Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Roslund, Anders / Hellström, Börge – Bestie, Die

_Trailer:_

Ein psychopathischer Kindermörder, der aus dem Gefängnis flieht. Und wieder mordet.
Ein Vater, der den Mörder seiner Tochter aufspürt und erschießt.
Eine Stadt, die Beifall klatscht für diese Tat.
Ein Richter im Konflikt.
Ein Urteil mit schrecklichen Folgen.

_Die Autoren:_

Anders Roslund, geb. 1961, ist ein anerkannter Fernsehjournalist und preisgekrönter Dokumentarfilmer. Er leitet die „Culture News“ auf Kanal 1 des schwedischen Fernsehens.

Börge Hellström, geb. 1957, ein ehemaliger Strafgefangener, ist freier Autor und Berater in mehreren schwedischen Fernsehsendungen zum Thema Drogenabhängige und Jugendliche im Strafvollzug.

_Rezension:_

Schon lange war ich nicht mehr so ambivalent in der Bewertung eines Buches wie bei „Die Bestie“. Vorweg: Die Thematik des Buches ist wichtig, da Kindesmissbrauch und damit verbundene Tötung endlich kein Tabuthema mehr sind. Daher hätte dieser „Thriller“ auch ein bedeutsames Buch werden können. |Hätte|, denn leider ist er das in diesem Sinne doch nicht. Dabei ist er im Ansatz nicht schlecht.

Es geht um Menschen, ihre Neigungen und Abneigungen, ihre Werte und Abgründe, ihre Obsessionen – und ihr gesellschaftliches Miteinander (oder Gegeneinander?). Allen voran steht Bernt Lund, ein Psychopath, der zwei Kinder ermordet und geschändet hat und dem es gelingt, aus dem Gefängnis zu entfliehen.

Damit beginnt für Kommissar Ewert Grens und seinen Mitarbeiter Sven Sundkvist ein Wettlauf mit der Zeit, denn Lund ist eine tickende Zeitbombe und vergewaltigt und tötet wieder ein kleines Mädchen. Frederik Stefansson, Schriftsteller und Vater des ermordeten Kindes, macht sich auf die Suche nach dem Mörder seiner Tochter und erschießt ihn. Damit löst er eine Lawine aus, die das ganze Land in Unruhe versetzt und das Thema „Lynchjustiz“ und seine Folgen greifbar werden lässt, aber auch unser aller Menschlichkeit mit ihren Facetten – die durch teilweise recht derbe Verbalitäten unterstrichen wird, die aber für mich die Aussagen unterstreichen, dass wir alle unsere dunklen Seiten in uns tragen. Da sind Lennart Oscarsson, der ein Doppelleben führt und bisexuell lebt und liebt, eine Richterin im Gewissenskonflikt und vorurteilsbehaftete Menschen, die den „Fall“ als Entschuldigung für ihre eigenen Taten beklatschen und heranziehen.

Dennoch kommt der Roman streckenweise nicht so recht in Schwung. Der Handlungsbogen ist stellenweise sehr zähfließend und Spannung kommt erst zum Schluss auf, und auch dort nicht vollends. Der Thrill ist eher subtil. Auch das Gesellschaftsbild wird mit zunehmender „Handlung“ eher eindimensional und lässt den Leser unbefriedigt zurück. Schade um das Thema, das eine sorgfältigere Herangehensweise verdient hätte.

An Bücher, die eine Auszeichnung erhalten haben – so wie dieses den renommierten skandinavischen Krimipreis „Glasnyckeln“ -, legt man automatisch andere Maßstäbe als an andere. Diesen wird „Die Bestie“ nicht gerecht. Denn genau von dieser – sprich: Lund – erfährt man viel zu wenig. Es fehlt das Täterprofil; dieses wird – wie bei den anderen Charakteren – nur an der Oberfläche gestreift und geht nicht in die Tiefe. Dabei sind die Ansätze – hier der eigene Missbrauch des Täters als Kind – nicht sinnlos, sie werden nur nicht konsequent weitergeführt. Umso bedauerlicher, und da wiederhole ich mich gerne, weil das Buch ein wichtiges Thema behandeln will.

Kommen wir zu einem weiteren Punkt. Auch wenn ich minimalistische Stile liebe, so bin ich auch, was den Stil der beiden Autoren angeht, zwiegespalten. Nun bleibt bei einer Übersetzung natürlich – ohne den Vergleich mit dem Originaltext ziehen zu können – die Möglichkeit, dass es zu stilistischen Änderungen kommen kann. So ist das eventuell auch in diesem Fall. Leider ist auch das Lektorat, das aus- und angleichend hätte eingreifen müssen, alles andere als zufriedenstellend.

So bleibt als Fazit ein Krimi, der ein wichtiges Thema behandeln will, diesem aber nicht völlig gerecht wird und auch nicht unbedingt vor Spannung strotzt.

http://www.fischerverlage.de/

Lemieux, Jean – Gesetz der Insel, Das

Im Herbst des Jahres 2001 möchte André Surprenant, Sergent-Détective der Polizei auf Cap-aux-Meules, einer der Madeleine-Inseln vor der Ostküste der kanadischen Provinz Quebec, endlich mit seiner Gattin den längst überfälligen Urlaub antreten. In letzter Sekunde verhindert dies ein Anruf von Roméo Richard, dem reichen Krabbenfischer und Bürgermeister des Nachbarorts Havre-aux-Maisons, der seine Tochter Rosalie vermisst. Die lebenslustige, dem Trunk, dem Hasch und den Männern ein wenig zu sehr zugetane 19-Jährige wurde zuletzt in der Inselkneipe „Caverne“ gesehen. Auf Cap-aux-Meules gibt es keine schweren Verbrechen, so dass Surprenant die Suche ohne Hilfe „vom Festland“ aufnimmt; auf der Insel regelt man die Dinge gern unter sich.

Dann wird Rosalie gefunden – geschändet, erwürgt und mit gebrochenem Genick hat sie ihr Mörder zurückgelassen, den nackten Körper „verziert“ mit Muschelschalen. Das Bundeskriminalamt setzt dem Sergent-Détective einen „Spezialisten“ vor die Nase. Denis Gingras ist ebenso berühmt für seine Erfolge als Ermittler wie berüchtigt für seine Arroganz. Auf Cap-aux-Meules lässt er Surprenant und dessen Beamte spüren, dass er sie für inkompetent hält. Als er den geistig verwirrten Damien Lapierre aufstöbert, der vor Jahren für einen Mädchenmord verurteilt wurde, hält er den Fall für gelöst. Dass Lapierre hartnäckig leugnet und die Indizien getürkt wirken, ignoriert Gingras.

Surprenant kennt „seine“ Insel und ihre Bewohner. Er spürt, dass Lapierre nicht der Mörder ist. Vom argwöhnischen Gingras hart gedeckelt, beginnt Sergent mit eigenen Nachforschungen. Er stößt hinter den Kulissen der scheinbar verschlafenen Gemeinde auf ein kriminelles Wespennest. Das organisierte Verbrechen nistet sich auf den Madeleine-Inseln ein. Schmuggel und Rauschgifthandel werden im großen Stil betrieben. Schon früher sind andere Mitglieder der Familie Richard auf verdächtige Weise gestorben. Rosalie hatte deshalb private Nachforschungen angestellt und ist dabei womöglich zu unvorsichtig gewesen. Die wahre Geschichte überrascht und erschüttert Surprenant dann allerdings doch bis ins Mark, zumal er sich in der Gewalt des Mörders befindet, als er sie endlich erfährt …

Der immer noch anhaltende Erfolg des Kriminalromans führt in Deutschland dazu, dass auch Werke aus bisher kaum oder gar nicht bekannten Regionen den Weg in die hiesigen Buchläden finden. Neben Skandinavien, Afrika oder Asien gehört auch Kanada zu diesen „Entwicklungsländern“. Das riesige Land auf dem nordamerikanischen Kontinent bietet eine fabelhafte Kulisse für Krimis. Es gibt quasi menschenleere, von der Zivilisation unberührte Wälder und Tundren, aber auch moderne Großstädte mit ihren typisch urbanen Verbrechen.

Längst ist Kanada für das organisierte Verbrechen kein weißer Fleck auf der Karte mehr. Das erstaunt nicht, wenn es um Städte wie Vancouver, Montréal oder Toronto geht. Doch auch das scheinbar idyllische Hinterland blieb keinesfalls ausgespart. Auf den Madeleine-Inseln vermutet der ahnungslose Tourist eventuell Wilddiebe, Schwarzbrenner oder Schmuggler. Aber das 21. Jahrhundert bzw. das längst globalisierte Verbrechen hat selbst hier fest Fuß gefasst: Nachdem die Fischer die örtlichen Bestände an Fischen und Krabben vernichtet haben, gehen sie dazu über, ihre Schiffe als Transporter für die Rauschgiftmafia einzusetzen, die auf hoher See ihren „Stoff“ wassert, der dann geborgen und an Land transportiert wird.

Auch sonst wird mit harten Bandagen gekämpft. Von Gemeinschaftsgeist ist wenig zu spüren in Cap-aux-Meules oder Havre-aux-Maisons. Die Einheimischen kapseln sich gegen die „Fremden“ ab, ohne deren Geld sie noch wesentlich schlechter dastünden. Die alte Ordnung ist dahin, „Das Gesetz der Insel“ kein Instrument für die Verbrechen der Gegenwart mehr. Dass eine menschliche Tragödie für Rosalies Verantwortung ist, ändert daran auch nichts. Selbst wenn sich die Insulaner schließlich wieder in Sicherheit wiegen, weiß André Surprenant es besser.

„Das Gesetz der Insel“ erzählt sowohl von einem Kriminalfall als auch vom grundsätzlichen Konflikt zwischen zwei Polizisten, die unterschiedliche Auffassungen von ihrem Beruf haben. Sergent-Détective Surprenant ist der altmodische Ermittler, der auf seinen Bauch ebenso hört wie auf seinen Kopf. Er kennt die Inseln und ihre Bewohner und ist – obwohl Polizist – in ihre Gemeinschaft integriert. Auf einer Insel müssen die Menschen miteinander auskommen. Da braucht es einen Polizisten mit Fingerspitzengefühl. Ermittler zu sein, ist für Surprenant ebenso Beruf wie Berufung. Er nimmt zu viel Anteil am Geschehen, projiziert unwillkürlich seine Tochter an die Stelle von Rosalie und wird von dem leicht naiven Willen getrieben, das Böse von den Inseln zu vertreiben.

Denis Gingras übernimmt die Rolle des „Auswärtigen“. Er ist ein Polizist der Großstadt, der sich der Möglichkeiten moderner Hightech ebenso selbstverständlich bedient, wie er sich auf seine Erfahrungen mit „richtigen“ Verbrechen verlässt, von deren Verfolgung man auf den nach seiner Ansicht „rückständigen“ Madeleine-Inseln keine Ahnung hat. Gingras hat kein Gespür für die ungeschriebenen Gesetze einer abgeschlossenen Inselgemeinde. Er ignoriert diese oder hält sie für altmodische Relikte einer vergessenen Vergangenheit. Für ihn zählen nur harte Fakten, die er jedoch nicht hinterfragt oder interpretiert. Hingegen weiß Surprenant, dass auf den Madeleines Alt und Neu nebeneinander existieren und die Dinge längst nicht immer so sind, wie es scheinen.

Gingras vermag sich nicht vorzustellen, dass er auf einen Kriminellen treffen könnte, der „klüger“ ist als er. Das macht ihn voreingenommen und blind – aber nicht blöd: Der Polizist des 21. Jahrhunderts ist stets auch auf seinen Ruf bedacht. Deshalb kontrolliert Gingras den auf eigenen Spuren wandelnden Surprenant vorsichtshalber scharf, damit ihn dieser nicht mit Indizien konfrontiert, die seine (vor den Medien vertretenen) Theorien als falsch entlarven.

Genretypisch steht dieser Surprenant natürlich nicht nur dienstlich unter Druck, sondern schlägt sich auch mit privaten Problemen herum. Mit seiner langjährigen Ehe steht es nicht zum Besten; der Sergent flüchtet sich in die Arbeit, um sich den Konsequenzen zu entziehen. Gleichzeitig hat er ein Auge auf eine attraktive Kollegin geworfen. Surprenant steckt in einer Midlife-Crisis, die ihn deprimiert die Gegenwart mit den hochfliegenden Plänen seiner Vergangenheit vergleichen lässt.

Charaktere wie dieser sind zahlreich auf den Madeleines – vom Leben niedergeschlagen, beruflich oder privat gescheitert, erfüllt vom nagenden Gefühl, etwas verpasst zu haben auf ihrer schönen Insel, die Autor Limeaux wie ein Gefängnis darzustellen weiß. Jeder Mann, jede Frau, mit der es Surprenant im Verlauf seiner Ermittlungen zu tun bekommt, hütet hinter einer oft glänzenden Fassade diverse Skelette im Schrank, die freilich nicht immer mit dem eigentlichen Kriminalfall zu tun haben: „Das Geheimnis der Insel“ ist kein auf den „Whodunit“-Plot fixierter Krimi, sondern beschreibt den Einbruch des Bösen in eine Welt, deren Darstellung dem Verfasser genauso wichtig ist wie der „Fall“. Dem Puristen mag das Ergebnis weder Fleisch noch Fisch sein, aber diejenigen, die um das literarische Potenzial des Genres „Kriminalroman“ wissen und seine Grenzen weiter stecken, wird „Das Geheimnis der Insel“ als nie sensationelles aber angenehmes Lektüreerlebnis im Gedächtnis haften.

Jean Lemieux wurde am 21. Januar 1954 in Iberville geboren. Er ist als Schriftsteller mit französisch-kanadischer Stimme bekannt geworden, arbeitet jedoch hauptberuflich als Mediziner. Zwischen 1980 und 1982 führte er eine Praxis auf den Madeleine-Inseln vor den ostkanadischen Küste. Ab 1983 kam er auf mehreren ausgedehnten Reisen nach Kalifornien, Australien, Asien und Europa, bevor er auf die Inseln zurückkehrte und verstärkt als Schriftsteller aktiv wurde. Seit 1994 lebt und arbeitet Lemieux – weiterhin auch als Arzt – in Québec.

http://www.droemer-knaur.de

Silva, Daniel – Engländer, Der

Daniel Silva, ehemaliger |CNN|-Journalist, erfreut die Leserwelt schon seit einiger Weile mit seinen Thrillern. In „Der Engländer“ steht erneut Gabriel Allon, Mitglied des israelischen Geheimdienstes und nebenberuflicher Restaurator, im Vordergrund.

Gabriel, der nach dem Bombenattentat auf Ehefrau und Kind zurückgezogen in Cornwall lebt, wird zur Restauration eines Bildes in die Villa eines Schweizer Bankiers und Kunstsammlers bestellt. Es ist klar, dass sein Auftrag mehr beinhaltet als das Bild. Auguste Rolfe hatte sich an den israelischen Geheimdienst gewandt, um diesem etwas anzuvertrauen.

Doch als Gabriel die Villa erreicht, liegt der Hausherr erschossen in seinem Salon. Die Schweizer Polizei versucht Gabriel den Mord anzuhängen, doch die Ermittlungen werden eingestellt. Gabriel entdeckt, dass einige sehr wertvolle Gemälde aus Rolfes Kunstsammlung gestohlen wurden – und dass einige dieser Bilder eine schmutzige Nazivergangenheit zeigen. Irgendjemand scheint verhindern zu wollen, dass diese Vergangenheit ans Tageslicht gerät, und schreckt auch nicht davor zurück, über Leichen zu gehen.

Anna Rolfe, die Tochter des Toten und eine weltberühmte Geigerin, gerät in tödliche Gefahr, als Gabriel sie nach den Geschäften ihres Vaters befragt. Gabriel tut alles, um sie zu beschützen, aber der Feind scheint überall zu lauern und hat es nicht nur auf Anna abgesehen …

Silva hat mit „Der Engländer“ einen überwältigenden Thriller geschrieben. Alles wird von der vielschichtigen, genial verwobenen Konstruktion des Buches getragen, die von hinten bis vorne durchdacht zu sein scheint. Dabei liefern die politischen und geheimdienstlichen Verstrickungen von vornherein einen guten Nährboden für einen spannenden Plot.

Silva nutzt dies aus, um mit einigen handwerklichen Tricks noch mehr Spannung ins Spiel zu bringen. Abrupt endende Kapitel oder handlungsrelevante, herausgeschnittene Stücke entwickeln eine unausweichliche Sogwirkung. Die Personen, die distanziert und rätselhaft dargestellt werden, scheinen alle in etwas verwickelt zu sein, so dass Silva viele verschiedene, wenn auch kurze Erzählstränge zur Verfügung stehen, die er einflechten kann.

Die Personen stellen einen weiteren, nicht zu verachtenden Spannungsfaktor dar. Zum einen sind sie, wie schon erwähnt, so dargestellt, dass sie in sich bereits einen „kleinen Thriller“ ergeben, soll heißen, dass ihre Vergangenheit und ihre Geheimnisse nur tröpfchenweise in die Geschichte einsickern. Man möchte folglich unbedingt wissen, was denn nun wirklich hinter Gabriel oder dem mysteriösen Auftragskiller steckt, den alle nur „Engländer“ nennen. Der Leser spürt ganz genau, dass beinahe alle Charaktere Dreck am Stecken haben, aber Silva hält sich damit zurück, zu viele Informationen freizugeben.

Dadurch entsteht natürlich ein sehr distanzierter Eindruck von den Personen, was in diesem Fall aber nicht negativ ins Gewicht fällt. Zum einen passt die Verschlossenheit sehr gut zu Handlung und Erzählstil und zum anderen gibt sie Silva die Möglichkeit für interessante Brüche innerhalb der Geschichte. Diese entstehen, wenn er den sonst so gefühlskalt wirkenden Protagonisten plötzlich echte Emotionen unterjubelt. Meist sind das kurze Momente der Schwäche, die man so nicht erwartet. Diese kleinen Überraschungen sorgen dafür, dass das Buch an Tiefe gewinnt und dadurch noch vielschichtiger wird, als es ohnehin schon ist.

Der Schreibstil verbindet den sorgsam konstruierten Plot und die gelungenen Charaktere mit einer nüchternen, klaren Sprache. Der Autor benutzt weder blumige Rhetorik noch trödelt er mit nutzlosen Informationen herum. Er kommt auf den Punkt, auch wenn die eine oder andere Beschreibung im Buch etwas zu genau geworden ist. Bei Landschaften oder Ortsbeschreibungen sind seine detaillierten Erklärungen definitiv ein Pluspunkt, aber dass er bei jeder Autofahrt erwähnen muss, in welchen Gang der Fahrende gerade schaltet, ist unnötig.

Das ist dann aber auch der einzige Kritikpunkt, den „Der Engländer“ zulässt. Ab und an sind die Beschreibungen des ansonsten passend kühlen Schreibstils etwas zu minutiös. Ansonsten versteht sich Daniel Silva darauf, in „Der Engländer“ einen ausgesprochen vielschichtigen und spannenden Plot zu konstruieren und entsprechend darzustellen, der dem Leser den Atem raubt.

http://www.piper-verlag.de

|Siehe ergänzend dazu Dr. Maike Keuntjes [Rezension 1930 zu „Die Loge“.|

Ani, Friedrich – Wer lebt, stirbt

Friedrich Ani gehört zu den bekanntesten deutschen Schriftstellern und ist vor allem mit seiner Krimi-Reihe um den raubeinigen Kommissar Tabor Süden, für die er viele Preise eingeheimst hat, bekannt geworden. Da die Reihe auf zehn Bände angelegt war, muss nun ein neuer Kommissar her.

Der trägt den Namen Jonas Vogel und gibt bei „Wer lebt, stirbt“ aus der Reihe „Der Seher“ sein Debüt. Der Reihentitel „Der Seher“ kommt von Vogels Spitznamen, den er bereits auf der Polizeischule erhalten hat. Dort verblüffte er mit seinem hervorragenden Orientierungssinn und seiner Fähigkeit, die Emotionen in Stimmen herauszuhören.

Eines schönen Frühlingstages wird in einer Münchner Wohnung ein toter Wachmann aufgefunden. Falk Sieger wurde erstochen, und bereits am Anfang seiner Ermittlungen muss Jonas Vogel feststellen, dass der Fall nicht so eindimensional ist wie gedacht. Siegers Kollege Jens Schulte steht von Anfang als Verdächtiger fest, nachdem die Freundin des Ermordeten ausgesagt hat, dass Schulte, mit dem sie ebenfalls ein Verhältnis hatte, einen Privatdetektiv angeheuert hatte, um Sieger zu erledigen. Der Privatdetektiv selbst leugnet, den Wachmann umgebracht zu haben, und auch Schulte behauptet, dass diese Behauptung eine Lüge ist.

Gleichzeitig stellt sich heraus, dass der Hilmar Opitz, der Rechtsanwalt von Jens Schulte, in einen weiteren Kriminalfall verwickelt ist. Seine Sekretärin und Geliebte ist verschwunden und eine Lösegeldforderung ist bereits eingegangen. Vogel glaubt, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Morden geben muss, doch bevor er dieser Spur weiter nachgehen kann, geschieht ein folgenschwerer Unfall, der ihn für sein Leben zeichnet …

Normalerweise steht der Name Ani für Qualität, doch mit „Wer lebt, der stirbt“ verlangt der Münchner Autor dem Leser einiges zu viel ab. Das zentrale Problem ist der Aufbau des Buches, der die gesamte Geschichte beeinflusst. Auf den ersten Seiten hält man die kurzen, szenenhaften Kurzkapitel noch für einen geschickten Schachzug. Sie sind sehr karg und bestehen nur aus dem Notwendigsten, sprich ein paar trockenen Beschreibungen der Situation und des Schauplatzes und den Dialogen. Dadurch entsteht ein rasantes Tempo, das den Kriminalfall angenehm nach vorne treibt.

Doch schnell wird klar, dass dieser Erzählstil ein entscheidendes Manko hat: Es fehlen verbindende und reflektierende Passagen zwischen den Kapiteln und Ereignissen. Dadurch verliert der Leser schnell den Überblick und die Geschichte rast an ihm vorbei wie ein ICE. Bei diesem halsbrecherischen Tempo und fehlenden Pausen bleibt es am Leser hängen, Zusammenhänge aus den Dialogen der Kommissare herzustellen. An und für sich ist nichts Verkehrtes daran, seine Leser fördern zu wollen, aber wenn der Plot aus voreiligen und unlogischen Schlüsse, einem nur schwerlich nachvollziehbaren Ermittlungsweg und einer haarsträubenden Auflösung besteht, wird der Leser höchstens überfordert und bleibt mit einem fragenden Gesichtsausdruck zurück.

Dieser Aufbau hat weitere Komplikationen im Schlepptau. Durch den kargen Aufbau ist von Anis hochwertigem Schreibstil nur wenig zu spüren. Dabei schimmert an einigen Stellen das Talent, das er in schon so viel Romanen bewiesen hat, durch. Der Autor wählt seine Worte sicher und treffend, konstruiert durchdachte Satzbauten und lässt erkennen, wozu er fähig ist, wenn er nicht nur auf Dialoge setzt. Das soll nicht heißen, dass die Dialoge nicht gut wären. Sie sind sehr authentisch und wirken ungekünstelt, aber gute Dialoge machen einen flüssigen Erzählstil nun mal nicht aus. Ein Ani liest sich normalerweise interessant und dicht, doch in „Wer lebt, stirbt“ stolpern die Protagonisten durch die Dialoge, und die kurzen Abschnitte machen ungestörtes Lesen so gut wie unmöglich. Die Protagonisten sind zwar mit Persönlichkeit und originellen Charakterzügen ausgestattet, aber ihnen bleibt nicht viel Platz, um sich zu entfalten. Sie bleiben dem Leser verschlossen, da Ani ihren Gedanken und Gefühlen zumeist wenig Platz einräumt, und wenn, dann an der falschen Stelle.

Während sich die Geschichte am Anfang auf die Lösung des verworrenen Falls konzentriert, gibt es ungefähr in der Mitte einen starken Bruch. Als Vogels Unfall passiert, rücken plötzlich er und seine Familie in den Vordergrund. Seitenlang wird davon erzählt, wie die Vogels mit den Unfallfolgen umgehen, und genau das ist das Problem. Während es vorher Schlag auf Schlag ging und Gedanken und Gefühle nur wenig Platz erhielten, wird das Erzähltempo plötzlich beträchtlich heruntergeschraubt. Der Autor widmet sich nur noch den Gedanken und Gefühlen, die vorher außen vor blieben, und das funktioniert nicht ohne Längen. Außerdem passt dieser „Mittelteil“ nicht zum Rest des Buches und spaltet es.

„Wer lebt, stirbt“ ist ein merkwürdiges Buch. Anfangs wirkt es wie ein rasant erzählter Krimi, dann überholt es den Leser mit seinem Tempo, um ihn schließlich auszubremsen. Auch wenn der Schreibstil Anis Talent durchschimmern lässt, bleibt der Leser in diesem Fall mit einem faden Nachgeschmack zurück. Was soll er mit diesem Buch anfangen? Den skelettartigen Aufbau als Experiment eines Genies abtun? Oder so ehrlich sein und sagen, dass das Buch zerfasert und verwirrend ist? Die Antwort auf diese Frage muss wohl jeder mit sich selbst ausmachen, aber egal wie sie ausfällt: Es gibt Besseres von Herrn Ani.

http://www.dtv.de

|Siehe ergänzend dazu unsere Rezension zu:|
[„Wie Licht schmeckt“ 3563

Sara Paretsky – Feuereifer

Das geschieht:

Die South Side gehört zu jenen Vierteln der Stadt Chicago, in die sich der brave Mittelstandsbürger ungern verirrt. Armut, familiäre Gewalt, Massenarbeitslosigkeit und Kriminalität gehören zum Alltag der Bewohner, die vom Establishment als Verlierer und Faulpelze abgestempelt werden.

Eine, die es geschafft hat, der South Side zu entfliehen, ist Victoria Iphigenia Warshawski, die eine kleine Detektei besitzt und selten an die Vergangenheit denkt, bis diese sie eines Tages einholt: Eine Lehrerin ihrer alten Schule bittet sie, als Trainerin des weiblichen Basketball-Teams einzuspringen. Vic übernimmt sogar einen Fall ohne Bezahlung: Eine der unterbezahlten Arbeiterinnen der Hinterhoffirma „Fly the Flag“ berichtet von diversen Sabotageakten. Frank Zamar, der Eigentümer, leugnet dies freilich und fordert Vic auf, ihre Arbeit einzustellen; seine deutlich erkennbare Angst lässt die erfahrene Detektivin erkennen, dass hier etwas faul ist. Sara Paretsky – Feuereifer weiterlesen

Ronelli, Gian Carlo – Goweli – Der letzte Engel

Das Alter des Turiner Grabtuchs, bei dem es sich um das Leichentuch von Jesus Christus handeln soll, ist von Wissenschaftlern aus aller Welt noch immer nicht abschließend geklärt worden. Auf diesem Tuch ist recht deutlich das Abbild eines gefolterten Mannes zu erkennen. Manche interpretieren dieses „fotografische“ Bildnis als dasjenige des Erlösers, andere hingegen sind der Ansicht, es handle sich um eine fast perfekte Fälschung aus dem Mittelalter.

Die hier angewandte C-14-Methode sagte den Wissenschaftlern, dass dieses Tuch aus dem Mittelalter stammt. Kritiker dagegen meinen dazu, dass als Probe ein Stück Stoff entnommen wurde, das aus einem geflickten Teil stammt. Neueste Untersuchungen ergaben als Möglichkeit eine Datierung auf das erste Jahrhundert nach Christi Geburt. Für die Skeptiker ist dies ein Beweis für eine Fälschung, für gläubige Christen allerdings ist das Tuch noch immer eine Ikone. Millionen Gläubige verehren es als das echte Leichentuch Christi, als Zeugnis seiner Existenz, seines Leidens und seiner Auferstehung.

Der Glaube ist nur allzu oft das Ergebnis von Manipulation und Zweifel, in diesem Fall ist es dann die Sindonologie (Wissenschaft des Grabtuchs). Das Tuch wird zurzeit in der Cappella della Santa Sindone in Turin verwahrt und ausgestellt. Auf der Suche nach der womöglich letzten Spur von Jesus sind die Grenzen zwischen Glauben und Naturwissenschaft fließend geworden. An keinem vergleichbaren Gegenstand wurde in den letzten 100 Jahren so intensiv geforscht wie an dem Leinen mit dem Jesusbild.

Da es auf den Turiner Grabtuch Blutflecken gibt, wurden diese natürlich auch analysiert – aber was würde wohl passieren, wenn man das „heilige“ Blut nach einer DNS-Analyse bei einem Mordfall wiederfindet?

_Die Story_

In den USA schockiert eine brutale und geheimnisvolle Mordserie die Menschen. Der oder die Täter töten immer sechsjährige Mädchen, die scheinbar untereinander keine besondere Ähnlichkeit oder Beziehung haben. Der Mörder hinterlässt die getöteten Opfer immer in einer betenden Stellung.

Doch der Zufall kommt den Ermittlern zur Hilfe: Bei dem letzten Opfer werden Blut- und Hautspuren auf einem Kruzifix gefunden. Stammen diese vom Mörder? Die Probe wird analysiert und mit allen DNS-Daten verglichen, derer man in den Datenbanken habhaft wird.

Das Ergebnis ist spektakulär und mehr als nur mysteriös. Trotz mehrerer Vergleiche sagt die DNS-Probe aus, dass es sich bei dem mutmaßlichen Mörder um die Person handelt, die offensichtlich im Turiner Grabtuch ihre letzte Ruhe gefunden hat. Laut internationalen Untersuchungen verschiedener Wissenschaftler könnte das Turiner Grabtuch bekanntlich das Leichentuch von Jesus Christus sein. Aber wie ist das möglich? Ist Jesus Christus wiederauferstanden? Wie kann Gottes Sohn ein brutaler Serienmörder sein?

Die Behörden sind ratlos und suchen Rat und Hilfe bei Dr. Kramer, einem Professor für die Sindonologie (Grabtuchforschung) und Theologie, und Dr. Mercedes Brightman, einer Expertin der Genetik. Beide sind sich nicht fremd und bereits auf verschiedenen Kongressen und Seminaren begegnet, ihre Beziehung zueinander ist aber etwas schwierig. Unterstützt werden beiden Wissenschaftler von Mark Grimley, einem FBI-Agenten indianischer Abstammung. Mark Grimley wird immer dann zu solch mysteriösen Fällen beordert, wenn die polizeilichen Behörden mit ihren weltlichen und rationalen Ermittlungsmethoden nicht weiterkommen.

In Turin, in der Cappella della Santa Sindone, verändert sich plötzlich das Grabtuch und sondert eine merkwürdige Flüssigkeit ab: Es blutet. Als Dr. Mercy Brightman das Blut analysiert und konzentriert mit allen Mitteln untersucht, stellt sie fest, dass es sich verändert. Es findet eine aktive Zellteilung statt, und auch die einzelnen Bestandteile lassen den Schluss zu, dass es nach dem heutigen Stand der Technik keine Erklärung dafür gibt. Ein Wunder Gottes? Die wissenschaftlichen Ermittler und Mark Grimley sind verblüfft und verwirrt, und sehr schnell bemerken sie, dass auch andere Gruppen Interesse an den Ergebnissen haben bzw. diese „Zeugen“ beseitigen wollen.

Nach einem Mordanschlag auf Dr. Kramer und einem Entführungsversuch von Dr. Brightman sieht sich das Trio gefährdet und spürt jetzt dem Mörder und des Rätsels Lösung auf eigene Gefahr nach …

_Kritik_

„Goweli – Der letzte Engel“ ist der Debütroman des österreichischen Autors Gian Carlo Ronelli. In seinem Erstlingswerk spielt der Schriftsteller mit einer sehr interessanten Theorie und setzt diese glaubwürdig als SciFi-Thriller um. Die Genetik spielt zweifelsfrei eine große Rolle, aber kombiniert mit einem Raum-Zeit-Paradoxum bzw. mit Zeitreisetheorien liefert dieser Ansatz eine großartige Handlung.

Gian Carlo Ronelli hat sich viel Mühe mit dem Roman gegeben und sicherlich viel recherchiert; das Buch ist spannend, sehr unterhaltsam, manches Mal tiefgründig und überraschend wissenschaftlich fundiert, sieht man davon ab, wie weit der moderne Stand der Wissenschaft gediehen ist.

Dem Leser kommt es ab und an so vor, als würde ich mich in einer Folge der Reihe „Akte X“ wiederfinden. Aber inzwischen gibt es durchaus eine Menge anderer Ableger dieser mystischen Ausrichtung. Wissenschaft und Religion vermischt der Autor sehr spannend, ohne angenehmerweise in wilde Theorien von Verschwörungen und Geheimnissen der Kirche abzudriften.

Die Protagonisten der Geschichte entwickeln sich großartig zueinander. Die Beziehungen innerhalb des Trios sind nicht nur spannungsvoll, sondern gerade der oftmals bissige, zynische Humor wertet die Story nochmals auf. Die Bösewichter sind ebenfalls nicht unbedingt „böse“ – das wäre dem Autor zu simpel gewesen. Auch die Grundgeschichte schraubt sich kontinuierlich empor, und die Theorien des Autors werden nicht nur erzählt, sondern auch fundiert erklärt.

„Der letzte Engel“ verbindet Wissenschaft und Religion flüssig miteinander. Man wird sich jetzt sicherlich fragen können, was das Turiner Grabtuch mit Engeln zu tun hat, aber auch dieser Aspekt erklärt sich im Laufe der Handlung stimmig. Ich kann jedem nur aufs Wärmste empfehlen, sich nach der Romanlektüre der Recherche zum Turiner Grabtuch zu widmen. Sehr interessant und überaus mysteriös.

_Fazit_

Ich kann „Goweli – Der letzte Engel“ als gelungenen Debütroman ganz klar empfehlen. Einziger Kritikpunkt wäre, dass die Geschichte vielleicht manches Mal zu schnell erzählt wird, auch wenn das der faszinierenden Atmosphäre keinen Abbruch tut. Da es sich um einen Debütroman handelt, kann man auch Verständnis dafür aufbringen, dass die Figuren zwar gut charakterisiert sind, aber den gewünschten Hintergrund noch vermissen lassen.

Im Nachwort erklärt Gian Carlo Ronelli, dass er darüber nachdenkt, einen zweiten Roman zu verfassen, in dem wahrscheinlich auch die drei Hauptfiguren wieder vorkommen. „Goweli – Der letzte Engel“ allerdings ist eine in sich abgeschlossene Geschichte.

http://www.sieben-verlag.de/

Alvtegen, Karin – Flüchtige, Die

Karin Alvtegen gehört zu den viel gelobten schwedischen Krimiautoren, auch wenn sie vielleicht nicht so bekannt ist wie die Kollegen Mankell und Nesser.

Trotzdem herrscht auch in ihrem Roman „Die Flüchtige“ ein depressiver Unterton vor, der in Schweden so verbreitet zu sein scheint wie Smörrebröd und Köttbullar. Die Protagonistin Sybilla hat auch allen Grund dazu, deprimiert zu sein. Als reiche, aber isolierte Direktorentochter in Småland aufgewachsen, ist sie mit der Volljährigkeit aufgrund ihrer psychischen Probleme des engstirnigen Elternhauses verwiesen worden und lebt seitdem in Stockholm auf der Straße. Obwohl sie obdachlos ist, gönnt sie sich einmal im Monat eine Übernachtung in einem Hotel, die sie sich von Geschäftsmännern, die sich leicht um den Finger wickeln lassen, bezahlen lässt.

Doch die Nacht im edlen Grand Hôtel kommt sie teuer zu stehen. Jörgen Grundberg, ihr Gönner des letzten Abends, wird ermordet aufgefunden, und Sybilla gerät in Verdacht. Natürlich finden sich ihre Fingerabdrücke an seinen Sachen, doch als die Polizei am Morgen an ihre Zimmertür klopft, gelingt ihr die Flucht. Zurück auf der Straße, muss sie tatenlos mit ansehen, wie ein Ritualmörder das Land und die Presse in Atem hält – und sich als sie ausgibt …

Alvtegens Buch ist kein alltäglicher Krimi. Es dreht sich um genau eine Person, und das ist Sybilla – und kein Ermittler in der Lebenskrise. Der Leser begleitet die Frau auf ihrer ruhelosen Wanderung durch die Straßen Stockholms und ihrer zaghaften Suche nach dem wirklichen Mörder. Außerdem fächert sich die gesamte Erzählung in zwei Perspektiven auf: die der gegenwärtigen, gejagten Sybilla und die des jungen Mädchens Sybilla, das mit seinem gefühlskalten Elternhaus zu kämpfen hat. Dadurch erschafft die Autorin einen sehr tiefgründigen, ausgebauten Charakter, der eine Vergangenheit und eine Gegenwart hat. Da die Vergangenheitsperspektive sehr kurz gehalten ist, entstehen auch keine großen Brüche, so dass die Geschichte trotzdem zügig vorangeht.

Die Geschichte hat durchaus ihre spannenden Momente. Insgesamt klaffen die Ritualmorde und Sybillas Schicksal recht weit auseinander, was damit zusammenhängt, dass nur aus Sybillas Sicht erzählt wird. Das ist auf der einen Seite sehr gut, weil die Geschichte dadurch tief und fesselnd wird und dem Leser die Möglichkeit gibt, sich voll und ganz auf die Hauptperson zu konzentrieren. Auf der anderen Seite wirken die Morde dadurch wie weiße Wölkchen am Horizont, die ohne Eindruck zu hinterlassen vorbeiziehen.

Wenn Alvtegen die beiden Stränge schließlich zusammenführt, bleibt die Distanz erhalten. Dadurch wirkt die Auflösung des Falles etwas abrupt und schlecht nachvollziehbar. An dieser Stelle wäre es vielleicht besser gewesen, wenn die Autorin in Bezug auf die Ritualmorde mehr Vorarbeit geleistet hätte.

Karin Alvtegen schreibt sauber, still und ohne reißerische Momente. Ihre Hauptperson geht nahezu perfekt in ihrem Schreibstil auf und zieht den Leser in das Geschehen. Das ist insofern bemerkenswert, da Alvtegen in der dritten Person schreibt und nicht in der ersten. Dennoch webt sie ein dichtes, erzählerisches Netz, das mit nüchterner Sprache und nur wenigen rhetorischen Besonderheiten aufwartet. Der Schreibstil ist genauso leise und zurückhaltend wie die Protagonistin, was sehr angenehm zu lesen ist.

Und auch wenn es der „Flüchtigen“ an einigen Stellen an Spannung mangelt, ist Karin Alvtegens Krimi, besonders was den Schreibstil und die Person angeht, ein kleines Meisterwerk geworden. Leise zwar und nicht besonders originell, aber trotzdem sehr interessant und geradezu bewundernswert dicht umgesetzt.

http://www.rowohlt.de

Vlugt, Simone van der – Klassentreffen

Klassentreffen – das sind die alljährlich wiederkehrenden Events, die ein Teil des Abschlussjahrgangs hasst und bei solchen Veranstaltungen ohnehin nicht auftaucht und die der andere Teil des Jahrgangs liebt, weil er dann wieder in seliger Erinnerung an die ach-so-schöne Schulzeit schwelgen kann. Bei Simone van der Vlugts Roman“heldin“ Sabine hat das anstehende Klassentreffen allerdings noch ganz andere Konsequenzen: Unangenehme Erinnerungen tauchen wieder auf, die Sabine eigentlich vergessen wollte und die sie nun aber gar nicht mehr loslassen wollen …

Sabine leidet an einer der bekanntesten modernen Volkskrankheiten, nämlich dem Burn-Out-Syndrom. Eigentlich hat ihr die Arbeit als Sekretärin bei der BANK in Amsterdam immer sehr gut gefallen, doch irgendwann ist ihr alles über den Kopf gewachsen. Nach einer längeren Auszeit und therapeutischen Behandlung lernen wir Sabine kennen, als sie wieder arbeiten gehen möchte. Besser geht es ihr allerdings noch nicht, doch weil selbst ihre Therapeutin nicht bis zum Grund ihres Problems vordringen kann, quält Sabine sich kurzerhand wieder zurück zu ihrer Arbeit, wo sie allerdings feststellen muss, dass ihre beste Freundin Jeanine dort nicht mehr arbeitet und sie stattdessen neue Kolleginnen hat, die sie von Anfang an mobben. Besonders schlimm ist die neu eingesetzte Leiterin des Sekretariats, Renée, die Sabine an das Leben zur Hölle macht.

Einen Lichtblick gibt es bei der BANK für Sabine, und zwar Olaf aus der IT-Abteilung, in den die halbe weibliche Belegschaft verliebt ist, allen voran Renée, die mit ihren Flirtversuchen allerdings auf Granit beißt. Anders aber Sabine, die Olaf von früher kennt, weil dieser damals mit ihrem Bruder befreundet war. So kommen die beiden sich schnell näher und beginnen eine heiße Affäre, die Sabines eifersüchtige Kolleginnen mit immer schlimmeren Mobbing-Attacken quittieren.

Doch Sabine quälen noch ganz andere Dinge, nämlich das bevorstehende Klassentreffen in ihrer Heimat Den Helder, das Erinnerungen an ihre frühere Freundin Isabel weckt, die vor neun Jahren spurlos verschwunden ist. Sabine kann sich noch daran erinnern, dass sie am fraglichen Tag auf dem Heimweg mit dem Fahrrad hinter ihr fuhr, um an einer Kreuzung allerdings anders abzubiegen, um Isabel nicht zu begegnen. Das ist die letzte Erinnerung, die sie bewusst an Isabel hat, doch ganz allmählich tauchen ganz neue Bilder auf, die Sabine nicht recht einordnen kann. Daraufhin begibt sie sich nach Den Helder, um Spurensuche zu betreiben.

Der erste Weg führt sie zum Hausmeister der Schule, der inzwischen alt und wunderlich geworden ist und mit sechs Katzen zusammenlebt, die auffälligerweise die Namen von sechs Mädchen tragen, die vor einigen Jahren in Den Helder verschwunden sind. Ob dies etwas zu bedeuten hat? Und was versucht Sabine zu verdrängen? Weiß sie etwa, wer für Isabels Verschwinden verantwortlich ist und kennt sie womöglich den Täter? Fast dauert es zu lange, bis Sabine schließlich erkennt, was damals wirklich vorgefallen ist …

Simone van der Vlugt hat mit „Klassentreffen“ einen Roman vorgelegt, der sich zunächst schlecht in ein Genre einordnen lässt. Zwar vermutet man von Anfang an, dass sich hinter Isabels Verschwinden und Sabines wiederkehrenden Erinnerungen eine spannende und grausame Geschichte verbergen muss, doch bevor wir uns diesen Erinnerungen widmen, begleiten wir Sabine zunächst zu ihrer Arbeit und ihren gehässigen Kolleginnen. Dort erlebt Sabine die Hölle, die nur dadurch abgemildert wird, dass Frauenschwarm Olaf sich in sie verliebt und sich vom ersten Moment an an sie heranmacht. Sabine kann ihr Glück kaum fassen und lässt sich deswegen nicht mit ganzem Herzen auf die Affäre ein. Schon früh merkt sie zudem, dass sie Olaf gegenüber nicht die gleichen Gefühle entwickeln kann wie für Bart, ihren ersten und bislang einzigen Freund. Immer wieder denkt sie an Bart zurück und fragt sich, warum er sie nach Isabels Verschwinden links liegen gelassen hat und nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte.

Nur langsam legt Simone van der Vlugt Spuren aus, die uns Hinweise darauf geben, was vor neun Jahren am Tag von Isabels Verschwinden passiert sein mag. Sehr geschickt konstruiert die Autorin ihre Geschichte dabei so, dass immer neue Verdächtige auftauchen. Kaum meint man, den Täter entlarvt zu haben, kommt Sabine eine neue Erinnerung, die wieder alles über den Haufen wirft und einen neuen Verdächtigen aus dem Hut zaubert. Mein persönlicher Hauptverdächtiger wechselte daher praktisch von Kapitel zu Kapitel, ohne dass ich mich für einen hätte entscheiden können, denn die neuen Spuren und Erinnerungen schließen niemals jemanden aus, sodass sich der Kreis der Verdächtigen stets erweitert. Das gibt Simone van der Vlugt schließlich auch die Möglichkeit, ihrem Roman ein Ende zu verpassen, das sich gewaschen hat und ihre Leser in Erstaunen versetzt. Obwohl man die Wende vielleicht hätte absehen können, war ich mir bis zum Schluss nicht ganz sicher, wer für Isabels Verschwinden verantwortlich war, und konnte mich deswegen richtig überraschen lassen. Und obwohl der Autorin ein echtes Überraschungsmoment glückt, passt es sich wunderbar in die Geschichte ein und wirkt keineswegs aufgesetzt oder künstlich konstruiert. Durch die verschiedenen Fährten, die Simone van der Vlugt ausgelegt hat, ist die Wende absolut stimmig!

Auch die Charakterzeichnung ist Simone van der Vlugt hervorragend gelungen. Wir sind in jedem Moment bei Sabine und lernen sie daher von vielen verschiedenen Seiten kennen. Wir reisen mit ihr in die Vergangenheit, hören von ihrer Freundschaft zu Isabel, die sich im Laufe der Zeit sehr gewandelt hat, bis Isabel plötzlich zu Sabines Feindin geworden ist, von der sie permanent gepiesakt wurde. Doch das Mobbing setzt sich in der Gegenwart weiter fort, denn dort sind es Sabines Arbeitskolleginnen, die ihr das Leben schwer machen. Sabines Verzweiflung und ihre Ängste erleben wir in jedem Moment hautnah mit. Auch die Beziehung zu Olaf, die anfangs glücklich und perfekt scheint, bekommt schnell Risse und bewegt sich in eine ungeahnte Richtung. All diese Veränderungen und Sabines Gefühle beschreibt Simone van der Vlugt zu jedem Zeitpunkt glaubwürdig und nachvollziehbar.

„Klassentreffen“ ist ein höchst erfreulicher Roman, der sich deutlich vom Mittelmaß abhebt und sich durch gelungene Figurenzeichnung und einen geschickt inszenierten Spannungsbogen auszeichnet. Obwohl Simone van der Vlugt am Ende eine dicke Überraschung für ihre Leser parat hat, bereitet sie dieses Aha-Erlebnis so gut vor, dass es sich stimmig in die Geschichte einfügt. Der vorliegende Roman überzeugt auf ganzer Linie und macht neugierig auf weitere Werke der niederländischen Autorin!

http://www.diana-verlag.de

|Ergänzend dazu: [„Schattenschwester“ 3625 (März 2007)|

Giménez-Bartlett, Alicia – süße Lied des Todes, Das

Alicia Giménez-Bartlett gehört laut ihres deutschen Verlages zu den beliebtesten Autorinnen in Spanien. In Deutschland hat sie bis jetzt nicht ganz so viel Wind aufgewirbelt – zu Unrecht, wie „Das süße Lied des Todes“ beweist.

Die emanzipierte Inspectora Petra Delicado besucht nichtsahnend die Toilette in einem Einkaufszentrum, als plötzlich eine kleine Hand über die Trennwand greift und sich ihre Handtasche nimmt. Petra sieht ein kleines Mädchen damit wegrennen, und als man die Tasche wenig später wiederfindet, fehlt ihre Dienstwaffe.

Ein weiteres Fundstück ist eine namenlose, aber sehr gut angezogene Leiche in den Straßen Barcelonas. Der Mann wurde ausgerechnet mit Petras Dienstwaffe erschossen. War es das kleine Mädchen oder hat sie die Waffe weiterverkauft? Petra ermittelt in alle Richtungen und verwickelt sich in einem Sumpf aus illegaler Immigration, Prostitution, Zwangsarbeit und Kindesmissbrauch. Dabei muss sie entdecken, dass die Welt um einige Grad kälter ist, als sie dachte …

Alicia Giménez-Bartlett bietet einen klassischen Ermittlerkrimi, der nur auf einer Perspektive basiert – der wichtigsten. Petra Delicado, manchmal etwas übereifrige Inspectora, zweifach geschieden und emanzipatorische Vorkämpferin, ist eine sehr interessante Persönlichkeit, die dem Leser sofort sympathisch ist. Ihre offene, schlagfertige Art und ihre Lebenserfahrung wirken sehr echt und zeichnen das runde, wohlschattierte Bild einer starken Frau.

Ihr Gegenstück ist Fermín Garzón, der mit ihr zusammenarbeitet. Er ist ebenso schlagfertig wie sie und zeichnet sich durch eine stoische Ruhe aus, die auch notwendig ist, um den Wirbelwind Petra zu ertragen.

Viel Charme erlangt das Buch durch die Schlagabtausche zwischen den beiden Polizisten. Mit einer guten Portion böser Ironie nehmen sie sich gegenseitig aufs Korn und sind sich für keinen Witz zu schade. Hätte die Autorin Petra Delicado nicht mit dieser guten Portion Humor ausgestattet, würde sie wie eine alte, verbitterte Jungfer wirken, doch diese Klippen hat Giménez-Bartlett wunderbar umschifft.

Beim Handlungsaufbau hätte ihr ein Lotse an der einen oder anderen Stelle sicher nicht geschadet. Sie baut den Kriminalfall, der sich hauptsächlich mit dem Schicksal von Immigranten in Spanien beschäftigt, sehr logisch mit einem Anfang und einer sauberen Lösung des Falls auf. Der Spannungsbogen dazwischen ist jedoch recht flach geworden. Es fehlt an Wendungen und Ankern, die dem Leser versteckte Hinweise geben und ihn zum Miträtseln einladen. Insgesamt liest sich das Buch etwas zu geradlinig, um wirklich spannend zu sein. Hinzu kommen ein paar voreilige Schlüsse, die zu selbstverständlich abgetan werden und empfindliche Sprünge in der Handlung offenbaren. Glücklicherweise passiert das aber so selten, dass das Lesevergnügen, welches „Das süße Lied des Todes“ bereitet, nur oberflächlich gestört wird.

Eine nette Nebenhandlung stellen die privaten Querelen im Polizeirevier dar. Das Privatleben der Polizisten, in dem auffällig oft vom Heiraten gesprochen wird, kommt nicht zu kurz, wirkt aber wesentlich leichtfüßiger als die deprimierten Gedanken mancher schwedischer Kommissare. Im Gegenteil ist das Alltagsgeschehen störungsfrei eingearbeitet und sorgt immer wieder für eine kurze Auflockerung. Einzig das überlange Ende, in dem es nur noch um das Privatleben geht, hätte gekürzt gestaltet beziehungsweise weggelassen werden können, denn normalerweise liest man keinen Krimi, um Hochzeitsbeschreibungen zu erhalten.

Um das Buch abzurunden, benutzt Giménez-Bartlett einen sehr subjektiv gefärbten, persönlichen Schreibstil, der perfekt zu Petras satter Ich-Perspektive passt. Dementsprechend versucht sie nicht, künstliche Metaphern und hochgestochene Satzstrukturen in die Gedankenwelt ihrer Protagonistin zu pressen, sondern benutzt ein einfaches, aber durchaus gebildetes Vokabular, das sich flüssig lesen lässt. Mit der Einfachheit und der sehr persönlichen Note in den Sätzen schafft sie es, den Leser zu fesseln, auch wenn ihr Schreibstil sich nicht sonderlich hervortut.

Im Großen und Ganzen ist „Das süße Lied des Todes“ eines von diesen Büchern, bei denen alles, trotz ein paar kleiner Fehlerchen, zu passen scheint. Das liegt vor allem an der starken Hauptfigur, die es schafft, dem gesamten Krimi ihren persönlichen Stempel aufzudrücken, und dadurch alles miteinander verbindet. Ebenfalls für einen positiven Eindruck sorgen der trockene Humor sowie die schlagfertigen Dialoge, die Petra Delicado mit ihrem Kollegen Fermín Garzón führt.

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Kallifatides, Theodor – kalte Blick, Der

Wenn man der Meinung der |Svenska Dagbladet| Glauben schenken darf, so scheint ein hoffnungsvoller Name in Sachen „Schweden-Krimi“ Theodor Kallifatides zu sein, auch wenn der ganz und gar nicht schwedisch klingt. Besagte Zeitung sieht in ihm |“einen der besten Erzähler hierzulande“|. In Deutschland liegt mit „Der kalte Blick“ nun der dritte Roman des gebürtigen Griechen vor.

Kallifatides‘ Chefermittlerin heißt Kristina Vendel, eine junge und erfolgreiche Kriminalkommissarin, von der in „Der kalte Blick“ ein pikantes Foto in der Stockholmer Unterwelt kursiert. Es zeigt die Polizistin unbekleidet in einer obszönen, wollüstigen Stellung. Mikal Gospodin, russischer Schwerverbrecher mit einem seltsam guten Draht zu Kommissarin Vendel, bekommt das Bild in die Finger und will es ihr zurückgeben. Doch ehe es dazu kommt, wird Gospodin ermordet – brisanterweise von einer Frau, die Kristina Vendel sehr ähnlich sieht.

Bevor Kristina sich damit befassen kann, wer für das Auftauchen des Bildes verantwortlich ist, sieht sie sich auch schon mit dem Verdacht konfrontiert, etwas mit dem Ableben Gospodins zu tun zu haben. Es ist kein deutlich ausgesprochener, konkreter Verdacht, aber Kristina ist klar, dass sie in die Offensive gehen muss. Sie muss so schnell wie möglich die Hintergründe des Fotos und des Mordes an Gospodin lüften, um sich selbst zu entlasten.

Da geschieht kurz darauf ein Mord an dem berühmten Schachspieler Alain Karpin und es kommen Gerüchte auf, dass Islamisten einen Anschlag auf den Literatur-Nobelpreisträger V. S. Naipaul geplant haben. Bei all der beruflichen Hektik bleibt aber unerwartet auch noch Zeit für die Liebe. Kristina verliebt sich in den attraktiven Kemal und ist hin und weg von ihm. Bis plötzlich ein schrecklicher Verdacht aufkommt …

„Der kalte Blick“ ist ein Krimi und ist es dennoch nicht. Kallifatides geht den Plot auf eine erstaunlich „unkrimihafte“ Weise an und liefert damit eher ein Kammerspiel verzwickter menschlicher Schicksale ab als einen klassischen Krimi. Er verzichtet auf klischeehafte Schwarzweiß-Skizzierungen und setzt den Spannungsbogen so an, dass der Leser sehr schnell weiß, wer der Mörder ist. Es geht weniger um die Frage des Täters als vielmehr um den Menschen, der sich dahinter verbirgt, und das, was ihn bewegt, und so ist die Art der Spannung, die Kallifatides aufbaut, auch eine ganz andere, weniger subtile.

Punkten kann Kallifatides in jedem Fall auf menschlicher Ebene. Er hat ein tolles Ermittlerteam zusammengestellt mit ebenso sympathischen wie menschlichen Figuren. Da wäre Maria, die liebenswerte Tochter eines italienischen Pizzabäckers, die nach einer gescheiterten Ehe immer noch auf der Suche nach dem richtigen Mann ist. Dann wäre da Östen, der, nachdem seine Frau ihn verlassen hat, zunehmend im Alkohol Trost sucht und dem die Freundschaft zu Maria noch ein wenig Halt gibt. Und dann wäre da noch Thomas, dessen Privat- und Liebesleben durch die Behinderung des Sohnes in Mitleidenschaft gezogen ist. Jeder hat an seinem eigenen Schicksal zu tragen, und die Art, wie Kallifatides diese Ebene der Figurenskizzierung in die Handlung einfließen lässt, gibt dem Krimi ein ganz und gar menschliches Antlitz.

Die Einzige, die dabei nicht immer ganz überzeugt, ist Kristina. Gleich zu Beginn des Romans, noch in der Phase, als sie das Trauma abzuschütteln versucht, in dessen Zuge auch das Foto entstanden ist, das sie in so eine heikle Lage bringt, kauft sie aus einer Bauchentscheidung heraus eine Axt, um die Rache an ihren Peinigern zu vollstrecken. Ich muss gestehen, dass mir dieser Zug gewisse Schwierigkeiten bereitet. Eine Frau, in deren Rachephantasien eine Axt die Hauptrolle spielt, das klingt doch ein wenig abwegig. Obwohl Kallifatides Kristina am intensivsten beobachtet, sowohl dienstlich als auch privat, bleibt ihr Charakter dennoch merkwürdig blass. Sie wirkt ein wenig unnahbar und schwer durchdringlich, so dass man als Leser nur schwer einen Bezug zu ihr aufbauen kann.

Als Gegenpol zu Kristina baut Kallifatides die Figur des Kemal auf, die ihren ganz eigenen Reiz hat. Auch er bleibt etwas mysteriös, aber dieser Zug tut seiner Figurenskizzierung sehr gut. Kallifatides schafft es, mit Kemal eine gleichermaßen faszinierende wie auch geheimnisvolle Figur aufzubauen, in der sich ein Großteil der Spannung der Geschichte manifestiert.

Der Plot an sich hat positive wie auch negative Seiten. Kallifatides beweist ein ausgesprochenes sprachliches Feingefühl. Er kleidet die Handlung und die Gedanken der Figuren stets in so passende Worte, dass sehr stimmige Bilder entstehen. Andererseits setzt er verstärkt auf den Faktor Zufall, und so sehr sein Roman im Detail auch fein ausbalanciert sein mag, so wirkt dennoch die Auflösung nicht in allen Belangen ganz stimmig und schlüssig.

Bleibt am Ende festzuhalten, dass Kallifatides‘ Qualitäten nicht von der Hand zu weisen sind. Dennoch kann er als Krimiautor nicht auf ganzer Linie überzeugen. Sprachlich ist „Der kalte Blick“ sehr schön komponiert und ein echter Lesegenuss. Das Ermittlerteam, das er ins Rennen schickt, zählt ebenso zu den schönen Seiten des Roman. Lediglich die letzte Schlüssigkeit des Krimiplots und die etwas unnahbare Art von Kristina Vendel trüben ein wenig die Freude. Was Kallifatides hier inszeniert, kann als Drama eben eher überzeugen als als Krimi.

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Scott, Lisa – Mord unter Schwestern

Blut ist dicker als Wasser. Normalerweise. Im Fall von Bennie Rosato hat man da allerdings seine Zweifel, denn ihre eineiige Zwillingsschwester Alice, die getrennt von ihr aufgewachsen ist und die sie erst vor zwei Jahren kennen gelernt hat, macht ihr das Leben zur Hölle.

Dabei hat Bennie eigentlich schon genug Probleme. Ihre Kanzlei, die sie sich über die Jahre aufgebaut hat, bekommt die Rezession in Amerikas Wirtschaft deutlich zu spüren. Der momentan einzige Mandant eröffnet der ehrgeizigen Anwältin nach dem gewonnenen Prozess, dass er insolvent ist und sie nicht bezahlen kann.

Bennies Hoffnung, ihre Kanzlei doch noch vor dem Untergang retten zu können, wird dadurch zunichte gemacht. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ein französische Hersteller von optischen Linsen, der nach Amerika expandiert hat, engagiert sie, um eine Gruppenklage gegen einen amerikanischen Industrieverband zu führen, der das Wettbewerbsgesetz verletzt hat. Obwohl weder Bennie noch ihre Angestellten Erfahrung mit Gruppenklagen haben, erklären sie sich dazu bereit, Robert St. Amien zu unterstützen.

Zur gleichen Zeit taucht Bennies kriminelle Zwillingsschwester Alice wieder in Philadelphia auf und versucht alles, um ihre Schwester in Verlegenheit zu bringen. Sie kleidet sich wie sie, stürzt in einer Bar ab, klaut ein paar teure Diamantenohrringe und versucht Bennies Hund zu töten. Sie will den Ruf ihrer Schwester zerstören, was ihr auch beinahe gelingt.

Doch dann wird Bennies Aufmerksamkeit von einem ganz anderen Problem gefesselt: Robert St. Amien, die Rettung ihrer Kanzlei, wird auf offener Straße erstochen. Während die Polizei an einen Touristenmord glaubt, wie er vor kurzem schon einmal passiert ist, ist Bennie fest davon überzeugt, dass die Anwälte und andere Kläger der Gruppenklage ebenfalls einen Grund gehabt hätten, St. Amien zu beseitigen. Sie beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und bringt sich dabei in tödliche Gefahr …

„Mord unter Schwestern“ fühlt sich anfangs an wie ein amerikanischer Gerichtsthriller, letztendlich dreht sich die Geschichte aber um Bennies Leben, ihre Kanzlei und den Mord an St. Amien. Scott schafft es dabei, eine starke Sogwirkung zu entfalten, indem sie die teilweise rätselhaften Ereignisse, welche die Spannung noch steigern, schnell aufeinander folgen und von einer sympathischen, erfrischend unkonventionellen Erzählerin zusammenhalten lässt.

Bennie, die Erzählerin, schreibt allerdings nicht aus der Ich-Perspektive, sondern aus der dritten Person. Die Autorin schafft es trotzdem, die Anwältin so lesernah wirken zu lassen wie aus der Ich-Perspektive erzählt, was auf jeden Fall von Vorteil ist. Ebenfalls sehr vorteilhaft sind die witzigen, teilweise selbstironischen Bemerkungen, die immer wieder in den Text einfließen und Scotts Schreibstil prägen.

|“Bennie war wie betäubt. Sie konnte nicht rechnen, weil das Blut so laut in ihren Ohren rauschte. Allerdings konnte sie auch nicht rechnen, wenn kein Blut in ihren Ohren rauschte.“| (Seite 29)

Die Autorin stellt ihre sympathische Protagonistin gerne durch derartige Bemerkungen bloß, was Bennie Rosato unperfekt und dadurch authentisch wirken lässt – was bei amerikanischen Krimis und Thrillern ja nicht immer an der Tagesordnung ist.

Doch nicht nur anhand von Bennie schafft es die Autorin, die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln. Die Handlung erweist sich als vielschichtiger Plot, der nie zerfasert, sondern Spannung aus allen möglichen Ecken bezieht. Neben dem Mordfall sind da noch die zufälligen Verstrickungen, in die Bennie dank ihrer Zwillingsschwester gelangt, und die Angst um die Kanzlei. Dadurch, dass immer wieder ein Hoffnungsschimmer auftaucht, der dann wieder zerfasert wird, fiebert der Leser bis zum Ende mit. Gleiches gilt für die rechtlichen Auseinandersetzungen, die Scott kurzweilig und interessant gestaltet, so dass auch ein Laie versteht, was vor sich geht.

Eigentlich ist bei „Mord unter Schwestern“ alles in Ordnung. Kurzweilig, spannend, packend ist das Buch, doch das dicke Ende kommt erst noch. Dann nämlich reimt sich Lisa Scott eine absolut unbefriedigende, da an den Haaren herbeigezogene Lösung des Mordfalls zusammen, der ein überzogener und unlogischer Showdown vorausgeht.

Wieso ist die Lösung unbefriedigend? Der wirkliche Täter ist einfach zu überraschend. Bennie, die mit ihren Angestellten wider die Belehrung von Detective Needleman auf eigene Faust ermittelt, findet schnell ihren Kreis von Verdächtigen, doch der eigentliche Täter war darin (natürlich) nicht vorgesehen. Dummerweise legt die Autorin auch keinerlei Spuren im Vorfeld, die sanft in dessen Richtung zeigen. Dadurch wirkt das Ende sehr überraschend und, wie bereits erwähnt, nicht gerade logisch.

Wenn Scott vorher nicht 380 Seiten packende Literatur abgeliefert hätte, wäre es um dieses Buch geschehen. Obwohl die Protagonistin und der mit ihr eng verknüpfte, humorgeprägte und genaue, aber nicht ausschweifende Schreibstil mehr als gefallen, sorgt das Ende der spannenden Handlung für einiges Stirnrunzeln. „Mord unter Schwestern“ schwächelt auf den letzten dreißig Seiten, und das ist traurig, denn sonst wäre das Buch eine Empfehlung cum laude gewesen.

http://www.blanvalet-verlag.de

Gerritsen, Tess – Meister, Der

Tess Gerritsens erster Roman aus der Jane-Rizzoli-Reihe, [„Die Chirurgin“, 1189 erhielt viel internationales Lob. Das Erfolgsrezept des blutliebenden Serientäters ging auf. Wieso sollte man also nicht das gleiche Thema noch einmal verarbeiten?

In ihrem Krimi „Der Meister“ setzt die Autorin die Geschichte aus „Die Chirurgin“ fort. Detective Jane Rizzoli, die einzige Frau in der Mordkommission des Boston Police Department, hat gerade den perversen Serientäter Warren Hoyt, der sie beinahe getötet hat, hinter Gittern gebracht. Eines Tages wird sie in ein hübsches Bostoner Villenviertel gerufen, wo die Leiche von Dr. Richard Yeager in dessen Haus gefunden wurde. Der Arzt lehnt an der Wand, gefesselt und mit durchgeschnittener Kehle. Das Vorgehen erinnert stark an jenes des „Chirurgen“, wie Hoyt genannt wurde. Als sie die verschwundene Frau des Arztes vergewaltigt und ebenfalls erstochen in einem abgelegenen Waldstück finden, wird Jane Rizzoli klar, dass jemand den Chirurgen imitiert. Panik macht sich in ihr breit, was besonders dem zu Rate gezogenen Agenten des FBI Anlass zur Sorge gibt, ob sie diesen Fall leiten sollte.

Doch Jane setzt sich durch und ermittelt weiter. Wie sehr sie sich damit in Gefahr bringt, wird ihr erst klar, als sie alarmierende Neuigkeiten aus dem Hochsicherheitsgefängnis, in dem Warren Hoyt einsitzt, erreichen. Dem Mann, der eine perverse Freude am Töten hat, ist es gelungen zu fliehen, und er hat nicht nur eine Rechnung mit Jane offen, sondern auch einen Gleichgesinnten, der die Yeagers getötet hat …

Die Geschichte, die Tess Gerritsen in „Der Meister“ erzählt, ist wahrlich nichts Neues. Wir haben einen perversen Serientäter, der es auf die Ermittlerin abgesehen hat und aus dem Gefängnis flieht. Wir haben die einzige Frau im Bostoner P.D., die sich entsprechend gegen die Vorurteile ihrer männlichen Kollegen durchboxen muss. Wir haben das FBI, das sich ganz selbstverständlich in den Fall einmischt. Und wir haben Blut, sehr viel davon.

Nun ist es natürlich so, dass mittlerweile jedes Buch zwangsläufig auf Elemente zurückgreift, die in dieser Form schon in anderen Büchern vorkamen. Allerdings kommt es darauf an, wie man diese Elemente verknüpft, und Gerritsen tut dies recht lustlos, ohne eine eigene Note zu kreieren. Dadurch wirkt der Krimi abgeklatscht und die Spannung geht verloren, weil man als Leser ständig enttäuscht wird, wenn man etwas Originelles erwartet.

Wenn wenigstens Detective Jane Rizzoli originell wäre, dann gäbe es einen Grund, das Buch dennoch zu lesen. Wie schon angeklungen, ist dies jedoch nicht der Fall. Abgesehen davon, dass der Charakter der Frau von sich aus nicht gerade mit Originalität gesegnet ist, hat die Umsetzung von „Der Meister“ vor allem ein Manko: den Schreibstil.

Gerritsen, deren Stil kaum durch Eigenheiten geprägt ist, erzählt aus Janes Sicht in der dritten Perspektive. Mit einem Minimalmaß an Emotionen und nur wenig Platz, um ihre Persönlichkeit entfalten, bleibt Jane dem Leser mehr oder weniger verschlossen. Obwohl sie die Ermittlerin ist, steht sie als Person nicht wirklich im Vordergrund, da nur wenig aus ihrem Privatleben, ihrer Vergangenheit oder ihrer ganz persönlichen Feierabendgedankenwelt nach außen dringt.

Das Buch wirkt dadurch kühl und distanziert, aber nicht auf eine anregende, sondern auf eine lustlose Art und Weise. Der Zugang zur Geschichte wird erschwert und der Schreibstil ist weit davon entfernt, packend zu sein. Die theoretischen Abhandlungen über Autopsie und Spurensicherung sind eine Spur zu lang, zu prall und zu fachwortverseucht, um den Leser konstruktiv zu informieren, und ihr gehäuftes Auftreten lässt das Buch als Spannungsroman auch nicht in einem besseren Licht erscheinen.

Insgesamt ist „Der Meister“ ein Thriller, auf dessen Lektüre man auch verzichten kann. Der Plot wurde in dieser Form in tausend anderen amerikanischen Krimis besser durchexerziert und ziert sich wie eine Jungfrau, wenn es darum geht, Freundschaft mit dem Leser zu schließen. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen Pageturner, weshalb man den „Meister“ am besten stillschweigend in der Versenkung verschwinden lässt.

http://www.blanvalet-verlag.de
http://www.tess-gerritsen.de
http://www.tessgerritsen.com/

_Tess Gerritsen bei |Buchwurm.info|:_

[„Schwesternmord“ 1859
[„Todsünde“ 451
[„Der Meister“ 1345
[„Die Chirurgin“ 1189
[„Roter Engel“ 1783
[„Akte Weiß: Das Geheimlabor“ 2436

Jilliane Hoffman – Morpheus

Jilliane Hofmann weiß, wovon sie spricht, wenn sie ihre Heldin C.J. Townsend in den Gerichtssaal schickt. Hofmann war selbst stellvertretende Staatsanwältin von Florida, doch man kann ihr nur wünschen, dass sie nicht mit solchen Fällen zu tun hatte wie C.J.

In „Cupido“, dem Vorgängerbuch, hatte C.J. damit zu tun, einen Serienmörder, der sie während ihres Studiums brutal vergewaltigt hatte, hinter Gitter zu bringen. Dass sie ihre Anklage darauf stützte, dass sie Beweise zurückbehielt, kostet nun die drei Polizisten, die als Einzige neben ihr vom entlastenden Tonband wussten, das Leben. Ein Mörder zieht durch die Straßen Miamis – und er hat es auf Polizisten abgesehen, die Dreck am Stecken haben.

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Phillips, Scott – Irrgänger, Der

Gunther Fahnstiel war einst ein guter Cop, der allerdings schwach wurde, als sich ihm vor vielen Jahren die Chance bot, „schwarzes“ Geld an sich zu bringen, was er so zu arrangieren wusste, dass niemand ihm auf die Schliche kam. Unauffällig gaben er und seine Gattin Dorothy das Geld aus und machten sich ein schönes Leben, bis Fahnstiel an Alzheimer erkrankte und in ein Heim umsiedeln musste.

Die Kosten fressen das unrechtmäßig erworbene Vermögen auf, was Dorothy ihrem Gunther in einer schwachen Stunde eröffnete. In dessen aufweichendem Hirn blieb nur das Wissen um die drohende Geldnot haften. Deshalb macht sich Fahnstiel aus dem Heim davon. Er will zum Versteck und Nachschub besorgen. Dass dieses Geld längst geborgen wurde, hat er vergessen.

Ebenfalls entfallen sind ihm einige Skandale und Morde, in die Fahnstiel, seine Gattin Dorothy, sein ehemaliger Polizei-Kollege und Freund Ed Dieterle sowie seine alte Flamme Sally verwickelt waren. Fahnstiels Flucht rührt an dieser unschönen Vergangenheit. Gern würde Dorothy im Verborgenen halten, wie sie und Gunther einst zu Geld kamen, während Sohn Sydney darauf brennt, das Geheimnis zu lüften. Ähnlich geht es Dieterle, der schon lange Verdacht geschöpft hat. Sally Ogden wäre es gar nicht recht, dass ihre Familie sie als Puffmutter und Prostituierte identifiziert, die für einen der größten Skandale der 1950er Jahre verantwortlich war. Außerdem ist da noch Ex-Gatte Wayne, der ein üblen Mistkerl war und mit einer Kugel im Schädel endete; ein Fall, der nie geklärt werden konnte, wofür Fahnstiel und Dieterle sorgten …

Während Gunther verwirrt aber hartnäckig immer tiefer in seine Vergangenheit vordringt, machen sich Frau und Sohn, Freund Ed, aber auch Sallys nichtsnutziger Schwiegersohn Eric auf die Suche nach ihm. Man findet sich dort, wo Fahnstiel einst sein Geld vergrub – und dessen Eigentümer. Das Finale gestaltet sich jedoch deutlich anders, als die Beteiligten sich dies dachten …

Wer hätte es gedacht – es gibt ihn doch: den Krimi mit originellem Plot, dem eine Handlung voller Überraschungen entspringt. Die Jagd nach einem Schatz, der längst nicht mehr existiert, setzt eine Kettenreaktion auf zwei Zeitebenen in Gang, sorgt für turbulente Verwicklungen in der Gegenwart und rührt Geschehen auf, die fünf Jahrzehnte in eine Vergangenheit zurückreichen und besser dort geblieben wären.

Was sich damals abgespielt hat, enthüllt Verfasser Phillips seinen Lesern nur Stück für Stück und auch nicht vollständig. Immer wieder springt die Handlung von der Gegenwart zurück ins Jahr 1952. Ein junger und gesunder Gunther Fahnstiel setzt sich auf die Spur eines Kriminellen namens Wayne Ogden, der offensichtlich ein großes Ding plant. Kompliziert wird die Sache, weil der Cop mit Waynes Gattin Sally verbandelt ist, die wiederum einen florierenden Hurenring leitet und sich auf Protektion durch Fahnstiel und seinen Kumpel Ed verlassen kann. Irgendwann fliegt die Sache erst auf und dann in die Luft, was gleich mehrere Pechvögel nicht überleben.

Irritiert wird der Leser durch die zunehmend deutlich werdende Erkenntnis, dass Fahnstiels Geld in diesem Geschehen keine Rolle spielt. Es kam erst 1979 in seinen Besitz. Verbindende Gemeinsamkeit ist allein der Ort des Geschehens – die alte Kiesgrube, an deren Ufer Sally ein Vierteljahrhundert zuvor ihre Orgien inszenierte.

An die wiederum dramatischen Ereignisse von 1979 erinnert ein Prolog-Kapitel, mit dem freilich primär diejenigen Leser etwas anzufangen wissen, die Scott Phillips‘ Roman „The Ice Harvest” (2000; dt. „Alles in einer Nacht“; 2005 mit John Cusack, Billy Bob Thornton & Connie Nielsen verfilmt) gelesen haben: „Der Irrgänger“ ist gleichzeitig Fortsetzung und Vorgeschichte der dort geschilderten, ebenfalls höchst kriminellen Abenteuer.

Der ungewöhnlichen Erzählstruktur entspricht ein Plot, der sowohl vorsätzlich als auch vergnüglich mit den Regeln des Genres spielt und sie mehr als einmal bricht. Der „schwarze“ Krimi schert sich seit jeher weder um Gesetz & Moral, ist politisch unkorrekt und dadurch vergleichsweise realistisch. Die Protagonisten wirken wie Marionetten eines Schicksals, dessen Ziel von Anfang an festzustehen scheint: Das Leben kennt keine Gewinner, nur Überlebende, und die sind meist nicht zu beneiden.

„Der Irrgänger“ mildert die Unbarmherzigkeit dieser Prämisse durch einen lakonischen, fast dokumentarischen Stil und einen trockenen Humor, der die eigentlich kaum witzig zu nennende Handlung angenehm konterkariert. Scheitern, Untreue, Verlust, Angst – diese und andere Elemente des „Crime Noir“ sind vorhanden; sie werden ergänzt durch das vergleichsweise moderne Schreckgespenst Alzheimer. Doch im Unglück lässt sich – vor allem dann, wenn man nicht selbst betroffen ist … – in der Regel viel Komisches erkennen, das Phillips ausgezeichnet herauszuarbeiten vermag: Gelächter als befreiende Reaktion auf ein Geschehen, das ansonsten Fassungslosigkeit erzeugt, wirkt selten so „logisch“ wie bei der Lektüre dieses Buches.

Dazu passt die Auflösung des Plots, in deren Verlauf Phillips sämtliche Erwartungen seiner im Genre geschulten Leser aushebelt und durch eine Handlung ersetzt, die gleichermaßen verwirrt wie begeistert: Zumindest der erfahrene und häufig enttäuschte Krimi-Freund freut sich darüber, wie Klischees vermieden werden.

Selbstverständlich könnte man meckern: Phillips ist manchmal ein wenig zu auffällig um „richtige“ Literatur bemüht. Puristen unter den Leser könnten sich fragen, ob sie es hier überhaupt mit einem Krimi zu tun haben oder ob sich ein Schriftsteller nur der Stilelemente des Krimis bedient, um einem ansonsten dem belletristischen Mainstream verpflichteten Roman ein breiteres Publikum zu verschaffen, das ihn sonst mit Missachtung gestraft hätte. Das Urteil mögen die Fachleute sprechen, die für Diskussionen dieser Art leben. Dem „normalen“ Leser sei gesagt, dass „Der Irrgänger“ auch ohne Legitimation seitens der Literaturwissenschaft ein Buch ist, das die Lektüre lohnt – selbst der Laie erkennt, dass er (oder sie) nicht mit dem üblichen Krimi-Seifenoper-Brei abgespeist wird.

Ein großartiger, tragischer, witziger „Held“ ist dieser Gunther Fahnstiel: ein harter Bursche, dessen Hirn sich in Weichkäse verwandelt. Die Alzheimersche Krankheit ist ein Grauen, über das man aus abergläubischer Angst nur ungern spricht, weil dies sie heraufbeschwören könnte. Doch Alzheimer gehört längst zum modernen Alltag, und die Zahl der Betroffenen sowie ihrer traumatisierten Familienmitglieder steigt kontinuierlich.

Ob Scott Phillips korrekt wiedergibt, was einem Mann wie Fahnstiel durch den Kopf gehen könnte, ist nebensächlich. Viel wichtiger ist, dass er deutlich macht, was Alzheimer bedeutet: die Auslöschung des Gedächtnisses, was zunächst die Gegenwart betrifft und sich dann in Richtung Vergangenheit fortsetzt, wobei die Fragmente der Erinnerung sich mischen und neu ordnen, während das absterbende Gehirn versucht, eine gewisse Ordnung aufrechtzuerhalten. Fahnstiel ist der Gefangene seines Hirns, das ihn in eine Art Zeitreisenden verwandelt, für den Jetzt und Einst eine traumähnliche Mischwelt bilden, obwohl er sich manchmal dessen bewusst ist, dass etwas nicht mit ihm stimmt.

Ähnliche Glanzleistungen gelingen Phillips mit den Figuren Wayne Ogden und Eric Gandy. Odgen ist ein Schurke, wie er selten geschildert wird: ein moralisch bis ins Mark verkommener Krimineller, den man wegen der Konsequenz seiner Verbrechen schon wieder schätzt. Für Wayne gibt es kein Gesetz. Er lebt ausschließlich nach eigenen Regeln, die nur seinen Vorteil berücksichtigen. Daraus macht er keinen Hehl und entwaffnet damit manchen potenziellen Gegner – bis er an jemanden gerät, dessen Kodex Wayne falsch einschätzt.

Eric Gandy ist Waynes modernes Gegenstück, dem allerdings das Talent zum Verbrecher völlig abgeht. Geldgierig und verlogen ist er, doch ihm mangelt es am nötigen Geschick. Sogar der senile Gunther schlägt ihm mehrfach peinliche Schnippchen. Eric ist ein Loser, fast tragisch, doch zu seinem Pech vor allem lächerlich, so dass man ihm gönnt, was auf seine geplagtes Haupt niederprasselt.

Ebenso geschickt setzt Phillips die übrigen Figuren seiner Tragikomödie in Szene. Sie haben alle Dreck am Stecken, was sie freilich trotz aller Fehler noch sympathischer wirken lässt. Die Abwesenheit des moralisierend erhobenen Zeigefingers hinterlässt eine Leere, die wunderbarer kaum sein kann und den Lesespaß an einem Roman komplettiert, der es keinesfalls verdient, in der Flut der Taschenbuch-Krimis unterzugehen, die sich Monat für Monat über leider allzu konservative Leser/innen ergießt.

Scott Phillips (geb. 1961 in Wichita, US-Staat Kansas) ist ein Schriftsteller, der sowohl als Literat als auch als Neuerer des Kriminalromans gilt. Sein Werk ist schmal aber qualitativ gewichtig; schon Phillips‘ Debütroman „The Ice Harvest“ (2000; dt. „Alles in einer Nacht“, verfilmt 2005) wurde als „New York Times Notable Book of the Year“ erwähnt und gewann einen „California Book Award“, eine „Silver Medal for Best First Fiction“ und wurde für diverse andere Preise nominiert. Ähnlich erfolgreich wurde die Quasi-Fortsetzung „The Walkaway“ (2002; dt. „Der Irrgänger“). „Cottonwood“ (2003) spielt in der Zeit des „Wilden Westens“.

Scott Phillips lebte viele Jahre in Paris und zog später nach Südkalifornien, wo er sich als Drehbuchschreiber für Hollywood versuchte; unter dem Titel „Crosscut“ wurde 1996 immerhin eines realisiert. Heute lebt Phillips mit seiner Familie in St. Louis. Über seine schriftstellerischen Aktivitäten informiert seine Website http://scottphillipsauthor.com.

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Kastner, Jörg – wahre Kreuz, Das

Viele Spekulationen und Mythen umranken die Person Jesu Christi und geben immer wieder Anlass zu Romanen, die ein neues Licht auf einige dieser Mutmaßungen werfen wollen. So wissen wir spätestens seit Dan Brown, was sich hinter dem berühmten Heiligen Gral verbergen soll, doch auch Jörg Kastner greift sich für sein aktuelles Werk „Das wahre Kreuz“ eine berühmte Reliquie, nämlich das Kreuz, an dem Jesus einst gekreuzigt worden sein soll, und zieht daran seinen Plot auf. So befasst sich Kastners neuer Thriller mit dem wahren Kreuz oder zumindest doch einem kleinen Splitter davon.

Zunächst versetzt uns Jörg Kastner in das ausklingende 18. Jahrhundert, in eine Zeit, in der Napoleon Teile Ägyptens erobert und sich in Kairo breitgemacht hat. Wir lernen den Zeichner Bastien Topart kennen, aus dessen Perspektive die gesamte Geschichte geschrieben ist. Bastien nämlich reist zusammen mit seinem Onkel Jean nach Kairo, um dort eine mysteriöse Ausgrabungsstätte zu finden. Als die beiden zusammen mit ihrem Gefolge und ihrem Führer Abul den geheimen Tempel betreten, finden sie dort eine verängstigte und überaus hübsche Frau vor, die zum Menschenopfer für eine Schar Kreuzritter werden soll. Schnell werden die Franzosen von den Kreuzrittern angegriffen, die zwar noch mit altmodischen Waffen kämpfen, die Franzosen aber dennoch fast besiegen können. Doch Bastien und seine Begleiter können die Unbekannte und sich selbst aus dem Tempel befreien. Schnell entdeckt Bastien seine Zuneigung zu der schönen Frau, die den treffenden Namen Ourida trägt – zu Deutsch: Rose -, aber die gegenüber ihren Rettern stumm bleibt.

Nach der unliebsamen Begegnung kehren die Franzosen nach Kairo zurück, um dort den verschwundenen Abul nach dem Tempel zu befragen. Als sie jedoch Abul aufsuchen, finden sie diesen ermordet vor, und Bastien wird fast selbst noch Opfer des Attentäters, kann diesen allerdings gerade noch rechtzeitig überwältigen. Anschließend stellt er fest, dass der Dolch des Mörders das gleiche Kreuzzeichen trägt wie die Gewänder der Ritter aus dem Tempel. Kurz darauf versuchen Unbekannte, Ourida aus Jeans Haus zu entführen. Wer hat bloß ein Interesse daran, Ourida zu entführen und wer verbirgt sich hinter den mysteriösen Kreuzrittern?

Als Bonaparte Wind von den Vorkommnissen bekommt, möchte er Ourida höchstpersönlich kennen lernen und lädt sie gemeinsam mit Jean und Bastien zu sich in den Palast ein. Bonaparte ist sofort fasziniert von der schönen Unbekannten und beauftragt Bastien, Ourida zum Sprechen zu bringen und sie in der französischen Sprache zu unterrichten. Während des Unterrichts kommen sich Bastien und Ourida schnell näher und es bedarf nur einer Berührung, um Bastien in eine längst vergessene Zeit zu versetzen, in der er in den Kreuzzügen gekämpft und das wahre Kreuz bewahrt hat. Schon damals war er mit Ourida zusammen, doch was hat er gemeinsam mit dem Tempelritter Roland de Giraud?

Zu schnell erfährt Napoleons Plan eine Änderung; er holt Ourida zu sich in den Palast und schickt Bastien zurück in die Wüste, um das Geheimnis des Tempels zu ergründen. Dort angekommen, entdeckt Bastien schon bald eine im Tempel versteckte Bibliothek voller Bücher, die in unbekannten Schriftzeichen verfasst sind. Als Bastien nach Kairo zurückkehren will, um einen Experten zu holen, der die Schriftzeichen entschlüsseln kann, gerät er mit seiner Gefolgschaft in einen tödlichen Wüstensturm, in welchem die Franzosen von den Kreuzrittern angegriffen und besiegt werden. Nur Bastien wird wie durch ein Wunder von einem Beduinenstamm gerettet, welcher Bastien eine wahrlich sonderbare Geschichte erzählt, die ihn erneut zurück in die Zeit der Kreuzzüge versetzt, in der das Geheimnis um das wahre Kreuz verborgen liegt …

Jörg Kastner erzählt eine Geschichte, die in zwei verschiedenen Zeiten spielt. Zunächst werden wir in das ausklingende 18. Jahrhundert versetzt und begeben uns nach Ägypten, wo wir zwei der Schlüsselfiguren kennen lernen, nämlich Bastien und Ourida. Die beiden verbindet von Anfang an eine unwiderstehliche Anziehungskraft, die aber weit in die Vergangenheit zurückreicht. Als Ourida Bastien nämlich berührt, erinnert er sich wie in Trance daran, wie er als Tempelritter Roland in den Kreuzzügen auf der Seite des Königs Guido von Lusignon von Jerusalem gekämpft hat. Dieser wiederum war in Besitz des wahren Kreuzes, das seinen Kreuzrittern auch in den ausweglosesten Situationen immer wieder Mut gemacht und neue Hoffnung gegeben hat. Als das islamische Heer unter Führung von Saladin allerdings kurz vor dem Sieg steht, lässt Guido den Holzsplitter aus dem wahren Kreuz in Sicherheit bringen. Roland de Giraud ist einer der Tempelritter, denen das Kreuz anvertraut wird. Auf der gefährlichen Reise zurück nach Jerusalem treffen die Tempelritter schließlich auch auf die „damalige Ourida“ und ihr Volk. Diese Begegnung wird nicht nur das Schicksal Rolands für immer entscheidend verändern, sondern auch die Zukunft des wahren Kreuzes.

Natürlich vergisst Kastner auch nicht, in beide Geschichten, also in beide Zeiten, die erwartete Liebesgeschichte einzubauen. So verlieben sich Ourida und Roland im späten 12. Jahrhundert, deren Liebe wieder aufblüht, als sie sich fast 600 Jahre später in neuen Körpern wiedertreffen. Anders als mit Seelenwanderung ist diese Merkwürdigkeit wohl nicht zu erklären. Und hier beginnt auch schon die Abstrusität des Romans, denn man muss sich auf diese gedanklichen Zeitreisen in eine längst vergessene Vergangenheit schon einlassen, um sich mit dem Roman anfreunden zu können. Bastien stellt fest, dass er als Roland de Giraud bereits einmal gelebt hat und diese Zeit nun wieder rekonstruieren kann. Ich persönlich fand diese Zeitsprünge in der präsentierten Form ehrlich gesagt ziemlich merkwürdig und konnte mich nicht so recht mit dieser Entwicklung anfreunden, aber manch einem mag das gefallen.

Auch die Geschichte, die Kastner zu erzählen hat, fand ich nicht sonderlich innovativ. Langsam sollte es eigentlich genügend Romane geben, die sich Tempelritterthemen, heiligen Reliquien oder der Figur Jesu widmen. Wenn „das wahre Kreuz“ wenigstens spannend gewesen wäre, hätte man Kastner diesen aufgewärmten Plot noch verzeihen mögen, doch leider lässt das vorliegende Buch einen Spannungsbogen vermissen. Zu Beginn ist ziemlich unklar, worum es eigentlich gehen soll. Lange braucht Kastner, um zum Kern der Geschichte vorzudringen und das Geheimnis des wahren Kreuzes zu präsentieren. Unterdessen erleben wir die aufgefrischte Liebe zwischen Bastien und Ourida mit, erfahren, unter welchen Bedingungen die Ägypter unter Bonapartes Fuchtel zu leben hatten und lernen alle möglichen Figuren kennen, die im weiteren Verlauf der Geschichte leider kaum eine Rolle spielen. So schmückt Kastner seinen Roman mit allerlei Beiwerk aus, das kaum notwendig ist. Hinzu kommt der eher nüchterne Schreibstil, der an einen Reisebericht erinnern mag und wohl auch einer sein soll. Bastien schreibt uns seine unglaubliche Geschichte auf, vermag uns damit aber nicht so recht mitzureißen. Die Handlung lässt den Leser ziemlich kalt und entführt so rein gar nicht in die geheimnisvolle Vergangenheit, in der ein Beduinenvolk gegen die Kreuzritter kämpft.

Zugute halten muss man Jörg Kastner allerdings, dass er die verschiedenen Handlungsfäden am Ende sinnvoll zusammenführt; irgendwo ergibt alles seinen Sinn und ist auch gut durchkonstruiert; selbst die Zeitsprünge und die doppelte Identität Bastiens/Rolands ergeben schließlich Sinn, auch wenn sie wie gesagt gewöhnungsbedürftig anmuten. Insgesamt bleibt aber dennoch ein eher durchschnittlicher Eindruck zurück. „Das wahre Kreuz“ hat mich nicht sonderlich gut unterhalten können, der Plot war mir zu einfallslos, die Figurenzeichnung ist relativ farblos, der Schreibstil zu nüchtern. Meiner Meinung nach hat Jörg Kastner, insbesondere mit dem „Engelspapst“, schon deutlich bessere Lektüre abgeliefert.

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|Siehe ergänzend dazu:|

[„Engelsfluch“ 808
[„Engelsfürst“ 2467
[„Die Farbe Blau“ 974

Mooney, Chris – Victim

Mit seinem Debütroman ist Chris Mooney in den Bestsellerlisten eingeschlagen wie eine Bombe, selbst einen Kinospot zum Buch gab es zu sehen, der „Victim“ als den spannendsten Thriller des Sommers angekündigt und verdächtige Ähnlichkeit mit dem packenden (und genial konstruierten) Thriller „Saw“ hat. Meine Erwartungen waren also entsprechend hoch angesetzt …

Die Geschichte nimmt im Jahre 1984 ihren Anfang, als Darby McCormick mit ihren beiden Schulfreundinnen Mel und Stacey beobachtet, wie ein unbekannter Mann im Wald eine junge Frau bedroht. Während Darby noch darüber nachdenkt, Hilfe zu holen, flüchten Stacey und Mel bereits in Panik. Als Darby sich ihnen anschließt, verliert sie bei der Flucht allerdings ihren Rucksack. Als die drei Mädchen zusammen mit der Polizei in den Wald zurückkehren, sind der Mann und die ängstliche Frau verschwunden und aus Darbys Portemonnaie wurden Geld und Ausweise entwendet.

Einige Zeit spät hört Darby abends ein merkwürdiges Geräusch im Haus und glaubt, dass ihre Mutter früher Feierabend gemacht hat. Doch es ist der Mann aus dem Wald, der Stacey erstochen hat und nun Mel mit einem Messer bedroht, um Darby aus ihrem Versteck zu locken. Mels bittende Worte werden Darby noch lange in Erinnerung bleiben, denn Darby kann fliehen, aber ihre Freundin Melanie bleibt von diesem Tag an verschwunden. Es dauert nicht lange, bis der Fall scheinbar gelöst werden kann, doch hat sich wirklich der richtige Täter das Leben genommen?

Im Jahr 2007 setzt sich die Geschichte fort. Darby arbeitet nun selbst bei der Polizei und muss einen Fall aufklären, der dem vor 23 Jahren verdächtig ähnelt. Wieder verschwinden eines Sommers viele junge Frauen und bleiben fortan verschwunden. Als die junge Carol entführt wird und man ihren Freund ermordet auffindet, greift Darby in der Nähe des Tatorts eine völlig verwahrloste und halb verhungerte Frau auf, die offensichtlich ihrem Peiniger entkommen konnte.

Einige Zeit braucht es, bis die Polizei die junge Frau als Rachel Swanson identifizieren kann, die vor fast fünf Jahren als vermisst gemeldet wurde. Rachel liegt schwer krank und traumatisiert im Krankenhaus und vertraut sich nur Darby an, in der sie eine Frau aus dem Verschlag wiederzuerkennen meint, die mit ihr gefangen gehalten wurde. Rachel zeichnet mysteriöse Zeichen auf ihren Arm, kann der Polizei aber keinen konkreten Hinweis auf ihren Entführer geben. Darby tappt also weiterhin im Dunkeln und muss fürchten, dass die verschwundene Carol in der Zwischenzeit ermordet wird. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Was die Polizei aber noch nicht ahnt: Der Mörder hat einen gefährlichen Komplizen …

Chris Mooneys packender Thriller schlägt von Beginn an ein hohes Tempo an und lässt sich rasend schnell lesen. Schon nach wenigen Seiten war ich vollkommen in der Geschichte versunken und habe zwischendurch nur kurz überprüft, ob ich auch wirklich die Haustür abgeschlossen hatte, denn beim Lesen lief mir ein Schauder nach dem anderen über den Rücken, weil Mooney eine wahrlich grausame Geschichte zu schreiben weiß.

Zunächst begibt er sich in das Jahr 1984, in welchem er seinen Mörder das erste Mal auf den Plan treten lässt. Der Leser ahnt natürlich von Anfang an, dass die Vermisstenserie von 2007 mit dem früheren Fall zusammenhängt und wahrscheinlich der gleiche Täter dahintersteckt. Als Mooney uns schließlich mit Daniel Boyle bekannt macht, der für die Entführung der Frauen verantwortlich ist, eröffnet er damit einen zweiten Handlungsstrang, der seinem Thriller noch mehr Tempo verleiht. Dieser Handlungsstrang um Daniel Boyle verdeutlicht nämlich sehr schnell, dass Boyle einen ernst zu nehmenden Komplizen hat. Wir lernen den Mörder immer besser kennen und verfolgen ihn bei all seinen Schritten. So wissen wir schon früh, dass er Darby von früher wiedererkannt hat und ihr nun auf der Spur ist, um das zu Ende zu bringen, was ihm 1984 nicht gelang.

Mooney erzählt eine erschreckende Geschichte, ohne aber allzu sehr in die Details zu gehen. Da Rachel nicht ansprechbar ist, können wir meist nur ahnen, was genau ihr in den fünf Jahren Gefangenschaft widerfahren sein kann. Auch Boyles Erinnerungen tragen dazu bei, den drohenden Schrecken noch greifbarer zu machen, doch sind wir nur selten dabei, wenn er wirklich in den Keller geht, um dort die gefangenen Frauen zu quälen. Das aber ist auch gar nicht nötig, um „Victim“ noch spannender zu machen; der wirkliche Horror versteckt sich meist zwischen den Zeilen und macht die Geschichte dadurch nur umso grausamer, zumal die Phantasie des Lesers dadurch angeregt wird, die bekanntlich grenzenlos sein kann …

Die Polizei und allen voran Darby McCormick tappen lange Zeit im Dunkeln, der Täter hat nur wenige Spuren hinterlassen, die nun zu deuten sind. Die Polizei weiß aber noch nicht, dass diese Spuren sie auf eine falsch gelegte Fährte führen werden. Darby wird nicht schlau aus Rachels Worten, sodass sie immer mehr fürchten muss, dass die Zeit für die entführte Carol knapp wird. Außerdem plagen sie immer wieder Gewissensbisse, weil sie sich in ihrer Jugend nicht dem Mann aus dem Wald gestellt hat, um vielleicht ihre Freundin Mel damit zu retten. Niemals hat sie sich verziehen, ihre Freundin im Stich gelassen zu haben, und immer wieder malt Darby sich aus, wie es hätte werden können, wenn sie ’84 anders gehandelt hätte. Hinzu kommen ihre Sorgen um die schwerkranke Mutter, die unheilbar an Krebs erkrankt ist und nun auf den Tod wartet. Viele Sorgen quälen Darby, sodass sie gar nicht merkt, wie nah der Mörder ihr in der Zwischenzeit gekommen ist.

Mooneys Geschichte ist über weite Strecken packend wie kaum eine andere, doch hakt sie leider an manch einer Stelle. Früh stellt uns Mooney den Mörder vor und macht klar, dass Boyle einen Komplizen hat, den wir als Richard kennen lernen. Einige Hinweise, die Mooney uns an die Hand gibt, lassen uns früh ahnen, um wen es sich bei Boyles Helfer handeln könnte. Als Daniel Boyles Mittäter sich am Ende outet, muss man leider feststellen, dass Mooney uns hier auf keine falsche Fährte gelockt hat, sondern dass wir von Anfang an den richtigen Riecher hatten. Leider geht dadurch am Ende das Überraschungsmoment verloren. Im Übrigen plätschert die Geschichte auf den letzten 40 Seiten ziemlich lahm aus, weil die Schuldigen gefunden sind und die Polizei nun lediglich die Details zu rekonstruieren versucht. Spannender wäre es gewesen, derlei Details in die eigentliche Geschichte einzufügen. Mooney hätte in den Passagen, in denen wir uns bei Daniel Boyle befinden, die Möglichkeit gehabt, die meisten Fragen schon vorher zu klären.

Auch einige logische Unstimmigkeiten haben sich eingeschlichen: Nachdem Darby und ihre Freundinnen den Mann im Wald aufgeschreckt haben, verschwinden Geld und Ausweise aus Darbys Rucksack. Es ist also klar, dass der Mörder weiß, wer ihn beobachtet hat und wo er diese Zeugin finden kann. Wieso hat die Polizei nicht besondere Schutzmaßnahmen ergriffen? Das hätte Stacey retten und den Mörder schon damals dingfest machen können. Wäre es nicht logisch gewesen, Darby unter Personenschutz zu stellen, wenn der Mörder ihre Identität und ihre Adresse kennt? Mich zumindest hat es doch sehr gewundert, dass dies nicht passiert ist.

Unter dem Strich ist „Victim“ aber in der Tat ein höchst spannender und lesenswerter Thriller, der seine Leser vollkommen gefangen nimmt und in eine schreckliche Welt entführt. Der vorliegende Thriller ist leider nicht bis ins letzte Detail durchdacht und wird dem Vergleich mit „Saw“ auch nicht gerecht, der in der Kinowerbung doch so offensichtlich war, aber über manche Unstimmigkeiten sieht man trotzdem gern hinweg.

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Indriðason, Arnaldur – Engelsstimme

Der isländische Schriftsteller Arnaldur Indriðason hat geschafft, wovon andere Krimiautoren nur träumen können: Zweimal wurden seine Bücher mit dem „Nordic Crime Novel’s Award“ ausgezeichnet – eine Ehre, die bislang keinem anderen Autor zuteil wurde. Und gerade in Zeiten, wo sich der allseits verehrte Henning Mankell aus dem Krimigenre zurückgezogen zu haben scheint, ist Platz für andere Talente wie eben Indriðason. In „Engelsstimme“ beweist er, dass sein Krimiheld Erlendur nicht nur weit zurückliegende Mordfälle lösen kann, sondern auch aktuelle, wenngleich sie ebenfalls fest in der Vergangenheit verwurzelt sind.

In einem Hotel in Reykjavík wird kurz vor Weihnachten die als Weihnachtsmann verkleidete Leiche des Portiers Guðlaugur in seiner kleinen Kellerkammer tot aufgefunden. Guðlaugurs Hosen sind noch heruntergelassen und ein Kondom ziert seinen Leichnam. Erlendur und seine Kollegen sind schockiert und machen sich auf die Spurensuche.

Doch zunächst tappen sie im Dunkeln, denn im Hotel scheint niemand Kontakt gehabt zu haben zu dem mysteriösen Portier, der im Hotel das Mädchen für alles war und seit vielen Jahren in einer kleinen Kammer im Keller hauste und dort vom Hotelmanager geduldet wurde. Der hat jetzt allerdings eher Sorge, dass in seiner Hauptsaison zu Weihnachten und Silvester das Hotel geschlossen werden muss oder dass Gäste fernbleiben, wenn sie von dem Mord hören. Als die Polizisten schließlich von allen Hotelangestellten und Gästen Speichelproben nehmen, weil das Kondom Speichelreste aufweist, ist die Panik im Hotel groß. Doch ein kleiner Notizzettel in Guðlaugurs Zimmer ist es, der für eine erste Spur sorgt, denn laut diesem war Guðlaugur an einem Abend mit einem gewissen Henry verabredet.

Henry stellt sich schließlich als Schallplattensammler aus England heraus, der sich auf Chorknaben spezialisiert hat. Und wie Erlendur dann herausfinden muss, war Guðlaugur in seiner Kindheit einer der besten Chorknaben, der allerdings mitten in einem wichtigen Konzert in den Stimmbruch kam, woraufhin seine Engelsstimme verloren war. Da der Stimmbruch sehr früh kam, sind Guðlaugurs Plattenaufnahmen inzwischen viel Geld wert. Henry wiederum möchte die restliche Auflage kaufen, damit seine eigenen Platten noch mehr an Wert gewinnen.

Um der Lösung des Falles auf die Spur zu kommen, quartiert Erlendur sich kurzerhand im Hotel ein, damit er gleich vor Ort ist und um der einsamen Stille zu Hause zu entfliehen. Doch kann er im Hotel nicht seiner Tochter Eva Lind entkommen, die ihn praktisch jeden Abend besucht und ihn dabei teilweise in verhängnisvollen Situationen antrifft. Aber das soll nicht Erlendurs einzige Sorge sein, denn vor allem Guðlaugurs Schwester und der querschnittsgelähmte Vater geben ihm Rätsel auf: Als sie vom Tod Guðlaugurs erfahren, zeigen sie keinerlei Trauer. Was ist in dieser geheimnisvollen Familie vorgefallen? Erlendur wird es herausfinden und dabei wieder weit in die Vergangenheit zurückgehen …

Arnaldur Indriðason beweist erneut auf seine unvergleichliche Weise, dass er sich seinen Platz in den internationalen Bestsellerlisten vollauf verdient hat, und er zeigt eindrucksvoll, dass sein Held Erlendur nicht nur längst vergangene Mordfälle lösen kann, sondern sich auch neuen Mordopfern mit Leidenschaft widmet. Doch dieser Roman wäre kein echter Indriðason, wenn die Vergangenheit nicht eine große Rolle spielen würde, und so liegt auch die Lösung für diesen Todesfall in der Vergangenheit begraben. Denn das Mordopfer war noch ein kleiner Junge, als sein Leben eine schreckliche Wende nahm: Bei seinem wichtigsten Auftritt vor zahlreichen Zuschauern versagt ihm die Stimme und der junge Guðlaugur wird öffentlich ausgelacht. Sein strenger Vater kann ihm den frühen Stimmbruch und das verfrühte Ende seiner Karriere nicht verzeihen, doch was ist noch vorgefallen in dieser Familie?

Auch der mysteriöse Plattensammler Henry hat einiges zu verbergen und verstrickt sich immer wieder in Lügengeschichten. Als sich der Kreis langsam um ihn schließt, versucht er zu fliehen, doch natürlich hat er die Rechnung ohne Erlendur gemacht, der ihn wieder aufspüren kann und auch einige dunkle Geheimnisse aus Henrys Leben ans Tageslicht bringt. Guðlaugurs Schwester steht Henry in nichts nach, nur häppchenweise macht sie Zugeständnisse. Zunächst will sie gar nichts mit der Polizei zu tun haben, da sie der Mord an ihrem Bruder nichts anzugehen scheint. Als sich die Ermittlungen jedoch immer mehr um sie drehen, kommt sie langsam mit der Wahrheit heraus, verrät aber immer noch nur so viel, wie unbedingt notwendig scheint. Und dann wären da noch einige Hotelangestellte, die sich quer stellen und Erlendur bei seiner Ermittlung behindern wollen. Nicht jeder stimmt dem Speicheltest zu und niemand will gesehen haben, dass Guðlaugur Besuch bekommen hat, der vielleicht der gesuchte Mörder hätte sein können. Viele Verdächtige tauchen also auf, und als Leser tappt man gemeinsam mit Erlendur im Dunkeln und ist dem Krimihelden niemals einen Schritt voraus.

Wieder einmal schickt Indriðason seinen Ermittler los, um einen mysteriösen Mordfall zu lösen. Wieder einmal werden ihm viele Steine in den Weg gelegt, und auch privat läuft es alles andere als gut. Weihnachten steht vor der Tür und Erlendur möchte diesem Familienfest am liebsten entfliehen, denn seine Tochter Eva Lind hat den Verlust ihres Babys immer noch nicht verwunden und Erlendur sucht noch immer die Frau seines Lebens. Ein Rendezvous bringt er immerhin zustande, doch auch dieses findet kein glückliches Ende. Krimihelden müssen einfach tragisch sein, auch Indriðason unterstreicht dies in jedem seiner Romane. Auch Erlendurs verschollener Bruder lässt ihn immer noch nicht los, obwohl das schreckliche Schneegestöber, aus dem Erlendurs Bruder nicht gerettet werden konnte, inzwischen viele Jahre zurück liegt. Mit jedem Roman lernen wir Erlendur näher kennen, Indriðason zeichnet seinen Krimihelden mit viel Liebe und fügt seinem Bild mit jeder Geschichte eine neue Facette hinzu, sodass uns Erlendur immer sympathischer wird, auch wenn er manchmal ein komischer Kauz sein kann.

Doch nicht nur in Sachen Charakterzeichnung punktet Indriðason, auch sein Kriminalfall hat es in sich und weiß vollauf zu überzeugen. Zwar packt Indriðason keine politischen Probleme an wie manche seiner Kollegen, und er kommt auch mit wenigen Leichen und wenig Blutgemetzel aus, doch seine Fälle sind nicht minder spannend. Indriðasons Geschichten sind etwas leiser und stiller als die Krimifälle, die in Schweden oder auch Norwegen zu lösen sind, dafür sind seine Kriminalromane meist sehr ausgefeilt und gut choreografiert. Indriðason hat einfach alles, was das Krimiherz beglückt, und so weiß er auch mit „Engelsstimme“ wieder einmal zu überzeugen. Selbst seine finale Wendung, die am Ende noch einmal alles über den Haufen wirft, ist glaubwürdig in die Geschichte eingebaut, sodass man das Buch zufrieden zuklappen und sich auf den nächsten Indriðason freuen kann!

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Agatha Christie – Tod in den Wolken

Hoch in der Luft wird eine unbeliebte Dame ins Jenseits befördert. Mit an Bord des Fliegers: Detektiv Hercule Poirot, der auf bewährte Weise seine kleinen grauen Zellen strapaziert, um die scheinbar unmögliche Tat aufzuklären … – Agatha Christies Variation des klassischen „Whodunit“ versammelt erneut eine überschaubare Schar von Verdächtigen in einem verschlossenen Raum. Keiner kann’s, doch einer muss es gewesen sein, und gemeinsam mit Poirot ermittelt der Leser bis zum überraschenden Finale: Krimi Vergnügen der sowohl altmodischen als auch zeitlosen Art.
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Jonathan Rabb – Die Eisenreich-Verschwörung

Rabb Eisenreich Cover TB 2004 kleinDas geschieht:

In Washington wurde vor einiger Zeit eine streng geheime Untersuchung beschlossen. Diverse ultra-reaktionäre und rechtsradikale Gruppen sollen darauf überprüft werden, ob sie dem Staat gefährlich werden könnten und aus dem stets verdächtigen Ausland Unterstützung erfahren. Dahinter steckt der „Aufsichtsausschuss“, eine der Öffentlichkeit nicht bekannte Abteilung des US-Außenministeriums, die einst gegründet wurde, um jenseits der lästigen Knechtschaft durch niedergeschriebene Gesetze die Bösen dieser Welt zu strafen und auszuschalten.

Agentin Janet Trent taucht hinab in den Sumpf selbst ernannter Tugendwächter und fanatischer Seelenretter, in dem es seit einiger Zeit gefährlich brodelt: Eine Welle äußerst brutaler, dabei militärisch präzise organisierter Terroranschläge erschüttert die USA. Der Aufsichtsausschuss rätselt, ob es der fundamentalistische TV-Demagoge Jonas Tieg ist, der Furcht und Schrecken säen lässt, um die USA innenpolitisch zu destabilisieren und so die Herrschaft an sich zu reißen. Jonathan Rabb – Die Eisenreich-Verschwörung weiterlesen

Winegardner, Mark – Rache des Paten, Die

Im Jahre 1969 veröffentlichte der Autor Mario Puzo den Roman „Der Pate“ (The Godfather) und schaffte damit den Sprung auf die internationalen Bestsellerlisten.

„Der Pate“ erzählte die Geschichte der aus Sizilien stammenden Familie Corleone, die in New York das gesamte organisierte Verbrechen rund um das Glücksspiel steuert. Vito Corleone ist „Der Pate“, wie er von seinen Freunden und Feinden ehrfürchtig und voller Respekt genannt wird. Doch auch New York mit seiner Kriminalität verändert sein Gesicht. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erobert der Drogenhandel nicht nur die amerikanischen Staaten, und Don Vito Corleone ist nicht bereit, sich an dem für ihn schmutzigen Geschäft zu beteiligen.

Killer einer anderen Mafia-Familie verüben einen Mordanschlag auf den „Paten“, den dieser schwerverletzt überlebt. Seine drei Söhne – Sonny, Fredo und Michael, der jüngste – führen die familiären Geschäfte und Interessen weiter, aber Sonny, der älteste Sohn und Nachfolger, verliert die Nerven und rächt mit aller Gewalt den Mordanschlag auf seinen Vater. Es entbrennt ein Mafia-Krieg, der auf vielen Seiten seine Opfer fordern wird.

Schließlich wird auch Sonny das Ziel eines Mordanschlags und brutal an einer Mautstation hingerichtet. Michael Corleone übernimmt nun als Oberhaupt der Familie die Geschäfte und führt einen Rachefeldzug gegen seine Feinde, dabei verschont er auch nicht die eigene Familie …

Das Epos rund um die Geschichte der Familie Corleone wurde erfolgreich in drei Teilen verfilmt. Francis Ford Coppola und der Autor Mario Puzo schrieben gemeinsam an dem Drehbuch. Ein fast einmaliger Erfolg in diesem Genre. Selbst die realen Mafiosi fühlten sich geehrt und sagten aus, dass das Buch und der Film das wahre Lebensgefühl ihres Standes aussagen, also ein kleiner Werbespot für die Mafia in Amerika.

Verfilmt wurde die Saga mit vielen inzwischen bekannten Weltstars wie Robert De Niro, Marlon Brando, Al Pacino, Robert Duvall und anderen, ein Sprungbrett in die Welt des internationalen Films. „Der Pate“ Teil 1 wurde 1972 mit dem Oscar als bester Film prämiert und Marlon Brando sollte als bester Hauptdarsteller auch ausgezeichnet werden, Mario Puzo und Francis Ford Coppola erhielten den dritten Oscar für ihr Drehbuch. Aufgrund dieses Erfolges will man natürlich wissen, wie es weitergeht mit der Familie Corleone. Eigentlich sind sie ja wirklich nette Menschen, auch wenn sie hin und wieder einen Mord begehen … aber das ist für sie nur eine Notwendigkeit im geschäftlichen Sinne.

Der Autor Mark Winegardner wurde von der Erbgemeinschaft Mario Puzos persönlich ausgewählt, die Saga fortzuführen bzw. zu ergänzen. Er hat schon im Jahre 2005 mit „Der Pate kehrt zurück“ einen sehr großen Erfolg erzielen können. Mit dem neuesten Werk „Die Rache des Paten“ sollten noch einige andere offene Fragen, die sich dem Leser oder auch Zuschauer stellten, zufriedenstellend aufgelöst werden können.

_Die Geschichte_

New Orleans 1963. Michael Corleone, nach dem Tod seines Vaters Don Vito Corleone nun „Der Pate“ und Oberhaupt der Familie, konnte seinen Machtbereich ausbauen und die feindlichen Familien durch Mordanschläge quasi auslöschen. Michael versucht immer mehr, sich von seinen illegalen Aktivitäten zu distanzieren. Er versucht durch seine Kontakte in der Politik, seine Geschäften einen legitimierten Anschein zu verleihen. Aber die anderen Dons der großen Familien stehen dem sehr kritisch gegenüber und er wird offen angefeindet und bedrängt, die Geschäfte auf die alte und bewährte Weise zu führen.

Doch Michael geht seinen eigenen Weg, und durch seinen Einfluss macht er den jungen Jimmy Shea zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Entgegen seinem Willen gibt es dennoch Probleme, denn der Präsident ist alles andere als gewillt, mit dem organisierten Verbrechen zusammenzuarbeiten, zumal dieser noch Probleme mit dem südamerikanischen Nachbarn Kuba hat. Politik und Verbrechen geben sich die Hand und arbeiten zusammen, doch jede Partei hat ihre eigenen Gesetze und Motivationen. Der jüngere Bruder des Präsidenten bekämpft das organisierte Verbrechen in einem Kreuzzug und greift auch auf nicht legale Mittel zurück. Ziel ist es für ihn, den Paten von New Orleans, Carlo Tramonti, nach Kolumbien zu deportieren, was ihm zeitweise auch gelingt. Die so genannte Kommission der Cosa Nostra wird damit unter Druck gesetzt, und innerhalb dieser Gruppierung ist man sich uneinig darüber, wie man sich gegenüber den ehemaligen Wohltätern und Förderern in der Politik verhalten soll.

Auch Michael Corleone muss und wird Stellung beziehen müssen. Doch noch andere Probleme lassen den „Paten“ nicht zur Ruhe kommen. Ein ehemaliger Capo, Nick Geraci, ein Unterboß der Corleones, entpuppte sich als Verräter und wird nun gejagt und natürlich weiß dieser zu viele Interna über die illegalen und legalen Geschäfte der ehrenwerten Familie, auch dass die Corleones Killer für die Ausschaltung von Castro ausgebildet haben! Doch Nick Geraci ist nicht gewillt, sich zu verstecken, und verfolgt seine eigenen Rachepläne gegenüber seinem ehemaligen Paten. Er ist mit Sicherheit nicht zu unterschätzen.

Michael Corleone hat noch andere Probleme,; seine Frau und seine Kinder haben sich von ihm getrennt und er leidet sehr unter dem Verlust. In seinen Alpträumen wird er von seinem verstorbenen, älteren Bruder Fredo besucht, den Michael töten ließ, da er illoyal gegenüber seiner Familie gewesen war. Damit kämpft Michael an vielen Fronten und nicht zuletzt gegen sich selbst. Seine Geschäfte hinterlassen körperliche und seelische Spuren. Michael Corleone erkrankt an Diabetes und fühlt sich verlassen, auch wenn er versucht, seine langjährige Geliebte in sein Leben einzugliedern.

Die Situation eskaliert, als der Präsident der Vereinigten Staaten einem Attentat zum Opfer fällt. Wer ist dafür verantwortlich? Für welche Seite wird sich der Nachfolger des Präsidenten entscheiden und was bedeutet dann die veränderte politische Lage für die ehrenwerte Gesellschaft? Doch Michael verliert auch in dieser kritischen Lage nicht den Überblick und setzt seine Interessen wie gewohnt kalt und erbarmungslos durch …

_Kritik_

Mark Winegardner hat es mit seinem Roman „Die Rache des Paten“ hervorragend verstanden, offene Fragen abschließend zu klären. Die Saga rund um den Paten war stets ein Familienepos, in dem es primär um die Sorgen und Nöte der Mitglieder und Freunde der Corleones geht. Der Autor setzt die Hauptcharaktere, die man schon aus den beiden anderen Büchern sowie den drei Filmen kennt, hervorragend ein. Auch reine Randfiguren aus „Der Pate“ wie Woltz, der Regisseur, der dem Wunsch des Paten nicht Folge leisten wollte, oder Johnny Fontane findet man hier gut untergebracht in der Geschichte wieder.

Die Politik und das organisierte Verbrechen sind nicht die Hauptzutaten in diesem Roman. In „Die Rache des Paten“ spielt der „Consigliere“ Tom Hagen eine große Rolle, und einige Fragen, die nach den ersten beiden Teilen des Paten blieben, klärten sich auf. Die Rache der verschiedenen Persönlichkeiten bildet die eigentliche Handlung im Roman, aber diese verbindet die Nebenerzählungen außerordentlich gelungen.

Leider gerät die Entwicklung von Michael Corleone in der Handlung für meine Begriffe etwas zu kurz. Als gebrochener Familienvater und „Pate“ bleiben seine Sorgen und Nöte immer etwas im Hintergrund. Wenn er aber auftritt, und das in oftmals kurzen Passagen, dann als der gewohnt kalt agierende Charakter, der uns auch schon in den Filmen begegnete.

Es ist zu empfehlen, „Der Pate kehrt zurück“ zuerst zu lesen, denn die Vorgeschichte des Nick Geraci, ehemals ein Unterboss der Familie, würde dem Leser sonst zu undurchsichtig erscheinen. In den Filmen taucht dieser zwar als Statist auf, stellt aber keine in der Geschichte wichtige Person dar. In „Die Rache des Paten“ bildet er neben Tom Hagen den zweiten und größten Teil der Handlung heraus.

Mark Winegardner versteht sein literarisches Handwerk. Die geheimnisvolle Aura der Mafia beschreibt der Autor genau wie Mario Puzo spannend und interessant, wenn auch nicht unbedingt der Realität entsprechend. Das Verhältnis der Politik zum Verbrechen haben beide Autorenrecht realitätsgetreu behandelt. In den Filmen wie auch Romanen findet man Parallelen zu tatsächlich stattgefundenen Ereignissen. Gerade in „Die Rache des Paten“ wird das Verhältnis der Geheimdienste zum organisierten Verbrechen mit brisanten Themen zur Diskussion gestellt. Wer also auch hier fleißig recherchiert, wird sich manches Mal verblüfft sehen. Ein anderes Thema wäre der Mord an dem jungen Präsidenten der USA; natürlich ist hier der Mord an J. F. Kennedy eine historische Parallele.

Was ich im Roman vermisst habe, war vielleicht ein Nachwort des Autoren. Seine Sicht der Geschichte hätte ich gerne nachgelesen. Andererseits werden am Anfang des Romans die Zeitlinie der Trilogie und die wichtigsten Hauptpersonen in einem guten Schaubild eingeführt.

_Fazit_

„Die Rache des Paten“ kann ich allen Fans der Mafia-Trilogie sehr empfehlen. Die Lücken und Fragen, welche die Filme und der Roman von Puzo offenlassen, werden geklärt. Der Roman spielt kurz nach „Der Pate Teil 2“ und somit in den Jahren 1963 bis 1965. Beide Romane – „Die Rückkehr des Paten“, sowie „Die Rache des Paten“ – sollen verfilmt werden, was mich nach der Lektüre aber nicht überraschte. Die beiden Romane laden geradewegs dazu ein, verfilmt zu werden, und der Erfolg könnte vielversprechend sein, wenn vielleicht Francis Ford Coppola wieder im Regiestuhl sitzt.

Fassen wir zusammen: „Die Rache des Paten“ liest sich flüssig und spannend, ist informativ, allerdings nur für Leser bestimmt, die die Vorgeschichte schon kennen. Diesmal ist die Bühne der Politik der Hauptbestandteil der Geschichte, doch hat sich der Autor auch viel Zeit für die Familiengeschichte der Corleones genommen, was vielleicht noch wichtiger ist.

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