Archiv der Kategorie: Rezensionen

Taavi Soininvaara – Finnisches Requiem

Auch Taavi Soininvaara zählt zu den glücklichen Preisträgern eines bekannten Buchpreises, denn sein Roman „Finnisches Requiem“ wurde als bester finnischer Kriminalroman ausgezeichnet. Zugegebenermaßen verliere ich langsam den Überblick über die verliehenen Kriminalpreise, auch wenn mich derlei Werbung auf den Buchdeckeln immer wieder zum Kauf eines Buches überzeugt. Doch „Finnisches Requiem“ zeigt einmal mehr, dass Autoren oft völlig zu Recht ausgezeichnet werden. Der vorliegende Roman stellt allerdings keinen herkömmlichen Kriminalroman dar, Soininvaara präsentiert uns eher einen packenden politischen Thriller, in welchem er aktuelle Probleme und Meinungen im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung diskutiert.

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Ellery Queen – Das Geheimnis der weißen Schuhe

Queen Geheimnis kleinDas geschieht:

New York City in den „Roaring Twenties“ des 20. Jahrhunderts: Das „Dutch Memorial Hospital“ zählt zu den modernsten Krankenhäusern der Stadt, weil eine reiche Frau vom geradezu unamerikanischen Drang zur Nächstenliebe beseelt wird. Abigail Doorn, seit einigen Jahren Witwe, schaut oft und gern in ‚ihrem‘ Hospital nach dem Rechten. Dort schätzt man die freundliche Gönnerin, auch wenn sie manchmal ein wenig launisch ist.

Daher ist die allgemeine Bestürzung groß, als Abigail bei einem Sturz im „Dutch Memorial“ schwer verletzt wird. Zufällig anwesend ist Ellery Queen, Berater der Kriminalpolizei von New York sowie Verfasser gern gelesener Kriminalromane. Eigentlich wollte er nur einen alten Freund besuchen, aber der führt Ellery als Ehrengast in den OP. Aus der blutigen Vorstellung wird freilich nichts, denn als Abigail Doorn hineingerollt wird, ist sie bereits mausetot: erdrosselt mit einem Stück Blumendraht. Ellery Queen – Das Geheimnis der weißen Schuhe weiterlesen

March, Hannah – Lied der Ringeltaube, Das

Nachdem mich Hannah March’s zweiter Roman um den Lehrer und Erzieher Robert Fairfax wirklich umgehauen hatte, beschloss ich, mir auch die Vorgänger-Story zu besehen, auf die die Autorin in [„Als wär’s der Teufel selbst“ 1763 des Öfteren zurückblickt. Leider jedoch ist „Das Lied der Ringeltaube“ bei weitem nicht so stark wie das Zweitwerk der in Peterborough (England) geborenen Schriftstellerin. Es will einfach nicht vorangehen, und wenn dann endlich mal ein Anflug von echter Spannung auftaucht, befindet man sich auch schon auf den letzten Seiten – aber dazu später mehr.

_Story:_

Ein neuer Auftrag für Robert Fairfax: Der wohlhabenede Ralph Hemsley möchte, dass sein Sohn Matthew den letzten Feinschliff in seiner Erziehung bekommt und wendet sich an den erfahrenen Fairfax. Dieser nimmt den Auftrag an und reist zusammen mit Matthew nach London, um ihn dort mit der Kultur und der Administration der Hauptstadt bekannt zu machen. Allerdings verlaufen die Dinge zu Beginn ganz anders, als der alte Hemsley es für seinen Sohn vorgesehen hatte.

Matthew erblickt auf einem Flugblatt das Bild der jungen und gerade aufstrebenden Theater-Schauspielerin Lucy Dove und ist sofort fasziniert von dieser schönen Dame. Als er dann auch noch zufällig einen Bekannten aus seiner Schulzeit trifft, der Kontakte zu Doves Bruder hat, ist Matthew wie verzaubert und bekommt alsbald die Chance, Lucy im Theater selber kennen zu lernen. Fairfax ist zwar anfangs nicht begeistert von Matthews Hingabe, lenkt aber schließlich ein und begleitet seinen Schützling. Für diesen jedoch besteht die Welt nur noch aus Luca Dove; der junge Hemsley hat sich Hals über Kopf in die Schauspielerin verliebt, und als er später auch noch ein Attentat auf die Angebetete vereiteln kann, hat er auch ihre Freundschaft gewonnen.

Einen Abend später sitzen Doves Bruder (ein ehemaliger Kapitän der britischen Marine), Matthew, sein Freund Mallinson und Fairfax beim gemeinsamen Kartenspiel in der Wohnung des Captains, als unerwartet ein Brief für Matthew eintrifft. Von seinem anschließendem Gang zum Abort kehrt Hemsley nicht mehr zurück, und die anderen (bis auf den betrunkenen Mallinson) machen sich auf die Suche nach ihm. Er wird schließlich völlig niedergeschlagen vor Lucys Wohnung gefunden, in der die Schauspielerin von ihm tot aufgefunden wurde. Und da Matthew sich des Schocks wegen nicht mehr an die Geschehnisse in Lucys Wohnung erinnern und sich so auch nicht verteidigen kann, wird er letztendlich auch beschuldigt, seine Geliebte umgebracht zu haben. Das Gericht lässt Matthew einsperren, und Fairfax macht sich an die Arbeit, die Unschuld seines Schützlings zu beweisen – auch um selber nicht als Versager dazustehen.

Im Grunde genommen ist die Geschichte sehr gut und bietet auch hinsichtlich der Spannung ein gehöriges Potenzial. Einige in Frage kommende Mörder, ein wirklich sehr gut inszenierter Schauplatz für die Geschichte und charismatische Akteure – das alles spricht für diesen Roman. Das Problem ist lediglich, dass March fast die Hälfte der Zeit für die Einleitung verschwendet. Bevor die Geschichte erst mal ins Rollen kommt – sprich, bis der Mord geschehen ist – vergehen mal eben 130 Seiten, in denen nichts Wesentliches passiert. Gut, man erhascht einen Blick auf das Umfeld der Ermordeten und lernt auch Matthew und Fairfax kennen, aber die hierbei vorangeschobenen Informationen sind zu vielen Teilen recht belanglos und bringen weder die Geschichte noch die Entwicklung der CHaraktere sonderlich voran. Außerdem sind es einfach zu viele zufällige Bekanntschaften, die das Gespann Fairfax/Hemsley in London machen, das wirkt irgendwann nicht mehr realistisch.

Nach dem Wendepunkt durch den Mord an Lucy Dove schreitet das Erzähltempo dann endlich im gewohnten Maße voran, allerdings hat die Autorin sich für diesen Part nicht mehr besonders viel Raum gelassen, um die Handlung noch ausschmücken zu können. Folglich ist Hannah March also bemüht, die verloren gegangene Zeit wieder aufzuholen und überschlägt sich quasi auf den letzten Seiten.

Es hätte in diesem Falle also zwei Optimallösungen gegeben: Entweder hätte March die Seitenzahl strecken und die eigentliche Handlung weitaus fokussierter beschreiben sollen; oder aber sie hätte nicht so viel Wert auf die Darstellung der einzelnen Charaktere gelegt und sich stattdessen einzig und allein auf den Plot an sich konzentriert. Beides ist nicht der Fall, so dass die Spannung letztendlich über weite Strecken ausbleibt und dies den Roman schließlich verblassen lässt. Im Vergleich zu „Als wär’s der Teufel selbst“ jedenfalls ist „Das Lied der Ringeltaube“ nur ein nettes Büchlein für zwischendurch, während das Zweitwerk durchaus als Weltklasse-Krimi bezeichnet werden darf. Auch wenn sich der Hauptdarsteller Robert Fairfax im zweiten Buch wieder blicken lässt, so braucht man den ersten Teil deswegen nicht dringend gelesen zu haben. Im Gegenteil, dies birgt die Gefahr, dass man das Interese an der Autorin vrliert und so „Als wär’s der Teufel selbst“ als Lektüre gar nicht mehr in Erwägung zieht. Mein Rat daher: Einfach mit dem zweiten Buch beginnen und dann selber entscheiden, ob dem Leser das nicht wirklich geglückte Krimi-Debüt der Britin die Zeit wert ist. Ich persönlich fand die Geschichte um die ermordete Schauspielerin nicht ganz so prickelnd …

Büchner, Barbara – toten Weiber von Wien, Die

|Was hat Dr. Strunzl mit dem toten Adonis vor?

In Sonja Roths Villa am Stadtrand von Wien kommt es zu seltsamen Vorfällen, seit die Autorin von Heftromanen ihr Hinterhaus einem verschrobenen Historiker vermietet hat. Dieser Dr. Heribert Strunzl führt offenbar Experimente durch, die nicht jeder sehen soll. Dazu braucht er die Asche berühmter toter Wienerinnen – sowie die Überreste des gefeierten Musical-Stars Adonis Götterl. Strunzls geheimer Plan ist grausig – doch er hat die teuflische Rechnung ohne Sonja und ihren Hausfreund Harry gemacht …|

_Barbara Büchner_ wurde 1950 in Wien geboren. Seit 1972 ist sie als freie Journalistin und Schriftstellerin tätig. 1985 Ausbildung zur Dokumentarin. Ihr Hobby: künstlerische Grafik. Zahlreiche Publikationen: Kurzgeschichten, Kriminalgeschichten, Romane und Jugendbücher. 1977 Verleihung des Staatspreises für journalistische Leistungen im Interesse der Jugend durch das Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Wien. Für „Abenteuer Bethel – Das Recht auf Leben“ wurde die Autorin in die Ehrenliste zum österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis aufgenommen, ebenso in die Ehrenliste zum Katholischen Kinderbuchpreis 1993.

Barbara Büchner versteht zu schreiben. Das wissen die Leser ihrer Bücher. „Die toten Weiber von Wien“ ist wieder einmal ein Werk der Wiener Autorin, das die ganze Bandbreite ihres schriftstellerischen Könnens in sich vereint: Humor, filigrane Schreibkunst, Spannung, ungewöhnliche Plotstrukturen und vieles mehr.

Der Titel handelt von einem verschrobenen Historiker (Dr. Heribert Strunzl), der das Gartenhaus der Villa der über fünfzigjährigen Heftromanautorin (Sonja Roth) mietet, um dort höchst morbide Experimente durchzuführen. Doch Sonja, die zuerst erfreut über den vermeintlich älteren und ruhigeren Wissenschaftler war, und ihr Hausfreund (Harry, ein gescheiterter Englischlehrer mit Hang zu Drogen, der sich von betuchten älteren „Damen“ aushalten lässt) bemerken sehr schnell, dass mit dem Professor, der ständig dick vermummt herumläuft, irgendetwas nicht stimmt, versuchen ihm auf die Schliche zu kommen, decken auf, dass es wohl einen Zusammenhang zu Grabschändungen der Vergangenheit gibt und geraten in tödliche Gefahr …

Was Barbara Büchner wie keine andere beherrscht, ist die hohe Kunst, verschiedene Plotelemente zu verknüpfen; so geschickt, dass sie einen nahtlosen Übergang hinbekommt. So auch in diesem Roman. Das ist die wahre Größe, die diese Autorin ausmacht.

Zum einen folgt der Leser Sonja und Harry auf den Spuren des nekrophilen und okkulten Wiens und erfährt so eine Menge über die Geschichte der Stadt. In die spannend erzählte Gruselkrimistory hat die Autorin geschickt Lokalgeschichte, Sagen, Anekdoten und historische Kriminalfälle der Stadt Wien in die Handlung eingeflochten. Das macht eine Besonderheit dieses Buches aus.

Aber nicht nur das. Auch die ganze „spezielle“ Beziehung zwischen der Protagonistin Sonja Roth und ihrem erheblich jüngeren Liebhaber verleiht der Erzählung eine besondere Note. Obwohl ihr sehr wohl bewusst ist, dass er sich finanziell von ihr aushalten lässt – |“Unglaublich, was ein Mann alles aus seinen Lenden herausholen kann, wenn er befürchten muss, mitten im eiskalten Wasser auf die Straße gesetzt zu werden!“| ­– und er im Bett nicht unbedingt der „Bringer“ ist – |“und die Leistungen im Bett ließen ebenfalls sehr zu wünschen übrig. Ein Mann, der im Geist mit Dämonen kämpft, kann sich nicht auf seinen Schwanz konzentrieren.“| –, präsentiert sich die Beziehung durchweg positiv. Und gerade diese beschreibt die Autorin so sympathisch – |“… aber Männer neigen sehr schnell dazu, sich für unersetzlich zu halten, sogar Männer wie Harry, und eine kleine Beunruhigung hin und wieder tut ihnen nur gut …!“| – und humorvoll, dass der Leser das ungewöhnliche Paar sofort ins Herz schließt. Besonders amüsant sind die erotischen Szenen, weil die Autorin in ihnen ihren besonderen Humor unter Beweis stellen kann. Offen, aber nicht bis ins kleinste Detail, genau die Dosierung, die gute Unterhaltung ausmacht.

An diesem Buch stimmt einfach alles, und Barbara Büchner zeigt damit wieder einmal, dass sie eines wirklich kann: |schreiben|! Einen Satz der Autorin kann ich nur unterstreichen, habe ich ihn mir auch längst auf die Fahne geschrieben: |“Ich finde, eine wirklich emanzipierte Frau hat es gar nicht nötig, ständig auf ihre Stärke zu pochen. Nur die Starken haben den Mut, sich beschützen zu lassen.“|

Pinternagel, Stefan T. – Fragmente

Stefan T. Pinternagel, den Namen wird man sich merken müssen. „Fragmente“, seine ultimative Huldigung an die Abgründe der menschlichen Seele, ist das bei weitem bewegendste und beängstigendste Buch, das ich seit langem in die Finger bekommen habe. Zweiunddreißig Kapitel enthält dieses Kleinod der Gewalt, in dem der Erzähler durch seine tägliche Arbeit führt. Diese besteht zum größten Teil aus der Säuberung der Menschheit, durch des Erzählers – er nennt sich selbst den „Holiday-Killer“ – Hand. Es zeigt sich bereits in der Einleitung des Buches, dass dieser Schinken nichts für Zartbesaitete werden wird. Mit eiskaltem Gemüt berichtet der Killer über sein Treiben, seine Motivation, die anonyme Masse der alltäglichen Menschenflut zu durchdringen, einzelne, frei Erwählte darunter zu kennzeichnen, um dann schlussendlich seine gnadenlose Jagd zu einem befriedigendem Abschluss zu bringen. Allein die Einleitung lässt uns ob der seelischen Erstarrtheit und des Rechtsempfindens des fiktiven Erzählers frösteln und ein Buch erwarten, das im besten „Natural Born Killers“-Stil von der Lust am Töten erzählt, der Motivation zu reinigen.

Pinternagel versetzt sich erschreckend tief in diese Seele hinein und legt die Taten des „Holiday-Killers“ in der krassesten Bildsprache dar. Zermalmte Knochen, platzende Augäpfel, quellende Eingeweide, Erniedrigung bis hin zu Vergewaltigung, Blut, Ekel, Erbrochenes und Menschen, die sich in der grüngelben Pampe züngeln. Wer meint, er hätte bereits seinen Meister in Sachen literarischer Härte gefunden, wird nun eines Besseren belehrt.
Das Brutalste an dem Buch ist dennoch sicherlich, dass der Killer aus der Ich-Perspektive erzählt und so seine Taten und vor allem seine abstrakte Motivation erschreckend greifbar werden. Die Bilder schießen einem zwangsläufig durch den Kopf und was man sieht, lässt den Leser in einem Strudel gänsehäutigen Ekels erstarren.
Der Killer schlägt erzählerische Haken, vergleicht seine „Arbeiten“ mit denen seiner großen Vorbilder, den größten Serienkillern aller Zeiten, denen er in charmanter Art und Weise kleine Kapitelchen widmet.

Der Stolz, mit dem er über tausend seiner Morde berichtet, bildet die Grundlage dieses Buches, das lose von einer Rahmenhandlung, oder besser, von den beiden Hauptfiguren Jutta und Hans-Peter, einem deutschen Pärchen, zusammengehalten wird. Diese beiden sind eigentlich null wichtig, agieren als praktische Anschauungsobjekte der Handlungen und werden gerade aufgrund ihrer Normalität und Anonymität zu Opfern wie es auch du und ich hätten sein können. Ziellos erwählt, hat es diesmal die beiden getroffen. Doch der Killer lässt keine Seite aus, daran zu erinnern, dass es das nächste Mal auch dich treffen könnte.

Der Killer ist, wie auch häufig in der grausamen Realität, charmant, ein Nobody, gesichts- und konturlos. Er passt sich dem an, was er am meisten hasst und kann so unenttarnt seiner Arbeit nachgehen. Er verschwindet in der breiten Masse, indem er zu einem Teil von ihr wird und sich gibt, wie sich vertrauenswürdige Menschen geben sollten. Vertrauen ist ihm ins Gesicht geschrieben, auch wenn man nur zu schnell merkt, dass man mit seiner Einschätzung merklich auf dem Holzweg war.

„Fragmente“ zeichnet ein einzigartiges Psychogramm, dessen Umsetzung dem Autor selber einige schlaflose Nächte bereitet haben dürfte. Denn so abgründig, wie sich Pinternagel in die kranke Psyche seines „Helden“ hineinversetzt, könnte man glatt meinen, er hätte einen Tatsachenbericht geschrieben.

Bei aller Perversion, aller Brutalität und allem negierten Rechtsverständnis, die es zweifellos in der Welt gibt, bleibt festzuhalten, dass Pinternagels „Fragmente“ eben nicht dieser Tatsachenbericht ist, sondern eine fragile, psychisch fordernde, fiktive Auseinandersetzung mit dem Wesen eines Monstrums. Die hohe Kunst des Buches ist der Brückenschlag zur Realität, die flächendeckend auf den Seiten mitschwingt. Denn trotz aller Fiktion sieht man ähnliche Geschichten der Perversion, medienwirksam aufbereitet, allabendlich in der Tagesschau.

Herr Pinternagel, ganz großes Kino! An all diejenigen, die sich nicht an Psychothrillern und Psychogrammen satt lesen können: Holt euch „Fragmente“, ihr werdet dieses Buch so schnell nicht vergessen können. Extraklasse!!!

http://www.atlantis-verlag.de/

Arthur Conan Doyle – Der Hund der Baskervilles [Sherlock Holmes]

Für ein vor Jahrhunderten begangenes Unrecht wird das Geschlecht der Baskervilles von einem mörderischen Geisterhund gejagt. Nun soll der berühmte Detektiv Sherlock Holmes den Spuk bannen. Mit seinem treuen Gefährten Dr. Watson macht er sich auf in das Moor von Devonshire, wo des Nachts freilich nicht nur der Hund umgeht … – Berühmtester und mit Abstand bester der vier Holmes-Romane, gelungen in der Handlung, spannend, atmosphärisch unerhört dicht: jede Zeile mit Recht ein Klassiker des Kriminalromans.
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Walters, Minette – Bildhauerin, Die

|Olive Martin sitzt wegen eines grausamen Verbrechens im Gefängnis: Sie hat zugegeben, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester ermordet und dann zerstückelt zu haben. Unter ihren Mitgefangenen ist Olive wegen ihrer Ausbrüche gefürchtet, und ihre Beschäftigung mit Knetpuppen, in die sie Nadeln sticht, hat ihr den Namen „Die Bildhauerin“ eingetragen.
Rosalind Leigh ist gewarnt, als sie das Gefängnis betritt, um Olive zu treffen. Die Journalistin soll die Hintergründe des Falles ausleuchten. Schnell erkennt sie, dass es noch eine tiefere Wahrheit gibt als die in Geständnis und Urteil festgeschriebene. Zusammen mit der Bildhauerin tritt Rosalind eine gefährliche Reise an in eine Welt voller versteckter Leidenschaften und offenem Hass, schreiender Ungerechtigkeit und dunkler Geheimnisse …|

Die Londoner Journalistin Rosalind Leigh soll auf Druck ihres Verlegers die Hintergründe eines grausamen Verbrechens recherchieren: Die damals 23-jährige Olive Martin hat zugegeben, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester ermordet und zerstückelt zu haben. Aufgrund ihres hässlichen Aussehens wurde auf Olive Martin von der Presse eine regelrechte Hetzjagd veranstaltet.

Sechs Jahre später soll nun Rosalind (Roz) ein Buch über diesen spektakulären Fall schreiben. Widerwillig lässt sie sich darauf ein, die Vorstellung, diesem menschlichen Ungetüm gegenübertreten zu müssen, flößt ihr größtes Unbehagen ein. Bei ihren Besuchen ist die Journalistin jedoch mehr und mehr fasziniert von der |Bildhauerin|, die im Zuchthaus für ihre Tobsuchtsanfälle bekannt ist und auch dafür, dass sie fortwährend Figuren kreiert, die sie mit langen Nadeln spickt.

Während ihrer Recherche erkennt Rosalind, die den Eindruck hat, dass die Inhaftierte, die selbst immer wieder ihre Schuld betont, lügt, dass hinter dem Verbrechen ein dunkles Geheimnis liegt und sie tut alles, um die Wahrheit an den Tag zu bringen. Daher stellt sie auf eigene Faust Nachforschungen an und stößt auf etliche Ungereimtheiten, auch bei den polizeilichen Ermittlungsarbeiten.

Darüber hinaus wird ihr Olive immer sympathischer, menschlich zugänglicher. Die „Tat“ wird für Rosalinde immer unverständlicher, denn Olives Geständnis und auch ihre Behauptung, nie eine enge Beziehung zu ihrer ermordeten Schwester gehabt zu haben, stehen in Widerspruch zu den Aussagen, die Rosalinde einholt. Da ist die Rede von Fürsorge und Zärtlichkeit, die Olive der kleinen Schwester entgegengebracht hat.

Und war Olives kleine Schwester Amber wirklich das reizende Mädchen, als das sie gesehen wurde? Mit jeder Information, die Rosalind einholt, wächst ihre Vermutung, dass alles anders ist, als der erste Eindruck vermuten ließ, und dass viele Alibis nicht stichhaltig sind.

Was das Buch so interessant macht, ist der Nebenplot über Rosalinds Vergangenheit, deren Schatten immer noch über ihr liegen und auf ihr lasten. Doch durch ihre Begegnung mit Olive kann Rosalind immer mehr mit ihrer Vergangenheit abschließen.

Ebenso geschickt hat Minette Walters den Charakter von Olive Martin angesiedelt. Auf der einen Seite ist diese abstoßend, undurchschaubar, niederträchtig – und verlogen. Auf der anderen aber auch intelligent, feinfühlig und äußerst verletzlich.

Was den besonderen Reiz des Romans ausmacht, ist das „offene“ Ende. Bis zur letzten Seite hat der Leser keine Gewissheit darüber, was an Olives Geschichte wahr ist oder nicht, ob sie die Täterin ist oder nicht. Vor allem bleibt die Frage: Warum hat sie bis nach dem Tod ihres Vaters – der der Einzige gewesen wäre, der Aufschluss hätte geben können – gewartet, bis sie ihr Schweigen gebrochen und ihre Geschichte erzählt hat?

Dieses Buch wurde zu Recht mit dem Edgar-Allan-Poe-Preis ausgezeichnet! Es war mein erster Roman von Minette Walters (erste |Goldmann|-Auflage 1995), der mich gefesselt und fasziniert hat. Besonders wenn man privat, aber vor allem auch beruflich sehr viel liest, wie ich, ist man dankbar für „Perlen“ der Literatur. Dieser Krimi ist mit Sicherheit eine! Die Autorin schreibt sehr detailliert, atmosphärisch, spannend und arbeitet mit psychologischen Charakterplots und Handlungsebenen, was ihre Romane deutlich von den seichten U-Romanen abhebt. „Die Bildhauerin“ fesselt von der ersten bis zur letzten Seite, ist meines Erachtens eines der besten Walters-Werke und für mich daher ein absolutes Muss!

Ein grandioses Buch, das ich jedem empfehlen kann – und das dieses Jahr als Sonderband neu bei |Goldmann| aufgelegt wurde.

_Minette Walters_ arbeitete lange als Redakteurin in London, bevor sie Schriftstellerin wurde. Sie gilt als die britische „Queen of Crime“ und hat eine Fangemeinde von Millionen Leserinnen und Leser. Viele ihrer bisher erschienenen Romane wurden mit wichtigen internationalen Preisen ausgezeichnet. Minette Walters lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Hampshire, England.

Miller, Frank – Sin City 2: Eine Braut, für die man mordet

_Millers dunkler Traum_

|Frank Miller gilt als Garant für knallharte Action. Daredevil bricht dem Kingpin die Nase, Batman prügelt den Joker durch ein Schaufenster – immer geht es handfest zur Sache. Die Werke aus der Feder des amerikanischen Autoren und Zeichners haben inzwischen Comic-Geschichte geschrieben. Nicht wegen ihrer Brutalität, sondern wegen ihrer Kohärenz und Tiefe. Jetzt legt Cross Cult nach und präsentiert Frank Millers Klassiker Sin City neu, in einer Luxus-Edition.|

Eigentlich ist Dwight McCarthy gerade dabei, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Er hat ein kleines Appartement, arbeitet als Privatdetektiv und ist seit geraumer Zeit trocken. Seine Vermieterin weiß, dass er Probleme mit Alkohol hatte und hofft für ihn das Beste. Dwights Chef Agamemnon kann mehr dazu sagen. Zwei Dinge haben Dwight immer die sichere Bahn verlassen und durchdrehen lassen: Alkohol und Frauen. Und im Augenblick sieht es so aus, als hätte er sein Leben einmal wieder gegen die Wand gefahren. Besoffen war er dabei nicht.

Der Grund für sein Unglück hat die Traummaße 90-60-90 und heißt Ava. Ihr Körper wirkt wie ein Vorgeschmack auf das Paradies und verwandelt Männer in winselnde Hündchen. Obwohl Dwight ihretwegen schwere Zeiten durchgemacht und sich gerade wieder gefangen hat, kommt er nicht von ihr los. Als eines Abends das Telefon läutet und Ava am Apparat ist, klingt ihre Stimme aufgewühlt, hilflos und verzweifelt. Der Grund ihres Anrufs lässt das Blut des Privatdetektivs aufwallen. Avas Mann, ein reicher Snob aus der Nachbarschaft, foltere und martere sie. Die Ehe mit ihm sei die Hölle, Ava fürchtet um ihr Leben. Noch wehrt sich Dwight und versucht, der einfühlsamen Schönheit nicht auf den Leim zu gehen. Nach einer exzessiven Liebesnacht ist es jedoch um seinen Verstand geschehen. Er muss Ava helfen und sie vor ihrem Ehemann beschützen – koste es, was es wolle.

Der Leser ahnt, dass die Sache nicht ganz koscher ist. Aber tragische Geschichten nehmen ihren Lauf, ob das Publikum nun will oder nicht. Vielleicht entwickelt man deswegen von Anfang an Mitleid mit Dwight McCarthy, der eigentlich nichts weiter als ein einfacher Kerl mit einem großen Herzen ist. Bald muss er erkennen, dass sich hinter Avas hilfesuchender Miene finstere Absichten verbergen. Doch da ist es bereits zu spät. Dwight liegt am Boden, blutet wie ein Schwein und ist sich sicher, dass sein letztes Stündlein geschlagen hat …

Frank Millers Geschichte über den liebeskranken Dwight McCarthy und die Femme fatal Ava ist schlicht und gradlinig. Eigentlich handelt es sich um eine gewöhnliche hard-boiled Kriminalgeschichte, ohne große Schnörkel oder Rafinessen. Die Handlung rückt nach mehreren Seiten in den Hintergründ, und der Leser beginnt zu ahnen, dass stattdessen für etwas anderes Platz gemacht wird. Ein Trip durch die dunkle Hölle von Sin City.

Millers schneller, harter, punktgenauer Erzählstil verwebt sich mit den klaren Linien seiner Zeichenkunst. Rasant wechselnde Perspektiven in Schwarzweiß und dynamische, fließende Bilderfolgen leisten genau das, wozu Comics in der Lage sind: zu überzeichnen und zu stilisieren, um das Wesentliche herauszuarbeiten. Heraus kommt ein Werk, das genau auf der Grenze zwischen Comic und Graphic Novel liegt. Millers Geschichte heizt das Adrenalin an und ist spannend bis zur letzten Seite. „Eine Braut, für die man mordet“ ist absehbar, gradlinig und arbeitet mit Stereotypen. Dennoch zieht die Geschichte den Leser in ihren Bann. Man driftet von Detail zu Detail und versinkt in Millers dunklem Traum. Kohärenz und Tiefe beweisen sich auch hier als das Markenzeichen der amerikanischen Comic-Legende.

Zu guter Letzt sei den Herausgebern der deutschen Luxus-Edition von Sin City gedankt. Die Reihe besticht durch eine hohe Qualität. Darüber hinaus wurde die Gelegenheit wahrgenommen, Hintergrundmaterial zu Frank Miller und seiner Stadt der Sünde zu veröffentlichen. Im Anschluss an „Eine Braut, für die man mordet“ findet der Leser ein Interview zur Serie, das Miller im März 1993 gab. So sollten Comics sein. Da kann man nur viel Spaß beim Lesen wünschen.

http://www.cross-cult.de
http://www.sincity-derfilm.de

Wagner, Jan Costin – Schattentag

_Der Autor_

Jan Costin Wagner wurde 1972 in Langen bei Frankfurt geboren. Er studierte Germanistik und Geschichte in Frankfurt. Für sein Debüt „Nachtfahrt“ erhielt Jan Costin Wagner den Marlowe-Preis 2002 für den besten Krimi. Sein zweiter Roman „Eismond“ brachte den internationalen Durchbruch. 2004 wurde er mit dem Förderpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet.

_Die Geschichte_

Das Leben des Protagonisten, der die Erzählung hier hier aus der Ich-Perspektive wiedergibt, ändert sich über Nacht komplett. Er verliert alles: sein Haus, seine Familie, seine Firma – und sein Augenlicht. Doch am Tag des größten Unglücks trifft er im Krankenhaus seine Jugendliebe Mara wieder und beginnt mit ihr auf einer traumhaften Insel ein neues Leben. In einem roten Holzhaus, umgeben von Wasser und Himmel, startet er in der idyllischen Umgebung ein neues Leben, wird aber nach und nach vom Schatten seiner Vergangenheit eingeholt – und das von dem Moment an, an dem ein Mann auf mysteriöse Art und Weise bei einem Feurwerk von den Klippen gestoßen wurde.

In immer kürzeren Abständen bedrohen ihn die Bilder aus seinem alten Leben, jedoch gelingt es ihm nicht, die Momentaufnahmen und Erinnerungen zu einem Puzzle zusammenzubringen. Damit verbunden sind ebenfalls Ängste. Vor dem Scheitern; davor, dass Mara ihn verlässt, und vor dem seltsamen Kommissar vom Festland, der ihm nicht sagen will, wie sein Kinderbild in die Brieftasche des Mordopfers gelangt ist. Das Resultat der Verwirrung: Eine Tour de Force der Seele, an welcher der Protagonist zu zerbechen droht …

_Der Eindruck_

Gerade einmal 180 Seiten hat der Autor benötigt, um ein sehr beklemmendes Spannungsbild aufzubauen, das sich am Ende radikal auflöst und die ganze Handlung auf den Kopf stellt. Was uns in dieser Seitenspanne begegnet, fasziniert von Anfang bis Ende, und dafür ist einzig und allein der ungewöhnliche Erzählstil von Wagner verantwortlich. In stetig wiederkehrenden Rückblicken verarbeitet der Hauptdarsteller seine Vergangenheit, ist aber anfangs nicht in der Lage, sich einen genauen Überblick über sein ‚altes‘ Leben zu verschaffen. Doch die Anzahl der Erinnerungen steigt von Stunde zu Stunde, nur wollen sich keine Zusammenhänge erschließen lassen. Wagner wechselt so ständig zwischen der Gedankenwelt des Protagonisten und der Realität auf der paradiesischen Insel und treibt solcherart auch mit den Lesern ein Spielchen, das zunächst noch für Verwirrung sorgt, aber stetig an Farbe hinzugewinnt und auf ein merkwürdiges Ende hinzusteuert. Stellenweise fühlt man sich dabei tatsächlich wie der zerstreute und gebeutelte Mann. Unsicherheit macht sich breit, und im Hinblick auf den Leser überträgt sich diese insofern, als dass man nach einiger Zeit Realität und Fiktion nur noch schwerlich auseinanderhalten kann.

Bei der Charakterisierung des seltsamen Mannes hat Wagner einen Volltreffer gelandet. Zerbrechlich, ängstlich und schließlich in einer surrealen Welt gefangen, fällt es ihm immer schwerer, die Ereignisse in seiner Umwelt passend einzuordnen. Der Aspekt der Kriminalgeschichte geht dabei bewusst oft verloren, macht „Schattentag“ aber letztendlich auch erst zu dem Ereignis, das der Roman nun mal ist. Ein Krimi, bei dem sich die Frage nach dem Grund für das Schicksal des Mannes erst einmal klären muss, bevor die Rahmenhandlung sich entwickeln kann. Doch erstaunlicherweise gelingt es Wagner sehr fließend, die beiden Plots nebeneinander laufen zu lassen, ohne dass man den Anschluss verliert. Und beide parallel erzählte Stränge haben es in sich und sorgen in der poetischen Variante, die Wagner für diesen Roman gewählt hat, des Öfteren für Gänsehaut.

In seinem Genre ist „Schattentag“ wahrhaftig einzigartig und daher auch dringend empfehlenswert. So tief wie dieser Autor sind nur wenige Schriftsteller je in das Seelenleben eines Menschen eingedrungen, und Wagner hat dies hier mit einer Überzeugungskraft gemeistert, vor der man nur den Hut ziehen kann. Ich wittere bereits die nächste Auszeichnung für diesen aufstrebenden Autor …

http://www.jan-costin-wagner.de/
http://www.eichborn.de/

Bussy, Pascal – Kraftwerk – Mensch, Maschine und Musik

KRAFTWERK. Alleine dieser Name löst bei vielen Musikliebhabern noch immer eine Gänsehaut aus. Die aus Düsseldorf stammende Gruppe gehört nach wie vor zu den mysteriösesten und faszinierendsten Erscheinungen in der gesamten Musikwelt, und diesen Status haben die Elektronik-Pioniere auch in den letzten 30 Jahren nie einbüßen müssen. Doch die beiden Köpfe Ralf Hütter und Florian Schneider waren auch stets bemüht, das Mysterium aufrecht zu erhalten und den Ruf der anonymen, undurchschaubaren Band ins neue Jahrtausend zu retten. Kein Wunder also, dass die beiden nicht allzu sehr davon begeistert waren, als Pascal Bussy ihnen bereits 1993 das Manuskript zu dieser Biographie vorlegte. Um die Authentizizät zu bewahren, wollte der Autor der Band die Chance geben, eventuelle Fehler auszubessern bzw. ungeklärte Fakten zu korrigieren. Diese Gelegenheit nahmen KRAFTWERK jedoch nicht in Anspruch, so dass das Buch kurze Zeit später auf den Markt gelangte. Erst jetzt meldete sich Schneider mit dem lapidaren Kommentar „Das Buch ist scheiße“ zu Wort und führte eine hitzige Diskussion mit dem Herausgeber. Der größte Kritikpunkt: Die meisten Sachen seien frei erfunden. Nun, bei einer Band, deren Geschichte zu einem ziemlich großen Prozentsatz aus Gerüchten und Vermutungen besteht, war so etwas vorauszusehen. Dementsprechend zwiegespalten waren die Reaktionen auf die ursprüngliche Fassung. Die eine Hälfte war sehr begeistert von Bussys Werk, die andere Hälfte, so vermutet Bussy, war nur deswegen so kritisch, weil man die Musiker nicht verstoßen wollte.

Wie auch immer, seitdem ist sehr viel Wasser die Seine heruntergeflossen, und zwölf Jahre später präsentiert der Autor eine neue und vor allem aktualisierte Fassung. Wobei ‚aktualisiert‘ ein relativer Wert ist, denn auch weiterhin haben sich Schneider und Hütter geweigert, viel mehr Fakten herauszurücken. Immer noch basieren viele Informationan auf reiner Spekulation, was Bussy auch anfangs sehr ehrlich erklärt. Doch seiner Ansicht nach haben die Fans eine Biographie und damit auch die Wahrheit über die Band verdient, und mit dieser Intention hat er das 1993 erstveröffentlichte Buch nun ein weiteres Mal aufgelegt.

Bussys ausgiebiges Wissen über KRAFTWERK basiert in erster Linie auf unzähligen selbst geführten Interviews mit den Mitgliedern der Band, die allesamt vor dem Erscheinungstermin der Ursprungsversion getätigt wurden. Außerdem entnimmt der Autor auch noch viele Informationan aus Interviews von Kollegen. Der Löwenanteil der Recherche geht auf den Anfang der Neunziger zurück, wo Bussy im dauerhaften Kontakt zur Band stand.

In mehreren Kapitel wird in „Kraftwerk – Mensch, Maschine und Musik“ die komplette Geschichte der Band erzählt, und natürlich lässt Bussy es sich in diesen einzelnen Abschnitten nicht nehmen, immer wieder den Versuch eines Blickes hinter die direkten Kulissen des Mysteriums zu wagen. Für den Leser bleibt lediglich das Problem bestehen, dass man stellenweise immer noch nicht genau weiß, ob sich dies oder jenes genau so wie hier berichtet abgespielt hat. Selbst wenn die meisten Quellen als sicher gelten – Schneider und Hütter werden schon ihre Gründe haben, warum ihnen die Ausführungen des Autoren größtenteils widersagen.

Vielleicht sollte man diesen Gedanken aber mal in den Hintergrund drängen, denn schließlich ist hier ein sehr ausführliches und unheimlich interessantes Portrait einer total eigenwilligen Musikervereinigung entstanden, deren Einfluss auf die gesamte Musikwelt immens groß war bzw. immer noch ist. Bussy erläutert den Kult um die Meister der sterilen Töne und wirft einen sehr detaillierten Blick auf die visuelle Performance des Projekts. Dazu geht er immer wieder auf die Köpfe und Visionäre hinter dem Unternehmen KRAFTWERK und natürlich auf das legendäre Klingklang-Studio, das irgendwo an einem unscheinbaren Platz in Düsseldorf eingerichtet wurde, ein. Hauptsächlich versucht der Autor allerdings, die Fragen zu beantworten, die hinter der von der Band selber erbauten Mauer des Schweigens bisher verhüllt blieben. In diesem Zusammenhang finde ich die folgende Beschreibung im Hinblick auf den kompletten Rückzug aus der Öffentlichkeit auch sehr treffend: „…zurückgezogene Genies, die in der selbsterrichteten Exklusivität ihres Studios emsig vor sich dahinwerkelten …“. Könnte man die Legende KRAFTWERK und ihre Verschwiegenheit noch besser beschreiben?

Als Letztes möchte Bussy aber auch unterhalten, und das gelingt ihm wirklich vorzüglich. Der Mann wühlt sich tief durch die Materie und lässt nicht eine einzige Andeutung im Raume stehen. Fragen werden aufgeworfen, dann aber auch beantwortet; und es gibt keinen Moment im Buch, bei dem man den Eindruck bekommt, der Autor wolle den Inhalt nur herunterrasseln. Es wird sehr deutlich, dass Bussy sich diesem Stoff jahrelang gewidmet und teilweise auch für die Liebe zu dieser Band gelebt hat. Aufgrund der kritischen Betrachtung der einzelnen Bandmitglieder bewahrt er aber eine angenehm neutrale Haltung, die dem Buch schließlich die nötige Glaubwürdigkeit verleiht. Träumen darf Bussy dennoch; so zum Beispiel in den verschiedenen Zukunftsvisionen, die zwischendurch eingeworfen werden. So beschreibt Bussy beispielsweise ein Szenario, bei dem die Band auf der ganzen Welt parallel Konzerte gibt, die allesamt von einem Ort gesteuert werden. Durch solche netten Ergänzungen bekommt die Darstellung der kalt wirkenden Band letztendlich noch ein Fünkchen Leben eingehaucht, und die Intention der nahezu perfekt erscheinenden Biographie rückt auch ein wenig näher ins Visier.

KRAFTWERK haben mit ihrer Musik Pionierarbeit geleistet, und das gilt für so viele verschiedene Genres. Daher ist dieses Buch auch für jeden einzelnen Musikfreund interessant, denn egal wie die individuellen Vorlieben geartet sind, ein bisschen KRAFTWERK steckt immer drin. Aber es ist nun mal so, dass die Geschichte dieser Band eine ganze Menge zu bieten hat, das zu lesen sich lohnt, und weil Bussy dies alles wunderbar in seinem Buch eingefangen hat, kann man „Kraftwerk – Mensch, Maschine und Musik“ als semi-offizielle Biographie akzeptieren und das Buch nur wärmstens empfehlen.

Carl Hiaasen – Dicke Fische

Das geschieht:

R. J. Decker, einstiger Starfotograf in der Sinnkrise, versucht er als Privatdetektiv einen Neuanfang im sonnigen US-Staat Florida. Aktuelle hat ihn Millionär Dennis Gault angeheuert, der sich sein süßes Leben im Müßiggang als Wettkampffischer versüßt. Der Kampf um den größten Maulbarsch ist nicht nur ein amerikanischer Breitensport geworden, lernt der erstaunte Decker, sondern hat eine lukrative Industrie für Zubehör aller Art hervorgebracht. Die Fänger der dicksten Fische gelten als Idole, die Preisgelder erreichen schwindelerregende Höhen. Bisher war Gault der Hecht in diesem Barschteich. Nun macht ihm ein Konkurrent seinen Status streitig. Dickie Lockhart hat es sogar zu einer eigenen Angel-Show im Fernsehen gebracht.

Aber er betrügt und hängt offenbar gefrorene Dickfische an den Haken, wenn niemand hinschaut. Das soll Decker beweisen. Dafür winken ihm 50.000 Dollar Honorar, was ihn eventuelle Vorbehalte rasch vergessen lassen. Er ahnt nicht, dass er sich das Geld sauer wird verdienen müssen. Just ist im Lake Jesup die Leiche des Anglers Robert Clinch aufgetaucht. Angeblich ist er ertrunken, aber Decker wird nachdenklich, als er auf der Beerdigung dessen Geliebte kennenlernt. Lanie Gault – Dennis‘ Schwester – erzählt ihm, dass Clinch Deckers Vorgänger auf der Jagd nach Lockhart war. Carl Hiaasen – Dicke Fische weiterlesen

Gilbert, David – Normalen, Die

Wenn man sich anschaut, mit wem die englischsprachige Presse David Gilbert nach seinem Debütroman „Die Normalen“ so alles in eine Schublade gestopft hat, dann fallen eine Menge großer Namen: Douglas Coupland, Bret Easton Ellis, T.C. Boyle, Don Delillo und noch einige andere mehr. Coupland selbst ist ein erklärter Fan von Gilbert, und Gilbert höchstselbst wurde die Ehre zuteil, für Don Delillos „Endzone“ das Drehbuch zu schreiben. Gilbert ist also ein Autor, der schon mit Erscheinen seines Debütromans für Furore sorgt und auch von den Kollegen seiner Zunft Respekt erntet. Grund genug, David Gilberts vielgepriesenen Debütroman einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Hauptfigur der Geschichte ist Billy Schine. Billy treibt ziellos durchs Leben. Er hat einen brillanten Harvard-Abschluss, ohne jemals etwas daraus gemacht zu haben. Er sitzt seine Zeit mehr oder weniger leidenschaftslos in einer Zeitarbeitsfirma ab, in einem Job, für den er hoffnungslos überqualifiziert ist. Das Verhältnis zu seiner Freundin Sally dümpelt ähnlich antriebslos vor sich hin. Obendrein ist Billy noch hochverschuldet, weil er sich mit seinem Harvard-Studium finanziell verhoben hat.

Billy entzieht sich gerne der Welt, bleibt gerne in den eigenen vier Wände und macht, wenn es um Krankheiten geht, aus einer Fliege einen Elefanten. Er liebt das Kranksein und die Bettruhe, aber natürlich nur, weil er sich bester Gesundheit erfreut und noch nie wirklich ernsthaft krank war. Doch Billys Leben kann nicht ewig so unmotiviert vor sich hin plätschern. Das merkt Billy, als die Geldeintreiber Ragnar & Sons einen zunehmend raueren Ton anschlagen und Billy in seiner Phantasie deren Schlägertrupp schon vor seiner Wohnungstür sieht.

Doch dann bietet sich Billy eine fantastische Gelegenheit, für einige Zeit abzutauchen. Er meldet sich beim Pharmakonzern Hargrove Anderson Medical als freiwillige Versuchsperson für einen Medikamententest. Zwei Wochen in einem hochgesicherten Medizinlabor mit Unterkunft, Vollverpflegung und 2.000,- Dollar Vergütung. Da lässt Billy sich gerne mal für vierzehn Tage mit einem atypischen Psychopharmakon zur Behandlung von Schizophrenie voll pumpen.

Wie Billy schon bald feststellt, ist er nicht der Einzige, der in der Klinik dem wirklichen Leben aus dem Weg zu gehen versucht. Was Billy in diesen vierzehn Tagen erlebt, ist sowohl schräg als auch absonderlich, tragikomisch und erschütternd …

Mit „Die Normalen“ ist David Gilbert ein wirklich erfrischender Debütroman geglückt, der bei Freunden moderner amerikanischer Literatur noch einigen Zuspruch finden dürfte. So leidenschaftslos Billy auf den Leser auch wirken mag, das bunte Treiben, das Gilbert anhand seiner Hauptfigur in den abgeriegelten Trakten der Versuchsklinik beschreibt, hält für den Leser so einiges bereit und ist durchaus mitreißend erzählt. Es ist sowohl die komische Seite des Lebens, die sich hier offenbart, als auch die tragische.

Es sind einige faszinierende Widersprüchlichkeiten des Lebens, die mit Billys Betreten der Versuchsklinik zutage treten. Auf der einen Seite ist seine Teilnahme an der Studie ein Versuch, sich dem Leben zu entziehen, auf der anderer Seite fordert er es auf provokante Art heraus. Einerseits zeigt er mit dem Verlassen seiner verfahrenen Lebenssituation den Ehrgeiz, sein Leben neu zu ordnen, andererseits setzt er sich mit seiner Teilnahme am Medikamententest in ebenso großem Maße einer gesundheitlichen Gefahr aus. Für Billy, den Hypochonder, ist der Klinikaufenthalt gleichzeitig eine Erfahrung, die er auf seine Art genießen kann. Er kann krank feiern, ohne krank zu sein.

Hinter den Türen trifft Billy auf eine ganze Reihe skurriler Figuren, die in erheblichem Maße zum Unterhaltungswert des Romans beitragen. Da wäre Lannigan, der überdrehte Schauspieler und Zimmergenosse von Billy, da wäre Do, der eigentümliche Hinterwäldler, die beiden aggressiven Cousins Ossap und Dullick, der abgehalfterte Trinker Rodney, der merkwürdige Frank, für den Schusswunden der größte Kick sind, und nicht zuletzt die geheimnisvolle Gretchen, die als einzige Frau in der Männerrunde stets faszinierend für Billy bleibt und zu der er ein ganz besonderes Verhältnis hegt.

Gilbert nutzt die Abgeschiedenheit seiner Hauptfigur vom Rest der Welt obendrein zu einem Blick auf die Gesellschaft insgesamt. Billys Nabel zur Welt ist der Fernseher, über den er an all dem teilhaben kann, was die Nation bewegt. Insbesondere das Spektakel und der Massenkult um einen Gehirntumorpatienten, dessen Gehirnscan dem Grabtuch von Turin ähnelt, wird stetig verfolgt und treibt immer absurdere Blüten. Gilbert erzählt seine Geschichte mit einem Blick für die Absurditäten der heutigen Gesellschaft und würzt sie mit einer großen Prise Ironie. Billy bleibt der stetige Beobachter, den kaum ein Ereignis aus seiner Lethargie zu reißen vermag. Das lässt das Absurde noch absurder erscheinen.

Die Versuchsreihe, an der Billy teilnimmt, das ganze Versuchsprozedere, das ständige Rätseln darüber, wer ein Placebo verabreicht bekommet und wer das wirkliche Medikament, das ständige Lauern auf Nebenwirkungen bei sich und anderen Probanden, dominiert die Schilderungen über das Leben in der Klinik. Billy erduldet all das weitestgehend teilnahmslos. Während um ihn herum so langsam alle verrückt zu werden scheinen, wirkt Billy wie ein ruhender, gleichgültiger Polt der Beständigkeit. Als solcher, herausgelöst aus Familie, Leben und Gesellschaft, eignet er sich hervorragend für Gilberts gesellschaftliche Betrachtungen und ironische Seitenhiebe.

Die Konstruktion der Geschichte ist gut durchdacht und geht voll und ganz auf, was den Roman besonders reizvoll macht. Nachdem sich der Leser an der Skurrilität der Welt der Versuchsklinik und der Testperson ergötzt hat, mischt Gilbert eine zunehmend tragische Komponente in die Geschichte. Billy versucht mit seinem Aufenthalt, der Welt und seinem Leben zu entrinnen, aber das Leben, das er draußen zurückzulassen glaubt, holt ihn schließlich ein und nimmt eine durchaus tragische und gleichsam glaubwürdige Wendung.

Zusammen mit Gilberts bravouröser und erfrischender Erzählart ergibt diese wohl überlegte Konstruktion der Geschichte einen wirklich stimmigen Roman. Gilberts Beschreibungen treffen den Nagel auf den Kopf und individuelle, absolut treffende Wortschöpfungen sind das Sahnehäubchen, mit dem Gilbert seine augenzwinkernde Erzählweise garniert.

Gilbert überzeichnet immer wieder, insbesondere bei der Beschreibung seiner teils grotesken Figuren innerhalb der Klinik, ohne dass diese Überzeichnung zu einem Makel wird. Die ganze Situation des Medikamententests, der ganze Alltag der Versuchskaninchen ist schließlich für sich genommen absurd genug, um diese Überzeichnung tragen zu können, und da die Schilderung nicht ins Lächerliche abdriftet, trägt sie obendrein erheblich zum Unterhaltungswert des Romans bei.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass David Gilbert mit „Die Normalen“ einen absolut lesenswerten Debütroman abgeliefert hat. Sein Stil ist flott und erfrischend, seine Schilderung gleichsam komisch wie tragisch. Gilbert hat einen Roman geschaffen, der trotz der Kuriosität seiner Handlung auch einen treffenden Blick auf Leben und Gesellschaft wirft. „Die Normalen“ dürfte all diejenigen erfreuen, die auch Douglas Coupland, T.C. Boyle und Jeffrey Eugenides schon mit Begeisterung gelesen haben.

Rankin, Ian – Ehrensache

Der Plan: Um sein von der Auflösung bedrohtes Polizeirevier Great London Road und natürlich die eigene Person den Medien, dem Steuerzahler und vor allem der Politik zu empfehlen, ordnet Chief Superintendent Watson eine Razzia in Edinburghs einzigem Bordell an. Leider stellt wie schon so oft der Zufall dem armen „Farmer“, wie ihn seine Untergebenen respektlos zu nennen pflegen, ein Bein: Unter den sündhaften Gästen, die unter großem Hallo der Presse das lasterhafte Haus verlassen müssen, befindet sich auch Gregor Jack, allseits beliebter Abgeordneter des schottischen Parlaments.

Dass dieser mächtige Freunde hat, denen diese Bloßstellung gar nicht gefällt, wird Watson bald schmerzlich bewusst. Trotzdem steckt Jack in einem peinlichen Dilemma. Zwar dürfte ihm die Gunst der meisten Parteifreunde und Wähler erhalten bleiben, doch ob dies auf seine Gattin, die unberechenbare Elizabeth, und ihren nicht zur Nachsicht mit dem Schwiegersohn neigenden Vater, den einflussreichen Geschäftsmagnaten Sir Hugh Ferrie, ebenfalls zutrifft, steht in den Sternen.

Oder hat man dem allzu beliebten und erfolgreichen Parlamentarier etwa eine Falle gestellt? Das ist die Theorie, der Inspector John Rebus anhängt. Der eigensinnige Polizist schätzt den Politiker Jack und beginnt, auf eigene Faust Recherchen anzustellen. Dabei entdeckt er, dass nicht Gregor, sondern Elizabeth das schwarze Schaf in dieser Ehe ist, schätzt sie doch ausschweifende Partys, die oft in lupenreine Orgien ausarten. Interesse erregt auch die Liste der Gäste, die im Hause der Jacks ein und aus gehen. Darunter befinden sich illustre Persönlichkeiten wie der Schauspieler Rab Kinnoul und seine Ehefrau Cathy, aber auch eher zwielichtige Gestalten wie der Antiquar Ronald Steele, den Rebus schon früher kennen gelernt hat, als er in einem Fall von Bücherdiebstahl ermittelte. Notgedrungen nur im Geiste kann ein weiterer Jugendfreund an den Zusammenkünften teilnehmen: Andrew Macmillan hat vor Jahren seiner Gattin den Kopf abgesägt und sitzt seitdem in einer Anstalt für geisteskranke Kriminelle ein.

Seltsame Leute sind sie alle, die sich überdies gegenseitig belügen und betrügen, wie Rebus offen legt. Er kann er sich dem Fall Gregor Jack nun offiziell widmen. Rückendeckung erhält er ausgerechnet von „Farmer“ Watson, dem der Druck von oben zu schaffen macht. Gern hätte er jetzt einen Beweis für Jacks Unschuld, den Rebus ihm beschaffen soll. Stattdessen identifiziert Rebus eine Leiche: Im Fluss unterhalb der Kinnoulschen Villa treibt mit zerschmettertem Schädel die allseits vermisste Elizabeth Jack – und entdeckt hat sie Cathy Kinnoul. Ein eigenartiger Zufall, findet Rebus, der sich allmählich fragt, wie lieb und teuer die Verblichene ihren Freunden eigentlich wirklich war, die sie offenbar gern gemeinsam mit einigen unschönen Geheimnissen tief begraben wüssten …

Die Welt ist schlecht – der Lektion vierter Teil. Eine eigentlich bitter schmeckende Medizin, würde sie nicht so formvollendend verabreicht wie in diesem neuen-alten Abenteuer des schottischen Querkopf-Polizisten John Rebus. „Ehrensache“ erschien hierzulande mit mehrjähriger Verspätung, aber das ist unwichtig, da Ian Rankin stets gültige Wahrheiten (oder Binsenweisheiten) zu einem ebenfalls nicht gerade neuen, doch immer wieder gern gelesenen Plot verknüpft: Reichtum und Einfluss korrumpieren quasi automatisch, und Gesetze und Regeln gelten primär für jene, deren Machtlosigkeit sie zur Befolgung zwingt. Immerhin macht Geld allein offenbar tatsächlich nicht glücklich.

Glücklicherweise ist es John Rebus, der die Fäden fester in der Hand hält, als dies seine immer offener zur Schau gestellte Überdrüssigkeit vermuten ließe. Inzwischen hat er den Gedanken an eine Karriere im Polizeidienst endgültig ad acta gelegt und macht sich einen (freilich selbstzerstörerischen) Spaß daraus, unfähige oder allzu ehrgeizige Vorgesetzte zu piesacken. Alkohol im Dienst ist für Rebus schon lange kein Tabu mehr, und auch den Feierabend genießt (oder erträgt) er lieber ein wenig angesäuselt. Wie nebenbei wird dem Leser deutlich, dass dieser John Rebus endgültig in ein schwarzes Loch zu fallen droht. Der Polizeidienst ist ihm wichtiger als er sich selbst zugestehen mag, denn sein Privatleben ist inzwischen ein kaum mehr existentes Desaster. Zwar lebt Rebus nicht mehr solo, aber es braucht keinen Wahrsager, um zu erkennen, dass diese Beziehung keine Zukunft hat.

Erwartet uns also eine recht schwerblütige Lektüre? Nicht im Geringsten, denn Ian Rankin versteht die Kunst, das Tragische immer wieder durch (keltischen?) Humor aufzulockern. Noch stärker als in den ersten drei Bänden der Rebus-Serie nutzt er die Tücke des Objektes als Element der Handlung. Zuverlässig regiert das Chaos in den baufälligen Mauern des Reviers Great London Road, und es scheint auf die dort arbeitenden Beamten abzufärben. „Farmer“ Watson agiert, von Alkohol und Koffein gleichermaßen angefeuert, wirrköpfiger denn je und muss von Rebus, seinem liebsten Feind, immer wieder unauffällig auf den halbwegs rechten Pfad zurückgelotst werden, denn schon sägt der schleimige Superintendent „Fart“ Lauderdale an des Farmers Stuhl, und den möchte nicht nur Rebus auf keinen Fall dort sehen. Der geheime Kleinkrieg hinter den Kulissen von Great London Road gehört zu den Höhepunkten dieses Romans und sorgt auch für den wunderbaren (hier nicht verratenen) Schlussgag, der Rebus einmal mehr als Opfer eines boshaften, aber immerhin sehr einfallsreichen Schicksalsgottes zeigt.

Die eigentliche Kriminalhandlung funktioniert, kann aber nicht durch Überraschungen oder wirklich Unerwartetes glänzen – oder gibt es unter uns Leser, die nicht davon überzeugt sind, dass jeder Politiker zum Lumpen prädestiniert ist? Deshalb hält sich das Mitleid in Grenzen, wenn der Himmel über der Welt des Gregor Jack einstürzt und er nach den Regeln des alten Kartenspiels „Strip Jack“ (hierzulande angeblich „Bettelmann“ genannt) Stück für Stück seiner Würden und seines Ansehens entkleidet wird. Es ist das wunderbare Ensemblespiel, das „Ehrensache“ wieder mit deutlichem Abstand über die Latte des Durchschnitt-Thrillers hievt.

Gruber, Andreas – fünfte Erzengel, Der

Verlassene Herrenhäuser, Nervenheilanstalten und Friedhöfe – Andreas Gruber weiß die klassischen Sujets der Horror-Story geschickt in ein modernes Umfeld einzupassen. Nicht auf den harschen Effekt kommt es ihm an, sondern auf das subtile Grauen, das sich allmählich der Herzen seiner Leser bemächtigt, sich durch die Hintertür in ihre Vorstellungswelt einschleicht und ihnen zu später Stunde den Angstschweiß auf die Stirn treibt.

Neun Erzählungen und Novellen sind in „Der fünfte Erzengel“ enthalten, und dem geneigten Leser sei empfohlen, nicht alle auf einmal zu goutieren. Denn wie sagt Andreas Gruber in seinem Vorwort: „Und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen mit den vorliegenden neun Geschichten – mögen sie Ihnen den Schlaf rauben …“

Die Erstausgabe erschien im August 2000 als neunter Band der Reihe |Medusenblut|. Für die vorliegende Neuausgabe wurde der Text vollständig überarbeitet und mit einem neuen Vorwort des Autors versehen. Das Buch ist eine Gemeinschaftsedition der Verlage |Medusenblut| und |Shayol|.

Andreas Gruber ist als Autor längst kein Insidertipp mehr – und das ist gut so! Das beweist „Der fünfte Erzengel“ von der ersten bis zur letzten Seite. Dieser Titel wurde dankenswerterweise neu aufgelegt, sonst wäre er an mir „vorbeigegangen“, was ein Verlust gewesen wäre. Und das nicht nur für mich, denn die Erstausgabe belegte beim Deutschen Phantastik-Preis in der Kategorie „Beste Anthologie“ den vierten Platz.

Das Vorwort der Neuauflage ist erstaunlicherweise eine Hommage des Autors an den |Medusenblut|-Verleger Boris Koch und nimmt mich schon sehr für Andreas Gruber ein. Durch die Art der Formulierung, aber auch, weil es mir aus der Seele spricht.

Doch widmen wir uns den phantastischen Düstertexten des Wiener Autors. Los geht es mit „Die Testamenteröffnung“, einer herrlich morbid-atmosphärischen Story, die dem Spiel mit dem Teufel – um das Leben und viel mehr – eine neue Sichtweise verleiht. Bevor Sie den ein oder anderen Verwandten zu Grabe tragen und ihn geweihter Erde übergeben, werfen Sie einen Blick in sein Testament – nein, besser sofort in seinen Sarg!

„In Gedenken an meinen Bruder“ ist die psychologische Variante einer Kindheitsbewältigung, wie sie leider nicht nur in Grubers Phantasie vorkommt, sondern mehr Realität beinhaltet, als man wahrhaben möchte. Sie macht betroffen, gerade weil sie so real ist. Somit ist sie für mich die beeindruckendste Story in dem Erzählband. „Der Antropophag“ erzählt die Leidens- und Lebensgeschichte eines Serienmörders und zeigt deutlich, wie lebendig und tiefsinnig Andreas Gruber zu fabulieren vermag. Man leidet mit dem Täter, durchlebt mit ihm in Rückblicken sein Kindheitstrauma – von der Mutter verlassen, von dem Urgroßvater gedemütigt –, das ihn zum Mörder werden lässt. Mehr noch, man verspürt Mitleid mit ihm, hat Verständnis für seine Taten, ganz so, als brauche man selbst das Ventil, als nehme man Mensch für Mensch Rache, stellvertretend an allen, die weggeschaut und nicht wahrgenommen haben.

Sollten Ihnen jedoch nachts „Im Treppenhaus“ spindeldürre Gestalten mit hohen Zylindern auf dem Korridor begegnen: Seien Sie auf der Hut und verschließen Sie fest Ihre Tür!

Gehen Sie gar dem Beruf des Fotografen nach und sind auf der Suche nach einer heißen Story, machen sie einen weiten Bogen um „Duke Manor“, dem Geisterhaus mit den lockenden „Rufen“ aus dem Keller, denen sich keiner entziehen kann, wie auch dem Haus als solchem nicht.

Es wundert nicht, dass auch die Titelstory zu überzeugen weiß. Nun mag der Überkritische sagen: Apokalypse, Siebtes Siegel, Erzengel – alles schon zigmal gehabt. Richtig! Doch man unterschätze nie einen Andreas Gruber, der auch dieser Variante seine ganz persönliche Nöte und neue Sichtweisen „aufdrückt“.

Andreas Gruber vermag in diesem Band eine dichte Atmosphäre zu erzeugen und fesselt den Leser durch seine Erzählweise und mit Charakteren, die den Namen auch verdienen, die nicht ins Flache, Seichte abplätschern. „Der fünfte Erzengel“ war für mich eines der Bücher der letzten Zeit, die mir mal wieder so richtig unter die Haut gingen.

Umso erfreulicher für den Autor und Leser, dass auch die Verlagsarbeit erfreulich gut ist. Sieht man einmal von der leider sehr kleinen Schrift ab (da hätte eine größere wohl getan), lässt sich auch die Aufmachung sehen. Das Covermotiv (Klappenbroschur) könnte nicht stimmungsvoller sein, das Papier ist edel und das Lektorat ist, bist auf die kleinen Kulanzfehlerchen, sehr gut. Leser, was willst du mehr? So wünsche ich es mir, und so bekomme ich es in diesem Fall.

Daher bin ich |Medusenblut| und |Shayol| dankbar für die Neuauflage, sonst wäre mir dieses Kleinod der düsteren Phantastik entgangen! Ich hoffe, es findet seinen Weg zu einer breiten Leserschaft! Also: KAUFEN!

http://www.epilog.de/shayol/index.html
http://www.medusenblut.de/

150 Seiten
Lektorat: Hannes Riffel
Titelbild: Rainer Schorm
Satz und Layout: Franziska Knolle
Umschlaggestaltung & Herstellung: Ronald Hoppe

Chrono, Nanae – Peace Maker Kurogane 01

In „Peace Maker Kurogane“ wird die Geschichte der beiden Brüder Tetsunosuke und Tatsunosuke Ichimura erzählt, die nach dem Mord an ihrem Vater auf sich selbst gestellt sind und auf diese Situation völlig unterschiedlich reagieren. Die Handlung dieses neuen Mangas von Nanae Chrono spielt im Japan der Edo-Periode 1860 und bezieht sich vornehmlich auf die politischen Intrigen sowie den Machtkampf im alten Japan. Mitten in einer brutalen Fehde zwischen den Anhängern des Kaisers und den Gefolgsleuten der Shogun, während der sich die Bevölkerung quasi schutzlos zwischen diesen beiden Lagern ausgeliefert fühlt, bildet sich dort eine Samurai-Schutztruppe namens Shinsengumi, deren Aufgabe es ist, die Straßen von Kyoto vor Unheil zu beschützen und die gefürchteten Rebellen von Choshu zu bekämpfen. Nur die besten Samurai-Kämpfer können bei den Shinsengumi einsteigen und müssen sich hierzu einem strengen Ehrenkodex unterwerfen. Auch die Hauptfigur Tetsunosuke und sein älterer Bruder streben danach, beim Clan der Shinsengumi mitzumischen, jedoch aus unterschiedlichen Motiven heraus.

_Inhalt Band 1:_

Tetsunosuke erhofft sich durch den Beitritt zur Samurai-Schutztruppe ‚Shinsengumi‘ Informationen zum Mord an seinen Vater zu bekommen und schließt sich gemeinsam mit seinem Bruder der Truppe an. Der Hass auf die Choshu-Rebellen, die für den Tod seins Vaters verantwortlich sind, ist so groß, dass Tetsu sich schwört, blutige Rache an ihnen zu nehmen. Sein Bruder hingegen will Tetsu zur Vernunft bringen. Er ist nicht so stark von diesen Rachegelüsten befallen und möchte lieber ein ruhiges Leben als Buchhalter der Samurai-Organisation führen. Dieselbe Ruhe wünscht er sich von Tetsu, aber der lässt sich nicht mehr umstimmen. Als er dann eines Tages den ebenfalls von Rachedurst getriebenen Suzu kennen lernt, ist sich Tetsu seiner Sache noch sicherer. Schnell werden die beiden beste Freunde und kämpfen gemeinsam für ihr individuelles Ziel. Tetsu weiß jedoch nicht, dass Suzus Lehrmeister der von ihm gesuchte Mörder ist.

Derweil macht ein mysteriöser Mann mit Rasta-Zöpfen das Lager der Samurai-Kämpfer unsicher. Beim Anblick von Tetsusonuke bemerkt er sofort, dass dies der Sohn seines ehemaligen Weggefährten „Peacemaker“ sein muss. Daher beschließt er, den angehenden Samurai abzuwerben, was die „Shinsengumi“ natürlich nicht so gerne sehen – zumal der mysteriösen Fremde ein landesweit gesuchter Verbrecher ist.

Während Tetsu in der Zwischenzeit bei den Burschen von „Shinsengumi“-Vize-Kommandeur Toshizo Hijikata heranwächst, startet Suzu gemeinsam mit seinem Meister einen blutigen Rachefeldzug und entblößt sein wahres Ich.

_Bewertung_

Ich bin heilfroh, dass Nanae Chrono zu Beginn des Buches die einzelnen Charaktere und ihre jeweilige Rolle kurz vorstellt. Ansonsten hätte ich beim Lesen von „Peace Maker Kurogane“ wohl sehr schnell den Überblick verloren, weil in kürzester Zeit eine Vielzahl von neuen Personen ins Geschehen eintritt. Aber auch so wird es dem Leser nicht gerade einfach gemacht, einen Einstieg in diesen ersten Band zu bekommen. Es dauert gut die halbe Seitenzahl des Buches, bis man die individuelle Motivation der Hauptcharaktere begriffen hat und ihr Handeln verstehen kann. Das dauert deswegen so lange, weil die einzelnen Subplots teilweise nicht richtig zu Ende geführt werden und zu viele Tatsachen im Raume stehen bleiben. Der Fakt, dass die Zeichnungen darüber hinaus manchmal ziemlich hektisch und überladen wirken, erschwert die Sache schließlich noch zusätzlich.

Hat man sich daran gewöhnt bzw. hat man sich in diesem verwirrenden Strang endlich mal zurechtgefunden, entwickelt sich langsam aber sicher eine weiterhin komplexe, aber sehr spannende Story, die einmal mehr von den verschiedenartigen Charakteren lebt, deren Beziehungen zueinander in diesem Buch nur teilweise angerissen werden. Aber man ahnt bereits, dass hier noch einiges im Busch ist und noch mehrere Intrigen während der Folgebücher gesponnen werden. Alleine die Wandlung des Suzu und die rein spekulativ erfassbare Rolle des stets coolen Rasta-Mannes namens Ryoma Sakamoto sprechen schon für eine solche Vermutung. Aber die meisten Personen sind auch noch nicht richtig zum Zuge gekommen, sondern wie gesagt, nur kurz ins Geschehen eingetreten, weil sich der erste Band vorrangig damit beschäftigt, die Freundschaft von Tetsu und Suzu zu beschreiben und die sich darin befindliche Dramatik ans Licht zu bringen. Und genau dies ist Nanae Chrono auch sehr gut gelungen, sieht man mal von den genannten Kritikpunkten sowie dem manchmal unpassenden zeichnerischen und verbalen Witz ab, der irgendwie nicht mit dem ernsten Hintergrund der Handlung vereinbar scheint.

Aber da sich das Buch nach und nach fortentwickelt und zum Ende hin sogar richtig klasse ist, sieht man von den ganzen kleinen Schönheitsfehlern gerne ab und behält lieber die Faszination, die von den Hauptdarstellern ausgeht, im Gedächtnis fest. Mit Freude erwarte ich jetzt bereits die Fortsetzung im bereits erhältlichen nächsten Band. Samurai-Fans sollten sowieso einmal mit „Peace Maker Kurogane“ beschäftigen, das ist trotz mancher Hektik ziemlich starker Stoff!

http://www.tokyopop.de/

Montillon, Christian – Vorstoß in die Intrawelt (Atlan – Intrawelt 2)

Band 1: [„Wächter der Intrawelt“ 1889

„Vorstoß in die Intrawelt“ ist der zweite Roman des zwölfbändigen Zyklus „Atlan – Intrawelt“. In dieser Schwesternserie zur großen Perry-Rhodan-Reihe geht es vor allem um die Abenteuer des Arkoniden Atlan, der seit seiner Entstehung eine unerklärliche Faszination auf die Leser ausübt.

_Christian Montillon_
ist der Autor des vorliegenden Romans, bisher beschränkte sich seine Tätigkeit im so genannten Perryversum auf Romane der Atlanserie. Diese Art von Einstieg gelang bereits einigen Perry-Rhodan-Autoren, die sich in der Atlanserie ihre Sporen verdienten und den Sprung in die Hauptserie schafften, zuletzt geschehen mit Michael M. Thurner, der mittlerweile sogar die Ideenfabrik für die Atlanserie bildet.

Atlan gelangt also unbekleidet in die Intrawelt, wo er gleich von zwei gewalttätigen Wesen attackiert wird. Eine verlogene Echse errettet ihn aus den Händen der Angreifer, nur um ihn seinem Herrn auszuliefern, für den Atlan fortan Sklavendienste zu leisten hat. Während seiner Arbeit erkundigt er sich nach Fakten über die Welt, bekommt aber nur Mythen zu hören. Immerhin scheint Jolo, die Echse, bereits etwas vom Flammenstaub gehört zu haben, doch schweigt er sich aus.

Die ursprünglichen Angreifer haben inzwischen ein größeres Heer gesammelt und greifen das Lager an, um sich zu rächen und Atlan zu töten. Im Handgemenge kann Atlan entkommen, ihm zur Seite soll nun Jolo stehen, als Gefährte und Führer, da er sich einigermaßen auskennt in der näheren Umgebung.

Zuerst kehrt Atlan zurück an den Ort seiner Ankunft, doch der Tunnel ist unpassierbar, Atlan vorerst gefangen in der künstlichen Hohlwelt. Ihm bleibt nur die Erledigung seiner Aufgabe …

_Tricks, Erfahrung, Stil_

Montillon müht sich auf den ersten Seiten erfolglos ab, eine transzendente Atmosphäre zu schaffen und den leider überstrapazierten |sense of wonder| zu beschwören – der Text wirkt gestelzt und abgerungen. Wer sich als Leser durch diese Seiten kämpft, wird aber belohnt: Der Großteil des Romans ist klassische Abenteuergeschichte, und hier zeigt Montillon sein Können. Die Geschichte liest sich flüssig und spannend, die Charaktere sind überzeugend gezeichnet, auch wenn wir sie leider zum Großteil nicht wiedersehen werden, da sie (wie so viele Seriencharaktere) frühzeitig und zu Atlans Gunsten das Zeitliche segneten.

Montillon setzt endlich mal glaubwürdig Atlans große Erfahrung im Zweikampf um, so dass er problemlos gegen einige Angreifer besteht, obwohl er nackt und unbewaffnet und die Schwerkraft ungewohnt hoch ist. Allerdings lässt er sich von Jolo täuschen, was wohl nötig ist, aber negativ zu Buche schlägt. Immerhin lässt Montillon ihn erkennen, dass er beeinflusst wurde und worauf er achten muss.

Erwähnenswert ist noch das Titelbild (was zum Leidwesen der Grafiker meist zu kurz kommt in Besprechungen): Arndt Drechsler ist als Künstler verantwortlich für die tollen Titelbilder der „Bas-Lag“-Romane von China Miéville bei Lübbe; mit dem Titelbild zu Intrawelt 2 zeigt er mal wieder seine Fertigkeiten. Bis auf das steril wirkende Gesicht Kytharas ist es ein gelungenes Bild.

_Fazit_

Zum ersten Band des Zyklus eine deutliche Steigerung, wenn auch mit Schwächen am Anfang. Der Sinn des Zyklus ist klar: Ausschöpfung des Potenzials „Atlan“ über möglichst interessante Abenteuergeschichten mit vielen unterschiedlichen Charakteren, eine Spielwiese für Jungautoren. Montillons Beitrag ist auf jeden Fall eines: sehr unterhaltsam.

|Infos| unter http://www.atlan.de/

Bionda, Alisha – Kuss der Verdammnis (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 2)

Gute Nachrichten für die Fans von „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“: Die Geschichte von Dilara aus dem ersten Band der Chronik hat eine Fortsetzung bekommen. Band zwei knüpft an die Kurzgeschichte über eine junge, für ihre Zeit erstaunlich eigenständige Frau an, die im London des 17. Jahrhundert von furchteinflößenden Schattenwesen und einem mysteriösen, uralten Vampir verfolgt wird. In „Kuss der Verdammnis“ ist Dilara immer noch so eigenwillig, wie der Leser sie aus Hohlbeins Kurzgeschichte in Erinnerung hatte, jung ist sie allerdings mitnichten: Durch den Biss des Urvampirs Antediluvian ist aus der Heldin eine inzwischen 400 Jahre alte Vampirin geworden.

Alisha Bionda, die Autorin dieses Bandes, baut in ihrer Fortsetzung von Dilaras Geschichte nicht auf vordergründige Action, sondern legt großen Wert auf die Charakterzeichnung der Figuren. Mit Dilara portraitiert sie eine starke, faszinierende Frauengestalt, die gerade wegen ihrer Unsterblichkeit innerlich zerrissen ist.

Im London der Gegenwart macht sich die Heldin, die etliche gängige Klischees über Vampire widerlegt, auf die Suche nach ihrer Bestimmung und dem Sinn ihrer Unsterblichkeit. Von ihrem „Schöpfer“, dem Urnosferatu Antediluvian, entfremdet, trifft sie dabei auf zwei völlig unterschiedliche Männer, den jungen Calvin, den sie als Gefährten erwählt und den Anwalt Roderick Herrington, der selbst ein mysteriöses Geheimnis zu hüten scheint und auf Dilara eine ebenso seltsame Faszination ausübt wie sie auf ihn.

Auch bei den Nebenfiguren, vor allem bei dem sich selbst immer fremder werdenden Roderick Herrington, hat die Autorin viel Wert auf die Charakterentwicklung gelegt. Ganz nebenbei fließen dabei auch schöne Beschreibungen des heutigen London mit ein, wenn Dilara den Leser mitnimmt auf ihre Streifzüge. Doch Dilaras Reich geht über das moderne London, das wir kennen, weit hinaus und Biondas Beschreibungen des unterirdischen London, des Reichs der Vampire, atmet eine ganz eigene Atmosphäre.

Gegen Ende legt der eher ruhig beginnende Roman einiges an Tempo zu. Quälende Albträume und ein von ihr belauschtes Gespräch des Rates der Nosferati lassen Dilaras Lage langsam immer angespannter werden und zwingen sie endlich zu einer Entscheidung, die hier natürlich noch nicht verraten werden soll. Auf den letzten Seiten wird darüber hinaus eine weitere Person eingeführt, die für Fortsetzungen ebenfalls Potenzial haben könnte.

Der Roman endet mit einer Art „Cliffhanger“ und es bleiben eine Menge Fragen offen, vor allem natürlich die nach Dilaras wahrer Herkunft und Bestimmung und jener Kraft, die der Urvampir Antediluvian so an ihr fürchtet – aber der nächste Band der Schattenchronik erscheint ja in Kürze …

Anzumerken sei noch, dass wie bereits beim ersten Band die liebevolle Gestaltung des Buches überzeugen kann. Das sehr stimmungsvolle Cover hat wieder Mark Freier gestaltet und den einzelnen Kapiteln sind wieder inhaltlich passende Zeichnungen von Pat Hachfeld vorangestellt.

http://www.blitz-verlag.de

_Stefani Hübner-Raddatz_
|Verbrechen sind in der Realität selten so spannend wie in der Literatur. Das stellte Stefani Hübner-Raddatz während ihrer Zeit als Strafrichterin schnell fest. Seitdem weigert sie sich standhaft, eine klassische Juristenlaufbahn einzuschlagen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter, zwei Pferden und Katzen bei Hamburg und schreibt Kurzkrimis, Kinder- und Fantasy-Geschichten. Sie ist Mitglied bei den sisters in crime.|

Barkawitz, Martin – Blutgräfin, Die

|Gräfin Vanessa ist sexy, intelligent, charmant – und seit Jahrhunderten tot. Jede Nacht liefert sich die rumänische Vampirlady gnadenlose Schlachten mit den grausamen Rattenleuten – mutierten Halbwesen aus der Kanalisation von Bukarest. Schließlich setzt sich die Gräfin mit ihrem treuen Erdgeist Wolopec nach New York ab, wo sie sofort in einen Kampf zwischen Vampirclans verwickelt wird. Und dort lernt sie den Blutsauger ihres ewigen Nachtlebens kennen: Vince Barrakuda.|

Wie in der Mathematik möchte ich mit dem Positiven beginnen: Martin Barkawitz weiß in diesem Roman zu unterhalten. In flottem, humorvollem Stil erzählt er die Geschichte der Blutgräfin Vanessa de Bradiscu, die von Budapest nach New York kommt und dort auf Großstadt-Vampire trifft, in einen Vampirclan-Krieg gerät und sich schließlich in einen attraktiven „jungen“ Vampir verliebt, den sie eigentlich im Auftrag der Gegenseite töten soll. Das alles ist flüssig im Heftromanniveau geschrieben und beschert einige amüsante Lesestunden.

Somit hat der Autor sein „Klassenziel“ auf jeden Fall erreicht. Nicht aber der Verleger. Und damit komme ich zum Negativen: Der Roman ist für stolze zehn Euro eine Beleidigung für jeden zahlenden Kunden, aber auch für jeden halbwegs bibliophilen Leser.
Das Cover passt nicht zur Handlung, die sich hauptsächlich in New York abspielt. Das in Anlehnung an die kaum auftreten Rattenmenschen erwählte Nagetier erinnert mehr an ein zahmes Meerschweinchen, das man auf den Schwanz getreten hat und ist künstlerisch eher kindlich naiv dargestellt, was zum Genre Grusel/Horror nicht passt.
Der Satz des Buches ist eine einzige Katastrophe. Hammellücken, wohin das Auge blickt, an einer Stelle hat sich der Blocksatz völlig verflüchtigt, durch die stoisch gesetzten Einrücker wird der Text auf 152 Seiten gequält, aber auch unnötig auseinandergerissen, was den Lesefluss enorm stört. Das Lektorat – soweit es erfolgt ist – hat auch allenfalls Heftromanniveau und ist, schlicht gesagt, grauenvoll.

Das Genre Grusel trifft auf den Roman auch nicht zu, da hier eine eher humoristische Vampirstory erzählt wird, die mehr Schmunzeln als Gruseln hervorruft. Wenn zum Beispiel die Blutgräfin eine Betrunkene aussaugt und dadurch selbst einen gehörigen Schwips hat …
Man hätte mit einem guten Lektorat in Zusammenarbeit mit dem Autor aus dem Plot viel mehr machen können und müssen – nämlich eine ordentliche Vampirhumoreske … So bleibt der schale Beigeschmack, dass man für sein gutes Geld zu wenig und schlecht verlegte Lesekost bekommt, die man in jedem günstigeren Heftroman auch erhalten hätte. Da täuschen auch die dilettantischen Innenillustrationen nicht drüber hinweg.

Vom Kauf dieses Buches kann ich daher nur abraten.

Ich wünsche dem [mgVerlag]http://www.mgverlag.de/ mehr Sorgfalt und Selbstkritik, dann werden sich die Bücher sicher verbessern. Und ich hege die Hoffnung, da dies mein erster Titel aus dem Verlag ist, den ich rezensiere, dass dieser eine unrühmliche Ausnahme bleibt. Ich lasse mich daher gerne durch die nächsten Exemplare eines Besseren belehren.

Kirstilä, Pentti – Nachtschatten

Schon im Jahre 1977 veröffentlichte Pentti Kirstilä seinen ersten Roman. Doch obwohl er in Finnland zu den erfolgreichsten Kriminalautoren zählt und bereits zweimal mit dem Preis für den besten finnischen Krimi ausgezeichnet worden ist, erschien erst im letzten Jahr der erste Roman von Pentti Kirstilä in deutscher Sprache. Aktuell ist mit „Nachtschatten“ sein zweiter Krimi in Deutschland erschienen.

_Mord im Dunkeln_

Im ersten Teil von „Nachtschatten“ schildert uns der Ich-Erzähler eine merkwürdige Situation: Auf einem seiner nächtlichen Spaziergänge trifft er auf zwei Bekannte, die ihn nicht zu bemerken scheinen. Unbeachtet kann er ihrem Gespräch lauschen und wird dann Zeuge, wie Antti Koski seine schöne Frau Annikki brutal ermordet. Mit einem scharfen Messer schlitzt er ihr die Kehle auf und flüchtet. Hier begeht der Ich-Erzähler den ersten Fehler, denn er nähert sich der Leiche und tritt aus Versehen in die sich ausbreitende Blutlache. Nun muss der heimliche Zeuge nicht nur unbemerkt vom Tatort verschwinden, sondern auch noch seine neuen Schuhe unauffällig entsorgen.

Obwohl unser Ich-Erzähler sich sicher ist, den Mörder als seinen Freund Antti erkannt zu haben, beschließt er, nicht zur Polizei zu gehen, sondern stattdessen einen Erpresserbrief zu schreiben und Anttis Reaktion abzuwarten. Aus verschiedenen Zeitschriften sammelt der Ich-Erzähler sich die notwendigen Buchstaben zusammen und verfasst seine Nachricht. Da der zweite Brief allerdings zu lang ausfällt, nimmt der heimliche Mordzeuge unvorsichtigerweise seine eigene Schreibmaschine. Als er kurz darauf seinen Freund Antti besucht, findet er dessen Wohnungstür unverschlossen vor und seinen Freund mit einer Kugel im Bauch. Nur noch ein einziges Wort bringt Antti Koski über die Lippen und verwirrt damit nicht nur den Ich-Erzähler, sondern auch die Leser.

Der zweite Teil wird von einer außenstehenden Perspektive erzählt und berichtet von den ausführlichen polizeilichen Ermittlungen. Kommissar Lauri Hanhivaara wird losgeschickt, um neugierige Nachbarn oder unvermutete Zeugen des Mordes ausfindig zu machen. Auch der klar abgesteckte Freundeskreis der Koskis wird genau unter die Lupe genommen. In vielen Gesprächen erfahren wir einiges über das Ehepaar Koski, doch die einzelnen Puzzleteile wollen sich nicht in ein stimmiges Gesamtbild einsortieren lassen. Hanhivaara hat einen eigenen Mordverdächtgen, die Ermittlungen scheinen sich allerdings in eine andere Richtung zu entwickeln.

Erst spät überschlagen sich die Ereignisse, es kommen Informationen an den Tag, die die Ermittlungen in eine ungeahnte Richtung vorantreiben …

_Wer bin ich?_

Pentti Kirstilä spielt mit seinen Lesern, wie auch Agatha Christie es gern getan hat. Im ersten Teil präsentiert er uns einen unbekannten Ich-Erzähler, den er nur ganz am Rande ein wenig vorstellt, seinen Namen erfahren wir nicht und auch nicht, wie gut er mit den Koskis bekannt ist. Als der zweite Teil beginnt, ist der Ich-Erzähler schnell vergessen, weil wir Lauri Hanhivaara bei seinen Befragungen begleiten. Erst spät erahnen wir die Zusammenhänge, doch zaubert Kirstilä am Ende noch ein Ass aus dem Ärmel, mit dem man schwerlich gerechnet hat.

Der Spannungsbogen ist nicht durchgängig geglückt. Nach einem straffen Einstieg in die Geschichte, dem baldigen ersten Mord und den merkwürdigen Geschehnissen zwischen dem Zeugen und Antti Koski leidet die Spannung nahezu im ganzen zweiten Buchteil erheblich. Hier werden wir Zeuge zahlreicher langer Befragungen im Freundeskreis der Koskis, die nur wenig neue Informationen zu Tage bringen. Die Ermittlungen treten auf der Stelle, auch wenn Hanhivaara bald einen persönlichen Verdächtigen hat, doch löst dies immer noch nicht den ganzen Kriminalfall. Nur bröckchenweise erfahren wir Dinge aus der Vergangenheit des Ehepaars Koski, die irgendwie nicht zusammenpassen wollen. Stets bleiben Fragezeichen zurück, wie zum Beispiel die Frage, warum die Koskis sich erst seit genau drei Jahren einen Freundeskreis aufgebaut haben. Die beiden scheinen viele Geheimnisse verborgen zu haben, von denen wir nur manche nach und nach erzählt bekommen. Dennoch reichen diese Informationen nicht aus, um sich ein stimmiges Gesamtbild zu machen. Dies hat zwar seinen Reiz, dennoch hätte das Erzähltempo im Mittelteil gestrafft werden können, weil zu wenig neue Hinweise hinzukommen, die uns voranbringen.

Am Ende greift Kirstilä in die Trickkiste. Es war klar, dass ein Überraschungsschlag kommen musste (allein schon, weil er auf dem Buchdeckel bereits angekündigt wird), doch entwirrt der Autor seine Rätsel nicht ganz überzeugend. Selbstverständlich werden die meisten Leser überrascht oder erstaunt sein und wahrscheinlich noch einmal im Buch zurückblättern, um nachzuprüfen, ob das wirklich alles so stimmen kann, doch so ganz wohl ist einem bei der präsentierten Lösung nicht. Es passt zwar alles zusammen, aber realistisch erscheint uns diese Aufklärung eher nicht, ein bisschen mehr Wirklichkeitsnähe wäre hier wünschenswert gewesen.

_Pluspunkte_

Punkten kann Kirstilä mit seiner Erzählweise; besonders der erste Teil aus der Ich-Perspektive ist sehr gelungen. Hier wird der Leser direkt angesprochen und immer wieder mit in die Handlung einbezogen, der Erzähler lässt uns nie los und will sich stets unserer Aufmerksamkeit sicher sein. Die Sprache empfand ich als erfrischend und sympathisch; da wird schon mal eine Leiche als „Gaststar“ bezeichnet, und irgendwie passt das zu Kirstiläs lockerem Schreibstil. Der Autor beschreibt sehr genau die Schauplätze und auch die auftauchenden Personen. Besonders von Lauri Hanhivaara können wir uns im Laufe des Romans ein gutes Bild machen, das durchaus zu gefallen weiß. Hanhivaara hat Ecken und Kanten und beweist Profil. Er ist mit Eigenarten und Fehlern ausgestattet, er raucht definitiv zu viel und pflegt das merkwürdige Ritual, sich einmal pro Woche ganz gezielt zu betrinken. Natürlich passieren ihm auch bei den Ermittlungen einige Missgeschicke, die ihn authentisch wirken lassen und für den Leser sympathisch machen.

_Unterm Strich_

Insgesamt gefällt „Nachtschatten“ mit nur kleinen Abstrichen sehr gut. Das Buch ist schnell durchgelesen und weiß zu unterhalten. Am Ende bleibt der Leser erstaunt zurück, wird aber einsehen müssen, dass Kirstiläs Konstruktionen zwar nicht ganz realistisch wirken, im Buch aber durchaus stimmig sind. Lauri Hanhivaara wird uns als Mensch mit Ecken und Kanten vorgestellt, von dem wir gerne noch mehr lesen möchten. Nur der Spannungsbogen gelingt im Mittelteil nicht ganz so gut. Die Befragungen sind zu sehr in die Länge gezogen und halten den Leser nur mühsam bei Laune. An dieser Stelle wäre eine straffere Erzählweise notwendig gewesen. So bleibt dies neben dem konstruierten Buchende aber auch der einzige Kritikpunkt, über den man durchaus gerne hinwegsehen wird.

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Bionda, Alisha / Borlik, Michael (Hrsg.) – ewig dunkle Traum, Der (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 1)

Faszinierend vielseitig – das ist der erste Eindruck dieser morbiden Anthologie, in der die Herausgeber Alisha Bionda und Michael Borlik sechzehn Horrorgeschichten bekannter Genreautoren versammelt haben.
Unglaublich spannend – das ist der zweite Eindruck, den der erste Band der neuen Serie „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ aus dem [BLITZ-Verlag]http://www.blitz-verlag.de/ hinterlässt.

Doch halt – haben Sie das gehört? Dieses Kratzen und Knirschen? Dieser schleifende Laut auf dem Boden? Das Wispern in den dunklen Zweigen? Und waren da nicht Tropfen von Blut auf dem Teppich? Dann sollten Sie dieses Buch vielleicht nicht nach Einbruch der Dunkelheit lesen, denn einige der Geschichten, wie „Das Höllenwunder“ von _Mark Freier_ (von dem übrigens auch das sehr passend gestaltete Cover stammt) oder _Barbara Büchner_s „Die Nahrung der Toten“ sind wirklich nichts für schwache Nerven.

Der Band startet mit der zunächst eher konventionell anmutenden Story „Ein besonderer Geschmack“ von _Markus Heitz_. Die Geschichte eines Dämonenpärchens auf Rachefeldzug, das aus ureigensten Motiven auch mal das Werk des Herrn tut und sich dabei einer ganz besonders „explosiven Mischung“ bedient, entwickelt allerdings beim genaueren Hinsehen einen feinen unterschwelligen Witz.

_Eddie Angerhuber_s „Das Nachtbuch“ erzählt von einem seltsamen Folianten, dem einzigen Trost einer in ewiger Nacht Gefangenen. Am Ende der Geschichte ist nichts so, wie es am Anfang schien … mehr soll hier nicht verraten werden.

Überhaupt scheinen seltsame Bücher in der Anthologie eine besondere Rolle zu spielen, schließlich verdankt die Serie einem solchen auch ihren Titel, nämlich der „Schattenchronik“, aus _Wolfgang Hohlbein_s „Schattenchronik – der ewig dunkle Traum“. Der Meister der Fantasy verwebt in der Geschichte der jungen Dilara, deren Leben kurz vor ihrer Verlobung völlig aus den Fugen gerät, geschickt Gegenwart, Erinnerungen und Visionen der Zukunft, während Dilara in den Seiten des mysteriösen, alten Buches blättert. In Gedanken durchlebt sie noch einmal die vorhergegangene Nacht, an die sie nur bruchstückhafte Erinnerungen hat und in deren Verlauf ihr Verlobter auf grauenvolle Weise zu Tode kam. Oder ist auch das nur eine der verstörenden Visionen, die mit der Schattenchronik zu tun haben und Realität und Wahnsinn ineinander fließen lassen? Gibt es Antediluvian, den uralten Vampir aus dem Buch, wirklich? Was will er von ihr und wer ist die Frau aus dem Buch, die ihr so frappierend ähnelt?
Der Leser kann Dilaras Verwirrung gut nachempfinden, denn so wie es ihr beim Durchblättern der Schattenchronik geht, fühlt man sich als Leser dieser Anthologie gelegentlich auch.

Aber auch für diejenigen, die es weniger blutig mögen, ist gesorgt. _Boris Koch_s „Heiligabend bei Manfred“ ist mit knapp zwei Seiten ein echter Quickie und beleuchtet auf heiter-witzige Weise die Frage, ob Vampire eigentlich Weihnachten feiern.

Die Geschichte der Herausgeberin _Alisha Bionda_ fällt ebenfalls aus dem Rahmen. Sie erzählt mit überraschenden Perspektivwechseln von einer obsessiven Liebesbeziehung, der nur auf den ersten Blick etwas Vampirisches anhaftet und die den Leser recht nachdenklich zurück lässt.

Auch in _Frank Haubold_s „Stadt am Fluss“ wird kein Blut vergossen, der Leser fühlt sich trotzdem bei der Fahrt des heimkehrenden Ich-Erzählers durch seine offenbar (fast) verlassene Heimatstadt auf beklemmende Weise an „Die Mächte des Wahnsinns“ erinnert. Das Gegenteil einer Coming-of-Age-Geschichte und dazu gut geschrieben.

Soliden Horror bieten die Geschichten von _Armin Rößler_ über einen Grusel-Vergnügungspark, in dem einiges realer ist, als man denken sollte, und _Dominik Irtenkauf_ und _Javier Hurtado_s „Trauerflug aus dem Süden“, in dem ein in spanischer Sprache gewisperter Hauch eine ganz besondere Rolle spielt.

_Michael Borlik_, der andere Teil des Herausgeber-Duos, geht in „Engel der Nacht“ der Frage nach, wie ein Vampir versucht, seine sterbliche Angebetete zu erobern und wie diese darauf reagiert – Romantik auf Vampirart, garantiert nicht unblutig!

Zwei weitere Geschichten verquicken das Vampirthema mit ägyptischer Mythologie, nämlich die Geschichten von _Linda Budinger_, die den Leser mit der köstlichen Idee ( hoffentlich!?) einer „Auswickelparty“ überrascht, bei welcher einem vertrockneten englischen Lord seine Faszination für Mumien zum Verhängnis wird.

_Marc-Alastor E.E._ schafft das wirkliche Kunststück, die Vorgänge bei der Vorbereitung einer Mumie aus Sicht der Mumie selbst zu schildern – sehr gelungen! Eine Geschichte, nach der man gleich im Lexikon nachschlagen würde, wie das noch mal war, mit der Mumifizierung – wenn man sich nicht gerade zu sehr gruseln würde, versteht sich.

Zwei wirkliche Highlights hält der Band für den Leser noch zum Schluss bereit. _Markus K. Korb_s „Die Brut“ erinnert von der Grundidee her an Stephen Kings „The Boogeyman“, variiert das Thema aber sehr schön auf eine Weise, die eher an Poe oder gar Lovecraft denken lässt. _Christel Scheja_s „Der Verfluchte von Tainsborogh Manor“ beschwört gekonnt die Atmosphäre jener Gothic Novels herauf, die ihre Heldin so gerne liest und erzählt auf diese Weise eine eher romantische Vampirgeschichte.

Der Band wird durch verschiedene Essays zum Thema abgerundet.

Erwähnenswert ist noch, dass alle Storys mit exklusiven, inhaltlich passenden Ilustrationen des Wolfsburger Künstlers [Pat Hachfeld]http://www.dunkelkunst.de/ versehen sind – sehr ungewöhnlich für dieses Format und für den Leser noch ein zusätzliches „Sahnehäubchen“.

Ach ja: Das Preis-Leistungsverhältnis überzeugt ebenfalls: 387 Seiten praller Horror und mehrere Stunden wohlig-gruseliges Lesevergnügen plus Hintergrund-Informationen für 9,95 Euro – was will man mehr?

_Stefani Hübner-Raddatz_
|Verbrechen sind in der Realität selten so spannend wie in der Literatur. Das stellte Stefani Hübner-Raddatz während ihrer Zeit als Strafrichterin schnell fest. Seitdem weigert sie sich standhaft, eine klassische Juristenlaufbahn einzuschlagen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter, zwei Pferden und Katzen bei Hamburg und schreibt Kurzkrimis, Kinder- und Fantasy-Geschichten. Sie ist Mitglied bei den sisters in crime.|