Archiv der Kategorie: Rezensionen

Gardner, Lisa – Schattenmörder, Der

Bakersville im US-Staat Oregon ist ein kleiner, beschaulicher Ort. Die Menschen sind friedlich, was sich auch daran messen lässt, dass nur zwei Polizeibeamte – Sheriff „Shep“ O’Grady und Officer Lorraine „Rainie“ Conner – hauptamtlich das Gesetz vertreten. Deshalb schlägt es wie eine Bombe ein, als in der örtlichen Grundschule ein Schüler Amok läuft und eine Lehrerin sowie zwei Mädchen erschießt. Rainie kann den Täter stellen – schockiert erkennt sie Danny, den Sohn des Sheriffs!

Ein gefundenes Fressen für die Medien, was die Justiz nervös werden lässt. Rainie, welche die Ermittlungen in diesem Fall leitet, wird hart bedrängt. Vor allem der ehrgeizige Detective Sanders fällt ihr immer wieder in den Rücken. Da ist die Hilfe des an den Ort des Geschehens geeilten FBI-Spezialisten Pierce Quincy willkommen. Dieser hat sich einen Namen als Profiler gemacht, der sich in Massen- und Serienmörder „hineindenken“ und oft Schlüsse ziehen kann, die zu Festnahmen führen.

Die eigenbrötlerische Polizistin und der unverbindliche FBI-Agent raufen sich allmählich zusammen. Das nutzt der „Schattenmörder“ aus, dessen Wirken Rainie bereits vermutet hatte: Die Spuren weisen auf die Anwesenheit eines zweiten Mörders und eigentlichen Anstifters hin! Dieser ist wie viele Psychopathen ein Meister der Tarnung und der Manipulation. Der Anschlag auf die Schule war nur ein Aspekt seines Plans, denn im Visier hat der Mörder auch Rainie, die er aus Gründen, die nur seinem kranken Hirn schlüssig sind, leiden sehen möchte. Während Rainies Vorgesetzte und Kollegen dieser Theorie skeptisch gegenüber stehen und der Presse schier der Schaum vorm Mund steht, begeben sich Cop und Quincy auf die mühsame Suche nach dem Mann im Hintergrund. Dieser hat freilich den Vorteil auf seiner Seite und lauert nur auf den Moment, da ihm seine Häscher zu nahe kommen werden …

Die Inhaltsangabe macht es deutlich: Hier lesen wir keinen Thriller, der das Genre revolutioniert. Konfektionsware legt uns Lisa Gardner vor, die indes sehr sauber gearbeitet ist. Lassen wir uns nicht vom scheinbar „aktuellen“ und „brisanten“ Thema „Gewalt an US-amerikanischen Schulen“ täuschen. Obwohl die Autorin sich immer wieder in „Erklärungen“ versucht (dies sind die Passagen, die man überspringen bzw. nicht übel nehmen sollte), bleibt die Amok-Episode vor allem Aufhänger für die eigentliche Story. Die ist recht einfach, wird aber routiniert, wenn auch mit vielen Seifenoperelementen abgewickelt, die immerhin meist unaufdringlich bleiben.

Der geniale Psychopath, der übermächtig aus dem Hintergrund die Fäden zieht, an denen seine Opfer wie seine Jäger zappeln, ist ebenfalls eine (allzu) bekannte Figur. Wenn er so schlau ist, wieso wird er letztlich immer erwischt? Das Gute siegt im Mittelklasse-Thriller, auch wenn es dabei – so viel Konzession an die raue Realität ist möglich – ordentlich Federn lassen muss.

Hinein mischt sich viel angelesener Alltag aus dem Polizeimetier. Gardners Hommage an das klassische oder zeitlose „police procedural“ ist allerdings nie Selbstzweck, sondern der Handlung geschuldet. Abgerundet wird das Geschehen durch Raufereien mit dummen Politikern, geilen Mediengeiern, tückischen Vorgesetzten, Action an den richtigen Stellen & ein bisschen Herzeleid: Die Teile dieses Krimipuzzles sind wie gesagt wohl bekannt, aber seine Entstehung zu beobachten macht trotzdem Freude.

Schwer ist das Haupt, das die Krone trägt … Dieses alte Sprichwort lässt sich leicht auf die Helden des modernen (Polizei-)Krimis anwenden. Stets stehen sie unter Druck, sind überarbeitet, bekommen Ärger im Job, haben noch mehr Ärger daheim, wo die vernachlässigte Familie oder der Partner quengeln. Rainie Conner fügt sich exakt in dieses Muster (bzw. Klischee). Als Kind misshandelt, die Mutter eine Säuferin & Schlampe, deren verstümmelte Leiche die Tochter finden musste, als Polizistin = Frau im Visier der misstrauischen Bürger von Bakersville, als Privatfrau kontaktscheu und einsam.

Gleichzeitig ist Rainie selbstverständlich eine Zierde ihres Berufs, in dem sie sogleich Führerqualitäten an den Tag legt, als sie endlich einen großen Fall übernimmt. (Genauso selbstverständlich ist der Auftritt jener, die ihr den Erfolg neiden oder sie als Sündenbock bei möglichem Misserfolg verheizen wollen.) Es wird sogar noch besser (wenn auch nicht für Rainie): Der Vater des mutmaßlichen Amokläufers ist ihr Freund und unmittelbarer Vorgesetzter! Auch dieser Sheriff O’Grady hat seine Päckchen zu tragen. Mit der Ehe steht es keineswegs zum Besten, er erscheint verdächtig früh am Tatort und könnte Beweismaterial gegen seinen Sohn beseitigt haben.

Dann ist da Profiler Quincy, der den genialen FBI-Spezialisten gibt. Kühl ist er und beherrscht, aber auch ihn hat des Schicksals Blitzstrahl getroffen: Das Töchterlein liegt auf dem Sterbebett, die Gattin ist eine Ex-, das Privatleben liegt auch sonst danieder, so dass Quincy sich mit der manischen Energie von Sherlock Holmes & Gil Grissom in und auf seine Fälle stürzt. Die Qualitäten der spröden, aber tüchtigen und hübschen und deshalb begehrenswerten Rainie bleiben dem klugen Mann trotzdem nicht lange verborgen, so dass die Handlung nun doch mit einer Portion Schmalz (glücklicherweise nur Magerstufe) geschmiert wird.

Der „Schattenmörder“ tückt wie jeder anständige Psychopathenstrolch mächtig bedrohlich im Hintergrund umher. Identität und vor allem Motiv bleiben so lange wie möglich unerwähnt, was gut ist, da die Auflösung wieder einmal dem Aufwand nicht gerecht wird. So lange man jedoch nicht weiß, wer er ist und was er will, funktioniert der „Schattenmörder“ als Bösewicht zufrieden stellend.

Lisa Gardner (geb. 1971) ist trotz ihrer jungen Jahre als Schriftstellerin eine Veteranin. Freilich ist wenig bekannt, dass sie ihre Karriere nicht 1998 und im Thrillergenre startete, sondern bereits sechs Jahre früher – als Alicia Scott, die tagsüber einem „richtigen“ Bürojob nachging und sich nach Feierabend insgesamt 13 Liebesschnulzen aus dem Hirn wrang.

Nach eigener Auskunft hatte sie schließlich genug von dieser Fron (was leicht nachvollziehbar ist) und versuchte sich mit einem Thriller. „The Perfect Husband“ markiert gleichzeitig das Debüt von Pierce Quincy, der damals nicht als Serienheld geplant war und für den ersten Roman der Quincy/Conner-Reihe („The Third Victim“) vorsichtig „serientauglich“ gemacht werden musste, d. h. um der zwischenmenschlichen Verwicklungen willen eine Ehegattin und Familie erhielt.

Der Erfolg übertraf Gardners Erwartungen. Sie schwenkte endgültig auf die neue Linie ein und schreibt seitdem ausschließlich rasante Thriller, die zwar nur bekannte und bewährte Plots und Figuren aufgreifen, dies aber gekonnt und unterhaltsam. Mit Ehemann und Kind lebt die Autorin in New Hamphire und offenbar im Paradies auf Erden, wenn man ihren enthusiastischen Äußerungen auf der Website http://www.lisagardner.com Glauben schenken mag; diese fällt freilich zwar durch professionelle Gestaltung, noch mehr aber durch Geschwätzigkeit auf: Gardner erzählt viel, aber wenig Substanzielles.

Die Pierce-Quincy/Lorraine-Conner-Serie erscheint im |Blanvalet|-Verlag:

1. The Perfect Husband (1998; noch kein dt. Titel)
2. Der Schattenmörder (2001; „The Third Victim“)
3. Der nächste Mord (2001; „The Next Accident“) – TB Nr. 35631

Grimwood, Ken – Replay – Das zweite Spiel

Manchmal sitzt man da, umgeben vom grauen Einerlei des Alltags, und träumt von der Vergangenheit, von verpassten und verpatzten Situationen. Wenn man die Chance hätte, würde man alles anders und besser machen. Natürlich besser, denn man kennt ja die Konsequenzen seines ersten Tuns, in manchen Bereichen auch die Entwicklung der Menschheit – wobei dies meist auf die Entwicklung des so genannten „Westens“ beschränkt ist. Was könnte man alles erreichen? Es gibt allerlei Möglichkeiten, die genau sich zu überlegen wenige Träumende durchhalten – zu schnell greift der Alltag nach einem und hinterlässt höchstens melancholische Gefühle oder Trauer um verpasste Gelegenheiten.

Nicht so Ken Grimwood (1944-2003): In „Replay“ beschäftigt er sich eingehend mit diesen Möglichkeiten und den Folgen, denn der normale Träumende lässt stets außer Acht, dass das veränderte Verhalten große Veränderungen zumindest des eigenen Lebens nach sich ziehen würde. So würde man nach einer „korrigierenden“ Entscheidung vor einer neuen Situation stehen und einem neuen Leben die Stirn bieten.

Der Protagonist seines Romans, Jeff Winston, scheint eine Zeichnung seiner Selbst zu sein: Ebenso wie Grimwood selbst ist Jeff Radiojournalist und wird in einigen seiner „Replays“ Schriftsteller. Ob allerdings Grimwood so unzufrieden mit seinem Leben war wie der Jeff seines Romans, bleibt pure Spekulation. Grimwood starb in Kalifornien.

Jeff Winston ist ein leicht übergewichtiger Mann, der seinen Traum vom großen Erfolg und dem Wechsel zum Fernsehen aufgegeben hat. Zwar hat er eine gute Stellung bei seinem Radiosender, aber reich und zufrieden wird er damit nicht. Als seine Frau anruft, erkennt er deutlich, wie sehr sie sich auseinander gelebt haben. Ein richtiges Gespräch wäre dringend nötig, aber Jeff hört die Worte seiner Frau: „Wir brauchen dringend …“ – und bevor sie ausreden kann, schießen ihm alle möglichen Varianten durch den Kopf von Dingen, die sie dringend brauchten und die seine Frau jetzt von ihm verlangen könnte. Zum Beispiel ein Duschvorhang. Weitere Worte hört er gar nicht, denn ein brutaler Schmerz zerreißt seine Brust. Typischer Herzinfarkt. Jeff ist nur ungläubig, als er seinen Tod mitverfolgt.

Jeff erwacht in seiner Junggesellen-WG auf dem Campus seines Colleges und denkt anfangs an einen bösen Traum. Natürlich kommen ihm Zweifel, wie man sein ganzes Leben so präzise hätte träumen können, doch die verschiedenen Begegnungen und Situationen in den folgenden Tagen wirken bis auf Kleinigkeiten so bekannt auf ihn, dass er schließlich die Probe aufs Exempel machen will. Mit Achtzehn ist er nun wieder zu jung, um Wetten abzuschließen, also sucht er sich einen älteren Studenten und lässt ihn als vierzigprozentigen Teilhaber seine gesamten Ersparnisse in einem Pferderennen setzen, an dessen Ausgang er sich aus seinem ersten Leben erinnert.

Der Erfolg spornt ihn an, er wird durch weitere Einsätze und Börsenspekulationen reich, gründet eine Firma – bis er im gleichen Alter wie damals plötzlich einen Herzinfarkt erleidet, unter den gleichen, fast schon vergessenen Schmerzen.

Im übernächsten „Replay“ findet er sich schnell zurecht und setzt alles auf schnellen Reichtum. Trotzdem ist er deprimiert und verzweifelt, sucht diesmal die Erlösung in Sex und Drogen. Er sieht keinen Sinn in seinem Schicksal und versinkt in Selbstmitleid. Sein Tod kommt nicht überraschend, nachdem er im zweiten Durchlauf alles umsonst auf ein gesundes Herz gesetzt hat.

Einige Replays später, nachdem er verschiedene Variationen seines Lebens durchlebt hat und sogar den Mord von JFK verhindern wollte (mit dem Resultat, dass ein anderer Mann als Mörder hingerichtet wurde), stößt Jeff auf einen Film, den er nicht kennt und der ein beispielloses Meisterwerk wird. In ihm sind alle damals noch unbekannten Größen aus dem Filmgeschäft versammelt, unter anderem George Lucas und Steven Spielberg, deren Genie noch nicht erkannt war. Die Inhaberin der Filmgesellschaft, gleichzeitig Autorin des Drehbuchs, muss ebenso wie Jeff ein „Wiedergänger“ sein.

Ihrer beider gemeinsames Schicksal schweißt sie über verschiedene Replays zusammen, es entwickelt sich eine starke Liebe zwischen ihnen. Im Glauben, ihnen bliebe unendlich viel Zeit, unternehmen sie Versuche, andere Wiedergänger zu finden oder durch öffentliche Zukunftsseherei die Wissenschaft auf ihr Problem zu lenken. In letzterem Fall verursachen sie einen dramatischen Zusammenbruch der politischen Interaktion der ganzen Welt. Ihrem Ziel, aus diesem Kreislauf auszubrechen, kommen sie nicht näher.

Eine einzige Veränderung stellen sie fest: Die Dauer der Replays verkürzt sich in zunehmenden Intervallen – was erwartet sie, wenn die Wiederholungen dicht bei ihrem Tod beginnen, oder mit ihm zusammentreffen? Ewiges Leid? Endgültiger Tod? Grimwood zeichnet mit meisterhafter Leichtigkeit die Gefühlswelt und die Erlebnisse seines Protagonisten; erst stellt sich Erleichterung ein, als Jeff auf seine Gleichgesinnte trifft, dann fesselt uns die Tragik ihres Auseinanderlebens bis zur erneuten Annäherung. Durch die Verkürzung der Phasen entfernen sich die Wege des bewussten Wiederlebens der beiden voneinander, die festgelegten Wege ihres ersten Lebens beengen ihre Möglichkeiten umgekehrt proportional zur Dauer eines Replays.

Trotzdem läuft alles auf eine Erkenntnis hinaus, die sich allen Anstrengungen zum Trotz durchsetzt und einen Kompromiss zur Zufriedenheit aller Beteiligten zumindest zulässt. Es kommt darauf an, ein zufriedenes Leben zu führen und Differenzen in der Partnerschaft frühestmöglich zu klären. Grimwood gelingt es auf subtile Art, seinem Protagonisten Charaktertiefe und ein gewisses Maß an Weisheit zu verleihen, beides vorstellbare Folgen eines durch viele Wiederholungen stark verlängerten Lebens. Das Wissen um Zusammenhänge, das sich vertieft und verfeinert, hebt Jeff aus der Masse seiner Mitmenschen heraus – ist aber gleichzeitig eine unüberwindliche Kluft.

Es ist eine Tragödie mit melancholischen Schwingungen zum Ende, in denen Grimwood doch Jeffs Entwicklung und dessen ruhige Abgeklärtheit hervorhebt und ihn nicht in Selbstmitleid versinken lässt. Denn ihm wird eines klar: Im Endeffekt gibt es immer nur |ein| Leben, das nur lebenswert gestaltet werden muss. Sind die Replays nun eine Strafe oder eine Belohnung, vielleicht auch ein „Augenöffner“ für das Leben? Wieso Jeff in ihnen gefangen ist, bleibt ungeklärt und spielt auch keine Rolle – entscheidend sind seine Erkenntnisse. Ein hervorragender Roman, aufgrund seiner Komplexität wohl zu schwer für den Durchschnittsjugendlichen, empfehlenswert aber für jeden Erwachsenen! Er ist fesselnd und flüssig zu lesen, ohne Längen und Hänger, und regt auf unterhaltsame Art zum Nachdenken an.

Mossé, Claude – Alexander der Große. Leben und Legende

Der Makedonenkönig Alexander der Große aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. gehört zu jenen Gestalten der Antike, nach deren Taten die Welt ein ganz anderes Anlitz zeigte. Um es ein wenig überzogen zu sagen: Vor dem Auftreten Alexanders gab es Griechen und Barbaren, nach dem Auftreten Alexanders nur noch Hellenen. Seine Feldzüge schoben den Wirkungsbereich der griechischen Kultur bis weit nach Asien und schließlich Indien hinein. War für die alten Griechen vorher alles Nichtgriechische fremdartig und ohne Übergang abgegrenzt von der eigenen Identität gewesen, so boten die Diadochenreiche, die nach dem Tod Alexanders von dessen Eroberungen übrig blieben, das Bild manigfach gemischter Bevölkerungen. Ägypten, welches schon lange vorher – wie uns Herodot, der Geschichtschreiber des 5. Jahrhunderts v. Chr. bezeugt – ein bewundertes Vorbild und einen großen Einfluss darstellte, kam nun selbst an ein griechisches Herrschergeschlecht, das der ehemalige General (griech.: |strategos|) Alexanders Ptolemaios I. hier begründen konnte. Das riesige Perserreich, welches ehemals die griechischen Städtebünde regelmäßig besiegte und viele asiatische Griechenstädte unter seiner Herrschaft hatte, zerfiel erstaunlich schnell im Laufe von nur zehn Jahren vor dem Ansturm des jungen Eroberers. Nach seinem frühen Tod im dreiunddreißigsten Lebensalter wurde er schon bald zur Legende und bis zu Napoleon ein geradezu mythisches Vorbild, das dem eigenen Streben so vieler Machthaber ein glanzvolles Gepränge geben konnte.

Aus diesem Grunde nennt die französische Professorin für Alte Geschichte an der Pariser Universität Claude Mossé ihr Buch im Untertitel „Leben und Legende“ (franz.: la destinèe d’un mythe). Sie wählt nicht die Form einer chronologischen Biographie, sondern versucht mit einem komplexeren Zugriff, der faszinierenden Gestalt des Makedonen gerecht zu werden. Der Ablauf der Ereignisse bleibt hier einem Kapitel unter anderen vorbehalten. Wir werden außerdem ausführlich mit den Nachwirkungen der Feldzüge Alexanders und mit seinem Nachleben in der Überlieferung bekannt gemacht. Insofern erfährt der Leser eine regelrechte Einweihung in die Probleme der modernen Forschung, die durch die Quellenlage und die historischen Zusammenhänge aufgeworfen werden. Denn im Grunde besitzen wir nur Quellen aus späteren Jahrhunderten über das Leben Alexanders, die auf einer schon bestehenden Überlieferung aufbauten. Claude Mossé macht also nicht nur mit dem Menschen Alexander, sondern auch mit dem geschichtlich wirksam gebliebenen und daher bislang „unsterblichen“ Phänomen Alexander bekannt. Wie aktuell diese Figur noch zu sein scheint, zeigt ja auch die jüngste Verfilmung seines Lebens durch Hollywood-Regisseur Oliver Stone.

Das vorliegende Buch steht in direkter Konkurrenz zur Neuübersetzung der Alexander-Biographie des Engländers Robin Lane Fox, die im Verlag |Klett-Cotta| erschienen ist. Durch den völlig anderen Zugriff der französischen Professorin aber bleiben beide Bücher für den geschichtlich interessierten Leser wertvoll und ergänzen einander. Wer wirklich in das Thema einsteigen will, wird zweimal in den Geldbeutel greifen müssen.

Damit ist bereits gesagt, dass Claude Mossé mit diesem Buch eine gelungene Arbeit vorgelegt hat. In klarer, sachlicher, aber nie zu schal wirkender Sprache führt sie uns in die Tiefen der historischen Erscheinung des jungen Welteroberers. Viele Wege führen nicht nur nach Rom, sondern in diesem Fall auch in ein Kapitel altgriechischer Geschichte, das mit anderen Mittelmeerkulturen eng verknüpft ist. Jeder Weg wird in einem für sich abgeschlossenen Teil beschritten. Die Richtung dieser Wege sei an dieser Stelle kurz beschrieben. Der zweite und der vierte Teil bilden dabei die Herzstücke des Buches.

_Der erste Teil: Die Etappen der Herrschaft Alexanders des Großen_
Hier bietet die Autorin den schon erwähnten biographischen Überblick. Ausgehend von der Situation in der Mittelmeerwelt im 4. Jahrhundert v. Chr. berichtet sie von den Schwierigkeiten, die Alexander nach der Ermordung seines Vaters Philipp II. mit den anderen Griechenstädten hatte und wie er dennoch einen vereinigten Feldzug gegen Persien erzwang. Er beendete die Herrschaft des persischen Geschlechtes der Achämeniden, eroberte ganz Kleinasien und Ägypten, brachte die östlichen Satrapien des Perserreiches unter seine Kontrolle, errichtete in Indien Machtzentren und zog schließlich triumphal in Babylon ein.
Nach der Einnahme einer Mahlzeit fühlte er sich nicht wohl, ging in sein Zelt und starb eines schnellen Todes. Es konnte nie geklärt werden, ob die Verdächtigung zu Recht bestand, dass ihn Antipater, sein Verwalter in Makedonien, hatte vergiften lassen, weil er die Ostpolitik des Königs missbilligte.

_Der zweite Teil: Die unterschiedlichen „Rollen“ Alexanders des Großen_
In der komplexen Gestalt des Makedonenkönigs vereinigten sich unterschiedliche „Rollen“, die er auf den historisch bedeutsamen „Bühnen“ seiner Zeit vor verschiedenstem Publikum „spielte“. „Spielte“ muss hier unbedingt in Anführungszeichen stehen, denn Alexander handelte dabei nicht vorrangig aus strategisch-politischen Erwägungen heraus, sondern war selbst ganz eingelassen und identifiziert mit diesen Formen seines Auftretens. Als König der Makedonen hatte er eine „Rolle“ inne, die ihn einer Einheit aus traditionellen Sitten und Bräuchen der Makedonen verpflichtete. Genau in jenem Moment, als er begann, diesen Traditionsrahmen zu überschreiten, kam es zum Eklat mit seinen makedonischen Kriegern.

Durch die immer stärker werdende Integration persischer Krieger in seine Armee, die gleichzeitig immer höhere militärische Ränge bekleideten, zog er sich den Unmut seiner Makedonen zu. Die Gefahr des drohenden Bruches mit diesem Teil seiner Armee wurde noch dadurch verschärft, dass er auch von den Griechen die Proskynese verlangte – eine orientalische Sitte, die das Niederwerfen auf den Boden vor dem König forderte. Im Laufe dieser Streitigkeiten tötete Alexander mehrere langjährige Freunde und Befehlshaber. Diese Untaten führten dazu, dass schon einige antike Schriftsteller ihn vorrangig als „Raufbold“ und Säufer darstellten.

In seiner „Rolle“ als |hegemon| der Griechen befehligte er den Korinthischen Bund, in dem die meisten Griechenstädte vereinigt waren. Dieser Bund hatte sich zum Ziel gesetzt, die griechischen Städte in Kleinasien aus persischer Vorherrschaft zu befreien – ein Ziel, das Alexander schon bald am Anfang seines Feldzuges erreichte. Als |hegemon| fühlte er sich aber auch dem Vorbild der alten Heroen verpflichtet, mit deren Taten er durch seine begeisterte Lektüre der Epen Homers schon in früher Jugend bekannt geworden war. Davon zeugen die zahlreichen Städtegründungen, die er nach mythischem Vorbild vornehmen ließ und die in erster Linie mit Griechen bevölkert wurden. Von den fernen Plätzen seines Wirkens schickte er Boten nach Griechenland, die seine Befehle den dortigen |poleis| ausrichten sollten und verlangte eine göttliche Verehrung, was teilweise nicht auf die Begeisterung der griechischen Stadtbewohner stieß. Die Spartaner ließen allerdings lakonisch verlauten: „Wenn Alexander will, soll er ein Gott sein!“

Da die Herrschaft im Perserreich nun in seinen Händen lag, musste er die „Rolle“ eines Nachfolgers der Achämenidenkönige übernehmen. Alexander behielt als kluger Feldherr natürlich den Großteil der Verwaltungen bei, die er in den besetzten Gebieten vorfand. So setzte er meist einheimische Satrapen als Verwalter ein und errichtete in den jeweiligen Städten nur eine makedonische Kaserne als Kontrollinstanz. Er erhob Tribute, tastete aber die Regierungsformen und Sitten der Einheimischen nur in Ausnahmefällen an.

Eine wichtige „Rolle“ Alexanders war die seiner Gottsohnschaft. Von ihr zeugen noch die Widderhörner am Kopf Alexanders auf vielen Darstellungen bis ins Mittelalter hinein. Alexander erschien als der Sohn des Gottes Zeus Ammon, in dem sich der griechische oberste Gott Zeus mit dem ägyptischen Sonnengott Amun zu einer Einheit verband. Letzterer konnte als Mann mit einem Widderkopf dargestellt werden und daher waren Alexanders Hörner ein Attribut dieses Gottes. In der ägyptischen Oase Siwa erhielt Alexander von dem dortigen berühmten Orakel die Bestätigung dafür, dass er über die Perser siegen werde sowie die Offenbarung seiner Gotteskindschaft. Da die Makedonen sich von Alters her als Nachkommen des vergöttlichten Heros Herakles verstanden, war Alexander seitdem gewissermaßen doppelt mythisch legitimiert. Für Alexander besaß diese Verbindung mit Zeus Ammon eine große persönliche Wichtigkeit, was sich schon daran sehen lässt, dass seine Soldaten einmal mürrisch verkündeten, er brauche sie offensichtlich nicht und solle doch mit seinem göttlichen Vater alleine siegen. Claude Mossé geht in diesem Zusammenhang auf die Tradition der Heroenverehrung in Griechenland ein, in der auch Alexander fest verwurzelt war.

_Der dritte Teil: Der Mensch Alexander_
Für die Nachzeichnung des Charakters von Alexander hält sich die Autorin hier an den vertrauenswürdigsten Führer – an den Philosophen und Historiker Plutarch, der allerdings vier Jahrhunderte später zur Zeit Caesars lebte. Der Leser findet in diesem Teil ein Kapitel über die Erziehung und Kindheit Alexanders, in dem auch sein Lehrer, der berühmte Philosoph Aristoteles, eine Rolle spielt.
Ein weiteres Kapitel berichtet über die Eigenschaften, die Alexanders Persönlichkeit in den Quellen am häufigsten zugeschrieben wurden. Diese reichen von den Feldherrntugenden wie Mut und einer geradezu sagenhaften Großzügigkeit über seine Vorliebe für die Philosophie bis zu den Schattenseiten Alexanders, die vor allem am Ende seiner Feldzüge zutage traten. Beispielsweise konnte seine ansonsten vorbildlich geübte Selbstbeherrschung später in den brutalsten Jähzorn umschlagen.

_Der vierte Teil: Das Erbe Alexanders_
Die eigentliche historische Bedeutung Alexanders geht darauf zurück, dass seine Herrschaft „einen radikalen Bruch in der Entwicklung des östlichen Mittelmeerraumes bedeutete“ (S. 131). Frau Mossé schreibt weiter: „Bevor er die geschichtliche Bühne betrat, bestanden auf der östlichen Seite der Ägäis das riesige Perserreich und auf der westlichen viele griechische |poleis|. Unter ihnen ragten einige Städte heraus, die einen Grad der Zivilisation erreicht hatten, der in den Augen der damaligen Griechen als das direkte Gegenteil des barbarischen ‚Despotismus‘ erschien. Dies waren Städte, die sich nach – zugegeben – unterschiedlichen Maßstäben und Normen selbst regierten; aber alle verstanden den Begriff des Bürgers als Synonym für höchst erstrebenswerte politische Aktivitäten. Nach Alexander bestanden in erster Linie riesige, von Königen regierte Staaten, die sich dennoch der griechischen Kultur verpflichtet fühlten. Natürlich gab es sowohl im europäischen Teil Griechenlands als auch in Kleinasien weiterhin unabhängige griechische Staatsgebilde oder untereinander verbündete Städte und Staaten. Und in den Städten zumindest blieben die in den vergangenen Jahrhunderten erworbenen Formen des Zusammenlebens erhalten, und so gesehen stimmt es, dass der Typus der griechischen Stadt durch den Eroberungszug des Makedonen nicht untergegangen ist. Aber diese Städte besaßen, selbst wenn sie nicht innerhalb der ausgedehnten Königreiche lagen, die aus Eroberungen hervorgegangen waren, bezüglich ihrer äußeren Beziehungen nur noch begrenzte Autonomie. Sie standen trotz einiger kurzlebiger Ausbrüche in Form von Unabhängigkeitsbestrebungen doch mehr oder weniger im Schatten hellenistischer Könige, bevor sie dann unter römische Herrschaft gerieten.
Die kurze Herrschaft Alexanders führte also zu einem Bruch, auf politischem, aber auch auf kulturellem Gebiet in dem Maße, in dem sich im Lauf der Zeit neue Formen des Denkens, der religiösen Synkretismen oder von Akkulturationsphänomenen herausbildeten.“ (S. 131 f.). Dies führte nicht zu einer sofortigen Änderung des Gesichtes der antiken Welt, aber Alexander leitete die Entwicklung ein, „die der antiken Welt ihr endgültiges Aussehen gab.“ (S. 132)
In diesem Kapitel werden also die neuen Formen der Monarchie, der Lebensführung und Wirtschaft behandelt, genauso wie die fortschreitende Hellenisierung des Orients, die eine folgenschwere Ausdehnung griechischer Kultur bedeutete und es bespielsweise ermöglichte, dass viele Jahrhunderte später die Schriften des Aristoteles im Mittelalter durch arabische Übersetzungen nach Europa zurückgelangen konnten.

_Der fünfte Teil: Alexander, ein mythischer Held_
Hier behandelt die Autorin das Bild, das sich die späteren Jahrhunderte von Alexander machten. Sie beginnt mit den Schriftstellern der römischen Antike und untersucht den „Alexanderroman“, der die mittelalterliche Sicht auf den Eroberer als frühen Vorläufer des Christentums widerspiegelt und an dessen legendärer Überlieferung selbst noch in der Neuzeit weitergesponnen wurde. Schließlich gelangt sie zur modernen Historiographie und den Romanschriftstellern, die sich immer wieder gerne der Gestalt Alexanders bemächtigten. Als Beispiele kommentiert sie den bekannten Roman Klaus Manns und die Romantrilogie des italienischen Schriftstellers Valerio Manfredi. Ein Epilog schließt das Buch ab, in dem die Autorin ihren eigenen Zugriff noch einmal erläutert, der ja in bestimmender Weise die Vorstellungen, die sich spätere Generationen über Alexander machten, einbezieht und damit zugleich auch die Bedeutung, die diese Vorstellungen in der Entwicklung von Gesellschaften haben.

Das Urteil der Autorin fällt bei jedem der behandelten Themen sehr zurückhaltend aus. Sie weiß einerseits um die Problematik der Quellenlage, vermeidet es aber andererseits, heutige Denkweisen und Plausibilitäten einfach auf die Menschen der damaligen Zeit zu übertragen. Die Sprache der Quellen verliert sie niemals ganz aus dem Auge. Der Ton ihrer Erzählung ist stets ruhig und ausgeglichen. Zwischen faktenorientiertem Positivismus und begeisterter Romantik sucht sie sich ihre eigene Perspektive, die dem Maß beider Sichtweisen gerecht werden kann. Die Fakten stehen im Vordergrund, ihre Ausdeutung bleibt dabei immer vorsichtig, aber eine leise Faszination durch die kraftvolle Gestalt Alexanders klingt an jeder Stelle im Text zumindest als Hintergrund mit an.

Als weiterer Pluspunkt des Werkes erweist sich die verbindende Herangehensweise der Autorin. Trotz der Fülle der Einzelthematiken geht der Gesamtzusammenhang nie verloren. Allzu häufig verdrängt in den modernen geschichtswissenschaftlichen Abhandlungen die Fleißarbeit der Detailfindung den denkerischen Gehalt einer großen Zusammenschau der Ereignisse. Die Einzelfakten stehen dann meist etwas verloren nebeneinander im Raum. Claude Mossé gelingt es aber, die von ihr aufgegriffenen einzelnen Fäden immer wieder durch Querverweise auf die anderen Teilthemen zu verknüpfen. Im Geiste des Lesers ensteht nicht der Eindruck eines Sammelsurriums von Fakten oder Einzelfragen, sondern ein kompaktes Bild über Leben, Erbe und Legende einer großen weltbewegenden Persönlichkeit, dessen einzelne Momente aufeinander verweisen.

Im Anhang des Buches finden sich neben dem obligatorischen Register, den Literaturhinweisen, einer Zeittafel und dem Kartenmaterial noch Kurzbiographien zu den wichtigsten Personen um Alexander und die Diadochenkönige. Dadurch wird die Orientierung und die Zuordnung der vielen für das Thema wichtigen Protagonisten wesentlich erleichtert. Ein wunderbares, informatives Buch also, das für jeden Alexander-Fan schlicht unentbehrlich bleibt!

Hans Kneifel – Der Schläfer der Zeiten (Perry Rhodan. Lemuria 2)

Die guten Vorsätze und die Anfänge von Vertrauen, die sich durch Alemaheyus Luftgitarre anbahnten, scheinen durch das alte Misstrauen verdrängt worden zu sein. Die PALENQUE und die LAS-TOOR umkreisen manövrierunfähig den Planeten „Mentack Nutai“, auf dem erst kürzlich die Überlebenden der zweiten Sternenarche bruchlandeten. Eine noch unbekannte Macht entzieht den Schiffen jegliche Energie bis auf die Lebenserhaltung, merkwürdigerweise sind die Beiboote nur bedingt betroffen.

Perry Rhodan und einige Prospektoren und Akonen fliegen den Planeten an, um Kontakt mit den Gestrandeten aufzunehmen und möglichst mehr Informationen über die Sternenarchen und die damit verbundenen Rätsel zu finden. Sie stoßen meist auf hilflose Lemurer, die Zeit ihres Lebens nur an Bord eines Raumschiffs lebten und mit der Weite des Planeten sowie den überlebenswichtigen Aufgaben überfordert sind.

Der Kommandant der Arche, der „Sternensucher“ Atubur Nutai, notlandete mit seiner Kommandofähre abseits der Rettungsfähren. Hier erliegt er seinen Verletzungen, gepflegt von seiner Begleiterin Nydele. Sein Zellaktivator verhindert nicht seinen Tod.

Eine Energiesignatur lockt Rhodan und sein Team in den Norden, in die Eiszone, wo er erstmals auf intelligente Bewohner des Planeten trifft: Energiewesen, die für die Probleme der Mutterschiffe verantwortlich sind. In primitiven Kontaktversuchen erfahren die Menschen, dass die „Menttia“, die Energiewesen, bereits schlechte Erfahrungen mit ihresgleichen hatten und sich nur absichern wollen. Es bahnt sich gegenseitiges Verständnis an, als Rhodan auf eine uralte Station der Akonen stößt, die anscheinend einen Konflikt mit den Menttia austrugen. Dort treffen sie auf ein zerstörerisches Wesen, in dem Denetree den „Hüter“ der Sternenarchen und Rhodan seinen Freund Icho Tolot, den Haluter, erkennt …

Hans Kneifel schreibt seit Jahrzehnten für die Perry-Rhodan-Serie, mittlerweile nur noch sporadisch wegen seines doch recht hohen Alters. Der Fan freut sich über seine gelegentlichen Gastspiele. Kneifel schrieb den Großteil der Atlan-Zeitabenteuer und ist damit einer der „Väter“ dieser Figur, die sich unter den Lesern seit ihrem ersten Auftritt größter Beliebtheit erfreut. Zwischenzeitlich gab es eine eigene Serie um den Arkoniden Atlan, die neuerdings einen neuen Versuch wagt.

Im vorliegenden zweiten Band des sechsbändigen Taschenbuchzyklus „Perry Rhodan – Lemuria“ fügt Kneifel neue Fragen dem großen Rätsel hinzu, das sich um die Sternenarchen rankt. Antworten werden noch keine gegeben, aber das Flair des Kosmischen verstärkt sich noch und bildet die fesselnde Atmosphäre des Romans. Mit den Menttia führt Kneifel ein neues faszinierendes Volk ein, das sich an einen uralten Konflikt mit den Akonen erinnert. Die Akonen wiederum wissen nichts mehr davon, die Lemurer und Terraner schon gar nicht. Dank Rhodans zeichnerischer Künste lässt Kneifel so etwas wie ein Friedensabkommen zustande kommen. Von den wenigen hundert Schiffbrüchigen fühlen sich die Menttia nicht bedroht, und Rhodan kann klar machen, dass von den anderen Gruppen keine Aggressionen zu befürchten sind.

Leider scheint keinem der Handelnden, und damit Kneifel ebenfalls nicht, aufgefallen zu sein, dass der Kommandant der zweiten Arche als Sternensucher bezeichnet wird, während auf der ersten Arche die Sternensucher verfolgt und vernichtet wurden. Das wird natürlich seinen Grund haben, den wir jetzt noch nicht kennen. Trotzdem hätte das gerade Denetree auffallen müssen, da ihr Bruder doch als Sternensucher den Tod gefunden hat.

Die Zellaktivatoren der Kommandanten werden ein größeres Rätsel. In beiden Archen wird einer getragen, doch beide scheinen defekt zu sein: Der erste Kommandant altert trotz Aktivator, nur langsamer, und seine Beweglichkeit wird stark eingeschränkt, der zweite Kommandant, Atubur Nutai, unterzog sich einer regelmäßigen, unbekannten „Verjüngungskur“, in deren Verlauf er immer einen Teil seiner Erinnerungen verlor. Das ist eins der Rätsel, die es zu lösen gilt: Woher kommen die Aktivatoren, warum sind sie fehlerhaft?

Zu Beginn des Romans erfährt man von einem fremden schwarzen Kugelraumschiff, das sich in der Arche befindet. Durch die Darstellungen des „Hüters“ angeregt denkt der kundige Leser sofort an ein Haluterschiff – befindet sich einer an Bord dieser zweiten Arche? Bekanntlich erleidet die Arche Schiffbruch, und man erfährt, dass das schwarze Schiff bei der akonischen Station strandet. In dieser Station werden die Menschen um Rhodan fast von einem aggressiven Ungeheuer überrannt, das die Station zerstört. Rhodan erkennt seinen alten Freund Tolot. Neue Frage: Wie kann Tolot seit fünfzigtausend Jahren an Bord der Arche sein, wenn er aktuell mit Rhodan befreundet ist? Wir ahnen, dass es nicht Tolot sein kann, denn Kneifel lässt Rhodan zum Ende noch ein Funkgespräch mit ihm führen.

Die Miniserie macht einen faszinierenden Eindruck, anders als die Vorgängerserien zieht sie ihr Potenzial nicht aus Action, sondern aus der geheimnisvollen kosmischen Atmosphäre. Trotzdem handelt es sich um Fragen, die einem Serienneuling eventuell nicht viel bedeuten, da sie erst im Serienkontext ihre wahre Größe enthüllen. Unterhaltsam sind die Romane bisher allemal, ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis wird man schwerlich auf dem Buchmarkt finden. Insgesamt kann Kneifel nicht ganz an die Güte seines Vorgängers anschließen, trotzdem steigt die Spannung und macht Lust auf mehr. Im nächsten Band zeigt Andreas Brandhorst, wie er sich im Rhodan-Kosmos zurechtfindet. Man darf wirklich gespannt sein!

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 2,50 von 5)

Bujold, Lois McMaster – Barrayar – Cordelias Ehre

In den USA längst Kult, nun auch in Deutschland als Neuauflage: Lois McMaster Bujolds Space-Opera |Barrayar| wird von |Heyne| im Doppelpack neu aufgelegt. „Barrayar – Cordelias Ehre“ enthält die ersten beiden Romane des zehnbändigen Barrayar-Zyklus: „Scherben der Ehre“ und den mit dem |Hugo-Award| ausgezeichneten Roman „Barrayar“.

Um die Qualitäten dieses Zyklus und Lois McMaster Bujolds zu unterstreichen, sollte Folgendes nicht unerwähnt bleiben: Mit _fünf_ |Hugos|, einem |Nebula Award| (zwei, zählt man auch Novellen) und unzähligen anderen Preisen wurde die 1949 geborene amerikanische Autorin bereits ausgezeichnet. Drei |Hugos| und den |Nebula Award| brachte ihr alleine der |Barrayar|-Zyklus ein. Nebenbei bemerkt, auch im Fantasybereich ist die Autorin überaus erfolgreich, sowohl [Chalions Fluch 517 als auch „Paladin der Seelen“ (Hugo-Award-Gewinner) wurden mehrfach prämiert.

Dieser Doppelband stellt den Auftakt zu der beliebten Space-Opera dar, deren eigentlicher (Anti-)Held Miles Vorkosigan erst im nächsten Band als „Der Kadett“ (ab Februar 2005 im |Heyne|-Doppelband „Der junge Miles“) seinen Auftritt hat. Vorerst agieren seine Eltern Cordelia Naismith und Aral Vorkosigan – deren Liebesbeziehung sich von Anfang an dramatisch gestaltete …

_Captain Naismith und der Schlächter von Komarr_

|Barrayar| spielt in ferner Zukunft, die Menschheit beherrscht bereits die überlichtschnelle Raumfahrt, Wurmlöcher dienen als Sprungtore in ferne Sonnensysteme. Viele kleine Sternenreiche stehen im permanenten Konflikt, insbesondere um strategisch und wirtschaftlich bedeutsame Systeme mit vielen Wurmlöchern. Die Gesellschaft des technologisch und kulturell leicht rückständigen Kaisterreichs Barrayar erinnert an einen Mix aus dem Zarentum der Romanovs (die Adelskaste der „Vor“ stellt Offiziere und Regierung, der Kaisertitel ist erblich) und Stalinismus, dank Politoffizieren und ausgeprägtem Geheimdienstapparat. Der berechtigte Ruf der Grausamkeit eilt den Barrayanern voraus, insbesondere mit dem Nachbarreich Cetaganda und der kleineren Beta-Kolonie kommt es schon nahezu traditionell zu blutigen Gefechten.

|Scherben der Ehre|

Als Kommandantin des betanischen Erkundungskommandos muss man mit dem Unvorhergesehenen rechnen – auch mit dem Überfall einer barrayanischen Militärpatrouille. Während Cordelias Erkundungstrupp getötet wird, kann sie vorerst entkommen und ihr Schiff warnen.

Cordelia wird schließlich vom Captain der Barrayaner persönlich gefangen genommen. Aber warum ist er völlig alleine mit ihr im Dschungel und nicht an Bord seines Kreuzers? Zu ihrem Entsetzen stellt sich Aral Vorkosigan als der „Schlächter von Komarr“ heraus, der von seinem Polit-Offizier offensichtlich bewusst in Stich gelassen wurde. Auf dem Fußmarsch quer durch die Wildnis zurück zu seinem Schiff kommen sich beide näher und lernen sich schätzen. Cordelia hilft sogar dem altmodischen, ehrenhaften Aral, sein Kommando wiederzuerlangen und eine Meuterei niederzuschlagen. Trotz ihrer großen gegenseitigen Zuneigung flieht Cordelia schließlich, um ihrem Oberkommando eine Warnung zukommen zu lassen: Die Barrayaner planen eine Offensive im Escobar-System, der Krieg steht unmittelbar bevor.

|Barrayar|

Während des Krieges gegen die Barrayaner gerät Captain Naismith erneut in Gefangenschaft, diesmal allerdings in keine annähernd so angenehme. Dabei erhält sie tiefe Einblicke in die barrayanische Gesellschaft: Dynastische Streitigkeiten sind für die kriegs- und siegesgewohnten Barrayaner der eigentliche Grund für die verlustreiche Offensive im Escobar-System. In diesem perfiden Plan des Kaisers, der seinen erstgeborenen Sohn opfert, spielt der wieder in den Admiralsstand erhobene Aral Vorkosigan eine wichtige Rolle.

Trotz ihrer geheimen Kenntnisse schenkt er Cordelia im Rahmen eines Gefangenenausstauschs die Freiheit. Die sich als zweischneidiges Schwert entpuppt: Man hält sie für eine Doppelagentin, die man einer Gehirnwäsche unterzogen hat. Den Schlächter von Komarr lieben? Absurde Behauptungen über angebliche Kriegsgründe aufstellen? Offensichtlich wurde Cordelia von den Barrayanern völlig gebrochen, man steckt sie in ein Militärsanatorium und traktiert sie, bis ihr keine andere Möglichkeit als Flucht bleibt.

Auf Barrayar wird aus Captain Naismith bald Lady Vorkosigan, doch auch hier kommt das Paar nicht zur Ruhe. Aral Vorkosigan wird zum Regenten des Kaisers ernannt – und damit zur Zielscheibe für Attentäter. Bei einem missglückten Giftgas-Attentat wird zudem Cordelias ungeborenes Kind in Mitleidenschaft gezogen. Die nötige Behandlung Cordelias beschert ihrem Sohn brüchige Knochen und andere körperliche Schwächen, nur modernste Technik kann ihn überhaupt retten und in einem externen Bruttank am Leben erhalten.

Als Erbe der Vorkosigans will Arals Vater einen Krüppel nicht akzeptieren. Die feudalistische, körperbetonte Kultur der Barrayaner ist in vielerlei Hinsicht rückständig, Cordelia selbst als ehemalige Offizierin passt nicht in ihr Weltbild.

Inmitten all dieser Probleme kommt es kurz nach dem Tod des Kaisers zum Putsch: Cordelia und Aral müssen nicht nur um das Leben ihres von aller Welt verachteten, noch nicht einmal geborenen Kindes fürchten, sondern auch ihr eigenes und das des Thronerben Prinz Gregor schützen – und ihm seine Krone zurückerobern.

_Erzählkunst kontra Klischee_

Eine Frage stellt sich zwangsläufig: Wie konnte so eine Seifenoper den |Hugo Award| gewinnen? Nach wenigen Seiten finden sich die Hauptakteure sehr attraktiv, bis zur hundertsten Seite hat Aral Vorkosigan Cordelia bereits zwei schüchterne Heiratsanträge unterbreitet. Sergeant Bothari ist offenkundig ein handelsüblicher Psychopath, und während die Betaner Cordelia für eine Doppelagentin halten und vergraulen, ist es offenkundig für die Barrayaner kein Problem, sie als Ehefrau des Regenten zu akzeptieren. Eine feudale, rückständige Kriegerkultur, ein in Space-Operas häufig abgegriffenes, beliebtes Klischee, rundet das fragwürdige Bild ab.

Die Erklärung ist sehr einfach: Dafür ist alles andere mehr als gelungen. Spannung und Action werden wortwörtlich von der ersten Seite an geboten, Unwichtiges konsequent gerafft und ausgespart – Cordelias Flucht nach Barrayar und ihre Hochzeit mit Aral nehmen nur wenige Seiten ein, die Hochzeit gar nur drei Zeilen. Cordelia und Aral sind ein sympathisches, dynamisches Duo, die toughe Kommandantin und ihr ehrenhafter Adliger alter Schule erobern schnell das Herz des Lesers. Dasselbe gilt auch für Nebenfiguren wie den psychopathisch angehauchten Sergeant Bothari und andere Personen des Vorkosigan-Haushalts, die dem Leser in der Art einer Familie ans Herz wachsen.

Trotz der schnellen und handlungsorientierten Erzählung spielt ein Großteil der Handlung im psychologischen Bereich: Technik ist eher Mittel zum Zweck in Bujolds Science-Fiction. Wenn Charaktere wie Bothari auf einmal an Tiefe sowie der Konflikt zwischen Cordelia und dem alten Piotr Vorkosigan wegen Miles an Plastizität gewinnen, dann zeigt sich, was den |Barrayar|-Zyklus ausmacht: Bujolds mitreißende Erzählkunst überzeugt sowohl mit temporeicher äußerer Handlung als auch mit der spannenden Thematisierung innerer Konflikte, die nahtlos in dieselbe integriert sind.

_Es wird noch besser …_

Lois McMaster Bujold ist eine begnadete Erzählerin. Innovative, neuartige Ideen oder gar Welten schaffen ist nicht ihre Stärke. Das hat sie aber auch gar nicht nötig. Nur wenige Autoren können eine Geschichte so mitreißend und kurzweilig über fast 600 Seiten hinweg erzählen und dabei so trefflich darstellen und charakterisieren. Einmal in die Hand genommen, möchte man „Barrayar – Cordelias Ehre“ gar nicht mehr weglegen.

Gerade dass Bujold im Vergleich zu gängigen Space-Operas zwar auch Action bietet, die Handlung sich aber weitgehend im Inneren abspielt, unterscheidet |Barrayar| vom üblichen Einerlei. Vielleicht trifft aber gerade deshalb der Vorwurf der Trivialität diesen Zyklus besonders: Denn bei anderen Sagas wie |Star Wars| kommt man gar nicht erst auf die Idee, unter dem Pathos nach einem tieferen Sinn zu suchen.

Am besten vergleicht man |Barrayar| mit einem leckeren, italienischen Speiseeis an einem sonnigen Tag: Man genießt es in einem Zug. Danach ist es weg, rückstandslos verschwunden – und man möchte mehr davon.

|Heyne| lässt den Leser nicht im Stich: Mit „Der junge Miles“ ist bereits der nächste |Barrayar|-Doppelband erschienen, und mit Miles Vorkosigan betritt die wohl beliebteste Figur von Lois McMaster Bujold zusammen mit den Dendarii-Söldnern die Bühne – die Abenteuer des körperlich behinderten Miles in der ihn kontrastierenden Barrayaner-Gesellschaft erhielten ebenfalls einen |Hugo Award|. Übersetzer der gesamten Serie ist wie bei Bujold üblich Michael Morgental, hohe Qualität ist somit gewährleistet – Setzfehler früherer Ausgaben wurden zudem vollständig eliminiert.

Wer Unterhaltung sucht, findet sie im Barrayar-Universum im Übermaß!

Die offizielle Homepage der Autorin:
http://www.dendarii.com/

Dick, Philip Kindred – galaktische Topfheiler, Der

Joe Fernwright, kleiner Handwerker und Meister der aussterbenden Kunst des Topfheilens, steckt in einer Sackgasse. In einer keramiklosen Zeit, die offensichtlich für seine Fähigkeiten keine Verwendung mehr hat, wartet er seit Monaten tagtäglich untätig in seiner Werkstatt auf Arbeit. Endlich eröffnet ihm der Auftrag eines außerirdischen Überwesens von einem fernen Planeten die Chance, sich aus dieser hoffnungslosen Situation zu befreien. Joe Fernwright entschließt sich, den Auftrag anzunehmen und verlässt die Erde, um auf dem Planeten Plowman, gemeinsam mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe verschiedener Spezialisten unterschiedlichster Spezies, das gigantische Projekt anzugehen. Ein alle Grenzen sprengendes Abenteuer beginnt.

Das Vorhaben – und der Roman – entpuppt sich schon bald als Reise in metaphysische, philosophische Dimensionen, wie es typisch für Philip K. Dicks Romane ist. Diese Hintergründigkeit hebt den Roman deutlich aus der Masse einfacher gestrickter SF-Storys hervor. Dazu wimmelt die Geschichte von skurrilen Einfällen und seltsamen Wesen, die den Leser mit wunderbarer Leichtigkeit in die Tiefen von Dicks Gedankenwelt eintauchen lassen. Besonders köstlich etwa die Seelsorgerzelle, in der sich Verunsicherte gegen Münzeinwurf entsprechend den Regeln des Zen, der puritanischen Ethik, der römisch-katholischen Kirche, des Islam oder wahlweise des mosaischen Glaubens beraten lassen können.
Oder das Spiel, mit dem man in jener Gesellschaft (unter einem repressiven, pseudosozialistischen System, das völlig abgewirtschaftet wurde) die Langeweile des Alltags betäubt – ein Ratespiel, bei dem zuvor per Computerübersetzung verstümmelte Buchtitel wieder dechiffriert werden müssen. (… darauf kam Dick im Jahr 1969!)
Dann der Android, der Schriftsteller werden möchte und Klassiker zitiert (überhaupt, die werden im Roman öfters zitiert, vor allem Goethes Faust – und auch klassische Musik spielt immer wieder eine Rolle). P. K. Dicks Begeisterung für die deutsche Sprache und seine Leidenschaft für Musik blitzen in dem Roman immer wieder durch. Auch in der Szene, in der das Radioprogramm mit seinen absonderlichen Wechseln zwischen geistlicher/klassischer Musik und Werbung für Korsetts, Mittel gegen Menstruationsbeschwerden, Hämorrhoidensalbe und Katzenstreu beschrieben wird. Selbst solche Slapstickszenen führen kleine, hintergründige Extrabotschaften mit sich und regen zum Denken an, ohne belehrend zu wirken. Schon die Idee, das Heilen zerbrochener Keramik zu einem Handwerksberuf der Zukunft zu machen – und den Besten dieser Zunft zum Helden eines Romans – hat eine metaphorische Extradimension – verdeutlicht die Allegorie. Das Thema Vorherbestimmung/Vorhersage der Zukunft fügt Dick im „galaktischen Topfheiler“ einmal als Ergebnis einer computergenerierten Partnerschafts-Simulation ein, ein andermal als geheimnisvolles Buch der mysteriösen Kalenden, die einzig damit beschäftigt sind, darin die Zukunft vor(aus)zuschreiben.

Zum Ende hin wird der Roman stetig surrealer und zeigt immer deutlicher seine erweiterte Dimension. Metaphysische, theologische und philosophische Fragen – die Suche nach dem wahren Wesen des Menschen, dem Sinn der Existenz, der Frage nach Vorbestimmung, nach Täuschung und Realität, der Struktur der Zeit – sind in Dicks Roman so spritzig verpackt, dass man sich trotz der „Schwere“ der Themen bestens amüsiert. Im Backcovertext wird der Roman sehr treffend als „faszinierend absurde Parabel“ bezeichnet – dass die Handlung an manchen Stellen etwas holpert, an anderen die Logik wackelt, tritt angesichts der Aussagekraft auf anderer Ebene völlig in den Hintergrund – das Buch bleibt eine in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken anregende und gleichzeitig kurzweilige Lektüre, ein Stück Literatur weit jenseits der Trivialität.

Zum zwanzigsten Todestag Philip K. Dicks begann der |Heyne|-Verlag im Jahr 2002 damit, ausgewählte Werke des Autors sukzessive in einer neuen Taschenbuchreihe auf den Markt zu bringen. Mit „Der galaktische Topfheiler“ wurde jetzt, im Januar 2005, Band 11 der Edition herausgebracht – der nächste ist für April angekündigt – weitere werden folgen.
Die Reihe präsentiert sich einheitlich im seriös-distinguierten Nadelstreifenlook (in von Band zu Band unterschiedlicher Grundfarbe) – darauf prangen schlicht und edel, in silberglänzenden Prägelettern Titel und Verlagsname, in Blau der Autorenname. Diese Aufmachung hebt nun auch optisch Philip K. Dicks Werk aus der vorurteilsbeladenen Trivialecke heraus. „Der galaktische Topfheiler“ kommt in einem die winterlich fröstelnden Finger wärmenden sonnigen Orangecover daher.

Beklagenswerterweise verzichtete Heyne in diesem Band auf ein einführendes bzw. erläuterndes Vor- oder Nachwort. Es findet sich lediglich der dürre Hinweis, es handele sich um eine erstmals ungekürzte deutsche Ausgabe, und zwar die Übersetzung von Joachim Pente (*) in von Alexander Martin neu durchgesehener und vollständig überarbeiteter Version. Weder wurden eine bibliographische Einordnung des Romans, noch etwas ausführlichere Anmerkungen zur Überarbeitung, noch gar eine leicht vertiefte Betrachtung Dicks wechselvoller Biographie angefügt.

(*) 1976 bzw. 1984 erschien der Roman bereits in deutscher Übersetzung (von Joachim Pente) – unter dem Titel „Joe von der Milchstraße“. Allerdings in gekürzter Fassung: 168/192 Seiten hatte der Roman in jener Version (Fischer/Moewig). Die hier besprochene, ungekürzte Ausgabe ist 207 Seiten lang.

Ob die Neuausgabe denn nun – abgesehen vom geschmackvoll schlichten Design des Covers – auch von den inhaltlich Qualitäten her betrachtet einen Gewinn gegenüber den Vorgängern darstellt, lässt sich, ohne allzu sehr in Details zu gehen, vielleicht so beantworten: Wer bei Übersetzungen Wert auf eine gelungene Kombination aus inhaltlicher Werktreue, möglichst weitgehend erhaltener „Handschrift“ des Autors und dabei noch gutes Deutsch legt, ist mit der Neubearbeitung bestens bedient. Auch die Wahl des Titels zeugt vom Bestreben des Verlags, das Werk Dicks in dieser Edition möglichst originalgetreu wiederzugeben.

Vom einzigen kleinen Wermutstropfen – dem fehlenden Vor- oder Nachwort – abgesehen, kann ich Heynes ungekürzte Neuausgabe von P. K. Dicks „Der galaktische Topfheiler“ jedem Freund tiefgründiger und origineller Literatur wärmstens empfehlen! Dass dieser Roman unter Dicks Werken bisher eher wenig beachtet wurde, wird sich durch die Neuausgabe hoffentlich ändern: Das Buch hat es verdient.

|Originaltitel: „Galactic Pot-Healer“, 1969|

_Susanne Jaja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Elrod, P. N. – endlose Tod, Der (Jonathan Barrett 2)

Autorin P. N. Elrod hat sich auf Vampire spezialisiert. In ihrer umfangreichen Serie um [Jack Fleming 432 begleitet sie den vampirischen Detektiv bei der Aufklärung seiner Fälle. In den Romanen um den amerikanischen Vampir Jonathan Barrett dagegen zeichnet sie ein faszinierendes Sittenbild frühester US-amerikanischer Geschichte, in das sie die Abenteuer ihres Protagonisten einbettet.

[„Der rote Tod“, 821 der erste Roman der mehrteiligen Serie, war ein furioser Auftakt. Jonathan Barrett, den naiven jungen Helden, verschlägt es zum Studium nach England und geradewegs in die Arme der unwiderstehlichen Nora Jones. Deren Affäre findet zwar ein Ende, als Jonathan nach seinen Studien nach Long Island zurückkehren muss, doch hinterlässt Nora bei ihm einen bleibenden Eindruck: Als er nämlich bei einem Scharmützel (die Handlung spielt während des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs) tödlich verwundet wird, erhebt er sich eine Nacht später wieder aus seinem Grab, um zu seiner Familie zurückzukehren. Sein Vater und seine Schwester sind außer sich vor Freude und akzeptieren ohne Murren Jonathans neue Lebensgewohnheiten. So hat er keinen Herzschlag mehr, verschläft den Tag in seinem Zimmer bei zugezogenen Gardinen und erleichtert in der Nacht die familieneigenen Pferde um ihr Blut.

„Der endlose Tod“ knüpft nahtlos an die Ereignisse aus „Der rote Tod“ an und verfolgt zunächst weiter, wie sich Jonathan mit seinem neuen vampirischen Zustand arrangiert. Zusammen mit Vater und Schwester stellt er einige Versuche an, um herauszufinden, welche Kräfte er besitzt (so kann er beispielsweise andere per Hypnose beeinflussen oder sich in Luft auflösen). Doch außer der Tatsache, dass Jonathan am Tagesgeschehen offensichtlich keinen Anteil mehr nimmt und erst nach Sonnenuntergang aus seinem Zimmer kommt, stört nichts das gepflegte Zusammenleben im Haushalt Barrett. Zwar tobt draußen immer noch der Unabhängigskeitskrieg, allerdings scheint dieser eher unangenehm störend als wirklich gefährlich zu sein. Denn auf wundersame Weise schafft es immer nur Jonathan, vor die Flinte (Stichwaffe, stumpfen Gegenstand – man füge eine Waffe seiner Wahl ein) eines Soldaten oder Söldners zu laufen. So wird er niedergeschossen, niedergestochen, niedergeschlagen und entführt.

Außer auf Jonathans anhaltendes Unwohlsein aufgrund von lebensbedrohlichen Verletzungen, konzentriert sich die Handlung auf seine Schwester Elisabeth. Zwei neue Gäste haben sich nämlich im Hause niedergelassen und zwischen Elisabeth und Lord James Norwood entwickeln sich ziemlich schnell zarte Bande, die in einer Hochzeit enden. So besteht „Der endlose Tod“ über weite Strecken aus Teegesellschaften, zivilisierten Unterhaltungen und dem Nähen von Hochzeitskleidern. Doch wäre es glücklicherweise zu einfach, die eheliche Idylle unberührt zu lassen, und so muss Jonathan auf den letzten Seiten des Romans die Ehre seiner Schwester retten.

„Der endlose Tod“ kann mit seinem Vorgänger nicht mithalten. Die meisten Figuren sind bekannt (tatsächlich werden nur Norwood und seine Schwester neu eingeführt) und das Gleiche gilt für das Setting in Long Island. Jonathan bewegt sich ständig von seinem Haus zu einer Kneipe oder durch finstre Wälder zum Haus der Geliebten seines Vaters. Viel Neues wird der Leser also nicht erfahren. Auch zu Jonathans vampirischem Zustand wird kaum etwas hinzugefügt. Mittlerweile hat Jonathan zwar seine Kräfte und Möglichkeiten ausgiebig getestet, doch nutzt er sie kaum.

Und genau hier liegt der erzählerische Knackpunkt des Romans. Elrod benutzt in ihrem Roman nicht einmal das Wort „Vampir“. Jonathan weiß also nicht, was er ist (was durchaus seine Spannungsmomente hat). Doch auch er sollte festgestellt haben, dass er nicht so leicht zu töten ist. Dass er bereits tot und begraben war, weder einen Herzschlag noch eine nennenswerte Atmung hat, sollte Jonathan eigentlich ausreichend Indizien liefern. Elrod wirft ihren Protagonisten ständig in Situationen, die für einen normalen Menschen gefährlich, wenn nicht gar tödlich wären. Für einen Vampir jedoch sind sie bloße Unterhaltung. Und so mag beim Leser nicht wirkliche Empathie aufkommen, wenn Jonathan mal wieder angeschossen wurde. Weiß er doch (im Gegensatz zu Jonathan selbst), dass eine Schusswunde ihm nichts anhaben kann. Und so freuen sich Jonathan und sein Vater jedes Mal über die wundersame Genesung, der Leser aber rollt nur die Augen.

„Der endlose Tod“ bietet also gegenüber seinem Vorgänger kaum etwas Neues. Die Handlung wird weitergeführt, doch plätschert sie diesmal etwas zu bedächtig dahin, um so zu fesseln wie der erste Band. Stattdessen liefert Elrod Charakterstudien ihrer handelnden Figuren und lädt den Leser ein, an der Familiengeschichte der Barretts teilzuhaben. Leider scheint die Tatsache, dass es sich beim Sohn der Familie um einen Vampir handelt, hier nur eine Nebenrolle zu spielen.

Wenn Vampirfans also gegenüber „Der rote Tod“ nichts Neues erfahren werden, so ist „Der endlose Tod“ doch ein überzeugender historischer Roman. Gerade durch ihre durchdachten und überzeugenden Charaktere schafft es P. N. Elrod, dem Amerika des ausgehenden 18. Jahrhunderts Leben einzuhauchen. Ihr Unabhängigkeitskrieg ist eine ziemlich unehrenhafte Sache, die von Schurken und Söldnern ausgetragen wird, wobei die Bewohner der Gegend in jedem Fall die Verlierer sind, weil sie ständig zwischen die Fronten geraten. Jede Seite versucht, die Einwohner mit unlauteren Mitteln um Nahrung und Vieh zu erleichtern – eine Tatsache, die Jonathan im ersten Band das Leben kostete.

„Der endlose Tod“ schafft es also leider nicht, den Grad der Spannung zu erzeugen, der noch dem „roten Tod“ eigen war. Doch ist das Buch trotzdem unterhaltsam, wenn man es als Historienroman liest. Dann überzeugen vor allem die sympathischen und glaubhaften Charaktere und deren Interaktion miteinander. Dass P. N. Elrod in diesem Band so vorsichtig mit ihrem vampirischen Protagonisten umgeht, heißt zum Glück aber bei weitem nicht, dass sie dessen Potenzial schon erschöpft hätte. Jonathan ist immer noch auf der Suche nach Nora Jones, von der er hofft, dass sie ihn offiziell in seinen vampirischen Zustand einweihen kann. Er weiß mittlerweile, dass sie sich vermutlich in Italien aufhält, doch ist die internationale Post im 18. Jahrhundert noch nicht wirklich flott, und so erhält er in „Der endlose Tod“ noch kein erhellendes Lebenszeichen von ihr. Doch vielleicht im dritten Teil?

Philip K. Dick – Nach der Bombe

Warum wird Philip K. Dick außerhalb des Science-Fiction-Genres kaum wahrgenommen? Eigentlich unbegreiflich, denn seine Romane und Kurzgeschichten handeln von Menschen und ihren Beziehungen zueinander. Seine Beobachtungen sind dabei derart präzise, dass wohl jeder Leser sich selber in den Figuren seiner Geschichten wiedererkennt. Wie in einem Comic sind die Verstrickungen, in denen sich die Protagonisten bewegen, überspitzt dargestellt. Das mag der Grund sein, weshalb der Autor sich in dieses Genre „geflüchtet“ hat. Ein Roman über die Welt, in der wir leben, könnte schwerlich den tiefen Einblick in das Wesen des ganz normalen Menschen tragen, den Dick uns in seinem Werk schenkt.

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Patterson, James – Tagebuch für Nikolas

Gleich zu Beginn von „Tagebuch für Nikolas“ lernt man Katie Wilkinson kennen, die einsam in ihrer Badewanne sitzt, umgeben von ihrer Katze Guinevere und ihrem Labrador Merlin, die sie aber nicht über ihre Trennung hinwegtrösten können. Sie muss an das Tagebuch denken, das ihr einstiger Freund Matt ihr überlassen hat, ein Tagebuch seiner Frau Suzanne an ihr gemeinsames Kind Nikolas. Doch wie kann das sein? Wie konnte Katie nur so glücklich sein mit Matt und auf eine gemeinsame Hochzeit hoffen, wenn er doch eine Frau und ein Kind hat, obwohl er ihr immer versichert hat, dass er nicht verheiratet ist?

Das Tagebuch wird es erklären.

Suzanne widmet ihrem Sohn Nikolas ein Tagebuch, in welchem sie ihm von ihrer Vergangenheit und ihrer Liebe zu Matt erzählt. Suzanne war einst eine erfolgreiche Ärztin am |Massachusetts General Hospital|, als sie bereits im Alter von 35 Jahren einen Herzanfall erleidet und am Herzen operiert werden muss. Nur vier Wochen nach dem Herzanfall verlässt ihr Lebensgefährte Michael sie, und Suzanne beschließt ihr Leben umzukrempeln, ihren stressigen Job aufzugeben und zieht nach Martha’s Vineyard, wo sie während ihrer Kindheit sämtliche Sommerferien mit ihren Großeltern verbracht hatte.

Dort übernimmt Suzanne eine kleine Arztpraxis und genießt das Leben in Strandnähe, sie trifft einen ehemaligen Freund wieder und freundet sich immer mehr mit dem Mann an, der ihr Haus renovieren soll. Spaßeshalber wird er immer nur Picasso genannt, doch eigentlich heißt er Matt und wird einmal der Vater ihres Sohnes Nicholas sein. Suzanne und Matt verlieben sich ineinander, sind glücklich und heiraten schließlich. Irgendwann kommt dann auch Nikolas auf die Welt und macht ihr Glück perfekt.

Wirklich perfekt? Oder was wird passieren, das Matt dazu bringt, eine Beziehung zu Katie zu beginnen? Welche Erklärungen beinhaltet das Tagebuch?

Zugegebenermaßen habe ich eine kleine Schwäche für schnulzige Liebesromane und auch Liebesfilme, was dazu geführt hat, dass ich Nicholas Sparks’ sämtliche Bücher mit Tränen in den Augen verschlungen habe und immer sehnsüchtig auf neue Werke warte, damit ich mich wieder in wunderschöne Fantasiewelten begeben kann. Doch kann James Patterson Sparks das Wasser reichen, wo er doch sonst in ganz anderen Genres schreibt?

Schon der Inhalt des Buches klingt stark nach einer triefenden Schnulze, die bereits nach zwanzig Seiten auf das unweigerliche Happyend hinarbeitet. Zwischendurch werden gekonnt einige tragische Schicksale wie die Trennung von Matt und Katie oder auch Suzannes Herzanfall eingestreut, um dem Buch etwas mehr an Realitätssinn zu verleihen, doch konnte mich dies alles nicht überzeugen. Hätte mich jemand nach den ersten paar Kapiteln gefragt, wie ich mir das Ende des Buches ausmale, so hätte ich ihm genau das Ende vorhergesagt, wie Patterson es in seinem Buch niederschreibt, es gibt für meine Begriffe in dieser Erzählung leider keine Überraschungen, sodass Sparks-Kenner spitzfindig nach wenigen Seiten das Buch durchschaut haben dürften.

Die Geschichte um Katie wird aus der Sicht eines außen stehenden Erzählers geschrieben, das Tagebuch liest sich logischerweise in Ich-Form aus Sicht von Suzanne. Anfangs fand ich den Sprung vom Erzähler zur Ich-Form etwas verwirrend, aber die Sprünge werden durch ein neues Kapitel und die Freiseiten entsprechend deutlich gekennzeichnet. Verwirrender dagegen fand ich das Auftauchen eines zweiten Matt. Bereits im ersten Kapitel um Katie erfährt der Leser, dass sie von ihrem geliebten Matt verlassen worden ist, der ihr aber Suzannes Tagebuch überlassen hat. Im Tagebuch taucht dann auch recht schnell ein Matt auf, doch plötzlich eröffnet Suzanne dem Leser, dass sie sich in den Maler „Picasso“ verliebt hat und er der Vater von Nikolas ist. Erst später wurde dann klar, dass auch Picasso Matt heißt. Der andere Matt spielt aber später gar keine Rolle mehr, warum also tauchte er überhaupt auf und warum musste er auch noch den gleichen Namen erhalten? Das stiftet unnötig Verwirrung, zumal man beim Lesen eines Liebesromans ja nicht immer ein großes Maß an Aufmerksamkeit mitbringt.

Das Tagebuch ist immer wieder unterbrochen durch Anreden an den geliebten Nikolas beziehungsweise an den starken Ritter Nikolas oder auch den kleinen Prinzen. Allein diese Anredeformen an Nikolas wirken schon ein wenig übertrieben, aber noch kitschiger wird schließlich das allumfassende Glück, das Matt und Suzanne zusammen erleben. Dazu eine kleine (willkürlich herausgegriffene) Leseprobe:

|“Ich musste daran denken, was Matt in der Nacht, als er mir den Heiratsantrag machte, zu mir gesagt hatte: „Ist es nicht ein unermessliches Glück, dass es dich noch gibt und dass wir zusammen glücklich sein können?“ Ja, es war ein unglaubliches Glück, und dieser Gedanke ließ mich schauern, als ich dort am Abend unserer Hochzeit neben Matt stand.“|

In diesem Stil ist nahezu das gesamte Tagebuch geschrieben, Redewendungen wie „unermessliches Glück“ oder „Ich liebe dich“ zählen hier sicherlich zu den am häufigsten verwendeten Floskeln überhaupt. Das Tagebuch ist schwärmerisch, überschwenglich, verträumt und steckt voller Glücksmomente, die im Rahmen des kurzen Buches dennoch etwas zu häufig hervorgehoben werden. Gut, ein Liebesroman sollte triefen und das Wunder der Liebe lobpreisen, aber muss es gleich so übertrieben werden? Muss auf jeder Seite explizit erwähnt werden, wie sehr Matt und Suzanne sich geliebt haben und dass ihr Sohn das perfekteste Wesen auf der Welt ist, das bereits im Alter von weniger als einem Jahr sprechen und laufen kann? Ich erhebe nicht den Anspruch von Realitätsnähe bei einer Liebesschnulze, aber ich hatte auch gerade beim Lesen anderer Rezensionen über dieses Buch den Eindruck, dass „Tagebuch für Nikolas“ für mehr gehalten wird als eine verkitschte Liebesgeschichte, die von vorne bis hinten absehbar ist, und das kann ich nicht nachvollziehen. Ich bemerke weder große literarische Leistungen von Seiten Pattersons noch eine besonders kreative und innovative Liebesgeschichte oder eine Story, die mich am Ende überraschen kann. Wo ist dieses Buch also mehr als eine ganz normale Schnulze?

Als verträumter Liebesroman mag „Tagebuch für Nikolas“ sehr unterhaltsam und nett sein, ich kann aber nicht behaupten, dass mich das Buch schwer beeindruckt hätte. Es ist nicht immer alles „Friede, Freude, Eierkuchen“, aber auch die erwähnten tragischen Schicksale werden so überdramatisiert, dass sie für mich einem Rosamunde-Pilcher-Roman entnommen sein könnten. Solche tragischen Ereignisse machen einen Liebesroman für meine Begriffe nicht zu einem großen literarischen Werk, sondern sie gehören irgendwo zu solchen Schnulzen dazu, denn in den meisten Kitschromanen steht das große Glück erst am Ende einiger Schicksalsschlägen, oder nicht?

Mir persönlich sind nicht einmal die Charaktere besonders ans Herz gewachsen, da sie einfach zu unmenschlich gut waren. Matt scheint der absolute Traummann zu sein, der seiner Traumfrau jeden Wunsch von den Augen ablesen kann und einfach nur perfekt ist, doch gibt es so jemanden wirklich? Ich konnte auch Katies Trauer und ihre Wut nicht mitfühlen, da die Geschichte meiner Meinung nach für solche Gefühle recht abgedroschen ist. Die Personen werden uns durch die Erzählung der Geschichte schon näher gebracht, aber sie werden zu einseitig dargestellt und ihre Fehler gar nicht erwähnt, sodass sie künstlich wirken und daher auch von mir kein Mitleid erhalten konnten.

Das Buch unterhält gut, entlockt uns zwischendurch eventuell die eine oder andere Träne, berührt vielleicht ein wenig, entführt seine Leser für zwei bis drei Stunden in romantische Welten, ist dann aber sicherlich wieder schnell vergessen. Um es kurz zu sagen: ein typischer und kitschiger Liebesroman, der nicht mit Überraschungen aufwarten kann und auch nicht weniger schnulzig ist als beliebige andere Liebesromane zuvor.

_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47
[„Der 1. Mord“ 1361
[„Die 2. Chance“ 1362
[„Der 3. Grad“ 1370
[„4th of July“ 1565
[„Die 5. Plage“ 3915

Lloyd Biggle jr. – Spiralen aus dem Dunkel

Biggle Spiralen Cover 1983 kleinSeltsame Flugkörper landen in der US-Provinz; sie streuen zerstörerische Kraftfelder von spiralförmiger Gestalt aus, scheinen aber nicht direkt feindlich zu sein. Kommen die Fremden aus dem All – oder sind es Sendboten aus einer möglichen Zukunft der Erdmenschen? … Herrlich altmodischer, d. h. langsam oder besser gesagt: sorgfältig komponierter, spannender und überraschend witziger Science Fiction-Roman um eine Invasion der besonders merkwürdigen Art.
Lloyd Biggle jr. – Spiralen aus dem Dunkel weiterlesen

Lowder, James – Prinz der Lügen, Der (Vergessene Reiche: Die Avatar-Chronik Band 4)

Einst erschütterte die Zeit der Sorgen das Gefüge der Welt. Die Götter waren von Ao verdammt worden, in den Reichen zu wandeln, um die Tafeln des Schicksals zurückzuholen. Einige Götter ließen dabei ihr Leben und Menschen nahmen ihren Platz im Pantheon ein: Mitternacht und Cyric. Einst Freunde, nun verhasste Feinde.

Die Götter sind zurück an ihrem angestammten Platz und wachen wieder über die Geschicke der Welt. Noch immer sind sich Mitternacht – nun Mystra, die Göttin der Magie – und Cyric – Gott der Lügen, Intrigen, des Todes und des Chaos’ – spinnefeind. Cyric plant gar, sich zum einzig wahren Gott aufzuschwingen. Sein Schwert, Götterfluch, leistet ihm dabei gute Dienste, denn es vermag Götter zu töten.

Cyric ist ein erbarmungsloser Gott, der keine Gnade kennt und selbst in seinem Totenreich Unmut hervorruft. Die Götter bitten Ao, Cyric zu bestrafen, doch Cyrics Handeln entspricht seinen Aufgabengebieten als Gott – er kann nicht bestraft werden.

Nur Mitternacht vermag scheinbar zu erkennen, wie gefährlich Cyric ist. Doch auch andere, verborgene Machtgruppen ziehen die Fäden im Hintergrund. Aber ihre genauen Ziele sind unbekannt.

Cyric scheint niemand aufhalten zu können. Er lässt ein magisches Buch schreiben, um alle Andersgläubigen auf seine Seite zu ziehen. Und er ist kurz davor, seine Rache an dem Mann zu vollenden, der ihm einst ebenbürtig war: Kelemvor. Doch dessen Seele wird von einer fremden Macht verborgen – selbst Mitternacht vermag ihren ehemaligen Geliebten nicht zu finden.

Der Prinz der Lügen – Cyric – ist kurz davor, alle seine Ziele zu erreichen …

Mit „Der Prinz der Lügen“ wächst die Avatar-Trilogie zur Avatar-Chronik heran und spinnt den Faden weiter, der in der Zeit der Sorgen seinen Anfang nahm. Denn gerade jetzt erleben die „Vergessenen Reiche“ eine spannende Zeit, die vor allem Fans der Reihe miterleben möchten. James Lowder weiß, zum Glück, die Vorlage der Trilogie gut zu nutzen.

Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen Cyric und Mitternacht. Letztere nennt sich als Göttin der Magie Mystra und bildet einen Gegensatz zur Bösartigkeit Cyrics. Beide waren einst Menschen und vermögen über den Tellerrand der Göttlichkeit hinwegzuschauen. Und genau das macht sie gefährlich, den anderen Göttern gegenüber vielleicht sogar überlegen.

Cyric macht seinen Aufgabengebieten alle Ehre. Er metzelt alles nieder, kennt keine Skrupel und spinnt tödliche Intrigen. Dabei geht es oftmals brutal und blutig zu. Der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund und stellt die entsprechenden Szenen sehr plastisch dar. Das ist dann allerdings Geschmackssache – wobei die Brutalität nicht Mittel zum Zweck ist, sondern Cyrics bösartigen Charakter aufzeigt.

Während sich Cyric in der Götterwelt schnell zurechtfindet, hat Mitternacht Anpassungsschwierigkeiten. Sie begreift nur langsam, was Göttlichkeit bedeutet und wie die anderen Götter die Welt wahrnehmen. Und das ist schlussendlich Mitternachts wahre Stärke im Kampf gegen Cyric. Das Charakterspiel der beiden Hauptfiguren und ihr greifbarer Konflikt sorgen für die nötige Spannung.

Überhaupt: Der Spannungsbogen steigt stetig an. Das wird hauptsächlich durch die vielen verschiedenen Handlungsebenen und Schauplätze erzielt – ohne den Leser zu verwirren. Man behält stets den Überblick und kann sich gut in die Figuren des Romans hineinversetzen. Sie sind sehr farbig und beleben das Bild, das James Lowder zeichnet.

Der Autor besitzt einen plastischen und detaillierten Stil, mit dem er die Geschichte packend transportiert. Gefesselt verfolgt man das Schicksal der Götter, der Menschen und der Halbmenschen. Obwohl diese den Göttern unterlegen sind, lassen sie sich nämlich nicht alles gefallen. Ganz im Gegenteil: Einige von ihnen wissen sich richtig zu wehren – selbst im Leben nach dem Tod.

Man merkt sehr schnell, dass Lowder gerne mit Überraschungen arbeitet. Intrigen und Verwirrspiele scheinen ihm zu liegen, aber auch große Wendepunkte werden vom Autoren gezielt eingesetzt. Sein Roman ist einfach fesselnd und sorgt für kurzweilige Unterhaltung. Fans der Reihe und Kenner der Reiche kommen an dem Buch jedenfalls nicht vorbei, behandelt es doch auch einen der wichtigsten Zeiträume der Buchreihe.

Die Schauplätze und Figuren überraschen übrigens durch ihre Kreativität und Vielfalt. So gibt es nicht nur Menschen und Götter, sondern unternimmt der Leser Ausflüge auf andere Ebenen, verfolgt die Erlebnisse einer getäuschten Seele und erlebt die Befreiung einer gefährlichen Bestie. Großartige Zaubereien, gefährliche Kämpfe und mechanische Kreaturen – Lowder kocht ein appetitliches Süppchen aus fantastischen Zutaten. Einfach wunderbar.

Auch die Aufmachung des Buchs ist gelungen. Das düstere Cover ist passend gestaltet, Titel und Detailangaben dynamisch angeordnet. Das Schriftbild ist klar und lässt sich gut lesen. Jedes Kapitel wird durch eine kurze Inhaltsangabe eingeleitet, über der sich das Symbol Cyrics befindet – immerhin wurde der Roman auch nach ihm benannt: Der Prinz der Lügen.

Das Buch schließt mit Verlagswerbung ab. Zum einen gibt es einen Ausblick auf den nächsten Teil der Avatar-Chronik (Band 5: Die Feuerprobe), zum anderen wird auch auf die weiteren Romane der „Vergessenen Reiche“ hingewiesen. Nicht fehlen darf die Information zum Rollenspiel „Dungeons & Dragons“, das von Feder & Schwert verlegt wird und die Grundlage der Romane bildet. Immerhin sind die „Vergessenen Reiche“ Bestandteil dieses Spiels.

Einzig wirkliche Schwachpunkte liegen im Lektorat, dem zwei große Fehler unterlaufen sind. So findet man an zwei auffälligen Stellen noch englische Begriffe. Da wäre das Wort Skyline, bei dem man aber getrost ein Auge zudrücken darf. Schlimmer ist jedoch, das Fürst Schach plötzlich Fürst Chess genannt wird. Das ist zwar nicht besonders schlimm, aber trotzdem auffällig und stört kurz ein wenig den flüssigen Lesefluss.

Unter dem Strich bleibt ein gelungenes Fantasy-Buch, das man gerne liest.

|Originaltitel: Prince of Lies
Übersetzung: David Raphael Flor
Lektorat: Oliver Hoffmann|

_Günther Lietz_ © 2005
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|

Reginald Hill – Die rätselhaften Worte

Das geschieht:

Mid-Yorkshire in der gleichnamigen englischen Grafschaft zum Schau- und Spielplatz des bizarren und in Serie mordenden „Wordman“. So nennen die Journalisten mit der für ihre Spezies typischen Begeisterung jenen offenbar geistesgestörten aber wohl organisierten Unhold, der damit beginnt, die örtliche Prominenz nach einem seltsamen Schema auszurotten. Zunächst bringt niemand den ersten „Dialog“ mit dem ungeklärten Tod eines Handwerkers in Verbindung, der offenbar einem Unfall zum Opfer gefallen ist. Der Text liegt in einem prall gefüllten Postsack, der in der Mid-Yorkshire-Stadtbibliothek eintrifft. Dort hat man die einheimischen Freizeit- und Nachwuchs-Literaten aufgefordert, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Gesucht wird die beste Kurzgeschichte, und das hat den Wordman auf den Plan gerufen.

Erst Mord Nr. 2 ruft Detektiv Superintendent Andrew Dalziel, Chief Inspector Peter Pascoe und Sergeant Edgar Wield vom Mid-Yorkshire Criminal Investigation Departments auf den Plan: Jax Ripley, Nachrichtenredakteurin eines regionalen Senders, wird zur Hauptperson seines zweiten „Dialoges“, was für die ehrgeizige Frau das Todesurteil bedeutet. Reginald Hill – Die rätselhaften Worte weiterlesen

Stephenson, Neal – Quicksilver (Barock 1)

_Vorspann_

Das ausgehende 17. Jahrhundert war besonders für Europa eine erbauende Zeit – auch wenn die richtig großen Fortschritts-Schübe noch eine Weile auf sich warten lassen sollten. Die Nachwehen des 30jährigen Kriegs wurden allmählich überwunden. Wirkliche Demokratie war noch ein ganzes Stück entfernt, dazu verbrauchten sich die untereinander eng verwandten europäischen Monarchen in endlosen Kleinkriegen. Aber dennoch begann die Aufklärung durch die Lande zu leuchten. Das, was die Heutigen als „Wissenschaft“ („Science“) wahrnehmen, das nahm ganz allmählich heute noch vertraute Formen an. Und deswegen sollten Erzählungen vor diesem historischen Hintergrund auch für die Heutigen durchaus verständlich und spannend sein. Besonders für Leute aus dem angelsächsischen Sprachraum, denn vor gut 300 Jahren lebte in England mit Isaac Newton eine der wichtigsten Gründungsfiguren moderner Wissenschaft. Und dazu erhob sich ganz allmählich eine ernst zu nehmende englische Seemacht. Und in dieses Umfeld begibt sich Neal Stephenson mit seinem monumentalen Roman „Quicksilver“.

_Neal Stephenson_

… gilt seinen zahlreichen Verehrern als herausragender Science-Fiction–Autor. Er wurde 1959 geboren und lebt in der Nähe von Seattle. „Science““hat er sicher schon als Kind mitbekommen, entstammt er doch einer Familie, die bereits seit Generationen allerlei naturwissenschaftliche Professoren hervorgebracht hat. Er selbst studierte zuerst Physik, dann Geografie. Beides sollte sich für dieses Buch als hilfreich erweisen. Bereits mit Ende zwanzig konnte er erste Erfolge im Feld der „Fiction“ aufweisen. Auf sein Konto gehen vergnügt verschrobene Abenteuer-Erzählungen wie der Erstling „Zodiac“ (1988) oder „The Diamond Age“ (1995). Dazu das bahnbrechend visionäre „Snow Crash“ (1992) und der erstaunliche Bestseller „Cryptonomicon“ (1999).
„Quicksilver“ ist der erste Teil seiner etwa zwischen 1670 und 1720 spielenden „Barock“-Trilogie. Er behauptet dazu weiterhin, nichts anderes als eben „Science Fiction“ zu schreiben. So mancher Leser mag sich allerdings eher im historischen Roman oder einem schön altmodischen Mantel- und Degen-Epos wähnen. Keine Raumschiffe hier, auch keine Computer (nur frühe Ideen dazu).

_Das Buch_

„Quicksilver“ ist zunächst einmal rein haptisch ein überaus beeindruckendes Werk. Der im September 2004 als |Manhattan|-Buch im |Goldmann|-Verlag erschienene Schmöker wiegt 1,3 Kilogramm und hat (ohne Personenverzeichnis) satte 1130 Seiten Text, eng bedruckt. Wohl wegen des außerordentlichen Umfangs leistete sich der Verlag gleich zwei Übersetzer (Juliane Gräbener-Müller und Nikolaus Stingl). Die Ausstattung orientiert sich sehr eng am amerikanischen Original (habe mittlerweile die beiden Fortsetzungen gelesen). Sie ist hochwertig, den Preis von 29 Euro durchaus rechtfertigend. Aber warum wurde eigentlich der Titel (auf Deutsch „Quecksilber“) nicht übersetzt? Wird der nächste Teil dann auch „The Confusion“ heißen?

_Was passiert?_

Der Riesenwälzer besteht aus drei zeitlich und in der Handlung miteinander verwobenen „Büchern“, mit zahllosen Handlungssträngen und kurzen Gastauftritten allerlei bekannter Figuren der Zeit. Die Namen der Hauptfiguren jedoch dürften dem geneigten Fan schon aus „Cryptonomicon“ bekannt vorkommen.
Auftritt Daniel Waterhouse, Querdenker, Puritaner und Verächter der überkommenen Alchemie. Er teilt sich das College-Zimmer mit – Isaac Newton! – und befreundet sich nebenbei mit allen verfügbaren realen Geistesgrößen, von Hooke über Wren zu Pepys und Leibniz. Na ja.
Gleichzeitig: Jack Shaftoe wird vom Londoner Henkersgehilfen zum legendären König der Vagabunden. Er reitet und schwingt das Schwert, riskiert Leib und Leben für sein Glück und seine Liebe – und verliert durch die Syphilis schleichend den Verstand.
Gleichzeitig: Eliza, als Sklavin von einem finsteren, verdorbenen Fisch futternden französischen Admiral einst aus dem fiktiven Land ihrer Herkunft (irgendwo in Großbritannien) geraubt, hat es zur türkischen Haremsdame gebracht. Dabei ist sie noch nicht mal volljährig! Der Obertürke nimmt sie mit nach Wien, dort befreit Vagabundenkönig Jack die Holde. Auf geht es durch manches Abenteuer in deutschen Fürstentümern, bis nach Amsterdam. Dort erweist sich die Dame als Finanzgenie, sie bringt es schließlich an den Hof Ludwigs XIV, sie wird Mätresse, Spionin und Schachfigur in den Händen diverser königlicher Staatsoberhäupter.
Munter geht es hin und her, kurze Abstecher in das Massachusetts des Jahres 1714 eingeschlossen. Und immer, wenn eine der Hauptfiguren nicht mehr weiter weiß – hurra! da kommt ein gewisser Enoch Root um die Ecke. Und er hat natürlich immer die richtige Idee, kein Wunder, bei seiner Erfahrung …

Es wäre schlichtweg vermessen, alle Handlungsstränge hier nacherzählen zu wollen. Es sind zu viele. Schon ein wenig störend wirkt, dass keine der Plotlinien wirklich zu einem klaren Ende geführt wird. Der Kauf der Fortsetzungs-Romane des großen Zyklus wird da fast unvermeidbar. Immerhin bleibt es zumeist sehr unterhaltsam, und immer recht abenteuerlich.

_Worum geht es denn?_

Ja, bei Bedarf lässt sich hier eine Menge über Wissenschaftsgeschichte erfahren, über Sittengeschichte, Staatenwerdung, etc. Aber zum Stillen übermächtigen Wissensdurstes ist „Quicksilver“ dann doch nur bedingt geeignet. Auch wenn all die in umfassender Detaillierung geschilderten Alltagssorgen und –verrichtungen der Figuren weitgehend authentisch sein dürften – da gibt es Besseres (wie zum Beispiel das echte Tagebuch des echten Samuel Pepys). Obwohl der historische Rahmen weitgehend korrekt beschrieben scheint, dominieren doch die fiktiven Figuren. Und deren philosophische Tiefe scheint mir trotz allen Diskurses der edlen Herren von der „Royal Society“ dann doch arg begrenzt. Dies ist ein extra langer Abenteuer-Schmöker in Cinemascope, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

_Und wie lässt es sich schmökern?_

Überaus vergnüglich. Stephenson hält eine mild ironische Tonlage locker durch. Die oft leicht antiquierte Schreibweise des Originals (uralte Verben, obsolete Rechtschreibung etc.) wurde durch die Übersetzer leider weitgehend getilgt. Schade eigentlich, steigert sie doch den Charme des Barock-Zyklus erheblich. Und barock, ja, barock geht es hier zu. Spielszenen werden eingeflochten, Spottgedichte, gelegentlich wandelt sich das Buch zum Briefroman. Immer aber gibt es flotte Action, Ehre und große Gefühle, erbauliche Details, manchmal etwas konstruiert anmutende Begegnungen – aber was soll’s. „Quicksilver“ ist mächtig unterhaltsam, und sehr schwer zur Seite zu legen. Auch wenn die Lektüre sicher einige Wochen Zeit beansprucht.

_Zum Abschluss_

In diesem Buch gibt es „Science Fiction“ nur im wörtlichen Sinne. Großzügig ausgeteilte Brocken Wissenschaftsgeschichte in einem herrlich dahinsprudelnen Abenteuerroman mit historischer Kulisse. „Quicksilver“ ist angenehmer Eskapismus. Die Helden sind nur selten eindimensional, meist liebevoll gezeichnet. Wärme und Humor durchströmen das Buch. Schön für lange Winterabende, schön als Urlaubslektüre.
Nur etwas schwer zu transportieren.

Homepage des Autors: http://www.nealstephenson.com

Metaweb des Autors: http://www.metaweb.com

Arnaldur Indriðason – Todeshauch [Erlendur 4]

Am Rand von Reykvavík, der Hauptstadt von Island, wird eine vor vielen Jahren verscharrte Leiche entdeckt. Die Aufklärung dieses Falls gestaltet sich für die Männer und Frauen um Kommissar Erlendur schwierig, doch Stück für Stück kommt eine alte Familientragödie zum Vorschein, die es schwerfallen lässt, Tätern von Opfern zu unterscheiden … – Ausgezeichneter Thriller, der dem in Deutschland beliebten, aber inzwischen arg strapazierten „Skandinavien-Krimi“ neuen Glanz verleiht. Indriðason gelingt das Kunststück, eine an sich bedrückende Geschichte spannend und sogar mit trockenem Witz zu erzählen: die beste Begründung dafür, wieso der Verfasser längst kein Geheimtipp mehr ist. Arnaldur Indriðason – Todeshauch [Erlendur 4] weiterlesen

Uther, Hans-Jörg (Herausgeber) – Märchenschatz

„Märchenschatz“ ist eine von mehreren Sammlungen, die Hans-Jörg Uther herausgegeben hat. Hier geben sich Märchen aus so ziemlich allen Teilen des deutschsprachigen Raumes ein Stelldichein, darunter allseits bekannte wie „Dornröschen“, „Aschenputtel“ oder „Die Sterntaler“, aber auch andere wie „Die Geschichte von der Metzelsuppe“, „Bruder Lustig“ oder „Der Bärenhäuter“, wobei manches Märchen, dessen Titel dem Leser unbekannt schien, sich beim Lesen unter Umständen als alter Bekannter entpuppt, der hier nur im Kleid einer lokalen, leicht variierten Version auftaucht. Zu dieser Gruppe der weiträumig und dabei leicht unterschiedlich erzählten Geschichten gehören unter anderen „Der Deserteur mit dem Feuerzeug“ (bei Grimms: „Das blaue Licht“), „Vom Vogel Fenus“ („Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“) und „Das Märchen vom Knüppel aus dem Sacke“ („Tischlein, deck dich“). Manch einem, der Preußlers „Krabat“ gelesen hat, mag der „Zauberwettkampf“ bekannt vor kommen. Am meisten überrascht hat mich aber das Märchen „Der arme Schuster“, das in abgewandelter Form eine Geschichte aus 1001 Nacht erzählt! Wie diese Geschichte aus dem Orient ins Donauland kam oder umgekehrt, wäre eine interessante Frage.

Die Unterschiede zu den allseits bekannten Versionen, die meist von den Gebrüdern Grimm aufgeschrieben wurden, reichen von kaum spürbar, wie bei „Hans Wohlgemut“ („Hans im Glück“), über deutlich, wie bei „Die Geiß mit ihren zehn Zicklein und der Bär“ („Der Wolf und die sieben Geißlein“), bis gravierend bei „Das kleine Rotkäppchen“.

In den meisten Fällen betreffen diese Unterschiede lediglich die Ausführung, ohne die zugrunde liegende Aussage zu verändern. Aber nicht immer: Das Märchen vom Rotkäppchen zum Beispiel endet hier ganz aprupt an der Stelle, an der das Rotkäppchen gefressen wird! Kein Happyend!

Nun sind Märchen nicht einfach nette Geschichten, die man sich eben erzählt. Märchen erfüllen einen bestimmten Zweck. Der eine ist der psychologische. Oft wurde den Märchen vorgeworfen, sie seien so grausam, und es wurde fleißig daran gebastelt, sie zu entschärfen. Heute sind Psychologen der Meinung, dass Märchen grausam sein sollen! Märchen helfen dabei, mit Ängsten fertig zu werden. Kinder empfinden es als ermutigend, wenn Hänsel und Gretel die böse Hexe besiegen, und das auch noch ganz allein.

Der andere ist der pädagogische. Märchen lehren, dass der Gute immer gewinnt, der Böse immer verliert, dass es sich also nicht lohnt, böse zu sein. Genau dieser Punkt ist aber bei der hier erzählten Rotkäppchenversion ausgehebelt! Kein Jäger kommt, um das – zugegebenermaßen ungehorsame und leichtsinnige – Rotkäppchen zu befreien. Der Grundtenor lautet eher: Geschieht ihr recht! Die unschuldige Großmutter bleibt dabei völlig unbeachtet. Dadurch erhält die Geschichte einen Touch von Struwwelpeter-Pädagogik, die inzwischen allerdings stark umstritten ist. Rotkäppchen hat keine Gelegenheit mehr, aus ihrem Fehler zu lernen. Und der Wolf, der doch noch viel böser ist als Rotkäppchen, kommt ohne Strafe davon.

Außer den klassischen Volksmärchen finden sich aber auch Tiergeschichten und Schwänke, so zum Beispiel „Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel“ und „Die sieben Schwaben“. Allen Geschichten gemeinsam ist, dass sie in der typischen Märchensprache belassen wurden, die zum Flair eines Märchens einfach dazugehört. Das wirkt sich gerade bei den beiden vorgenannten äußerst positiv aus, da die wörtliche Rede teilweise sogar die entsprechende Mundart verwendet.

Natürlich lesen sich manche Passagen dadurch etwas umständlich. Das Buch in einem Rutsch durchzulesen, ist anstrengend. Kleine Kinder werden gelegentlich eine Erklärung brauchen, ältere Kinder, die selber lesen, möglicherweise auch, sofern sie nicht aus ihrer Vorlesezeit bereits Märchenerfahrung haben. Aber das gibt sich rasch.

Illustriert ist der Band mit einfachen Bleistiftzeichnungen, die aus dem 19. Jahrhundert stammen und sich vor allem durch Schlichtheit und einem Blick fürs Detail auszeichnen. Sie wurden von Otto Ubbelohde, einem hessischen Zeichner, für eine Ausgabe der Grimmschen Hausmärchen gefertigt und geben nicht nur Szenen aus den jeweiligen Märchen wieder, sondern auch Ausschnitte aus der damaligen Zeit, zum Beispiel in Kleidung und Einrichtung, und runden damit die Gesamterscheinung hervorragend ab.

Insgesamt eine interessante und schön gestaltete Ausgabe abseits der verwässerten und teilweise lieblos hingeklatschten Billigsammlungen, allerdings halte ich es für empfehlenswert, dass im Falle kindlicher Leser die Eltern mit den Kindern über das Gelesene sprechen. Aus eigener Erinnerung weiß ich, dass Kinder vieles gar nicht so deutlich und scharf empfinden wie wir Erwachsenen. Es sind aber auch nicht alle Märchen gleich einfach zu verstehen. Gerade im Falle von „Rotkäppchen“ oder auch der „Mär vom Marchandelbaum“ und der „Eiche am Elbufer“ wäre ein Erfragen des Gelesenen hilfreich, um zu sehen, wie die Kinder mit der Geschichte klargekommen sind.

Hans-Jörg Uther ist Professor für Literaturwissenschaft an der Uni Essen und außerdem in der Erzählforschung tätig. In der Liste der von ihm veröffentlichten Sammlungen finden sich auch „Sagenschatz“, „Märchen vom Glück“, [„Die schönsten Märchen und Geschichten zur Weihnachtszeit“ 775 und „Das große Buch der Fabeln“. Außerdem ist er Mitherausgeber der Zeitschrift |Fabula|.

Herbert, Brian / Anderson, Kevin J. – Kreuzzug, Der (Der Wüstenplanet: Die Legende 2)

„Der Kreuzzug“ ist die Fortsetzung von [„Butlers Jihad“, 827 zugleich der zweite Teil der Legenden des Wüstenplaneten und spielt ungefähr 25 Jahre nachdem Serena Butler den Denkmaschinen den heiligen Krieg, den Djihad im Namen ihres ermordeten Sohnes Manion erklärt hat.

Die Kämpfe sind seit einiger Zeit voll im Gange, doch immer wieder mussten die Menschen herbe Rückschläge gegen die Roboterarmeen von Omnius in Kauf nehmen. In der Zwischenzeit hat sich aber auch einiges geändert. Die Protagonistin, Serena Butler, hat sich mittlerweile fast ganz zurückgezogen und ihre Führungsrolle zugunsten ihrer Aufgabe als Priesterin aufgegeben. Iblis Ginjo, einst bei der Rebellion auf der Erde Anführer der menschlichen Streitkräfte, hat nun gewissermaßen ihren Posten eingenommen und sich selber den Titel Großer Patriarch verliehen. Und gerade dieser Iblis ist es auch, der im zweiten Buch der Legenden des Wüstenplaneten die Hauptrolle übernimmt. Mit seinen Entscheidungen und letztendlich auch mit seinen Intrigen steht und fällt die gesamte Geschichte. Derweil wird den beiden Kampfpiloten Xavier Harkonnen und Vorian Atreides im zweiten Teil weniger Platz eingeräumt. Xavier ist trotz etlicher Einsätze mehr und mehr zu einem Familienmenschen geworden, während Vorian auf dem fernen Planeten Caladan die große Liebe entdeckt hat.

Wenn man das erste Buch bereits gelesen hat, so kann man jetzt schon sehen, dass sich einschneidende Veränderungen abgespielt haben, die eigentlich von ihrer Wichtigkeit viel näher hätten beleuchtet werden müssen. Das ist nämlich einer der Kritikpunkte an „Der Kreuzzug“; zu viele wichtige Details aus der Vergangenheit werden dem Leser zunächst vorenthalten und auch anschließend nur bruchstückhaft erzählt. Die ganzen Schlachten, der Aufstieg von Iblis Ginjo, all das wird völlig ausgelassen und am Ende nur mit einer chronologischen Rückblende versehen.
An anderer Stelle ist hingegen fast gar nichts passiert; die Zeit scheint gerade im Sektor der Denkmaschinen stehen geblieben zu sein. Und auch die Situation der versklavten Zenschiiten hat sich über die Jahre keineswegs geändert. Umso verwunderlicher ist es, dass sich die Dinge im Buch dann plötzlich nach so langer Zeit auf kurze Dauer überschlagen. Ein tödlicher Sklavenaufstand hätte den Ereignissen des ersten Buches zufolge jedenfalls viel früher geschehen müssen. Desweiteren ist mir schleierhaft, warum der Wissenschaftlerin Norma Cenva plötzlich sämtliche Ideen aus dem Kopf schießen, die sich anscheinend in 25 Jahren nicht ergeben haben.

Ich könnte weitaus mehr Beispiele nennen, fest steht jedoch, dass wichtige Geschehnisse übergangen worden sind, und das ist für die Fortsetzung des Buches alles andere als förderlich. Doch es gibt noch mehr Kritik zu äußern: Der Schreibstil hat sich nämlich gravierend geändert, und manchmal scheint es tatsächlich so, als würden die beiden Autoren lediglich versuchen, die Seitenzahl zu strecken. Immer wieder werden Sachen wiederholt, die man als aufmerksamer Leser bereits einige Male zuvor ausführlich vorgestellt bekommen hat. Zudem werden wiederholend die Ereignisse aus dem ersten Band ins Gedächtnis gerufen, vielleicht ja auch, damit man das Buch auch unabhängig lesen kann, jedoch ist wohl davon auszugehen, dass man, sofern man sich für die Materie interessiert, beide Bücher durchliest.
Die Geschichte an sich verläuft hingegen weiterhin sehr spannend und nimmt besonders zum Ende hin einige sehr überraschende Wendungen, die das Ganze quasi noch einmal komplett auf den Kopf stellen. Ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen, aber mit einem derartigen Ende war keinesfalls zu rechnen.

In der Kritik zum ersten Band hatte ich betont, dass ich die Enttäuschung mancher Kritiker über diese Serie nicht ganz verstehen kann, muss diese Behauptung jedoch jetzt teilweise zurücknehmen, da mir manche inhaltliche aber auch einige stilistische Elemente in „Der Kreuzzug“ nicht mehr so gut gefallen. Hat man sich durch „Butlers Djihad“ gekämpft, dann ist dieses zweite Buch sicherlich Pflichtlektüre, aber so ganz das, was man sich von „Der Kreuzzug“ erhofft hatte, ist es eben nicht geworden.
Sehr schade, wie ich finde, denn die Geschichte an sich hat eine ganze Menge Potenzial.

Dave J. Pelzer – Sie nannten mich »Es«

Manche Bücher erzählen eine grausame Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, die uns beim Lesen einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen. Zuletzt hatte „Mia“ von Liza Marklund bei mir diese Wirkung hervorgerufen, doch nun habe ich „Sie nannten mich Es“ gelesen und fand es mindestens ebenso schockierend …

Stationen einer Kindheit

Das kurze und dünne Buch ist in sieben verschiedene Kapitel eingeteilt, die wichtige Stationen in Dave Pelzers Leben darstellen. Gleich zu Beginn erlebt der Leser Daves Rettung mit. Endlich haben die Schulkrankenschwester und der Schuldirektor genug gesehen von Daves blauen Flecken und Verletzungen, die selbstverständlich nicht von Unfällen stammen. Die beiden verständigen die Polizei und lassen Dave aus der Schule abholen. Zunächst muss er eine Aussage über seine Erlebnisse machen, anschließend ist er jedoch frei – frei von seiner gewalttätigen Mutter, die ihn permanent gequält hat.

Dave J. Pelzer – Sie nannten mich »Es« weiterlesen

Ian Watson – Feuerwurm

Ein Psychologe gerät an einen Patienten, dessen Albträume von einer seltsamen Kreatur sich als erstaunlich und erschreckend handfest erweisen … – Geschickt in der Grauzone zwischen Fiktion und Realität siedelt der Verfasser eine seltsame, den Leser lange im Ungewissen lassende Geschichte an, die durch ihre überraschende Auflösung zusätzlich gefällt; kein leichter Stoff, aber eine interessante Lektüre. Ian Watson – Feuerwurm weiterlesen

Lumley, Brian – Necroscope 2 – Vampirblut

„Vampirblut“, das ist der zweite Teil von Brian Lumleys Mammut-Vampirsaga „Necroscope“. Während im ersten Teil, [„Das Erwachen“, 779 hauptsächlich Figuren und Settings eingeführt wurden, geht in „Vampirblut“ nun endlich die Handlung los. Zunächst werden die Erzählungen der beiden Gegenspieler wieder aufgegriffen. Da wäre auf der einen Seite der Engländer Harry Keogh. Er selbst bezeichnet sich als Necroscope – als jemand, der mit den Toten reden kann. Da er weltweit offensichtlich der einzige Lebende mit dieser Gabe ist, sind die Toten geradezu wild darauf, mit ihm zu reden. Sie bezeichnen ihn als Freund und versuchen, ihm in schwierigen Situationen zu helfen. Demgegenüber steht der für den russischen Geheimdienst arbeitende Nekromant Boris Dragosani. Seit seiner Kindheit hat er einen außergewöhnlichen Mentor, nämlich den in seinem rumänischen Grab gefangenen Vampir Thibor Ferenczy. Dessen Weltübernahmepläne fangen langsam an auf seinen Schützling abzufärben, sodass Dragosani beschließt, seinen Vorgesetzten Borowitz aus dem Weg zu räumen, um das sowjetische E-Dezernat (eine geheime Einrichtung zur Spionage mittels übersinnlicher Fähigkeiten) selbst zu übernehmen.

Während im ersten Band die Geschichten um Keogh und Dragosani noch nebeneinander herliefen und keine Berührungspunkte aufwiesen, so wird dieser Makel in „Vampirblut“ mehr als behoben. Lumley flicht nämlich ein kompliziertes Netz von Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den englischen und sowjetischen Geheimdiensten und gibt der gerade startenden Handlung damit Pepp und Potenzial. Keogh beschließt, seinen Stiefvater Viktor Shukshin zu töten, der für den Tod von Harrys Mutter verantwortlich ist. Um diesen Mord nach seinen Wünschen ausführen zu können, trainiert er hart und wird während seiner Vorbereitung vom englischen E-Dezernat kontaktiert. Dessen Chef, Keenan Gormley, möchte Harry anwerben, da dessen Fähigkeiten einzigartig und herausragend sind.

Doch nun fängt der sowjetische Geheimdienst an dazwischenzufunken. Dragosani und sein neuer Partner Max Batu werden nach England geschickt. Sie sollen ebenfalls Shukshin elegant um die Ecke bringen, da es sich bei ihm um einen getürmten sowjetischen Spion handelt. Bei dieser Aktion stoßen sie allerdings unfreiwillig mit Harry Keogh zusammen, der somit die Aufmerksamkeit des sowjetischen E-Dezernats auf sich zieht. Als Dragosani dann auch noch Gormley beseitigen lässt, fühlt sich Harry persönlich beleidigt und beschließt, etwas gegen die sowjetischen Angriffe zu unternehmen …

„Vampirblut“ bietet für jeden etwas. Liebhaber von Spionage-Romanen werden hier geeignetes Lesefutter finden. Lumley verwebt englischen und sowjetischen Geheimdienst auf interessante Weise und die Beziehungen und Animositäten zwischen beiden werden in den zukünftigen Bänden sicher noch anwachsen. Mit der Idee des E-Dezernats gibt er den Geheimdiensten einen übersinnlichen Touch, um seine Figuren exotischer und abwechslungsreicher gestalten zu können.

Auch Fans des klassischen Horrors kommen auf ihre Kosten. In „Das Erwachen“ war von Vampiren ja noch nicht viel zu sehen, doch das ändert sich hier schlagartig. Thibor Ferenczy wird als Charakter weiter ausgebaut und Dragosani trifft auf einen rumänischen Vampirexperten, der Licht auf die Unklarheiten wirft, die der erste Band aufgeworfen hat. Lumley gelingt es, einen völlig entromantisierten Vampir zu präsentieren, indem er Vampirismus zu einer medizinischen Pathologie macht. Der Vampir selbst ist ein Parasit, ein ekliges Ding, das in seinem Wirt Eier legt und daraufhin im menschlichen Körper komplett neue innere Organe ausbildet. Diese Vorstellung ist gewöhnungsbedürftig, aber gleichzeitig originell. Vor allem führt sie auch dazu, dass man Thibor als Charakter kaum einschätzen kann. Lügt er Dragosani ständig an? Oder hat er vor, seine Versprechen zu halten?

Der dritte große Themenkomplex, der in „Das Erwachen“ ebenfalls nur angedeutet wurde, sind Mathematik und Physik. Harry scheint ein besonderes Interesse für Formeln und Zahlen zu besitzen und so macht er sich auf zum Grab des Mathematikers Möbius, um von ihm das Teleportieren zu lernen. Wie man dies mit Zahlen und Schleifen erreichen kann, wird zwar irgendwie erklärt, der Sinn hinter diesen Ausführungen wird den meisten Lesern aber sicherlich verborgen bleiben. Für Mathe-Analphabethen sind diese Passagen von „Vampirblut“ unverständlich und damit langatmig. Sie bringen die ansonsten spannende und zügige Handlung zu einem Stillstand und führen zu einigen Hängern in der Story.

Doch trotzdem kann man sich von „Vampirblut“ gut unterhalten lassen. Lumleys Erzählung gewinnt im zweiten Teil auffallend an Fahrt und Komplexität, was Hör-Spannung garantiert und für zukünftige Bände hoffen lässt. Natürlich verdankt das Hörbuch auch dem Sprecher Helmut Krauss, dass es beim Hörer den beabsichtigten Grusel erzeugt. Krauss ist unter anderem als deutsche Stimme von Marlon Brando bekannt und seine maskuline und selbstbewusste Stimme gibt dem Text andere Akzente als es sein Vorgänger in „Das Erwachen“ tat (dort sprach Joachim Kerzel). Gerade Thibor Ferenczy ist hier eher ein zweideutiger Charakter denn ein geradliniger Bösewicht. Auf die markanten und beunruhigenden Ausrufe Thibors („Ahhhhhh, Dragosaaaaani!“), die Joachim Kerzel im ersten Teil mit Spaß auf den Silberling brachte, hofft man hier allerdings vergebens. Ebenfalls trägt die Musik von Andy Matern zur Atmosphäre bei, der ein Thema auf immer wieder neue Weise variiert. Gut gelungen!

„Vampirblut“ ist der eigentliche Anfang der Serie um Harry Keogh, denn erst hier setzt die Handlung richtig ein. Die Story ist flott erzählt (der Roman wurde für die Hörbuchfassung leicht gekürzt) und endet mit einem echten Paukenschlag, der sofort Lust macht, sich den dritten Band vorzunehmen.

Remy, Maurice Philip – Mythos Bernsteinzimmer

Ein kundiger Blick auf das Bernsteinzimmer bzw. den Mythos, der sich nach dessen von Geheimnissen umwitternden Verschwinden in den letzten Tagen des II. Weltkriegs darum entwickelt hat, präsentiert in fünf Kapiteln:

„Spuren“ (S. 7-18) leitet mit der aktuellen Geschichte des Bernsteinzimmers ein. Um die Jahrtausendwende schien es, als ob dieser Schatz nicht nur noch existiere, sondern die Wiederentdeckung unmittelbar bevorstehe. Plötzlich tauchten diverse Bestandteile des komplexen Meisterwerks auf dem (schwarzen) Kunstmarkt auf und fügten dem bizarren „Nachleben“ des Bernsteinzimmers ein neues Kapitel an. Alte und neue Legenden schossen ins Kraut – für Maurice Philip Remy der Anstoß den Versuch zu wagen, den Mythos zu entkleiden und dahinter die Realität zum Vorschein zu bringen.

Er beginnt mit der gesicherten Geschichte: „Das Kunstwerk“ (S. 19-74) zeichnet den Weg des Bernsteinzimmers nach: Entstanden um 1705 im Auftrag des Preußenkönigs Friedrichs I., schmückte es die Wände des Schlosses Charlottenburg. Sein sparsamer Sohn, der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., schenkte es mit diplomatischen Motiven dem Zaren Peter I., der es einlagern ließ, bis es seine Tochter und Nachfolgerin Katharina die Große endlich einbauen ließ. 1755 landete es in ihrem Sommersitz in Zarskoje Selo, dem Zarendorf vor den Toren von St. Petersburg. Dort blieb es und verfiel allmählich, überlebte den Untergang des Zarenreiches und den Bildersturm der Bolschewisten

„Der Ortswechsel“ (S. 75-136) rekonstruiert den letzten Weg des Bernsteinzimmers. 1941 fiel es nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion den Nazis in die Hände, die es in die Ordensburg von Königsberg, der Hauptstadt Ostpreußens, schafften. Dort verliert sich in den Wirren der letzten Kriegswochen 1945 seine Spur. Die viel versprechenden Fährten greift der Verfasser auf, der die lückenhaften, einander oft widersprechenden Belege so interpretiert, dass die Bernstein-Kleinodien mit dem Königsberger Schloss zu Grunde gingen.

„In eigener Sache“ (S. 183-202) nennt Remy das letzte Kapitel, in dem er seine eigene Verwicklung in die „Geschichte“ des Bernsteinzimmers nach 1945 darlegt. Seine Erlebnisse, Fehlschlüsse und Erkenntnisse spiegeln die bizarre „Schatzsuche“ wider, die seit sechs Jahrzehnten von gestandenen Historikern, Lokalpolitikern, Träumern und Spinnern betrieben wird. Jeder versunkene Nazibunker, jeder gesprengte Stollen, jeder staubige Keller zwischen St. Petersburg und den Alpen wurde ausgegraben und durchwühlt – vergeblich, da vom originalen Bernsteinzimmer nur der Traum geblieben ist. Der ist freilich unverwüstlich.

Ein ausführlicher Anhang listet Fußnoten auf und legt die Quellen offen, aus denen Autor Remy schöpfte. Ein nützliches Register fehlt ebenso wenig wie ein Abbildungsverzeichnis und eine Karte. Zahlreiche, oft großformatige und farbige Abbildungen – moderne und zeitgenössische Fotos, Wiedergaben alter Stiche, Karten etc. – illustrieren den Text und ergänzen ihn gleichzeitig.

Das Bernsteinzimmer ist also dahin – wer dieses Buch liest, wird daran kaum mehr zweifeln – solange er oder sie sich offenen Geistes dem heiklen Thema widmen möchte oder kann. Wie der Titel des hier vorgestellten Buches deutlich macht, ist das Bernsteinzimmer nicht nur ein historisches Kunstobjekt hohen Ranges. Mehr noch ist es inzwischen ein Mythos geworden, von dem viele Mitmenschen nicht lassen können oder wollen. So schön ist es gewesen, dass es einfach nicht zerstört sein d a r f.

Die Wirren der Vergangenheit kommen dieser Sichtweise entgegen. Obwohl das Zimmer erst vor sechs Jahrzehnten verschwand, geschah dies auf eine Weise, die praktisch jeglicher Spekulation Tür & Tor öffnet. Dazu kommen die geeigneten Finsterlinge: die Nazis, hier verkörpert durch den dämonischen Gauleiter Erich Koch und seine Schergen. Aber auch in den Jahrhunderten zuvor tummelte sich allerlei Prominenz in den geschnitzten Bernsteinwänden. Friedrich Wilhelm I. von Preußen, sein Sohn – der „Alte Fritz“ -, Peter der Große, Katharina die Große – gekrönte Häupter und zwielichtige Gestalten verkörpern lebendige Geschichte sowie den Hang des Menschen zum romantischen Goldfieber!

Die historische Realität sieht weniger glanzvoll aus. Das prächtige Bernsteinzimmer wurde quasi auf Sand erbaut – Material sparend schnitt man den kostspieligen Bernstein in Scheiben und klebte ihn ganz prosaisch auf Gipsplatten. Außer hui, innen pfui, denn für das raue Klima Preußens oder gar Russlands war solch’ filigrane Kunst definitiv zu empfindlich. Schon kurze Zeit nach Fertigstellung fing das schöne Werk zu bröckeln an, was es fortan bis zu seinem Untergang fortsetzte. Die Ironie dabei: Das Bernsteinzimmer, das 1945 verschwand, war längst nicht mehr das Bernsteinzimmer von 1705 – man hatte es bereits mehrfach zur Gänze restaurieren müssen und dabei ständig verändert.

Nicht einmal eine Spitzenposition unter den Meisterwerken der Kunstgeschichte wollte man ihm zubilligen. Die Zeitgenossen gingen jeweils recht rüde mit dem Bernsteinzimmer um. Erst als es verloren war, wollte es jede/r haben. Dabei weiß Remy anschaulich zu machen, dass es egal ist, ob es nun verbrannt ist oder in einem Versteck überdauert hat: Feuchtigkeit und Kälte haben ihm ohne ständige Pflege längst den Garaus gemacht. Doch die Beweise für die Vernichtung im Königsberger Schloss sind überzeugend. Remy hat sich die Mühe gemacht, hinter Gerüchte und Legenden zu blicken. Vor allem ging er an die Originalquellen und förderte dabei Erstaunliches zutage. Es sind halt doch nicht alle Unterlagen verschwunden. Man muss sie nur suchen – und finden wollen! Dann verkünden sie die traurige Wahrheit, dass das Bernsteinzimmer nicht mehr existiert.

Was wiederum auch nicht stimmt: Im Katharinenpalast zu Zarskoje Selo kann es seit 2003 in seiner vollen Pracht besichtigt werden. Mehrere Jahre der Planung, der Arbeit und der Finanzkrisen hat es gekostet, aber dann war es wiedererstanden: das neue Bernsteinzimmer, eine Eins-zu-eins-Kopie des Originals, das selbst die meiste Zeit so großartig nicht ausgesehen hat.

Doch weiterhin wird viel Zeit und Geld in die Suche nach dem „richtigen“ Zimmer investiert. Jeder Strohhalm wird ergriffen. Ist Schliemanns Schatz von Troja, ebenfalls 1945 verschwunden, nicht unlängst unversehrt in russischen Museumsarchiven zum Vorschein gekommen? Ist das nicht der „Beweis“ dafür, dass es dem Bernsteinzimmer ebenso ergangen ist? Und so geht die Jagd weiter – mit neuen komischen und tragischen Kapiteln, die sich nahtlos an die Historie und die Histörchen reihen, die Verfasser Remy mit bewundernswerter Sachlichkeit zu präsentieren weiß.

Maurice Philip Remy wurde 1962 in München geboren. Nach Abitur und dem Studium der Kommunikationswissenschaften leistete er Pressearbeit für das Volkstheater München und arbeitete als freier Journalist. Später wechselte er zum Dokumentarfilm, wurde Redakteur, Aufnahmeleiter, dann Redaktionsleiter bei „Top Video Film- und Fernsehproduktion“. Der nächste Schritt: Remy schrieb und inszenierte selbst. Ihm verdanken wir u. a. Episoden unsterblicher (bzw. nicht umzubringender) TV-Dauerbrenner wie „Vorsicht Kamera“ und „Verstehen Sie Spaß?“

Für das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen dreht Remy aber auch historische Dokumentationen, wobei er seine Themen meist im Umfeld des „Dritten Reiches“ und des II. Weltkriegs findet. Darüber hinaus veröffentlichte Remy diverse Publikationen; neben „Mythos Bernsteinzimmer“ die Bücher „Mythos Rommel“, „Mythos Widerstand“ und „Dimension PSI“.