Archiv der Kategorie: Rezensionen

Huff, Tanya – Auf Teufel komm raus (Die Chroniken der Hüter II)

Band I: [Hotel Elysium 1481

Die Hüterin Claire Hansen hat die Aufgabe, die strukturelle Integrität der Barriere zwischen der Welt und der metaphysischen Energie, die sie umgibt, zu bewahren. Dazu kann sie hinter diese Barriere greifen und sich der vorhandenen Möglichkeiten bedienen. Kurz gesagt, sie flickt mit Magie die Hülle des Universums, damit nichts Böses eindringen kann. Zunächst bestand das kosmische Reparaturteam nur aus Claire und ihrem etwas älterem Kater Austin, nachdem Claire jedoch bei ihrer letzten Unfallstelle im Hotel Elysium den Zuschauer Dean McIsaac kennen gelernt hat, ziehen sie nun zu dritt durch Kanada und flicken einen Riss nach dem anderen.

Das Leben könnte so schön sein, gäbe es da nicht Claires kleine Schwester Diana, die über zu viel Macht und zu wenig Verantwortungsgefühl verfügt. Die zukünftige Hüterin handelt ständig äußerst unüberlegt und beschwört damit die größten Katastrophen herauf. Nicht zuletzt war es ja auch Diana, die die böse Hüterin im Hotel Elysium aus ihrem Schlaf weckte und dadurch beinahe alle Macht der Hölle auf die Welt losgelassen hätte. So geht ihr auch dieses Mal ein gut gemeinter Zauber gründlich schief. Aus Versehen fängt sie die Kraft der Liebe zwischen Dean und Claire ein, als diese sich nach einem schlimmen Streit versöhnen. Diese manifestiert sich als Engel, leider jedoch ohne Botschaft und ohne Ziel; so kann er nicht wieder zurückkehren und wandert ziellos durchs Land auf der Suche nach einer zu verkündenden Botschaft oder Aufgabe.

An sich wäre ein Engel auf Erden ja nichts Schlechtes, doch leider erlaubt seine verlängerte Anwesenheit den Mächten der Hölle, einen Dämon auf die Erde zu schicken, der durch die alles überstrahlende Gegenwart des Engels von den Hütern nicht bemerkt werden kann. Während der Engel Samuel sich durch die Sehnsüchte eines sechzehnjährigen Mädchens und die Ängste ihres überfürsorglichen Vaters nicht als geschlechtsloser Rauscheengel, sondern als ein mit Genitalien versehener Teenager mit dem Aussehen eines Boybandmitglieds manifestierte, findet sich der Dämon Byleth plötzlich mit dem voll ausgestatteten Körper eines pubertierenden Mädchens auf Erden wieder. Für beide ist dieser Zustand äußerst ungewohnt und mehr als hinderlich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. So versucht Samuel natürlich, den Menschen zu helfen, wird jedoch durch seine nicht gerade heilige Gestalt ständig missverstanden. Byleth hingegen weiß zwar ganz genau, was ihre Aufgabe ist, nämlich so viel Unheil anzurichten wie nur möglich, wird aber durch ihre menschliche Form daran gehindert, Magie einzusetzen. Natürlich versucht sie so bösartig wie nur menschenmöglich zu sein, verhält sich dabei aber nur wie ein typischer Teenager.

Durch einen Zufall stolpert Claire über den Riss, durch den die Dämonin die Erde betreten hat, und entdeckt dabei Spuren ihrer Anwesenheit. Um sie aufspüren zu können, müssen Claire, Dean und Austin zunächst alles dafür tun, den Engel zu finden und zurückzuschicken. Und zwar schnell, bevor der Dämon zu viel Schaden anrichten kann. Leider hat das Trio die Rechnung ohne Claires vorwitzige Schwester Diana gemacht, die es mal wieder nicht lassen kann, sich einzumischen.

„Auf Teufel komm raus“ ist eine gelungene Fortsetzung der „Chronik der Hüter“, die aber durchaus für sich alleine gelesen werden kann. Erneut findet man sich in einer absurden Welt voller sprechender Katzen, fluchender Gartenzwerge und göttlichen bzw. höllischen Wesen mit pubertären Problemen wieder. Die Handlung spielt anders als im „Hotel Elysium“ nicht mehr nur an einem Ort, sondern führt mit viel Witz und Tempo quer durch Kanada auf der Suche nach dem Engel und dem Dämon. Äußerst amüsant sind vor allem die Begegnungen der beiden „Besucher“ mit den nichts ahnenden Zuschauern. Die Auflösung der spannenden Geschichte kommt überraschend, denn wer hätte gedacht, dass ein Engel wie eine Katze ist – nur eben anders.

Schulze, Ursula (Hrsg. / Übs.) – Nibelungenlied, Das. Nach der Handschrift C der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe

Als ich etwa zehn Jahre alt war, bekam ich eine Hörspielkassette mit der Sagengeschichte über Siegfried und Hagen geschenkt, und seither lässt mich die gewaltige Geschichte von den Nibelungen nicht mehr los. Ich habe das Nibelungenlied immer wieder in verschiedenen Ausgaben gelesen, auf Mittelhochdeutsch, in neuhochdeutschen Übertragungen und als Prosa-Nacherzählungen. Und so habe ich mich besonders gefreut, als die Neuübersetzung der Verlage |Patmos| und |Artemis & Winkler| hereinflatterte.

Zur Geschichte braucht man wohl nichts mehr zu sagen. Für die zwei oder drei Leser, die sie noch nicht kennen, ganz kurz der Inhalt: Der junge König Siegfried von Xanten erwirbt die Freundschaft König Gunthers von Burgund und hilft ihm mit einer List, Brünhild zur Frau zu gewinnen. Dafür darf er Gunthers schöne Schwester Kriemhild heiraten. Eifersüchteleien der Frauen und das Misstrauen von Gunthers Lehnsmann Hagen gegen den reichen und starken Siegfried lassen Gunther und seine Brüder Hagens Plan zustimmen, ihn zu töten und später seinen sagenhaften Goldhort der rachegierigen Witwe Kriemhild zu nehmen. Als Jahre später der mächtige Hunnenkönig Etzel um Kriemhilds Hand anhält, sieht sie ihre Chance zur Vergeltung gekommen. Als Etzels Frau lädt sie den burgundischen Hofstaat nach Etzelburg ein, wo sie gnadenlos Rache nimmt, bis sie zuletzt mit ihrem großen Widersacher Hagen stirbt.

Das um 1200 entstandene, deutsche Nibelungenlied beruht teilweise auf alten germanischen Sagenstoffen sowie Erzählungen aus der Völkerwanderungszeit, deren Motive auch auf Island in einigen eddischen Liedern und in Norwegen in der Thidrekssaga bearbeitet wurden. Hinzu kamen jüngere Motive in einem mittelalterlich-ritterlichen Gewand. Unter den zahlreichen Abschriften des Nibelungenlieds liegen drei mehr oder weniger vollständige vor, von denen die Handschrift C die älteste und umfangreichste ist. Sie ist auch als Hohenems-Laßbergische, als Donaueschinger oder nach ihren heutigen Aufbewahrungsort als Karlsruher Handschrift bekannt.

Die vorliegende Ausgabe enthält die Handschrift C, vermehrt um einige Strophen aus der Handschrift A, im mittelhochdeutschen Original und in der neuhochdeutschen Neuübertragung von Ursula Schulze. Im aufgeschlagenen Buch stehen sich dabei die mittelhochdeutsche Strophe links und die neuhochdeutsche Strophe rechts gegenüber. Frau Schulze hat das Epos strophenweise in Prosa übersetzt. Natürlich geht der Zauber dieses großen Epos etwas verloren, wenn es in Prosa wiedergegeben ist. Doch diese Art der Übertragung erhält ihre Berechtigung in der Zusammenschau mit dem mittelhochdeutschen Originaltext. Strophe für Strophe wird der Inhalt in einer inhaltlich genauen Übersetzung, aber mit heute leichter verständlichen Formulierungen wiedergegeben, wodurch die Lektüre des Originals erleichtert wird. Der Schwerpunkt liegt also auf der genauen Wiedergabe des Erzählten. Ich hatte das Nibelungenlied zwar schon mal auf Mittelhochdeutsch gelesen, aber mir sind durch Frau Schulzes Übersetzung einige mittelhochdeutsche Verbformen klarer geworden.

Ein Beispiel dafür, wie die Übertragung manchmal durch eine Entfernung vom direkten Wortlaut der Bedeutung des Textes näher kommt, soll anhand der Strophe 15 gezeigt werden. Wenn Frau Ute zu Kriemhild sagt: „soltu immer hercenliche // zer werlde werden vro“, so übersetzt Ursula Schulze „solltest du jemals im Leben von Herzen glücklich werden“. „zer werlde“ ist hier mit „im Leben“ anstatt mit dem wörtlichen „in der Welt“ viel treffender wiedergegeben. Teilweise ist die Annäherung an die heutige Sprache auch leicht übertrieben: Jemanden „heimsuchen“ ist heute sicher nicht mehr Alltagssprache, wird aber immer noch verstanden und wäre damit vielleicht die bessere Übertragung von „suochen“ gewesen als das etwas nüchterne „angreifen“ (4. Aventiure). Solche Kleinigkeiten mindern aber nicht den guten Gesamteindruck dieser Begleitübersetzung.

Lobenswert sind die auch Erläuterungen im Anhang zur Textedition des mittelhochdeutschen Originals und zu den Grundsätzen der Übertragung ins Neuhochdeutsche. Hier wird der interessierte Leser wirklich ernst genommen. Der Anhang enthält weiterhin Beiträge zur Entstehung und Rezeption des Nibelungenlieds, ein Sachwortregister und eine Inhaltsangabe, die sowohl Inhalt als auch Formulierung des Textes kommentiert. Dass häufiger auf das germanische und das mittelalterliche deutsche Recht verwiesen wird, beweist die Kenntnis der Herausgeberin, denn das Nibelungenlied ist nicht vollständig ohne einige grundlegende Rechtsbegriffe zu verstehen. Zu erwähnen ist auch die Landkarte des südlichen Deutschland (S. 844f), in welche die wichtigen Orte der Geschichte und insbesondere der Zug von Worms nach Etzelburg eingetragen sind.

Diese Ausgabe ist vor allem denjenigen zu empfehlen, die das Nibelungenlied einmal im Original lesen wollen, aber Verständnisprobleme befürchten. Diese Leser können sich nun an den mittelhochdeutschen Text heranwagen (Tipp: Laut lesen! Die deutsche Sprache hat sich mehr in der geschriebenen als in der gesprochenen Form geändert.), und bei Unklarheiten steht ihnen parallel die Übersetzung in heutigem Deutsch zur Verfügung. Das Buch ist weiterhin für den Schulunterricht geeignet, weil die Übertragung in ihrer einfachen Sprache auch für junge Leser verständlich sein dürfte. Ein Leistungskurs Deutsch könnte damit an eine ältere Sprachstufe des Deutschen herangeführt werden.

Und überhaupt, diese Geschichte mit ihrer großartigen Erzählung, ihrer ständigen Steigerung der Spannung, der genauen Zeichnung der Charaktere mit ihren Entwicklungen und der unterschwelligen Anwesenheit heidnisch-naturwüchsiger Züge, besonders bei Hagen und Brünhild, unter der christlich-mittelalterlichen Oberfläche sollte jeder mal gelesen haben.

Weiterführend:

[wikipedia]http://de.wikipedia.org/wiki/Nibelungenlied
[Nibelungen-Festspiele Worms 2005]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=50
[Nibelungen-Museum Worms]http://www.nibelungen-museum.de/
[Nibelungen-Edition 1: Siegfried 1160

Nimmo, Jenny – Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder (Die Kinder des roten Königs 1)

Beim ersten Blick aufs Cover, auch beim zweiten auf den Klappentext, mag Charlie Bone wie ein Abklatsch von Harry Potter anmuten. Der Vergleich drängt sich geradezu auf. Aber auf Äußerlichkeiten kann man sich ja bekanntlich nicht verlassen, also werfen wir einmal einen Blick zwischen die Buchdeckel:

Bis zu dem Moment, als Charlie Bone von der Schule nach Hause kam, schien es ein ganz normaler Tag zu sein. So normal wie Charlie selbst. Die Frage ist nur: Wie normal ist Charlie wirklich? Als er nämlich das Foto eines fremden Mannes mit einem Kind auf dem Schoß aus dem Entwicklungsumschlag zieht, macht er eine verblüffende Entdeckung: Er kann den Mann reden hören! Und nicht nur den Mann, sondern auch die Frau, die offenbar das Foto gemacht hat. Ja, er hört sogar die Katze schnurren, die hinter dem Stuhlbein kauert!
Die Einzige, die darüber erfreut scheint, ist seine Großmutter väterlicherseits. Sofort beraumt sie einen Familienrat an, wobei Familienrat in diesem Fall nur die väterliche Linie berücksichtigt, sprich: Großmutter Bone geborene Darkwood, ihre drei Schwestern, ihren Bruder Paton und Charlie. Das Ergebnis behagt Charlie noch weniger als die Entdeckung vom Nachmittag. Nach den Herbstferien muss er nämlich auf eine andere Schule, die Bloor-Akademie, einen elitären Kasten voller Künstler.
Endgültig turbulent wird es allerdings, als Charlie das fremde Foto dorthin zurückbringt, wohin es eigentlich gehört, in eine Buchhandlung in der Nähe der Kathedrale. Die Eigentümerin ist so erfreut, dass sie Charlie einen Roboter und einen metallenen Kasten schenkt, die ihr verstorbener Bruder ihr hinterlassen hat. Seltsamerweise interessieren sich für diesen Kasten eine ganze Menge Leute, darunter auch … seine Großtanten!

Die Frage, wie normal Charlie wirklich ist, verliert folglich im Laufe des Buches an Bedeutung. Letzten Endes lässt sich sagen: Charlie ist – von seiner besonderen Gabe in Bezug auf Bilder einmal abgesehen – so normal wie jeder andere Junge. Er mag Fußball und Fernsehen, verbringt seine Freizeit mit seinem Freund Benjamin und dessen Hund, und versucht ansonsten, seiner dominanten Darkwood-Verwandtschaft auszuweichen, die in alles ihre Nase steckt. Verglichen mit so manchem anderen, der im Verlauf des Buches noch auftaucht, ist Charlie sogar außerordentlich normal!
Da wären zum Beispiel die Darkwood-Schwestern. Offenbar sind sie ziemlich reich, denn keine von ihnen scheint ernsthaft zu arbeiten. Dennoch ist Tante Lucretia Hausmutter im Bloor, und Tante Eustacia taucht als Kinderbetreuerin bei Charlies Freund Benjamin auf. Was genau die Damen tatsächlich tun, wird nicht verraten. Eines aber ist klar: Ihnen ist nicht zu trauen!
Charlies Großonkel Paton ist noch seltsamer. Er ist ziemlich mürrisch, meidet den Rest der Familie vollkommen, und mit Ausnahme des Stuhls ist jeder Fleck in seinem Zimmer mit Büchern oder losen Blättern voll gestapelt. Paton geht nur bei Dunkelheit auf die Straße, und wenn er sich nicht zusammenreißt, fliegt jede Glühbirne, in deren Nähe er sich zu lange aufhält, in die Luft!
Dann wären da noch der geheimnisvolle Mr. Onimous und seine drei seltsam gefärbten Katzen. So plötzlich er auftaucht – unter den merkwürdigsten Vorwänden -, so plötzlich ist er auch wieder verschwunden, und meistens hat Charlie danach einiges zum Nachdenken.
Am verrücktesten ist Fidelios Familie. Fidelio ist Charlies erster neuer Freund am Bloor und kommt aus einer recht großen Familie. Fidelios Vater hat die Angewohnheit, alles, was er zu sagen hat, in eine Melodie zu kleiden, und in dem Haus, in dem die Familie wohnt, herrscht ununterbrochen ein Heidenlärm, weil ständig irgendwo Musik gemacht wird.
Auf Manfred dagegen könnte Charlie problemlos verzichten. Er ist Oberaufsichtsschüler im Bloor, dazu noch der Sohn des Direktors, und hat ein paar schwarze, hypnotische Augen, die Charlie fürchtet. Außerdem zeichnet er sich durch eine gute Portion Fiesheit aus. Sein steter Schatten Asa ist nicht viel besser. Beide machen Charlie von Anfang an das Leben schwer.

Das zeigt schon, dass einige Ähnlichkeiten zu Harry Potter tatsächlich vorhanden sind. Und es kommen noch mehr dazu. Wie Harry geht Charlie auf eine Art Internat, schläft mit seinen Klassenkameraden in einem gemeinsamen Schlafsaal und trägt einen Umhang als Schuluniform. Zwar gibt es hier keine Häuser wie in Hogwarts, dafür die Fachzüge Musik, Bildende Kunst und Schauspiel, die alle ihre eigene Farbe haben. Jeder Fachzug hat im Speisesaal seinen eigenen Tisch, während an der Stirnseite der Lehrertisch die Tische der Schüler überragt. Das Schulhaus ist ein altes Gemäuer mit vielen unbenutzten Räumen, verschlossenen Türen und verlassenen Gängen. Sogar eine Ruine gibt es.
Im Gegensatz zu Harry Potter jedoch sind hier nicht alle Schüler Zauberer oder Hexen. Tatsächlich gibt es nur eine Hand voll Schüler, die wie Charlie eine besondere Gabe haben. Diese Sonderbegabten machen ihre Hausaufgaben getrennt von den anderen, verteilen sich im Übrigen aber auf die genannten Fachzüge. Jenny Nimmos Entwurf ist näher an der Realität als Rowlings Bücher, wo Harry die „normale“ Welt verlässt und getrennt davon in einer eigenen, magischen Welt lebt. Charlie Bone und seine magisch begabten Mitschüler stehen mit ihren Fähigkeiten mitten im Leben, sodass Normalität und Magie sich miteinander vermischen können.

Die gravierenderen Unterschiede sind weniger inhaltlicher als formeller Natur. Die Charakterzeichnung ist nicht so intensiv, die Umgebung sowohl außerhalb als innerhalb der Schule nicht so detailliert beschrieben wie bei den Potter-Bänden. Jenny Nimmo konzentriert sich mehr auf die Handlung, die so zügig voranschreiten und sich entwickeln kann. Kein Wunder, dass Charlie Bone spürbar schlanker ist. Das soll aber beileibe nicht heißen, dass die Geschichte simpel wäre, im Gegenteil! Die Autorin hat mehrere Ausgangsaspekte angelegt, die sich im Laufe der Geschichte verschieden stark entwickeln. So ist das Rätsel um das Foto und den Metallkasten am Ende zwar aufgeklärt, Charlies Vater jedoch ist noch nicht gefunden, und auch die Frage, was aus Billys Eltern geworden ist, ist noch nicht geklärt. Außerdem versteht Nimmo es, dem Geschehen immer wieder neue Wendungen zu geben, meistens dann, wenn der Leser gerade denkt, jetzt wäre die Sache ausgestanden.
Vor allem aber ist die Geschichte um Charlie Bone bei weitem nicht so unheimlich wie die um Harry Potter. Natürlich gibt es auch hier Bösewichter. Die Bloors sind beileibe nicht sympatisch, Charlies Großtanten auch nicht, und was diese Bagage da eigentlich ausheckt, gehört zu den Dingen, die sich die Autorin für die nächsten Bände aufgehoben hat. Doch im Vergleich zu Voldemort und seinen Todessern sind sie alle recht harmlose Zeitgenossen, zumindest bisher.

Ob Jenny Nimmo nun bei Joannne Rowling abgekupfert hat und deshalb nur eine von vielen Trittbrettfahrern ist oder nicht, auf jeden Fall hat sie das Gerüst ihrer Geschichte mit Leben gefüllt, und das durchaus nicht schlecht. Charlie Bone ist insgesamt einfacher gestrickt und zeigt weniger Liebe zum Detail, dafür fehlt auf der anderen Seite die massive Bedrohung, die die Potter-Bände auszeichnet. Trotz der auffälligen Parallelen zum „großen Bruder“ bietet die Autorin auch interessante, eigene Ideen, die Handlung bleibt übersichtlich, ohne langweilig zu werden. Jüngere Kinder dürften mit dem Buch durchaus ihren Spaß haben.

Jenny Nimmo arbeitete unter anderem als Schauspielerin, Lehrerin und im Kinderprogramm der BBC. Geschichten erzählte sie schon als Kind, Bücher schreibt sie seit Mitte der Siebziger. Unter anderem stammt der Zyklus |Snow Spider| aus ihrer Feder, sowie „Im Garten der Gespenster“, „Der Ring der Rinaldi“ und „Das Gewächshaus des Schreckens“. „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ ist der erste Band des Zyklus |Die Kinder des roten Königs|, und hat sie auch in Deutschland bekannt gemacht. Seither sind zwei weitere Bände von Charlie Bone erschienen, „… die magische Zeitkugel“ und „… das Geheimnis der blauen Schlange“. Den vierten Band gibt es bisher nur auf Englisch unter dem Titel „Charlie Bone and the castle of mirrors“.

Band 2: [„Charlie Bone und die magische Zeitkugel“ 2448

Remin, Nicolas – Schnee in Venedig

Auf den venezianischen Spuren einer Donna Leon wandelt nun in seinem Erstlingsroman auch der studierte Literaturwissenschaftler und Philosoph Nicolas Remin, der mit „Schnee in Venedig“ einen lesenswerten Roman mit nur einigen kleinen Schönheitsfehlern vorgelegt hat. Manch einer mag ihm vorwerfen, dass er auf etwas zu viele klischeebesetzte Figuren zurückgegriffen hat, doch jede Leserin, die schon jetzt den weihnachtlichen Ausstrahlungen der zuckersüßen Sissi-Filme entgegenfiebert, wird sich über das Wiedersehen mit der Kaiserin von Österreich in diesem Buch sehr freuen und Remin ein paar Fehlgriffe mehr verzeihen als der strenge männliche Leser.

Zunächst startet „Schnee in Venedig“ mit einem Prolog, welcher im Jahre 1849 spielt und sehr lange nicht in den Zusammenhang mit der restlichen Romanhandlung gebracht werden kann und daher vielleicht etwas zu schnell in Vergessenheit gerät. Schon auf Seite 13 springen wir ins Jahr 1862 und begleiten Emilia Farsetti auf ihrem Weg zur Arbeit, der sie zur |Erzherzog Sigmund| – einem Österreichischen Raddampfer – führt. Dort entdeckt sie in Kabine 4 zwei Leichen und lässt unüberlegt einige Dokumente verschwinden, was sie später noch bereuen wird. Hofrat Hummelhauser aus Wien wird mit zwei Schusswunden aufgefunden, eine unbekannte junge Dame neben ihm wurde erwürgt und in den Hals gebissen. Der Fund wirft viele Fragen auf, denn wer ist die unbekannte Dame, die nicht auf der Passagierliste steht, und welche Dokumente hat Emilia Farsetti an sich genommen?

Commissario Tron wird zu dem Fundort hinzugerufen, wo ihm allerdings schnell der Fall von Oberst Pergen wieder entzogen wird, der zu wissen meint, dass diese beiden Morde im Zusammenhang mit einem geplanten Attentat auf die Kaiserin von Österreich stehen. Tron allerdings gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden und forscht auf eigene Faust nach – genau wie Elisabeth von Österreich, die einen Brief ihres Gatten vermisst und nun dem Mord an Hofrat Hummelhauser auf den Grund gehen möchte, da dieser den verloren gegangenen Brief überbringen sollte.

Zeitgleich zu den Vorbereitungen zu einem Maskenball im Palazzo der Trons geschehen weitere Morde, die immer mehr Fragen aufwerfen und Tron in seinem Glauben bestärken, dass Oberst Pergen nicht den wahren Täter gefunden hat.

Nicolas Remin hat sich für seinen Debütroman eine faszinierende Welt ausgesucht, welche den Rahmen zu seiner Kriminalgeschichte bildet. Das verschneite Venedig mit seinen Gondeln und Maskenbällen gepaart mit einer mutigen Elisabeth von Österreich, die uns hier nicht annähernd so zerbrechlich präsentiert wird, wie wir sie aus anderen Erzählungen kennen, ergeben eine interessante Mischung, die zu unterhalten weiß. Als eingefleischter Sissi-Fan muss man sich zunächst an die Wandlung der Elisabeth gewöhnen, doch gewinnt die kaiserliche Figur, die sich nur aufgrund eines fehlenden Briefes ihre eigenen Nachforschungen anstrengt und sich dabei heimlich aus dem Palast stiehlt, schnell an Sympathie.

Es sind die Charaktere in diesem Buch, welche den Reiz ausmachen, denn auch der ärmliche Tron mit seinen berühmten Vorfahren und der exzentrische Polizeichef, der seine Süßigkeiten auf keinen Fall mit anderen teilen und auch beim Mittagessen gefälligst nicht gestört werden möchte, gefallen sehr gut und animieren den Leser zum Schmunzeln. Überhaupt beweist Remin an mancher Stelle einen trefflichen Humor, wenn zum Beispiel eine Leiche ins Wasser geworfen wird und dann festgestellt werden muss, dass sich dummerweise direkt unter der Abwurfstelle ein Boot befindet, welches die Leiche aufgefangen hat. Remin entwirft nicht nur zum Teil skurrile Charaktere, sondern auch manch eine Situation, die mich zum Schmunzeln gebracht hat.

Zwei Handlungsfäden sind es, die sich durch das gesamte Buch ziehen und die Handlung vorantreiben; so begleiten wir auf der einen Seite Commissario Tron bei seinen Ermittlungen, die er nun als Privatmann fortführen muss, und wir werden Zeuge, wie Elisabeth zur Gräfin Hohenembs wird, die sich unerlaubterweise aus dem Palast stiehlt, um ebenfalls herauszufinden, wer hinter dem Mord an Hofrat Hummelhauser steckt. Das Schema zweier paralleler Handlungsstränge ist altbekannt, verwirrend empfand ich allerdings den Zeitsprung, den wir beim Wechsel von einem Schauplatz zum nächsten durchmachen müssen, denn Tron agiert stets in der Vergangenheit, während die Passagen rund um Elisabeth in der Gegenwart verfasst sind. Eventuell mag dies ein geschickter literarischer Kniff sein, für mich bedeutete dieser Wechsel im Zeitverlauf allerdings immer wieder eine Störung im Lesefluss, auf die ich gerne verzichtet hätte.

Dafür überzeugt Remin in anderen Belangen auf ganzer Strecke, seine romantischen und vielfarbigen Beschreibungen des winterlichen Venedigs ermöglicht es seinen Lesern, ganz in diese fremde und faszinierende Welt einzutauchen und das ungemütliche Herbstwetter vor dem eigenen Fenster vollends auszublenden. Ganz nebenbei erfährt man sogar ein klein wenig über venezianische Geschichte und Venedigs Verbindungen zu Österreich. Abgesehen von den Zeitsprüngen empfand ich Remins bildhaften und sympathischen Schreibstil als sehr erfrischend und angenehm, seine Zeilen liest man einfach gerne, sie machen Spaß und unterhalten gut. Diese Pluspunkte auf stilistischer Ebene sorgen dafür, dass man Remin inhaltlich dafür ein paar Schnitzer nachsieht, auch das etwas kitschig anmutende Ende passt ja irgendwo in ein Buch, in welchem Sissi eine Hauptrolle spielt.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Nicolas Remin zwar keinen perfekten Debütroman vorgelegt hat, aber ganz sicher einen unterhaltsamen Kriminalroman, der vielleicht nicht ganz so rasant geschrieben ist wie bei Mankell, der uns dafür aber in eine unglaublich interessante und fremdartige Welt entführt, in die man sehr gerne eintaucht. Nur wenige Dinge trüben ein klein wenig den Lesegenuss, die meiste Zeit aber bereitet dieses Buch einfach nur Freude und macht schon jetzt neugierig auf den im Januar erscheinenden Nachfolger „Venezianische Verlobung“, den ich mir sicher nicht entgehen lassen werde.

Riebe, Brigitte – Straße der Sterne

Regensburg, 1245: Die 17-jährige Kaufmannstochter Pilar Weltenburger ist blind, lebt aber wohlbehütet im Hause ihres Vaters Heinrich, der seine Tochter über alles liebt. Die Mutter Rena hatte die Familie zehn Jahre zuvor ohne Erklärungen verlassen – ein Verlust, den sowohl Pilar als auch der Kaufmann nie verkraftet hatten.

Als aufgrund von Intrigen das Familiengrundstück in Flammen aufgeht und Heinrich stirbt, beschließt Pilar, der „Straße der Sterne“ zu folgen – der Straße, die den Pilgern den Weg zum Grab des heiligen Jakobus weist. Zusammen mit ihrem maurischen Diener Tariq, den ihre Mutter aus dem fernen Frankreich mitgebracht hatte, verlässt Pilar Regensburg, um im spanischen Santiago de Compostela den Heiligen zu bitten, ihr das Augenlicht wiederzugeben.

Tariq selbst trägt seit jenem Morgen, an dem seine Herrin die Stadt verließ, Renas Aufzeichnungen mit sich. Die Bitte, ihr Vermächtnis der Tochter zu geben, sobald diese alt genug sein würde, konnte er nicht mehr erfüllen, da Pilars Krankheit ihm zuvor gekommen war. Selbst unfähig, die Erinnerungen zu ertragen, die ihn dann überrollen würden, brachte er es nicht über sich, dem Mädchen die Seiten vorzulesen.

Der Weg der Pilger war seit jeher gefährlich, aber eine blinde junge Frau in Begleitung eines Nicht-Christen stellt eine allzu leichte Beute dar und so beschließen die beiden, die Hauptstraßen zu meiden. Trotzdem treffen sie nach und nach auf andere Pilger, die alle eins gemeinsam haben: dunkle Geheimnisse, die niemand außer dem heiligen Jakobus erfahren soll. Der Tempelritter Camoni, der seiner großen Liebe nachtrauert und Pilar zu kennen scheint; die Reisende Moira, die nie über ihre Familie redet und sich in Camoni verliebt; der Mönch Armando, der den Heiligen Gral sucht und an seiner Berufung zu zweifeln beginnt; und schließlich das Mädchen Estrella, das Tarot-Karten legt, um an Geld zu kommen, und als Einzige dem Heiligen uninteressiert gegenübersteht. Eine mächtigere Hand als der Zufall hat diese Menschen zusammengeführt und ihr Schicksal liegt sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Auf dem Weg nach Spanien erfüllt es sich unbarmherzig Stück für Stück.

Brigitte Riebe ist hier ein etwas anderer historischer Roman gelungen, der nichts von dem allseits beliebten „Gut-und-Böse-Schema“ beinhaltet. Die Geschichte lebt von den großartig ausgearbeiteten Charakteren, die ganz natürlich aus ihrem Leben erzählen und den Leser in ihre persönlichen Tragödien einblicken lassen. Hier gibt es keine Superhelden-Action, die den Leser am Wahrheitsgehalt der Geschichte zweifeln lassen, es handelt sich vielmehr um einen faszinierenden Reisebericht.

Jeder Charakter ist nachvollziehbar, verletzlich und ergreifend geschildert, und der Leser wartet ungeduldig auf die Auflösung all dieser Rätsel. Sieben Menschen ergeben sieben einzelne und eine gemeinsame große Geschichte – Brigitte Riebe versteht es, einen vielschichtigen Plot zu entwickeln und diesen dann großartig umzusetzen! Abwechselnd gerät der Leser in die Wirren der Pilgerreise und in die Wirren der Vergangenheit, die die Autorin geschickt Stück für Stück – dem Weg der Reisenden angepasst – aufdeckt. Und auch wenn dem aufmerksamen Leser die Lösungen der kleinen und großen Rätsel schnell klar werden, klingt der Roman nicht langweilig aus. Das Ende passt sich, einer logischen Konsequenz folgend, dem Rhythmus der vorangegangenen Seiten an und lässt im Leser das Gefühl nachhallen, das er von Beginn an hatte: ein ruhiges, aber ergreifendes Buch!

Im Anhang findet der Leser historische Daten über die „Straße der Sterne“ und Pilger, aber auch Anmerkungen zu dem damaligen Stand der Papierherstellung. Sehr interessant!

Brigitte Riebe, vollständig Dr. Brigitte Leierseder-Riebe, wurde 1953 in München geboren, wo sie auch heute noch als freie Schriftstellerin lebt. Sie ist promovierte Historikerin, war zunächst als Museumspädagogin tätig und hat später lange Jahre als Verlagslektorin gearbeitet, bevor sie selbst begann, Romane zu schreiben. Unter ihrem Pseudonym Lara Stern veröffentliche sie u. a. die Sina-Teufel-Romane, mit denen sie auch bekannt wurde. Seit März 2005 ist der Roman [„Die Hüterin der Quelle“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=2190 im Handel erhältlich.

Homepage der Autorin: http://www.brigitteriebe.de

George, Elizabeth – Gott schütze dieses Haus

|Jahrhundertelang hat ein Nest im englischen Yorkshire im Dornröschenschlaf verbracht – bis ein brutaler Mord die Spinnweben für alle Bewohner zerreißt. Denn der Dorfpfarrer, Pater Hart, macht eine grauenvolle Entdeckung: William Theys, eines seiner treuesten Schäfchen und hoch angesehenes Gemeindemitglied, liegt enthauptet in seiner Scheune. Neben ihm kauert seine leicht debile neunzehnjährige Tochter, die sagt: „Ich hab’s getan.“ Dann verstummt sie …

Ein Fall für Scotland Yard, das ein höchst ungleiches Team zur Aufklärung des Verbrechens schickt: Inspektor Thomas Lynley, attraktiv, weltmännisch, galant, und seine Mitarbeiterin Barbara Havers, ein hässliches Entlein, das sich neben dem charmanten Lynley noch plumper und unbeholfener vorkommt. In nervenaufreibender Kleinarbeit entwirren die beiden ein dunkles Netz, das die Abgründe hinter einer biederen Fassade von Wohlanständigkeit kaschiert, entlarven eine grausige Wahrheit, die mehr als ein Leben zerstört hat . . .|

„Gott schütze diess Haus“ war mein erster Krimi von Elizabeth George – und sie hat mich sofort „gepackt“, die Affinität zu dieser Autorin, die meisterhaft psychologisch zu erzählen weiß, und das in geschickt verwobenen Handlungssträngen. Geschickt aus dem Grund, dass sich der tatsächliche Mordplot dezent im Hintergrund abspielt und der Krimi dennoch mit einem Cliffhanger aufwartet, der sich lesen lassen kann.

Pater Hart, der Seelsorger des kleines Dorfes in Yorkshire, in dem die Handlung spielt, findet eines Tages den Bauern William Teys erhängt in seiner Scheune vor. Der zweifache, alleinerziehende und sehr religiöse Mann ist ermordet, genauer: enthauptet worden. Seine jüngere, dickliche Tochter Roberta sitzt neben ihm, gesteht den Mord zwar, spricht aber fortan kein einziges Wort mehr.

Inspektor Lynley – ein bei Elizabeth Goerge immer wiederkehrender Charakter – und seine neue – und spröde – Partnerin Barbara Havers, die in den Streifendienst strafversetzt wurde, ermitteln in diesem Fall. Beide gehen zuerst recht misstrauisch miteinander um, von gegenseitigen Vorurteilen geprägt. Barbara hält den adeligen Vorgesetzten für einen Schönling und Frauenheld, Lynley sie wiederum für stur und schwierig. Doch Lynleys schöner Schein trügt, denn auch er hat mit emotionalen Problemen zu kämpfen, da sein bester Freund Simon Lynleys Ex-Verlobte Deborah geheiratet hat, und der Inspektor zu allem Überfluss die beiden am Tatort trifft, wo sie ihre Flitterwochen verbringen.

Schnell wird erkennbar, dass es die Autorin vortrefflich versteht, vielschichtige Charaktere zu erschaffen.
So ist Inspektor Thomas Lynley gutaussehend, erfolgreich im Beruf und bei den Frauen. Er ist intelligent, begütert, charmant, aber er ist auch feinfühlig und verwundbar. Das zeigt sich darin, wie sehr er um die Frau seines Herzens, die er verloren hat, trauert.
Seine neue Partnerin Seargent Barbara Havers hingegen wirkt auf den ersten Blick wie eine unattraktive, unsichere Frau, die von Selbstzweifeln geplagt wird, aber bei genauerem Hinsehen einen glasklaren Verstand besitzt.
Im Laufe des Handlung entwickelt sich zwischen Lynley und ihr so etwas wie Freundschaft, was das einzig Vorhersehbare des Buches ist. Gewürzt wird dieser Plot aber mit der Vergangenheitsbewältigung von Barbara Havers, die mit persönlicher Nähe ihre Probleme hat, und den Spannungen zwischen den beiden konträren Charakteren.

Die beiden nehmen das ganze Dorf unter die Lupe und stoßen bei ihrer Recherche auf einige Hinweise der familiären Vergangenheit des Toten. So befindet sich in dem Haus des Ermordeten eine Art Gedenkschrein für Williams Teys Frau Tessa, eines der Zimmer ist unbewohnt, in einem Fotoalbum sind etliche Bilder, auf denen ein Gesicht fehlt, und Robertas Schwester Gillian, die ihrer Mutter sehr ähnlich sieht, hat im Alter von sechzehn Jahren das Haus verlassen hat.

Das alles wirft Fragen auf, auch nach möglichen Tatmotiven, denn niemand glaubt so recht an Robertas Geständnis. Auch der Neffe des Ermordeten, ein Maler von Keldale, der mit dem Ermordeten in Streit geraten war, ebenso Tessas neuer Mann oder seine älteste Tochter geraten in den Kreis der Verdächtigen.

Der Leser wird von der Autorin mit außerordentliche Raffinesse auf immer wieder neue Fährten in dieser verstrickten Familienstory geschickt, die mit dem überraschenden Ende einen absoluten Höhepunkt präsentiert.

Bei diesem Krimi stimmt einfach alles! Denn wie immer verwischen sich bei Elizabeth George Realität und Fiktion, was gerade dieses Werk so interessant macht. Absolut empfehlenswert!

Redaktionsteam Rock Hard – Best Of Rock & Metal – Die 500 stärksten Scheiben aller Zeiten

Aufmerksame Leser des „Rock Hard“-Magazins werden sicherlich schon die Idee, die besten Sparten-Alben aller Zeiten zusammenzustellen und mit neuen Rezensionen zu versehen, kennen. Vor einiger Zeit gab es nämlich schon einmal ein Special im Heft, in dem die – nach Urteil der Redaktion – besten 300 Platten aufgeführt wurden, was natürlich auch einen Rattenschwanz an Diskussionen nach sich zog, schließlich wunderten sich viele Leser, warum nun dieses Album so weit vorne war, während jene Scheibe gar nicht erst erwähnt wurde. Aber hier handelt es sich eben um ein rein subjektives Unterfangen, von dem ich persönlich sagen muss, dass ich es mit viel Vergnügen und Interesse verfolgt habe.

Jetzt hat man diese Liste um weitere 200 Alben erweitert und in exklusiver Buchform veröffentlicht, sozusagen um die Liste ‚kompletter‘ zu machen. Ob das jedoch wirklich nötig war, steht auf einem anderen Blatt geschrieben, denn die Herangehensweise ist doch sehr suspekt. Statt die ganze Sache neu durchzumischen und die neu eingefügten Alben – es handelt sich hier nämlich unter anderem um CDs, die beim Erscheinen der ersten Liste noch gar nicht veröffentlicht waren – passend in die Liste zu integrieren, wurden einfach die Plätze 301-500 mit 200 weiteren Veröffentlichungen belegt, ganz gleich ob eines dieser neuen Alben jetzt in Sachen Wichtigkeit einen der Ränge unter Platz 300 verdient hätte oder nicht.

Das macht die ganze Angelegenheit nämlich schließlich auch wenig glaubhaft und wirkt im Endeffektrecht lieblos. Bevor wir uns falsch verstehen: Von der Aufmachung über den gewohnt humorvollen Schreibstil bis hin zu den detailreichen Albumbesprechungen ist hier alles echt super dargestellt. Nur inwiefern das Ganze jetzt auch wirklich repräsentativ für die Meinung innerhalb der „Rock Hard“-Redaktion ist, darf man in Frage stellen. Am Ende kommen dann nämlich die aktuellen Alben von Bands wie ILL-DISPOSED, CHILDREN OF BODOM (hier zu Beispiel „Are You Dead Yet?“ vor das wesentlich einflussreichere „Hatebreeder“ zu stellen, halte ich für ein Unding) oder ANTHRAX zum Zuge, die – ohne ihre individuelle Klasse zu bestreiten – sicherlich nicht wirklich in eine solche Liste hineingehören.

Schlussendlich wirken nämlich gerade die Scheiben, mit denen die letzten Plätze aufgefüllt wurden, wie eine Aneinanderreihung von Lückenfüllern, mit dem Ziel, einfach nur irgendwie das Buch voll zu bekommen. Das ist man eigentlich vom „Rock Hard“ in dieser Form gar nicht gewohnt, und auch wenn ich die Idee einer solchen Auflistung für gut halte und die professionelle Aufmachung dieses Buches sehr schätze, so halte ich ein solches Projekt auch nur dann für sinnvoll, wenn es mit der nötigen Hingabe verwirklicht wird. „Best Of Rock & Metal“ hingegen wirkt wie ein vorschnell eingeschobenes Unterfangen, das ich rein subjektiv für nicht repräsentativ halte – wohl wissend, dass ich der Redaktion des eigentlich geliebten Magazins damit ganz klar etwas unterstelle!

Barclay, James – Nachtkind (Die Chroniken des Raben 5)

Band 1: [„Zauberbann“ 892
Band 2: [„Drachenschwur“ 909
Band 3: [„Schattenpfad“ 1386
Band 4: [„Himmelsriss“ 1815

Nach vier Büchern war die grundlegende Handlung der „Chroniken des Raben“ eigentlich abgeschlossen: Das Land Balaia war gerettet, die Wesmen vertrieben und die Drachenvölker vor ihrer Ausrottung bewahrt worden. Doch James Barclay wäre nicht der geniale Fantasy-Autor, der er nunmal ist, hätte er nicht eine weitere innovative Idee im Hinterkopf, um die Geschichte weiterzuentwickeln und eine neue Bedrohung für Balaia zu kreieren.

„Nachtkind“, der vorletzte Band dieser Reihe, spielt daher auch fünf Jahre nach dem großen Sieg, den die Söldnerarmee „Der Rabe“ eingeleitet hatte. Die einzelnen Mitglieder der Truppe sind mittlerweile im ganzen land verstreut, die Kontakte eigentlich abgebrochen und „Der Rabe“ inaktiv bzw. aufgelöst. Dann aber ereignen sich erneut schreckliche Dinge, die die teils verstrittenen Mitglieder wieder zusammenbringen – doch nichts ist mehr so, wie es einmal war …

_Handlung_

Erienne ist auf der Flucht – vor ihrem Kolleg in Dordover, vor Selik, dem totgeglaubten Anführer der Schwarzen Schwingen, und vor einem ganzen Land, das in ihrer Tochter Lyanna die Ursache für die ganzen Naturgewalten sieht, welche seit einiger Zeit die Städte und Wälder in Balaia heimsuchen. Das gemeinsame Kind von Denser und ihr scheint nämlich das Kind zu sein, von dem eine uralte Prophezeihung einst behauptete, dass es diejenige Person sei, die die Magie des Einen Weges wieder einführen könnte. Doch das Kolleg der Dordovaner kann die von Lyanna entfesselte Magie nicht mehr kontrollieren und dementsprechend auch nicht mehr für seine eigenen Zwecke einsetzen, so dass man sich gezwungen sieht, Lyanna zu töten.

Aus diesem Grund reist Erienne mit der Hilfe einiger befreundeter Elfen nach Herendeneth, zur Insel der Al-Drechar, der Begründer des Einen Weges. Dort glaubt sie, für ihr Kind Schutz zu finden und erhofft sich außerdem, dass es den uralten Magiern gelingt, die Magie ihrer Tochter unter Kontrolle zu bringen.

Sechs Wochen nach ihrem Verschwinden bittet Vuldaroq aus Dordover Eriennes Mann Denser um Hilfe. Denser erfährt erst jetzt vom Schicksal Lyannas und sucht alsbald den Unbekannten Krieger in seinem Wirtshaus auf, um ihn um Hilfe zu bitten. Dessen Frau ist zwar nicht sonderlich begeistert, lässt ihn aber ziehen, damit Densers Kind beschützt und gerettet werden kann. Auch Ilkar schließt sich dem Raben wieder an. Hirad hingegen ist nicht sonderlich begeistert von der Idee, Denser zu unterstützen. Er ist enttäuscht vom xeteskianischen Magier, weil er nicht wie versprochen das Tor zur Drachenwelt geöffnet hat und die Kaan-Drachen seitdem in Balaia festsitzen und dem Tod geweiht sind. Trotzdem schließt er sich der Truppe an und zieht mit ihr nach Arlen, wo man die zurückgekehrte Erienne in Empfang nehmen will.

Allerdings ist der Rabe nicht mehr die verschworene Einheit, die er mal war. Immer wieder gibt es innere Konflikte, und als Hirad sich schließlich vor der feindlichen Armee aus Lystern verplappert und den Ankunftsort von Erienne versehentlich preisgibt, kommt es zum Eklat und zur Trennung zwischen Hirad und dem Raben. Währenddessen wird Lyannas unkontrollierte Kraft immer stärker und die Gefahr für Balaia von Tag zu Tag größer …

_Meine Meinung_

Nach dem hervorragenden Vorgängerband fiel es mir anfangs schwer, eine neue Geschichte um den Raben zu akzeptieren, vielleicht auch aus Sorge, nicht mehr dieselbe Magie zu spüren, die noch von allen vorangegangenen Büchern aus dieser Reihe ausgegangen war. So dauerte es zunächst auch eine Zeit, bis ich wieder in der Geschichte drin war, schließlich setzt Barclay hier einen fast komplett neuen Strang an, der aber natürlich auf den Ereignissen der Vergangenheit beruht. Aber nun sind die Bedingungen vollkommen anders. Der Rabe ist komplett übers Land verstreut, die Gemeinschaft ist bei weitem nicht mehr das, was sie mal war, und auch die Charaktere haben sich zu ziemlichen Eigenbrödlern verwandelt. Denser war schon immer sehr eigenwillig, oft auch sehr egoistisch, bei ihm hat sich bis auf die plötzlich aufgeflammte Angst kaum etwas geändert. Das kann man für Hirad und den Unbekannten nicht behaupten: Ersterer scheint seine Erfüllung darin gefunden zu haben, als Drachenmann die Kaan zu beschützen und vergisst dabei fast vollständig die Welt um sich herum. Der Unbekannte hingegen hat eine Familie gegründet und sich mental vollkommen von der Protektorenarmee lösen können. Dieser Gemütswandel und seine neue Verantwortung bewegen ihn letztendlich auch dazu, Denser bei der Suche nach Lyanna zu unterstützen, schließlich kann er sich nur allzu gut vorstellen, wie schlimm es sein muss, sein Kind einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sehen.

Als Letzter ist dort Ilkar; der Elfenmagier lässt sich wie gewohnt nicht in die Karten schauen, wirkt aber im Verlaufe der Geschichte immerzu sehr besorgt – zum einen um die Entwicklung innerhalb des Raben, zum anderen um die bevorstehende Katastrophe in Balaia und die damit verbundenen Auswirkungen auf sein gerade wieder aufgebautes Kolleg in Julatsa.

Die innere Zerissenheit aller Beteiligten bestimmt auch schließlich die Atmosphäre von „Nachtkind“. Ohne Zweifel ist der fünfte Band der düsterste der gesamten Serie, in Sachen Spannung aber trotzdem auf dem bekannt sehr hohen Level. Nach einer kurzen Einleitung überschlagen sich die Ereignisse förmlich, und wiederum gelingt es dem Autor exzellent, zwischen den vielen verschiedenen Szenarien hin und her zu schwenken, dabei aber den eigentlichen Plot nie aus der Hand zu geben. Gleichermaßen wiederholt sich daher auch das Empfinden des Lesers: Man fühlt sich gefesselt und kommt nicht mehr von dem Buch los. Man fühlt sich geradezu dazu gezwungen, die Geschichte um den verzweifelten Denser, den hitzköpfigen Hirad, die bestürzte Erienne, den zerstreuten Unbekannten, den sehr ruhigen Ilkar und das kleine Mädchen, von der eine große Bedrohung auszugehen scheint, in sich aufzusaugen.

„Nachtkind“ ist eine überaus gelungene Fortsetzung des in sich abgeschlossenen Zyklus nach „Himmelsriss“. Die Reise des Raben geht weiter, doch die Stimmung ist eine andere. Der fünfte Teil der Reihe beschäftigt sich in erster Linie mit dem finsteren Seelenleben der Hauptpersonen, und weil man nie genau weiß, welche Rolle die Mitglieder des Raben jetzt tatsächlich einnehmen, geht auch von der Unsicherheit auf Seiten des Lesers noch eine zusätzliche Spannung aus, die ich schwer in Worte fassen kann. Einen Moment möchte ich aber noch schildern, nämlich den, als ich das letzte Kapitel begonnen habe: Man beginnt zu schwitzen, in der Gewissheit, dass der Band gleich zu Ende sein wird, die Handlung jedoch noch nicht. Auf jeder Seite steigt die Begeisterung proportional zum Aufkeimen der Enttäuschung darüber, dass man jetzt wieder eine halbe Ewigkeit bis zur Fortsetzung warten muss, an. Der letzte Band „Elfenmagier“ ist für März 2006 angekündigt. Ich hoffe, dass er trotzdem früher erscheint …

Fallon, Jennifer – Kind des Schicksals (Dämonenkind Band 3)

Band 1: [Kind der Magie 1328
Band 2: [Kind der Götter 1332

Wider erwarten ist es gegen Ende des zweiten Bandes den Kariern nicht mehr gelungen, R’shiel nach Karien zu bringen. Stattdessen hat das Dämonenkind mit Hilfe der Hüter den Spieß umgedreht und die Karier gefangen genommen. Aber Tarjanian ist schwer verwundet. Um ihn zu retten, bittet sie die mit ihrer Familie verbundenen Dämonen, eine Verschmelzung zu bilden und den Blutverlust auszugleichen.
Das hat ungeahnte Folgen!

Die Dämonenverschmelzung hat den Bann der Liebesgöttin Kalianah aufgehoben. Als Tarjanian aus der Bewusstlosigkeit erwacht, ist seine Liebe zu R’shiel erloschen. Dass es diese Liebe überhaupt gab, ist ihm nicht nur ein Rätsel, sondern sogar ein Gräuel! Sofort stürzt er sich erneut ins Getümmel, versucht, durch Zerstörung der Fähren das karische Heer am Überqueren des Gläsernen Flusses zu hindern. Kurzzeitig hat er Erfolg, wird aber von den Kariern gefangen genommen und landet schließlich in einer Zelle der Zitadelle, wo er auf seine Hinrichtung wartet.

R’shiel dagegen ist, nachdem sie Damin und Adrina quasi zwangsverheiratet hat, um dadurch Frieden zwischen Fardohnja und Hythria zu stiften, mit den beiden eilig nach Hythria geritten. Sie will nach Groenhaven und die Magiergilde um Rat bitten, wie sie mit Xaphista fertig werden kann. Aber anstatt sich mit Xaphista zu beschäftigen, muss sie sich mit Politik herumärgern. Hythria steht am Rande eines Bürgerkrieges, und Adrinas Vater wirft Brakandaran aus dem Palast, als er von der Heirat erfährt. Abgesehen davon hat die Magiergilde zwar ein riesiges Archiv, nur lässt sich dort keinerlei Hinweis darauf finden, wie Xaphista zu bezwingen sein könnte!

Während R’shiel sich im Süden herumschlägt, gehen Korandellan, der den Zufluchtsort der Harshini aus der normalen Zeit fernhält, allmählich die Kräfte aus.

Und Xaphista hat sich höchstpersönlich aufgemacht, um dem Dämonenkind das Handwerk zu legen …

Klingt alles in allem gar nicht schlecht. Leider halten die viel versprechenden Anlagen nicht ganz, was sie verheißen.

R’shiel ist inzwischen ein ziemlich harter Brocken. Wenn es zur Erreichung ihrer Interessen notwendig ist, wird sie ziemlich derb und rücksichtslos, Drohungen und Erpressungen inklusive! Dennoch setzt sie sich nach einem missglückten Anschlag auf ihr Leben für den Attentäter ein, vollkommen abgebrüht ist sie also noch nicht. Die Aussage Zegarnalds, dergemäß die viele ihr widerfahrene Unbill durchaus in seiner Absicht lag, um sie zu stählen, nimmt R’shiel ihm allerdings äußerst übel. So hat die enorme Energie, die sie in die Einigung zwischen Hythria und Fardohnja steckt, nicht allein den Zweck, wertvolle Bundesgenossen für Medalon zu finden, sondern nebenbei auch, Zegarnalds Macht zu beschneiden.

Im Übrigen gibt es zu den Charakteren nicht mehr viel zu sagen. Tarjanian muss erst die Tatsache seiner unechten Liebe zu R’shiel verdauen, mehr wird dem Leser über seine Gedanken nicht mehr verraten. Damin und Adrina lernen endlich zusammenzuarbeiten, anstatt sich zu streiten. Und Brakandaran verliebt sich in R’shiel, da er aber im ersten Band mit dem Tod um R’shiels Leben geschachert hat, damit sie ihre Bestimmung erfüllen kann, bedeutet ihr Sieg über Xaphista gleichzeitig seinen Tod.
Vor allem die beiden letztgenannten Entwicklungen sind ziemlich absehbar.

An Personenentwicklung wird also nicht mehr allzu viel geboten. Die Handlung hat folglich einiges auszugleichen. Und das gelingt ihr nicht. Trotz einiger Bewegung in den Ereignissen schafft es die Autorin nicht, den Spannungsbogen wirklich straff zu ziehen. Zu glatt, zu flüssig werden alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt.

Anhand Meister Dranymirs Warnung, wie schwierig es sei, auf einem Drachen zu reiten, sollte man erwarten, dass R’shiel wirklich ernsthafte Probleme damit hat, wenn sie schon nicht runterfällt. Letztlich hat sie aber nur ein paar steife Knochen, die sie wie durch ein Wunder kein einziges Mal stolpern oder irgendwo anrempeln lassen! Als sie zusammen mit Damin Adrina aus den Fängen ihrer Entführer befreit, sind alle Feinde taub, niemand hört die knarrende Tür, niemand ihre Schritte auf der Treppe! Ein paar Komplikationen, wenigstens kleine, hätten da mehr draus machen können!

Und wie durch einen wunderbaren Zufall kommen die Hüter gerade im entscheidenden Moment, um den Kampf um Groenhaven zu Damins Gunsten zu entscheiden, obwohl sie eigentlich in Krakandar hätten sein sollen: weil nämlich Feldhauptmann Denjon etwas verwechselt hat und deshalb nach Groenhaven geritten ist! Das wirkt konstruiert und unglaubwürdig, zumal die vorgekommene Verwechslung nicht genauer erklärt wird. Und immerhin gelten die Hüter als Musterbeispiel für Kompetenz und Tüchtigkeit!

Auch die Ereignisse in der Zitadelle sind etwas unausgereift.
Nach zweihundert Jahren geschürten Hasses auf die Harshini genügt eine fröhliche Party, um die Medaloner plötzlich zu Harshini-Freunden zu machen? Eher unwahrscheinlich.
Und hat die Puffmutter Humbalda Loclon nach dem Handstreich der Hüter wirklich nur aus der Zitadelle gerettet, um ihn danach bei den karischen Priestern auf Slarn zu deponieren? Welchen Zweck sollte das haben? Hier wurde das Potenzial von Humbaldas gefährlichem Charakter völlig verschenkt, außerdem fehlt etwas, das ihre Handlungsweise plausibel macht.

Andererseits fehlt eine Hinleitung auf die Tatsache, dass Hochmeister Jenga ausgerechnet von Gawn getötet wurde, dem Hüter, den Tarjanian im ersten Band wegen der Schlappe gegen die Hythrier zur Schnecke macht. Gawns Werdegang unter der karischen Besatzung liegt völlig im Dunkeln. Wo kam der Kerl auf einmal her? Und wieso hat er so viel Befehlsgewalt? Eigentlich war er doch ein Nichts.
Am erstaunlichsten fand ich das Auftauchen des Seher-Steins der Zitadelle. Bei einem so großen Komplex wie der Zitadelle wäre zu erwarten gewesen – und R’shiel hat das ja auch erwartet -, dass der Stein schwer zu finden sein würde. Stattdessen fällt er den Anwesenden quasi einfach vor die Füße, und das war in dem Moment absehbar, als Shananara beschloss, den großen Saal wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen, um die Seele der Zitadelle zu beruhigen. Das fand ich dann doch etwas enttäuschend!
Hinzu kommt, dass Xaphistas Versuche, das Dämonenkind aufzuhalten, sich darauf beschränken, einen Attentäter zu suchen, der sie töten soll. Ein ziemlich kümmerlicher Einsatz! Xaphista ist ein Gott! Der zu diesem Zeitpunkt mächtigste Gott überhaupt! Fällt ihm denn nicht mehr ein?

Bleibt nur zu sagen, dass der dritte Band hinter dem zweiten ein gutes Stück zurückfällt. Irgendwie hinterlässt das Buch beim Leser am Ende den Eindruck, der Autorin sei in der Zielgeraden einfach die Puste ausgegangen. Die Handlung ist nicht konsequent durchdacht, Ideen wurden nur halbherzig ausgebaut. Viele Dinge blieben unklar, dafür waren andere zu vorhersehbar. Spannung wollte einfach nicht so recht aufkommen, da Herausforderungen zu problemlos gemeistert wurden. Der Protagonistin fehlt ein ernst zu nehmender Gegenspieler, da Xaphista, der diese Rolle eigentlich in diesem Band hätte ausfüllen sollen, weder Kraft noch Einfallsreichtum zeigt.
Aus zwei mäßig guten und ein mittelmäßigen Band ergibt sich für den Gesamtzyklus folglich untere Mittelklasse.

Fazit: Kann man lesen, muss man aber nicht. Zumal in diesem Fall auch das Lektorat absolut mangelhaft war.

Jennifer Fallon stammt aus einer großen Familie mit zwölf Geschwistern. Sie hat in den verschiedensten Jobs gearbeitet, unter anderem als Kaufhausdetektivin, Sporttrainerin und in der Jugendarbeit. Letzteres scheint ihr immer noch nachzuhängen, unter ihrem Dach leben außer drei eigenen Kindern einige obdachlose Jugendliche als Pflegekinder. Schreiben tut sie nebenher. Die Trilogie |DemonChild| war ihre erste Veröffentlichung. Außerdem stammt die Trilogie |Second Sons| aus ihrer Feder. Derzeit schreibt sie an den |Hythrun Chronicles|, dem Prequel zu ihrer |DemonChild|-Trilogie. Auf Deutsch sind diese Bände jedoch noch nicht erschienen.

http://www.jenniferfallon.com/

_Jennifer Fallon bei |Buchwurm.info|:_

[„Kind der Magie“ 1328 (DemonChild Band 1)
[„Kind der Götter“ 1332 (DemonChild Band 2)
[„Kind des Schicksals“ 1985 (DemonChild Band 3)
[„Erbin des Throns“ 2877

Armor, Bryan / Bates, Andrew / Blackwelder, Kraig / Grabowski, Geoffrey C. / Habecker, Dana u.a. – Hohen, Die (Exalted – Zeit der Tränen)

|Ehe es eine Welt der Dunkelheit gab, gab es ein Zeitalter der tollkühnen Abenteuer.

Das Reich der Drachenblütigen erhebt sich auf den Ruinen des Ersten Zeitalters – ein unbesiegbarer Koloß.

Jahrtausende hielt die Scharlachrote Kaiserin die Welt in ihrem eisernen Griff.

Nun, da die Kaiserin nicht mehr ist, treibt das Reich jeden Tag tiefer ins Chaos und einem Bürgerkrieg entgegen.

In dieser Zeit des Haderns erscheinen die Hohen der Sonne, legendäre Helden, wiedergeboren in einer Zeit der Wehklagen.

Künden diese fleischgewordenen Legenden von der Rückkehr eines neuen goldenen Zeitalters oder vom Ende der Schöpfung?

Welche Legenden werden von ihren Taten berichten?|
(Auszug aus dem Regelwerk)

„Die Hohen“ ist das Grundregelwerk zur „Zeit der Tränen“ vom |Feder & Schwert|-Verlag. Die Grundstruktur ist geprägt von einer Beeinflussung durch die japanischen Mangas und Animes.

_Zum Hintergrund:_

Einst herrschten die Hohen der Sonne über das Reich. Doch über die Jahrhunderte hinweg wurden sie dekadent und ihre Magie verzehrte ihre Herzen von innen heraus.

So wurden ihre Diener, die Hohen der Erde, wütend und rotteten sich gegen die zahlenmäßig deutlich unterlegenen Herrscher zusammen und tilgten die Hohen der Sonne vom Angesicht der Erde. Doch die Macht der Hohen der Sonne war so enorm, dass sie nicht mit ihnen starb, sondern sich immer einmal wieder in anderen Menschen manifestierte und diese erhöhte.

Die Drachenblütigen (wie die Hohen der Erde auch genannt werden) wurden von der Scharlachroten Kaiserin beherrscht, die die anderen Hohen in der „Wylden Jagd“ jagen und fast ausrotten ließ. Diese Jagd galt besonders den wiedergeborenen Hohen der Sonne, bevor sie ihre Kräfte richtig entwickeln konnten.

Nun ist die Kaiserin verschwunden. Im Reich regieren Chaos und Aufruhr, so dass die „Wylde Jagd“ vernachlässigt wurde. Damit ist die Chance für die Hohen der Sonne gekommen!

Ihr Charakter ist eine der Personen, die zu einem Hohen der Sonne erhoben wurden. Sie sind eine Legendengestalt, mächtig wie ein Halbgott und schlau wie ein Fuchs …

_Grundsätzliches_

Es ist vorgesehen, einen Hohen der Sonne zu spielen. Es gibt allerdings noch andere Arten von Hohen und natürlich normale Sterbliche.

So gibt es auch die Hohen der Erde; sie sind die einzigen Hohen, die ihre Macht vererben können, deshalb ist ihre Anzahl groß. Sie sind Herren über die Kräfte der Elementardrachen und werden daher auch Drachenblütige genannt. Diese Hohen sind die größten Feinde der Hohen der Sonne, weil sie sie unerbittlich jagen und vernichten.

Hinzu kommen die Hohen der Sterne (Seher und Sterndeuter), die Hohen des Mondes (Gestaltwandler) und die Hohen des Abgrunds (Nekromanten).

Wie bereits erwähnt, ist „Die Hohen“ darauf ausgelegt, einen Hohen der Sonne zu verkörpern. Die Quellenbücher, die nötig sind, um die anderen Hohen zu spielen, werden leider nicht in die deutsche Sprache übersetzt. Wer allerdings unbedingt etwas anderes spielen will, kann sich ja das englische Original besorgen und kann sich dann auf der [Feder&Schwert-Homepage]http://www.feder-und-schwert.de ein englisch/deutsches „Exalted“ (Originaltitel von „Die Hohen“) kostenlos herunterladen. Für den Spielleiter sind diese Quellenbücher nicht von Nöten, da sowohl im Regelwerk als auch im „Die Hohen – Kompendium für Erzähler“ ausreichend auf die anderen Hohen eingegangen wird, um sie als Nicht-Spieler-Charaktere (NSC) einbauen und verkörpern zu können.

_Regeln_

Das Regelwerk, das bei „Die Hohen“ verwendet wird, ist eine Mischung aus dem alten „White Wolf“-System (z. B. „Vampire: Die Maskerade“) und dem neuen, das im [„Die Welt der Dunkelheit – Grundregelwerk“ 1607 verwendet wird.

Zum einen ist die Grundschwierigkeit für Würfe immer eine sieben (gewürfelt wird mit zehnseitigen Würfeln). Nur die Anzahl der zu erzielenden Erfolge ändert sich, nicht aber die Augenzahl, die gewürfelt werden muss. Beispiel: Beim alten „White Wolf“-System musste man je nach Schwierigkeit manchmal gegen sechs oder höher (bis zehn) würfeln. Ein Erfolg hat dann aber gereicht. Jetzt bleibt die zu würfelnde Zahl gleich, allerdings braucht man ab und an mehrere Erfolge. Jede zehn zählt doppelt.

Auch die Schadensregelung ist geändert worden. Der Spieler würfelt nun seinen Angriff, jeder Erfolg wird gezählt. Hinzu kommt nun der Grundschaden der Waffe. Von diesem Schadenspool werden dann der Absorptionswert des Gegners (meist seine Widerstandsfähigkeit) und dessen Rüstung abgezogen. Der Rest, der noch übrig bleibt, ist der Schaden, den der Gegner einsteckt. Man muss den Schaden also nicht noch mal extra auswürfeln.

Die Hohen verfügen über zwei verschiedene Sorten von Magie:

Zum einen die Charismen. Dies sind übermenschliche Kräfte, die auf Fähigkeiten aufbauen. Es gibt für jede Fähigkeit mehrer Charismen, die jeweils eine Art Stammbaum bilden. Alle hier aufzählen zu wollen, würde allerdings den Rahmen dieser Besprechung sprengen. Denn bei 25 Fähigkeiten und jeweils mehreren Charismen verwundert es nur wenig, dass sie alleine über 60 Seiten des Regelwerkes einnehmen. Es gibt diese Kräfte in den verschiedensten Formen. Klangvolle Namen wie „Technik der angreifenden Kobra“ oder „Seele des darbenden Einsiedlers“ machen noch mal die Verbundenheit mit den japanischen Animes und Mangas deutlich.

Die zweite Form der Magie, die Hexerei, wird nur sehr kurz im Regelwerk angeschnitten. Diese wird aber ausführlich im Quellenband „Das Buch der drei Kreise“ behandelt.

Besonders erwähnenswert finde ich noch, dass man sich durch besonders interessante Aktionen, den so genannten Stunts, Bonuswürfel verdienen kann. So ist eine cineastische und interessante Aktionsbeschreibung nicht nur für die Stimmung und den Flair gut, sondern macht sich auch im Spiel für den Spieler bezahlt. Bei ganz besonderen Stunts sind so bis zu drei Bonuswürfel möglich. Daraus resultiert, dass „abgefahrene“ Aktionen eher Erfolg haben als ein: „Ich hau ihn halt mit dem Streitkolben“.

_Mein Eindruck_

„Die Hohen“ ist mal etwas anderes. Durch sein Flair und die Grafik besticht das Regelwerk schon beim ersten Durchblättern. Durch die cineastischen Kampfmöglichkeiten, die es bei den meisten Rollenspielen nicht gibt, und den Manga-Stil hebt sich „Die Hohen“ deutlich von anderen Fantasy-Rollenspielen ab.

Aber genau an dieser Stelle haben es die Autoren etwas übertrieben. Die oben erwähnten Charismen lassen sich zu Superaktionen, den Combos, vereinen. Nicht nur, dass sie unglaublich machtvoll sind, die Regeln dafür sind fast genau so kompliziert wie ein Buch über angewandte Kernphysik! Allerdings muss ich sagen, dass das wirklich der einzige Stein im Schuh ist, der mich bei „Die Hohen“ drückt.

Die Welt, in der das Spiel angesiedelt wurde, ist auch äußerst ansprechend gestaltet. Der Kontinent ist riesig und relativ spärlich beschrieben. Es gibt jede auf der Erde vorkommende Klimazone. Das bedeutet für den Spielleiter optimale Entfaltungsmöglichkeit von Abenteuerideen. Auch die anderen übernatürlichen Wesen wie das Lichte Volk (meist böse Feen), Geister, Elementare und Barbaren sind so gestaltet, dass fast nichts unmöglich ist. Endlich mal ein Spiel, bei dem man sich als Spielleiter richtig austoben kann und obendrein noch Spielercharaktere hat, die einiges aushalten können.

_Fazit_

„Die Hohen“ ist toll! Es unterscheidet sich so dermaßen von anderen Rollenspielen wie „Dungeons & Dragons“ oder „Das schwarze Auge“, obwohl es auch ein Fantasy-Rollenspiel ist. Die beiden eben genannten Rollenspiele sind sich so ähnlich, dass kaum Motivation besteht, beide zu spielen. Das ist bei „Die Hohen“ anders.

Der Faktor eines so genannten Erzählspiels ist durch die vergütete Beschreibung der Aktionen relativ hoch und daher auch für erfahrene „Recken“ allemal noch eine Herausforderung. Also: Wer schon immer mal seine Lieblinge aus Mangas und Anime-Filmen in ein Rollenspiel übertragen wollte, hat nun die Gelegenheit dazu.

Mommers, Helmuth W. (Hg.) / Borsch, Frank / Gruber, Andreas / Haubold, Frank W. / Thiemeyer, Thomas – Legende von Eden, Die (und andere Visionen)

|Phantastische Ausblicke in die Welt der Zukunft von den besten deutschen Science-Fiction-Autoren der Gegenwart|

_Tobias Bachmann_
DIE FEHLENDE STUNDE
Was wäre, wenn sich unsere Welt plötzlich in eine kafkaeske verwandelte …

_Frank Borsch_
AUSGLEICHENDE GERECHTIGKEIT
… wenn es nicht Auge um Auge ginge, sondern zwei Augen für eins …

_Rainer Erler_
AN E-STAR IS BORN
… wenn eine Filmdiva Zicken machte, bis den Studiobossen der Kragen platzt …

_Andreas Gruber_
WEITER ODER RAUS
… wenn Reality-Shows auf die blutige Spitze getrieben würden …

_Marcus Hammerschmitt_
2 HOCH 64
… wenn die Erde von ihren wahren Herrschern übernommen würde …

_Frank W. Haubold_
DIE LEGENDE VON EDEN
… wenn eine fremde Macht ein interstellares Komplott aufdeckte …

_Oliver Henkel_
HITLER AUF WAHLKAMPF IN AMERIKA
… wenn Carolina eine preußische Provinz wäre und Hitler auf Wahlkampfreise ginge …

_Desirée & Frank Hoese_
SCHÄTZE DER ZUKUNFT
… wenn wir verlorene Schätze der Vergangenheit für die Zukunft retten wollten …

_Michael K. Iwoleit_
PLANCK-ZEIT
… wenn der Urknall gerade erst stattgefunden hätte …

_Thorsten Küper_
SPIEGELBILD DES TEUFELS
… wenn ein skrupelloser Geschäftemacher seine Haut um jeden Preis retten wollte …

_Thomas Thiemeyer_
MATERIA PRIMA
… wenn eine fremde Spezies sich unsere Erde als Siedlungsplanet auserwählte …

_Ernst Vlcek_
NEULICH IM GARTEN EDEN
… wenn die Vertreibung aus dem Paradies ganz anders verlaufen wäre …

_Andreas Winterer_
COSMO POLLITE UND DER ZWISCHENFALL IM INTERSTELLAR EXPRESS
… wenn Cosmo Pollite, Held des Universums, wieder einmal zuschlagen würde …?

Mittlerweile erschien im Oktober die zweite Ausgabe der von Helmuth W. Mommers herausgegebenen SF-Kurzgeschichtenanthologie-Reihe |VISIONEN| im |Shayol|-Verlag. „Die Legende von Eden und andere Visionen“ wartet – wie auch schon [Band 1 1892 – erneut mit Science- und Social-Fiction vom Feinsten auf. Dreizehn Autoren unterhalten den Leser sozial-kritisch bis humoristisch, und dies, wie schon im Vorband, in einer erfreulich großen Bandbreite. Mir erscheint Band 2 sogar noch ausgereifter und bietet eben jene Steigerung, die man sich bei einer solchen Reihe erhofft, weil in „Die Legende von Eden“ keine Story vom erzählerischen Niveau abfällt; und das ist in Anthologien ja meist das Manko – Hier nicht!

Der ein oder andere Autor beeindruckt hier ein weiteres Mal durch seine Erzählkunst, aber auch neue sind hinzugekommen. Eine ausgewogene Mischung also. Auf die für mich interessantesten Beiträge möchte ein wenig näher eingehen, dabei stets darum bemüht, nichts vorwegzunehmen.

Begonnen wird dieser SF-Reigen von _Rainer Erler_, dessen satirische Geschichte Hollywood gehörig auf die Schippe nimmt und zeigt, was im Zeitalter der Technik alles möglich ist. Da wird eine exzentrische Schauspielerin, die grade „en vogue“ aber den Filmbossen höchst unbequem ist, durch ein Computer-Double ersetzt und vermarktet. Das wirft in uns die bange Frage auf: Sind wir alle (bald) ersetzbar?

_Thorsten Küper_s „Spiegelbild des Teufels“ ist eine meiner Favoritenstorys. Es geht um den Protagonisten Lasar und seine Klone und die beiden Frauen, die eine enge Bindung zu ihm haben. Um die eigene Existenz rankt sich der Hauptplot und Thorsten Küper vermag es, Charaktere zu erschaffen, die den Leser fesseln, die ihn auf subtile Art in das Geschehen mitreißen und diesen gerade deshalb nachdenklich stimmen.

_Oliver Henkel_s „Hitler auf Wahlkampf in Amerika“ hat mich am meisten angesprochen, vom Stil, Plot und der Recherche her. Die unterschiedlichen Gefühle der Personen, ihre Beweggründe, Abneigungen, das Zeitgeschehen, alles wird von dem Autor so lebendig vermittelt, als wäre man selbst „mittendrin“. |Das| ist Social-Fiction mit Sahnehäubchen! Und macht Lust darauf, mehr von diesem Autor zu lesen.

Wie sieht es derweil mit den humorvollen Geschichten dieses Bandes aus?

_Andreas Winterer_s „Cosmo Pollite und der Zwischenfall im InterStellar Express“ ist wirklich groovy. Anders kann man es nicht ausdrücken. Sein Roboterüberfall und „etwas anderes“ Geiseldrama ist für alle, die nicht auf der Humorleitung stehen, haargenau das Richtige. Beruhigend ist auch, dass in der Zukunft Harald Schmidt ein Thema ist. Bei Andreas Winterer lachen vielleicht nicht alle Schnittstellen, aber sie schmunzeln, wenn sie ein Gespür für Komik haben. Da kann ich nur zitieren: „Freiheit für alle Roboter (Aufzüge und Toaster!)!“

Bei _Ernst Vlcek_s „Neulich im Garten Eden“ kam ich denn aus dem Schmunzeln gar nicht mehr heraus. So perfekt und prägnant habe ich noch keine Schöpfungsgeschichte (mal aus einem anderen Blickwinkel, der Leser lasse sich überraschen!!!) zu lesen bekommen! Was einmal mehr beweist: Ernst Vlcek weiß zu schreiben und vor allem zu unterhalten! Und vor allem beweist er – mehr als andere – dass MMR recht hat mit seiner goldenen Regeln: Zwei Worte sind gut, eins ist besser. Wie wahr, wie wahr. Es ist Schreib|kunst| mit wenigen Worten, so vortrefflich zu unterhalten!

Aber auch _Frank Borsch_s „Ausgleichende Gerechtigkeit“ weißt vom Plot her zu überzeugen. |Mein Freund Harvey| einmal anders! Urkomisch lebendige „Auge um Auge, Zahn um Zahn“-Story mit cineastischen Einschlägen. Spätestens beim nächsten Fahrraddiebstahl werden Sie sich daran zurückbesinnen.

Die für mich ungewöhnlichste Geschichte stammt von _Andreas Gruber_. Er schildert in „Weiter oder raus“ die Sensationslust der Medien und vor allem in uns selbst. Um eine horrende Gewinnsumme zu kassieren, lassen sich die drei Kandidaten, aus den unterschiedlichsten persönlichen Gründen, ohne Anästhesie verstümmeln, lassen sich Gliedmaßen amputieren, die dann thematisch Bestandteil von zwischengeschalteten Werbespots sind. Makabre Medienschelte at its best!

Auch _Frank Haubold_s Story hebt sich ab. Die Kurzgeschichten des Autors weisen ja immer eine hohe erzählerische Dichte auf; so auch diese stilistisch ausgereifte und zu Recht titelgebende. Sie bringt dem Leser auf Haubold-Weise das Thema „Leben nach dem Tod“ näher. Großartig. Ich hoffe, der Autor wird auch ein weiteres Mal in dieser Reihe Aufnahme finden.

Im hinteren Teil des Bandes wird wie in Band eins der Künstler des Covermotives vorgestellt. Darüber hinaus verfasste der Herausgeber einen Jahresrückblick in Sachen Kurzgeschichten und fügt eine Auflistung der SF-Geschichten des Jahres 2004, die er für die besten hält, an. Ein brauchbarer Hinweis für diejenigen, die mehr aus diesem Genre lesen wollen.

Bleibt noch die Aufmachung des Titels: Das Covermotiv in warmen Erdtönen – von Thomas Thiemeyer, der ja kein Unbekannter im phantastischen Genre ist – ist schön anzusehen und künstlerisch stimmungsvoll umgesetzt. Druck und Papier, Satz und Lektorat sind ebenfalls erstklassig.

An „Die Legende von Eden“ stimmt alles (auch wenn ich mir nach wie vor Innenillustrationen in einer solchen Reihe wünsche). Gut, dass es Kleinverlage wie |Shayol| gibt, die solchen Reihen eine Chance einräumen. Davon sollten sich die Großverlage wieder eine gehörige Scheibe abschneiden. Ich zolle sowohl Herausgeber als auch Verlag meinen literarischen Respekt und hoffe, dass uns die Reihe möglichst lange erhalten bleibt. Bei mir hat sie zumindest eines schon längst bewirkt: Meine Vorbehalte gegen des Genre aufzugeben und Lesefreude auch für die SF zu wecken.

Charles Palliser – Die schwarze Kathedrale

Palliser Kathedrale 2005 kleinIn einer englischen Kleinstadt lebt 1881 ein alter Skandal nach einem neuen Mord wieder auf. Geblieben ist das Bestreben des örtlichen Domkapitels, die Wahrheit um jeden Preis unter Verschluss zu halten, wogegen sich ein auswärtiger Historiker stemmt … – Mischung aus Historienroman und Thriller, wobei letzterer auch Treibriemen einer Handlung ist, die unter nie aufdringlicher Wahrung des zeitgenössischen Lebensalltags eine vergangene Welt aufleben lässt: großartig.
Charles Palliser – Die schwarze Kathedrale weiterlesen

Troy Denning – Die Belagerung (Die Rückkehr der Erzmagier, Band 2)

Band 1:  „Der Ruf“

Im zweiten Teil der neuen Trilogie von Troy Denning – „Die Rückkehr der Erzmagier“ – geht es weitaus gradliniger zu als noch im komplexen ersten Band, der wegen seiner Masse an verschiedenen Handlungseinheiten irgendwann nur noch schwer durchschaubar war. Dieses Problem konnte der Autor im zweiten Teil über weite Strecken lösen, und dennoch krankt auch „Die Belagerung“ an verschiedenen Schwerpunktverschiebungen, die sich bei der Vielzahl an Schlachtszenarien vor allem aus der übertriebenen Darstellung von Kampfhandlungen, Sprüchen und Ergebnisanalysen zusammensetzen. Fast könnte man sogar sagen, dass die eigentliche Erzählung gerade deswegen auch hier nicht so ganz an Schwung gewinnen möchte, selbst wenn es eigentlich mit permanent hohem Tempo vorangeht. Aus genau diesem Grunde darf man letztendlich zwar auch von einer Steigerung sprechen, aber dennoch fällt es mir nach zwei Dritteln der Geschichte recht schwer, mit der ganzen Sache warm zu werden.

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Bionda, Alisha / Kleudgen, Jörg – Blutopfer (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 4)

Band 1: [Der ewig dunkle Traum 1899
Band 2: [Kuss der Verdammnis 1900
Band 3: [Die Kinder der fünften Sonne 1949

|1569, Atzlan|
In der aztekischen Stadt Atzlan wird ein seltsam weißhäutiges Kind geboren, welches von einer geheimnisvollen Gestalt mitgenommen wird.

|1891, London/Atzlan|
Dilara lernt auf einer Feier den Archäologen Roger Gallet kennen, dessen Spezialgebiet die Azteken sind. Gallet hat Zugang zu einem Dokument, welches von einer versunkenen Stadt berichtet, zu der er eine Expedition leiten will. Er bittet Dilara, ihn zu begleiten und die Vampirin geht nur allzu bereitwillig auf das Angebot ein. Doch in Mexiko angekommen, stellen die Abenteurer fest, dass Atzlan noch in der Blüte seiner Existenz steht. Aber die Bewohner sind Roger, Dilara und ihren Begleitern nicht gerade freundlich gesonnen. Sie werden gefangen genommen und verschiedenen Priestern für Blutopfer überantwortet. Doch wer sich hinter den Priestern verbirgt, erschüttert Dilara noch weit mehr, und eine seltsame Vertrautheit mit der Stadt der Azteken ergreift von der Unsterblichen Besitz …

|2005 London|
Dilara und Calvin gelingt es, die Schattenchronik in ihren Besitz zu bringen. Doch die Aktion ging zu reibungslos über die Bühne, so dass Dilara misstrauisch bleibt und eine Gemeinheit Antediluvians dahinter befürchtet. Darüber hinaus treibt immer noch der Wiedergänger John George Haigh sein Unwesen, und auch der Anführer der abtrünnigen Vampire, Guardian, treibt sein eigenes Spiel. Als ob das nicht genug Unsicherheitsfaktoren wären, wird Dilara von einem unerklärlichen Blut- und Morddurst erfasst – hat die Mumie, welche im British Museum ausgestellt wird, etwas mit den Vorgängen zu tun?

Mittlerweile liegt schon der vierte Band der noch recht jungen Serie vor und immer mehr Handlungsstränge und Personen kommen hinzu, verleihen der Schattenchronik immer mehr Tiefe und machen aus der Serie einen komplexen Zyklus.

„Blutopfer“ ist quasi die direkte Fortsetzung von Band 2, „Kuss der Verdammnis“, auch wenn einige Andeutungen des Buches nur nach dem Genuss des dritten Bandes völlig verstanden werden können. Aber im vorliegenden Roman wird endlich die Handlung um Roderick alias John George Haigh und Antediluvinas Pläne mit Dilara fortgeführt. Dabei ist die Handlung so temporeich in Szene gesetzt, dass man das Buch fast in einem Rutsch durchliest. Die Szenenwechsel mit der Vergangenheit tun ihr Übriges. Hier wagen die Autoren der neuen Serie ein Experiment: Zwei Handlungsstränge aus zwei verschienen Zeiten werden parallel zueinander erzählt, um zum Finale hin gekonnt zusammengeführt zu werden. Und die Rechnung geht voll auf, denn beide Geschichten sind äußerst spannend und die wechselnden Szenarien stiften keinerlei Verwirrung beim Leser, sondern animieren eher zum Weiterlesen, um so schnell wie möglich zu wissen, wie es im jeweiligen Zeitabschnitt weitergeht. Trotz des geringen Umfangs von 245 Seiten, in Anbetracht des Stoffes, den die Autoren hier verarbeitet haben, und des rasanten Schreibstils fehlt es dem Roman keineswegs an Atmosphäre.

Und der Leser wird auch nicht enttäuscht, denn einige offene Fragen werden geklärt, neue dafür aufgeworfen und vielversprechende Perspektiven für die Zukunft eröffnet. Wie sich das eben für eine richtige Serie gehört. Auch so manche Überraschung erwartet den Leser, wenn er nicht den Fehler begeht, sich die Vorschau auf den fünften Band vor der Lektüre des Buches durchzulesen. Damit kommen wir gleich zur Kritik, die dieses Mal aber sehr kurz ausfallen wird. Durch die Vorankündigung wird dem Leser wirklich ein Großteil des Überraschungseffektes genommen. Wer sich das Buch noch zulegen möchte, sollte die Vorschau erst lesen, wenn er den Roman bis zur letzten Seite konsumiert hat. Das Finale selber lässt es noch mal so richtig krachen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Leider wird es dann sehr abrupt abgeschlossen, aber man darf versichert sein, dass Band 5 die Ereignisse direkt fortsetzt. Nur die Wartezeit wird sicherlich für den einen oder anderen sehr lang werden.

Ein ganz dickes Lob gebührt den Schriftstellern aber noch für ihre sorgfältige Recherche, was die alten Azteken anbelangt, denn Namen wie Tonatiuh oder Coyolxa entstammen keineswegs den kreativen Köpfen von Alisha Bionda oder Jörg Kleudgen, sondern sind vielmehr real existierender Bestandteil der aztekischen Mythologie. Und auch der Name des Urnosferatu Antediluvian ist keiner, der ausgewählt wurde, weil er so klangvoll ist, dahinter steckt wirklich Methode.

Die Innenillustrationen von Pat Hachfeld lockern das Buch wieder gekonnt an den Kapitelanfängen auf, auch wenn nicht jedes Bild meinen Geschmack getroffen hat. Das Cover dagegen passt hervorragend zum Roman, sowohl vom Motiv als auch vom Stil her.

http://www.blitz-verlag.de/

_Florian Hilleberg_

Tad Williams – Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Apocalypse Now Digital! So lässt sich der vierte Teil der „Otherland“-Tetralogie von Tad Williams, der jetzt als Abschluss des Mammut-Hörspielprojekts des HR und des |hörverlags| auf sechs CDs vorliegt, schlagwortartig beschreiben. Spektakulär stürzt der virtuelle Weltenraum in sich zusammen und für die Protagonisten kommt es zur finalen Konfrontation.

_von Bernd Perplies
mit freundlicher Unterstützung unseres Partnermagazins http://www.ringbote.de/ _

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James, Henry / Gruppe, Marc – Unschuldsengel, Die (Gruselkabinett 5)

Eine Pfarrerstochter wird von dem Vormund zweier engelsgleicher Kinder als Gouvernante eingestellt. Der in London als Lebemann logierende Herr will mit den Blagen offensichtlich nichts zu tun haben und beauftragt die Gouvernante, die seinem Charme sofort erliegt, ihm nie und nimmer zu schreiben, ihn nicht um Rat zu fragen und alle Probleme selbst zu lösen. Fürstlich entlohnt, entsendet er die junge Frau auf den Landsitz Bly, wo die Kinder recht einsam leben.

Auf Bly angekommen, wird die Gouvernante zunächst aufs Herzlichste von der Haushälterin Mrs Grose und den Geschwistern Flora und Miles begrüßt. Sie schließt die liebenswerten Kinder sofort ins Herz, fühlt sich prompt ins Paradies versetzt und bezeichnet die beiden fortan als „meine Kinder“. Doch die Idylle soll bald gestört werden. Der zuckersüße und wohlerzogene Miles ist von seiner Schule verwiesen worden und die Gouvernante zerbricht sich den Kopf darüber, was er, der kein Wässerchen trüben kann, wohl angestellt haben mag. Gleichzeitig fängt sie an, Geister zu sehen. Zuerst den ehemaligen Leibdiener des Vormunds, Peter Quint, später dann auch noch dessen vermutliche Geliebte Ms Jessel.

Es gilt, die Kinder vor dem verruchten Einfluss der beiden zu schützen. Doch nach und nach kommen der Gouvernante Zweifel: Sind die beiden wirklich so unschuldig, wie sie vorgeben? Oder ist all dies nur Fassade, um hinter verschlossenen Türen mit den Toten zu kommunizieren und die arme Gouvernante zu hintergehen? Sie jedenfalls ist entschlossen, die Kinder vor der Korruption durch Quint zu beschützen, doch wie soll ihr das gelingen, wenn sie plötzlich alle gegen sich sieht?

Die Situation spitzt sich immer mehr zu, und zusammen mit der bodenständigen Haushälterin Mrs Grose ist man sich nie ganz sicher, ob die bösen Geister nun tatsächlich existieren oder nur ein Produkt der überbordenden Fantasie der Gouvernante sind.

Literarisch versierteren Hörern wird die Erzählung „Die Unschuldsengel“ wohl eher unter dem eigentlichen Titel „Die Drehung der Schraube“ (engl. „The Turn of the Screw“) ein Begriff sein. Erstmals 1898 in Fortsetzung erschienen, gehört „Die Drehung der Schraube“ zu Henry James‘ Meistererzählungen. Der 1843 in Amerika geborene James verbrachte einen Großteil seines Lebens in Europa und wurde 1915, ein Jahr vor seinem Tod, sogar englischer Staatsbürger. Seine über 100 Erzählungen, 20 Romane und nicht zuletzt seine theoretischen Arbeiten zur „Kunst des Romans“ haben den modernen Roman maßgeblich beeinflusst. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei in der Bedeutung des Bewusstseins im Gegensatz zu den hinter ihm zurücktretenden äußeren Ereignissen. Diese Problematik wird auch in „Die Drehung der Schraube“ stark thematisiert. Die Gouvernante, in der englischen Provinz mit den sie überfordernden Problemen praktisch allein gelassen, wird ihrer Vorstellungskraft nicht mehr Herr. Die beiden Kinder vor der moralischen Korruption (in was auch immer diese genau bestehen mag) durch die in Unzucht (un)lebenden Geister zu beschützen, wird ihr persönlicher Kreuzzug. Dabei ist die Erzählweise der besondere Kniff: Wir erfahren den Ablauf der Handlung durch die Gouvernante selbst und so wird nie ganz klar, ob es sich um eine reale Bedrohung durch Geister (und damit um eine klassische Geistergeschichte) oder um eine neurotische Reaktion der nervlich überreizten Gouvernante (und demnach um eine psychologische Erzählung) handelt. „Die Drehung der Schraube“ stützt mal die eine, mal die andere Theorie und die Unsicherheit im Hinblick auf das tatsächliche Geschehen ist die Crux der Geschichte. Auch als Leser bzw. Hörer ist man stetig hin- und hergerissen, der Gouvernante oder den Kindern zu glauben, eine eindeutige Lösung wird allerdings nie präsentiert.

Das Hörspiel schafft es wunderbar, diesen Tanz auf dem Drahtseil aufrecht zu erhalten. Mal erscheint die Gouvernante vollkommen hysterisch. An anderer Stelle geben sich Miles und Flora dagegen durchaus dämonisch und man möchte an die Existenz der zerstörerischen Geister glauben. Das Hörspiel von |Titania Medien| lebt damit besonders von den drei Protagonisten: Rita Engelmann als Gouvernante, Charlotte Mertens als Flora und Lucas Mertens als Miles. Unterstützt wird die beklemmende Wirkung durch die atmosphärische Klaviermusik, die vor dem geistigen Auge prompt karge englische Landschaften heraufbeschwört, über die ein hartnäckiger Nebel hinweggeistert.

|Titania|-Mastermind Marc Gruppe hat sich mit „Die Drehung der Schraube“ an ein literarisches Meisterwerk gewagt. Das hätte auch schief gehen können, doch zielsicher bewahrt das Hörspiel die Mehrdeutigkeit der Erzählung und damit deren größten Reiz. Ob es sich nun tatsächlich um eine Geister- oder gar Gruselgeschichte handelt, muss jeder für sich entscheiden, kann „Die Drehung der Schraube“ doch ebenso als eine Metapher für das Wirken der Literatur im Allgemeinen gelesen werden. Das Geheimnis der Geschichte entzieht sich dem Leser, sobald er meint, es fassen zu können. Und gerade daraus, nicht aus den imaginären oder realen Geistern, zieht James‘ Erzählung ihre Faszination.

Bei Henry James‘ „Die Drehung der Schraube“ handelt es sich um ein Muss im Bücherschrank eines jeden Liebhabers. Und jetzt gilt dieses Muss auch für’s CD-Regal!

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)

Burnett, Frances H. – kleine Lord, Der

Im zweiten Teil der „Titania Special“-Reihe widmet sich das junge Hörspiel-Label einem literarischen Klassiker, nämlich der Geschichte um den kleinen Lord Cedric Errol, die im Original von Frances H. Burnett stammt und schon seit einer halben Ewigkeit junge und alte Leser begeistert. Nach der Buchvorlage und verschiedenen TV-Auflagen gibt es die Angelegenheit nun auch als Hörspiel, und wiederum hat man eine sehr prominente Riege aktueller Synchronsprecher auftreiben können, um dieses 100-minütige Projekt zu verwirklichen. Dementsprechend ist die Liste der beteiligten Personen auch geradezu ein Who-is-Who der Szene und liest sich wie folgt:

Lucas Mertens als Cedric Errol
Friedrich Schoenfelder (u. a. dt. Stimme von Alec Guiness) als Earl of Dorincourt
Christian Rode (Sean Connery) als Rechtsanwalt Havisham
Evelyn Maron (Kim Basinger) als Mrs. Errol
Dagmar von Kurmin als Lady Lorridaile
Heinz Ostermann als Silas Hobbs
Matthias Deutelmoser (Orlando Bloom) als Dick Tipton
Regina Lemnitz (Kathy Bates) als Mrs. Dawson
Arianne Borbach (Helen Hunt) als Minna Tipton
David Nathan (Christian Bale, Johnny Depp) als Mr. Higgins

_Story_

Der kleine Cedric Errol lebt mit seiner verwitweten Mutter in New York. Sein bester Freund ist der Gemischtwarenhändler Silas Hobbs, den Cedric auch jeden Tag besucht. Dort träumt Cedric davon, als Präsident der Vereinigten Staaten zu regieren – oder aber den Laden von Mr. Hobbs zu übernehmen. Der Traum, ein ganz Großer zu werden, soll ihm dann eines Tages tatsächlich erfällt werden: Ein gewisser Havisham sucht den aufgeweckten Jungen auf und bittet ihn, zusammen mit seiner Mutter nach England zu kommen, um die Position des Lords im Schloss seines Großvaters einzunehmen. Obwohl Cedric an seiner aktuellen Wohngegend hängt und sich eigentlich gar nicht von Mr. Hobbs und dem Schuhputzer Dick Tipton trennen möchte, reist er schließlich nach England und lernt dort seinen griesgrämigen Großvater kennen. Seine Mutter begleitet ihn, darf aber nicht mit ihm im Schloss wohnen, weil das Verhältnis zwischen ihr und dem Earl seit jeher gespalten ist – und das nur, weil sie Amerikanerin ist.

Cedric ist noch gar nicht lange vor Ort, da stellt er auch schon alles auf den Kopf. Der kleine Lord bringt eine Menge Lebensfreude mit und kann somit auch recht schnell das vorher scheinbar versteinerte Herz des Earls gewinnen. Doch gerade, als der alte Herr sich dem Jungen geöffnet hat und auch bereit ist, seine Mutter näher kennen zu lernen, taucht eine gewisse Minna Tipton auf und behauptet, den älteren Bruder von Cedrics Vater geheiratet und daher eher einen Anspruch auf den Thron zu haben. Doch bevor das letzte Wort in dieser Angelegenheit gesprochen ist, melden sich plötzlich Cedrics Freunde aus New York zu Wort, denen die suspekte, herrschsüchtigen Dame bestens bekannt ist …

Ähnlich wie auch das erste „Titania Special“ ist auch „Der kleine Lord“ eine sehr herzliche Geschichte mit liebevollen Charakteren, einer sehr schönen, mit sehr viel Moral versehenen Handlung und einem trotz des nahezu vorhersehbaren Endes guten Spannungsaufbau. Mit anderen Worten: Völlig zu Recht handelt es sich bei dieser Erzählung um einen Kinderbuch-Klassiker, der schon seit vielen Generationen immer wieder bemüht wird, dennoch aber nichts von seiner lebensfrohen Ausstrahlung verloren hat.

Es ist die Geschichte von einem kleinen, ganz gewöhnlichen Jungen, der bereit ist, die Welt zu verändern und mit seiner freundlichen und aufgeweckten Art weitaus mehr bewegen kann als andere Personen mit Reichtum und Macht. Cedric ist eine Person, die man einfach lieb haben muss, sei es nun, weil er so bodenständig, so intelligent, so vorlaut ist oder aber auch, weil er einfach für das steht, was den Begriff Liebe ausmacht. So gelingt es ihm während dieser Geschichte, den Earl und Mr. Hobbs von ihrer jeweiligen Abneigung gegen Amerika bzw. die Aristokratie abzubringen, den unsinnigen Streit zwischen seiner Mutter und dem sturen Großvater zu schlichten, die Liebe eines sonst so herzlosen Menschen zu gewinnen und sein ganzes Umfeld mit Freude zu erfüllen – egal ob nun am Hofe oder aber im Gemischtwarenladen von Silas Hobbs. Schließlich ist es dann auch noch seine Gutmütigkeit, die das klassische Stück so wertvoll macht und zu einer der schönsten Erzählungen der Weltliteratur hat werden lassen.

Das hier veröffentlichte Hörspiel verdient aber trotzdem noch einmal ein Extralob, weil es den verschiedenen Sprechern sehr schön gelungen ist, die Geschichte lebendig zu gestalten und auch die verschiedenen Stimmungen und Emotionen richtig schön herüberzubringen. Gerade Lucas Mertens in der Rolle des kleinen Lords gibt eine fabelhafte Figur ab und spielt den vorlauten kleinen Bengel sehr gekonnt. Sein Kontrapart in Sachen Stimmung steht ihm da in nichts nach: Friedrich Schönfelder als mies gelaunter Earl erzielt die gewünschte abschreckende Wirkung und verkörpert die zunächst herzlose Person ebenfalls mit deutlicher Hingabe. Doch genau das trifft hier zum wiederholten Male auf alle Beteiligten zu, weshalb ich mich auch gerne dazu hinreißen lasse, eine Behauptung wie „auf Titania Medien ist in Sachen Hörspiele Verlass“ in den Raum zu stellen. Wie auch schon der Vorgänger „Fröhliche Weihnachten, Mr. Scrooge“ ist diese Doppel-CD definitiv eine Anschaffung wert!

Home – Atmosphärische Hörspiele

Schwartz, Susan / Schwekendiek, Margret – Anachronisten, Die (Titan-Sternenabenteuer 20)

Band 18: [Spur ins Parakon 1951
Band 19: [Tabu-Planet 1966

_Story_

Die |Titan| sitzt weiterhin im Parakon fest, kann den unerwarteten Angriffen allerdings standhalten und strandet schließlich auf dem zivilisierten Planeten des dort entdeckten Sonnensystems. Nachdem man von einer Eskorte ins Stadtzentrum gebracht wurde, treffen sich einige Crew-Mitglieder des Schiffes mit der Regierung der T’earron – so nennt sich das auf diesem Planeten lebende Volk -, um dort der Ursache des plötzlichen Beschusses auf die Schliche zu kommen.

Die T’earron verhalten sich sehr friedlich und erzählen im Folgenden die lange, traditionsreiche Geschichte ihres Volkes, lassen dabei aber auch keinen Part ihrer immer blutigeren Historie aus. Am Ende wissen Shalyn Shan, Patrick und Cyberjohn Five, dass sie es hier mit einer herrschsüchtigen Rasse zu tun haben, die nicht akzeptieren kann, von anderen Völkern entdeckt zu werden, und deshalb am Ende ihres Berichts auch wieder dazu übergeht, ihre kurzzeitig soziale Haltung abzulegen. Doch die Besatzung der |Titan| war die ganze Zeit über auf der Hut und kann so gerade noch aus dem feindlichen Gebiet fliehen, jedoch nicht, ohne dass die T’earron sie verfolgen …

Auf der Asteroidenwerft geht die Suche nach den Attentätern und weiteren Komplizen der Entführer munter weiter. Thomas Chiavelli hat den Ausnahmezustand ausgerufen und erklärt fortan jeden für potenziell verdächtig. Entsprechend vorsichtig geht die Space-Police, deren Verhältnis zu den Führern der Werft indes ein wenig besser geworden ist, auch bei ihren Ermittlungen vor und beobachtet jede noch so kleine Bewegung mit Argusaugen. Als ein weiterer Attentäter, der sich schließlich als ein Mogk herausstellt, versucht, die beiden Patientinnen Eleni Demetrios und Luisa di Cantoras durch einen Sabotageakt umzubringen, können die Beamten noch rechtzeitig intervenieren. Und nun hat man auch wieder eine neue Spur, die sie auf die schon öfter ins Visier genommenen Lunadocks führt. Oberleutnant Peter Henjean schickt daher einen Teil seiner Spezialeinheit Pioneers auf den Mond, um dort die vermeintlichen Drahtzieher zur Strecke und die Ursache für die Entführung des CRC-Chefs in Erfahrung zu bringen …

Auch auf Akat ist man in Aufruhr. Zwei Suuraner versuchen, die komatöse Anne Crawford wieder zum Leben zu erwecken, entdecken aber schließlich, dass die Frau nach ihrem Experiment mit den Mind Controllern wohl kaum noch zu retten sein wird. Währenddessen machen sich ihre mitgereisten Kollegen im Geheimen auf die Suche nach weiteren Mogks, die auf Akat vermutet werden, können aber in einem Hinterhalt überrumpelt werden …

_Meine Meinung_

„Die Anachronisten“ steht ganz im Zeichen des neu entdeckten Volkes der T’earron. In einzelnen Rückblicken wird deren Geschichte ebenso aufgerollt wie das seltsame Verschwinden der Andorer, mit denen die T’earron einst in Kontakt standen, sich aber gezwungen sahen, dieses Volk auszurotten, um die eigene Rasse zu bewahren und auf einem neuen Planeten neu zu etablieren. Von dort an sind die T’earron quer durch die Galaxis gesiedelt, haben mehrere Planeten angegriffen und die dort lebenden Wesen ausgelöscht, um sich von den dort ausgesandten stellaren Impulsen zu ernähren. Im ganzen All war schließlich die Rede von einigen mysteriösen Raumpiraten, die blitzschnell zuschlagen und die individuellen Welten vereinnahmen, doch die |Titan| ist das erste Schiff, das die T’earron entdeckt und mit ihnen Kontakt aufnimmt.

Alleine dieser Nebenstrang ist sehr spannend und detailreich aufgebaut, wobei besonders die Beschreibungen der einzelnen Wesen sehr gut gelungen ist. Susan Schwartz, die hier als Hauptautorin verantwortlich zeichnet und sich teilweise von der etatmäßigen Autorin Margret Schwekendiek hat unterstützen lassen, geht sehr genau auf die Geschichte dieses unentdeckten Volkes ein, schwenkt aber wie gewohnt immer wieder zu anderen Szenarien über, wenn ein weiteres Mysterium über die T’earron aufgeklärt wurde. Insgesamt werden aber sowieso sehr viele Rätsel in diesem Buch gelöst. So bekommt man auf der Asteroidenwerft endlich eine etwas konkretere Spur, erfährt mehr über das seltsame Parakon und begreift auch endlich, worunter Anne Crawford tatsächlich leidet bzw. was hinter ihrem Zustand genau steckt. Andererseits werden aber auch wieder neue Richtungen eingeschlagen, bei denen die Spannung letztendlich auch nicht abflaut. So bleibt man erst einmal im Dunkeln über die fortschreitende Reise der |Viana|, die sich ihren fremden Gegnern aus dem Parakon zunächst entledigt hat. Hinzu kommt die spektakuläre Flucht der |Titan|, deren Ende weiterhin ungewiss ist, schließlich sieht man sich einer Überzahl von Verfolgern ausgesetzt. Und natürlich stehen die Hintergründe hinsichtlich des Kidnappings von Amos Carter sowie die schwer zu vermutenden Zusammenhänge mit den Machenschaften bei der Space-Police und den Lunadocks nach wie vor aus, auch wenn Thomas Chiavelli und die Space-Police eine genauere Vermutung haben …

Wie schon die Vorgänger aus diesem Zyklus, kann auch „Die Anachronisten“ voll und ganz überzeugen, zumal auch hier wieder ganz neue Rätsel entstehen und neue Charaktere eingeführt werden. Selbst die Einbeziehung von Wesen, die nach kurzen Rückblicken wieder verschwinden, stellt sich als günstig heraus, weil so die Eigenschaften der T’earron noch besser beschrieben werden können und die ganze Geschichte, die sich bis zum aktuellem Zeitpunkt genau so entwickelt hat, sofort schlüssig erscheint – nicht ohne gewisse Mysterien beizubehalten. Zudem fügt sich Susan Schwartz wunderbar in den Stil ihrer Vorgänger(innen) ein und ist sofort in der Lage, das Niveau dieser sehr guten Space-Opera aufrecht zu erhalten.

Fazit: Noch heute werde ich die Fortsetzung „Gefrorene Zeit“ in Angriff nehmen – ich denke, das reicht, um meine ungebrochene Begeisterung auszudrücken.

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Paolini, Christopher – Eragon – Der Auftrag des Ältesten

Endlich wird das aufregende Abenteuer des jungen Eragon, welches in [„Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter“ 1247 seinen Anfang gefunden hat, weitererzählt, und wir erfahren, was nach der ersten spannenden Schlacht in Farthen Dûr passiert ist. Doch der zweite Teil der Drachenreiter-Trilogie hat wie so viele andere Übergangsbände damit zu kämpfen, dass dieses Buch keinen echten Anfang und kein Ende hat. So bleibt wie so oft direkt nach dem Zuklappen des zweiten Bandes ein etwas unbefriedigendes Gefühl zurück, weil noch so viele Dinge ungeklärt blieben, auf deren Aufklärung wir sicher noch einige Zeit warten müssen.

_Die Reise geht weiter_

Nur knapp sind die Varden einer großen Niederlage entkommen, nur mit Aryas und Saphiras Hilfe konnte Eragon gerettet werden. Doch die Verluste sind groß, die verräterischen Zwillinge haben Murtagh verschleppt, und nachdem die Elfin Arya seine blutige Kleidung findet und seinen Geist nicht ertasten kann, wird Murtagh für tot erklärt. Eragon dagegen konnte den gemeinen Schatten Durza töten und dadurch eine Wendung zum Guten hervorbringen. Aber in Farthen Dûr wurde nur die erste Schlacht ausgefochten, die entscheidende Schlacht gegen Galbatorix und seine hinterhältigen Anhänger steht noch aus.

Nach Ajihads Tod brauchen die Varden einen neuen Anführer, doch anstatt in weiser Voraussicht einen starken Vardenführer zu wählen, werden im Ältestenrat zahlreiche Intrigen gesponnen, bis Ajihads junge Tochter Nasuada auserwählt wird, weil der Ältestenrat sie aufgrund ihrer Jugend und Unerfahrenheit für manipulierbar und formbar hält. Doch der Ältestenrat hat sich geschnitten, denn Nasuada hat sich bereits auf ihre kommende Aufgabe eingestellt und sichert sich Eragons Treue und Unterstützung zu. Eragon, der noch eine weitere Allianz eingehen wird, schafft sich mit diesen Entscheidungen allerdings nicht nur Freunde …

Im Zentrum der Geschichte steht die Fortsetzung von Eragons Ausbildung in Ellesmera, der berühmten Elfenstadt, in der die Königin Islanzadi herrscht. Doch während Eragon bei den Elfen wichtige neue Zaubersprüche und die Elfensprache lernt, ahnt er nicht, in welcher Gefahr sein Cousin Roran in Carvahall schwebt. Dorthin hat Galbatorix nämlich seine Soldaten und Ra’zac geschickt, um Roran als Geisel zu nehmen und dadurch an Eragon heranzukommen. Als die Schatten schließlich Rorans geliebte Katrina gefangen nehmen, greift Roran in seiner Verzweiflung zu drastischen Maßnahmen. Er überredet das gesamte Dorf, mit ihm nach Surda zu ziehen, um sich dort dem Widerstand der Varden anzuschließen. Eine gefahrenvolle Reise wird den Bewohnern von Carvahall bevorstehen …

_Die Zeichen stehen auf Krieg_

Nach dem Ende des ersten Bandes der Drachenreiter-Trilogie war bereits die Zielsetzung für den aktuellen zweiten Band klar, denn der Kampf gegen Galbatorix ist noch lange nicht zu Ende, genau wie Eragons Ausbildung, die dringend fortgesetzt werden muss. Und so überrascht uns Christopher Paolini in seinem fast 800-seitigen Werk nicht sonderlich, wenn er sich genau diesen Punkten widmet. Doch gleich von Anfang an packt uns Paolini, indem er Intrigen spinnt und Allianzen entstehen lässt, die für genug Brisanz sorgen. Kurz nach Eragons Ankunft in Ellesmera erwartet uns schließlich das erste große Überraschungsmoment, welches der junge Autor geschickt in seine Geschichte einfließen lässt, um seine Leser immer mehr an seine Erzählung zu fesseln.

Zunächst entwickelt Paolini seinen Handlungsstrang in Farthen Dûr, welcher direkt im Anschluss an die erste Schlacht einsetzt. Die Varden müssen große Verluste hinnehmen, die Zwerge haben gar ihr großes Wahrzeichen verloren, das Arya und Saphira zerstört haben, um Eragon retten zu können. Die Verluste sind trotz siegreicher Schlacht groß und müssen zunächst verkraftet werden. Die Geschichte fasziniert von Anfang an und weiß zu unterhalten, ohne dass zunächst viel Spannung aufgebaut wird. Dies passiert erst, als Paolini eine zweite Handlungsebene eröffnet, die größtenteils in Carvahall spielt. Eragons Heimatdorf wird nämlich von Galbatorix‘ Soldaten und Ra’zac bedroht, die Roran gefangen nehmen wollen, aber auf unerwartet großen Widerstand treffen. Die Bewohner von Carvahall wehren sich tapfer, können irgendwann aber einfach nur noch die Flucht ergreifen, auch wenn diese viele Gefahren mit sich bringt.

Dieser zweite Handlungsstrang und die Wechsel zwischen den beiden Schauplätzen sorgen für stetig anwachsende Spannung, die unweigerlich auf nur ein Ziel hinweisen kann, nämlich auf einen großen Kampf am Ende des Buches, auf den die Leser allerdings über 700 Seiten lang warten müssen. Erst spät geht Paolini zielgerichtet auf die Schlacht zu, in der viele verschiedene Völker aufeinander treffen.

_Lehrstunden_

Eine etwas längere lesetechnische Durststrecke ist während Eragons Ausbildung in Ellesmera zu überstehen. Diese Lehrstunden bei seinem neuen Meister werden sehr detailliert und in allen Einzelheiten geschildert, die schon etwas Geduld und Ausdauer erfordern. Zwar spielt Paolini wieder alle seine Trümpfe aus, indem er farbenfrohe Bilder von Ellesmera entwirft und uns in eine fremde und faszinierende Welt entführt, doch präsentiert er uns über eine lange Buchstrecke hinweg wenig Neues. Nur die Passagen in Carvahall sorgen hier für das gespannte Kribbeln, sodass ich mir tatsächlich von der Rahmengeschichte mehr gewünscht hätte.

Auch wenn wieder einige Anleihen bei anderen berühmten Fantasywerken zu bemerken sind, entfernt Paolini sich stetig von seinen Vorbildern. Nur „Der Herr der Ringe“ blitzt wieder einmal an einigen Stellen durch; so wurde hier Eragon eine schmerzliche Wunde durch die Ra’zac (das Paolinische Pendant zu den Tolkien’schen Nazgul) zugefügt, die nur durch besondere Kräfte zu heilen ist und ihn zunächst immer wieder schwer beeinträchtigt. Auch die Flucht der Einwohner von Carvahall mag an diejenige von Edoras nach Helms Klamm erinnern. Selbst in der Schlacht am Ende des Buches sind Parallelen nicht von der Hand zu weisen, denn die lebensnotwendige Verstärkung trifft auch bei Paolini fast schon zu spät ein. Dennoch muss man auch im zweiten Teil der Drachenreiter-Trilogie wieder neidlos zugeben, dass Christopher Paolini dennoch eine eigene Welt entwirft, die er uns in schönen Bildern und lautmalerischen Worten präsentiert. Er schafft es sogar, seine Skeptiker zu überzeugen und zu Fans seines fantastischen Alagaësia zu machen.

Paolini entscheidet sich hierbei für einen jungen und strahlenden Helden, der bei den Elfen geformt und am Ende verwandelt und von seinen Narben befreit wird. Spätestens mit dieser Entscheidung entfernt Paolini sich spürbar von Tolkien, der Frodo bewusst tragisch gezeichnet hat, um die ewig andauernde Last des Ringes zu kennzeichnen. Doch schon diese kleine Differenz ist es, die „Eragon“ eine ganz andere Prägung verleiht und die die Drachenreiter-Trilogie insbesondere auch deutlich kindgerechter macht.

Punkten kann Paolini wieder einmal in seiner überzeugenden Charakterzeichnung, die er in diesem Band noch weiter gestaltet. Besonders Eragon und Saphira lernen wir hier von ganz neuen Seiten kennen, die vorher noch nicht aufgeblitzt sind. Aber auch Roran erhält Gestalt und bekommt viel mehr Raum zugestanden, welchen er problemlos füllen kann. Von Roran möchte man gerne mehr lesen, er hat seinen starken Charakter bereits bewiesen, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie er zu seinem Cousin steht, der für das ganze Unglück von Carvahall verantwortlich ist. Doch dieser Konflikt ist es, der bereits neugierig auf die Fortsetzung macht, in welcher die beiden Cousins zusammen noch wichtige Aufgaben zu erfüllen haben.

Neben der etwas langwierigen Erzählweise im Mittelteil des Buches sind es nur Winzigkeiten, die den Lesegenuss trüben mögen, wie die teils längeren Passagen, die in Zwergen- oder Elfensprache abgedruckt sind und nicht in einer Fußnote übersetzt werden. Zweifeln wird der aufmerksame Leser auch, wenn ganz Carvahall an nur einem Tag von einem mächtigen Schutzwall umzogen wird, den die Bewohner gemeinsam errichten. Etwas unklar ist mir außerdem, warum Arya ihrem Drachenreiter-Schützling wichtige elfische Gepflogenheiten erst direkt vor ihrer Ankunft in Ellesmera mitteilt und die lange Zeit der Reise zuvor nutzlos verstreichen lässt. Insgesamt handelt es sich hierbei jedoch sicherlich um Unstimmigkeiten, über die man angesichts der fantastischen Erzählweise gerne hinweg sehen wird.

_Nun heißt es warten_

Wie schon im ersten Teil, so endet auch „Eragon – Der Auftrag des Ältesten“ völlig offen. Wieder ist eine Schlacht geschlagen, ein vorübergehender Sieger steht fest, doch das Aufeinandertreffen von Eragon und Galbatorix hat Christopher Paolini sich für seinen heiß erwarteten Abschlussband der Drachenreiter-Trilogie aufgehoben. Das vorliegende Buch hat als Übergangsteil einen sehr schweren Stand, zumal der Mittelteil sehr lang gezogen erscheint, dennoch entwickelt Paolini seine Figuren und seine Geschichte sehr schön weiter. An manchen Stellen weiß er zu überraschen und so präsentiert er gen Ende noch einmal eine unerwartete Wendung, mit der ich nicht gerechnet hätte. Insgesamt gefiel mir der Eröffnungsband ein klein wenig besser, da ich mir die Erzählung im aktuellen Roman etwas straffer gewünscht hätte, doch es sind im Grunde Kleinigkeiten, die es zu bemängeln gibt, sodass ich schon jetzt ungeduldig dem Abschluss der Trilogie entgegen fiebere!

http://www.eragon.de/

|Originaltitel: Inheritance Trilogy 2: The Eldest
Übersetzt von Joannis Stefanidis
800 Seiten, mit Lesebändchen
gebunden, 22,7 × 15 cm|

Clark, Mary Higgins – Mein ist die Stunde der Nacht

_Die Frau, die die Eule erschuf._

Mary Higgins Clark wurde 1928 geboren, und ihre Thriller führen stets die Bestsellerlisten an. So hat sich auch der |Heyne|-Verlag die „Königin der Spannung“ unter den Nagel gerissen, und die meisten ihrer Bücher veröffentlicht, das ZDF hat sich sogar die Filmrechte von zwei Erzählungen und vier Romanen gesichert: „Haben wir uns nicht schon mal gesehen?“, „Schwesterlein, komm tanz mit mir“, „Sieh dich nicht um“, „Dass du ewig denkst an mich“ und „Glückstag“.

Die Irin hat 25 Romane und zwei Bände mit Erzählungen veröffentlicht, auch weiterhin schreibt sie fleißig weiter, ihr großes Ziel ist es, eines Tages die „100-Romane-Barriere“ von Agatha Christie zu knacken.

„Mein ist der Stunde der Nacht“ ist einer dieser Romane und nun erstmals als Taschenbuch erhältlich. Er ist nicht der aktuellste ([„Hab Acht auf meine Schritte“ 1799 ist es), aber das ändert an der Qualität der Story natürlich nichts:

_Der Mörder ist immer der Loser._

Sam Deegan will in Pension gehen, der einzige Fall, der ihn noch an seinen Job fesselt, ist der Mord an Karen Sommers, ein Mord, der ohne erkennbares Motiv stattfand, und ein Mord, den Deegan zwanzig Jahre lang nicht lösen konnte. Am Ende seiner Kräfte entschließt er sich dazu, die Akte zu schließen, bis ihn die Mutter von Karen Sommers bittet, sich um einen weiteren Mordfall zu kümmern: Alison Kendall wurde tot in ihrem Swimmingpool aufgefunden, sie war eine enge Freundin von Jean Sheridan, die ihrerseits eine Freundin von Karen Sommers war.

Mörder ist ein mysteriöser Jemand, der sich selbst die Eule nennt, schon zu Beginn informiert er den Leser über seine Motive, ohne seine Identität zu lüften: Er ist ein weinerlicher Hosenpiesler, der von seinem Vater geschlagen, von seiner Mutter verhöhnt und von niemandem an der Schule ernst genommen wurde. Der Mörder in ihm wurde wach, als ihn eine Gruppe von Klassenkameradinnen verspottete, da er seine Sprechrolle als Eule nicht stotterfrei formulieren konnte: „Ich b-b-bin die Eu-Eule, und l-l-lebe in ei-ei-einem B-Baum …“ Alison Kendall war eine der Frauen, aus dieser Spöttergruppe.

Dieser Mord war sein Auftakt, der Beginn seines Planes, auch noch die letzten beiden Frauen um die Ecke zu bringen, die ihm diese Schmach angetan haben: Laura Wilcox und Jean Sheridan, und das lang geplante Klassentreffen ist die ideale Kulisse für ihn, um seinen Plan zu vollenden.

Und dieses Klassentreffen ist es dann auch, auf dem sich der Thriller abspielt: Ein ganzes Ensemble möglicher Täter trifft dort zusammen, jeder von ihnen könnte der ehemalige Loser sein, der den beiden Frauen an den Kragen will: Da wäre Carter Stewart, ein bösartiger und scharfzüngiger Dramaturg, der sich mit seinen rabenschwarzen Stücken aus der Unterschicht schreiben konnte; Robby Brent, der ungeliebte Sohn und unbegabte Schüler, der sich zum Komiker gemausert hatte und nichts mehr liebt, als Schläge unter der Gürtellinie zu verteilen; Gordon Amory, erfolgreicher Fernsehproduzent, der sich durch plastische Chirurgie seiner körperlichen Unzulänglichkeiten entledigt hat; Mark Fleischman, berühmter TV-Psychiater, dem nachgesagt wurde, seinen beliebten Bruder getötet zu haben; und Jack Emerson, ein reicher Immobilienmakler, der noch immer darunter leidet, dass ihn die schöne Laura Wilcox seinerzeit abgewiesen hatte.

Jean Sheridan ist die Erste, die die Drohung der Eule zu spüren bekommt, aber schließlich ist es Laura Wilcox, die verschwindet …

_Puzzle-Krimi´s Paradise._

Mary Higgins Clark steht nicht nur in dem Ruf, die Königin der Spannung zu sein, man sagt ihr außerdem nach, dass es ihre Spezialität sei, falsche Fährten zu legen und den Leser in die Irre zu führen. Eines jedenfalls stimmt: Sie ist eine Meisterin der Andeutung. An jedem Teilnehmer des Klassentreffen zeigt sie Verdächtiges auf, stupst den Leser an, in eine bestimmte Richtung zu denken, nur um dann woanders ein Verhalten zu zeigen, das noch viel verdächtiger wirkt. Überall sind Spuren; immer wenn man glaubt, den Täter zu kennen, oder wenn man annimmt, dass Clark zu viel verraten hat, bekommt man schon den nächsten Brocken an den Kopf geknallt.

Clark zeichnet dabei den Hintergrund der Figuren als klug verwobenes Patchwork: Manche Szenen werden aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt; zwar werden dadurch einige Ereignisse mehrmals rückgeblendet, aber sie macht das so geschickt, dass die Rückblende weitere Feinheiten aufdeckt, und ganz nebenbei die „rückblendende“ Figur durch ihren Standpunkt mitcharakterisiert.

Eine besondere Rolle hat dabei Jake Perkins inne: Er ist Schüler der Stonecroft Academy, und interessiert sich brennend für das Phänomen der dezimierten Frauenrunde. Er möchte unbedingt einen Artikel darüber verfassen und kennt keine Skrupel dabei, sich Informationen zu verschaffen. Für den Leser ist Perkins ein Quell unbequemer Informationen über die Besucher des Klassentreffens, er stochert überall hinein und trägt einiges dazu bei, den Leser zu erhellen (und ihn dabei natürlich weiterhin auf falsche Fährten zu locken).

Jedenfalls spitzen sich die Konflikte bis zum Ende hin zu, der finale Showdown bleibt nicht aus und Clark zieht die Spannungsschraube ständig an – erst auf den letzten Seiten lüftet sich, wer die Eule tatsächlich ist.

_Schmackhaftes Thriller Fast Food._

„Mein ist die Stunde der Nacht“ bietet all die Zutaten, die einen Thrillersüchtigen zum Nägelkauen verleiten: Ein Puzzle aus Verdächtigen und Informationen, die sich nach und nach aneinander reihen, dazu Konflikte, Bedrohungen für die Protagonisten und eine Atmosphäre aus Angst und Misstrauen.

Clark hat hier wirklich solide Arbeit geleistet und unterhält bis zum Schluss, die Story steht nie still und löst am Ende alle Fragen. Um auf ihre Fähigkeiten als Fährtenlegerin zurückzukommen: Ja, sie schafft es, den Leser zu irritieren, aber sie bedient sich dabei einiger unlauterer Tricks. Clark lässt ihre Figuren Dinge tun, die nur dazu dienen, um sie verdächtig zu machen. Nicht selten handeln Figuren nach einer Art, die nicht der ihren entspricht, manchmal sogar haben diese Handlungen nicht den geringsten Sinn – außer eben den, den Leser zu irritieren.

Das wiederum hat zur Folge, dass man irgendwann aufgibt, das Rätsel selbst knacken zu wollen. Man lehnt sich zurück und lässt sich passiv durch die Geschichte treiben: Aha, jetzt soll dieser verdächtig erscheinen, oho, jetzt ist es jener.

Trotzdem. „Mein ist die Stunde der Nacht“ ist bis zum Schluss spannend und unterhaltsam, es liest sich flüssig, hat keine Längen und wurde geschickt konstruiert. Ein Thriller-Imbiss für zwischendurch, schmackhaft und sättigend, aber sobald man ihn vertilgt hat, wird man ihn vergessen. Da kann man nur noch guten Appetit wünschen.