Archiv der Kategorie: Rezensionen

Wynes, Patrick / Gülzow, Susa – Kommissar X: Der Panther aus der Bronx

In Form von „Kommissar X“ haben sich |Maritim| an einen weiteren Krimi-Klassiker aus den Fünfzigern herangewagt und ihn als Hörspiel neu aufgelegt. Nach der Originalromanvorlage von Patrick Wynes ist so eine 63-minütige, arg kurzweilige Geschichte entstanden, die spannend erzählt wird, aber im Gegensatz beispielsweise zu den Hörspielen aus der Edgar-Wallace-Reihe nicht ganz das Flair dieser besonderen Zeit versprüht. Damit komplettiert der berüchtigte Kommissar nun sein Auftreten auf dem Büchermarkt, nachdem es bereits 1740 Titel gibt, die entweder als Heft, Buch oder eBook erschienen sind.

|Sprecher:|
Jo Walker: Robert Missler
Tom Rowland: Michael Weckler
April Bondy: Marianne Lund
u. a.

Romanvorlage: Patrick Wynes
Drehbuch und Regie: Susa Gülzow
Musik: Alexander Ester
Tonmeister: Carsten Berlin, Hans-Joachim Herwald, Peter Harenberg
Produktion: Nocturna Audio

Laufzeit: ca. 63 Minuten

_Story:_

In New York geht die Angst vor einem mysteriösen Serienmörder um. Ein schwarz gekleideter und maskierter Killer hat es auf all die Menschen abgesehen, die wegen Notzuchtverbrechen angeklagt waren, trotzdem aber freigesprochen wurden, nachdem ein gewisser Anwalt namens Lovelyn die jeweiligen Mandanten vertreten hatte. Dachten die fiesen Verbrecher zunächst noch, dass ihnen der Freispruch aus der Patsche helfen würde, mussten sie eines Tages erfahren, dass er gleichzeitig ihr Todesurteil bedeutete. Der maskierte Mörder, der von der Presse auch „Der Panther aus der Bronx“ genannt wird, rächt sich nämlich aus einem bislang noch unbekannten Motiv an den Frauenschändern und Vergewaltigern und schlägt jedes Mal völlig unerwartet zu. Auch die Art und Weise, wie er seine Opfer zur Strecke bringt, ändert sich individuell und reicht von einem Mord mit einem asiatiischen Langschwert bis hin zur Sprengung einzelner Gebäude.

Wie ein Phantom bewegt sich der Panther und hinterlässt nach seinen sauber geplanten Taten keine Spur außer dem typischen Erkennungszeichen, einem bltuigen Mal auf den Gesichtern der Toten, für das er anscheinend messerscharfe Krallen eingesetzt hat.

Kommissar Jo Walker, in Fachkreisen auch als Kommissr X bekannt, erhält eines Tages den Anruf einer verzweifelten Frau, die ihm eröffnet, dass ihr Sohn unter Verdacht steht, eine Frau vergewaltigt zu haben und somit auch vom Panther aus der Bronx gefährdet ist. Walker möchte zwar die Tat des jungen Mannes nicht decken, lässt sich aber trotzdem auf die Dame ein und übernimmt den Auftrag, ihn zu beschützen. Dies hätte er allerdings besser nicht getan, denn die unscheinbare Frau ist die Gattin eines berüchtigten Mafiabosses, der überdies nicht sonderlich darüber erfreut ist, dass Kommissar X plötzlich in seinem Umfeld als Privatdetektiv herumschnüffelt …

_Bewertung:_

Obwohl die Geschichte sehr spannend und mitreißend erzählt wird – Robert Missler, der den Kommissar X aus der Ich-Perspektive spricht, macht hier einen verdammt guten Job -, läuft sie nach der Hälfte der Zeit doch auf ein absehbares Ende zu, denn auch wenn das Motiv des Killers nicht klar ist, so kommen doch nur wenige Personen in Frage, die sich hinter der Tarnung des Panthers befinden könnten, und im Endeffekt scheiden bis auf eine dann alle aus. Trotzdem hat die Geschichte auf ihre Weise einen besonderen Reiz, der in erster Linie von der astreinen Darbietung der drei vertretenen Sprecher(innen) ausgeht. Auch wenn die Wortwahl teilweise ein wenig einsilbig ist und sich manche Sätze in ihrer Essenz alle paar Minuten wiederholen, gelingt es dem Ensemble, diese potenzialreiche Geschichte mit einem packenden Unterton zu versehen, der die gute Stunde Spielzeit im Flug vergehen lässt. Die Handlung ist von Anfang an sehr schlüssig, die unerwarteten Morde sorgen für die notwendigen Wendungen und die Vorlage an sich gibt auch einiges her. Lediglich die Atmosphäre ist nicht ganz so spannungsvoll geraten und kann auch durch die Hintergrundmusik nicht diesen Status erreichen. Manchma wird sogar das genau Gegenteil erreicht, nämlich dann, wenn als Zwischensequenz einige Klangmalereien kommen, die auch schon für die „Alf“-Hörspiele herhalten mussten. Irgendwie will das nicht so recht passen …

An so etwas möchte ich mich aber jetzt nicht hochziehen, denn mir hat die Erzählung wirklich Freude gemacht und ich habe mich von diesem Hörspiel bestens unterhalten gefühlt. „Kommissar X – Der Panther aus der Bronx“ ist deswegen noch lange nicht das Nonplusultra auf diesem Gebiet, aber ganz sicher eine Bereicherung des Krimi-Sektors, die man sich als Fan auch blind anschaffen kann – trotz vereinzelter Schwächen.

Banker, Ashok K. – Dämonen von Chitrakut, Die (Ramayana 3)

Für Rama könnte es jetzt so einfach sein. Sein größter Feinde Ravana lebt zwar noch, doch der Asuraherrscher Lankas liegt im Koma, seine Dämonen bekriegen sich gegenseitig und rotten sich dabei fast aus. Dasaratha, Ramas Vater, scheint es wenig besser zu gehen, und Sita, die tapfere Prinzessin aus Mithila, ist jetzt seine Frau.

Doch kaum ist er wieder zu Hause, gehen die Probleme los. Während des Willkommens-Rituals für die jungen Bräute stört Kaikeyi die Riten und besteht darauf, dass diese wiederholt werden – für die Paare ein Unglücksomen. Dasaratha hat einen Rückfall, von dem er sich kaum erholen kann. Und dann taucht Kaikeyi wieder auf und bittet den Maharadscha um die Einlösung eines alten Versprechens.

Was sie verlangt, bricht Dasarathas Widerstand vollkommen: Bharat, ihr Sohn, soll Thronfolger werden und Rama in die Verbannung in den gefürchteten Dämonenwald gehen. Dasaratha aber hat keine andere Wahl, als ihr ihre Wünsche zu erfüllen, nicht ahnend, dass die Hexe Manthara Macht über seine zweite Königin ausübt.

Rama geht klaglos in die Verbannung, Sita und Laksman folgen ihm unaufgefordert. Dasaratha stirbt noch am gleichen Abend, und der Weg für die Dämonen wäre jetzt frei, gäbe es da nicht auch noch Bharat …

Was Banker da vollbringt, grenzt ans Unmögliche. Und doch gelingt es ihm mit jedem Buch, die faszinierende Welt des alten Indien farbenprächtig und in neuer Sprache zu erzählen, ohne dass etwas verloren ginge. Eine Leistung, die ihn, und diesen Vergleich treffe ich wirklich nicht oft und schon gar nicht leichtfertig, fast auf eine Stufe mit Tolkiens Mittelerde stellt.

Natürlich gilt nach wie vor: Wer einfach gestrickte Fantasy ohne ein bisschen Kopfarbeit sucht, dem wird das Ramayana sicher nicht in die Hände fallen. Diese Fantasy geht weit über das übliche Spektrum dessen hinaus, was die großen Verlage bieten. Offensichtlich traut man entweder der Zielgruppe mehr zu oder man will endlich doch mal die Leser ansprechen, die aus dem Konzept herausfallen, das die großen Verlage ansonsten nach Schema F (mit kleinen und seltenen Ausnahmen, die aber umso wertvoller sind) verlegen. Ich wünschte mir wirklich, dass es dem Ramayana gelänge, ähnlich wie dem „Herrn der Ringe“, den Weg hinaus aus der „Schmuddelecke Fantasy“ zu schaffen und dadurch auch dafür zu sorgen, ein ganzes Genre „gesellschaftsfähiger“ zu machen.

Im dritten Band des Zyklus lässt Banker es diesmal, ganz nach der Vorlage, ein wenig ruhiger angehen, wenn auch der erste Teil sehr rasant wirkt und die Handlung sich zu überschlagen scheint. Aber spätestens, wenn Rama wirklich loszieht in die Verbannung, nimmt der Autor sich mehr Zeit dafür, die Umgebung zu schildern, die Hindernisse, die den jungen Prinzen auf seinem Weg erwarten. Ebenso hervorragend gelungen sind die verschiedenen Charakterstudien der drei Hauptprotagonisten Rama, Sita und Laksman. Vor allem der Unterschied zwischen den beiden Brüdern tritt im Verlauf der Handlung immer klarer zu Tage, etwas, was mir im Original nicht so ins Auge gefallen ist.

Aber trotz der augenscheinlichen Ruhe gärt es weiter. Kaum wagt man als Leser, das Buch aus der Hand zu legen. Denn früh ist klar: Was auch immer Rama und seine Gefährten in den vierzehn Jahren ihrer Verbannung erwarten mag, es wird nicht sonderlich angenehm und sicherlich spannend. Da stört es auch nicht, dass der Titelheld sich von Kampf und Waffen abwenden will. Man spürt, es kommt noch etwas hinterher.

Und tatsächlich taucht eine schon vertraute Gestalt aus dem ersten Buch wieder auf. Doch seinerzeit noch im Auftrag Ravanas als Spionin unterwegs, ist sie jetzt in eigener Sache aktiv. Und wie eine echte Rakshasa würde sie dafür sogar über Leichen gehen.

Der Cliffhanger, den Banker diesmal einbaut, tötet mir jetzt schon den letzten Nerv, denn das vierte Buch ist noch gar nicht angekündigt. Und gerade hier und jetzt wäre es beinahe lebenswichtig – so scheint es zumindest – zu wissen, wie es denn nun weitergeht und ob die drei Gefährten überleben. Aber jetzt ist das lange Warten auf den vierten Band angesagt, oder die entsprechende Lektüre des „alten“ Ramayanas.

Mein Fazit ist auch hier wieder: Außergewöhnliche Fantasy, außergewöhnliche Geschichte, außergewöhnliche Bilder. Ein außergewöhnliches Buch, das aber keine leichte Kost ist. Dennoch lohnt es sich auf jeden Fall. LESEN!

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Lewis, Clive Staples – König von Narnia, Der (Die Chroniken von Narnia, Band 2)

Rechtzeitig vor Kinostart des gleichnamigen Walt-Disney-Films „Der König von Narnia“ bringt der |Brendow|-Verlag dieser Tage erneut die immer wieder gern aufgelegten „Chroniken von Narnia“ neu auf den Markt, dieses Mal jedoch in einer sehr schön und aufwendig gestalteten Taschenbuch-Edition, bei der ganz abseits der Handlung zunächst die schöne Covergestaltung gefällt. Die Geschichten von Clive Staples Lewis sind ja bereits vor einem halben Jahrhundert erschienen und erfreuen sich seitdem auch größter Beliebtheit, weshalb es schon fraglich ist, warum sich bislang noch keine Company um die Filmrechte gekümmert hatte. Vermutlich brauchte es erst die Pionierarbeit der „Herr der Ringe“-Trilogie, die ja auf Tolkiens Werk basiert, der interessanterweise auch ein Freund von Prof. Lewis war. Wie auch immer, der aus sieben Büchern bestehende Zyklus gehört definitiv zu den Klassikern der Märchen- und Fantasy-Literatur und kann sich auch im Jahre 2005 noch erfolgreich behaupten.

_Story:_

Peter, Edmund, Suse und Lucy wohnen im Haus eines seltsamen Professors und erkunden jeden Tag neue Winkel dieser verzweigten Räumlichkeiten. Eines Tages entdeckt Lucy beim Versteckspiel in einem unscheinbaren Schrank das Tor in eine andere Welt, in der sie den unglücklichen Faun Tumnus trifft, der im Auftrag der bösen Hexe Kinder fangen soll, Lucy aber trotz der drohenden Strafe doch wieder gehen lässt. Als Lucy schließlich wieder in die ’normale‘ Welt zurückkehrt, will ihr natürlich niemand ihr Erlebnis glauben, zumal dort die Zeit nicht weitergelaufen ist. Als kurze Zeit später jedoch auch Edmund die Welt Narnia entdeckt und dort Bekanntschaft mit der gutmütig erscheinenden Hexe macht, sieht die Sache schon anders aus. Auch wenn sich die Kinder gegenseitig in den Rücken fallen, kommen sie schließlich doch hinter das Geheimnis des Wandschranks und landen alle in Narnia.

Dort finden sie heraus, welche Missstände durch den Machtmissbrauch der Hexe vorherrschen, und freunden sich recht schnell mit den Tieren aus Narnia an, die sich vor der Hexe fürchten, sich aber zugleich durch die Ankunft Aslans neue Hoffnungen machen. Dieser legendäre Löwe ist der Einzige, der der Hexe noch Paroli bieten kann, und dementsprechend sieht diese sich auch vor dem erhabenen Löwen vor.

Vor seiner Ankunft lernen die vier Kinder aber erstmal eine Biberfamilie kennen und leben kurzzeitig bei ihr, bis Edmund sie dann aus reiner Begierde nach der Erfüllung der Versprechen der Hexe verrät und verschwindet. Von da an sind alle Lebewesen in Narnia in Gefahr, denn jetzt weiß die Hexe von der Existenz der vier Kinder und droht, sie umzubringen. Nur Aslan kann noch für Gerechtigkeit sorgen, doch dieser erklärt sich überraschend bereit, sich dem Bösen zu opfern, um für Frieden in Narnia zu sorgen. Die Hexe wähnt sich bereits siegessicher, doch nach Aslans offenbarem Tod hat sie noch lange nicht freie Bahn …

„Der König von Narnia“ ist in dieser Reihe der zweite Band (im Original jedoch der erste; die neu festgelegte Erzählreihenfolge richtet sich nach einer Empfehlung, die Prof. Lewis aussprach) und demnächst wahrscheinlich auch der populärste, denn die Geschichte um den Wandschrank und die Entdeckung Narnias durch die vier Kinder wird schließlich von Walt Disney mit dem bislang größten Filmbudget der Firma verfilmt. Eine gute Wahl, wie ich finde, denn die Romanvorlage gibt eine Menge her und sollte die Phantasie merklich anregen. Auch wenn die Elemente wie sprechende Tiere, eine mit böser Magie ausgestattete Hexe und schließlich ein Löwe als Beschützer der Gerechtigkeit in Fantasy-Romanen immer wieder eingesetzt werden, so erreicht C. S. Lewis mit seiner schlichten, umangssprachlichen und überaus lockeren Erzählweise sein Publikum sofort.

„Der König von Narnia“ ist nun einmal ganz klar ein Buch für Kinder und Jugendliche, und in diesem Stil hat der Autor die Geschichte dann auch verfasst. So ist die Handlung nicht zu komplex und leicht verständlich, nicht mal ansatzweise brutal und irgendwie auch anders als das, was man sonst in diesem Bereich so zu lesen bekommt. Fantasy sollte da sein, um Träume zu wecken und die Vorstellung von Übersinnlichem zu erweitern, zumindest ist das meine Ansicht dazu, und getreu diesem Maßstab hat Lewis auch diesen Zyklus entstehen lassen. Das ist der Stoff, aus dem Märchen gemacht sind, und auch wenn die Geschichte bereits ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat, so wirkt sie dennoch modern und aktuell.

Eine Geschichte über Freundschaft, Treue, Liebe, Glauben und all das, was das phantasievolle Kinderherz beschäftigt. Das soll natürlich nicht heißen, dass man dieses Buch als Erwachsener nicht lesen dürfte, denn ich kann jetzt aus eigener Erfahrung berichten, dass ich diese erste Erzählung regelrecht verschlungen habe und mich neben dem Inhalt vor allem am frischen Erzählstil erfreut habe. Daher rate ich auch all denjenigen, die noch keinen Einblick in diesen Siebenteiler hatten, zumindest diesen Band vor dem Kinostart des Filmes zu lesen, denn es macht wirklich Spaß, Clive Staples Lewis‘ Worten und Geschichten zu folgen.

Die Reihe in der Erzählfolge:
* 1956 Das Wunder von Narnia (engl. The Magician’s Nephew)
* 1950 Der König von Narnia (engl. The Lion, the Witch and the Wardrobe)
* 1954 Der Ritt nach Narnia (engl. The Horse and His Boy)
* 1951 Prinz Kaspian von Narnia (engl. Prince Caspian)
* 1952 Die Reise auf der Morgenröte (engl. The Voyage of the Dawn Treader)
* 1953 Der silberne Sessel (engl. The Silver Chair)
* 1956 Der letzte Kampf (engl. The Last Battle)

Veröffentlichungsreihenfolge:
* 1950 Der König von Narnia (engl. The Lion, the Witch and the Wardrobe)
* 1951 Prinz Kaspian von Narnia (engl. Prince Caspian)
* 1952 Die Reise auf der Morgenröte (engl. The Voyage of the Dawn Treader)
* 1953 Der silberne Sessel (engl. The Silver Chair)
* 1954 Der Ritt nach Narnia (engl. The Horse and His Boy)
* 1956 Das Wunder von Narnia (engl. The Magician’s Nephew)
* 1956 Der letzte Kampf (engl. The Last Battle)

Website des Verlags zur Narnia-Welt: http://www.narnia-welt.de/

|Siehe auch unsere Rezension zur [Hörbuchfassung 356 dieses Bandes.|

Gaiman, Neil / McKean, Dave – Wölfe in den Wänden, Die

Neil Gaiman ist ein faszinierend vielseitiger Autor. Er schreibt für Erwachsene wie auch für Kinder, er schreibt Romane, Bilderbücher und Comics und zeichnet sich dabei immer wieder durch eine blühende Phantasie aus. Skurrile Figuren, sonderbare Halbwelten, irgendwo zwischen (Alb-)Traum und Wirklichkeit – das sind Gaimans unverkennbare Stärken.

Auch „Die Wölfe in den Wänden“ passt da ins Konzept und ist doch ein gänzlich eigenständiges Werk: Ein Bilderbuch, das dank der Illustrationen von Dave McKean ein so schöner visueller Augenschmaus ist, dass man es gerne mehrmals zur Hand nimmt, auch wenn die Geschichte schnell erzählt ist.

Lucy lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem alten Haus. Immer wieder hört sie aus den Wänden merkwürdige Geräusche und glaubt zu wissen, wer dafür verantwortlich ist: Wölfe, die in den Wänden wohnen. Natürlich glaubt ihr niemand. Was soll dort schon durch die Wände krabbeln? Mäuse vermutlich, schlimmstenfalls Ratten, aber doch keine Wölfe!

Doch eines Nachts wird die Familie eines Besseren belehrt und es passiert genau das, was Lucy befürchtet hat: Die Wölfe kommen aus den Wänden. Die Familie flieht in Panik in den Garten, fügt sich ohne Widerspruch in ihr Schicksal und überlässt den Wölfen das Feld. Jedes Kind weiß schließlich, dass alles vorbei ist, wenn die Wölfe aus den Wänden kommen. Nur Lucy ist nicht bereit, das lieb gewonnene Heim aufzugeben. Sie will nicht tatenlos mit ansehen, wie die Wölfe die Herrschaft über das Haus übernehmen. Also schmiedet Lucy einen Plan …

„Die Wölfe in den Wänden“ klingt zunächst einmal wieder nach einem Märchen mit typisch Gaiman’schem Gruselfaktor. Ähnlich wie bei [„Coraline“,]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=1581 steht im Mittelpunkt der Handlung ein kleines Mädchen, das sich dem Schrecken in den eigenen vier Wänden stellt. Scheinbar furchtlos stellt sich Lucy den Wölfen entgegen, ähnlich furchtlos, wie Coraline den Kampf mit der falschen Mutter aufnimmt. Doch während Coraline sich auf ein Kräftemessen mit ungewissem Ausgang einlassen muss, ist das Problem für Lucy schnell beseitigt, nachdem es erst einmal angegangen wird.

„Die Wölfe in den Wänden“ ist eben nur ein 56-seitiges Bilderbuch und kann somit kaum die erzählerische Komplexität eine Romans erreichen. Gaiman erzählt von Lucys Kampf gegen die Wölfe in wenigen, aber durchaus einprägsamen Worten. Auch wenn sich die Geschichte auf den ersten Blick nicht unbedingt durch eine erzählerische Tiefe auszeichnet, so liegt in den wenigen Seiten mit den intensiven Bildern und den punktgenauen Sätzen dennoch eine unverkennbare Botschaft, aus der der Leser seine Lehren ziehen kann.

Während Lucys Eltern sich in ihr Schicksal fügen, ohne etwas gegen die Invasion der Wölfe unternehmen zu wollen, während sie sich erst gar keine Hoffnungen machen, die enttäuscht werden könnten, weil ja alle sagen, dass es sich nicht lohnt, sich Hoffnungen zu machen, zeigt Lucy, dass man mit Mut und Tatendrang etwas bewegen kann. Sie zeigt, dass sich bestimmte ideelle Werte nicht so einfach ersetzen lassen, dass es sich lohnt, um das zu kämpfen, was einem am Herzen liegt.

Bilder und Text vermitteln die enthaltene Botschaft sehr eindringlich. Die sprachlichen und die visuellen Mittel fügen sich sehr überzeugend zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Es ist nicht die erste Zusammenarbeit von Neil Gaiman und Dave McKean, und dass die beiden sich sehr gut ergänzen, macht „Die Wölfe in den Wänden“ zu einem besonderen Lesevergnügen.

McKeans Zeichnungen sind gleichzeitig sonderbar realistisch und plakativ. Gesichter wirken ein wenig zweidimensional, teilweise blass oder gar leer, dennoch wird Lucys Angst vor den Wölfen, die sie in den Wänden hört, greifbar. Einzelne Bildbestandteile sind Fotos entliehen und sie geben den Zeichnungen ihren teils sonderbar realistischen Charakter. Unterbrochen wird dieser Stil immer wieder von wüsten Schraffuren, die den Ausbruch der Wölfe begleiten. Die Farben sind insgesamt eher düster gehalten, so dass die Geschichte durchaus eine unheimliche und finstere Seite entwickelt. McKeans Stil ist schon eigenwillig und von einer Art, die den Grusel der skurrilen Halbwelten im Stile eines Neil Gaiman sehr gut ergänzt.

Was bei der Lektüre indes nicht so ganz klar wird, ist die Zielgruppe des Buches. Von der Einfachheit der Texte und der Botschaft der Geschichte ausgehend, ist „Die Wölfe in den Wänden“ durchaus eine kindgerechte Erzählung. Sie enthält sicherlich einige Szenen, bei denen so manches Kind sich fürchten mag, ist aber insgesamt nicht ganz so gruselig wie „Coraline“, das Gaiman ebenfalls für Kinder geschrieben hat. Der Verlag hält sich mit Altersangaben bedeckt und bietet bei einer Orientierung somit keine Hilfestellung, dennoch erscheint mir „Die Wölfe in den Wänden“ eher als ein Märchen für Kinder, das auch Erwachsene lesen können, als dass es auf eine ältere Zielgruppe zugeschnitten ist.

Etwas bedauerlich bleibt, dass das Lesevergnügen aufgrund der Kürze der Geschichte so schnell vorbei ist. Das ist umso bedauerlicher, wenn man den doch sehr hohen Preis von € 18,- für dieses dünne Büchlein im Hinterkopf behält. Der dürfte vermutlich dafür sorgen, dass „Die Wölfe in den Wänden“ einen geringeren Bekanntheitsgrad erlangen wird, als das Buch eigentlich verdient hätte.

„Die Wölfe in den Wänden“ ist ein schönes, faszinierendes, eigenwilliges und skurriles Bilderbuch. Ein Märchen mit dem gewissen Etwas und eine Geschichte, die eine unverkennbare Botschaft transportiert. Ein Büchlein, das gleichermaßen für Kinder wie für Erwachsene geeignet ist, und eine Geschichte, über die man am Ende nachdenken und reden kann. Nur schade, dass das Buch aufgrund des hohen Anschaffungspreises wohl höchstens eingefleischte Gaiman-Fans erreichen wird. Wirklich schade, eigentlich.

Jim Kelly – Tod im Moor

In der englischen Provinz tauchen die bizarr zugerichteten Leichen nie gefasster Krimineller auf. Ein vom Leben gebeutelter Journalist und ein überforderter Polizeibeamter stoßen auf die Spur eines alten, nie geklärten Verbrechens, das zu neuem, gewalttätigem Leben erwacht … – Ausgezeichnetes Krimi-Debüt eines neuen Autoren; spannend und düster aber mit trockenem Witz erzählt und mit sympathischen, einprägsamen Figuren besetzt: ein Lese-Spaß ohne gravierende Einschränkungen.
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Radford, Irene – Glasdrache, Der (Der Drachen-Nimbus 1)

Bei |Bastei Lübbe| erscheint dieser Tage eine neue Trilogie der jungen Autorin Irene Radford, die sich des nicht gerade sonderlich originellen Themengebietes der Drachen-Fantasy angenommen hat, diesen Schwerpunkt aber von einer wiederum eher ungewöhnlichen Seite angegangen ist und somit, das kann ich vorab schon einmal zum ersten Part des dreiteiligen „Drachen-Nimbus“ sagen, eine recht interessante Story zusammengebastelt hat, bei der es lediglich an der etwas komplizierten stilistischen Herangehensweise der Autorin ein wenig hakelt.

_Story:_

Seit vielen Jahrhunderten hat man in Coronnan Zugriff auf die Kunst der Magie, die einst von Drachen erschaffen wurde und heute von einer erlesenen Schar von Magiern aus diesem Drachen-Nimbus entzogen werden kann. Dabei haben die Drachen jedoch auch einen Eid geleistet, demzufolge die Magie niemals missbraucht und nur zum Besten des Landes eingesetzt werden darf. Auch die Königsfamilie von Coronnan ist eng an die heimischen Drachen gebunden, so dass sich selbst ihr Wohlbefinden an dem der Drachen orientiert.

Doch in letzter Zeit haben sich Dinge in Bewegung gesetzt, die zur Folge hatten, dass der Status der Drachen rapide gesunken ist und man viele ihrer Art getötet hat. Nur noch ein einziges Weibchen hat dieses Massaker überlebt und ist die einzige Hoffnung der Königsfamilie von Coronnan, weil von ihr die Fortpflanzung einer ganzen Gattung abhängt. Irgendjemand aus dem Bund der Magier von Coronnan muss seine Kräfte und die Magie für seine Zwecke genutzt und somit den Eid missachtet haben, so dass selbst die undurchdringliche Barriere des Landes nicht mehr länger standhalten konnte.

Außerhalb der Grenzen sammeln sich bereits einzelne Feinde, um die aktuelle Schwäche von Coronnan und dessen Herrscherfamilie zu nutzen. Die Kommune der Magier wehrt sich gegen diesen Zustand und entsendet einzelne Lehrlinge, um herauszufinden, was sich im Königreich abspielt. Einer von ihnen ist Jaylor, der die Wichtigkeit seiner Mission anfangs noch gar nicht richtig einschätzen kann; er glaubt sogar daran, dass sein Vorgesetzter Baamin ihn auf eine Prüfung geschickt hat. In dem Moment aber, in dem er zum ersten Mal mit der düsteren Magie Bekanntschaft macht, versteht Jaylor, welche Bedrohung tatsächlich auf Coronnan lastet. Als er anschließend auf die Hexe Brevelan trifft und mit ihr in Harmonie im Wald lebt, erfährt er von weiteren Schicksalen aus dem direkten Umfeld der Königsfamilie und begibt sich zusammen mit ihr und ihrem Schoßtier, dem Wolf Brevelan, auf den Weg zur Drachin Shayla, um sie zu schützen. Doch das Team kommt zu spät und muss schnell realisieren, dass ihnen nur noch sehr wenig Zeit bleibt, um den Fortbestand der Drachen und damit auch des Königshauses von Coronnan zu sichern …

_Bewertung:_

Inhaltlich hat der erste Teil des „Drachen-Nimbus“ zweifellos eine Menge zu bieten, auch wenn viele Stilelemente auf verwandten Fantasy-Geschichten basieren. Sprechende Tiere, wundersame Kräuter und an Magie gebundene Drachen sind jedenfalls nichts Neues und werden von Irene Radford auch sehr zweckdienlich und intelligent eingesetzt. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite steht jedoch eine sehr konfuse Erzählweise, die einen besonders auf den ersten 150 Seiten kaum durchblicken lässt, was denn nun gerade wirklich vor sich geht bzw. welche Parts der Erzählung jetzt tatsächlich wichtig sind. Vor allem die Charakterisierung des stets unsicheren und mit sich selbst hadernden Jaylor hätte in dieser Ausführlichkeit gar nicht sein müssen und führt zu ersten Längen direkt zu Beginn. Stattdessen hat Radford die für den Hintergrund der Geschehnisse unheimlich wichtige Vorgeschichte der Hexe Brevelan ziemlich unzufrieden stellend hervorgehoben und sie auch nur sehr oberflächlich erzählt; man könnte also sagen, dass die Autorin erst einmal gar nicht zu wissen scheint, wo sie nun Prioritäten setzen soll.

Nach der unnötig komplexen und verwirrenden Einleitung findet Radford aber irgendwann doch zur eigentlichen Handlung und beginnt von da an auch, die ganze Sachen spannend zu gestalten. Erst dort gelingt es ihr auch, die verschiedenen Stränge aus Coronnan, dem Umfeld von Jaylor und Brevelan sowie aus dem Sektor des unheimlichen Magiers passend und schlüsig miteinander zu verknüpfen, ohne dass man wieder den Faden verliert. Auch die zwischendurch schon mal angeführten Berichte in Form einer Ich-Erzählung von Seiten eines bis dato mysteriösen Charakters gliedern sich sehr schön in die eigentliche Geschichte ein, werfen Fragen auf und tragen zur wachsenden Spannung bei. Dieser Teil ist der Autorin wirklich gut gelungen. Schade ist lediglich, dass die Geheimniskrämerei mancherorts mit einem Schlag aufgelöst wird, so zum Beispiel in den gar nicht so versteckten Andeutungen in Bezug auf Brevelans Hauswolf Darville. Radford hätte an so einigen Stellen die Spannung noch durchaus weiter hinauszögern können, und komischerweise ist das gerade in den Abschnitten anzuprangern, in denen die Beschreibungen nicht mehr ganz so konfus geraten sind.

Wie auch immer; hat man sich durch die knapp 450 Seiten gekämpft, ist man letztlich dennoch zufrieden und gespannt auf die Fortsetzung, denn sobald man einmal in der Story drin ist, gefällt diese auch. Das Problem ist nur, dass man das halbe Buch schon gelesen hat, bis es endlich klick! macht und man diesen Zustand erreicht hat. Nun ja, zumindest kann einem das dann bei den Fortsetzungen in dieser Form nicht mehr passieren … Man darf jedenfalls gespannt sein, was aus Jaylor, Brevelan und der Drachin Shayla werden wird!

Baltscheit, Martin / Schwarz, Christine – Ich bin für mich

Lesen ist wieder „in“: Wenn Elke Heidenreich im Fernsehen Buchtipps gibt und mit glänzenden Augen von ihren Lieblingsbüchern berichtet, dann verkaufen sich diese Bücher daraufhin meist erstklassig. Verfolgt man im Anschluss an ihre Sendung „Lesen!“ die Bestsellerlisten, so wird sich der Großteil ihrer Empfehlungen recht weit oben anfinden, so auch „Ich bin für mich“, ein nur 40-seitiges Bilderbuch mit wenig Text, das in Deutschland aktueller denn je ist. Denn bei den Tieren herrscht Wahlkampf, genau wie bei uns.

Alle vier Jahre wird im Reich der Tiere der Löwe einstimmig zum König gewählt, doch in diesem Jahr kommt alles anders. Die kleine Maus muckt nämlich auf und beschwert sich, dass es immer nur einen Kandidaten gäbe und man somit ja kaum von einer Wahl sprechen könne. Daraufhin beschließen die Tiere, weitere Kandidaten aufzustellen. Aus jeder Tiergruppe tritt jemand vor, um eine flammende Wahlkampfrede zu halten. So versprechen die Mäuse, dass von nun an keine Katze mehr eine Maus verspeisen solle, sondern dass es andersrum kommen werde. Wird die Maus gewählt, dann jagen fortan die Mäuse die Katzen. Die Katze verspricht das genaue Gegenteil, nämlich dass es nie mehr an Mäusefleisch mangeln solle und dass die Jagd auf die Maus eröffnet sei. Auch der Karpfen schwingt sich zu einer Rede auf, wird unter Wasser aber von niemandem verstanden. Der Strauß zeichnet blühende Bilder seiner kommenden Regentschaft, möchte einen teuren Flughafen mit allerlei Schnickschnack erbauen lassen, steckt aber schnell den Kopf in den Sand, als jemand sich anmaßt, danach zu fragen, wie das denn finanziert werden solle. Auch bei den Tieren läuft es also nicht viel anders als bei uns Menschen.

Der Tag der Wahl rückt näher und bringt ein überraschendes Ergebnis (vertrauenswürdig durch den Maulwurf ausgezählt …), denn jedes Tier – außer dem Löwen – hat für sich selbst gestimmt. Fortan regieren daher mehrere Könige gleichzeitig, das Chaos ist vorprogrammiert …

In wunderschönen und mehr als treffenden Bildern präsentieren uns Martin Baltscheit und Christine Schwarz eine vordergründig so lustige Geschichte, die uns zum Schmunzeln bringt, aber auch eine Geschichte, hinter der sich mehr verbirgt. „Ich bin für mich“ überzeichnet die Problematik im Wahlkampf zwar deutlich und verkürzt alles auf nur knapp 40 Seiten, doch erkennt der Leser viele wirkliche Probleme wieder. Dort lassen sich nämlich Tiere bzw. Tierparteien aufstellen, die nur ihre eigenen Interessen vertreten wollen und die natürlich auch im krassen Gegensatz zu den Interessen einer anderen Partei stehen. So sind die Schwierigkeiten natürlich vorprogrammiert, wenn am Ende die Mäuse neben den Katzen herrschen, denn ihre beiden Wahlversprechen sind nicht miteinander vereinbar. Auch bei den Tieren werden also mitreißende Reden geschwungen, die für die potenziellen Wähler das Paradies auf Erden versprechen, aber nicht so weit denken, wie das denn finanziert werden solle oder wie realistisch solche Pläne überhaupt sein können. Zunächst geht es nur darum, genug Wähler zu überzeugen und die Wahl zu gewinnen. Erst im Anschluss bemerken die Tiere, dass es solcherart wohl doch nicht geht, denn im Tierreich bricht die Anarchie aus.

„Ich bin für mich“ vermittelt in Grundzügen das Prinzip der Demokratie, und die kleine Maus ist es in diesem Buch, die bemerkt, dass man von einer richtigen Wahl gar nicht sprechen könne, wenn es gar keinen Gegenkandidaten gibt. Da ist wohl etwas Wahres dran. Zwar könnte man den Löwen immer noch abwählen, aber wenn das Tierreich dann unregiert wäre, kämen ganz andere Probleme auf die Tiere zu. Was also tun? Die Lösung ist ganz einfach: Neue Kandidaten müssen her und werden auch schnell gefunden. Aber der Lernprozess für die Tiere ist bitter, denn die erste Lösung ist offensichtlich auch nicht die beste, wenn am Ende jeder Kandidat genau eine Stimme bekommt und somit auch kein eindeutiger König gefunden ist. Und wieder ist es die kleine Maus, die auf den Plan tritt und versucht, die Situation im Tierreich wieder in den Griff zu bekommen. Auch dort scheinen Neuwahlen die einzige Lösung zu sein. Ohne Mehrheit regiert es sich offensichtlich selbst bei den Tieren schlecht.

Auf amüsante Weise und mit einem Augenzwinkern dargeboten, führen uns die Tiere vor, wie man es besser nicht machen sollte. „Ich bin für mich“ ist dabei durchweg farbig bebildert und macht somit auch einfach Spaß beim Durchblättern, selbst wenn man den Text dabei nicht liest. Dabei verdeutlichen die Bilder auf eindrucksvolle Weise in der Mimik und Gestik der Tiere, wie diese sich fühlen und was sie momentan denken. So sieht man beispielsweise auf dem ersten Bild den glücklichen Löwen, wie er stolz seine Krone trägt und in den Händen einen Bierkrug und eine angebissene Bockwurst hält, die es zur Feier seiner Wiederwahl gab. Auf einem anderen Bild erscheint uns der Löwe dagegen ängstlich, als er das professionelle Wahlplakat der Mauspartei entdeckt, das sein eigenes Plakat deutlich übertrifft. Nach der verloren gegangenen Wahl ist der Löwe in bedrückter Pose auf einer Wiese abgebildet, dieses Mal jedoch ohne seine Krone. Immer unterstreichen die Bilder auf treffende Weise den nebenstehenden Text. Herzallerliebst sieht auch das kahle Schaf aus, das für sein Recht auf Wolle plädiert und darauf besteht, dass fortan Pullover selbst gestrickt werden müssen. Der Schäferhund dagegen, der für Recht und Ordnung steht, zeichnet sich durch einen strengen und fast schon gemeinen Gesichtsausdruck aus. Alle Bilder sind wirklich sehr gelungen und tragen zum schönen Gesamteindruck des Buches bei.

Geeignet ist „Ich bin für mich“ für Jung und Alt, wobei Kinder sicherlich die Hintergründe nicht so gut verstehen können, sich aber dennoch an den hübschen Bildern erfreuen können. Auch wenn der Preis für die wenigen Seiten recht hoch erscheint, so rechtfertigen die schönen Zeichnungen und das Din-A4-Format des Buches diesen doch wieder. Das Buch ist sehr schnell durchgelesen und durchgeblättert, doch nach dem ersten Durchlesen und einer kleinen Überraschung am Buchende beginnt man eigentlich gleich von vorne, um alle Bilder nochmals genau unter die Lupe zu nehmen. „Ich bin für mich“ ist ein Buch, das gerade hochaktuell ist und damit umso empfehlenswerter, zumal man es immer wieder gerne durchblättert. Ausnahmsweise kann ich mich Elke Heidenreich daher nur anschließen: „Ich bin für mich“ sollte man definitiv lesen!

Jensen, Jens – Schicksal der Pamir, Das. Biografie eines Windjammers

Sie ist ursprünglich kein besonderes Schiff – nur ein Windjammer wie viele andere, ein Frachtsegler, gebaut 1905 von |Blohm & Voss| in Hamburg für die legendäre Reederei |Laeisz|. Mit den zu diesem Zeitpunkt bereits dominierenden Motorschiffen soll sie konkurrieren, Salpeter und Guano aus dem südamerikanischen Chile nach Europa schaffen, nicht schnell, aber billig. Nüchtern ist sie, aus Stahl gebaut, ganz sicher nicht luxuriös, aber das Produkt einer Jahrhunderte alten Handwerkskunst, gebaut für das Meer und den Wind und daher elegant und mit ihren 114 Metern Länge und vier himmelhohen Masten wahrlich eindrucksvoll.

Die „Pamir“ erlebt das übliche Schicksal eines Schiffes ihrer Epoche. Im Ersten Weltkrieg entgeht sie dem Schicksal vieler Salpetersegler, aufgebracht oder versenkt zu werden, weil sie in neutralen Gewässern auf den Kanaren liegt. Sie wechselt den Besitzer, wird auf der Weizenfahrt zwischen Australien und Neuseeland eingesetzt. Die Neuseeländer beschlagnahmen die „Pamir“ im Zweiten Weltkrieg und befördern mit ihr kriegswichtiges Material in die USA.

Nach dem Krieg ist die „Pamir“ eigentlich fällig, denn die Zeit der Frachtsegler ist unwiderruflich vorbei. Doch während die letzen Windjammern abgewrackt werden, ist diesem Schiff erneut das Glück hold: Nach ihrer Rückkehr nach Europa wird die „Pamir“ ein Schulschiff. Angehende Offiziere lernen hier den Umgang mit den Elementen ohne moderne Technik. Außerdem wird Fracht geladen, was die „Pamir“ zum endgültig letzten Segler ihrer Art werden lässt.

Mit dem Glück ist es im September 1957 vorbei. Die „Pamir“ gerät mitten auf dem Atlantik in einen Hurrikan – ein Jahrhundertsturm, der ihr zum Verhängnis wird. Mit 80 meist jungen Männern wird sie binnen weniger Minuten in die Tiefe gerissen.

Auf 190 (großzügig) bedruckten Seiten lebt die faszinierende Epoche der großen Segelschiffe neu auf. Dies geschieht hauptsächlich in schlichten, aber gut gewählten Worten, zu denen sich einige wenige, doch aussagekräftige Bilder gesellen. Mit sensationellen neuen Erkenntnissen kann Verfasser Jensen nicht aufwarten. Sein Werk ist schon älter, der Untergang der „Pamir“ gilt im Großen und Ganzen als geklärt, Geheimnisse ranken sich nicht darum. Der Schiffbruch steht auch gar nicht im Zentrum der Darstellung. Fünf Jahrzehnte deutscher Seefahrt werden präsentiert – Geschichte, für die unsere „Pamir“ hauptsächlich als Beispiel und roter Faden dient.

Darüber hinaus geht es noch um etwas Anderes: die Beschwörung bestimmter Gefühle. Die „Biografie eines Windjammers“ (von englisch „to jam“ – pressen; romantische Seeleute leiten den Namen vom Geräusch des Winds in den Segeln ab) ist eine Mischung aus Sachbuch und Roman. Präzision in den historischen Ausführungen wird konterkariert durch nostalgische Seebären- (oder Blaubären?) Geschichten. Der Verfasser ist selbst Seemann, geboren um 1900; er hat die Seefahrt in der Phase ihres vielleicht größten Umbruchs kennen gelernt, als die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende währende Tradition der windgetriebenen Schiffe sich ihren Ende zuneigte.

Eine ganze Welt ging damit unter bzw. verwandelte sich in ein mystisches Reich. Noch heute wird „Seefahrt“ nicht mit den hochmodernen, computergesteuerten, reizlosen Containerschiffen oder Öltankern der Gegenwart gleichgesetzt, sondern mit den großen Segelschiffen der Vergangenheit und den Männern, die auf ihnen fuhren. Damit war es wie gesagt spätestens 1945 vorbei. So kommt der „Pamir”“eine besondere Bedeutung zu: Sie ist die würdige Repräsentantin einer verklärten, „besseren“ Vergangenheit. Die „Pamir“ weckt Gefühle, die mit der grauen Realität – das Schiff wurde erbaut, um Vogelmist billig um die Welt zu segeln – rein gar nichts mehr zu tun haben.

Diesen Aspekt der „Pamir“-Story weiß Jen Jensen kräftig zu bedienen. Vor Klischees schreckt er dabei nicht zurück; Seeleute sind bei ihm alte, harte, wortkarge, erfahrene, kauzige, bewunderte Männer, die in gemütlich verkommenen Hafenkneipen ihr Garn spinnen – eine besondere Klasse Mensch, die im Besitz besonderer Weisheiten und Erfahrungen ist, die ihnen „das Meer“ vermittelt hat (wo offensichtlich die Nazis nie vertreten waren, wenn man dem Chronisten Glauben schenken möchte …). So mag es früher freilich tatsächlich gewesen sein, zumal Jensen sich umgehend vom Nostalgiker zum Realisten verwandelt, wenn es darum geht, den recht unromantischen Arbeitsalltag auf der „Pamir“ zu beschreiben. Bei Windstärke 11, Eisregen und kirchturmhohen Wellen die Segel zu reffen, ist außerdem ein Job, von dem man sich lieber bei einem guten Glas Grog erzählen lässt.

Das zweite Leben der „Pamir“ als Segelschulschiff sicherte ihr endgültig die Unsterblichkeit. Mit ihr fuhren 1957 nicht „nur“ Matrosen, sondern junge Seeleute aus aller Welt, die zukünftige Elite ihres Standes, in das nasse Grab. Dies lud ein zwar schreckliches, aber in der Seefahrt kaum ungewöhnliches Ereignis emotional auf. Dass die „Pamir“ noch 1957 wieder eingemottet werden sollte, weil das Geld für ihren Unterhalt ausging, geriet darüber in Vergessenheit – was blieb, war die Erinnerung an ein stolzes Schiff mit ebensolcher Mannschaft, die ein tragisches Ende nahmen.

Hier wird unsere Geschichte nun fast zu schön, um wahr zu sein. Jens Jensen hat sie schon vor langer Zeit niedergeschrieben. Er ist quasi ein Zeitgenosse der „Pamir“, wuchs Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Arbeiterviertel am Hamburger Hafen auf. Welcher Zufall: Dieses Schiff kannte er, seit es auf Kiel gelegt wurde; der eigene Vater hat es mit erbaut. Später fuhr Jensen selbst zur See, wenn auch nie auf der „Pamir“. Und jetzt wird’s mystisch: In den 1960er Jahren soll Jensen als Kapitän eines Segelschoners in die Südsee gereist sein – und ward nie wieder gesehen. Glücklicherweise hatte er sein Buch über die „Pamir“ bereits verfasst; das Manuskript erhielt der |Europa|-Verlag aus Jensens Hamburger Nachlass und veröffentlichte 2002 dieses Buch, das nun auch bei |Bastei Lübbe| erschien. Tja …

Allende, Isabel – Zorro

Eigentlich war ich bisher der Meinung, Zorro habe es schon immer gegeben. So wie Robin Hood beispielsweise. Stattdessen ist der Rächer mit der Maske noch nicht einmal hundert Jahre alt und stammt aus der Feder des findigen Amerikaners Johnston McCulley, der seiner Figur in einer stattlichen Anzahl |Dime Novels| zu erstem Ruhm verhalf. Ältere Semester erinnern sich vielleicht an diverse Filme und Serien, doch für mich beginnt der Kult um Zorro mit George Hamilton und seinen quietschbunten Zorro-Kostümen. Und auch Antonio Banderas‘ Darstellung des Rächers kann diesen ersten Eindruck nicht wirklich überschatten.

Wie gerade Isabel Allende an einen Stoff wie Zorro gelangt ist, wird wohl bei vielen ihrer Fans für Verwunderung gesorgt haben. Doch natürlich gibt es dazu eine Legende: Man erzählt sich, dass eines Tages fünf Leute vor ihrer Tür standen, die die Rechte an der Figur des [Zorro]http://de.wikipedia.org/wiki/Zorro besaßen und Allende anboten, doch einen Roman über ihn zu schreiben. Allende lehnte ab, schließlich ist sie eine ernsthafte Autorin. Doch die fünf Leute ließen eine Kiste mit Material zurück, das schließlich das Interesse der Autorin weckte. Ganz passend dazu gibt es ab November auch einen neuen Zorro-Film mit oben erwähntem Antonio Banderas („Das Geisterhaus“ und „Von Liebe und Schatten“ wurden beide mit Antonio Banderas verfilmt) und da war es wohl um sie geschehen. In nur drei Monaten hat sie, während neben ihrem Computer zur Inspiration ein gerahmtes Bild von Antonio stand, „Zorro“ heruntergeschrieben. „Es ist sehr einfach zu schreiben, wenn man sich dabei Antonio Banderas vorstellt“, meint Allende. Scheinbar sollten sich viel mehr Autoren dessen Bild auf den Schreibtisch stellen …

Das befremdliche Gefühl beim Aufschlagen des Romans bleibt trotzdem und ich bin ziemlich überzeugt, dass ich an dem Buch etwas auszusetzen haben werde. Umso überraschender, dass ich die Lektüre durchaus genossen habe. Es muss meine heimliche Leidenschaft für wilde Plottwists, überlebensgroße Leidenschaften, bunte Panoramen und schillernde, plakative Charaktere sein, die sich beim Lesen breit machte. Darum sei vorneweg gesagt: „Zorro“ ist lange kein perfektes Buch und erst recht keine „echte“ Isabel Allende. Magischen Realismus sucht man vergebens, auch das zeitliche Panorama ist für ihre Verhältnisse stark zurückgenommen. Und doch macht der Roman Spaß. Wie könnte er auch nicht: Es gibt Männer mit schwarzen Umhängen, unglückliche Liebschaften, Piraten, wilde Duelle und das alles eingepackt in Allendes überbordende Erzähllust.

Doch fangen wir von vorn an, so macht das auch Isabel Allende. Ihr „Zorro“ ist eine Chronik der frühen Jahre. Wir erfahren einiges über seine Eltern, über die politische Situation in Kalifornien (da gab es nichts außer Indianern, Kühen und Missionaren, meint die Autorin in einem Interview), über seine Geburt und seine Erziehung. Wir könnten das überspringen, wäre es nicht gerade der Kernpunkt der Erzählung. Irgendwann während der Lektüre muss man akzeptieren, dass das Buch den Weg von Diega de la Vega, einem spanischen Adligen, zu Zorro dem Rächer beschreibt. Wir sehen also viel von Diego, aber viel weniger von Zorro.

Klein Diego wächst in Kalifornien im kultururellen Mischmasch von spanischen Einwanderern, Indianern und Missionaren auf. Zusammen mit seinem Milchbruder Bernardo, der verstummt ist, seit er den Mord an seiner Mutter mit ansehen musste, wird er als Jugendlicher nach Spanien an die Universität geschickt. Und dort geht die Geschichte dann so richtig los. Natürlich verliebt sich Diego prompt unsterblich in die unerreichbare Juliana, er lernt Fechten beim genialen Manuel Escalante, durch den er auch Kontakt zu einem Geheimbund bekommt, der (was auch sonst) für Gerechtigkeit eintritt. Und da ein würdiger Gegenspieler ebenfalls nicht fehlen darf, heftet sich der Spanier Rafael Moncada fortan an Diegos/Zorrors Fersen, da er dieselbe Frau begehrt. Im Übrigen erfährt man auch (falls man es noch nicht wusste), was „Zorro“ eigentlich bedeutet und wie Diego zu diesem Namen gekommen ist.

Kurzum: Die Handlung schreitet flott voran und ist reichlich actiongeladen. Es gibt Gefängnisausbrüche und Schwertkämpfe, Überfälle und wilde Fluchten durch ganz Spanien. Isabel Allende legt in ihrem Roman ein stolzes Tempo vor und das heißt für den Leser: Dranbleiben! Ein Manko hat der Roman allerdings: Seine Nebencharaktere sind fast durchweg sympathischer als seine Protagonisten. Da wäre zum Beispiel Don Diego (Zorro) selbst. Er sieht gut aus und hat perfekte Zähne (das erläutert uns Allende gleich mehrmals), dafür hat er abstehende Ohren (daher die Maske, die unbedingt die Ohren verdecken muss). Er ist eitel, bis zu einem gewissen Grade arrogant und etwas arg von sich eingenommen. Aus irgendeinem Grunde ist er in die langweilige und oberflächliche Juliana verliebt, an der ein durchschnittlicher Leser so überhaupt nichts Anziehendes finden kann. Ihre kauzige kleine Schwester Isabel allerdings, von Diego ständig übersehen, bleibt da schon eher im Gedächtnis: Sie schielt, hat eine wilde Mähne und lernt mit Diego fechten. Auch Bernardo, Diegos stummer Bruder, ist eine Figur, die beim Leser hängen bleibt. Das Gleiche gilt für Diegos Mutter Regina, eine zur westlichen Kultur bekehrte Indianerin. Warum Allendes Nebencharaktere solche prägnanten Persönlichkeiten sind, während Diego von Zeit zu Zeit einfach schrecklich unleidlich daherkommt, wird wohl das Geheimnis der Autorin bleiben. Vielleicht liegt es auch einfach am Kultstatus der Hauptfigur …

Allendes „Zorro“ ist also ein seltsames Werk. Auf der einen Seite lässt es einen großen Teil dessen vermissen, was ihre Bücher so speziell macht; nämlich den magischen Realismus. Auf der anderen Seite tobt sich Allende in gewohnter Manier in ihrer Geschichte aus: Sie schmückt ihre Schauplätze bunt aus und malt farbenfrohe Charaktere. Somit werden sowohl Neueinsteiger als auch Langzeitfans ihrer Romane gut mit „Zorro“ klarkommen. Und mal ehrlich, wer kann einem Mann ganz in Schwarz schon widerstehen?

Website zum Buch: http://www.allende-zorro.de/
Homepage der Autorin: http://www.isabelallende.com/

Franzen, Jonathan – Schweres Beben

Jonathan Franzen hat sich mit den [„Korrekturen“ 1233 einen Namen gemacht als großartiger Erzähler, der seine Leser auch in Büchern epischer Länge mit nur wenig Inhalt zu unterhalten und zu fesseln weiß. Seine Stärken liegen in einer scharfen Beobachtungsgabe und einem fantastischen Erzähl- und Formuliertalent, die zum Erfolg seines Bestsellerromans deutlich beigetragen haben. Aus verkaufsstrategischen Gründen ist es nur verständlich, dass nun auch Jonathan Franzens frühere Werke ins Deutsche übersetzt werden. „Schweres Beben“ wurde bereits im Jahre 1992 in den USA veröffentlicht und damit neun Jahre vor den „Korrekturen“, sodass man als Leser seine Erwartungen niedriger halten sollte. Allerdings ist dies nach der mehr als erfreulichen Lektüre der „Korrekturen“ nur schwer möglich …

_Erschütternd_

In Massachusetts bebt die Erde. Kaum ist Louis Holland in die Nähe seiner ungeliebten Schwester Eileen gezogen und kaum hat er sich mit seiner Stiefgroßmutter Rita Kernaghan verabredet, platzt dieses Date auch schon wieder, da Rita das einzige Opfer des kleinen Erdbebens geworden ist. Louis‘ Mutter Melanie erbt daraufhin große Aktienpakete des Chemiekonzerns Sweeting-Aldren im Wert von etwa 20 Millionen Dollar. Doch das Unternehmen gerät in die Schlagzeilen, als behauptet wird, dass Sweeting-Aldren seine schädlichen Abwässer nicht korrekt entsorgt. Mehrfach erschüttern kleine Beben die Stadt, manchmal sind die Beben so schwach, dass Louis sie gar nicht bemerkt.

Zufällig lernt der 23-jährige Louis die sieben Jahre ältere Seismologin Renée Seitchek kennen, die eine interessante Theorie hat. Bei einer umfassenden Literaturrecherche hat sie nämlich Hinweise darauf gefunden, dass das Chemie-Unternehmen über tiefe Bohrlöcher verfügt, über die eigentlich nach Erdöl gesucht werden sollte. Doch Renée glaubt nicht daran. Sie ist der Überzeugung, dass Sweeting-Aldren seine Abwässer in den Boden pumpt und dadurch diese Erdbeben hervorruft. In den 70er Jahren hatte es bereits eine erste Erdbebenwelle gegeben, die ganz plötzlich aufgehört hat.

Louis und Renée verlieben sich ineinander, doch als die beiden Louis‘ Sachen aus seiner Wohnung holen, damit er bei seiner neuen Freundin einziehen kann, steht plötzlich eine alte Bekannte vor der Tür. Überraschend taucht nämlich Lauren auf, in die Louis einst verliebt war. Geblendet von ihren optischen Reizen, mit denen die bereits 30-jährige Renée nicht mithalten kann, entscheidet sich Louis daher für Lauren. Renée versucht daraufhin auf eigene Faust, Sweeting-Aldren zu überführen und begibt sich damit in große Gefahr. Doch das Schlimmste steht der Gegend rund um Boston noch bevor, denn eine weitere (Natur-)Katastrophe wird die Erde erbeben lassen …

_Franzen goes Brockovich_

Während das erste Erdbeben zunächst noch völlig harmlos wirkt, zumal es so schwach ist, dass kaum jemand es wahrnimmt und es auch nur ein Todesopfer zu beklagen gibt (welches zufällig im angetrunkenen Zustand auf einem Barhocker gestanden und sich beim Sturz tödlich verletzt hat), so spitzen sich die Ereignisse schnell zu, als eine Folge von Erdbeben zu verzeichnen ist. Darüber hinaus scheint mehr hinter den Beben zu stecken als eine natürliche Ursache, denn Renée Seitchek kann anhand wissenschaftlicher Veröffentlichungen plausibel machen, dass Sweeting-Aldren seine schädlichen Abwässer in den Boden pumpt und dadurch die Erdbeben auslöst. Doch das Chemieunternehmen ist mächtig, und somit begibt Renée sich unwissentlich bald in Lebensgefahr.

Thematisch zieht sich die Aufdeckung eines großen Umweltskandals durch das ganze Buch und hält ein wenig die losen Handlungsfäden zusammen. Immer wieder entdeckt Renée neue Hinweise auf die dubiosen Machenschaften des Chemiekonzerns und immer wieder bebt die Erde und erinnert die Menschen an die drohende Gefahr. In Art einer Erin Brockovich versucht auch Renée Seitchek, andere Leute von ihrer zunächst abwegig klingenden Theorie zu überzeugen. Die Beweise sind dünn, dennoch verdichten sie sich im Laufe von Renées Nachforschungen.

Jonathan Franzen greift sich hier ein Thema heraus, das auch heute noch brandaktuell ist, da nach wie vor das Problem einer umweltgerechten Entsorgung von schädlichen Abwässern besteht. Unternehmen standen schon häufig unter dem Verdacht, heimlich ihren Müll so einfach wie möglich zu entsorgen. Welche Auswirkungen dies haben kann, zeigt Franzen in „Schweres Beben“ auf.

_Familiengeschichte_

Aber es geht um mehr: Die Umweltthematik taucht zwar immer wieder auf und hat dem Buch auch seinen Titel verliehen, doch wäre Jonathan Franzen nicht Jonathan Franzen, wenn er nicht auch die Geschichte einer auseinander brechenden Familie erzählen würde. In diesem Falle erfahren wir die Geschichte der Familie Holland, die nach dem ersten kleinen Beben einen unerwarteten Geldsegen zu verkraften hat. Während das Erbe den Marihuana-rauchenden Vater kaum interessiert, zerbricht Mutter Melanie fast an der Angst, das Geld wieder zu verlieren. Und während Eileen sich von ihrer nun reichen Mutter gleich eine teure Eigentumswohnung sponsern lässt, geht Louis wieder einmal leer aus. So weit ist dies für den männlichen Holland-Sprössling nichts Neues, denn Eileen kam noch nie mit ihrem eigenen Geld aus und bettelte schon immer (erfolgreich) ihre Mutter an. Aber dieses Mal kommen auch private Probleme hinzu, denn nach einer anfänglich glücklichen Liebelei mit Renée lässt Louis sich zu schnell von der hübschen Lauren den Kopf verdrehen. Auch beruflich läuft es für Louis alles andere als erfolgreich, denn seinen Job bei einem kleinen Radiosender hat er verloren, nachdem ein fanatischer Abtreibungsgegner den Sender gekauft hat. Louis’ Leben hat also ebenfalls schwere Beben zu verkraften, zeitgleich gehen sein Privat- und Berufsleben den Bach herunter und von seiner Familie kann er auch kaum Rückhalt erwarten. Wäre Louis zumindest an seiner privaten Misere nicht selbst schuld, könnte er einem fast leidtun.

Anders als in den „Korrekturen“ setzt Franzen seinen Schwerpunkt ganz klar auf die Vorstellung nur eines Protagonisten, nämlich die von Louis Holland, über den Rest seiner Familie lesen wir nur ganz nebenbei etwas. Neben Louis erhalten auch Renée Seitchek und ihr Kollege Howard Chun eine ausführliche Präsentation, doch während Renée im Laufe des Romans eine wesentliche Rolle spielt, bleibt Howard immer nur im Hintergrund und ist für die Handlung nicht wirklich wichtig. Warum Franzen sich also viel Zeit nimmt, um auch Howard darzustellen, ist mir nicht klar geworden.

_Thematische Überfrachtung_

Jonathan Franzen scheint ein Faible für lange Romane zu haben, „Schweres Beben“ füllt in der deutschen Übersetzung ganze 685 Seiten und ist voll gepackt mit Informationen über die handelnden Personen, die Spekulationen über mögliche Umweltsünder, über Episoden, die die Handlung ausschmücken und auch bestückt mit allerhand Beiwerk. Die Geschichte wirkt etwas zusammenhanglos. An einer Stelle braucht Franzen einen etwa 50-seitigen Exkurs, bei dem er sogar einen Schlenker über die Geschichte der Indianer macht, um Louis zu erklären, welche familiären Verwicklungen die Familie Holland mit dem Chemiekonzern aufzuweisen hat. Oft entsteht der Eindruck, dass Franzen nicht genug zu sagen hat, als dass es 685 Seiten spannend füllen könnte. Während er sein Meisterwerk mit liebevoller Figurenzeichnung ausgestattet hat, die gerne eien solchen Umfang einnehmen konnte, schafft er es nicht, uns die Familie Holland so zu präsentieren, dass sie uns ans Herz wachsen könnte. Familie Lambert war einfach etwas Besonderes, wir haben sie lieb gewonnen, weil sie eigen und ein wenig chaotisch, aber doch so normal war. An Familie Holland ist kaum etwas normal, auch werden einem die Menschen kaum sympathisch, da sie immer wieder von einem Unglück ins nächste geraten und sich dies meist selbst eingebrockt haben.

Kurz: Der Funke mag nicht so recht überspringen. Der Leser wird nicht recht warm mit dem Buch und auch die Figuren erscheinen uns teilweise sehr nervig (wie Lauren) oder unentschlossen (wie Louis). Besonders Louis‘ Verhalten bleibt meist nicht nachvollziehbar, er dreht sich wie die Fahne im Wind und scheint gar nicht zu wissen, was er eigentlich möchte. Zwar ist er erst 23, dennoch würde ich einem selbstständigen jungen Mann in diesem Alter doch etwas mehr Entschlossenheit zutrauen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Franzen oftmals unangekündigt in der Zeit hin- und herspringt. Wir bleiben über lange Strecken stets bei Louis Holland und begleiten ihn überall hin, allerdings auch in seine gedanklichen Ausflüge in die eigene Vergangenheit. So ist es eine echte Herausforderung für den Leser, an jeder Stelle den Überblick zu behalten über die Zeit, in der die momentane Handlung spielt.

_Wortgewandt_

Während Franzen leider keine so mitreißende (Familien-)Geschichte zu erzählen hat, wie ich es mir erhofft hatte, so punktet er deutlich im sprachlichen Bereich. Schon 1992 in seinem zweiten Roman beweist Franzen, dass er mit Sprache umgehen kann. Lange Schachtelsätze, die sich teilweise über ganze Absätze ziehen, sind keine Seltenheit, doch sind sie stets so formuliert, dass man beim Lesen nie den Überblick verliert. „Schweres Beben“ ist wunderbar zu lesen und macht auf sprachlicher Ebene auch einfach Spaß.

An einigen Stellen zeigt Franzen auch hier, dass er den geübten Blick für Kleinigkeiten hat. So beobachtet er oftmals Dinge, die den meisten Menschen gar nicht auffallen würden. Diese Eigenart hat die „Korrekturen“ zu etwas Besonderem gemacht, im vorliegenden Buch ist davon leider noch zu wenig zu spüren. Man merkt einfach, dass Jonathan Franzen erst eine Entwicklung durchmachen musste, bevor er zu solch überzeugendem Erzähltalent gelangen konnte, wie er es in seinem Bestseller bewiesen hat.

_Warten auf einen neuen Franzen_

„Schweres Beben“ kann praktisch nur enttäuschen, will man es doch mit seinem Nachfolgeroman vergleichen. So ungerecht der Vergleich mit einem so viel jüngeren Buch auch ist, so gerechtfertigt erscheint er doch angesichts der Begeisterung, die die „Korrekturen“ ausgelöst haben. Das vorliegende Buch zeigt in Ansätzen, wo Jonathan Franzens Stärken liegen. Natürlich steht auch hier eine kuriose Familiengeschichte im Mittelpunkt des Geschehens, wobei die Handlung zusammengehalten wird durch den vermuteten Umweltskandal der Firma Sweeting-Aldren. Thematisch hat Franzen sein Buch etwas überfrachtet, oftmals schweift er in seiner Erzählung ab und verlangt von seinen Lesern dadurch einen langen Atem. Inhaltlich ist „Schweres Beben“ durchaus interessant und auch hochaktuell, dennoch weiß das Buch nicht mitzureißen. Für die 685 Seiten sind Ausdauer und Durchhaltevermögen erforderlich. Auch wenn „Schweres Beben“ sicherlich nicht schlecht ist, gehört es nicht zu den Büchern, die man unbedingt gelesen haben muss.

Fleming, Ian – James Bond: Casino Royale

_Das geschieht:_

Royale-les-Eaux war einst ein mondäner Ferienort an der französischen Kanalküste. Jetzt – d. h. Anfang der 1950er Jahre – ist nur noch das Casino einen Besuch wert. Viel Geld wechselt hier ohne besonderes Aufsehen den Besitzer: Dies ist ein Umfeld, nach dem Le Chiffre gesucht hat. Der hinterhältige Meisterspion der Sowjets hat sich mit einigen Nebenbei-Geschäften verspekuliert und dabei Geld aus der Portokasse genommen; sehr viel Geld, um genau zu sein, was für Le Chiffre ein Problem ist. Der russische Geheimdienst bringt sehr wenig Verständnis für solche Eskapaden auf und wird ihm womöglich die Terror-Truppe „Smersch“ auf den Hals hetzen, die vom Kurs abgekommene Kommunistenspitzel sehr rüde zu behandeln pflegt.

In seiner Not beschließt Le Chiffre, ein Vermögen am Spieltisch zu gewinnen. Auf diese Situation hat der britische Secret Service lange gewartet. Le Chiffre soll ruiniert und als Agent außer Gefecht gesetzt werden. Der richtige Mann dafür ist James Bond, dessen Kennziffer „007“ dem Eingeweihten verrät, dass dieser ungewöhnliche Staatsbeamte die Lizenz zum Töten besitzt. Das war bisher zweimal nötig, und auch sonst ist mit diesem Bond nicht gut Kirschen essen, denn er liebt seinen Job und hasst die Roten.

Umgehend macht sich 007 auf nach Royale. Dort trifft er die ihm zugewiesene Kontaktfrau Vesper Lynd, die recht unprofessionell wirkt aber immerhin ausgesprochen ansehnlich ist. Doch erst die Arbeit, dann das Vergnügen, so Bonds strenge Regel. In einem nervenaufreibenden Bakkarat-Duell mit Le Chiffre obsiegt Bond. Der Triumph lässt ihn unvorsichtig werden. Le Chiffres Schergen kidnappen Vesper und locken 007 in eine Falle. Sein Widersacher foltert ihn auf brutalste Weise, um sein Geld zu erpressen.

Aber Le Chiffre hat die Rechnung ohne den Smersch-Wirt gemacht, und Bond kommt an Leib und Seele schwer gezeichnet frei. Allerdings freut er sich zu früh, denn seine eigentliche Prüfung erwartet ihn noch …

_Hitzkopf für den Kalten Krieg_

„Casino Royale“ ist ein rasanter, lakonischer, gewalttätiger Thriller, der noch heute die Aufregung spüren lässt, die er 1953 bei denen hinterließ, die ihn unvorbereitet lasen. (Allerdings lag die Erstauflage bei gerade 4.750 Exemplaren.) Für die betulichen Fans von Edgar Wallace oder Agatha Christie muss damals das Ende der Welt nahe gewesen sein. Aber auch die Schnüffler vom Schlage eines Philip Marlowe oder Lew Archer sahen alt aus gegen James Bond, den Agenten des Secret Service, der finanziell und ausrüstungstechnisch üppig ausgestattet gegen die Feinde der westlichen Zivilisation zu Felde zog.

Dem ‚heißen‘ II. Weltkrieg folgte ab 1945 ein ‚kalter‘ Krieg der beiden Supermächte USA und UdSSR. Er wurde heimlich aber erbittert ausgefochten. Das Verbrechen gewann eine neue, politische Dimension: Nicht Raub oder Mord aus Gier oder Rache waren die Motive im „Großen Spiel“ der Regierungen. Die (angeblich) legitime Abwehr und Schwächung heimtückischer Feinde des jeweiligen Systems standen im Vordergrund. Menschen und Opfer wurden zu Spielfiguren und Zahlen. Unsicherheit bestimmte das Zwielicht hinter den Kulissen. Wer war Freund, wer Feind? Galten diese Klassifizierungen überhaupt noch?

Natürlich bot die Welt der Geheimdienste nur eine grobe Schablone, vor der Ian Fleming 1953 James Bond 007 agieren ließ. Zwar konnte der Verfasser (s. u.) auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, die er jedoch aufs Spektakuläre zuspitzen musste: Auch Agentenarbeit ist primär langweilige Routine. Als Schriftsteller war Fleming zudem Neuling. Das merkt man einer Geschichte an, die deutlich in drei Teile zerfällt: Bonds Vorbereitungen zum grandiosen Kartenspiel-Gefecht mit Le Chiffre im Casino Royale (sehr gelungen), die anschließende Gefangennahme, Folter und Rettung von Bond (unbehaglich intensiv) sowie schließlich der tragisch gemeinte aber recht missglückte, weil an einen bereits abgeschlossenen Spannungsbogen anknüpfen wollende Epilog vom großen Verrat der Vesper Lynd.

|Aller Anfang ist (erstaunlich) zäh|

Für Bond-verwöhnte Kinobesucher geschieht erstaunlich wenig in diesem Roman. Es gibt eine Bombenattacke, eine Autoverfolgungsjagd und eine ausgiebige Folterszene. Das war’s an Action. Raffinierte Agententechnik aus dem Hause Q glänzt durch Abwesenheit. Bond fährt einen Bentley Baujahr 1933 und benutzt eine Beretta Kaliber 25. (Später informierte ein Waffenexperte Fleming, dass diese als Damenpistole galt. Danach wechselte 007 schleunigst zur Walther PPK.)

Was „Casino Royale“ (neben nostalgischen Gründen) immer noch lesbar macht, ist Flemings offensichtliches Bemühen, dem Getümmel eine dritte Dimension zu verleihen. Auffällig sind die ausführlichen Beschreibungen von Kleidern, Speisen, Möbeln usw. Ian Fleming verstand sich als Mann mit Stil, und das gab er an seinen James Bond weiter. Diesen sah er darüber hinaus als Muster für den Menschen der Gegenwart und deshalb rasch und notgedrungen rücksichtslos im Denken und Handeln.

Vergessen ist spätestens seit der Ära des 007-Clowns Roger Moore, dass James Bond ein Produkt des II. Weltkriegs ist. Fleming geht mehrfach auf dessen prägende Kriegserlebnisse ein. (Dies brachte ihn später in Schwierigkeiten, da er Bond zunächst ’normal‘ und dann langsamer altern ließ, bis dieser eigentlich bereits als Schuljunge ins Feld gezogen sein musste, wenn man nachrechnete.) Auch deshalb ist der 007 aus „Casino Royale“ uns heute recht fremd.

|Das Bond-Universum in seiner Steinzeit|

Ian Flemings James Bond war lange ein vom Kino-007 völlig konträre Figur. Die beiden ersten Filme („James Bond jagt Dr. No“, 1961, und „Liebesgrüße aus Moskau“, 1963) mit Sean Connery kamen dem eiskalten, beinahe fanatisch auf sein Ziel fixierten und dabei buchstäblich über Leichen gehenden Bond aus „Casino Royale“ nahe.

Selbst Fleming milderte die schroffe Persönlichkeit seines Helden rasch ab; der spätere James Bond ist nicht milder im Handeln aber psychisch stabiler. Er wird weniger deutlich von gar zu offensichtlichen Selbstzweifeln und unterdrückten Emotionen bestimmt, die er hinter der Maske des 007 zu verbergen trachtet. Erst 2006 trat im „Casino-Royale“-Film – der gleichzeitig zum Reboot der 007-Saga wurde – dieser Aspekt wieder stärker in den Vordergrund.

Bonds Frauenbild ist ein unverfälschtes Spiegelbild seiner Zeit. Er lehnt weibliche Agenten ab, weil sie seiner Meinung nach niemals dieselbe Konsequenz wie ein Mann aufbringen können. Prompt versagt Vesper Lynd, und Bond flucht sie in die Rolle der Ehefrau und Mutter zurück. Schlafen will er aber unbedingt mit ihr, das steht auf seiner Liste – sobald er den Job erledigt hat: Diesen Bond kennen wir gut.

Allerdings verliebt sich 007 später in Vesper und macht ihr einen ernstgemeinten Heiratsantrag. Sogar aus dem Agentengeschäft will er sich zurückziehen. Aber Vesper ist eine Doppelagentin und die Welt schlecht. Damit sie nicht zu allem Überfluss rot wird, macht es in Bonds Hirn „Klick“. |“Das Biest [= Vesper] ist tot“|, wird nach London gemeldet, und dann wirft sich 007 wieder in den Kampf mit dem Reich des Bösen.

|Die Schöne und das Biest|

Vesper Lynd ist paradoxerweise emanzipierter als eigentlich alle Kino-Bond-Girls bis in die Gegenwart. Sie wirft sich weder bereitwillig in 007s starke Arme, noch wälzt sie sich (zuschauerfrei ab 12 Jahre) mit ihm auf einem Eisbärenfell. Ihre Vergangenheit ist tragisch, ihr Schuldgefühl echt, ihr Ende rührt, selbst wenn dieser Effekt von Fleming vor allem konstruiert wurde, um Bond noch einmal als harten Kerl dastehen zu lassen.

Le Chiffre ist bereits der erste der überlebensgroßen Bösewichter, die später typisch für den Bond-Kosmos wurden. Noch greift er nicht nach der Weltherrschaft, sondern ist mehr oder weniger Handlanger der (realen) Sowjetmacht. Aber in seinem Folterkeller legt er bereits die Bond-typische Mischung aus Sadismus und Größenwahn an den Tag. Sein Ende ist schrecklich gewöhnlich – ein Fehler, den Fleming und vor allem die Kinofilme später vermeiden werden.

Überhaupt hat Fleming den Löwenanteil seiner Fehler bereits in diesem ersten Bond-Roman begangen. Er lernte schnell und besserte nach, was er zu Recht negativ kritisiert fand. Schon „Live and Let Die“ (dt. „Leben und sterben lassen“), dem 1955 erschienenen zweiten Bond-Thriller, hatte das Zeug zum echten Klassiker.

_Autor_

Ian Fleming (1908-1964) blickte im „Casino Royale“-Jahr 1953 auf eine inspirierend abenteuerliche Vergangenheit zurück. Er war ein typisches Oberschicht-Gewächs des spätimperialistischen Großbritannien mit erstklassiger Schulbildung (Eton) und der sprichwörtlichen „steifen Oberlippe“. Im II. Weltkrieg lernte Fleming als Mitarbeiter des Marine-Geheimdienstes die geheimnisvolle Halbwelt kennen, die er später so effektvoll zu dramatisieren wusste. Einige wagemutige Kommandounternehmen im Mittelmeer werden ihm zugeschrieben. Den Globus hatte Fleming schon vor dem Krieg als Journalist (u. a. in Moskau) bereist, was er nach 1945 als Auslandskorrespondent der „Sunday Times“ fortsetzte. Er zog die Sonne dem englischen Regen vor und ließ sich an der Nordküste der damals noch britischen Inselkolonie Jamaica nieder.

1951 erschütterte der Cambridge-Skandal das Empire: Zwei hochrangige britische Diplomaten entpuppten sich als langjährige Spione im Dienst der UdSSR. Niemand hatte damit gerechnet, dass sich zwei „old boys“ dafür hergeben würden. Aber im Krieg der Spione gibt es weder Ehre noch Moral. Diese Erkenntnis beeindruckte Ian Fleming tief. Er hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, einen Roman zu schreiben und nun seinen Aufhänger gefunden. Im James Bond aus „Casino Royale“ hallt der Schock über den Verlust traditioneller Werte und die daraus resultierenden Unsicherheiten deutlich wider.

Den Namen „James Bond“ entlieh Fleming einem gleichnamigen Vogelkundler, der die gefiederten Bewohner der westindischen Inselwelt erforschte. Eine kluge Wahl, denn wer könnte – sehr ratsam für einen guten Spion – unauffälliger wirken als ein solcher Zeitgenosse?

Der eigentliche Erfolg des Schriftstellers Ian Fleming kam nur allmählich, der Quantensprung zum Superseller gelang erst in den 1960er Jahren, als der Kino-Bond zum modernen Mythos wurde. Damit hatte Fleming nur noch mittelbar zu tun. Er war gern gesehener Gast am Drehort und kassierte gutes Geld für seine Figur, die er in insgesamt zwölf Thrillern und zwei Kurzgeschichten-Sammlungen mehr oder weniger aufregende Abenteuer erleben ließ, wobei er (zum Unwillen der Leserschaft) durchaus mit seinem Helden experimentierte.

Nach 1960 begann Flemings Gesundheit zu verfallen. Er weigerte sich, seinen Lebensstil zu ändern, d. h. seiner Herzkrankheit entsprechend zu leben. Folgerichtig erlag er – immerhin stilvoll – auf dem Royal St. George’s Sandwich-Golfplatz in Kent am 12. August 1964 einem Herzinfarkt.

|Anmerkung|

„Casino Royale“ ist der erste der James Bond-Romane, die der Cross-Cult-Verlag anlässlich des 50. ‚Geburtstags‘ des Kino-Helden 007 neu übersetzt, ungekürzt und mit sehr schönen ‚Retro‘-Titelbilder herausbringt: eine gute Gelegenheit, den „Ur-007“ neu oder womöglich zum ersten Mal kennenzulernen.

|Taschenbuch: 240 Seiten
Originaltitel: Casino Royale (London : Jonathan Cape 1953)
Übersetzung: Stephanie Pannen/Anika Klüver
ISBN-13: 978-3-86425-070-5|
[Verlagshomepage]http://www.cross-cult.de

(Michael Drewniok)

Pfanner, Thomas – T 73: Das KrogiTec-Komplott

In seinem neuen Buch „T 73: Das KrogiTec-Komplott“ zeichnet Thomas Pfanner die gar nicht mal so unrealistische Zukunftsversion einer Welt, die von einer Handvoll globalisierter Mega-Konzerne beherrscht wird, und in der die Werte des einzelnen Menschen vollständig unter den Tisch gekehrt werden. Idealismus und Demokratie sind dieser Welt fern, auch wenn einige wenige sich immer noch für die scheinbar veralteten Normen einsetzen: Gegen das allmächtige Herrscher-Monpol sind die Bewohner machtlos und fügen sich dementsprechend dem ungerechten System, ohne sich dabei irgendwie aufzuraffen, um den illegalen Machenschaften Paroli zu bieten.

Man könnte das Buch jetzt entfernt eine politische Satire nennen, denn die einzelnen Extreme werden von Pfanner schon mit einem Schmunzeln im Hintergrund dargestellt, aber wenn man mal ehrlich ist, dann kann man gar nicht verleugnen, dass trotz so mancher überspitzter Versinnbildlichung ein kleines Fünkchen Realismus mit in die Geschichte einfließt und die Entwicklung im Zuge der Globalisierung mit einigen Vorstellungen, die in diesem Roman beschrieben werden, durchaus konform geht. Davon mal abgesehen, ist „T 73: Das KrogiTec-Komplott“ aber auch eine kurze und spannende Unterhaltungsbroschüre, die einen gedanklich mal wieder wachrüttelt …

_Story:_

Die Welt in zwanzig Jahren: Einige wenige globalisierte Mega-Konzerne vereinigen alle denkbaren illegalen und legalen Geschäfte auf sich, opfern Wohlstand, Gesundheit und Sicherheit der Menschheit ihrem Profitstreben unter und entmachten die staatlichen Behörden. Diesen bleibt nur noch die Möglichkeit, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben – und dieser heißt in diesem Falle T 73, eine von der UNO beauftragte Firma, die mit ähnlich skrupellosen Mitteln wie die aktuellen Machthaber gegen die Konzerne vorgeht und die Zivilisation wieder retten soll. Dort arbeiten auch so zwielichtige Gestalten wie Drusus Uslar und Saskia Johimbe, gefühlskalte Atheisten und unberechenbare Killer, die unter den Konzernen Angst und Schrecken verbreiten. Während der Erste einfach nur durch seinen generellen Menschenhass abschreckt, ist sein weibliches Pendant vor allem bei der Art der Verbrechen im Sinne der Gerechtigkeit unglaublich brutal. Selbst beim Liebesspiel mit einem ihrer Feinde vergisst sie jegliche Moral und bringt ihren zeitweiligen Gefährten um.

Dies ist auch dem Führer des Mega-Konzerns KrogiTec bekannt, der seinerseits versucht, die Konkurrenz auszubooten und die Weltherrschaft an sich zu reißen. Dazu hat er sich mehrere Mittel ausgesucht: Zunächst erfindet (!) er einen Wissenschaftler, dann geht er ein Bündnis mit den übelsten Terroristen ein, und schließlich kümmert er sich um die Ausradierung von T 73. Aber die Sache ist nicht so einfach, wie der Mann sich das vorstellt …

Deutschland in Endzeitstimmung, mit dieser symbolischen Darstellung erzielt Thomas Pfanner in diesem Buch eine wirklich abschreckende Wirkung. Das vorgelegte Erzähltempo – Pfanner geht von Anfang an aufs Ganze – unterstützt diese bedrohliche Atmosphäre, die sich durch den gesamten Roman zieht, und spiegelt auch die sehr direkte und unverfälschte Erzählweise des Autors wider. Hier wird schonungslos aufgedeckt und erklärt, und irgendwie gelingt es Pfanner auch immer wieder, für diesen oder jenen Missstand eine angebrachte Erklärung zu finden und herzuleiten, was wann wo schief gelaufen ist.

„T 73: Das KrogiTec-Komplott“ ist zweifellos ein starkes Stück Gesellschaftskritik, gefüllt mit einer Menge Sarkasmus und inszeniert in einem radikalen Rundumschlag, bei dem jede Organisation und Volksgruppierung ihr Fett weg bekommt, seien es nun Politiker, Gangster oder doch die im Mittelpunkt der Anklage stehenden Konzerne. Teilweise wird Pfanner bei seinen Darstellungen auch richtig bösartig, schießt aber nie über das Ziel hinaus, sondern bedient sich lediglich seiner arg zynischen Stilelemente, mit denen er das Buch auf jeder der 218 Seiten schmückt. Geschrieben und erzählt ist die Geschichte dementsprechend auch sehr originell, denn hier wird nicht einfach nur plump gegen jeden, der Angriffsfläche bietet, geschossen. Der Autor hat die Sache sehr intelligent verpackt und bietet trotz der oberflächlich erscheinenden Storyline eine Menge Tiefgang zwischen den Zeilen.

Schade finde ich nur, dass er sich diese Besonderheit durch die arg zweifelhafte Umgangsweise der beiden Hauptcharaktere miteinander zerstört. Wie in einem schlechten Krimi machen sich die beiden Ermittler immer wieder von der Seite an und entwickeln dabei eine Hassliebe, ohne die ihre Zusammenarbeit aber auch nicht funktionieren würde. Im Grunde genommen ist die Idee ja gar nicht so schlecht, die Umsetzung in Form von einigen gegeneinander ausgeteilten Breitseiten aber eher mangelhaft und der einzige Schwachpunkt des Buches.

Ansonsten gibt es aber nichts auszusetzen: eine Welt, in der Verbrechen von Verbrechern bekämpft wird, illegale Machenschaften durch Morde gerade gerückt werden und kein Teil der Gesellschaft sich mehr sicher fühlen kann, all das beschreibt Thomas Pfanner in diesem Buch – und spannt den Bogen beim überraschenden Ende bis zur Schöpfungsgeschichte; aber hierzu möchte ich jetzt nicht mehr verraten. Besorgt euch dieses Buch, es lohnt sich, auch wenn das Cover eher schlicht und uninteressant wirkt!

Heilemann, Wolfgang ‚Bubi‘ / Thomas, Sabine – Alice Cooper. Live on Tour – Backstage – Private: Photos 1973-1975

Um die Phrasen gleich zu Beginn zu verbraten: |Alice Cooper| sind die Urväter des Schock-Rock. Seit über 35 Jahren veröffentlicht die Gruppe nun schon Platten, deren Bandleader und Sänger (bürgerlich Vincent Damon Furnier) sich praktischerweise auch gleich Alice Cooper nennt.

Wolfgang „Bubi“ Heilemann, der in den 70er Jahren als Fotograf der „Bravo“ (die Jugendzeitschrift mit dem Papstposter hinter der Aufklärungsseite) Alice Cooper und andere Stars ablichtete, hat einen Bildband mit Fotos der Band und ihres Frontmanns vor und hinter der Bühne aus der Zeit von Ende 1972 bis 1975 herausgebracht. Etliche teilweise ganzseitige Bilder zeigen Band und Frontmann auf der Bühne bei ihren berühmt-berüchtigten Horror-Shows, bei Partys und Presseterminen, auf Reisen und hinter der Bühne beim Kartenspielen. Zwischen den Bildseiten sind einige kurze Texte (Deutsch und Englisch) eingestreut, in denen Heilemann Erinnerungen und Anekdoten aus jener Zeit zum Besten gibt. Alice Cooper hatten sich zu dieser Zeit schon mit ihren Hits ‚I’m Eighteen‘ und ‚School’s Out‘ einen Namen gemacht. In den Jahren, die dieser Bildband begleitet, erschienen ihre Erfolgsalben „School’s Out“ (1972), „Billion Dollar Babies“ (1973), „Muscle Of Love“ (1974) und – Bandchef Cooper hatte die Besetzung inzwischen komplett ausgetauscht – „Welcome To My Nightmare“ (1975). Und zu fast jedem Album gab es eine große Tournee mit den bekannten grellen Schockeffekten.

Die meisten Fotos zeigen die Band auf der Bühne: Alice Cooper mit der schwarz-weißen Schminke, bewaffnet mit Äxten und Säbeln, im Kampf mit Spinnen, Monstern und Schaufensterpuppen, die Boa Constrictor um den Hals, und natürlich unter der Guillotine. Am Ende der Konzerte inszenierte der Sänger immer seinen eigenen Tod am Strick oder unter dem Fallbeil (alle anderen waren dann schon tot). Die grellsten Geschmacklosigkeiten – bei Cooper-Gigs fielen auch schon mal Konzertbesucher in Ohnmacht – wurden aber ausgespart. Andere Bilder zeigen einen flachsenden Alice Cooper – den Mann, nicht die Band – auf dem Flughafen, im Gespräch mit dem Schlagersänger Udo Jürgens oder auf einer Party zusammen mit dem berühmten spanischen Maler Salvador Dalí. Cooper und Dalí waren Fans des jeweils anderen. Dalí hat von Cooper ein Bild mit dem Titel „Geopoliticus Child“ gemalt und den abgeschlagenen Kopf für die Enthauptungen bei den Shows entworfen! Abseits des Rummels erscheint der Bandleader als netter, sympathischer Kerl, der stets ein Grinsen auf dem Gesicht hat und den man sich kaum als Schock-Rocker vorstellen kann. Auf anderen Fotos aber sieht man ihn müde und geschafft; die ständig präsenten Bierdosen deuten ein Problem an, mit dem Cooper in den darauf folgenden Jahren schwer zu kämpfen hatte.

Bei einigen Fotos hätte man sich erläuternde Bildunterschriften gewünscht. Und für den Anhang hätten Autor und Verlag noch etwas Papier und eine kurze Recherche springen lassen können, damit unter dem Stichwort Diskografie nicht nur ein Best-of-Album genannt werden muss. Aber von diesen kleinen Mankos abgesehen, liegt hier ein edler großformatiger Bildband vor, der Alice Cooper in der klassischen Erfolgsphase der Band bei ihren heute noch legendären Tourneen zeigt. Alice Cooper-Fans werden ohnehin zuschlagen, aber auch für jeden, der sich für die wilden 70er, in denen es abseits der Schubladen originelle und individualistische Gruppen gab, interessiert, dürfte dieser Band das Richtige zum Lesen und Anschauen sein.

Dieses Buch ist Teil einer Serie von Bildbänden mit Fotos aus Heilemanns Archiv, in der schon Ausgaben u. a. über ABBA und [AC/DC 741 erschienen sind und die noch fortgesetzt werden soll.

Mehr Infos zum Buch gibt es unter http://www.schwarzkopf-schwarzkopf.de/toptitel/alicecooper.html.

Dewitz, Bodo von / Johnson, Brooks (Hgg.) – Shooting Stalin – Die \’wunderbaren Jahre\‘ des Fotografen James Abbe (1883-1973)

Es klingt fast wie ein Märchen: Ein schmächtiger, kleiner Mann aus Virginia, dem schon in seinen Zwanzigern alle Haare ausgefallen sind, reist mit seiner Kamera durch die ganze Welt, ist per Du mit den größten Film- und Theaterstars seiner Zeit, gern gesehener Gast an den Tafeln mächtiger Finanzmagnaten, Fotograf der wichtigsten Politiker, Potentaten & Diktatoren einschließlich Adolf Hitler und Josef Stalin. Gleichzeitig bricht er immer wieder aus dem Luxusleben eines etablierten Ablichters aus, vagabundiert durch gefährliche und unerfreuliche Regionen des Erdballs: die Elendsviertel des nur scheinbar glorreichen Sowjetreiches, die Schlachtfelder diverser Bürgerkriege, das Deutschland der frühen Nazi-Jahre.

Seit James Abbe (1883-1973) im Jahre 1903 einen Auftrag abgelehnt hatte, der sich als Möglichkeit der fotografische Dokumentation des ersten Motorflugs durch die Brüder Wright entpuppte, hörte er nie wieder auf die Stimme der Vernunft, sondern machte sich auf den Weg, wenn sich die Chance eines „Schusses“ bot, mit dem sonst niemand aufwarten konnte. Das Glück ist manchmal mit dem Tüchtigen; so begann Abbe seine lange Karriere 1898 mit Bildern des vor Anker liegenden US-Schlachtschiffs „Maine“, das kurze Zeit später im Hafen von Havanna in die Luft flog und zum Mitauslöser des Spanisch-Amerikanischen Kriegs wurde.

Schon bald wurde Virginia zu klein für den Mann mit der Kamera. Als Porträtist ließ er sich in New York nieder, verfeinerte in der täglichen Praxis sein beachtliches Talent, scheinbar lebensechte Aufnahmen zu inszenieren und mit Licht & Schatten besondere Akzente zu setzen. Es dauerte nicht lange, da wurde das noch junge Hollywood auf Abbe aufmerksam. In der Sturm-und-Drang-Zeit der Filmindustrie gelangen ihm Aufsehen erregende, zeitlose Bilder und Standaufnahmen der ganz großen Stars (Charles Chaplin, die Schwestern Gish, D. W. Griffiths u.v.a.), aber auch – Abbes Spezialität – Fotos der „kleinen“ Filmleute. Statisten, Beleuchter, Tänzerinnen.

Die Weltwirtschaftskrise von 1929 machte dem Spaß der „Roaring Twenties“ ein Ende, der Tonfilm trieb die Stars von Gestern ins Aus, moralinsaure Spießer und Tugendbolde übernahmen in Hollywood die Zügel. Doch James Abbe war schon weit weg in Europa, wo er den „Tanz auf dem Vulkan“ der Jahre vor dem II. Weltkrieg in Paris, London oder Berlin in meisterhaften Fotos festhielt, zu denen er – auch eine Besonderheit – die Artikel selbst schrieb. Als „Tramp-Fotograf“ reiste er den Ereignissen hinterher, wurde nicht nur wegen seiner Fotokunst, sondern auch wegen seiner Allgegenwärtigkeit ein gefragter Mann. Dabei hatte er nie Angst, sich die Finger schmutzig zu machen und sich in Gefahr zu begeben. So war er 1929 an den zahlreichen Fronten des Mexikanischen Bürgerkriegs zu finden, wo er praktisch als einziger Fotoreporter unter schwierigsten Bedingungen seinem Job nachging. Dies wiederholte er 1936 in Spanien.

James Abbe schien als „neutraler“ Amerikaner in Europa überall Zugang zu haben. In den frühen 1930er Jahren schloss das auch die nazideutschen Machthaber ein. Hitler, Göring, Goebbels: Von diesen und anderen Gewaltherrschern gelangen Abbe oft entlarvende Aufnahmen. Sein größter Coup gelang ihm 1932, als er einen angeblich kranken Stalin im Moskauer Kreml fotografieren durfte – ein unerhörtes Novum.

Noch vor dem II. Weltkrieg kehrte Abbe in die Vereinigten Staaten zurück. Als Auslandskorrespondent war er zu alt, deshalb wechselte er das Metier und ging zum Hörfunk, wo ihm mit der üblichen Energie eine neue Karriere gelang. In den 1960er Jahren ging Abbe in den Ruhestand. 1973 starb er neunzigjährig. Fotografiert hatte er seit über drei Jahrzehnten kaum noch.

Man sollte meinen, dass ein Mann mit Abbes Meriten zu den anerkannten Größen seines Metiers gehört. Tatsächlich ist sein Werk heute nur noch einer recht kleinen Schar einschlägiger Fotohistoriker bekannt. James Abbe ist nie ein Chronist seiner eigenen Arbeit gewesen, die über viele Länder verstreut und teilweise verloren ist. Erst ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod beginnt man ihn neu zu entdecken.

Vom 2. Oktober 2004 bis zum 9. Januar 2005 fand im Museum Ludwig Köln die Ausstellung „Shooting Stalin. Die ‚wunderbaren‘ Jahre des Fotografen James Abbe (1883-1973)/The ‚Wonderful‘ Years of Photographer James Abbe (1883-1973)“ statt. Deutschland ist ein durchaus angemessener Ort, das Werk eines Mannes zu würdigen, der als Amerikaner ein wichtiges Element auch der deutschen Pressegeschichte gewesen ist. Das hier vorgestellte Buch ist gleichzeitig der Katalog zu besagter Ausstellung. Er liegt zweisprachig vor; auf den Textseiten findet sich links die englische, rechts die deutsche Fassung.

Inhaltlich gliedert sich „Shooting Stalin“ in drei Abschnitte. Teil 1 berichtet kursorisch von Leben und Werk des James Abbe (S. 1-49). Es folgt eine lange Strecke mit exemplarischen Fotos aus den verschiedenen Schaffensphasen (S. 50-287). Vielen bekannten Bildern, die z. B. Rudolph Valentino, Gloria Swanson oder eben Stalin in Ikonen verwandelten, werden selten oder gar nicht gesehene Aufnahmen gegenüber gestellt. So war die Existenz der Abbeschen Fotos von Thomas Mann bisher unbekannt.

Die einzelnen Fotokapitel werden von Texten aus Abbes Feder eingeleitet und kommentiert. Da er die Angewohnheit hatte, auf den Rückseiten der Abzüge Orte, Daten und knappe Beschreibungen zu vermerken, ließen sich viele Bilder gut chronologisch und thematisch einordnen, was sie gleichzeitig zu historischen Quellen macht. Dass ihre Wiedergabequalität eindrucksvoll hoch ist, muss wohl nicht eigens angemerkt werden.

Teil 3 sammelt einige Aufsätze, die einzelne Aspekte des Menschen und Fotografen James Abbe zusätzlich aufhellen (S. 288-331). Brooke Johnson interpretiert unter dem Titel „Mach das Foto, hol die Geschichte“ Abbes Wirken als Teil der Entstehung des modernen Fotojournalismus. Sehr US-amerikanisch stilisiert er ihn dabei zum Selfmademan hoch, der für sich den „Amerikanischen Traum“ realisierte und gleichzeitig Geschichte schrieb. Da hat er Recht, aber vollständig wird das Abbe-Bild wohl nur unter Berücksichtigkeit der Tatsache, dass er viermal verheiratet war und drei Familien auf mehreren Kontinenten hatte – das war der Preis, den ein „Globetrotter-Fotograf“, primär jedoch seine Angehörigen zahlen mussten; Abbe zahlte ihn jedenfalls lieber als seine Gattinnen, Geliebten & Kinder.

Daniel Kothenschulte erinnert in „Der amüsante Teil der Erotik“ an „James Abbes Beitrag zur Hollywood-Porträtfotografie“. Der Fotograf war der richtige Mann zur richtigen Zeit am rechten Ort. Abbe nahm seinen Job sehr ernst, aber er hatte viel Sinn für Humor und war der Selbstironie fähig. Offensichtlich verfügte er über ein einnehmendes Wesen, gewann das Vertrauen seiner Modelle, brachte sie dazu, aus sich herauszugehen. Das Ergebnis sind erstaunliche, in jeder Hinsicht sinnliche Bilder aus einer Zeit, die man gemeinhin für zugeknöpft und allzu sittenstreng hält, wenn man die typischen, steif posierenden Gestalten im gestärkten Sonntagsstaat betrachtet. Wie Abbes Bilder beweisen, lebten in den 1920er und 1930er Jahren Menschen aus Fleisch und Blut. Plötzlich erscheinen vergangene Zeiten gar nicht mehr so fremd wie aus einem Geschichtsbuch.

Sehr interessant weil kritisch äußert sich Bodo von Dewitz im Kapitel „Was der Amerikaner sah. James Abbe in Deutschland“ zum Fotografen aus Leidenschaft. Er rundet das Bild ab, indem er Abbe als von seiner Arbeit besessen und deshalb angstlos, unbekümmert aber durchaus eitel und vor allem stets in Gefahr, instrumentalisiert zu werden bzw. sich instrumentalisieren zu lassen, schildert: James Abbe war sowohl Künstler als auch Geschäftsmann. Er ließ sich seine Arbeit sehr gut bezahlen. Der moralische Aspekt interessierte ihn weniger. So wusste er genau, dass Stalin ihm keine Gunst gewährte, als er gerade ihn zur Fotoaudienz vorließ, sondern den Amerikaner als Mittel zum Zweck wählte, vor dessen Linse er sich als kraftvoller Staatsmann inszenierte. Wie sehr sich dies der Manipulation nähert, belegen eindrucksvoll die Kontaktkopien eines Fototermins mit Joseph Goebbels (S. 250), die Abbes Fähigkeit beweisen, wie ein Bildhauer aus einem unsympathischen, misstrauischen Finsterling einen durchgeistigten aber tatkräftigen Mann zu „erschaffen“. Zufrieden waren beide – der wie durch ein Wunder medienwirksam geschönte Goebbels wie Abbe, der wieder für gutes Geld einen Machtmenschen „geschossen“ hatte. Sicherlich auch deshalb sehen wir die ‚wunderbaren Jahre‘ des Untertitels in Anführungsstriche gesetzt.

Abgeschlossen wird „Shooting Stalin“ durch ein ausführliches Verzeichnis der abgebildeten Fotos, denen die ursprünglichen Pressetexte angefügt wurden (S. 332-348), ein „Kleines Lexikon der fotografierten Personen (Auswahl)“ (S. 348-356) sowie eine Bibliografie samt Literaturliste (357/58).

„Shooting Stalin“ ist kein preisgünstiges Buch. Dieses Mal trifft der alte Spruch indes zu: Qualität hat ihren Preis. James Abbes Fotos erfahren auf feinem Kunstdruckpapier und großformatig die Behandlung, die ihnen zusteht. Man schaut und ist fasziniert. Dieses Gefühl bleibt auch im Wissen um die Schattenseite der Abbeschen Fotokunst unbeeinträchtigt: Kunst wird von Menschen gemacht und die sind – glücklicherweise – niemals unfehlbar.

Fuchs, Kirsten – Titanic und Herr Berg, Die

Eine „Amour fou“ in Zeiten sozialer Kälte verspricht der Klappentext zu Kirsten Fuchs‘ Debütroman „Die Titanic und Herr Berg“. Radikal soll er sein, erotisch und hart am Abgrund. Das trifft im Groben und Ganzen durchaus zu, erfordert bei näherer Betrachtung aber noch einiges an Differenzierung.

Fuchs erzählt die Geschichte einer Liebesbeziehung: Tanja (vermutlich Mitte 20 – so ganz deutlich wird das nicht), Sozialhilfeempfängerin, unkonventionell und weltverklärend, lernt beim Behördengang Peter kennen, der auf der anderen Seite des Sozialamtsschreibtisches sitzt. Peter ist 42, zweifach geschieden, zweifacher Vater, beziehungsunfähig und von der beruflich bedingten Überdosis Wirklichkeit abgestumpft.

Tanja ist sofort hin und weg von Peter, sieht ihn als ihren Mann fürs Leben an. Peter lässt sich darauf ein, will aber von Liebe gar nichts wissen. Während sie in die Beziehung immer mehr Hoffnungen steckt, ist sie für ihn eine rein sexuelle Angelegenheit und zumindest in der Hinsicht stimmt die Gleichung – beide fühlen sich wahnsinnig stark zueinander hingezogen.

Doch je länger die Beziehung dauert, desto mehr ist Tanja sich ihrer Sache sicher, dass Peter ihr Ein und Alles ist und sie zusammen den Rest ihrer Lebens verbringen werden. Doch was soll daraus werden, wo Peter von Beziehungen doch gar nichts wissen will?

Schon der etwas unkonventionelle Titel deutet an, dass „Die Titanic und Herr Berg“ kein Roman von der Stange ist. Sprachlich verspielt und so phantasievoll wie die weibliche Hauptfigur erscheint der Roman somit auch auf den ersten Seiten. Kirsten Fuchs‘ Stil ist sehr eigenwillig, verspricht zunächst aber ganz erfrischende und unterhaltsame Lektüre. Spielerischer Umgang mit Satzbau und Formulierungen, ein sehr deutlicher Hang zu Wortspielereien und Doppeldeutigkeiten mit einer gewissen Portion Witz – man ist anfangs wirklich versucht zu glauben, dass „Die Titanic und Herr Berg“ ein toller Roman sein könnte.

Doch leider täuscht der erste Eindruck. Obwohl ich Bücher mit Sprachwitz und Doppeldeutigkeiten mag, und obwohl ich auf den ersten Seiten noch das eine oder andere Mal über Kirsten Fuchs‘ bildhafte Sprache geschmunzelt habe – mit der Zeit wurde die Lektüre immer anstrengender. Anfangs freut man sich durchaus noch über gelungene Sätze wie diese hier: |Ich habe am häufigsten in meinem Leben das Wort „ich“ gesagt und das Wort „und“. Ich sage sehr oft „ich“. Das ist mein Lieblingssatzanfang. Ich, ich, ich bin nicht eloquent. Ich bin der Mittelpunkt meines Mittelpunktes und definiere an mir angepflockt wie eine Ziege einen kleinen Radius um mich herum.| (S. 8)

Je weiter sich die Geschichte allerdings hinzieht, desto zäher wird leider auch die Lektüre. Kirsten Fuchs‘ sprachliche Mittel wirken mit der Zeit ermüdend. Ihr Satzbau wirkt ein wenig gekünstelt, manchmal ein wenig wie mit der Brechstange zurechtgebogen und bemüht um jeden noch so kleinen Wortwitz. Darunter leidet des Öfteren der Lesefluss. Die künstlerische Verspieltheit, die anfangs noch so erfrischend wirkt, mündet immer mehr in eine träge, schwere Künstlichkeit. Man gewinnt den Eindruck, dass die Autorin sich mitsamt ihrer Figuren hinter einem Wall gekünstelten, anstrengenden Satzbaus verschanzt und den Leser nicht an sich heranlässt. Die Figuren bleiben genauso blass und fremd, wie die sprachliche Frische schon nach wenigen Kapiteln verpufft.

Fuchs hält ihre Figuren auf Distanz zum Leser. Man kommt einfach nicht an sie heran, kann sie schlichtweg nicht verstehen und somit auch absolut nicht mit ihnen mitfiebern. Sie bieten nur wenige Identifikationspunkte. An Peter kann man noch so manches nachvollziehen, aber in Tanja gipfelt die Kluft zwischen Leser und Figuren sehr deutlich. Man erfährt zu wenig über sie. Trotz der gewählten Sichtweise des ständig wechselnden Ich-Erzählers, der mal aus Peters und mal aus Tanjas Perspektive berichtet, gelingt es kaum, sich ein nachhaltiges Bild von Tanja zu machen. Erst spät erzählt Kirsten Fuchs etwas aus Tanjas Leben, so richtig begreifbar wird die Figur dadurch zu diesem späten Zeitpunkt aber auch nicht mehr. Eine Sozialhilfeempfängerin, die den 100-Euro-Schein, den ihr ihre Freundin reicht, einfach aus dem Autofenster flattern lässt, die sich mitten im Winter in der leeren Straßenbahn bis auf den BH auszieht – da hapert es einfach ganz grundsätzlich an der Greifbarkeit der Figur. Man kann über sie rätseln, aber man kann sie nicht verstehen.

Peter wirkt daneben schon menschlicher. Während Tanja weltfremd und absonderlich erscheint, nichts in ihrem Leben geregelt bekommt, wenn nicht einer ihrer Freunde für sie die Dinge in die Hand nimmt, steht Peter mit beiden Beinen auf dem Boden. Er steht schon ein bisschen zu sehr auf dem Boden der Tatsachen, denn irgendwo im Laufe seines bisherigen Lebens scheint ihm da etwas ganz Grundsätzliches verloren gegangen zu sein. Seine Grundeinstellung ist eine eher pessimistische, sein Selbstwertgefühl nicht der Rede wert und sein Alltag eher trostlos. Aber zumindest kann man ihn halbwegs verstehen.

Letztendlich ist der Gegensatz zwischen den Hauptfiguren einer, der Potenzial für eine spannungsreiche Liebesgeschichte bietet. Aber dieses Potenzial nutzt Kirsten Fuchs leider nicht so geschickt aus, wie man es tun könnte. Da die Sprache eine Distanz zum Leser schafft, die Figuren dadurch nicht mitzureißen wissen, kommt auch der spannungsreiche Kontrast zwischen den beiden Hauptfiguren nicht so stark zum Tragen. Schade eigentlich.

Da Kirsten Fuchs viel Gewicht auf sprachliche, sich verflüchtigende Effekte legt, kann auch die restliche Geschichte nicht so recht zünden. An manchen Stellen wirkt das Geschriebene geradezu belanglos (|“Erst ist Montag und dann ist Dienstag. Und welch ein Wunder, dann ist Mittwoch.“| S. 43, |“Die Mülltonnen stehen noch da, wo die Mülltonnen immer stehen.“| S.74). Teilweise ist es aber weniger das Beschriebene, was stört, sondern mehr die Art, wie es geschrieben ist.

Anstrengend umständlicher Satzbau und eine Grammatik, die manchmal zum Haareraufen ist. Dass man beispielsweise in einem Satz nach „brauchen“ den Infinitiv mit „zu“ bildet, scheint Kirsten Fuchs entweder nicht zu wissen oder kategorisch zu ignorieren. Vielleicht soll es auch nur die grammatikalische Unwissenheit ihrer Hauptfigur Tanja ausdrücken, wer weiß. Auch ansonsten stolpert man immer wieder über einen Satzbau, für den einem jeder Deutschlehrer die Ohren lang ziehen würde: |“Holger meinte, es sei billiger, ich würde die Rückfahrkarte in Prag kaufen, aber wenn das Geld alle ist, kann sein, es reicht nicht mehr für eine Rückfahrkarte.“| (S. 208) Und so wird das Buch mit zunehmender Seitenzahl stetig anstrengender und ermüdender und der Leser mit der Zeit ein wenig genervt. Die Lektüre von „Die Titanic und Herr Berg“ erfordert nicht nur Geduld, sondern auch Durchhaltevermögen.

Das Ganze gipfelt dann in einem Finale, das uns für all das mühsam aufgebrachte Durchhaltevermögen leider noch nicht einmal anständig entschädigt. Nachdem ich das Buch am Ende zugeschlagen hatte (und zumindest über diesen Umstand doch recht glücklich war), saß ich noch eine ganze Weile mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn da. Das Fragezeichen wich aber auch später keiner Erkenntnis.

Tanja beweist in dem Buch mehrfach, dass sie es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und eine ganz gute Lügnerin ist. Insofern wird leider auch nicht deutlich, welche Teile der finalen Handlung man nun ernst nehmen kann bzw. muss und welche nur ihrer Phantasie entsprungen sind. Tanja verabschiedet sich aus der Handlung, ohne auch nur einen Funken Sympathie erzeugt zu haben und ohne auch nur eine Winzigkeit verständlicher geworden zu sein. Und auch Peters Abgang bleibt seltsam diffus.

Alles in allem habe ich das Buch am Ende ziemlich enttäuscht aus der Hand gelegt. Nach einem recht vielversprechenden Start entwickelt sich Fuchs‘ Schreibstil zunehmend anstrengend und ermüdend. Die Figuren wissen nicht mitzureißen und bleiben dem Leser fremd und auch der Schluss lässt den Leser verwirrt und unzufrieden zurück. Ein Buch, das eine Handvoll schöner Momente aufweist, die einen zum Schmunzeln bringen, und das immer dann, wenn Kirsten Fuchs die Geschichte einfach mal ohne viel sprachliche Künstlichkeit laufen lässt, ganz ordentlich in Fluss kommt, aber über diese paar hellen Momente hinaus leider doch eher düster im Gedächtnis bleibt. Schade eigentlich, denn Potenzial wäre da gewesen.

Clive Barker – Das erste Buch des Blutes

Band 1 der „Bücher des Blutes“, mit denen Clive Barker in den frühen 1980er Jahren seinen Durchbruch als Verfasser phantastischer Geschichten und Romane erlebte: sechs Storys, einst bahnbrechend, noch heute bemerkenswert in ihrer Mischung aus virtuoser, atmosphärisch dichter Handlung und drastischem Nebeneinander von Sex & Splatter, aber unverdient darunter leidend, dass allzu viele Nachahmer den ‚Barker-Stil‘ aufgegriffen haben.  Clive Barker – Das erste Buch des Blutes weiterlesen

Herkle, Matthias – Wurmics – Born to be Worm

_Der Wurmzeichner:_

Matthias Herkle wurde am 24.11.1966 in Affaltrach geboren. Seine Liebe galt schon immer dem Zeichnen und Malen – Comics waren dabei seine absoluten Favoriten.

Nach einer Ausbildung zum Technischen Zeichner begann er zuerst nebenberuflich und kurze Zeit später hauptberuflich als Grafiker und Illustrator zu arbeiten. Nach mehreren Stationen ist er nun im Atelier einer Werbeagentur angestellt.

Matthias Herkle lebt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Neckarsulm-Dahenfeld. Am heimischen Esstisch entstehen neben vielen anderen Figuren und Motiven auch die Wurmics. Erste Gehversuche unternahmen die Comic-Strips mit den beiden Würmern Bodo und Willi in einem Heilbronner Stadtmagazin. Kurze Zeit später trieben sie in einem Würzburger Wochenblatt ihr Unwesen. Nach einer Ausstellung auf der Schweizer Comic-Messe Fumetto zum Thema Helden wurde ein zweiseitiges Phantomwurm-Abenteuer in einer Comic-Anthologie bei DasNorm veröffentlicht.

„Wurmics – Born to be Worm“ ist seine erste albumfüllende Arbeit.

_Die Charaktere:_

Die beiden skurillen Würmer Bodo und Willi treiben schon seit längerer Zeit in einem Heilbronner Stadtmagazin ihr Unwesen und haben auch in einem Würzburger Wochenblatt schon einige Gastauftritte gehabt. Jetzt hat Matthias Herkle seine bisherigen Wurm-Werke gesammelt und ihnen einen ganzen Band mit kurzen Comic-Strips gewidmet. „Born To Be Worm“, der Untertitel dieses Buches, scheint auch so ungefähr das Lebensmotto des Zeichners zu sein, denn die beiden tolpatschigen Würmer, einer mit einem schicken Zylinder, der andere mit einer tief sitzenden, schlappen Mütze, sind von Herkle sehr schön und mit viel Liebe gezeichnet worden und wirken im Kontrast zu den schlichten Hintergrund-Darstellungen auch sehr gut. Lediglich in manchen kleinen Bildern, in denen viele Details versteckt sind, kommen die schwarz-weißen Illustrationen an ihre Grenzen und werden undeutlich, was jedoch nicht besonders häufig vorkommt.

_Die Texte:_

Im Gegensatz zu den schlichten aber effektvollen Zeichnungen, sind die Texte aber ziemlich plump und bedienen sich in erster Linie bei abgedroschenen Phrasen, kaum mehr lustigen Witzen und oft erfolglosen Versuchen, bekannte Sprichwörter mit (dem hier fehlenden) Wortwitz auf das Leben eines Wurmes zu beziehen. In den meisten Fällen verpuffen die witzigen Zeichnungen daher auch schnell, weil die manchmal recht sinnleeren Dialoge mal wieder die Magie des kurzen Strips nehmen. Vielleicht sind es deswegen auch speziell die über mehrere Episoden verlaufenden Geschichten, die wirklich gelungen sind und auf zwei Drittel der übrigen der insgesamt 112 Mini-Storys einen deutlichen Schatten werfen.

_Das Gesamtbild:_

Was als kurze Aufheiterung in der Tageszeitung noch funktionieren mag, funktioniert in diesem Falle als Ansammlung solcher Miniatur-Comics nicht mehr, und das gerät „Wurmics“ auch zum deutlichen Nachteil, der schnell den Spaß an den coolen Wurm-Darstellungen raubt.

Schade eigentlich, aber die Motivation „ein Buch mit Phantasie“ herauszubringen, ist Matthias Herkle hier nur sehr bedingt gelungen. Wer trotzdem Interesse hat, der findet unter http://www.wurmics.de einen Song zum Download, Shirts und andere Sachen rund um das Wurm-Universum, bei denen dann vielleicht auch mehr Spaß herüberkommt als bei diesem Sammelband.

Petersen, Sandy / Willis, Lynn / Heller, Frank / Johanus, Marcus uvm. – CTHULHU Spieler-Handbuch

1.
|_CTHULHU_
sein obszöner, gigantischer Leib liegt im Todesschlaf begraben in der versunkenen Stadt R’lyeh, die nicht von Menschen errichtet wurde. Wenn die Sterne richtig stehen, wird _Cthulhu_ erwachen und die Welt, wie wir sie kennen, vernichten. Viele glauben, dass wir in den Zeiten der Apokalypse leben und dass der Zeitpunkt, an dem sich _Cthulhu_ erheben wird, nicht mehr fern ist … (Auszug aus dem Regelwerk)|

2. _Das CTHULU-Rollenspiel_ ermöglicht das Spielen eines Investigatoren des Unglaublichen in der Welt des Horrorgurus H. P. Lovecraft. Die Unterschiede zu unserer Welt bestehen darin, dass die Welt von Lovecraft voll verbotenen, okkulten Wissens und ausseridischen Schreckens steckt … Vorgesehen ist es, in den 1920ern zu spielen, allerdings ist es auch möglich, jede andere Zeitepoche zu wählen. Exemplarisch werden noch die 1890er und die heutige Zeit behandelt.

Im hier besprochenen „CTHULHU Spieler-Handbuch“ wird hauptsächlich auf die Regeln und die für Spieler relevanten Dinge wie Regeln, Charaktererschaffung und die Geistesstörungen eingegangen. Der Rest, der zum Spielen nötig ist, ist im „CTHULHU Spielleiter-Handbuch“ enthalten. Das eine ist ohne das andere nur sehr bedingt zu gebrauchen, da die Monster, das geheime Wissen usw. nur im Spielleiter-Handbuch erörtert werden, die Regeln aber im Spieler-Handbuch.

Dieses Rollenspiel legt sehr viel Wert auf den Horror und seine Auswirkungen. Daraus ergibt sich, dass weniger kämpferische als literarische und wissenschaftliche Fertigkeiten im Vordergrund stehen. Das heißt, es geht um die Nutzung von okkultem Wissen und kosmischen Geheimnissen und nicht um Ballerei und sinnloses Bekämpfen mit sonstigen Waffen.

Der Geisteszustand der Protagonisten nimmt eine zentrale Stellung in diesem Spiel ein, da die Charaktere mit schrecklichen Enthüllungen umgehen müssen, die sich nicht so leicht verarbeiten lassen. Jeder, der sich schon mal mit Lovecraft’scher Literatur befasst hat, wird wissen, dass die Protagonisten häufig am Rande des Wahnsinns wandeln oder bereits über ihn hinaus sind.

3. _Aufmachung des Buchs_

Das Buch ist in einem edlen Hardcover im Stile der goldenen 20er erschienen. Die |Pegasus Spiele| GmbH, die die deutsche Ausgabe herausbringt, hat sehr viel Wert auf diesen Stil gelegt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich dies auch innerhalb des Buches fortsetzt.

Interessante Zeichnungen (vornehmlich von Monstern und okkulten Praktiken) wechseln sich mit zeitgenössischen Bildern aus den Zwanzigern ab. Neben Fotos von Charly Chaplin, Josephine Baker und Albert Einstein sind auch kurze Biographien von wichtigen Persönlichkeiten dieser Zeit vorhanden. So sind Roald Amundsen, Charles Lindbergh, Babe Ruth, Johnny Weißmüller, Henry Ford, Al Capone, Ernest Hemingway sowie Bonnie und Clyde eine kleine Auswahl selbiger. Das macht es ungemein kurzweilig, die Berufsliste zu lesen, die mit über 40 Seiten sehr ausführlich ist, da diese Persönlichkeiten als herausragendes Beispiel für den jeweiligen Beruf vorgestellt werden.

Auch der für CTHULHU so elementare Wahnsinn wird ausführlich behandelt. Speziell für das Thema Phobien gibt es eine Liste mit über fünfzig dieser Angstkrankheiten (der interessierte Leser möge bitte nachschlagen, was eine Gephydrophobie ist). Auch die Ausrüstungsliste mit den Autos und Waffen der 20er Jahre ist sehr interessant. Ebenso die Beschreibung der zeitgenössischen Kleidung und Verhaltensformen.

Als Zugabe ist zum Schluss auch noch ein Soloabenteuer namens „Schatten über Arkham“ enthalten.

4. _Regeln_

Ein Charakter bei CTHULHU definiert sich über neun Attribute (Stärke, Konstitution, Größe, Geschicklichkeit, Intelligenz, Bildung, Erscheinung, Mana und geistige Stabilität) und eine Vielzahl von verschiedenen Fertigkeiten.
Die Attribute haben für gewöhnlich einen Wert zwischen 3 und 21. Allerdings werden die meisten Proben eher auf die Fertigkeiten abgelegt, die mit einem Wert zwischen 1 % und 99 %
angegeben werden. Auf diese wird generell ein Prozentwurf (normal mit zwei zehnseitigen Würfeln) abgelegt. Je niedriger der Wurf, desto besser. Sollte es für manche Würfe keine passende Fertigkeit geben, wird vom Spielleiter ein passendes Attribut bestimmt und dieses mit einem Faktor X (je nach erwünschter Schwierigkeit zwischen 2 und 5) multipliziert und dann ein Prozentwurf darauf abgelegt. Auf den ersten Blick mag das ein wenig willkürlich erscheinen, allerdings gewährt diese Vorgehensweise dem Spielleiter auch eine gute Kontrolle über das Spielgeschehen.

Das wichtigste Attribut ist wohl die geistige Stabilität, die bestimmt, wie viele Geheimnisse und Horror ein Charakter aushält. Je weiter man in den CTHULHU-Mythos eindringt (repräsentiert durch die gleichnamige Fertigkeit) desto näher kommt man dem Wahnsinn.

Die Charaktererschaffung ist sehr individuell gestaltet, und eine Vielzahl von Tabellen geben massenhaft Anregungen für interessante Charakterkonzepte sowie deren Aussehen.

5. _Änderungen zum Vorgänger_

Die größte Änderung ist sicherlich die Aufteilung in ein Spieler- und ein Spielleiter-Handbuch.
Doch diese Trennung ist äußerst sinnvoll, da es beim Vorgänger oft so war, dass das Regelwerk vom Spielleiter unter Verschluss gehalten wurde, damit seine Spieler nicht darin herumschnüffelten. Dem ist jetzt vorgebeugt, da das „CTHULHU Spieler-Handbuch“ wirklich nur das enthält, was der Spieler wissen muss bzw. darf. wie zum Beispiel Regeln, Ausrüstung und natürlich die Charaktererschaffung. Dies sorgt wiederum dafür, dass die Spannung aufrechterhalten wird, da die Protagonisten nicht wissen, was sie erwartet.

Die sonstigen Änderungen liegen hauptsächlich im Unfang (mehr Berufe, mehr über das leben in Deutschland) und in der Änderung der Begrifflichkeiten durch bessere Übersetzung.

6. _Fazit_

CTHULHU ist ein äußerst interessantes Rollenspiel, stellt aber an die Teilnehmer hohe Ansprüche. Daher ist es nicht für rollenspielerische Anfänger geeignet, da ich das gekonnte Ausspielen des Horrors und vor allem das des Wahnsinns für zu schwierig halte und die Gefahr sehe, dabei ungewollt ins Lächerliche abzudriften. Erfahrenen Rollenspielern kann ich dieses Spiel allerdings unbesorgt empfehlen. Wer Wert auf gepflegtes, stimmungsvolles Horrorrollenspiel legt, ist hier gerade richtig.

Das verwendete System ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber durchaus einfach und realitätsnah.

Für die angehende Spielrunde noch ein Tipp: Holt euch einige von Lovecrafts Werken, da die CTHULHU-Stimmung so am leichtesten zu erzeugen ist, wenn die Spieler bereits mit ihr vertraut sind. Ich zum Beispiel hab mir einen Sammelband zu Gemüte geführt und muss sagen, dass er mir beim Verständnis des Spiels und dessen Atmosphäre sehr weiter geholfen hat.

http://www.pegasus-spiele.de/cthulhu.html

|H. P. Lovecraft & Co. bei Buchwurm.info:|

[Der Cthulhu-Mythos 524 (Hörbuch)
[Cthulhu: Geistergeschichten 1421
[Das Ding auf der Schwelle & Die Ratten im Gemäuer 589 (Hörbuch)
[Der Fall Charles Dexter Ward 897
[H. P. Lovecraft – Eine Biographie 345
[Hüter der Pforten 235
[Die Katzen von Uthar und andere Erzählungen 1368
[Berge des Wahnsinns 72
[Necrophobia 1 1103 (Hörbuch)
[Necrophobia 2 1073
[Die Saat des Cthulhu 1231
[Schatten über Innsmouth 506
[Der Schatten über Innsmouth 424 (Hörbuch)
[Spur der Schatten 1389

Leaf, David / Sharp, Ken – KISS demaskiert: Die offizielle Biographie

Biographien über KISS gibt es ja massig, man denke nur an den überteuerten Mega-Schinken „Kisstory“. Doch eine offizielle Biographie in deutscher Sprache hat es in den über 30 Jahren der Existenz dieser Band noch nicht gegeben – bis heute. David Leaf und Ken Sharp haben nun endlich nach langen Jahren einen Traum Wirklichkeit werden lassen und eines der ausführlichsten und wohl zweifelsohne besten Biographie-Werke im Bereich der Rockmusik erstellt, bei dem die beiden Autoren auf wirklich kein einziges Detail verzichten. Mit anderen Worten: Das ist wirklich die komplette Geschichte eines der größten Phänomene des gesamten Musikbusiness.

Eigentlich besteht die Idee zu diesem Buch auch schon seit nunmehr 25 Jahren, denn damals wurde David Leaf dazu beuaftragt, sich in Gesprächen mit den einzelnen Bandmitgliedern von KISS die Geschichte dieser Gruppe erzählen zu lassen. 1979 reiste Leaf daher nach Los Angeles und traf zum ersten und einzigen Mal das legendäre, maskierte Quintett und sah eine ihrer Shows. In penibler Feinarbeit würfelte er die einzelnen Storys zusammen, erstellte ein erstes Manuskript und musste ein Jahr später erfahren, dass das Buch es nicht auf den Markt schaffen würde. Die Gründe hierfür verschweigt Leaf auch heute noch, aber Fakt war und ist, dass die Stapel an Papier für lange Zeit beiseite gelegt wurden und die Biographie aus dem Gedächtnis von David Leaf verschwand.

Eines Tages traf er jedoch dann Ken Sharp, der die Manuskripte las und David dazu ermutigte, dieses Projekt doch noch zu realisieren. Das jetzt vorliegende Gesamtwerk entstand im Folgenden in einer Zusammenarbeit von Leaf, der das erste Drittel der Geschichte sehr ausführlich beleuchtet, und Sharp, der schließlich die jüngere Geschichte von KISS erzählt und dabei vor allem die Reunionspläne und ihre Durchführung schildert.

So bekommt der Leser wirklich einen ausführlichen Komplettabriss der Historie von der ersten Sekunde an bis heute vorgelegt, bei dem auch zahlreiche prominente Musiker zu Wort kommen, sowohl Liebhaber als auch Verächter. Dabei reicht die Spanne der Aussagen von Lobhuldigungen bis hin zu Anschuldigungen, aber allesamt legen sie deutlich dar, welchen Stellenwert KISS während ihrer Hochphase hatten. Sharp und Leaf haben diese Zitate aber auch wunderbar in ihre Storys eingewoben, lassen sie mitten in Interviews hineinplatzen und schaffen es so, dass die Ereignisse immer sehr schön im Zusammenhang bleiben.

„KISS demaskiert: Die offizielle Biographie“ läuft aber dennoch nicht ganz chronlogisch ab, denn zwischen den Schilderungen der wichtigsten Eckpunkte zeichnet David Leaf anfangs noch sehr umfassende Portaits der einzelnen Musiker. In weiteren Kapiteln schildert Leaf den Weg zum Erfolg und den schnellen Sturm an die Spitze, wirft die Diskussion über das zwiespältig aufgenommene „The Elders“-Album noch mal auf, beschreibt das Karrierehighlight „Alive!“ und den anschließenden Abstieg bis hin zur Phase, in der KISS ihre Masken ablegten. Dieser Teil ist insgesamt auch der interessanteste und erhält demzufolge auch mit über hundert Seiten den größten Raum im Buch. Die darauf folgenden Beschreibungen der „Creatures Of The Night“-Phase und die demaskierte Phase in der neuen Besetzung werden hingegen recht kurz abgehandelt, sprich, das von manchen Fans gar nicht erst akzeptierte Stück der KISS-Geschichte spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Von da an, wo KISS sich aber auf dem USS Intrepid Aircraft Carrier zu einer spektakulären Pressekonferenz zusammenraufen und die Reunion ankündigen, geht Sharp wieder mehr ins Detail und erklärt die Maschinerie, die hinter dem „Psycho Circus“ und der sich dahinter befindenden Tour steht.

Nach 200 überaus informativen Seiten ist die eigentliche Gechichte dann bearbeitet, und selbst Insider werden in dieser Zeit Informationen entdeckt haben, von denen sie bislang noch nichts wussten. Das Buch geht aber noch weiter, denn im letzten Drittel folgt dann der Abschnitt, der wohl eher den fanatischsten Fans vorbehalten ist. Hier geben Musiker, Bekannte, Manager, Kollegen und Pressevertreter Stimmen zu allen bisher veröffentlichten Songs ab, erzählen etwas zur Entstehungsgeschichte und zur Rolle, die die jeweiligen Kompositionen gespielt haben. Auch hier steckt eine ganze Menge Liebe zum Detail hinter der Arbeit von Ken Sharp, und man bekommt den Eindruck, dass die beiden Autoren wirklich jede einzelne Information in einem Text verarbeitet haben.

Nicht nur für KISS-Fans ist dieses Buch daher unabdinglich; eine solch ausführliche, superb inszenierte und mit derart vielen Originalkommentaren ausgestattete Biographie habe ich bislang noch nirgends gesehen oder gelesen, und zu dieser Leistung kann man den beiden Männern hinter „KISS demaskiert: Die offizielle Biographie“ nur gratulieren. Es scheint eine höhere Macht dahintergesteckt zu haben, dass David Leaf und Ken Sharp sich eines Tages begegneten und eine ganz besondere Leidenschaft teilten, so dass dieses Buchprojekt tatsächlich noch realisiert werden konnte. Ich bin schlichteg überwältigt und empfehle dieses Buch ohne jegliche Einschränkung weiter!

Heitz, Markus – Trügerischer Friede (Ulldart – Zeit des Neuen 1)

Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass Markus Heitz in den letzten Jahren der Shooting-Star der deutschen Fantasy gewesen ist. Er schrieb sich mit seinem Ulldart-Zyklus und den Abenteuern um „Die Zwerge“ in das Herz seiner Leser.
So sind Fortsetzungen einfach ein Muss. Nicht nur der dritte Band seiner „Zwergen“-Saga wird im Winter 2005 erscheinen, nun liegt auch der Auftakt seiner Fortsetzung der „Ulldart“-Saga vor.

Die Handlung des Buches beginnt nur wenige Wochen nach den in die „Quellen des Bösen“ geschilderten Ereignissen. Mortva Nesreca und Govan konnten besiegt, die Rückkehr des finsteren Gottes Tzulan verhindert werden. Die Völker Ulldarts sind wieder frei von der Knute der tarpolschen Dynastie und kehren in ihr gewohntes Leben zurück. Wo Städte und Länder in Trümmern liegen, beginnen die Menschen den Wiederaufbau.

Diejenigen, die sie knechteten, sind verschwunden oder tot, die neuen Herrscher versprechen eine Zeit des Friedens, der Freiheit und des Glücks. Alles Dunkle scheint vertrieben zu sein und ein neuer Friede die Hoffnung der Menschen zu schüren.

Selbst Lodrik, der das ganze Unheil verursachte und sich am Ende auf die Seite der Befreier stellte, ist nur noch ein blasser Schatten, der sich immer tiefer in die Welt der Toten verliert und von seiner Leidenschaft zur Nekromantie gefangen nehmen lässt. So gut er kann, unterstützt er seine Frau Norina, die die Herrschaft über Tarpol übernommen hat, und beobachtet wohlwollend seine Söhne, die auf Ulldart geblieben sind, der eine als Prinz, der andere als Ritter im Orden der Schwerter. Nur sein Liebling, Lorin, ist auf den Kontinent zurückgekehrt, auf dem er aufwuchs, um sich dort um die Probleme zu kümmern, die er zurückgelassen hatte.

Doch der Friede ist trügerisch.

Einerseits gibt es noch immer Kämpfe mit den menschlichen Dienern Tzulans zu Land und zu Wasser, andererseits sind noch längst nicht alle Spuren der dunklen Herrschaft geborgen und vernichtet worden. Finsteren Artefakten und Monstern müssen sich die Helden in tapferen Kämpfen stellen. Doch das sind nur die offensichtlichen Gefahren.

Im Verborgenen arbeitet Aljascha an ihrer Rache an Lodrik und versucht sich neue Macht zu schaffen. Sie ist nicht allein. An ihrer Seite wächst rasend schnell der von Mortva Nesreca gezeugte Sohn heran und zeigt vielversprechende Anlagen. Bald schon muss Lodrik erkennen, dass er nicht der Einzige ist, der sich auf Totenmagie versteht und seine Ränke in den Schatten spinnt. Er hat eine ernst zu nehmende Gegnerin bekommen, die mehr weiß als er. Nicht zuletzt tauchen Fremde auf, die die Kensustrianer als Verräter bezeichnen und ihre Auslöschung fordern. Die dunkle Zeit ist also noch nicht vorüber …

Ohne seinen Helden Ruhe zu gönnen, setzt Markus Heitz die Abenteuer auf Ulldart so logisch fort, wie man es erwarten konnte. Weder die Schatten Tzulans noch die überlebenden Gegenspieler haben aufgegeben, und um das alles noch ein wenig zu würzen und den Kämpfen wieder eine größere Dimension zu verleihen, gibt es zum Ende des Buches hin noch eine weitere Gefahr, die vom Meer heraufzieht und für einigen Ärger sorgen wird.

Gewohnt routiniert spult der Autor seine überwiegend actiongeladenen Szenen in sechs bis acht Handlungsebenen ab. Man erfährt, was Lorin in seiner Wahlheimat anstellt, wie Lodrik durch die Gegend schleicht und Norinas Versuchen zu regieren zuschaut, oder beobachtet auch Aljasha in ihrem Exil. Die meisten der alten Hauptfiguren werden mit Szenen bedacht, einzig Waljakow und Storko, die ehemaligen Erzieher Lodriks, scheinen wie vom Erdboden verschluckt.
Interessanterweise scheint kaum eine der Figuren aus ihren bitteren Erfahrungen gelernt zu haben. Weder hat es Aljasha aufgegeben, sich Sorgen um ihre Schönheit zu machen und sich Männer ins Bett zu holen, noch hat Lodrik seine jugendliche Naivität verloren und ist ganz verwundert, dass für seine Norina die Überraschung, die er ihr bereitet, keine ist, sondern eher das Gegenteil. Dadurch wirkt er eher wie ein Hobby-Nekromant, der mit seinen Kräften gerne herumspielt, aber nicht die Verantwortung sehen will, die er eigentlich trägt. Magie ist, wie auch die – überraschenderweise in den Hintergrund getretenen – neuartigen Waffen es sind, Mittel zum Zweck.

Die Charaktere – egal ob altvertraut oder neu eingeführt – sind immer noch auf wenige Charakterzüge reduziert und haben sich kaum oder nur oberflächlich weiterentwickelt.

Mit Frauenfiguren hat Markus Heitz weiterhin seine Probleme, zum eigensüchtigen und sexbesessenen Luder Aljasha, dem blassen Weibchen Norina, das vor Bescheidenheit nur so strotzt, und der geschlechtslosen Magierin Sosha ist nur noch eine kalte grausame Hexe gekommen, die für ihre Macht teuer bezahlt hat.

Die Handlung des Romans ist zwar rasant und actionreich, allerdings lässt sich mittlerweile auch eine gewisse Routine im Stil des Autors nicht abstreiten; Teile des Buches lesen sich wie eine Fantasy-Nummern-Revue, deren Inhalte man irgendwo genau so bereits gelesen hat, entweder bei ihm selber oder bei anderen.

Man merkt, dass Markus Heitz sich vor allem an sein Zielpublikum aus dem Rollenspiel- oder Games-Bereich richtet, das die klassische Figurenzusammensetzung, das vertraute Setting in einer pseudomittelalterlichen Welt und die traditionellen Geschehnisse wiedererkennen wird, das vordergründige Action liebt, in der es kracht und zischt, und das letztendlich mit leisen Andeutungen, undurchschaubaren Grauzonen oder tiefgründigen Charakterentwicklungen nicht so viel anfangen kann.

Was bleibt, ist ein gefällig geschriebener Roman ohne wirkliche Höhen und Tiefen, der den derzeitigen Massengeschmack zufrieden stellt, aber für ältere und erfahrenere Leser nichts Besonderes bietet.

„Trügerischer Friede“ ist zwar der Auftakt eines neuen Zyklus, doch sollte man für wirklichen Lesegenuss auch die vorhergehenden sechs Bände kennen, da Markus Heitz darauf verzichtet, die altbekannten Helden und Ereignisse noch einmal ausführlich vorzustellen. Das Ende bleibt leider weitestgehend offen – Fortsetzung folgt.

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|