Archiv der Kategorie: Rezensionen

Finder, Joseph – Auf höchsten Befehl

Claire, eine erfolgreiche Anwältin, unterrichtet in Harvard, ist seit drei Jahren glücklich mit Tom Chapmann in zweiter Ehe verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter. Eines Tages bricht ihr idyllisches Leben jäh auseinander: Bei einem gemeinsamen Einkaufsbummel verhaften FBI-Agenten ihren Ehemann Tom. Nach kurzer, dramatischer Flucht wird er erneut gefasst und inhaftiert. Claire erfährt, dass sein richtiger Name Ronald Kubik lautet. Vor mehr als dreizehn Jahren soll er als Mitglied einer militärischen Spezialeinheit ohne Einsatzbefehl ein Massaker in einem mittelamerikanischen Dorf angerichtet haben. Dank einer neuen Identität und mehreren Gesichtsoperationen gelang ihm die Flucht, bis er jetzt durch einen Zufall überführt werden konnte.

Tom bestätigt Claire seine Vergangenheit als militärischer Undercover-Agent. Er beteuert jedoch, an dem Massaker unschuldig zu sein. Laut seiner Version nutzt ihn die Army als Sündenbock, um einen Schuldigen für das grausame Verbrechen zu haben und seinen damaligen Vorgesetzten zu schützen.

Claire weiß nicht, was sie glauben soll. Ist ihr Mann, der ihr sein früheres Leben bis eben verschwiegen hat, tatsächlich ein kaltblütiger Killer? Oder hat er Recht und Tom ist Opfer einer perfiden Intrige, in die höchste Militärkreise verwickelt sind? Trotz ihrer Zweifel übernimmt Claire Toms Verteidigung. Gemeinsam mit dem schwarzen Ex-Militäranwalt Grimes und dem unerfahrenen, aber engagierten Pflichtverteidiger der Army Terry Embry versucht sie alles, um die Unschuld ihres Mannes zu beweisen. Dabei scheint ein Sieg fast aussichtslos: Alle möglichen Zeugen für Toms Version sind untergetaucht oder verstorben, Claires Haus wird von Wanzen überwacht und sogar vor einem Mordanschlag schrecken ihre Gegner nicht zurück …

Unschuld oder Verschwörung, was steckt wirklich hinter Toms Vergangenheit? Nicht nur seine Ehefrau Claire wird auf eine rasante Jagd nach der Wahrheit geschickt, auch der Leser muss sich immer wieder fragen, wessen Seite er Glauben schenkt …

|Gefühlsmäßige Achterbahnfahrt|

Da ist zum einen der sympathische Tom, mit dem Claire bis vor kurzem eine unbeschwerte und glückliche Ehe führte und der sich rührend um seine Stieftochter Annie kümmerte. Und zum anderen gibt es die ungeheuerlichen Vorwürfe, die aus Tom einen abgebrühten Mörder machen. Claire scheint es unglaublich, dass der liebevolle Mann an ihrer Seite zu so einer Tat fähig sein sollte. Andererseits hat er jahrelang seine wahre Identität verschwiegen – warum sollte sie ihm jetzt glauben können? Es scheint keine Möglichkeit zu geben, sich entgültig Klarheit zu verschaffen. So wird beispielsweise ein Lügendetektortest zu Hilfe gezogen. Doch kaum ist das Ergebnis da, hat die Gegenseite einen Sachverständigen parat, der bestätigt, dass Tom alias Ronald im Verlauf seiner Ausbildung auf das Manipulieren eines solchen Testes trainiert wurde.

So hin- und hergerissen wie sich die Hauptfigur präsentiert, empfindet auch der Leser. Dadurch wird unweigerlich eine hohe Spannung aufgebaut, denn jedes Ende scheint denkbar. Der Autor geizt auch nicht mit überraschenden Wendungen, die den Prozess immer wieder in verschiedenen Richtungen kippen lassen.

Allerdings übertreibt Finder es vor allem gegen Ende ein wenig mit dieser Wechselhaftigkeit. Es hat den Anschein, als habe er sich immer wieder selber übertrumpfen wollen mit einer noch spektakuläreren Enthüllung. Mal sind es neue Details aus Toms Vergangenheit und mal schmutzige Lügen von der Gegnerseite. Unverhoffte Zeugen tauchen auf, andere ebenso unverhofft unter und auch das Gericht spart nicht an unberechenbaren Bestimmungen. Und natürlich fehlt auch nicht der unvermeidliche anonyme Informant, der Claire mit nächtlichen Anrufen aus dem Schlaf reißt. Auf den letzten Seiten überschlagen sich die Ereignisse dann wie erwartet mit einer derartigen Heftigkeit, dass hier die Geduld des Lesers arg auf die Probe gestellt wird. Versöhnlich ist dafür, dass der Schluss ins Gesamtkonzept passt und nicht mit einem ärgerlichen Deus ex machina, sprich einer völlig aus der Luft gegriffenen Lösung, aufwartet. Im Gegenteil: Trotz aller Wendungen tritt am Ende doch die Pointe ein, die dem Leser insgesamt am wahrscheinlichsten erscheint und immer schon erschien.

|Stärken und Schwächen in den Figuren|

Die Stärken in den Charakterisierungen der Hauptfiguren liegen eindeutig in der Sympathie, die der Leser für sie empfindet. Claire erscheint als starke Persönlichkeit, deren Leben von einer Sekunde auf die andere aus den Fugen gerissen wird. Verzweifelt muss sie mitansehen, wie ihrem Mann entweder eine lebenslange Haft oder sogar die Todesstrafe droht, wenn es ihr nicht gelingt, seine Unschuld zu beweisen. Allein ihr zuliebe wünscht man dem Roman einen guten Ausgang und einen Beweis für Toms Unschuld. Allerdings geht ihre Stärke auch mit mangelndem Realismus einher. Trotz dieser Katastrophe gestattet sich Claire keinen Zusammenbruch, wie es wohl bei so ziemlich jeder anderen Frau der Fall wäre. Das gilt vor allem für den Anfang der Geschichte, als Tom noch vor dem FBI auf der Flucht ist und Claire trotz ihrer Unsicherheit, ob er überhaupt noch lebt, ihr normales Leben so gut es geht aufrechterhält.

|Humor ist, wenn man trotzdem lacht|

Humorvolle Dialoge sind normalerweise ein Gewinn für jeden Roman. Angesichts der dramatischen Lage der Figuren ist es hier jedoch eher unangebracht, dass sie sich trotz allem immer wieder ironische Bemerkungen erlauben. Spitzenreiter in dieser Beziehung ist Claires Co-Anwalt Charles Grimes, der den Zynismus für sich gepachtet hat. Sein Gerechtigkeitssinn und sein Sarkasmus machen ihn zwar einerseits zu einem sympathischen Charakter. Andererseits erscheint es doch unrealistisch, wenn er sich sogar unmittelbar nach dem Lügendetektortest seines Mandanten zu einem witzig gemeinten „Nun? Ist er ein verlogener Schweinehund?“ gegenüber dem Gutachter hinreißen lässt. Egal wie ernst die Lage gerade ist, Grimes lässt keine Gelegenheit zu einem schlechten Scherz aus und stellt damit manchmal nicht nur die Geduld seiner Kollegen, sondern auch die des Lesers auf die Probe.

|Nicht nur für Experten|

Sehr angenehm bei diesem Roman ist, dass man keine besonderen Vorkenntnisse in Sachen Justiz oder Army benötigt, um der Handlung folgen zu können. Die nicht übermäßig zahlreichen Fachausdrücke werden erklärt. Claire ist zwar eine brillante Anwältin, aber kein Spezialist auf militärischem Gebiet, so dass ihr Co-Anwalt ihr mit Hinweisen und Erklärungen zur Seite stehen muss. Geschickterweise werden dadurch sowohl Claire als auch dem Leser die nötigen Informationen über das System vermittelt.

Auch die Sprache ist einfach zu lesen und stellt keine besonderen Anforderungen an den Leser. Trotz gewisser Mängel ergibt sich unterm Strich eine unterhaltsame Lektüre für Fans von Justiz- und Militärthrillern. Wer sich bei Filmen wie „Im Namen der Ehre“ und Autoren wie John Grisham und David Baldacci gut aufgehoben fühlt, der wird auch mit „Auf höchsten Befehl“ gut bedient sein.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer und vor allem im Mittelteil fesselnder Thriller über Wahrheit und Verschwörungen in der Army. Der Gesamteindruck wird durch ein paar übertriebene Wendungen, vor allem gegen Schluss, ein wenig getrübt. Dennoch empfiehlt sich dieser leicht zu lesende Roman vor allem für Freunde von Spannungsliteratur à la Grisham oder Baldacci.

_Joseph Finder_ wurde 1958 in Chicago geboren und lebte mehrere Jahre in Afghanistan und auf den Philippinen. Nach seinem Studium in Harvard und Yale dozierte er am Russian Research Center von Harvard. Als Journalist schrieb er für die großen amerikanischen Zeitungen. Seine Spezialgebiete sind russische und internationale Politik und Geheimdienste. Weitere Werke sind u. a.: „Goldjunge“, „Die Moskau-Connection“, „Jobkiller“ und „Die Stunde des Zorns“.

Craig Russell – Blutadler [Jan Fabel 1]

Kommissar Jan Fabel jagt in Hamburg einen Serienmörder, Kein irrer, sondern ein gut organisierter Mann Killer begeht diese Taten, die möglicherweise einen erbitterten Bandenkrieg begleiten, der um die Herrschaft im Rotlichtmilieu der Hansestadt tobt … – Der Auftaktband einer neuen Krimiserie entpuppt sich als Designer-Krimi, der mit allen einschlägigen Bestseller-Elementen bestückt wurde. Splatter-Morde, Terroristen, Mafiosi, Neonazis und Neo-Wikinger addieren sich zu einem schneckenlahmen, pseudoliterarisch gestelzten Machwerk, das immerhin durch eine Fülle missglückter Aphorismen amüsieren kann.
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Kem Nunn – Giganten – Wo Legenden sterben

„Surf-Roman“ – so manch einen dürfte schon allein die Bezeichnung an sich mehr als abschrecken, malt man sich doch als unbedarfter Leser beim Klang dieses Begriffs in seiner Phantasie vermutlich Bilder von sonnengebräunten Mädels im Bikini und muskulösen Jungs mit Surfbrettern unterm Arm aus. Dazu ein sonnenbeschienener Strand irgendwo in Kalifornien, eine sanfte Briese und im Hintergrund leises Gedudel von den Beach Boys – fertig ist das Klischee. Und ehe man sich versieht, ist man auch schon ganz zielstrebig an all dem vorbeigerauscht, was den so genannten Surf-Roman „Giganten – Wo Legenden sterben“ von Kem Nunn ausmacht.

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Bollhöfener, Klaus (Red.) / Havemann, Achim (Hrsg.) – phantastisch! 21

_COVER_
Gabriele Scharf

_INTERVIEWS_
|Dirk van den Boom / Carsten Kuhr|: Interview mit Lois McMaster Bujold
|Thomas Harbach|: Interview mit Rainer Erler
|Thomas Harbach|: Interview mit Spider Robinson
|Nicole Rensmann|: Interview mit Christoph Marzi

_BÜCHER UND AUTOREN_
|Andreas Eschbach|: Der Autor und sein Notizbuch – Werkstattnotizen Teil 6
|Ulrich Blode|: Ein Reisender im Kosmos: Der Autor Pierre Bordage
|Horst Illmer / Matita Leng|: Wetzlar – Die Stadt der träumenden Bücher
|Klaus N. Frick|: Zweimal Zaubermond
|Achim Schnurrer|: Meister der phantastischen Literatur: Leo Perutz – Teil 1
|Thomas Harbach|: Trash and Treasury

_PHANTASTISCH! UPDATE_
Phantastische Nachrichten zusammengestellt von Horst Illmer

_REZENSIONEN_
|Horst Illmer|: Charles Stross: „Supernova“
|Carsten Lührs|: Helmuth W. Mommers (Hrsg.): „Die Legende von Eden und andere Visionen“
|Matita Leng|: Bernd Ulbrich: „Flam oder Diesseits und Jenseits“
|Andeas Wolf|: Markus K. Korb: „Nachts … Unheimliche Erzählungen vom zerfaserten Rand der Wirklichkeit“
|Horst Illmer|: Ian R. MacLeod: „Aether“
|Doris Dreßler|: Volker Strübing: „Das Paradies am Rande der Stadt“
|Carsten Kuhr|: Theodore Roszak: „Schattenlichter“
|Horst Illmer|: Wolfgang Jeschke: „Das Cusanus-Spiel“
|Tobias Schäfer|: Andreas Brandhorst: „Der Zeitkrieg“

_STORY_
|Ljubow Lukina / Jewgeni Lukin|: Der Todesplanet
|Michael Tillmann|: Kratzer auf der Wand

_COMIC_
|Olaf Funke|: Uli Oesterle: Der alltägliche Wahnsinn in München

_WISSENSCHAFT_
|Götz Roderer|: Ursprünge

Phantastisch! No. 21 kommt gewohnt informativ und abwechslungsreich daher, wie die oben stehende Inhaltsangabe schon darlegt. Man sollte über ein Mag nie zu viel preisgeben, denn es soll ja gelesen werden. Phantastisch! hat es mehr als verdient.

Klaus Bollhöfener, Chefredakteur, gibt in seinem Vorwort bekannt, dass Jan Gardemann, der bisherige Spartenredakteur der Rubrik „Stories“ seine Aufgabe nicht mehr wahrnehmen kann und diese an Gabriele Scharf weitergibt, die auch das Covermotiv der vorliegenden Ausgabe gestaltet hat.

Die Ausgabe 21 startet mit dem „UPDATE – Nachrichten und Neuerscheinungen“, das über neue (Hör)-Bücher informiert, aber auch über „SF und Fantasy in den Medien“, der Frage „Was macht eigentlich _Bernd Ulbrich_?“ nachgeht, der nach einer elfjährigen VÖ-Pause im Sommer 2005 mit dem herausragenden Roman |Flam oder Diesseits und Jenseits| endlich wieder auf den Buchmarkt zurückkehrte, und mit einem „Nachruf“ über den am 20.09.2005 verstorbenen SF-Autor _Charles L. Harness_.

_Andreas Eschbach_ gewährt zum sechsten Mal ein Einblick in sein |Notizbuch|, der sowohl für Jungautoren lehrreich als auch für Leser interessant ist; gefolgt von einem Bericht über die „Wetzlaer Tage der Phantastik“, einer Veranstaltung, die beinahe ein Muss für jeden an phantastischer Literatur Interessierten ist.

Dirk van den Boom und Carsten Kuhr führten ein Interview mit _Lois McMaster Bujold_, der bekanntesten und produktivsten Fantasyautorin des US-amerikanischen Buchmarktes, die ihre Karriere Mitte der 80er Jahre begann und mehrfach den NEBULA- wie auch den HUGO-Award gewann.

Thomas Harbach befragte das Multitalent _Rainer Erler_ – Autor, Regisseur und Produzent –, dessen Texte man unlängst in der von Helmuth W. Mommers herausgegebenen SF-Reihe VISIONEN im Shayol Verlag lesen konnte, und _Spider Robinson_, dessen Frau Teilnehmerin am „Civilians in Space“-Programm der NASA und seine Co-Autorin bei den |Stardance|-Romanen war. Thomas Harbachs Kolumne „Trash & Treasury“ befasst sich dann in Folge mit den Romanen Spider Robinsons.

_Christoph Marzi_, dessen Vorbild Charles Dickens ist und der an einem wirtschaftswissenschaftlichen Gymnasium unterrichtet, wurde von Nicole Rensmann zu seinem Werdegang und seinen Heyne-Romanen |Lycidas| und |Lilith| interviewt. Auch _Pierre Bordage_, der zur Zeit erfolgreichste SF-Autor Frankreichs, wird vorgestellt. Olaf Funke indessen sprach mit dem mehrfach preisgekrönten deutschen Comicautor _Uli Oesterle_.

Achim Schnurrer erstellte für die Rubrik „Meister der phantastischen Literatur“ den ersten Teil eines Portraits über den in der Literaturwissenschaft stets umstrittenen _Leo Perutz_.

Auf dem Story-Sektor unterhält Michael Tillmann mit seiner Kurzgeschichte |Kratzer auf der Wand|. Es folgt ein Bericht von Klaus N. Frick über zwei Serien, die im Programm des Zaubermond-Verlages zu finden sind: MADDRAX und PROFESSOR ZAMORRA.

Abgerundet wird diese Ausgabe des unterhaltsamen Mags mit einem Bericht über Ursprünge von Götz Roderer in der Rubrik „Wissenschaft“ … doch „phantastisch!“ 21 bietet noch mehr … und ist rundum empfehlenswert!

phantastisch! 21
neues aus anderen welten
Ausgabe 1/2006
4,50 €
Vierfarbcover, 68 Seiten
Verlag Achim Havemann
ISSN 1616-8437
http://www.phantastisch.net

Barclay, James – Elfenmagier (Die Chroniken des Raben 6)

Band 1: [„Zauberbann“ 892
Band 2: [„Drachenschwur“ 909
Band 3: [„Schattenpfad“ 1386
Band 4: [„Himmelsriss“ 1815
Band 5: [„Nachtkind“ 1982

Mit sehr viel Freude, gleichzeitig aber auch einigen Tränen ob des Endes dieser fantastischen Fantasy-Reihe, habe ich diesem Moment entgegengeblickt. Endlich ist der letzte Band der „Chroniken des Raben“ auf den Markt gekommen und die wiederum dreimonatige Durststrecke seit dem letzten Buch „Nachtkind“ vergangen. Seit dem Beginn der Serie hier in Deutschland im September 2004 verschlinge ich nun schon die Bücher um das legendäre Söldnergespann und ihre Abenteuer in der Fantasy-Welt in Balaia und bin dabei auch zu der Meinung gelangt, dass James Barclays Serie im Hinblick auf die eher kompakte phantastische Literatur – dazu gehören zum Beispiel nicht die ewig langen Tad-Williams-Epen – die wohl beste und spannendste Story überhaupt bietet. Daher bin ich auch sehr erleichtert über die Tatsache, dass „Elfenmagier“ nicht die letzte Geschichte um den Raben ist. In „Die Legenden des Raben“ werden die Chroniken schon im Mai dieses Jahres eine deutschsprachige Fortsetzung erfahren, deren zweiter Teil ebenfalls schon angekündigt wurde, und zwar für den September dieses Jahres. Und schon jetzt kann man gespannt sein, ob Barclay das hohe Niveau noch einmal wird erreichen können. Aber bei solchen Superhelden braucht er sich eigentlich keine Sorgen zu machen. Aber gut, das ist alles noch Zukunftsmusik, widmen wir uns lieber der aktuellen Veröffentlichung, sprich dem großen Finale in Band 6.

_Story_

Die Hafenstadt Arlen steht kurz vor der Invasion. Sowohl das Kolleg der Dordovaner als auch die Abgesandten aus Lystern unter der Führung von General Darrick sind auf der Suche nach Erienne, deren Tochter auf einer fernen Insel das magische Gleichgewicht der Kollegien durcheinander gebracht hat und zur Gefahr für ganz Balaia geworden ist. Und tatsächlich gelingt es Selik, dem Anführer der Schwarzen Schwingen, die sich wiederum mit den Dordovanern verbündet haben, die Raben-Magierin gefangen zu nehmen und mit dem Elfenschiff |Meerulme| in See zu stechen.

Währenddessen beratschlagen sich Denser, Ilkar und der Unbekannte Krieger darüber, wie es gelingen kann, aus dem Gefängnis auszubrechen. Die Antwort folgt auf den Fuß; Hirad Coldheart eilt seinen ehemaligen Verbündeten und im Streit geschiedenen Kumpanen zur Hilfe. Gemeinsam beleben sie den Raben neu und schließen sich mit dem desertierten Darrick zusammen, um die Streitmacht der Dordovaner aufzuhalten. Doch diese scheint viel zu mächtig, und bereits in Arlen kommt es zu heftigen Gefechten, bei denen der Unbekannte schwer verletzt wird. Dennoch gelingt es dem Team, ein Schiff zu entern und die Verfolgung aufzunehmen. Mit an Bord: der Gestaltenwandler Thraun, der in der Abgeschiedenheit des Waldes mit seinem Wolfsrudel gelebt hat und nach dessen Tod langsam aber sicher wieder menschliche Züge annimmt. Jedoch ist auch sein Leben in Gefahr, und schon seit Tagen regt er sich nicht mehr.

Für den Raben gilt es jetzt, Erienne noch schneller zu befreien, denn das Leben einiger ihrer Mitstreiter hängt von einer zügigen Heilung ab, die nur die verratene Magierin aus Dordover gewährleisten kann. Es beginnt ein Wettlauf auf hoher See, der für beide Gruppen zusätzlich durch die immer wieder aufkeimenden Unwetter behindert werden, welche durch die unkontrollierten Energien aus Lyannas Mana entfacht werden. Und wenn Denser und Erienne nicht rechtzeitig ihre Tochter erreichen und nach alter Überlieferung das Gleichgewicht mit einer magischen Formel wieder herstellen, droht ganz Balaia der Untergang – selbst wenn einer von ihnen dabei den sicheren Tod finden wird …

_Meine Meinung_

Nach dem vierten Band wagte sich James Barclay zeitversetzt noch einmal an eine neue Rahmenhandlung, die er nun auch schon im letzten Band wieder zu Ende bringt. Gab es damals noch einen Zeitsprung, der im Buch eine Periode von circa sechs Jahren umfasste, setzt der Autor die Geschichte im „Elfenmagier“ unmittelbar fort und landet dabei auch direkt in einem brutalen Kampfszenario inmitten der ansonsten so friedlichen Hafenstadt Arlen. Und mit diesem Gefecht beschäftigt sich Barclay schließlich auch ziemlich lange, geht näher auf die einzelnen Duelle ein und zeigt erneut ein sehr gutes Gespür für die Darstellung von Schwertkämpfen und magischen Waffen. Meines Erachtens hätte man aber dennoch diese umfangreiche Beschreibung ein wenig kürzen können und sich stattdessen am Ende ein wenig ausführlicher über die genauen Hintergründe der gesamten Handlung auslassen sollen. Man muss das Buch gelesen haben, um diese Aussage zu verstehen, denn es ist schon so, dass sich der Autor nach dem finalen Showdown ein wenig kurz fasst. Aber wer weiß, vielleicht knüpft ja das nächste Buch schon nahtlos hier an …

Ansonsten ist „Elfenmagier“ wiederum ein makelloser Vertreter dieser Reihe und zeigt den Raben in bester Form. Die Differenzen untereinander sind überwunden und man kämpft wieder stolz Seite an Seite gegen das verräterische Kolleg aus Dordover mit seinem Anführer Vuldaroq und gegen den Anführer der Schwarzen Schwingen, Selik, von dem man eigentlich schon glaubte, er sei tot. Besonders Erienne hat mit ihm schon seit langer Zeit eine Rechnung offen, schließlich war er derjenige, der einst ihre beiden Söhne umgebracht hat. Aus diesem Grunde ist das wahre Böse in „Elfenmagier“ auch klar definiert und wird fast ausschließlich auf die Schultern von Selik übertragen. Während es eigentlich andere sind, die die Hauptlast des Kampfes gegen den Raben auf sich nehmen, steht er als Symbol für die Verlogenheit der ehemals befreundeten Kollegien, gegen das man nach und nach eine echte Abscheu entwickelt. Alleine für seine Charakterisierung verdient Barclay großen Applaus.

Weiterhin sehr schön beschrieben ist der Zwiespalt im Gemüt der Raben-Magier. Denser und Erienne sind sich dessen bewusst, dass einer von beiden sich für den Fortbestand der einen Magie und zugunsten des Weiterlebens ihrer Tochter Lyanna opfern muss. Doch auch ein weiterer Magier hat hart mit sich kämpfen, nämlich der unscheinbare Ilkar. Lyanna zu retten, hieße gleichzeitig, die Magie seines Kollegs aufzugeben, und im entscheidenden Moment bekommt der Elf aus Julatsa diesbezüglich arge Zweifel.

Im Vergleich zu anderen Büchern über den Raben sind die Rollen der Charaktere in „Elfenmagier“ wieder gerechter verteilt. Heimliche Helden wie Denser und Hirad werden nicht mehr bevorzugt und sind den anderen gegenüber – speziell nach dem dummen Streit vor der Ankunft in Arlen – gleichgestellt. Erienne übernimmt zwar eine übergeordnete Hauptrolle, aber dies liegt auch am Verlauf der Geschichte und ihrer Entführung, infolge derer sie zur begehrtesten Person in ganz Balaia wird. Ansonsten kommen hier alle Mitglieder des Raben (ausgenommen Thraun) in gleichem Maße zum Zuge, und das gab es eigentlich schon seit dem ersten Band nicht mehr.

Alles in allem ist „Elfenmagier“ sicherlich eines der actionreichsten Bücher der Serie. Im Gegensatz zum eher Charakter-bezogenen Vorgängerbuch wird der Großteil dieses Bandes von kriegerischen Handlungen bestimmt und entschieden. Barcley baut einen sehr gelungenen Spannungsbogen auf, der in einem unvermeidbaren, finalen Showdown ausartet, bei dem sich die Zukunft von ganz Balaia entscheidet. Wie es ausgeht …? Nun, das muss sich jeder selber erarbeiten. Nur so viel: Es ist ein sehr überraschendes Ende, das der Autor aber unter Umständen auch gebraucht hat, um einen etablierten Rahmen für die demnächst erscheinende Fortsetzungs-Reihe zu schaffen. An meiner erneuten Begeisterung hat sich demnach auch nichts geändert. Einmal mehr fasziniert von der Welt der Rabenkrieger, fiel es mir von Seite zu Seite schwerer, dem Ende entgegenzutreten, und ich kann meine Erleichterung darüber, dass dieses Ende nicht endgültig ist, schon kaum mehr in Worte fassen. All das spricht sicherlich dafür, wie genial und beeindruckend „Die Chroniken des Raben“ sind, und ich bin mir jetzt schon sicher, dass ich mir eines Tages die gesamte Erzählung noch mal von Anfang an durchlesen werde. Aber ich schweife ab. Wer sein Desinteresse an dieser Serie bislang immer damit begründet hat, dass sie noch nicht komplett erhältlich ist, wird jetzt keine Ausrede mehr finden und ist in die Pflicht genommen. Ein Meisterwerk der modernen Fantasy-Literatur steuert in „Elfenmagier“ seinem vorläufigen Ende entgegen und sollte mit sofortiger Wirkung in jede gut sortierte Sammlung aufgenommen werden. Mr. Barclay, Sie haben ein wahrhaft göttliches Werk vollbracht!

Mainka, Martina – Satanszeichen

Es sind nur noch drei Tage bis Weihnachten, als kurz vor Mitternacht eine Frauenleiche auf dem verlassenen Gelände des Güterbahnhofs gefunden wird. Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass der oder die Täter den Körper der jungen Frau mit einem Pentagramm, dem Satanssymbol, versehen haben. Die Ermittlungen ergeben, dass es sich bei der Toten um Delia Landau handelt, die als freie Journalistin arbeitete. Da weder im beruflichen noch im privaten Umfeld jemand sagen kann, mit welchem Thema bzw. welchen Recherchen sich Delia Landau vor ihrem Tod befasste, liegt die Vermutung nah, sie sei okkulten Kreisen, Satanisten, auf die Spur gekommen, die eine Enthüllungsreportage verhindern wollten. Allerdings ergeben die Untersuchungen im Mordfall Landau ein seltsam zerrissenes, ambivalentes Persönlichkeitsbild der Toten, die in gleich mehrfacher Hinsicht ein Doppelleben geführt zu haben scheint. Kaum deuten die Spuren darauf hin, dass es sich bei der Tat eventuell doch um ein Beziehungsdrama handeln könne und das Symbol des Pentagramms die Polizei nur in die Irre führen sollte, werden zwei weitere junge Frauen ermordet – und auch ihre Leichen sind mit dem Satanszeichen versehen …

Mit Elza Linden hat Martina Mainka eine herrlich nikotin- und koffeinsüchtige Kommissarin ins beschauliche Freiburg geschrieben, die sich mit ihrer leicht unkonventionellen, spröden Art eigentlich problemlos eine größere Fan-Gemeinde ermitteln sollte! (Ein wenig verwirrend ist der Untertitel: ‚Der erste Fall für Elza Linden‘, da ich bislang annahm, besagte Kommissarin Linden habe bereits in Mainkas Erstling „Angelika ist tot“ ihr Debüt gegeben). In dem angenehm zurückhaltend erzählten Privatleben der Protagonistin und einem in der Vergangenheit liegenden tragisch-traumatischen Ereignis liegen so viel Substanz, dass man sich – ich nehme es vorweg – wohl auf weitere spannende Fälle um Elza Lindens Team freuen darf. Elzas Kollegen sind ebenfalls authentisch und skurril genug, um im Laufe der Ermittlungen für Abwechslung zu sorgen.

Eine besondere Stärke der Autorin liegt vor allem darin, Situationen wie auch Dialoge lebendig werden zu lassen, Atmosphäre zu kreieren. Nur selten wirkt der Stil etwas gesucht pathetisch, und manchmal treffen die Formulierungen knapp daneben – es sei denn, man mag z. B. Männer, deren Augen ‚an Honig auf warmem Toast‘ erinnern – Appetit macht es ja … Ansonsten liest sich der Text aber durchweg flüssig und, obwohl oder gerade weil die Autorin ihre Protagonistin aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, nehmen die anderen Figuren mit ihrem jeweils eigenen Stil und Charakter Form an. So werden die Szenerie Freiburgs wie auch die Figuren überzeugend lebendig. Und auch der Fall ist glaubwürdig. Einerseits wirkt er im Nachhinein betrachtet extrem konstruiert, andererseits aber auch raffiniert gesponnen. Ganz massiv werden Spuren gelegt, die auf sehr unterschiedliche mögliche Verdächtige und mögliche Motive deuten. Der Haken an dem Ganzen ist jedoch, dass Martina Mainka offensichtlich ihrem Fall eine Botschaft unterlegt. Die darf hier natürlich nicht verraten werden – sie wirkt allerdings leider der Spannung von „Satanszeichen“ entgegen. Eine m. E. ganz bewusste Entscheidung der Autorin, die jedoch damit aus der spannenden Story mit ihren okkulten Ansätzen letztlich das Geheimnisvolle, Mysteriöse wieder herausschreibt. Denn gerade der Zweifel und das Ungewisse hätten die Spannung verstörend zuspitzen können.

So ist „Satanszeichen“ ein klassischer Polizeikrimi, der allein seiner Protagonistin und den Ermittlungen sowie den damit einhergehenden Irrungen folgt. Ein Krimi, der allerdings auch immer nur an der Oberfläche der (psychologischen) Abgründe kratzt, die sich der Text vor allem durch die unzähligen Spuren, die er legt, selbst eröffnet. Das abschließende Fazit kann jedoch nur zur Lektüre raten, denn auch wenn die Autorin wesentlich skrupelloser im Sinne der Spannung hätte vorgehen können und trotz meiner leichten Vorbehalte bezüglich einiger Formulierungen – die übrigens ein etwas gewissenhafteres Lektorat herausgearbeitet(, dafür einige Kommata eingefügt) hätte – gereicht die Grundidee zum Bestseller. Daraus wird in der Ausführung ein sehr passabler Krimi, der wiederum vor allem durch seine Protagonistin besticht.

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Andrews, Russel – Anonymus

Carl Granville, von seinen Freunden „Granny“ genannt, ist ein junger, ambitionierter, aber erfolgloser Schriftsteller. Überraschenderweise lädt ihn ausgerechnet Maggie Peterson, die bekannteste Verlegerin New Yorks, zu einer Besprechung ein. Dabei macht sie ihm ein unglaubliches Angebot: Statt seines verfassten Romans über einen Basketball-Trainer soll Carl für Maggie einen komplett neuen Roman nach ihren Anweisungen schreiben. Bei „Gideon“, so der Titel des geplanten Werkes, handelt es sich um ein hochbrisantes Projekt. Basierend auf Tagebuchaufzeichnungen und Briefen, hat Carl die Aufgabe, als Ghostwriter binnen drei Wochen einen Enthüllungsroman zu schreiben, der kurz darauf erscheinen soll. Die Geschichte handelt von einem damals elfjährigen Jungen, der unter schwierigen Bedingungen in den Fünfzigerjahren aufwuchs und eines Tages seinen zweijährigen, behinderten Bruder mit einem Kissen erstickte. Offenbar ist dieser Junge heute eine wichtige Persönlichkeit, die zu Fall gebracht werden soll. Maggie Peterson verspricht, dass der Roman die Bestsellerlisten stürmen und Carl für seine Aufgabe fürstlich entlohnt wird.

Carl willigt ein, ohne die Brisanz der Geschichte zunächst zu erahnen. Doch schon bald zeigt sich, dass hinter der Sache ein großes Geheimnis steckt – spätestens, als er sein Vorlagen-Material persönlich überreicht bekommt, von einem bewaffneten Mann, der nach Belieben in seine Wohnung eindringt und sein tägliches Schreibpensum akribisch überwacht. Harry, so sein Name, begegnet Carl friedlich, weigert sich jedoch, ihm weitere Informationen zu geben. Carl vertieft sich in die Geschichte und erhält den versprochenen Vorschuss von 50.000 Dollar. Kurz darauf wird Maggie Peterson ermordet. Carl wendet sich an ihren Verlag, doch dort muss er entsetzt feststellen, dass niemand von seinem Projekt weiß. Je mehr er seinen Geheimauftrag beteuert, desto mehr Misstrauen schlägt ihm entgegen, bis er plötzlich als Hauptverdächtiger für Maggies Mörder gilt.

Carl flieht zu der einzigen Person, der er noch vertraut: Seine Ex-Freundin Amanda, Journalistin in Washington. Gemeinsam versuchen sie, Licht in die Angelegenheit zu bringen. Wer ist die offenbar hochprominente Persönlichkeit aus dem Buch, die einst ihren Bruder ermordete? Wer steckt hinter den Enthüllungen und wer hat Maggie Peterson getötet? Schon bald geschehen weitere Morde. Carl und Amanda werden von allen Seiten gejagt – für das FBI sind sie Mörder, für die unbekannten Drahtzieher gefährliche Mitwisser, die ausgeschaltet werden müssen. Die Suche nach der Wahrheit führt die beiden quer durch die USA …

Wer temporeiche Hollywoodthriller mit politischen Verschwörungen mag, der wird an diesem Roman seine helle Freude haben. Das ist das Kurzfazit, das sich dem Leser nach Beendigung des Romans stellt. Damit reiht sich das Werk ein in die Riege jener unterhaltsamen Bücher, die allerdings bei näherer Betrachtung nicht ohne den einen oder anderen Makel daherkommen.

|Sympathie mit Hauptcharakter|

Einer der wichtigsten Punkte für einen guten Roman sind zweifelsfrei die Charaktere. Dem Autor gelingt es gleich zu Beginn, den Leser für seine Hauptfigur Carl Granville einzunehmen, was sich als großes Plus für das Werk erweist. Carl ist eine Sympathiefigur; kein strahlender Held, sondern ein sensibler Mann mit einem Hang zum Chaos, ein jungendlich gebliebener Dreißiger mit dem Charme eines Teenagers. „Granny“, wie sein humorvoller Spitzname schon beweist, erinnert Mitmenschen und Leser in seiner Harmlosigkeit an einen tapsigen Welpen, gepaart mit Intelligenz und Schlitzohrigkeit. Er ist der nette Junge von nebenan, dem man nicht lange böse sein kann und auf dessen Seite man sich fast automatisch stellt. Insofern eignet sich Carl erst recht perfekt für eine Verschwörungsgeschichte, in der man atemlos das Schicksal des Protagonisten verfolgt und eine Identifizierung mit ihm notwendig ist.

Obwohl sie charakterlich fast das Gegenteil von Carl zu sein scheint, schließt man auch seine Ex-Freundin Amanda recht bald ins Herz. Die toughe Reporterin mit dem weichen Kern, der schnellen Auffassungsgabe und dem forschen Auftreten mag sich oft wie eine Kratzbürste verhalten, zögert aber nicht, sich für ihren ehemaligen Lebensgefährten in Gefahr zu begeben. Spätestesn auf der gemeinsamen Flucht der beiden ahnt der Leser natürlich, dass es nicht beim Zweckbündnis der Verfolgten bleibt, sondern dass alte Gefühle wieder auflodern. Dieser Handlungsverlauf ist mehr als offensichtlich, bleibt aber angenehmerweise im Hintergrund. Gerade in Verfolgungsromanen ist es oft ärgerlich zu beobachten, wie das Heldenpaar trotz aller Widrigkeiten noch Zeit für prickelnde Erotik findet. Hier dagegen ist das Szenario in dieser Hinsicht realistisch gestaltet. Es braucht fast zwei Drittel des Buches, bis sich Carl und Amanda romantische Anwandlungen erlauben und auch dann arrangiert sie der Autor in sorgfältiger Zurückhaltung, die ihrer Umgebung angemessen ist.

|Action ohne Längen|

Die Handlung verläuft in einem rasanten Tempo, das den Leser förmlich mitreißt und ihn dazu bringt, das Buch trotz seines nicht geringen Umfangs in kurzer Zeit durchzulesen. Dazu trägt auch der flüssige Stil bei, der keine weiteren Anforderungen an den Leser stellt. Die Wortwahl ist unkompliziert, die Sätze sind übersichtlich und eher kurz gehalten, so dass man keine nennenswerte Konzentration benötigt, um dem Geschriebenen zu folgen.

Spätestens wenn sich herausstellt, dass niemand außer der ermordeten Maggie Peterson von Carls Roman gewusst zu haben schien, niemand im Verlag seine Version glaubt und sogar die Polizei auf ihn als Tatverdächtigen aufmerksam wird, findet man sich in einer hitchcockesken Situation wieder, der man sich nicht entziehen kann. Für viele Menschen ist Carls Lage ein Horror-Szenario – allein auf sich gestellt mitten in einer Verschwörung, von der man weder Hintergründe noch Sinn oder Drahtzieher kennt, ohne einen Menschen, dem man vertrauen kann. Dieser Plot ist alles andere als neu, doch er hat nichts von seiner Wirksamkeit verloren. Der Protagonist steht vor dem Nichts und allein die Vorstellung, es könne einem ebenso ergehen, weckt Gänsehaut und unwohle Gefühle. Es ist ein dankbarer Ausgangspunkt, für den man nicht einmal eine besonders ausgefeilte Handlung braucht, damit der Leser gefesselt ist. Dieser will einfach wissen, wie es weitergeht und wie sich letztlich alles klärt. Genau nach diesem kathartischen Effekt, nach der erlösenden Klärung aller Ereignisse, sehnt sich der Leser, so dass es keiner großer schriftstellerischer Kunst bedarf, um ihn bei der Stange zu halten.

|Humor ist, wenn man trotzdem lacht|

Kleine Abzüge gibt es dagegen für den hin und wieder aufgesetzten Humor, der zwar den Unterhaltungseffekt verstärkt, aber in seiner Dosierung sparsamer und gezielter hätte verwendet werden sollen. So strotzen die Dialoge, vor allem zwischen Carl und Amanda, nur so vor Schlagfertigkeit und Esprit, was dem Ernst der Lage nicht immer angemessen ist. Als sich Carl beispielsweise in höchster Not in Amandas Wohnung vor einem FBI-Beamten verstecken muss, hat er unmittelbar darauf nichts Besseres zu tun, als Amanda bissig darauf hinzuweisen, dass sie „gottverdammte Mäuse“ in ihrer Wohnung hat, die ihm über die Beine gekrabbelt sind. Gleiches gilt für Amanda, die einen Vorwurf Carls sarkastisch kommentiert, dass es ihr an Übung fehle, Leute zu verstecken und sie „Bonnie und Clyde“ schon zu lange nicht mehr gesehen habe. Beinah nervig wird es beim virtuellen Austausch zwischen Amanda und einer befreundeten Kollegin, die den beiden als Hackerin wichtige Informationen verschafft. Zum einen erscheint es konstruiert, dass Amanda ausgerechnet ein journaliastisches Ziehkind kennt, dem sie hundertprozentig vertrauen kann und das in Minutenschnelle alle angeforderten Daten per Computerhack besorgt, so dass Amanda und Carl stets eine gute Chance haben, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Zum anderen sprühen auch die Computer-Dialoge zwischen Amanda und ihrer Freundin Shaneesa nur so vor Flapsigkeit und pseudo-witzigen Sprüchen, für die realistisch betrachtet definitiv kein Spielraum sein dürfte. Diese Dialoge im Stil einer Screwball-Komödie ziehen sich durch die gesamte Handlung und erinnern fatal an diverse Hollywood-Reißer, in denen der Held in jeder noch so brandgefährlichen Lage einen flotten Spruch auf den Lippen trägt.

Dadurch verliert der Roman allerdings zwangsläufig auch ein wenig von seiner Brisanz, denn ebensowenig, wie der coole, sprücheklopfende Held eines Hollywood-Reißers am Ende mit seiner Mission scheitert, fürchtet man ernsthaft um das Leben von Carl und Amanda. Dazu ist das Pärchen einfach zu sehr auf Sympathie ausgelegt, dazu verläuft die Geschichte nach zu konventionellem Muster. Der Leser soll sich mit den Protagonisten identifizieren, ihnen ihr Glück gönnen und sich auf das Happy-End freuen, ohne daran zu zweifeln, dass die Gerechtigkeit siegen wird. Dadurch erhält der Roman ein gewisses Fastfood-Flair. Man konsumiert ihn und fühlt sich dabei für den Moment befriedigt, ohne dass er eine nachhaltige Wirkung hinterließe.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer Thriller über Verschwörungen, Geheimnisse, Verfolgungsjagden und den Kampf gegen einen gesichtslosen Gegner, kombiniert mit einer zarten Liebesgeschichte. Mit viel Tempo und Humor jagen die sympathischen Protagonisten quer durch Amerika, wobei es die Autoren (s. u.) hin und wieder mit den witzig gemeinten Dialogen übertreiben. Die Handlung ist zwar nicht originell, aber solide inszeniert und bietet ein kurzweiliges Lesevergnügen ohne Längen.

_Russell Andrews_ ist das Pseudonym zweier US-Autoren, Peter Gethers und David Handler. Beide arbeiten auch als Drehbuchschreiber, Gethers ist seit 1980 Lektor bei |Random House|. Von „Russell Andrews“ erschienen desweiteren die Thriller „Midas“, „Icarus“ und „Das Aphrodite-Experiment“.

Llull, Ramon – Buch über die heilige Maria, Das

Mallorca war mehr als drei Jahrhunderte islamisch bevölkert mit einer jüdischen Minderheit, die aber friedlich zusammenlebten, bis 1229 Jakob I., König von Aragón, unter christlicher Flagge die Insel eroberte und die ganze Inselgruppe zu einem „Königreich Mallorca“ zusammenfasste. Bis dahin gab es keine christlichen Gemeinden auf der Insel. Die Christen waren gegenüber den vorhandenen Religionen nicht mehr so tolerant, wie es zuvor umgekehrt der Fall war. Die Muslime, deren Kapitulationsangebot abgelehnt wurde, wurden unterdrückt. Sie konnten sich nicht wie die Juden in eigenen Stadtvierteln zusammentun und auch ihre Gottesdienste waren fortan verboten. Die gesamte Bevölkerung wurde zu Leibeigenen. Die Juden dagegen wurden zunächst noch einige Zeit toleriert (bis ca. 1300). Es herrschte also eine sehr interreligiöse Landschaft, die aber nicht friedlich miteinander zusammenlebte.

In dieses Klima kam Ramon Llull, der nach einer Kreuzesvision und folgender Pilgerschaft nach Santiago de Compostella vorhatte, die Muslime zu bekehren, und dabei auch auf große jüdische wissenschaftliche Gelehrte in den Künsten der Kabbalah, Astrologie und Kartographie traf. Seine Missionsarbeit scheiterte im Kern allerdings an dem noch heute hinderlichen Problem der christlichen Trinität. Die Welt dreifaltig zu erklären, gelang ihm aber auf recht einfache Weise, und diesen Ansatz konnte er dann auf die gemeinsamen göttlichen Eigenschaften der abrahamitischen Religionen aufsetzen. Er stellte aber die beständige Aktivität des Göttlichen als wesentlich in den Vordergrund, was sehr passend zu seiner Auslegung der Dreifaltigkeit war. Wie Augustinus machte er diese an der menschlichen Liebe deutlich, denn eine echte, tätige Liebe setzt einen Liebenden, einen Geliebten und die Liebe voraus, die sie verbindet. Mit dieser Idee versuchte er die Ungläubigen zu bekehren.

Die Fleischwerdung Gottes – also den Übergang von der aktiven göttlichen Struktur zu den Geschöpfen – lehrte er durch die Eigenschaften der vier Elemente, die ein Spiegel des dreifaltigen Wirkens sind. Mit Christus als Abbild des „Vaters“ entwickelte sich aber sehr schnell eine mariologische Lehre. Maria bekam eine herausragende Stellung in seiner Dreifaltigkeitslehre und der Fleischwerdung. Ihre Position als Mutter Gottes macht sie zur Herrin und Mutter aller Geschöpfe. Er ändert damit die ganzen Erbsünde-Geschichten von Adam und Eva, und mit dieser Fleischwerdung Gottes entwickelt er eine komplett neue „Wiedererschaffungs-Theorie der Schöpfung“. Alles Gute in der Welt kommt von nun an nur durch Maria. Mit ihr hatte er auch ein gutes Werkzeug für seine Missionierungsversuche in der Hand, denn diese wird auch im Islam verehrt. Er vergleicht sie mit dem Morgenlicht, die die neue Schöpfung ankündigt und vollbringt. Die Morgenröte, die Licht in der Dunkelheit spendet, gilt im Koran als „das Zeichen unter den größten Zeichen“ und die Seele der Welt, die sich in der mystischen islamischen Tradition, speziell im schiitischen Islam, in der Figur Fatimas, der Tochter des Propheten manifestiert.

Über die Argumentationskette Maria-Fatima-Jungfrau-Mutter hatte er die Bezüge, die er brauchte. Maria ist die Quelle der göttlichen Materie, die Mutter des Unendlichen in der Materie und als Maria-Morgenröte das Glied zwischen Geschöpf und Schöpfer, zwischen dem Freund und dem Geliebten, so wie das Erwachen in der Morgenröte, das Tod ist und Leben. Bei Llull ist Maria der absolute Bezugspunkt seines ganzen Systems, das sich um die Seele, die Jungfrau und Mutter ist und fähig, Gott in sich zu gebären, dreht. Das beeinflusste die Frauenmystik des 13. Jahrhunderts und wird noch später im Werk Meister Eckharts erscheinen. Zur Zeit Llulls war sein Marien-Denken allerdings noch völlig unüblich in scholastischen Kreisen. Sein Buch über die heilige Maria, das nach dreißig Prinzipien strukturiert ist, richtete sich ausdrücklich an Frauen. Es handelt von einem Eremiten und seiner Auseinandersetzung mit drei Frauen, die ihn belehren.

Zum ersten Mal liegt eine deutsche Übersetzung zusammen mit dem vergriffenen katalanischen Urtext des wichtigen Marien-Buches von Lllull vor, das später die Gedanken von Nikolaus von Kues, Giovanni Pico della Mirandola, Meister Eckhart, Gottfried Wilhelm Leibnitz und vielen anderen so sehr beeinflusste.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ramon__Llull

Kirkman, Robert / Moore, Tony – Gute alte Zeit (The Walking Dead 1)

Robert Kirkman ist von Kindheitstagen an ein großer Zombie-Fan und liebt vor allem diejenigen Genre-Streifen, in denen neben der handelsüblichen Action auch noch ein wenig versteckte Gesellschaftskritik enthalten ist. Zu seinen Favoriten zählt Kirkman vor allem die Klassiker von George A. Romero und Sachen wie „Dawn Of The Dead“ und den noch ganz jungen Beitrag „28 Days Later“.

Diese Vorliebe ist seiner neuen Comic-Reihe auch deutlich anzumerken. Im ersten Band von „The Walking Dead“ findet man haufenweise Zitate aus diesen Streifen und somit auch keine Handlung, die jetzt sonderlich originell wäre. Dennoch: Der Start ist voll und ganz gelungen, weil die Geschichte trotz allem kein billiger Abklatsch ist. Kein Wunder, dass der Autor in den Staaten großen Erfolg mit dieser Reihe hatte, deren erste Episoden nun auch bei uns als Sammelband erscheinen.

_Story_

Eigentlich arbeitet Rick Grimes in einem Kleinstädtchen in Kentucky als Police-Officer und führt jenseits des Großstadt-Trubels ein sehr glückliches Leben mit seiner Frau und seinem Sohn. Eines Tages hat sich die Lage jedoch drastisch geändert. Rick wacht nach wochenlangem Koma in einem verlassenen Krankenhaus um und entdeckt dort keine Menschenseele mehr. Stattdessen lauern ihm in den Straßen des damals noch friedlichen Orts plötzlich Zombies auf, die nach seinem Leben trachten. Er kann sich gerade noch so zu seinen Nachbarn retten, die ihm erzählen, dass die gesamten Staaten von Untoten heimgesucht werden. Nur wenige Überlebende sind in ein Camp in Atlanta geflüchtet, darunter auch Ricks Familie und sein ehemaliger Kollege und bester Freund Shane.

Ausgerüstet mit Waffen aus dem Präsidium macht sich Rick ebenfalls auf den Weg nach Atlanta und trifft dort tatsächlich seine Familie. Doch die erste Vorfreude bleibt nicht lange bestehen, denn sein Verhältnis zu Shane wird immer schlechter, und außerdem sind die Bewohner des Camps nicht mehr lange sicher. Die eigenwillige Gruppe Überlebender zerstreitet sich immer mehr aus Uneinigkeit über das weitere Handeln, und bevor man sich versieht, haben die Zombies das abgeschirmte Lager entdeckt und greifen an …

_Meine Meinung:_

Mich wundert es eigentlich kaum, dass Kirkman mit diesem Comic in Amerika auf regen Zupruch gestoßen ist, schließlich enthält „The Walking Dead“ neben den bekannten Genre-Klischees auch eine sehr gute Story mit vielen Sub-Plots und diversen Beziehungskisten, die eine überraschend gute Rahmenhandlung abgeben. Vorwerfen lassen muss sich der Autor lediglich, dass nicht alle verwendeten Ideen tatsächlich auch seinem Kopf entsprungen sind. So weist die Anfangssequenz einfach zu starke Parallelen zu „28 Days Later“ auf – ein Mann wacht im Krankenhaus auf und findet sich in einer völlig verlassenen, von Zombies umsäumten Stadt wieder. Hallo?

An anderer Stelle, sprich bei den Szenen in der überfüllten Zombie-Stadt Atlanta, offenbaren sich gravierende Ähnlichkeiten zu „Dawn Of The Dead“, die Kirkman auch nicht von der Hand weisen kann.

Nun, es ist sicherlich nicht einfach, in diesem Genre frische Elemente zu etablieren, und es ist nunmal Fakt, dass sich sehr viele Zombiefilme stark ähneln. Insofern kann man Kirkman hier auch keinen Vorwurf machen. Und anscheinend hat es den Macher dieser Serie auch nicht wirklich interessiert. Davon profitiert die Handlung schließlich auch, denn sie wirkt im Gegensatz zu manchen cineastischen Vorlagen absolut nicht verkrampft und enthält auch mehrere, wenn auch vorauszuahnende Wendungen, die schließlich in ein tolles (vorläufiges) Finale münden.

Rein auf die Geschichte bezogen, ist „The Walking Dead“ definitiv eine Bereicherung für das Genre, denn die Umsetzung samt den sehr starken, Marvel-typischen S/w-Zeichnungen ist fantastisch, anders darf man das gar nicht sagen. Vor allem die Zeichnungen, in denen die Untoten in großen Massen dargestellt werden, sind echte Augenweiden, an denen man sich als Fan dieses Themas gar nicht satt sehen kann. Aus diesem Grunde kann ich das Ganze auch nur wärmstens empfehlen, denn die Kombination aus Erzählung und zugehörigen Illustration ist durchweg überzeugend – trotz sehr vieler bekannter Inhalte!

Einen weiteren Pluspunkt gibt es für die wunderschöne Aufmachung des Buches. „The Walking Dead 1 – Gute alte Zeit“ kommt als Hardcover-Ausgabe auf den Markt und enthält neben dem eigentlichen Comic noch jede Menge Hintergrundinformationen. So schreibt der Autor selber ein kurzes Vorwort und erläutert seine Inspirationsquellen, wird aber auch anschließend in einem Interview noch mal zur Rede gestellt. Auch Zeichner Tony Moore darf sich im nachfolgenden Zwiegespräch kurz zu seiner Zusammenarbeit mit Kirkman äußern und gibt einige Tipps und Empfehlungen hinsichtlich anderer Reihen. Als Letztes folgt noch ein kurzer Überblick über einige wichtige Filme aus dem Zombie-Genre, der aber im Vergleich zum Rest ein wenig oberflächlich daherkommt. Außerdem weiß ich jetzt nicht, ob man sich damit einen Gefallen tut, die zitierten Streifen hier noch ein weiteres Mal zu beleuchten, schließlich werden die sehr deutlichen Parallelen hierdurch nur noch verstärkt. Aber gut, trotzdem ist dies ein nettes Gimmick, das Neulingen vielleicht weiterhelfen wird.

Alles in allem ist der Gesamteindruck vom ersten Sammelband durchweg positiv; „The Walking Dead“ hat alles, was ein guter Zombie-Comic braucht und ist für einen solchen auch noch ziemlich spannend aufgebaut. Ich freue mich jetzt schon auf die für August angekündigte Fortsetzung und rate euch, mal einen Blick auf die Website von [Cross Cult]http://www.cross-cult.de zu werfen, wo noch weitere interessante Titel und Reihen angepriesen werden.

Praxenthaler, Matthias – Horst der Held

Horst Gurk ist nicht gerade ein Name von heldenhafter Ausstrahlung. Jemand, der 1970 noch auf den Namen Horst getauft wird, dessen Eltern können nur der Gipfel deutschen Mittelschicht-Spießertums sein. Das Gefühl hat auch Horst Gurk, Protagonist und titelstiftender „Held“ von Matthias Praxenthalers Roman „Horst der Held“.

„Horst der Held“ ist kein neuer Roman. Praxenthaler veröffentlichte ihn erstmals 1998 im Selbstverlag, um ihn anschließend in den Straßen Münchens eigenhändig zu verkaufen. Laut eigenem Bekunden verkaufte er rund 1500 Exemplare und benutzt die übrigen ca. 5842 Exemplare seither als Bett, worauf es sich angeblich vorzüglich schläft.

Wie man sich bettet, so liest man (oder hieß das anders?) und so soll im nun Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob sich „Horst der Held“ als Lektüre gleichermaßen eignet wie zum Bettenbau.

Horst Gurk wird direkt in die wilden 70er hineingeboren – wobei selbige zugegebenermaßen in seinem Elternhaus alles andere als wild ausfallen. Horsts Vater ist Beamter im Postministerium, seine wehrte Gattin noch eine waschechte Hausfrau und das Häuschen im rheinischen Troisdorf eine Ausgeburt provinziellen Spießbürgertums und kleinbürgerlicher Mittelmäßigkeit.

Horst hat keine leichte Kindheit. Dank Segelohren, Zahnspange und Brille gibt er von der ersten Klasse an das perfekte Opfer diverser Schülerspäße ab. Horst wird zum Einzelgänger, was sich auch später auf dem Gymnasium nicht mehr ändern soll. Keine Freunde, keine Partys, kein erster Sex und als ob das noch nicht schlimm genug wäre, nerven ihn seine Eltern mit ihrer Spießigkeit.

Erst mit 22 scheint sich das Blatt zu wenden. Horst, mittlerweile Maschinenbaustudent (aber selbstverständlich immer noch zu Hause wohnend), beschließt, seiner Jungfräulichkeit mit einem Puffbesuch ein feierliches Ende zu setzen. Und wie das Glück es so will, ist Horst der Zehntausendste Besucher des Troisdorfer Puffs und gewinnt zur Belohnung eine Reise nach Vietnam. Dieser Trip entpuppt sich als ungeahntes Abenteuer und verwandelt Horst schon bald darauf in einen wahrhaftigen Helden …

Schon die ersten Seiten offenbaren, dass „Horst der Held“ absolut erheiternde Lektüre ist. Praxenthaler skizziert Horsts Kindheits- und Jugendjahre und bestraft den armen Horst mit jeder Facette deutschen Spießbürgertums. Die Eltern sind langweilig, religiös und ein harter Brocken für jemanden, der zu Zeiten aufwächst, in denen Coolness ein stetig bedeutender werdender Faktor ist. Horsts Eltern sind all das, was man sich an gebündelter Spießigkeit überhaupt vorstellen kann.

Man bekommt als Leser viel zu Lachen. Praxenthaler formuliert gewitzt und kurzweilig und weiß schon mit so mancher Formulierungsart zu erheitern. Sein Humor ist ein sehr direkter und so konfrontiert er den Leser geradeheraus mit der Lachhaftigkeit seiner Figuren und dem Humor, welcher der langweiligen Alltäglichkeit ihres Daseins innewohnt.

Freunde des feinsinnigeren Humors werden Praxenthalers Roman aber vermutlich nicht über die ganze Länge als besonders erheiternd empfinden. Es ist schon recht derbe, was der Autor teilweise an Humor auspackt, und als dann schon nach wenigen Seiten der Troisdorfer Schlachter seiner Frau in einem alkoholgeschwängerten Wutanfall eine Brust mit dem Schlachtermesser abschneidet, bekommt man einen Vorgeschmack darauf, wie derbe Praxenthaler wirklich werden kann.

Praxenthaler wandelt mit seinem Humor eng an der Grenze des guten Geschmacks, und so versammelt sein Roman zum Schreien komische Momente neben überzogenen und derben Witzen, über die wohl so mancher streiten mag, ob das alles noch wirklich lustig ist. Wandelt er anfangs noch leichtfüßig durch die Kapitel, so wird der Humor mit zunehmender Derbheit auch schwerfälliger. Die unelegante Art, mit der Praxenthaler sich Horsts Eltern vom Hals schafft, wirkt genauso wenig komisch wie das völlig überzeichnete Finale.

Was so herzerfrischend lustig und locker anfängt, wird mit zunehmender Seitenzahl brachialer und unlustiger. Mangelnden Realismus sollte man einem Roman dieser Art sicherlich nicht ankreiden, um sich nicht gänzlich mit humorlosen Moralisten in eine Reihe zu stellen, dennoch kommt man nicht umhin, zu kritisieren, dass Praxenthalers Humor anfangs, als er es noch schafft, die Spießbürgerlichkeit der deutschen Provinz zu karikieren, wesentlich lustiger und bodenständiger ist. Je abgedrehter sich aber die Handlung entwickelt, desto weniger vermag der Humor zu belustigen.

Ansonsten ist „Horst der Held“ ein Roman, der außer knapp 200 Seiten humoristischer Abhandlung nicht viel zu bieten hat. Entweder man kann über Praxenthalers Humor lachen und amüsiert sich köstlich oder man liest ungeduldig weiter bis zum Ende, um herauszufinden wie tief das Humorniveau wohl noch sinken mag. Immerhin ist man nicht so leicht geneigt, die Lektüre abzubrechen, denn Praxenthaler schreibt so locker drauflos, dass man als Leser absolut keine Mühe hat zu folgen. Und so bleibt „Horst der Held“ letztendlich unterhaltsame Lektüre, aber eben auch nicht immer unbedingt lustig.

Bleibt als Fazit festzuhalten, dass Praxenthaler in „Horst der Held“ einige absolut irrsinnig komische Momente zu Papier gebracht hat. Streckenweise macht der Roman wirklich Vergnügen, aber je mehr Praxenthaler in die Schiene des derben, geschmacklosen Humors abrutscht, desto unlustiger wird er leider auch. „Horst der Held“ ruft also gemischte Gefühle wach und bleibt als durchaus locker-flockige Lektüre im Gedächtnis, die aber ihr humoristisches Potenzial der ersten Kapitel im weiteren Verlauf leider verspielt.

Website des Autors:
[www.praxvalley.de]http://www.praxvalley.de/

Max Allan Collins – CSI Las Vegas: Tödlicher Irrtum

Das geschieht:

Zwei Fällen beschäftigen das bewährte „Crime-Scene-Investigation“-Team (CSI) dieses Mal. Gil Grissom, der Chef, und seine Kollegen Sara Sidle und Nick Stokes bearbeiten gemeinsam mit Captain Jim Brass vom Las Vegas Police Department das seltsame Verschwinden der Rita Bennett. Die reiche Autohändlerin ist vor einem Vierteljahr gestorben und wurde nach Ansicht der Tochter von ihrem Lottergatten umgebracht. Eine Exhumierung sollte Klärung bringen. Stattdessen findet sich in Ritas Sarg eine fremde Leiche: Kathy Dean, gerade 19 Jahre alt, wurde ganz sicher ermordet, denn in ihrem Hinterkopf findet der aufmerksame CSI-Pathologe Robbins ein Einschussloch.

Wie wurden die Leichen vertauscht? Die Vorschriften für das Bestattungswesen sind in Las Vegas streng. Entweder ist die Tat auf dem Friedhof oder im Bestattungsinstitut begangen worden. Dort streitet man eine Schuld natürlich energisch ab. Doch die CSI-Mannschaft erkennt eine Verbindung zwischen der verstorbenen Kathy Dean und dem aalglatten Dustin Black, dem Leiter der „Desert Haven Mortuary“. Mann und Mädchen kannten sich, was Black den Ermittlern verschwieg. Nachdem eine Untersuchung der Leiche ergab, dass Kathy zum Zeitpunkt ihres Todes schwanger war, erregt dieses Verhalten Verdacht und bedingt intensive Nachforschungen. Max Allan Collins – CSI Las Vegas: Tödlicher Irrtum weiterlesen

Don-Schauen, Florian / Römer, Thomas / Falkenhagen, Lena / u.a. – Zauberei & Hexenwerk (Das Schwarze Auge)

Magier, Scharlatane, Hexen und Elfen sind ein wichtiger Bestandteil eines jeden Fantasy-Rollenspiels. Sie verkörpern den wirklich fantastischen Aspekt unseres Hobbys.
Nachdem das Magiesystem in der [„Das Schwarze Auge – Basisbox“ 2110 nur sehr rudimentär behandelt wurde, ist ihm jetzt mit „Zauberei & Hexenwerk“ eine ganze Box gewidmet worden. Auch ohne diese Erweiterung ist es zwar möglich, magische Charaktere zu spielen, doch wenig sinnvoll, denn nur diese Box enthält sämtliche Regeln zum Umgang mit und der Erschaffung von magiebegabten Helden.

_System_

Das Magiesystem von „DSA4“ ist im Grunde recht simpel: Jede magiebegabte Person hat einen Wert, der sich „Astralpunkte“ nennt. Mit diesen Punkten speist er seine Zauber, Rituale etc., die alle verschiedene Kosten haben. Sind die Astralpunkte verbraucht, regeneriert der Held sie in Ruhephasen stückweise wieder.

Proben auf Zaubertalente werden genauso abgelegt wie Talentproben: Jede Zauberprobe besteht aus drei Eigenschaftsproben, die nacheinander gewürfelt werden. Steht beispielsweise hinter einem Zauber bei der Probe: KL/IN/KO, legt der Spieler jeweils eine Probe auf die Eigenschaften Klugheit, Intuition und Konstitution ab. Würfelt er mit einem W20 kleiner/gleich seinen Wert, ist die Probe geschafft. Würfelt er darüber, kann er die überzähligen Punkte mit seinen Talentpunkten ausgleichen. Reichen diese nicht, ist die Probe misslungen.

_Inhalt_

Neben den drei Quellenbänden „Aventurische Zauberer“, dem „Liber Cantiones“ sowie mit „Wissen und Willen“, auf die ich weiter unten genauer eingehen werde, enthält die Box:

„Glossar“ (vierseitig)
„Zauberdokumente“
Poster „Aventurische Zauberkundige“
„Archetypen“
„Die Magische Bibliothek“

Letzteres ist ein dünnes Heftchen, das alles Wissenswerte über Zauberbücher enthält: Das Lernen aus Zauberbüchern, das eigene Schreiben ebensolcher sowie eine große Liste arkaner Werke Aventuriens und deren Werte.

|“Mit Wissen und Willen“|:

Dieser Quellenband enthält das gesammelte theoretische Wissen aventurischen Magie, über das ein Spieler verfügen sollte (mal abgesehen von der Erschaffung von Artefakten, welche im Regelmodul „Stäbe, Ringe, Dschinnenlampen“ abgehandelt werden). Nach einer kleinen Einführung für Neulinge, in welcher der Ablauf von Zauberproben, der Begriff Astralenergie und deren Regeneration erklärt werden, geht es mit etwaigen Sonderfertigkeiten, den verschiedenen Repräsentationen der Magie (Elfen zaubern z. B. anders als Zauberer), dem Sammeln von Erfahrung und der Charaktersteigerung weiter. Ein großer Teil dieses Bandes ist aber den Ritualen der verschiedenen Repräsentationen gewidmet. Die Erläuterung und Beschreibung von Hexenflüchen, druidischen Ritualen, magischen Elfenliedern und die Verzauberungen von Zauberstäben füllen gut fünfzig Seiten.

Desweiteren geht der Band anschließend auf die so genannte „Höhere Magie“, sprich Sphären und Limbus, Elemente, zauberkundige und magische Wesen, die Zauberwerkstatt, auf die Welt der Magiergilden sowie Magie und Recht ein.

Zum Abschluss folgt mit „Meister der Magie“ eine kurze Aufzählung bekannter und wichtiger Magiekundiger Aventuriens, allerdings ohne dabei spielrelevante Werte zu liefern.

|“Aventurische Zauberer“|:

In Aventurien gibt es eine Vielzahl magisch begabter Charaktertypen, welche sich wie folgt einteilen lassen: Druiden, Elfen, Geoden, Hexen, Kristallomanten, Magiedilletanten, Magier, Scharlatane, Schelme, Zaubertänzer und Zibiljas. Der Band „Aventurische Zauberer“ befasst sich mit der Charaktererschaffung dieser Heldentypen. Er enthält neben ausführlichen Beschreibungen der verschiedenen magischen Professionen sowie deren Werten auch zwei Listen mit magischen Vor- und Nachteilen und Sonderfertigkeiten.

Dazu gibt es auch noch in den verschiedenen Professionen teilweise mehrere Unterteilungen. So werden zum Beispiel die Hexen in sieben verschiedene Schwesternschaften unterteilt.
Noch extremer ausgeprägt ist diese Vielzahl an Möglichkeiten bei den Magiern. Hier muss der Spieler nicht nur zwischen knapp vierzig (!) Magierakademien auswählen, sondern hat auch noch die Möglichkeit, sich einen persönlichen Lehrmeister auszusuchen bzw. selber auszudenken.

|“Liber Cantiones“|:

Das „Liber Cantiones“ ist ein Kompendium aventurischer Zaubersprüche und enthält knapp 300 magische Formeln. Durch die verschiedenen Modifikationen, die bei fast jedem Zauber möglich sind, ergibt sich aber ein Vielfaches an möglichen Zauberwirkungen. So kann etwa bei einem ‚Ingnifaxius Flammenstrahl‘ die Reichweite vergrößert oder dieser gleichzeitig auf mehrere Gegner gesprochen werden. Die Sprüche sind dieses Mal glücklicherweise alphabetisch geordnet, was das Nachschlagen erheblich erleichtert.

Die Zauber sind gegliedert in Probe, Merkmal, Technik, Zauberdauer, Wirkung, Kosten, Modifikationen und Wirkungsdauer. Ganz wichtig ist auch die Komplexität, die angibt, in welcher Spalte der Steigerungskostentabelle der Zauber gesteigert werden muss.

Auf die einzelnen Zauber möchte ich jetzt nicht näher eingehen, was bei dieser Masse an Zaubern wohl verständlich ist, doch kann ich versichern, dass es eigentlich für fast alle Situationen den passenden Spruch gibt.

_Mein Eindruck_

Stand ich bisher der vierten Edition von „DSA“ eher skeptisch gegenüber, muss ich sagen, dass mich die „Zauberei & Hexenwerk“-Box begeistert hat.
Zuallererst gibt es einige äußerst interessante neue Charaktertypen wie den Achaz(Echsenmenschen)-Kristallomanten, der nur mit Hilfe von Edelsteinen zaubern kann, die Gjalskerländer Tierkrieger (zählen zu den Magiedilletanten), die tierische Züge annehmen können, oder die norbardische Zibilja. Diese Neuerung bringt vor allem für „alte DSA-Hasen“ neue Motivation ins Spiel.

Es ist jetzt übrigens auch möglich, Zauber zu erzwingen, indem man zusätzliche Astralpunkte investiert. Deshalb ist die Titelwahl des Bandes „Mit Wissen und Willen“ wohl richtungsweisend. Auch die spontanen Zaubermodifikationen stechen positiv heraus. Wie oft habe ich mich beim alten Regelwerk darüber aufgeregt, dass mein Stufe-15-Magier nicht mal in der Lage ist, einen einfachen Zauber wie den ‚Flim Flam‘ (Lichtkugelzauber) in einer anderen Farbe leuchten zu lassen. Jetzt gibt es alleine bei diesem Zauber die Möglichkeit, zwölf verschiedene Modifikationen anzuwenden. Von einer anderen Farbe über eine variable Helligkeit bis zum Lichtblitz ist so einiges machbar.

Ein anderes Problem des alten Systems, das in dieser Edition behoben wurde, möchte ich anhand eines Beispieles erläutern: Ich spiele einen Halbelfen (Stufe 15) und möchte eigentlich demnächst den Zauber ‚Dschinn des …‘ erlernen. Wenn ich ihn jetzt also beigebracht bekomme, habe ich einen Startwert von -20 (ab einem Wert von -5 ist es möglich, einen Zauber zu sprechen). Da ich diesen Zauber aber nur um einen Punkt pro Stufe steigern kann, wäre es mir dann erst bei Stufe 30 möglich, ihn das erste Mal zu sprechen. Da aber Stufe 21 die höchste (offizielle) Stufe ist, kann ich mir das gleich schenken.

Da man nach den neuen Magieregeln Zauber, die man erlernt, immer mit einem positiven Wert erhält, ist dieses Problem passé. Sicher wird ein solcher Zauber wegen seiner Komplexität einiges an Erfahrungspunkten für die Aktivierung kosten, doch ist es wenigstens nicht von vornherein unmöglich.

Die gesteigerte Komplexität des Magiesystems ist durch die größere Individualität in der Charakererschaffung und dem Spiel allgemein zu erklären. Wie bei allen bisherigen „DSA4“- Publikationen, ist hier aber auch wieder das Baukastensystem zu finden. Wer möglichst einfache Regeln haben möchte, der hat dann aber auch weniger Gestaltungsmöglichkeiten, was ich für sehr sinnvoll erachte.

Zwei Dinge gibt es allerdings, die mir etwas negativ aufstoßen, aber nicht mit dem Magiesystem direkt zu tun haben. Zuerst nerven die ständigen Verweise auf andere Publikationen tierisch! Immer wieder stehen hier ein paar Sätze zu einem Thema, die dann mit einem Verweis auf andere Quellenbände oder Boxen enden. Eine eindeutige Trennung wäre hier sinnvoller gewesen. Dass die Schamanen in die „Götter & Dämonen“-Box abgeschoben wurden, ist zwar nicht besonders praktisch, aber verständlich, da sie ja eher Bezug auf die Götter und den Glauben nehmen, obwohl sie über Astralenergie verfügen.
Zum zweiten hat man leider das handliche und stylische Format des „Liber Cantiones“-Vorgängers nicht beibehalten, was ich sehr schade finde.

_Fazit_

Die meisten Fehler des „DSA“-Magiesystems sind sinnvoll behoben worden. Allerdings wurde dafür die Einfachheit des Vorgängers geopfert. Trotzdem ist dieses System das wohl stimmigste, abwechslungs- und umfangreichste unter den Fantasy-Rollenspielen. Es verlangt zwar etwas Zeit, um sich hineinzufinden, ist aber trotzdem ganz klar meine Nummer eins!

Rezension zur Basisbox [Das Schwarze Auge 2110

Monika Wunderlich (Hrsg.) – Eiszeit – drinnen und draußen. 24 böse Dezembergeschichten

Dezember steht nicht nur für Frost, Schnee, Kindheit, Freude, Weihnachten, Advent, Geschenke, Nikolaus, Christkind …

Dezember steht auch für EISZEIT – und viel öfter, als wir es wahrhaben wollen, bleibt die Kälte nicht nur draußen, wir finden sie auch drinnen – in den Stuben, den Herzen, den Gedanken, den Erinnerungen …

Eine unabhängige Jury hat aus der Vielzahl der Einsendungen Texte folgender Autoren für die Anthologie in der VIRPRIV-Reihe DUNKLE STUNDEN ausgesucht:

Monika Wunderlich (Hrsg.) – Eiszeit – drinnen und draußen. 24 böse Dezembergeschichten weiterlesen

John Connolly – Das dunkle Vermächtnis [Charlie Parker 2]

Ex-Polizist Charlie Parker gerät ins Schussfeld der Mafia, die nach verschwundenen 2 Mio. Dollar sucht. Gangster, schießfreudige Hinterwäldler und ein gruseliges Killerpärchen mischen sich ein, aber erst als auch noch ein mythischer Serienmörder auftaucht, bekommt Parker echte Schwierigkeiten … – Der 2. Parker-Thriller verbindet abermals gekonnt Thriller-‚Realität‘ und Jenseits-Mystik. Obwohl die Eindringlichkeit des Vorgängerbandes fehlt, bleibt „Das dunkle Vermächtnis“ ein ausgezeichneter, weil spannender und gut geschriebener Roman.
John Connolly – Das dunkle Vermächtnis [Charlie Parker 2] weiterlesen

Montanari, Raul – Rückkehr eines Mörders

„Rückkehr des Mörders“ ist eines dieser Bücher, von denen man anfangs nichts Spektakuläres, sondern einfach nur gute Unterhaltung erwartet, dann aber vom Inhalt total umgehauen wird. Ein unscheinbares Cover, ein dürftiger Klappentext und ein fast schon belangloser Titel – was soll an diesem Buch schon so besonders sein? Nun, besonders ist diese beklemmende, teils auch schon fast furchterregende Atmosphäre, die von den Charakteren in der Story ausgeht. Raul Montanari hat einige sehr brutale Figuren erschaffen und lässt diesen innerhalb der Erzählung auch weitestgehend freie Hand, was die Action anbelangt. Was dabei herausgekommen ist, ist schließlich weitaus mehr als das, was der kurze, unscheinbare Text auf dem Buchrücken vermuten lässt. „Rückkehr eines Möders“ bohrt nämlich um einiges tiefer und geht dabei bisweilen tief in die menschliche Psyche und ihre erschreckendsten Auswüchse hinein – nur um am Ende so simpel und direkt zu wirken, dass man, wahrlich fasziniert vom effektreichen Stil des Autors, Beifall klatschen muss!

_Story_

13 lange Jahre hat Andrea in Kanada verbracht, und in all dieser Zeit hat sich der ursprünglich aus einem kleinen italienischen Dorf stammende Mann wie ein Aussätziger gefühlt. Weggeekelt hat man ihn einst, als die junge Ilaria gestorben und Andrea des Mordes beschuldigt wurde. Und bis heute ist sich das gesamte Örtchen sicher, dass der langhaarige Schönling hinter dem Verbrechen steht. Andrea hat diesen Gedanken nie aus seinem Kopf vertreiben können, selbst wenn er nun in Kanada als Polizist ein ganz neues Standbein aufgebaut hat.

Eines Tages treibt ihn der Tod seiner Mutter zurück in seine Heimat, in der sich allerdings nichts verändert hat. Bereits bei seiner Ankunft schlägt ihm Feindseligkeit entgegen, als Ilarias Bruder Loris ihn erkennt, und nur wenige Stunden später muss Andrea bereits den Zorn der versammelten Dorfgemeinschaft spüren. Ganz anders hingegen reagiert die jugendliche Dora auf die Ankunft des verhassten Verdächtigen. Die Tochter des damals ermittelnden und mittlerweile an den Rollstuhl gefesselten Polizisten ist fasziniert von der Ausstrahlung Andreas – ganz zum Unmut ihres Vaters und ihrer Stiefmutter Antonella, die damals eine Affäre mit Andrea hatte. Je mächtiger der Hass der Anderen wird, desto größer wird auch ihr Verlangen nach Andrea, dem dies ebenfalls nicht entgeht. Immer wieder treffen die beiden aufeinander, doch die flüchtigen Momente reichen nicht aus, um ihre Begierde zu befriedigen. Außerdem lebt es sich für Andrea immer gefährlicher. Nicht nur Loris und sein Bruder Gianni haben sich gegen ihn verschworen; auch der brutale Sportstar Mauro schreckt vor keiner Grausamkeit zurück und stellt sich kompromisslos gegen Andrea. Dieser bewahrt jedoch die Ruhe und begibt sich daran, das Verbrechen von damals auf eigene Faust aufzudecken. Speziell der mysteriöse und um lehrreiche Geschichten nie verlegene Pfarrer Don Alfio scheint mehr zu wissen, als er zunächst zugibt. Doch bevor Andrea richtig klarsieht, wird auch schon ein weiterer Mensch tot aufgefunden, und es scheint, als würden die Emotionen von damals nun noch in weitaus schlimmerer Form wiederbelebt werden …

_Meine Meinung_

Die ersten Kapitel dieses Buches waren eine echte Qual, weil Montanari durch die Aufdeckung sehr vieler Tatsachen schon enorm schnell auf den Punkt kommt und die Geschichte bereits gelöst zu sein scheint, bevor sie richtig anfängt. Entsprechend habe ich mich bis zum Ende des ersten Fünftels dann auch eher gelangweilt, bis dann endlich mal so richtig Fahrt in die Sache kam und die wahren Hintergründe bzw. die echten Persönlichkeiten der Hauptcharaktere zum Vorschein traten. Oder zumindest das, was man hinter Leuten wie Mauro, Don Alfio, der Wahrsagerin Anna und dem körperlich eingeschränkten Werner vermutet. Und ab diesem Zeitpunkt ist „Rückkehr eines Mörders“ auch eine echte Berg- und Talfahrt, bei der sich die Rollen der beteiligten Hauptpersonen ständig ändern, so dass sich gleichzeitig auch die Perspektive des Lesers von Sinneinheit zu Sinneinheit wieder komplett erneuert.

Montanari hat sich am Anfang recht viel Zeit gelassen, den Schauplatz und den gesamten Rahmen vorzustellen, und die Folge ist, dass man sich recht schnell in Sicherheit wiegt, weil man glaubt, bereits alles über die einzelne Charaktere zu wissen. Doch das genaue Gegenteil trifft letztendlich zu; wirklich jede einzelne Person nimmt in diesem Buch mehrfache Wandlungen vor und gerät unerwartet in ein ganz anderes Licht. Hinter jedem schwebt ein unantastbares Mysterium, das sich absolut nicht ergründen zu lassen scheint und dem man während des gesamten Buches stets auf der Spur ist. Und dabei ist man sich ja doch eigentlich immer sicher zu wissen, wie es damals abgelaufen sein muss und wer genau dahintersteckt, da Montanari ohne jegliche Wertung schon ganz klar die ‚Guten‘ von den ‚Bösen‘ trennt. Doch dann wieder verliert man die Sicherheit des einstweiligen Verdachts und grübelt erneut darüber, wie der Tathergang gewesen sein muss.

Die Aufdeckung des Mordes von damals ist jedoch nur die Rahmenhandlung dieses Buches; weit wichtiger ist hier die eigentliche Rückkehr Andreas mit all ihren unschönen Nebenwirkungen. Und hier geht der Autor selber auch keine Kompromisse ein; vor allem auf die Beschreibungen der vielen Schlägereien lässt er sich sehr detailliert ein und rutscht nicht nur einmal mit seinen Schilderungen in übelsten Gossen-Slang ab. Vor allem die Bearbeitung des Genitalbereichs bei diesen Aggressionen haben es ihm angetan und tauchen gerade in den gewaltreichen Szenen gehäuft auf. Die einzige Schwäche stellt diesbezüglich auch die Wortwahl dar. Montanari liebt anscheinend den Begriff ‚Schwanz‘ und verwendet ihn auch gerne in jedem Zusammenhang der Gefühlslage des Protagonisten. Und dies ist nur ein Beispiel von vielen, das deutlich machen soll, mit welch simplen sprachlichen Mitteln der Autor in diesem Buch arbeitet. Simplizität ist in diesem Fall aber auch ganz klar mit Effektivität gleichzusetzen, und das in allerlei Hinsicht.

Raul Montanari hat nämlich durch die vielfältigen Nebenstränge dafür gesorgt, dass die Geschichte von allen Seiten immer wieder neue Impulse bekommt, ohne dafür ein großartiges Brimborium veranstaltet zu haben. Die Fakten liegen immer klar auf der Hand, und dennoch liegen dem Autor zahlreiche Möglichkeiten offen. So spielt er zum Beispiel mit der erotischen Anziehungskraft zwischen Dora und Andrea und mit der scheinbaren Überlegenheit des Dreiergespanns Loris/Gianni/Mauro und setzt diese immer wieder perfekt ein. Gleiches gilt für den Pfarrer, oder aber für Anna und nicht zuletzt für die unglücklich verheirateten Werner und Antonella. Alle Personen haben markante Eigenheiten und offenkundige Motive, lassen sich aber trotzdem in kein ersichtliches Schema einordnen. Und um diese ständige Ungewissheit auf Seiten des Lesers zu erreichen und ggf. noch zu verstärken, greift der Autor fast ausschließlich auf sehr simple Mittel zurück, aber das mit Bravour.

„Rückkehr des Mörders“ ist ganz sicher kein komplexes Buch und überzeugt durch einen sehr gradlinigen, gut durchstrukturierten Ablauf. Trotzdem aber ist die Story enorm reich an Wendungen und Spannung, speziell im letzten Drittel, bei dem es wirklich Schlag auf Schlag geht. Wenn hier überhaupt etwas stören könnte, dann die oftmals bemühte umgangssprachliche Wortwahl, doch im Grunde genommen passt diese sich auch nur der skrupellosen Umgangsart der jungen Italiener innerhalb der Geschichte an. Man sollte sich jedenfalls auf keinen Fall von den nichts sagenden Worten auf dem Rücken des Buches irritieren lassen, denn in „Rückkehr des Mörders“ steckt letzten Endes eine ganze Menge mehr als das, was man auf den ersten Blick vermutet.

_Fazit_

Raul Montanari hat eine sehr intensive, fesselnde Story kreiert und sich dafür einen nahezu perfekten Schauplatz ausgesucht. Dass nicht immer alles den gängigen Konventionen entspricht, ist dabei das innovative Momente dieses eigentlich einfach gestrickten, in letzter Konsequenz aber durch und durch genialen Buches. Ganz klare Empfehlung meinerseits!

Beddor, Frank – Spiegellabyrinth, Das

_Frankie comes from Hollywood._

Schamlos und doch voller Respekt hat sich Hollywood-Produzent und Skiakrobat Frank Beddor an das Wunderland angepirscht, er hat es dermaßen auf den Kopf gestellt, dass es nur noch wenig mit der schwebenden Niedlichkeit zu tun hat, mit der Lewis Carrol seine jungen Leser zu verzaubern beabsichtigte.

„Das Spiegellabyrinth“ ist der Auftakt zu einer Trilogie, die die „wahre“ Geschichte um das Wunderland erzählt, mit all den blutigen und gewalttätigen Details um die Herzkönigin und ihre Tochter, mit allen scheußlichen Fakten um die Farbfamilien und die Bürgerkriege, die sie anzettelten.

_Erwischt, Lewis Caroll!_

Reverend Charles Dodgson, seines Zeichens Autor unter dem Pseudonym Lewis Carroll, bekommt im Prolog dieses Buches erst einmal ein solches gegen den Kopf geworfen – bildlich gesprochen. Welches? Sein eigenes. Von wem? Von seiner Protagonistin. Alice Lidell ist nämlich zutiefst empört darüber, wie der Geistliche ihre Geschichte verniedlicht hat, wie er sie zu einem netten Kinderbuch verstümmelt hat, das alles enthält, nur nicht die betrübliche Geschichte der jungen Prinzessin, die die moderne Welt irrtümlicherweise als „Alice im Wunderland“ kennt …

Also muss die junge Alice das eben selbst besorgen: Zunächst, so klärt sie den Leser auf, ist ihr wirklicher Name nicht Alice, sondern Alyss, und die Welt, der sie entrissen wurde, kennt keine Grinsekatze, keine Hutmacher, keine knubbeligen kleinen Kartensoldaten und kein weißes Kaninchen.

Stattdessen gibt es da Nanik Schneeweiß, einen äußerst scharfsinnigen Albino-Gelehrten, der sich ziemlich darüber mokieren würde, wenn er wüsste, dass ihn ein britischer Autor als Kaninchen skizziert hat, es gibt Todesschwadronen gedrillter Kartensoldaten, die mehr können als putzig auszusehen, statt eines Hutmachers gibt es Mac Rehhut, eine klingenschwingende Einmann-Armee mit dem Auftrag, Prinzessin Alyss mit dem Leben zu beschützen, und die Grinsekatze … nun ja, sagen wir es so: Alleine für diese Bezeichnung würde Lewis Caroll den qualvollsten aller Tode sterben, den sich diese mit neun Leben bewehrte Killermaschine ausdenken könnte.

_Aber von Anfang an …_

Wunderland ist ein politisches Pulverfass, die Vier Farben (Karo, Bube, Kreuz und Herz) sind Herrscherdynastien mit ausgeglichenem Kräfteverhältnis, ständig schwelen Konflikte zwischen ihnen, und nicht selten entladen sie sich in Bürgerkriege. Im Augenblick aber wird der Frieden durch Königin Genevieve gesichert, Herrscherin der Herzdynastie und Mutter von Prinzessin Alyss.

Als ob der Ärger zwischen den Herrscherdynastien nicht schon genug wäre, bedroht auch noch Redd den Frieden von Wunderland: Die böse Schwester von Königin Genevieve wurde ihrerzeit von der Thronfolge ausgeschlossen, weil sie sonst mit schwarzer Imagination das ganze Wunderland zerstört hätte. Die derartig Gehörnte sieht das natürlich völlig anders und strebt nun mit unersättlichem Hass nach dem Thron, um den sie sich betrogen wähnt.

Unglücklicherweise wählt Redd den Geburtstag von Prinzessin Alyss für ihren Ursurpationsversuch … voll ins Schwarze, könnte man sagen: Sie überrascht ganz Wunderland an empfindlicher Stelle, und die wahre Thronerbin muss Hals über Kopf vor Redds Häschern fliehen, die ihr nach dem Leben trachten. Alyss verliert sich auf ihrer Flucht in einem antiquierten London und versucht verzweifelt wieder zurückzufinden, aber der Einzige, der ihrer Geschichte Glauben schenkt, ist besagter Revererend Dodgson … Währenddessen formieren sich die Überlebenden des Angriffes zu einer Rebellion, um Redd wieder vom Thron zu stoßen.

_Alyss and the Furious._

„Das Spiegellabyrinth“ gibt schon von der ersten Seite an mächtig Gas, stellt das Carollsche Universum mit freudiger Häme auf den Kopf und karikiert seine Elemente mit knochentrockenem Humor (So macht sich der sprechende Wald über die „Grinsekatze“ lustig, weil die sich voller kätzischer Wasserscheu weigert, Alyss durch den Tränensee zu folgen … Schon mal einen großmäuligen Flieder beim Stänkern betrachtet? Köstlich!)

Bei dem Popcorn-Drive bleibt es dann auch. Von Anfang an ist klar, wohin die Geschichte steuert: Alyss verliert in unserer Welt ihre Fähigkeit, Dinge durch Imagination zu beeinflussen, und sie verliert schließlich den Glauben an Wunderland selbst. Redds Terrorherrschaft hingegen dezimiert die Rebellen einschneidend, nur ihre Hoffnung auf die Rückkehr der Prinzessin gibt ihnen noch Kraft, und Mac Rehhut setzt alles daran, sie zu finden, um sie auf den alles entscheidenden Kampf vorzubereiten.

Schade, dass sich der Zauber der ersten Seiten zum Schluss hin verflüchtigt. Zwar hält die Story ihre Geschwindigkeit, aber der Entdecker-Anreiz bleibt auf der Strecke, und, was noch viel bedauerlicher ist, der Humor auch. Wo man Anfangs noch über die schwarzhumorig dargestellte Funktionsweise Wunderlands kichern kann, regieren zum Schluss wilde Effekt-Orgien, deren Ausgang wenig überraschend ist. Liebe und Krieg, Hoffnung und Wut steuern gegenseitig auf einen Showdown zu, wie man ihn von Hollywood erwarten würde. Nun, seine Wurzeln kann Monsieur Beddor eben nicht verleugnen.

Trotz dieses Wermutstropfens bleibt „Das Spiegellabyrinth“ einen Besuch wert. Es ist sozusagen „The Fast and the Furious“ für die Fantasy-Literatur: Nicht so viel fürs Hirn, aber umso mehr fürs Auge; ironisch lockere Vollgas-Unterhaltung eben. Ganz mag ich mich den Begeisterungsstürmen der Presse zwar nicht hingeben, aber ein gutes Buch bleibt es dennoch.

http://www.dtv.de/special__beddor/flash/alyss__new.htm

Clarke, Susanna – Jonathan Strange & Mr. Norrell

Sie schürt Hoffnungen und Befürchtungen zugleich, die Pressestimme des |Time Magazine|, die vorne auf dem Buchdeckel von Susanna Clarkes Debütroman „Jonathan Strange & Mr. Norrell“ prangt: |“Ein Meisterwerk, das Tolkien Konkurrenz macht.“| Da mag der geneigte Fantasy-Leser einerseits auf ein höchst unterhaltsames Lesevergnügen hoffen, aber andererseits schwingen bei einem Tolkien-Vergleich immer auch starke Zweifel mit. Welcher Autor konnte einem solchen Vergleich bislang überhaupt standhalten? War so ein Vergleich schon mal irgendwann in der jüngeren Literaturgeschichte wirklich angemessen?

Auch im Fall von „Jonathan Strange & Mr. Norrell“ ist dieser Vergleich äußerst problematisch, schürt er doch leicht eine überzogene Erwartungshaltung, die am Ende eigentlich nur enttäuscht werden kann. Susanna Clarke ist nicht J.R.R. Tolkien, und mit Mittelerde, Hobbits und unsichtbar machenden Ringen hat ihr Roman schon mal gar nichts zu tun. Der Vergleich mit Tolkien kann sich also nur auf anderer Ebene abspielen und meint wohl auch eher den Einfallsreichtum der Autorin und den Umfang und Phantasiegehalt des Werkes – und nicht zuletzt eine entscheidende Grundsubstanz des Romans, die quasi das Salz in der Suppe ist: Magie.

Bücher über Zauberer sind zurzeit der letzte Schrei, und wer denkt da nicht gleich an einen gewissen bebrillten Teenager, der seit Jahren sämtliche Bestsellerlisten unsicher macht. Doch auch damit hat „Jonathan Strange & Mr. Norrell“ nur wenig gemeinsam. Susanna Clarke bewegt sich mit ihrem Debüt in einem recht eigentümlichen Umfeld – sozusagen dem historischen Fantasy-Roman. „Jonathan Strange & Mr. Norrell“ wirkt über weite Strecken wie ein historischer Roman, ergänzt um eine saftige Prise Magie und Zauberei.

Angesiedelt ist die Geschichte am Beginn des 19. Jahrhunderts in einem alternativen England. Der Leser erfährt zunächst einmal, wie es um die englische Zauberei (die offenbar auf Dekaden voller Ruhm und Glanz zurückblicken kann) bestellt ist. Zauberei wird nur noch theoretisch praktiziert (was der aufmerksame Leser sicherlich gleich als Widerspruch reklamieren möchte). Zauberei betreibt man nicht durch Zauberei, sondern nur, indem man wie ein wahrer Gentleman darüber diskutiert und sie studiert. Zu dieser Zeit betritt ein einscheinbarer älterer Herr die Bühne der Zauberei und stiftet einige Unruhe, indem er tatsächlich zaubert: Mr. Norrell.

Mr. Norrell ist sehr bemüht, der englischen Zauberei wieder zu Glanz und Ehre zu verhelfen, aber ebenso fest entschlossen, alle anderen Zauberer zu Stümpern und Scharlatanen zu degradieren, denn schließlich kann sich kein Zauberer mit ihm selbst messen. Mr. Norrell sieht sich selbst mehr oder weniger als den einzigen wirklichen Zauberer im ganzen Königreich an. Und so versteht es sich fast von selbst, dass er sich darum bemüht, seine Künste in den Dienst seiner Majestät zu stellen, um im Kampf gegen Napoleon von Nutzen zu sein.

Gleichzeitig nimmt Norrell, ganz gegen seine eigennützige und eigenbrötlerische Art, einen äußerst talentierten Schüler auf: Jonathan Strange – ein Mann, der das Talent dazu hätte, seinen Meister irgendwann zu überflügeln. Gemeinsam arbeiten Strange und Norrell im Auftrag der englischen Regierung daran, die englischen Truppen im Krieg gegen Napoleon zu unterstützen. Strange lernt schnell und wird schon recht bald alleine nach Spanien geschickt, um Lord Wellington und seine Truppen vor Ort tatkräftig zu unterstützen. Strange und Norrell verhelfen so der englischen Zauberei zu neuem Ruhm.

Doch je weiter Strange seine Kenntnisse vertieft, desto weiter entfernt er sich auch von seinem Lehrer Mr. Norrell. Zwischen den beiden bahnen sich erste Schwierigkeiten an, und als Strange seine von Norrell differierenden Ansichten zur Zauberei öffentlich kundzutun beginnt, entsteht ernsthafte Rivalität …

Was Susanna Clarke mit ihrem Debüt erschaffen hat, ist ein wahrhaftiger Schmöker. 1024 eng bedruckte Seiten – ein Buch wie geschaffen für ausgiebige Schmökerabende vor dem prasselnden Kaminfeuer. Susanna Clarke schafft es, dass man das Buch trotz des immensen Umfangs recht zügig durchliest. Leichtfüßig schickt sie den Leser durch die 69 Kapitel – erheitert und unterhält, fesselt und fasziniert.

Clarke gibt dem Ganzen den Anstrich eines historischen Dokuments. Gewitzt fügt sie immer wieder Fußnoten als Belege des Erzählten an, die auf historische (selbstverständlich fiktive) Zauberliteratur verweisen und erzählt im Kleingedruckten am Seitenende so manche lustige und unterhaltsame Anekdote. Das sprengt manchmal ein wenig den Rahmen einer verträglichen Fußnotengestaltung und kann sich, wie in einem Fall, auch schon mal über fünfeinhalb Seiten ziehen. Manchen Leser mag das irritieren, und auch für meinen Geschmack hätten es ruhig etwas weniger Fußnoten sein können, zugunsten von mehr in den Text eingebetteten Erklärungen, aber bei diesem Roman gehört dies offenbar zur besonderen Note, und bei einem Buch dieses Umfangs hat man sich auch daran irgendwann gewöhnt und stört sich kaum noch an dieser Eigenart.

Insgesamt neigt Susanna Clarke zu einem recht ausschweifenden, intensiv beschreibenden Erzählstil. Auf den ersten Seiten mag man noch so manches Mal denken, sie könne sich ruhig etwas kürzer fassen, aber schon nach wenigen Kapiteln ist man dann so sehr in die Atmosphäre eingetaucht, dass es einem gar nicht mehr auffällt. Insofern geht Clarkes stilistische Rezeptur auf. Sie beschreibt ausführlich, plastisch und mit einer Fülle an Adjektiven und kreiert so im Laufe der Kapitel eine dichte und intensive Atmosphäre.

Diese intensive Atmosphäre braucht der Leser auch besonders. Es ist nicht immer unbedingt die Handlung, welche die Lektüre vorantreibt. Clarke lässt sich Zeit, Entwicklungen aufzuzeigen, Bezüge herzustellen und den Leser in aller Ruhe die Protagonisten und die Geschehnisse beobachten zu lassen. So gesehen braucht der Spannungsbogen ausgesprochen lange, um die Intensität zu entwickeln, die den Leser dann zum Ende hin wirklich fesselt. Es sind vor allem die Atmosphäre und Clarkes gewitzte und ironische Art zu erzählen, die man anfangs mögen muss, um sich voll auf das Buch einlassen zu können. Wen Clarke damit aber anspricht, den dürfte sie dann auch direkt begeistern können.

„Jonathan Strange & Mr. Norrell“ ist ein Roman, der vor allem durch den alles durchziehenden Witz und die stets durchschimmernde Ironie wunderbar zu lesen ist. Vieles erzählt Susanna Clarke mit einem Augenzwinkern, und gerade bei den Beschreibungen der diversen Figuren kommt die Ironie nicht zu kurz. Jede Figur hat so ihre skurrilen Eigenheiten und die Autorin versteht sich einfach darauf, solcherlei Dinge wunderbar plastisch zu beschreiben.

Inhaltlich ist „Jonathan Strange & Mr. Norrell“ ein recht vielschichtiger Roman. Zum einen beschreibt er die damalige Zeit sehr gut. Die politischen Umstände vor dem Hintergrund der Zeit Napoleons werden dank der Tätigkeit der beiden Zauberer in den Diensten seiner Majestät ausführlich beleuchtet. Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kommen nicht zu kurz. Norrell verkehrt in der feinen Londoner Gesellschaft, und dieser Bezug ist es auch, der schon so manchen Leser und Kritiker an Jane Austen hat denken lassen.

Die besondere Würze aber ist natürlich die Zauberei. Auch wenn sie manchmal etwas überzogen wirken mag, wenn Strange zum Beispiel während des Krieges gegen Napoleon eine ganze Stadt auf einen anderen Kontinent verlegt, so wirkt sie ansonsten eben doch so, wie man es sich am ehesten als realistisch vorstellen kann. Es bleibt alles sehr geheimnisvoll, hat aber auch einen etwas elitären Charakter und vor allem viel mit dem Wälzen alter Bücher zu tun. Geradezu wissenschaftlich betreiben Strange und Norrell ihre Zauberei – sehr zum Missfallen der feinen englischen Gesellschaft, die sich die Zauberei irgendwie spektakulärer und als passende Erheiterung für so manche langweilige Dinnerparty vorgestellt hatte.

Auch die düsteren Elemente fehlen in Clarkes Roman nicht. Je weiter Strange seine Zauberei voranbringt, desto mehr dunkle und unbekannte Wege tun sich auf. Immer wieder wird auf den Rabenkönig angespielt, der im Mittelalter den Norden Englands regiert haben soll und der gleichzeitig der König des Elfenreiches war. Wahnsinn, wieder auferweckte Tote, Besuch von geheimnisvollen Elfen, Menschen, die in das Elfenreich entführt werden – der Roman steckt voller Phantasie und origineller Einfälle, die teils düster, teils aber auch einfach skurril sind.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass „Jonathan Strange & Mr. Norrell“ ein ausgezeichneter Schmöker für alle diejenigen ist, die atmosphärische und phantasievolle Romane lieben. Manch einer mag Längen in der Handlung beanstanden, ich für meinen Teil finde es aber viel mehr erstaunlich, wie locker und flott man dieses mehr als tausendseitige Werk verschlingen kann. Man braucht schon einen Sinn für Clarkes feinsinnige Ironie und ihre augenzwinkernden Beschreibungen, aber wer über einen solchen verfügt, der wird reichlich belohnt.

„Jonathan Strange & Mr. Norrell“ ist schon ausgesprochen phantasievolle Lektüre, die sich vermutlich am ehesten als historischer Fantasy-Roman einordnen lässt. Gerade auch in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um einen Debütroman handelt, handelt es sich um ein wirklich lesenswertes Buch, dem man die meisten seiner kleinen Schwächen gerne verzeiht.

http://www.jonathanstrange.de/

Klein, H. D. – Googol

Im Jahr 2045 ist es so weit: Außerirdische fliegen die Erde an! Sie reisen an Bord eines riesigen Pyramidenraumschiffs an, hüllen sich aber in tiefes Schweigen. Die Erdmenschen ergreifen die Initiative, doch als sich ein „Begrüßungskomitee“ aufmacht, die Pyramide anzufliegen, setzt es sich nicht aus kernig-stoppelhaarigen NASA-Astronauten zusammen. An Bord der “Nostradamus” befindet sich eine Multikulti-Crew, die ihre Anweisungen – man lese und staune! – vom deutschen (!) Raumfahrtkonzern „Space Cargo“ erhält. (Das ist wahre Science-Fiction!) Kapitän John Nurminen und seine Mannschaft haben den Auftrag, die außerirdischen Gäste zu begrüßen und, sollte niemand zu Hause sein, die Geheimnisse ihres Pyramidenschiffes zu erkunden – zum Wohle des Mutterkonzerns und der Menschheit: in genau dieser Reihenfolge.

Die Mission ist schwierig und stellt ihre Mitglieder vor nie gekannte Probleme. An Bord der „Nostradamus“ herrscht wenig von dem weihevollen Eifer, der Forschern und Entdeckern in den Geschichtsbüchern nachträglich gern zugeschrieben wird. Die Mannschaft ist bunt zusammengewürfelt und arbeitet (noch) nicht harmonisch zusammen. Kapitän Nurminen hat kein Mitspracherecht bei der Zusammenstellung der Crew; „Space Cargo“ stellt ihn vor vollendete Tatsachen. Mehr als die Tatsache, die historische Mission mit einer Mannschaft anzutreten, die in ihrer Mehrheit die Erde niemals verlassen hat, beunruhigt Nurminen die Tatsache, dass man ihn zwingt, dies an Bord eines Schiffes zu tun, das wenig mehr als ein Prototyp ist. Der Antrieb der „Nostradamus“ ist revolutionär – jedenfalls in der Theorie, denn praktisch wurde er noch nicht unter Dauerbelastung getestet. Das ficht seinen geistigen Vater, den knarzig-genialen Professor Schmidtbauer, allerdings nicht an. Schließlich ist er höchstpersönlich mit von der Partie und wird dem Kapitän schon zeigen, welche Knöpfe er zu drücken hat. Da schreckt es den gebeutelten Nurminen nicht mehr, als er entdeckt, dass seine neue Bordärztin eine ehemalige Geliebte ist, von der er sich im Streit getrennt hat, und sich zum Dienst auch eine Parapsychologin mit dem schönen Namen Halbmond sowie ein Nexialist melden, der von allem ein bisschen, aber nichts richtig versteht und dadurch nach Ansicht des Konzern prädestiniert ist für die Kontaktaufnahme mit einer außerirdischen Intelligenz.

Allerdings ist es fraglich, ob die „Nostradamus“ ihr Ziel jemals erreichen wird. Die Konkurrenz-Konzerne von „Space Cargo“ gedenken nicht, sich ausbooten zu lassen. Sie schicken eigene Schiffe aus. Der Vatikan ist davon überzeugt, dass am Steuer der Pyramide der Antichrist höchstpersönlich sitzt, der komfortabel anreist, um endlich sein Reich des Bösen auf der Erde zu errichten. Die Außerirdischen sind gar nicht so fremd im Sonnensystem, denn auf dem Mars wurden schon vor einigen Jahren Pyramidenbauten gesichtet, die stark an die Form des nun georteten Raumschiffs erinnern; die Entdeckung wurde aus politischen Gründen geheim gehalten. „Space Cargo“ selbst scheint ein falsches Spiel mit der Mannschaft der „Nostradamus“ zu treiben und sehr viel interessierter an der Erprobung des neuartigen Antriebs als an der Erforschung der Pyramide zu sein, und, und, und … Die Ränke und Intrigenspiele auf der Erde und im Weltall scheinen kein Ende zu finden, und mittendrin steckt immer die „Nostradamus“ – ein hilfloser Spielball divergierender, undurchsichtiger Interessen und einer Technik, die sich verhängnisvoll zu verselbständigen beginnt …

„Googol“ – eine Space Opera aus deutschen Landen, die eigene Wege geht; ein Unikum auf einem schon lange weitgehend nivellierten SF-Buchmarkt, der durch angelsächsische Autoren und Endlosserien à la „Star Trek“ oder „Battletech“ geprägt wird: eine Überraschung, mit der wohl niemand gerechnet hat, und deren Wiederkehr sechs Jahre nach der Erstausgabe mit einer „überarbeiteten“ Neuauflage versucht wird.

H. D. Klein erfindet mit seinem ziegelsteinschweren Opus das Rad nicht neu, aber das verlangt ja auch niemand. Selbst wenn sich das Erstaunen, dass es ein Buch wie „Googol“ tatsächlich geben kann, ein wenig gelegt hat, bleibt die Freude an einer spannenden, trotz ihrer Umfangs ohne gravierende Längen erzählten Geschichte. Offensichtlich gibt es doch kein Gen, das nur Amerikaner oder Briten befähigt, einen lesenswerten SF-Roman zu Stande zu bringen (dessen Held nicht Perry Rhodan oder Rhen Dark heißt …). Klein hat sein Thema und seinen Stoff im Griff. Die von ihm zum Einsatz gebrachte Technik wirkt überzeugend. Besonders positiv macht sich indes sein Entschluss bemerkbar, das Hauptgewicht eben nicht auf die „harte“ Science-Fiction zu legen, wie dies im Umfeld der Erforschung außerirdischer Artefakte im SF-Roman allzu oft geschieht, sondern die Menschen in den Vordergrund zu stellen – „Menschen“ wohlgemerkt, nicht eindimensionale „Helden“ und „Schurken“. John Nurminen beispielsweise müht sich redlich, die übernommene Aufgabe erfolgreich durchzuführen. Für ihn ist es ein schmerzlicher Prozess, als er zum einen herausfindet, dass er eindeutig überfordert ist. Schlimmer wirkt sich die Entdeckung aus, vom „Space Cargo“-Konzern, dem er bisher vertraut und für den er sein Bestes gegeben hat, belogen und ausgenutzt worden zu sein; eine Erkenntnis, die um so bitterer wirkt, als Nurminen sich eingestehen muss, dass die entsprechenden Zeichen schon lange an der Wand gestanden haben: Er wollte sie einfach nicht sehen.

Unter diesen Umständen ist es zu verschmerzen, dass das Rätsel der Außerirdischen in „Googol“ niemals eine echte Auflösung erfährt. Sie dienen ihrem Autor als „McGuffin“, wie Alfred Hitchcock es genannt hat: als Katalysator, der die Handlung in Schwung bringt, um anschließend nebensächlich zu werden. Dazu kommt die uralte Einsicht, dass ein Rätsel, dessen Auflösung man allein dem Leser überlässt, einen um so stärkeren Eindruck hinterlässt. So sind die Außerirdischen letztlich tatsächlich gar nicht so wichtig.

Einige wenige Schwachpunkte gibt es gleichwohl doch. So ist das Bild einer im Würgegriff skrupelloser Wirtschaftskonzerne gefangenen Erde nicht nur ein wenig abgegriffen. Es wurde auch schon wesentlich schärfer und konsequenter und dadurch überzeugender gezeichnet. (Man denke nur an William Gibsons „Neuromancer“-Trilogie oder – um einen echten Klassiker zu nennen – Frederik Pohls und Cyril M. Kornbluthes „Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute“/“The Space Merchants“ von 1953.) Auch in seinem Bemühen, sich von der anglo-amerikanischen „Konkurrenz“ um jeden Preis abzugrenzen, ist Klein ein Stück zu weit gegangen: Seine Zeichnung der Mannschaft der „American Gothic“ und besonders ihres Captains ist womöglich satirisch gemeint, geht aber weit über die Grenzen der Karikatur hinaus.

Zu vermerken sind schließlich gewisse stilistische Schwächen oder besser Eigenarten, die wahrscheinlich nicht ausbleiben können bei einem Werk dieses Umfangs und einem Autor, an dem die Jahre der Perry Rhodan/Atlan/Terra Astra & Co-Monokultur nicht spurlos vorübergegangen sein können. Aber das sind nur Marginalien; es überwiegt die Freude an einem ambitionierten und gelungenen Roman – kein Meisterwerk, aber grundsolides Lesefutter, oft ein gutes Stück oberhalb des Durchschnitts.

Ach ja: Was ist eigentlich ein „Googol“? Den Mathematikern unter uns wird dieses Wort womöglich nicht unbekannt sein, denn es bezeichnet eine Zahl, die so unvorstellbar groß ist, dass es den Fachleute sogar schwer fiel, einen Namen für sie zu finden: eine Zehn, gefolgt von einhundert Nullen. Klingt noch nicht sehr eindrucksvoll, gewinnt aber an Gewicht, führt man sich vor Augen, dass die gesamte Anzahl aller Protonen des Universums auf eine Zehn mit achtzig Nullen geschätzt wird. (Edward Kasner, der das Googol in den 30er Jahres des 20. Jahrhunderts „erfand“, wandte sich für die „Taufe“ übrigens an seinen neunjährigen Neffen, der ahnungslos ein wahrhaft großes Wort gelassen aussprach und damit in die Wissenschaftsgeschichte einging.) Das Googol wird als erstes Zahlwort diesseits der Unendlichkeit, für das es keine Entsprechung mehr in „unserer“, der sichtbaren Welt gibt, definiert. Damit qualifiziert es sich nachdrücklich als Titel für einen Science-Fiction-Roman und mag gleichzeitig ein Wortspiel bilden, das die Erfahrungen seines Autors beschreibt, für einen mehr als tausendseitigen fantastischen Roman aus Deutschland in Deutschland einen Verlag zu finden.

Anmerkung: Für April 2006 ist die Fortsetzung „Googolplex“ bei |Heyne| angekündigt.

Rothe, Bernd (Hrsg.) / Haubold, Frank W. / Aster, Christian von / Rößler, Armin / Bionda, Alisha u.a – Rattenfänger (Magic Edition, Band 8)

Die alte Sage vom Rattenfänger ist im Anhang dieses Buches abgedruckt. Sie umfasst nicht einmal eine Seite. Rund 370 Seiten dagegen beanspruchen die 18 Geschichten, die das Thema variieren. Auf Einladung des Herausgebers Bernd Rothe, eines gebürtigen Hamelners, lieferten beim BLITZ-Verlag 18 AutorInnen, die in verschiedenen Bereichen des Phantastischen zu Hause sind, ihren Beitrag zu dem ewig jungen Stoff ab. Entstanden ist eine lesenswerte Anthologie, die bekannten und weniger bekannten Namen auf den Spuren einer der bekanntesten deutschen Sagengestalten folgt.

In der Tat bietet der kleine Ausgangstext viele verschiedene Ansatzpunkte für Phantasien und Phantastisches. Da sind erstens die menschlichen Protagonisten: der Rattenfänger, ein Spielmann, ein Outlaw, aber vielleicht auch der Teufel; das saturierte Bürgertum, das ihn um seinen Lohn betrügt; die Kinder dieser Bürger. Schon vor x Jahren lieferte der Liedermacher Hannes Wader seine Version des Geschehens, die den Rattenfänger entteufelt und die Karten neu mischt – einige der AutorInnen folgen dieser Lesart, am deutlichsten Stefanie Bense („Schattenschläger“, die Eingangsgeschichte) und Frank W. Haubold („Der Puppenmacher von Canburg“, immer wieder lesenswert, ein Highlight des Bandes). – Zweitens wäre da die Idee, es doch auch einmal aus der Perspektive der Ratten zu versuchen – am eindrucksvollsten gemeistert von Barbara Jung in „Die Königin und ihr Gardist“. – Drittens bietet das Wort „Rattenfänger“ in seiner übertragenen Bedeutung wundervolle Ansatzpunkte, für die Satire etwa; wer aber könnte die in einem solchen Forum besser meistern als Christian von Aster („Niederfrequenzmanipulation oder Des großen Rattenfänger Trick“)? Aber auch Christian Schönwetter liefert zu dieser Lesart eine gute Story ab („Die Rattenfänger sind in der Stadt!“). – Sodann haben wir natürlich das Thema des Betrugs und der darauf folgenden Rache (u. a. in Armin Rößlers SF-Geschichte „Der Verlorene“ umgesetzt). Hybriden Gestalten aus Ratte und Menschen entstehen in Alisha Biondas „Mephisto“, wobei auch das Teuflische und das Erotische zum Tragen kommen, oder in Dominik Irtenkaufs „Der Lichtfänger“, eine Geschichte, die in nahezu schwelgerischen Bildern ein hier oft präsentes weiteres Thema ausschmückt: das des Verfalls nicht nur einer Stadt, sondern auch der sozialen Bindungen zwischen den Menschen. Vielleicht ist dieses Motiv nicht das eigentliche Zentrum der ursprünglichen Rattenfänger-Sage, in der Anthologie jedoch rückt es in den Fokus vieler Erzählungen.

Blieben noch zwei besondere Beiträge zu erwähnen: Marc-Alastor E.-E.s dunkeldüstere Vampir-Novelle „Nicht ohne Wut, sei vom Lamm das Blut“, welche sprachlich exorbitant die Sage vom Bingener Mäuseturm mit der Hameln-Geschichte und dem Vampirmotiv verquickt, und Markus K. Korbs spannende Horror-Story „Rattenfänger GmbH“, die durch eine außergewöhnliche Hauptfigur und durch einen Showdown in dunklen Gängen überzeugt (Leser mit Ratten- und Klaustrophobie seien vor ihr dringlichst gewarnt).

Auch die übrigen, hier aus Platzgründen nicht genannten VerfasserInnen leisten durchaus Solides, so dass diese Anthologie insgesamt bestens unterhält. BLITZ-Stammillustrator Pat Hachfeld gibt jeder Geschichte per Titelblatt ein eigenes Gesicht; die Autoren zeigen Gesichter in der abschließenden Galerie. Gesamtprädikat: lohnenswert!

http://www.blitz-verlag.de/

© _Peter Schünemann_

Niemi, Mikael – Populärmusik aus Vittula

|Tjus lätmi isamatö råckönråll mjosik!| – So in etwa klingt es, bzw. sieht es in schriftlicher Form aus, wenn ein Junge aus einem der abgelegensten Winkel Schwedens, genaugenommen irgendwo aus dem Nichts zwischen Schweden und Finnland, einen Beatles-Song nachsingt, ohne Englisch zu können. Charmant, nicht wahr? Nicht minder charmant ist das Buch, in dem man die Kindheits- und Jungendgeschichte eben dieses Jungen nachlesen kann: „Populärmusik aus Vittula“. Eine Chronik der ersten musikalischen Gehversuche, der ersten ernüchternden Alkoholerlebnisse und des ersten Sex.

Pajala ist ein nichts sagendes Kaff in einer nichts sagenden Gegend Schwedens, dem Tornedal. Hier liegt der sprichwörtliche Hund begraben. Die Einheimischen reden Schwedisch oder Finnisch bzw. ein Kauderwelsch, das unter dem Namen Tornedalfinnisch läuft. In Pajala arbeiten die Menschen hart und auch die im Tornedal verbreitete religiöse Bewegung des Laestadianismus macht mit ihrer übertriebenen Strenge und Lustfeindlichkeit das Leben nicht unbedingt angenehmer. Wenn da nicht der Alkohol wäre, die ständige Versuchung, die auch in Pajala, das sich dem über Finnland nach Russland verlaufenden „Wodka-Gürtel“ zugehörig fühlt, locken würde.

In diesem Umfeld wachsen Matti und sein nicht sonderlich redseliger Freund Niila auf. Und das mitten in den wilden 60ern, von denen man im äußersten Norden Schwedens logischerweise wenig mitbekommt – bis zu dem Tag, an dem Niilas Großmutter beerdigt wird und seine beiden Cousins aus Amerika mit einer Beatles-Single als Gastgeschenk für Niila anreisen. Die beiden Jungs sind völlig aus dem Häuschen und gründen kurzerhand selbst eine Band. Im Keller von Mattis Eltern zimmern sie sich aus Sperrholz so etwas ähnliches wie eine Gitarre zusammen und träumen fortan ihren Traum vom Leben: Rock ’n‘ Roll Music bzw. Roskn Roll Musis …

Niemi erzählt einzelne Episoden aus Mattis Kinder- und Jugendzeit in Pajala, bzw. dem im Volksmund Vittulajänkka (zu deutsch in etwa: „Fotzenmoor“) genannten Ortsteil von Pajala. Er pickt sich einzelne Begebenheiten heraus, die besonders erzählenswert erscheinen, so dass die Kapitel theoretisch vielleicht auch als Kurzgeschichten für sich stehen könnten. Dennoch gibt es Überleitungen, Niemi stellt Zusammenhänge her und baut die Kapitel aufeinander auf, so dass daraus am Ende ein zusammenhängender Roman entsteht.

Und das hat er offenbar so gut gemacht, dass er von seinem Werk in Schweden 700.000 Exemplare verkauft und den bedeutendsten Literaturpreis des Landes eingeheimst hat. Und auch die |Brigitte| hat sich von so viel Euphorie anstecken lassen und beurteilt „Populärmusik aus Vittula“ als |“Das großartigste Buch des Jahres – und auch des letzten und des kommenden Jahres dazu.“| Auch wenn ich mich nicht dem Urteil der Brigitte anschließen will (mit Superlativen sollte man schließlich sorgsam umgehen), kann ich nicht leugnen, dass mir das Buch sehr gut gefallen hat. Niemis Roman hat so eine skurrile, charmante, warmherzige und kauzige Art, dass man sich dem Charme der Geschichte kaum entziehen kann.

Begeistern kann Niemi dabei schon gleich im Prolog mit seinem etwas schrägen Humor, der auch im weiteren Verlauf des Buches immer wieder durchschimmert. Er setzt gekonnte Pointen, die so witzig sind und teilweise vor Einfallsreichtum strotzen, dass den Leser immer wieder das Lachen oder Schmunzeln überkommt. „Populärmusik aus Vittula“ ist dabei gar kein durch und durch komischer Roman, sondern eher tragikkomisch. Niemi kann trotz seiner amüsanten Erzählweise auch sehr ernst sein, wenn er das Leben der Menschen in Pajala schildert, so dass einem manchmal das Schmunzeln zu gefrieren droht.

Die Geschichten, die Niemi aus Mattis Kindheit erzählt, drehen sich dabei einerseits um Land und Leute, andererseits um Musik und die Zeit der Pubertät. Der Leser beobachtet, wie Matti und Niila langsam halbwegs erwachsen werden. Beide erscheinen dabei eher als Antihelden. Ihre spielerischen ersten Versuche, eine Band zu gründen, ihr erster Auftritt vor der versammelten Klasse, der noch als Playback abläuft, all das wirkt eher peinlich als mutig. Grundsätzlich scheint ihr musikalisches Interesse ohnehin in einem unvereinbaren Widerspruch zum Lebenswandel der Tornedalbewohner zu stehen. Hier kommt es vor allem darauf an, als Mann körperliche Arbeit zu leisten, wen interessiert da schon dieses mädchenhafte Rumgeklimper?

Matti und Niila stammen beide aus eher schwierigen familiären Verhältnissen, so dass die Musik für sie die Möglichkeit zum Ausbruch ist. Sie ist ihre Art der Rebellion, auch wenn die beiden sich das wohl nicht ausgemalt hatten, als sie zum ersten Mal im Keller von Mattis Vater mit der Sperrholzgitarre Elvis-Posen imitiert haben.

Was die beiden in den folgenden Jahren erleben, ist durchaus schon einen Roman wert, der einerseits locker-flockig skurrile Geschichten mit viel Witz erzählt, andererseits aber auch einige düstere und tragische Momente enthält. Niemi bewegt sich oft auf einem sehr schmalen Grat zwischen Tragik und Komik. Sein Humor bekommt dadurch eine schwarzhumorige Note, und tragische Momente verlieren trotz der leichtfüßigen Erzählart nichts von ihrer Dramatik.

Vereinzelt hat Niemi dabei sogar schon einen Hang zum Surrealen. Einzelne Kapitel spielen mehr in der Phantasie als in der Realität und mögen im ersten Moment nicht so recht in das Buch passen. Schlägt man es dann am Ende zu, kann man aber dennoch sehr zufrieden sein. Es ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild, in das auch Niemis scheinbar verrückte Phantastereien wieder ganz gut hineinpassen.

Wenn Übersetzung und Lektorierung etwas sorgfältiger gemacht worden wären, wäre das Buch nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich rundum ein Genuss. So bleibt leider ein etwas fader Beigeschmack zurück. Nicht nur, dass die deutsche Ausgabe teilweise haarsträubende Rechtschreib- und Grammatikfehler aufweist und sich hier und da etwas holprig liest, auch die Übersetzung an sich bietet Anlass zur Kritik. Niemi verwendet viele schwedische und tornedalfinnische Ausdrücke, die teilweise einfach so unübersetzt und unerklärt stehen gelassen werden. Welcher durchschnittlich sprachbegabte Deutsche kann schon etwas mit Begriffen wie „ummikko“, „meän kieli“ oder „ulosveisu“ anfangen? Wenn man solche Ausdrücke schon nicht übersetzt, weil sie evtl. im Deutschen nicht entsprechend existieren, wäre es dann unmenschlich zu erwarten, dass sie in einem Glossar erklärt werden? Wohl kaum.

Bleibt abschließend festzuhalten, dass Niemi einfach den richtigen Ton trifft. Er zaubert dem Leser ein Lächeln aufs Gesicht und rührt ihn, er stimmt ihn nachdenklich und lässt ihn lauthals loslachen. Er kreiert ein wunderbares Wechselbad der Gefühle, das auch nach der Lektüre im Gedächtnis haften bleibt. Wer schöne Geschichten mit komischen Käuzen an merkwürdigen Orten mag, der wird an diesem Buch seine Freude haben. Wer obendrein Mattis und Niilas Musikbegeisterung teilt, muss dieses Buch eigentlich lieben.