere. In diesem letzten Teil eröffnet John Matthews seinen Lesern den Weg zur eigenen schamanischen Reise, um auch in der heutigen Zeit die Kraft und das Wissen der Totem-Tiere spüren und nutzen zu können. Neben einigen Wegweisern und Tipps für eine solche Trance-Reise ist noch genug Platz für eine kurze Einführung in die Handhabung der Tier-Orakel-Karten.

_Die Trommel als Reisebegleiter_

Dem Buch liegt die CD „Schamanisches Trommeln“ von John und Caitlín Matthews bei. Sie enthält drei Trommelsequenzen (Single & Double Drumming), die den Reisenden in eine leichte Trance singen und ihn so in die Anderswelt, das eigene Unbewusste, geleiten. Die Stücke wurden mit einer |Double-headed Sea Drum| und einer |irischen Bodhran| eingespielt. Diese CD hält auch dem Vergleich mit Michael Harners „Shamanic Drumming“, dem Standardwerk für schamanische Reisen, stand.

Track 1: Einzelne Trommel (20 min)
Track 2: Zwei Trommeln (20 min)
Track 3: Einzelne Trommel (30 min)

_Auf dem Pfad des Schamanen_

John Matthews zeigt in seinem Buch, dass Schamanismus nicht immer exotisch und fern ab unserer westlichen Kultur angesiedelt sein muss. Auch in der heutigen Zeit können wir etwas von der Magie der Totemtiere in unseren Alltag einfließen lassen. „Celtic Totem“ ist weit mehr als eine der unzähligen esoterischen Veröffentlichungen zum Thema Schamanismus, es ist ein gelungener Einstieg in den |keltischen Schamanismus| und macht Lust auf mehr. Ich wünsche allen Neugierigen eine gute Reise.

|Originaltitel: Celtic Totem Animals
144 Seiten, zahlreiche Abbildungen, mit CD und 20 Orakelkarten
Format: 17,0 x 24,0 cm|

Ertner-Knittel-Vojvoda GbR / MM-Redaktion – Multi-Mania 7

|Ausgabe 7, 01/2006, Februar/März |

Mikis Wesensbitter heißt den Leser der Ausgabe 7 der |MULTI MANIA| in seinem Vorwort willkommen und verkündet gleich die erfreuliche Botschaft, dass das Magazin um sechzehn Seiten stärker geworden ist.
Der Inhalt der mir – erstmals vorliegenden – |MULTI MANIA| kann überzeugen! Das vorweg. Da ist für jeden etwas dabei: Ob Kinofreak oder Rollenspieler, ob Comicfan oder sonstig Interessierter.

Es finden sich Movie-News, DVD-News, Kolumnen, z. B über die DVD „Die kalte See“, sehr anschaulich von Mikis Wesensbitter geschildert, der hoffentlich nicht mehr mit Gipsbeinen seiner Weiblichkeiten kämpfen muss. Es folgt ein Bericht über das von Jean-Paul Salomé geschaffene filmische Meisterwerk „Arsene Lupin“ – Gentleman, Charmeur, Dieb.

Es folgen die DVD-REVIEWS/NEW ON DVD mit vielen interessanten Infos, querbeet, wie z. B. zu „Totentanz der Hexen“, „Antares – Studien der Liebe“, „Angst“, „Caprona – das vergessene Land“, „Frankenstein“, „Die eiserne Rose“, „Kind of Quenne“ (4.Staffel), Nonstop Nonsens – Box 1 (über Kultkomiker Dieter Hallervorden), „The Fantastic Four“ (Comic aus den Sechzigern über ein Superhelden-Team), „Brennen muss Salem“, „Des Teufels Saat“, „Die Kinder der Verdammten“ und vieles mehr.

In den SPECIAL AUKTIONEN wird „Filmundo.de“ vorgestellt. Wer schon lange nach seinem Lieblingsfilm auf DVD sucht oder eine besondere Karte für sein Magic-Deck, ist bei dem Internet-Auktionshaus „Filmundo“ richtig. Hier findet sich alles, was das Cineasten-Herz höher schlagen lässt: Filme, Aushangfotos, Autogramme, Bücher, Comics, Soundtracks, Computerspiele – bei „Filmundo“ bekommt man alles. MM sprach mit Sven Roddewig, dem geistigen Vater von „Filmundo“.

Als SPECIAL DVD werden „Krieg der Welten“ und „Dark Water/Dunkle Wasser“ vorgestellt, denen Verlosungen von DVDs angegliedert sind.

In SPECIAL KINO plaudert Michael Fangmann über „SAW 2“, den er als raffinierten Horror-Thriller betitelt, der nach Teil eins nicht abfällt. Auch „Capote“ findet Erwähnung, ein Film, der die sympathischen und verwerflichen Seiten des Schriftstellers Truman Capote belegt, der 1984 an den Folgen seiner Alkohol- und Tablettenabhängigkeit starb. Capotes Sucht begann mit der Arbeit an seinem 1986 erschienen Welt-Bestseller „Kaltblütig – In Cold Blood“ – genau in dieser Zeit der Nerven aufreibenden Recherche und des schwierigen Schreibens spielt „Capote“.

Es folgt Rajko Burchardts Artikel über den Film „Rothenburg“, der den Kannibalen von Rothenburg thematisch aufgreift. Ich schließe mich Burchardt an: „Diesen Film hat niemand gebraucht.“ Sven Siemen berichtet über den enttäuschenden Film „Underworld 2“, einem abgeflachten Vampirepos auf Storysuche.

In SPECIAL MUSIC werden neue akustische Werke vorgestellt: „Erdenstein“ und ihre instrumentalen Stücke, & „Amber“ (Martina Sophie Noeth), die Autorin unzähliger Publikationen für „Das Schwarze Auge“ und |Feder & Schwert|, von der nach „Bardensang“ nun „Rabenflug“ erschien.

Auch NEW GAMES finden Erwähnung. In SPECIAL GAMES stellt Sven Siemen „Dreamfall – The Longest Journey“ ausführlicher vor, das ein Adventure der Spitzenklasse zu werden scheint. Ebenso bringt er „Dark Age of Camelot – Darkness Rising“ dem Leser näher, ein Spiel, das auch nach vier Jahren noch Spaß machen soll. Auch „Tony Tough 2“, der sympathische Anti-Held, wird dargestellt. Weiter geht es mit „Heroes V“, „Castlevania – Curse of Darkness“ & „Pathologic“.

Zum Thema Technik findet der Leser noch ein SPECIAL: HARDWARE & SOFTWARE, in dieser Ausgabe „All-In-Wonder X 1900“, der derzeit leistungsstärksten Grafikkarte auf dem Markt, aber auch andere.

Im NEWS HÖRSPIELE wird auf Hörspiele wie „John Sinclair“, „Perry Rhodan“ und andere hingewiesen. In dem Zusammenhang wird in SPECIAL LABEL „Europa“ vorgestellt, die Hörspiel-Fans ein Begriff sind, mit Produktionen wie „Larry Brent“ & „Macabros“, „Sherlock Holmes“ und anderem. MM-Redakteur Oliver „Zappo“ Stichweh interviewte Dirk Eichhorn, den Chefredakteur des EUROPA-Internetauftritts. Ebenso stellt er DREAMLAND PRODUCTIONS vor.

Es folgen die interessanten REVIEWS HÖRSPIELE.

Weiter geht’s mit NEWS ANIME und SPECIAL ANIME, hier „Gilgamesh“ – Whose side are you on? Laut Martin Kreischler eine Empfehlung für alle, auf der Suche nach einem ordentlichen Mystery-Anime. Auch REVIEWS ANIME & MANGA, NEWS ROLLENSPIELE und REVIEWS ROLLENSPIELE & BRETTSPIELE halten viele Informationen zu z. B. „Samurai 7“, „Das Schwarze Auge-Würfelset“, „2. Schwarze Augen Brettspiel“, „Cthulhu-Festival Obscure Quellenbuch“ und vielem mehr bereit.

Elena Lydia Müller stellt in SPECIAL ROLLENSPIEL André Wiesler vor.

REVIEWS LITERATUR bietet auch etwas aus meiner = der schreibenden Zunft. Unter anderem Stephen Clarkes „Ein Engländer in Paris“, Frederic Neuwalds „Götterschwert“, Thomas O. Meißners „Das Paradies der Schwerter“ … In SPECIAL BUCH stellt Mikis Wesensbitter „Lesen im Reich der Mitte“ vor, sprich chinesische Literatur; gefolgt von SPECIAL COMIC, das den Comic „V wie Vendetta“ näher bringt.

Schön für den Leser ist auch die Vorstellung einiger Redakteure des MM-Teams. Es ist immer angenehm, wenn Namen auch Gesichter erhalten!

Alles in allem ist |MULTIA MANIA| ein wirklich abwechslungsreiches Magazin, das ich wärmstens empfehlen kann!

_MULTIA MANIA_
Kino/DVD/Games/Hörspiele/Rollenspiele/Anime/Comic
Einzelausgabe: 3,00
Abo (6 Hefte): 15 € (Inland)
Probeabo (3 Hefte): 6 €

_Abos und Nachbestellungen:_
Devil Inc Presseverlag
Richard-Wagner-Str. 64
66111 Saarbrücken
Fax: 0681/3907661
mailto: abo@legacy.de

_Chefredakteur:_
Sven Siemen, mailto: sven@multi-mania.net

_Redaktionsleitung / Marketing / Vertrieb:_
Alexander „eRTI“ Ertner, mailto: erti@multi-mania.net

_Lektorat:_ Diana Glöckner

_Produktionsleitung:_ Jörg Mathieu, Alexander Ertner, Sven Siemen

_Redaktionelle Mitarbeiter:_
Elina Lydia Müller (ELM), Jens Riediger (JR), Mikis Wesensbitter (MW), Ulf Imwiehe (UI), Daniel Harnoß (DH), Yazid Benfeghul (YB), Simon Dümpelmann (SD), Sebastian Hirschmann (SH), Rouven Dorn (RD), Philipp von dem Knesebeck (PVK), Michael Fangmann (MF), Björn Backes (BB), Michael Hempel (MH), Andreas Peter (AP), David Ivanov (DI), Jörg Mathieu (JM), Martin Kreischer (MK), Sven Siemen (SVS), Olaf Brinkmann (OB), Alexander Ertner (AE), Florian „Zosse“ Zastrau (ZOS), Oliver „Zappo“ Stichweh (ZAP), Martin Lips (MAL), Kai-Uwe Sander (KUS), Henri Kramer (HK), Patric Knittel (PK), Ruben Heim (RH), Björn Thorsten Jaschinski (BTJ), Julia Stichweh (JST), Jan Stetter (JS), Jan „Karli“ Schaarschmidt (Karli), Christian Bartsch (CB), Dorothea Gallien (DOG); Diana Glöckner (DG), Daniel Pereé (DP), Dennis Pelzer (DEP), Holger Bals (HB), Christian Hubert (CH), Michael Kulüke (MIK), Dorothea Gallien (DOG)

_Design:_ Jörg Mathieu, mailto: layout-devil@legacy.de

_Anzeigenleitung_
Mario Vojvoda
Tel. 0178/8745473
Fax. 0681/3907660
mailto: anzeigen@multi-mania.net

http://www.multi-mania.net

Frank Beddor – Das Spiegellabyrinth

Der britische Autor Lewis Carroll schuf mit „Alice im Wunderland“ (1865) und dem Nachfolger „Alice hinter den Spiegeln“ (1871) zwei heute als Klassiker geltende Werke der Kinder- und Jugendliteratur. Auch jenseits dieser Alterklasse erfreuten und erfreuen sich diese Bücher großer Beliebtheit. Dies liegt vor allem an der fantasievollen Gestaltung des Wunderlands und seiner „Bewohner“. Mathematische Logik scheint in dieser Welt nicht zu existieren, weshalb es dort vor Absurditäten und Ungereimtheiten nur so wimmelt. So lieferten die Romane sowohl Gesprächsstoff für Intellektuellen-Diskussionsrunden, die sich gegenseitig naturwissenschaftliche Formeln um die Ohren hauen konnten, um zu beweisen, dass dieses oder jenes Ereignis der Handlung nicht möglich ist, als auch für jüngere Leser, die sich einfach nur über die lustigen Charaktere und deren Verwandlungen und Veränderungen austauschen konnten.

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Rainer M. Schröder – Das geheime Wissen des Alchimisten

Köln im Oktober 1705: Die fünfzehnjährige Johanna hat ein hartes Leben. Nach dem Unfalltod ihres Vaters vor sieben Jahren hat ihre Mutter aus Angst vor Armut den Irrenhausbesitzer Heinrich Hackenbroich geheiratet. Der brutale Stiefvater führt dort ein strenges Regiment und behandelt Johanna nicht besser als eine Magd; ihre Mutter ertränkt ihren Kummer im Alkohol. Zudem muss Johanna sich vor den ständigen Übergriffen seines jungen Gehilfen Frieder erwehren.

Eines Abends geschieht etwas, das ihr bisheriges Leben auf den Kopf stellt: Ein schwer verletzter Mann auf der Flucht vor Verfolgern bittet sie um ihre Hilfe und verspricht ihr, sie dafür reichlich zu entlohnen. Zögernd versteckt Johanna den Fremden auf ihrem Wagen. Der Verfolger entpuppt sich als vornehmer Mann mit einer grässlichen Entstellung auf einer Gesichtsseite. Johanna lockt ihn und seine Begleiter auf eine falsche Fährte. Anschließend bringt sie den Fremden zu sich nach Hause.

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Parzzival, S.H.A. – Gefühlsjäger (Titan-Sternenabenteuer 24)

Nun, die Begründung für den erneuten Wechsel des Veröffentlichungsrhythmus der „Titan“-Romane kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Hier wird angegeben, dass in Zeiten von Hartz IV in Deutschland nicht mehr so viel Geld für die neulich unter dem Banner Social-Fiction firmierenden Sternenabenteuer übrig ist, weshalb die Bücher statt monatlich nur noch jeden zweiten Monat auf den Markt kommen. Das Komische hieran ist nämlich, dass die Seitenzahl seitdem ebenfalls sehr gekürzt wurde, so dass es die reine Netto-Story im aktuellen Band „Gefühlsjäger“ nicht mal mehr auf 140 Seiten bringt. Wie wäre es denn gewesen, wenn man die letzten beiden Romane in einem Buch zusammengefasst hätte? Schließlich gibt es vom BLITZ-Verlag auch andere Bücher, die bei gut doppelt so großem Seitenumfang ebenfalls für 9,99 € angeboten werden können … Nun ja, äußerst schwammig, diese seltsame Erklärung – gerade wenn man bedenkt, dass der neue Handlungs-Ableger in den letzten beiden Bänden nicht wirklich der Renner war. Aber gut, auf der anderen Seite hat „Gefühlsjäger“ trotz des merkwürdigen Beigeschmacks auch wieder ein Gutes: Die Geschichte wird wieder auf einen vernünftigen Kurs gebracht, und die Autoren (dieses Mal erneut der beim letzten Mal gescheiterte S.H.A. Parzzival) besinnen sich wieder vermehrt der ursprünglichen Science-Fiction-Basis. Recht so!

_Story_

Michael Moses gerät nach dem Zerfall seiner Metropole Germania weiter unter Beschuss; die Ökoterroristen haben eine monströse Killerkrake auf die Malediveninsel, auf der sich sein derzeitiges Domizil befindet, gehetzt, und diese kann erst im letzten Moment von Moses‘ Helfershelfern (darunter auch die „Titan“-Crewmitglieder Anaka Tagawa und Cyberjohn Five) unschädlich gemacht werden. Doch bei den beiden Abgesandten der CRC-Flotte macht sich mehr und mehr Skepsis breit: Irgendetwas auf dieser Insel geht nicht mit rechten Dingen zu. Da ist es ihnen nur recht, dass sie Moses in die Werft der CRC begleiten dürfen und diesem mysteriösen Platz entfliehen können.

Im M-13-Sektor sucht derweil ein anderes Schiff der CRC nach neuen Energiestoffen für die Erde. Dabei gerät der Weltraumkreuzer in die Fänge eines seltsamen Alien-Volkes, das bei seinem Angriff auch sofort in die Gehirne der Besatzungsmitglieder eindringt. Die fremden Wesen stellen sich per Gedankenaustausch als das Volk der Cadschiden vor und geben an, auf die Ankunft des Lariod zu warten, der ihre Seele mit den einst verloren gegangenen Gefühlen füttern soll. Doch die friedliche Atmosphäre, die der Crew der „Wallenstein“ von den Cadschiden entgegengebracht wird, währt nur kurze Zeit.

Auf eigene Faust nutzen Kommandant Sebastian, Navigator David und die von beiden verehrte Dame an Bord, Ceccyl, ihre auf Cadschid gewährten Freiräume und entdecken dabei die Schattenseiten des fremden Volkes. Auch mit den Emorebs, einer Randgruppe der Cadschiden, die in begrenztem Rahmen Gefühle empfangen kann, macht das Trio Bekanntschaft und gerät dabei immer tiefer in die wirren Verstrickungen um die außergewöhnliche Rasse mit den Zyklopenaugen. Für Sebastian und seine Mannschaft stellt sich von Minute zu Minute hartnäckiger die Frage, welche Funktion sie als Vertretung der menschlichen Rasse auf Cadschid erledigen sollen bzw. wie sie die Ankunft des Laroid erwirken können. Deshalb holen sie sich Hilfe beim eigenen Volk und beordern ein Schiff der Space-Police nach Cadschid.

Von da an nimmt das Unglück seinen Lauf; plötzlich nämlich haben die einäugigen Aliens eine Möglichkeit gefunden, die Gefühle der Menschen anzuzapfen, und trotz Anwesenheit der Rechtshüter der Weltraumpolizei droht die Lage auf dem fremden Planeten zu eskalieren. Werden die Raumfahrer mit der „Wallenstein“ rechtzeitig aus der Gefangenschaft fliehen und die Erde vor der Bedrohung durch die Gefühlsjäger schützen können?

_Meine Meinung_

Im Grunde genommen ist „Gefühlsjäger“ ein fast schon eigenständiger Roman, der abgesehen von der einleitenden Geschichte als Auftakt einer neuen Reihe für sich alleine stehen könnte. Das Hintergrundwissen um die Ereignisse in Germania ist (zunächst mal) kaum noch von Belang, und die kurze Abhandlung über die weiteren Geschehnisse um den World-Market-Chef Michael Moses wirkt diesbezüglich auch ein wenig aufgesetzt, damit zumindest ein geringer Zusammenhang vom letzlich noch thematisierten Anschlag der Ökoterroristen erkennbar ist.

Statt an dieser Stelle fortzusetzen, widmet sich S.H.A. Parzzival hier einem gänzlich neuen Volk, komplett neuen Helden und Gott sei Dank auch wieder dem Leben im Weltraum, das, begünstigt durch die endlich wieder feinstens ausgeklügelte Handlung, um einiges spannender ist als die billige Erotik in „Germania“ und dessen Vorgängerband. Auffällig ist hierbei der überaus philosophische Unterton, den der Autor in den Diskussionen über die verlorenen Gefühle der Cadschiden mit einbringt. Solche Ansätze sind deutlich interessanter als die nicht bis ans Ende durchdachte Planung der Stadt aus dem Dritten Reich. Doch auch sonst wirkt die neue Geschichte in allen Belangen frischer und lebhafter. Der Aufbau eines Mysteriums gelingt Parzzival beispielsweise bei der Beschreibung der fremden Alien-Rasse weitaus besser als noch bei der Erörterung der schlimmen Naturkatastrophe rund um Germania. Aber auch die in „Gefühlsjäger“ eingeführten neuen Charaktere bringen spürbar Leben in die Serie. Daher liegt auch ständig das Gefühl in der Luft, dass S.H.A. Parzzival mit diesem ziemlich kurzen Roman so gerade noch einmal die Kurve bekommen hat, nachdem ihm die Story noch im letzten Buch zu entgleiten drohte.

Wenn es nach mir ginge, könnte man jetzt auch gerne wieder das Social-Fiction-Banner aus den neuen Sternenabenteuern der „Titan“ entfernen, denn wie sich hier klar herausstellt, ist die Rückkehr zu den Ursprüngen weitaus interessanter als die unglaubwürdigen zwischenmenschlichen Episoden aus den letzten Büchern. In diesem Sinne ist „Gefühlsjäger“ dementsprechend auch ein echter Fortschritt in die richtige Richtung. Jetzt muss es dem um „Perry Rhodan“-Schreiber Horst Hoffmann verstärkten „Titan“-Team nur noch gelingen, die einzelnen Stränge zusammenzufügen und einen logischen Zusammenhang zwischen den ungeklärten Ereignissen um Shylan Shans Geliebte Monja, den Befall der Ökoterroristen, Michael Moses‘ verschwiegene Geheimnisse und das Volk der Cadschiden, das sich gerade auf den Weg nach Terra begeben hat, herzustellen. Aber ehrlich gesagt: Wenn der Autor des bereits unter dem Titel „Himbeertod“ angekündigte 25. Teils Ähnliches vollbringt wie in „Gefühlsjäger“, dann darf man von „Titan“ trotz der zuletzt noch sehr starken Skepsis in Bälde noch so einiges erwarten. Lediglich der fade Beigeschmack, oder soll ich besser sagen: die etwas verwegene Erklärung in Bezug auf die eingangs erwähnte neue Terminfestlegung und Preispolitik bleibt am Ende bestehen.

http://www.blitz-verlag.de/

Funke, Cornelia – Herr der Diebe – Das Hörspiel zum Film

Wer Kinder hat oder gute Kindergeschichten mag, kennt sie: Cornelia Funke gehört in Deutschland schon seit Jahren zu den erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Doch der internationale Durchbruch gelang ihr erst mit ihrem fantastischen Kinderroman „Herr der Diebe“, dem sogar eine international produzierte Verfilmung zuteil wurde, welche seit Januar 2006 in den deutschen Kinos zu sehen ist.

Nachdem es bereits eine Lesefassung des Buchs gab, wurde pünktlich zum Filmstart ein Originalhörspiel mit den deutschen Synchronsprechern veröffentlicht. Appetitlich gekürzt auf 2 CDs, die man locker an einem Abend oder einem verregneten Nachmittag hören kann, ist dieses Hörbuch ein echter akustischer Leckerbissen für die ganze Familie.

_Die Story_

Vor der zauberhaften Kulisse Venedigs spielt das Abenteuer der beiden Brüder Prosper und Bo. Die beiden haben kürzlich ihre Mutter verloren, welche sie allein aufgezogen hat, und während der kleine, niedliche Bo von seiner Tante Esther Hartlieb adoptiert werden soll, wird der nicht mehr so kleine und weniger pflegeleichte Prosper ins Waisenhaus abgeschoben. Das lassen sich die beiden Brüder natürlich nicht gefallen.

Prosper flieht aus dem Waisenhaus und büxt gemeinsam mit Bo nach Venedig aus. Die Lagunenstadt, von der ihre Mutter ihnen so oft vorgeschwärmt hat – da zieht es sie hin. Sie schlagen sich mit Betteln und Stehlen mehr schlecht als recht durch, doch schon bald begegnen die beiden Scipio, dem mysteriösen Herrn der Diebe. Er ist der Anführer einer Jugendbande von Waisenkindern. Niemand kennt seine wahre Identität, doch er ist eine Art Lagunen-Robin-Hood, der sich zugleich um die Waisenkinder kümmert und ihnen ein Dach über dem Kopf gewährt: das „Sternenversteck“, ein altes, leer stehendes Kino.

Doch Bo und Prosper müssen sich nicht nur wie alle Bandenkinder vor den Carabinieri in Acht nehmen. Tante Esther hat den Privatdetektiv Viktor Getz auf sie angesetzt, und der bekommt ziemlich bald mehr über den Herrn der Diebe heraus, als den Kindern lieb ist. Zudem ist noch der dummdreiste Hehler Barbarossa hinter den Kindern her, denn der wittert ein Riesengeschäft, als er vom neuesten Auftrag des Herrn der Diebe Wind bekommt. Zum magisch-realistischen Showdown werden die Kinder auf eine versteckte Laguneninsel gelockt, deren Geheimnis erst ganz am Ende gelüftet wird. Zum Glück stellt sich heraus, dass Viktor und seine Freundin Ida eigentlich gar nicht so übel sind. Schon bald helfen sie den Kindern, wo sie können und alles läuft auf ein Happy-End hinaus … aber hören müsst ihr das schon selbst.

_Bewertung_

Obwohl am Ende ein wenig „Zauberei“ in die Geschichte hineinspielt, ist „Herr der Diebe“ eigentlich eher eine sehr realistische Abenteuergeschichte als ein Fantasyroman. Zwar verdiente sich „die Funke“ mit diesem Buch den Beinamen „die deutsche Rowling“, jedoch: Der Vergleich mit Harry Potter hinkt gewaltig. Für magische Momente sorgt natürlich immer wieder die zauberhafte Kulisse, welche Kindern wie Erwachsenen wirklich Lust auf einen Venedig-Besuch machen kann.

So weit ich mich an die schon einige Jahre zurückliegende Lektüre des Buchs erinnern kann, ist diese Hörspiel-zum-Film-Fassung sehr nah dran an der literarischen Vorlage. Selbst den Wortlaut mancher Dialoge glaubte ich wiederzuerkennen. Für mich ist es eine der besten Kindergeschichten, die in den letzten Jahren überhaupt erschienen sind, und beinahe schon ein moderner Klassiker. Oder besser: ein zeitloser Klassiker.

_Das Hörspiel_

Es gibt nur wenige Hörspiele, die eine solch ruhige, unaufgeregte Atmosphäre verbreiten, jedoch gleichzeitig so atemlos spannend inszeniert sind. Die Spannung, will ich damit sagen, rührt nicht von hektischen Geräuschen her und auch nicht von nervenzerfetzender Musik, sondern vorrangig von der Handlung, die ohnehin schon spannend genug ist und billige Effekte nicht nötig hat. Schon mal ein Pluspunkt.

Muss man nun den Film gesehen haben, um dem Hörspiel folgen zu können? Nein, die Inszenierung steht für sich. Sie lebt von der wunderbaren sonoren Stimme von Bernd Stephan, dem Erzähler. Der 1943 geborene Schauspieler ist – wen wundert’s – nicht nur auf Bühne und Leinwand zu sehen, sondern vor allem als Synchronsprecher zu hören. Er lieh u. a. John Cleese seine Stimme. Man könnte ihm mühelos stundenlang zuhören – mehr noch, man kann überhaupt nicht weghören. Doch nicht allein Bernd Stephan brilliert hier. Sämtliche Kinderstimmen wurden hervorragend ausgewählt, und durch die kluge Inszenierung kann man sie auch ohne Schwierigkeiten auseinander halten.

Während das Buch zum Selberlesen ab etwa 10 Jahren geeignet ist, können der Hörspielfassung nach meiner Einschätzung durchaus auch schon jüngere Kinder folgen, sofern sie länger konzentriert zuhören mögen. Da die Geschichte selbst zwar aufregend, aber kindgerecht und vor allem absolut gewaltfrei ist, würde ich sagen, etwa ab 6 bis 7 Jahren aufwärts. Überhaupt ist das Hörspiel etwas für die ganze Familie, für Kinder und Kindsköpfe jeden Alters, die sich vielleicht schon lange nicht mehr haben gefangen nehmen lassen von einem Schauspiel, welches sich sehr sinnlich über das Ohr in Herz und Hirn schleicht.

Der „Herr der Diebe“ ist eine prima Einstiegsdroge für das Medium Hörbuch und zugleich liefert es den Beweis, dass solche Adaptionen einem Buch eine ganz eigene Qualität verleihen können. Einen Zauber, der sicher auch einigen Lust machen wird, mal das Buch in die Hand zu nehmen. Obwohl es ein Hörspiel zum Film zum Buch ist, hier wird es mit seinen wohldosierten Erzählpassagen durchaus auch seiner literarischen Vorlage gerecht.

Äußerst erwähnenswert ist auch die hervorragende Hintergrund- und Begleitmusik des London Symphony Orchestra. Eher suggestiv und äußerst sparsam, aber wirkungsvoll instrumentiert, unterstreicht sie den geheimnisvollen, leicht melancholischen Charakter der Geschichte um Prosper und Bo.

Hörproben finden sich unter http://www.jumboverlag.de.