Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Theurillat, Michael – Im Sommer sterben

Im Sommer geht man ins Schwimmbad oder isst Eis und liegt faul in der Sonne. Nach Meinung des Schweizers Michael Theurillat ist das aber noch nicht alles. Er plädiert für „Im Sommer sterben“.

Der beliebte Philip Bettlach, der im Bankgeschäft seines Bruders tätig war und dort mit Erfolg Kunden anwarb, wird eines Tages beim Golfspielen auf einem Züricher Golfplatz aus großer Distanz erschossen. Aber warum? Bettlach scheint keine Feinde gehabt zu haben, sein fünfundsechzigjähriger Lebenslauf war erstaunlich sauber. Zu sauber, wie Kommissar Eschenbach und sein junger Kollege Jagmetti finden.

Sie graben etwas tiefer und schon bald stellt sich heraus, dass Bettlachs Freundin, die zweiundzwanzigjährige Doris Hottiger, nicht nur einen guten Grund, sondern auch die entsprechende Schützenausbildung gehabt hätte, um Bettlach zu erschießen. Doch weder Eschenbach noch Jagmetti, der ein kurzes Intermezzo mit der blonden Dame hat, können glauben, dass sie die Täterin ist. Sie stochern weiter in der Lebensgeschichte der Familie Bettlach herum und bringen einiges zu Tage …

Theurillat baut in sein Debüt eine Familientragödie ein, die man sicherlich schon des Öfteren gelesen hat, aber sie wurde sicherlich nicht immer so grundsolide und spannend abgehandelt. Der Krimi tut sich dabei nicht durch Action und Blut hervor, sondern durch spannende Ermittlerarbeit.

Spannend, obwohl das Buch ohne Action auskommt? Jawohl. Theurillat setzt eher auf die kleinen Überraschungsmomente und falschen Verdächtigungen, die seinen Krimi sehr niveauvoll erscheinen lassen.

Zudem fällt auf, dass ein Großteil der Handlung bzw. der Aufklärung des Mordfalls über Dialoge stattfindet. Zeugen erzählen über das Leben Bettlachs oder Eschenbach bekommt seine Informationen auf mündlichem Wege, was die Geschichte sehr lebendig werden lässt und gut gelungen ist. Der Autor schafft es dabei, das Gleichgewicht zwischen banalem Alltagsgeschwätz und relevanter Information zu halten. Dadurch wirkt der Roman nicht trocken, sondern im Gegenteil unglaublich lebendig, weil hauptsächlich Menschen und nicht Indizien und Tatsachen involviert sind.

Für gute Dialoge braucht man natürlich gute Charaktere, und die liefert Theurillat gleich mit. Eschenbach überzeugt vor allem, weil er weder dem amerikanischen Superermittler noch dem skandinavischen Depri-Ermittler ähnelt. Er ist ein durch und durch bodenständiger Mann mit Frau und Tochter und einem Hang zur Bärbeißigkeit, von dem er aber weiß und an dem er arbeitet.

Sein Helfer, der Praktikant Jagmetti, dagegen ist ein kleiner Jungspund, der noch viel lernen muss und in dem Eschenbach sich selbst gerne wiederfindet. Er versucht dem angehenden Beamten ein guter Chef zu sein, auch wenn die beiden dabei manchmal aneinandergeraten.

Auch andere Charaktere in dem Buch sind gelungen. Richtige Exzentriker findet man zwar selten, aber dafür sehr authentische Menschen mit Eigenarten und überzeugenden Charakterzügen, die die dialogschwangere Geschichte abrunden.

Zumeist wird aus Eschenbachs Perspektive erzählt, aber ab und an wechselt Theurillat die Perspektive und lässt unbedeutende Nebencharaktere zu Wort kommen. Das ist sehr ritterlich von ihm, aber da diese Personen meist nur ein, zwei Auftritte haben, hinterlassen sie eher einen störenden Eindruck. Zumeist ist ihr Auftritt auch nicht wirklich von Relevanz, sondern soll nur Tatsachen näher beleuchten, so dass die Geschichte dadurch unnötig gebrochen wird.

Alle bisher aufgezählten Elemente von „Im Sommer sterben“ werden von dem sauberen Schreibstil des Autors zusammengehalten. Simpel, trocken, manchmal mit einem sehr interessanten, unterschwelligen Humor gewürzt, der zumeist aus dem Munde Eschenbachs kommt, weiß Theurillat seinen Kriminalroman sehr gut herüberzubringen. Er leistet sich dabei keine Schnitzer und sein Hang zu Dialogen zeichnet sich einmal mehr aus.

„Im Sommer sterben“ ist sauber aufgebaut, sauber ausgebaut und sauber geschrieben. Man kann kein schlechtes Haar an Michael Theurillat lassen. Der Debütroman ist zwar kein herausragendes Literaturwerk, aber ein sehr angenehm zu lesender und beinahe makelloser Krimi.

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Schutz, Benjamin M. – Unerbittlich

Scheidungen sind normalerweise keine schöne Sache, doch der Gerichtspsychologe Benjamin M. Schutz treibt es mit seinem Psychothriller „Unerbittlich“ auf die Spitze.

Unerbittlich ist der ehemalige Footballstar Tom Tully, als er herausfindet, dass seine Frau Serena ihn betrügt. Ohne ihr Wissen engagiert er den Anwalt Albert Garfield, der von seinen Kollegen auch „Agent Orange“ genannt wird, weil er dafür bekannt ist, dass dort, wo er wütet, kein Gras mehr wächst. Zusammen planen die beiden Männer, Serena fertigzumachen, wobei der aggressive Tom dabei die treibende Kraft ist. Sie erreichen eine gerichtliche Verfügung, die es Serena verbietet, die beiden vier und sechs Jahre alten Kinder zu sehen und das gemeinsame Haus zu betreten, weil sie angeblich psychisch krank sei.

Tom schafft es, alle renommierten Scheidungsanwälte der Gegend auszuschalten und er sorgt dafür, dass Serena ohne Geld und Arbeit auf der Straße sitzt. Dafür hat sie einen miserablen Anwalt, den sie nicht bezahlen kann. Erst als der Gerichtspsychologe Morgan Reece beauftragt wird, ein Gutachten über die Familie zu erstellen, um die Sorgerechtsfrage zu klären, zeichnet sich für Serena ein Silberstreif am Horizont ab. Denn Reece ist für seine saubere, nicht korrumpierbare Arbeit bekannt und er sorgt dafür, dass sich das Blatt in dem Prozess, den Garfield mit scharfen Waffen führt, wendet. Doch das will Tom Tully sich natürlich nicht gefallen lassen …

Eigentlich ein interessantes Szenario, das Schutz da entwirft. Schließlich haben Ehestreite großes Potenzial. Zwei verhasste Parteien, von denen keine eine weiße Weste hat, und die sich nach allen Regeln der Kunst mit Schmutz bewerfen. Leider versteift sich der Autor sehr auf die Geschehnisse vor Gericht, was in Anbetracht der Tatsache, dass nicht jeder Leser mit dem (amerikanischen) Rechtssystem vertraut ist, nicht besonders glücklich ist. Hier hätte man vielleicht die Schere ansetzen sollen, um zu verhindern, dass zähe Wortgeplänkel zwischen Richtern, Anwälten und Zeugen das Buch derart verstopfen.

Gegen Mitte des Buchs bessert sich die Situation. Nachdem das erste Drittel hauptsächlich von den an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen von Tom gegen Serena getragen wird, schalten sich dann zwei weitere Parteien ein, die Tom in keinem guten Licht dastehen lassen. Das Buch gewinnt an Fahrt und Spannung, kommt aber nie über den durchschnittlichen, oberflächlichen Thriller hinaus.

Schuld daran sind vor allem die stereotypen Charaktere. Tom Tully, der bullige Footballstar, der sich weder um seine hübsche Frau noch um seine Kinder kümmert und in schmierige Machenschaften verstrickt ist, zeigt im ganzen Buch keine Züge von Menschlichkeit. Sein Verhalten ist vorhersehbar, seine Persönlichkeit auch.

Während Schutz es schafft, die meisten anderen Charakteren von zwei Seiten, der guten und der schlechten, zu beleuchten, gelingt ihm das gerade bei den „Bösewichten“ nicht. Das ist ungeschickt, denn damit beraubt er sich selbst der Möglichkeiten. Vielleicht wäre das Buch wesentlich besser geworden, wenn es auf dem Charaktergebiet nicht so unglaublich vorhersehbar wäre.

Die hübsche Serena, die getroffene Ehefrau, bleibt ihrer oberflächlichen Rolle treu, und Morgan Reece entpuppt sich als Lehrbuchgerichtspsychologe – leider als ein allzu glatter. Er scheint für jedes Problem eine Lösung und für jeden Vorwurf das passende Gegenargument zu haben. Selbst, wenn die Angriffe von Tom und Garfield gegen seine Vergangenheit gerichtet sind, wirkt er unglaubwürdig gelassen.

Der Schreibstil macht es nicht besser. „Amerikanische Massenware“ sagt alles, was „Unerbittlich“ ausmacht. Kaum rhetorische Mittel, kaum etwas, was den Schreibstil nach dem Zuschlagen des Buches im Kopf des Lesers verbleiben ließe. Schutz schreibt glatt, ohne Ecken und Kanten, und selbst die Dialoge klingen nicht wie aus dem Leben, sondern wie von einem Computerskript entworfen. Klare, gehobene Sätze, die keine Gefühle der Sprecher erlauben, sorgen dafür, dass die sowieso schon blutleeren Charaktere noch blasser dastehen.

Was am Ende bleibt, sind ein schales Gefühl und die Frage, ob manche Bücher nur deshalb in Deutschland veröffentlicht werden, weil sie aus dem geheiligten Lande USA stammen. „Unerbittlich“ arbeitet mit stereotypen, klischeebeladenen Personen, einer zähen, vorhersehbaren Handlung und einem Schreibstil, der sich vielleicht durch förmliche Korrektheit hervortut, aber sicherlich nicht durch Lebendigkeit oder Originalität. Es ist nicht so, dass das Buch so abstoßend wäre, dass man es so schnell wie möglich aus der Hand legen wollte. Es ist nur so langweilig, dass man es gar nicht erst wieder in die Hand nehmen möchte.

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Soininvaara, Taavi – Finnisches Blut

Nur ein kleiner Moment der Unachtsamkeit ist es, der Generalmajor Raimo Siren zum Verhängnis wird: Während er am Steuer seines Autos eine Nummer im Speicher seines Autotelefons sucht, hört er einen dumpfen Aufprall und sieht plötzlich Blut über die Windschutzscheibe laufen. Doch es ist nicht nur die Angst, einen Menschen umgebracht zu haben, sondern auch die Tatsache, dass er zum Abendessen nicht wenig getrunken hat, die Siren dazu verleiten, Fahrerflucht zu begehen und sich anschließend um den unliebsamen Vorfall zu kümmern, der ihn seine Karriere kosten könnte. Zu Hause angekommen, kann ihn nicht einmal die Musik von Sibelius beruhigen, doch Siren beginnt bereits, Pläne zu schmieden, die ihn retten könnten, denn er weiß ganz sicher, dass man ihn als Fahrer des Unfallwagens wird identifizieren können …

Von diesem drohenden Ungemach ahnt Arto Ratamo derweil noch nichts, während er nachts im Labor steht, um ein Gegenmittel gegen Ebola-Helsinki zu testen. Er ist sich sicher, dass auch diese Version des Gegenmittels nicht anschlagen wird, als ihn im übermüdeten Zustand eine überraschende Entdeckung erwartet, denn sein Gegenmittel wirkt tatsächlich! Da es inzwischen frühmorgens ist, beschließt Ratamo, sofort nach Hause zu gehen, ohne den notwendigen Teil der Bürokratie zu erfüllen. So schreibt er lediglich eine kurze Nachricht für seine Kollegen, dass ein Gegenmittel gefunden ist und begibt sich anschließend nach Hause zu seiner Frau Kaisa und seiner kleinen Tochter Nelli, die von der bevorstehenden Aufregung noch nichts ahnen.

Raimo Siren spinnt nämlich bereits einen teuflischen Plan, in dem die Familie Ratamo eine wesentliche Rolle spielen wird. Als er von der Entdeckung eines Mittels gegen Ebola-Helsinki hört, schickt er ein Erschießungskommando zu Ratamos Chef Manneraho und auch zu Ratamo nach Hause. Er lässt den Mord an Manneraho so aussehen, als habe Ratamo selbst ihn erschossen. Als Ratamo von einem Killer aufgesucht wird, kann er sich nur knapp retten, doch seine Frau Kaisa wird vor Ratamos Augen erschossen. So wird der Virenforscher plötzlich zu einem gejagten Mann. Allerdings weiß Siren nicht, dass er nicht der Einzige ist, der dringend die Formel für das Gegenmittel haben möchte, und so beginnt eine atemberaubende Hatz auf Ratamo, der nicht nur um sein eigenes Leben fürchten muss, sondern auch um das seiner kleinen Tochter Nelli …

Nachdem im Deutschen bereits drei Kriminalromane von Taavi Soininvaara veröffentlicht wurden, erfreut uns der |Aufbau|-Verlag endlich mit dem ersten Roman der Arto-Ratamo-Reihe, der nun erklärt, wie aus dem Virenforscher ein Ermittler der finnischen SUPO werden konnte. Und wie wir es von Taavi Soininvaara gewohnt sind, stürzt er sich ohne langes Vorgeplänkel sofort mitten in die Geschichte. Schon früh lernen wir Arto Ratamos mächtigen und gefährlichen Gegner kennen, nämlich Raimo Siren, der auf Teufel komm raus sein eigenes Leben retten möchte und dabei auch über Leichen geht. Raimo Siren spinnt ein Netz von Lügen um sich, mit dem er selbst seine rechte Hand, Pekka Vairiala, täuschen kann, der ohne sein Wissen zu Sirens Handlanger wird.

Auch dieser allererste Kriminalroman von Taavi Soininvaara, in dem Arto Ratamo noch ein harmloser Forscher ist und mit lebensgefährlichen Situationen und Ermittlungen noch nicht viel am Hut hat, lebt von seinem Hauptcharakter. Wir lernen Ratamo hier noch als Familienvater und unglücklich verheirateten Mann kennen, der von Zweifeln geplagt wird, weil ihm die Arbeit im Labor keinen Spaß mehr macht. Ratamo hat bereits erkannt, dass seine Ehe mit Kaisa gescheitert ist und nur noch wegen Nelli aufrecht erhalten wird, dennoch hat er ein sehr gutes Verhältnis zu seiner Schwiegermutter Marketta, die ihm nach Kaisas Tod eine große Hilfe ist, als sie nämlich Nelli in Sicherheit bringt, obwohl sie doch den Tod der einzigen Tochter verkraften muss.

Ratamo schlägt sich schon in diesem Buch beachtlich, obwohl er doch völlig unverhofft in diese lebensbedrohliche Situation geraten ist und hierbei zum tragischen Helden wird. Schnell erkennt er, dass er nur eine einzige Chance hat, nämlich indem er die Medien einschaltet. So wendet er sich in seiner Verzweiflung an eine engagierte und mutige Journalistin, die seiner Geschichte Glauben schenkt und ihn in ihrer Wohnung verstecken will. Doch auch bei Pirkko Jalava zu Hause ist Ratamo vor den Killern nicht sicher. Wohin er auch geht, überall sind seine Gegner ihm einen Schritt voraus, doch so schnell gibt Ratamo sich nicht geschlagen, denn der Gedanke an seine Tochter erhält ihn aufrecht.

Taavi Soininvaara schlägt ein Erzähltempo an, das durchaus Dan-Brown-Qualitäten hat: Seine Kapitel sind kurz, seine Sprache sind sonderlich aufwändig. Immer wieder zieht er das Tempo durch schnelle Szenenwechsel und das Auftauchen neuer Hinweise oder Figuren an, sodass „Finnisches Blut“ zu einem echten Pageturner wird. Allerdings lässt Soininvaara auch in diesem Krimi das Tempo zwischendurch etwas schleifen durch zu viel Lokalkolorit von Städten, die zumindest mir nicht bekannt sind, und auch durch politische Exkurse, die sich ohne Vorkenntnisse nur schwerlich nachvollziehen lassen.

Nichtsdestotrotz gefällt auch „Finnisches Blut“ ausgesprochen gut und erklärt dem Arto-Ratamo-Fan endlich, wie der ehemalige Forscher bei der SUPO landen konnte und wie alles begann. Soininvaara überzeugt wieder einmal durch seine gelungene Figurenzeichnung, die dafür sorgt, dass die Lesersympathien klar verteilt werden. Außerdem gelingt ihm erneut ein Spannungsbogen, der es in sich hat und ein Weglegen dieses Buches praktisch unmöglich macht.

|Taavi Soininvaara bei Buchwurm.info:|
[„Finnisches Requiem“ 1909
[„Finnisches Quartett“ 2988

Heiland, Henrike – Späte Rache (Verdeckte Ermittlungen 1)

_Von den Bergen an die See._

So geht es Dr. Anne Wahlberg in „Späte Rache“ von Henrike Heiland. Die Mittdreißigerin, die ihr Geld als Kriminalpsychologin verdient, erhält die Chance von München nach Rostock zu ziehen, um dort ein Forschungsprojekt zu unterstützen. Gleich nach ihrer Ankunft wird sie zu dem verzwicktesten Fall, den die Rostocker Kripo seit langem zu lösen hat, zu Rate gezogen.

Hauptkommissar Erik Kemper ist darüber nicht gerade erfreut und beteiligt Anne so gut wie gar nicht an dem Fall der Kindergärtnerin Lena Sommer, die ermordet und geschändet an der Neptunwerft aufgefunden wird. Die Polizei sitzt schon eine ganze Weile an dem Fall, aber sie hat bis jetzt noch keine einzige verwertbare Spur.

Erst Anne findet zusammen mit dem jungen Malte, der der Polizei als Unterstützung aus Schwerin zugeteilt wurde und bei den Kollegen nicht gerade beliebt ist, heraus, dass Lena Sommer ein Verhältnis mit dem ortsbekannten Mitglied einer rechten Partei hatte. Doch ob das mit dem Mordfall zusammenhängt?

Wenig später wird eine weitere Frau tot aufgefunden – an der gleichen Stelle wie Lena, doch sie wurde gekreuzigt. Es stellt sich heraus, dass die Tote Lenas Tante war und Anne ahnt, dass dies kein Zufall sein kann. Kemper ist allerdings nicht so begeistert von der Theorie einer Psychologin, die von der echten Polizeiarbeit so viel Ahnung hat wie ein Schwein vom Eierlegen …

Nun also Rostock in seiner ganzen Schönheit: Heiland erschließt neue Polizeireviere, doch leider muss an dieser Stelle gesagt werden, dass Lokalkolorit nicht nur aus dem Wissen von Straßennamen und Bars besteht. Die Autorin schafft es nicht, mehr von der Stadt zu transportieren, und es fehlt dem Buch auf weiten Strecken an einer ordentlichen Atmosphäre.

Die Autorin konzentriert sich sehr auf den Kriminalfall und lässt dabei besonders Dr. Anne Wahlberg in den Vordergrund treten, die neben der schwierigen Eingewöhnung und eigenen Problemen auch noch den Fall lösen möchte. Leider ist die Person der Anne, so wie die meisten anderen Charaktere, nicht ordentlich ausgearbeitet. Sie wird nur umrissen, und auch wenn Heiland versucht, ihr durch Gedanken und Gefühle Leben einzuhauchen, fehlt es der Kriminalpsychologin an Substanz. Sie wirkt ein wenig zu beliebig und austauschbar.
Das Gleiche gilt für die anderen Charaktere. Selbst der brummige Kemper wirkt halbseiden und kann seine nicht ganz unkomplizierte Persönlichkeit nicht richtig in der Geschichte entfalten.

Die Handlung ist an und für sich solide. Es fehlt oft an Spannung, weil es an echten Überraschungen mangelt, aber die Lösung des Falls wirkt authentisch. Es gibt keine übertriebenen Zufälle, aber auch sonst nichts, was über den typischen Kriminalroman hinausgeht. Sorgfältige Polizeiarbeit, ein paar Ermittlungen auf eigene Faust und die eine oder andere Reiberei mit einer feindlichen Partei – viel mehr hat „Späte Rache“ leider nicht zu bieten.

Der biedere Eindruck, den das Buch hinterlässt, hängt sicherlich auch mit dem neutralen Schreibstil zusammen. Es fällt schwer, selbigen zu beschreiben, denn er ist allzu beliebig. Auf der einen Seite gibt es keine schwerwiegenden Fehler, aber genauso wenig gibt es auffällige Besonderheiten in Heilands Schreibe.

Heilands erster Kriminalroman mit Wahlberg und Kemper glänzt also vor allem durch Durchschnittlichkeit. Es gibt kaum etwas, das sich nach dem Zuschlagen des Buches im Kopf festsetzt, und das ist schade. Die Spannungen zwischen der Kriminalpsychologin und dem Hauptkommissar hätten sicherlich noch einiges hergegeben.

http://www.bastei-luebbe.de

Harvey, John – Schrei nicht so laut

Manchmal kann einen die Vergangenheit einfach nicht loslassen.

So geht es auch Frank Elder, einem pensionierten Kriminalkommissar, der sich nach der Scheidung von seiner Frau und der Arbeit in ein kleines Cottage in Cornwall verkrochen hat. Ohne Fernseher und Telefon lebt er dort vor sich hin, immer wieder von Alpträumen gequält, die mit einem vierzehn Jahre alten Fall zusammenhängen.

Damals zogen zwei Jugendliche durchs Land und vergewaltigten und ermordeten mehrere junge Mädchen brutal. Alle Leichen der in dieser Zeit verschwundenen Mädchen wurden gefunden – bis auf eine. Susan Blacklock ist nach wie vor verschwunden, und das, obwohl Elder ihren Eltern damals versichert hatte, er würde sie finden.

Sein nicht eingelöstes Versprechen verfolgt ihn noch heute und erhält neue Brisanz, als Shane Donald, der damalige Mittäter von Alan McKernain, auf Bewährung freikommt. Nach Repressalien durch die Mitbewohner seines Bewährungsheims flüchtet Donald, und wenig später wird erneut ein junges Mädchen vermisst. Elder wird in die Ermittlungen eingebunden, weil er Donald schon einmal überführt hat, doch bald bekommt er Zweifel daran, ob er den Richtigen jagt. Und dann verschwindet auch noch seine Tochter …

„Schrei nicht so laut“ ist einer dieser Thrillern, die sich sehr stark auf die Persönlichkeit des im Mittelpunkt stehenden Ermittlers konzentrieren. Shane Donald und einige andere haben zwar auch eine Perspektive, aber die von Elder geht am tiefsten. Neben seinem Versagen in dem Jahre zurückliegenden Fall wird sehr ausführlich sein Verhältnis zu der sechzehnjährigen Tochter Katherine und seiner Exfrau besprochen. Besonders die misslungene Ehe durchzieht das Buch durchgehend, wird aber so dezent angesprochen, dass sie nicht stört.

Elder ist ein sympathischer Charakter von nebenan. Er hat keine hervorzuhebenden Charakterzüge, sondern ist ein ganz normaler Mensch. Harvey geht also auf Nummer Sicher, aber da er es schafft, Elder schön auszuloten und sehr lebendig darzustellen, stört das nicht besonders. Auch die anderen Charakter sind gut gestaltet. Jedem von ihnen haftet eine Spur Alltag an, aber gerade deshalb sind sie so authentisch.

Dass die Personen so gut gefallen, hängt sicherlich mit Harveys glücklichem Händchen für Beschreibungen zusammen. Mit wenigen, unauffälligen Worten und einem verschwindenden Einsatz von Metaphern schafft er es, reale Bilder im Kopf des Lesers entstehen zu lassen. Das fällt besonders am Anfang des Buches auf. Nach einem etwas langen, unspektakulären Vorspann, in dem Elders momentane Lebensumstände geschildert werden, blickt Harvey auf die Geschehnisse in der Vergangenheit zurück, die mit den Fällen der vermissten Mädchen zusammenhängen. Sehr knapp, aber intensiv und beeindruckend fasst er auf wenigen Seiten zusammen, was damals nicht nur passiert ist, sondern auch in den Köpfen der Beteiligten vorging.

Die eigentliche Thrillerhandlung dagegen ist ein wenig ernüchternd, manchmal sogar spannungsarm. Es bleibt zwar bis zum Ende offen, wer der Täter ist und was mit Susan Blacklock passierte, aber an einigen Stellen wird die Erzählung so zäh, dass selbst diese Tatsache nicht mehr viel für die Spannung tun kann. An anderen Stellen schreitet die Handlung dafür zu schnell voran und wird ein wenig unglaubwürdig. Allerdings geschieht das so leise, dass man es beinahe nicht bemerkt.

Ob der Titel des Buchs vielleicht auch darauf anspricht? In diesem Roman wird nicht laut geschrien, sondern leise erzählt, und das macht es so unglaublich angenehm. Die Personen sind sehr authentisch, der Schreibstil ein Fest und die Handlung, trotz einiger Kritikpunkte, von fließender, strukturierter Form. Allerdings ist das Buch manchmal vielleicht ein wenig zu sehr die graue Maus, denn etwas wirklich Neues lernen wir mit „Schrei nicht so laut“ nicht kennen.

http://www.dtv.de

Stephen Woodworth – Das Flüstern der Toten

Ein Serienkiller wütet unter den „Violetten“, die über die Fähigkeit verfügen, Kontakt mit den Seelen der Toten aufzunehmen. Ein psychisch angeschlagener FBI-Agent und eine der bedrohten Violetten nehmen seine Spur auf und geraten in ein mörderisches Intrigenspiel … – Genremix aus Phantastik und Krimi, der seine wenig originelle aber sauber entwickelte Handlung durch die sorgfältige Figurenzeichnung vertiefen und dem obskuren Plot bis auf ein recht plattes Ende Glaubwürdigkeit verleihen kann.
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Bonansinga, Jay – Hurricane (Twisted)

Hurricane Katrina, der schlimmste Wirbelsturm aller Zeiten, der im Sommer 2005 über New Orleans fegte, hat auch in der Literatur seine Spuren hinterlassen:

Der FBI-Profiler Ulysses Grove wird eines Abends von einem entfernten Bekannten, dem Uniprofessor Moses de Lourde, angerufen. Moses wohnt in New Orleans und gerade zieht der Hurrikan Cassandra über die Stadt und der Anruf entpuppt sich als Hilferuf. Doch das merkt Ulysses erst bei der Beerdigung, denn er erkennt, dass die Verletzungen, die Moses aufweist, nicht vom Sturm stammen können. Obwohl gerade nach einem sehr belastenden Fall beurlaubt, wittert er einen neuen Fall. Wenig später zieht ein Hurrikan über Florida hinweg – und hinterlässt nicht nur Verwüstung, sondern weitere Mordopfer, die im Auge des Sturms getötet wurden.

Ulysses glaubt, der Mörder will ihn ins Auge locken und er folgt dem Ruf. Doch er ist nicht alleine, denn die Journalistin Maura, mit der Ulysses ein zartes Band der Liebe verbindet, befindet sich auch auf der Jagd nach dem Mörder – und befindet sich, ohne es zu wissen, direkt bei ihm …

Jay Bonansingas Thriller „Hurricane (Twisted)“ ist ein eher unkonventionelles Buch. Schon das Motiv der Handlung – ein psychisch Kranker mordet ausschließlich im Auge des Hurrikans und sein Problem hängt mit dem Hurrikan selbst zusammen – ist eher ungewöhnlich, man möchte sogar sagen: irreal. Nun ja, der Glaube an Geister und Ähnliches, der an manchen Stellen des Buches an die Oberfläche dringt, ist sicherlich nicht gerade sehr authentisch, aber Bonansinga hat dafür eine Erklärung parat. Protagonist Ulysses, dessen Mutter aus Kenia stammt, glaubt selbst ein wenig an Geister, und dank der Einbettung in afrikanische Folklore driftet das Buch nicht in gefährliche Gewässer ab.

Im Gegenteil macht Bonansingas Roman sogar richtig Spaß. Ulysses selbst haftet zwar ein wenig Staub des typisch amerikanischen Protagonisten an – mit seiner glatten Art, dem Erfolg und der Liebe, die er nicht auf die Reihe kriegt -, aber die Handlung ist wirklich sehr gelungen. Wir finden keine übertriebene Action, sondern reale Szenen und eine unaufdringliche, aber spannende Handlung. Sie lässt den Leser lange im Dunkeln tappen, wer denn nun der Mörder ist, der sich in seiner Perspektive als „Heiliger Geist“ bezeichnet.

Die Handlung kann sich also sehen lassen, die Charaktere sitzen allerdings an einigen Stellen den üblichen Stereotypen auf. Ulysses, der geschniegelte FBI-Profiler mit Außenseiterstatus, Maura, die tapfere Journalistin mit Herz, der raubeinige Kaminsky, der Ulysses begleitet, und schlussendlich der Heilige Geist. Selbiger ist bei genauerer Betrachtung ähnlich gestört wie die meisten Mörder in amerikanischen Thrillern, was schade ist. Wäre Bonansinga hier ein wenig weiter gegangen, hätte aus „Hurricane (Twisted)“ ein herausragendes Buch werden können – auch ohne einen wirklich glänzenden Schreibstil.

Der Schreibstil ist nämlich ebenfalls ein wenig zu glatt und in dieser Form schon oft dagewesen. Zwar gelingt es Bonansinga an einigen Stellen, dank seiner distanzierten Schreibe den inneren Konflikt von Ulysses gut darzustellen, aber insgesamt mangelt es etwas an Beweglichkeit. Zu gleichförmig und barrierefrei tröpfelt das Buch dahin und büßt dabei an einigen Stellen an Spannung ein.

Insgesamt lässt sich „Hurricane (Twisted)“ aber gut lesen. Handlung, Schreibstil und Protagonisten sind gelungen und haben nur aufgrund einiger kleiner Kritikpunkte den Sprung in die Thrilleroberliga verpasst.

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Forbes, Colin – Target 5

Mitten in der Nacht und auf offener Strecke holt ihn das FBI aus dem Zug, der ihn in die verdienten Ferien tragen sollte: Keith Beaumont, britischer Abenteurer und Arktis-Experte, der schon mehrfach für den US-Geheimdienst tätig geworden ist, muss zurück nach Grönland, das er gerade erst verlassen hat, um einen ungewöhnlichen Auftrag zu übernehmen.

Wir schreiben das Jahr 1972. Der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion ist auf seinem Höhepunkt. Sogar in der Arktis belauern sich die beiden Supermächte. Die Machthaber beider Seiten plagt die Angst, der Gegner könne über das Dach der Welt eine Invasion starten. Deshalb unterhält man Militärstützpunkte und noch weiter im Norden kleine „Forschungsstationen“.

Eine seltene Laune des aktuellen Polarwinters bringt es mit sich, dass sich zwei riesige Eisinseln vor der Ostküste von Grönland einander auf vierzig Kilometer genähert haben. „Nordpol 17“ trägt eine Station der Sowjets, während die Amerikaner ihrer schwimmenden Insel den Namen „Target 5“ gegeben haben.

Auf „Nordpol 17“ nutzt ein Mann die Gunst der Stunde: Michael Gorow, Meereskundler von Weltrang, hat genug von der Diktatur in seinem Heimatland. Er signalisiert den Amerikanern seine Bereitschaft überzulaufen. In Washington ist man entzückt, denn Gorow war es, unter dessen Leitung gerade das neue Unterwasser-Ortungssystem der UdSSR auf dem arktischen Meeresboden verlegt wurde. Freilich behalten Militär und Geheimdienst den Wissenschaftler in der Sowjetunion aus diesem Grund besonders sorgfältig im Auge.

Doch nun hält sich Gorow zu Forschungszwecken auf „Nordpol 17“ auf. Nur hier kann er sich absetzen, doch allein wird er den Marsch über das vereiste Nordmeer gen „Target 5“ nicht schaffen. Deshalb sollen ihn Keith Beaumont und seine beiden alten Freunde und Mitstreiter Sam Grayson und Horst Langer in Empfang nehmen und in Sicherheit bringen.

Bevor das Unternehmen begonnen hat, wissen die Russen schon Bescheid. Sie haben einen Maulwurf im amerikanischen Sicherheitssystem platziert, der Beaumont in der US-Militärbasis Thule auf Grönland in Empfang nimmt. Zwar kann der Brite ihn entlarven und ausschalten, aber das Unglück ist schon geschehen: Der Agent konnte noch seinen Chef benachrichtigen, den gefürchteten Oberst Igor Papanin, Leiter der Sicherheitsbehörde für besondere Aufgaben für den arktischen Militärbereich der UdSSR. Der hochintelligente Mann setzt sofort alle verfügbaren Kräfte gen „Nordpol 17“ in Marsch – und sollte ihnen Gorow entkommen, werden sie nicht zögern, sich „Target 5“ zuzuwenden. Als dieses Szenario tatsächlich real wird, beginnt in der Eiswüste ein erbitterter Wettlauf. Beide Seiten unterschätzen freilich sträflich ihren eigentlichen Gegner: den Polarwinter, der schon bald erbarmungslos die ersten Opfer fordert …

Romane wie dieser sind es, die dem Leser bewusst machen, welcher Verlust das Ende der Sowjetunion für die Unterhaltungsliteratur bedeutet hat. Wir haben ihn noch längst nicht verwunden; idealere Bösewichte hat es seither nicht mehr gegeben: kein wirrer & wechselhafter Flickenteppich diktatorisch-mafiöser regierter Einzelstaaten, sondern ein homogenes „Reich des Bösen“, wie Ronald Reagan es einst so lyrisch nannte, bevölkert von finsteren, bis an die Zähne bewaffneten Kommunistenteufeln, die nur auf ihre Gelegenheit lauerten, über ihr positives Gegenstück & die wahren Verfechter der Freiheit auf diesem Planeten – die Vereinigten Staaten von Amerika (sowie ihre westlichen Verbündeten = Handlanger) herzufallen. Die ganze Welt kann als Schachbrett für „das Spiel“ dienen – das unauffällige, deshalb aber nicht weniger verbissene Ringen um die Vorherrschaft auf diesem Planeten, ausgetragen von den Geheimdiensten der Supermächte, da ein offener Schlagabtausch angesichts des auf beiden Seiten angehäuften Atomwaffen-Arsenals reiner Wahnsinn gewesen wäre.

Das ist der Stoff, aus dem mehr als vier Jahrzehnte lang die (Alb-)Träume waren. Weil der Mensch sich den Dingen, die er fürchtet, gern spielerisch nähert (das „Godzilla-Syndrom“), gibt es eine unendliche Zahl von Filmen und Büchern, die vor dem Hintergrund des Kalten Krieges spielen. Einige Autoren verdanken ihren Weltruf sogar dem geschickten Spiel mit der Angst vor den „Roten“ und ihren Tücken; John le Carré ist vielleicht der bekannteste unter ihnen.

Colin Forbes erreicht ganz gewiss nicht le Carrés Klasse. Er begann seine Karriere in den 60er Jahren mit einer Reihe von Romanen, die allerlei Abenteuer wackerer britischer Soldatenhelden während des II. Weltkriegs beschrieben. Dies waren im Grunde reine Wild-West-Geschichten, in denen die Nazis die Rolle der bösen Indianer übernahmen. Allerdings lesen sich diese knalligen Reißer durchaus spannend; nicht umsonst sind sie seit Jahrzehnten sogar in Deutschland immer wieder nachgedruckt worden und haben eindrucksvolle Auflagenzahlen erreicht. („Gehetzt“, „Die Höhen von Zervus“ und „Das Double“, eine wüste Räuberpistole um einen durch einen Doppelgänger ersetzten Adolf Hitler, sind alle im |Heyne|-Verlag erschienen.)

Daneben widmete sich der fleißige Forbes natürlich auch dem Agententhriller. Die Sowjets erwiesen sich als ebenso dankbare Schurken wie die Nazis. Oberst Papanin, der in „Target 5“ auf russischer Seite die Fäden in der Hand hält, ist der roboterhafte Apparatschik par excellence. In Russland ist es immer kalt und dunkel, die Menschen schleichen graugesichtig und geduckt daher, immer gewärtig, von der Polizei oder dem Geheimdienst auf offener Straße verhaftet und verschleppt zu werden, damit man sie foltern und ihnen „Landesverrat“ vorwerfen kann. Aber Russen sind auch schlau, und dies manifestierte sich für den Durchschnittswestler der 1960er und 70er in der schwer verständlichen, ärgerlichen Tatsache, dass sie stets die Schachweltmeisterschaft für sich entschieden. Natürlich konnte ihnen das nur gelingen, weil sie – anders als die braven und vom wahren Sportsgeist beseelten Amerikaner – das Schachspiel nur als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln begriffen. Folglich schleppt sogar der grimmige Papanin stets ein Schachspiel mit sich herum, auf dem er in den weniger freien Minuten, die der Große Bruder im Kreml ihm gewährt, die nächsten Züge gegen den Klassenfeind einübt. Auch die Verräterhatz im Eis betrachtet Papanin als Spiel, das er unter allen Umständen zu gewinnen trachtet.

Den diabolischen Sowjets stemmen sich reinen Herzens die Verteidiger des Westens entgegen. General Dawes lockt Keith Beaumont zwar mit einem faulen Trick in die Arktis, aber er muss halt so handeln, weil es doch im Dienst einer guten Sache ist. Und weil er im Herzen ein wahrer Patriot und Dawes zwar ein harter Brocken, aber eigentlich ein patenter Kerl ist, lacht der brave Keith bald wieder anerkennend über seinen schlauen Chef und lässt Gedanken an Manipulation und Machtmissbrauch gar nicht erst aufkommen. Immerhin verlässt er sich doch auf ihn – und dabei ist er nicht einmal Amerikaner! Ganz verleugnen mochte Colin Forbes also seine Herkunft – und sein treues britisches Publikum nicht. Ohnehin spielt Beaumonts Nationalität für die Handlung überhaupt keine Rolle.

Von der holzschnittartigen Weltsicht einmal abgesehen, funktioniert „Target 5“ als Abenteuerroman ausgezeichnet. Die „Realität“ des Jahres 1972 weckt heute nicht nur nostalgische Gefühle, sondern lässt „Target 5“ ebenso irreal wirken wie die leicht Science-Fiction-lastigen Film-Agententhriller dieser Zeit. Darüber hinaus fesselt Forbes Roman durch die grandiose arktische Kulisse. Der Kampf des Menschen gegen das ewige Eis stellt sich heute kaum anders dar als 1972. Diese Passagen sind quasi zeitlos, und weil Forbes sein Handwerk versteht, sind sie auch heute noch spannend zu lesen.

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Nick Rennison – Sherlock Holmes. Die unautorisierte Biographie

Inhalt:

Die Biografie des Kriminalisten William Sherlock Holmes (1854-1929) lässt Licht in viele dunkle Winkel eines außergewöhnlichen Lebens fallen. Aus meist zufälligen Äußerungen, zeitgenössischen Quellen und allerdings gut begründeten Spekulationen resultieren vor allem die Angaben zur Geschichte der Familie Holmes (Kapitel 1: „Meine Vorfahren waren Landjunker“), in die nicht nur Sherlock, sondern auch der kaum weniger berühmte Mycroft 1854 bzw. 1847 geboren wurden.

Die schwierigen Jugendjahre des Sherlock Holmes, dessen Genie mit einer gleichzeitigen Ablehnung der rigiden viktorianischen Gesellschaftsordnung einherging, ließen ihn nur schwer seinen Platz in der Welt finden. Dem gescheiterten Studium und einem Intermezzo am Theater folgte der Umzug nach London, wo Holmes viele saure Jahre darauf verwenden musste, sich als „beratender Ermittler“ zu etablieren (Kap. 2: „Diese ungastliche Stadt“). Hier lernte er 1880 den ehemaligen Militärarzt John H. Watson kennen, der nicht nur – mit Einschränkungen – zu seinem Biografen, sondern auch zu seinem besten Freund wurde (Kap. 3: „Sie sind in Afghanistan gewesen, wie ich sehe“).

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Keller, Titus – Aussortiert

Wer ist Titus Keller? Eine berechtigte Frage. Immerhin brüstet sich der |Eichborn-Verlag| damit, dass hinter diesem Pseudonym ein bekannter deutscher Schriftsteller steckt. Nur wer? Das ist hier die Frage – oder auch nicht. Denn eigentlich geht es um Kellers Debüt „Aussortiert“.

„Aussortiert“ werden in diesem Krimi Leute, deren Lebenswandel dem Mörder nicht zu passen scheinen. Ein Klempner in einem Pornokino, ein Freier, während eine Prostituierte ihn gerade oral befriedigt, ein Drogendealer. Und bei allen hinterlässt er ein Kärtchen mit einer passenden Aufschrift wie „Zu unsauber für Gott. Aussortiert. Hallelujah.“

Der schrullige Kommissar Nabel und seine gut aussehende Kollegin Lidia Rauch sind nicht die Einzigen, die in dem Fall ermitteln. Auch der Reporter Jimmy Kistner (Nabel nennt seinen Arbeitsplatz auch abschätzig die Schweinezeitung) hat seine Nase in dem Fall und wird prompt ebenfalls ermordet. Als Nabel Kistners Wohnung untersucht, findet er eine Liste mit prominenten Namen, denn anscheinend hat der Journalist die erlesenen Kreise mit Kokain versorgt. Nur die erlesenen Kreise? Lidia Rauchs Name steht auch auf dem Zettel …

Vorweg: Wen interessiert schon, wer sich hinter Titus Keller verbirgt, wenn dessen Name von diesem fabelhaften Büchlein in den Schatten gestellt wird?

Kommissar Nabel gehört sicherlich zu den unterhaltsamsten Charakteren der letzten Zeit. Er ist nicht so heruntergekommen wie die Ermittler der skandinavischen Depression, aber nahe dran, doch er trägt das Ganze mit einer ordentlichen Portion bissigem Humor. Sarkastisch und gänzlich unchristlich kommentiert er seine Ermittlungen, und die Dialoge, die sich mit Kollegin Lidia (in die er heimlich verliebt ist – auf seine schrullige Art und Weise) ergeben, sind einfach nur köstlich.

Die anderen Charaktere sind ebenfalls sehr gelungen, besonders weil sie weit davon entfernt sind, politisch korrekt zu sein. Die Mitarbeiter der Berliner Polizei scheinen alle ihr kleines Geheimnis zu haben, und Keller lässt es sich nicht nehmen, seinen Protagonisten und ihrem Humor dezente Kritik an den Umständen in den Mund zu legen. Im Waschzettel des Verlags nennt sich das so schön „Parallelgesellschaften“, also Türkengangs, Dealergeschäfte, der Straßenstrich – Keller umreißt Berlin unterhaltsam als Stadt, die mehr Sumpf als Kultur ist, ohne dabei zu sehr ins Fabulieren zu geraten.

Die Handlung ist überhaupt eine sehr angenehme Angelegenheit. Sie ist sicherlich nicht die spannendste vor dem Herrn, aber logisch aufgebaut, mit überraschenden Wendungen, vielen Verdächtigen und einer klaren Spannungskurve. Da der Schreibstil und die Charaktere der Handlung jedoch sowieso die Schau stehlen, ist sie zweitrangig – und bietet trotzdem ein gutes Gerüst für den Roman. Was sie nämlich vor allem interessant macht, ist weniger die Suche nach dem Täter als die bereits erwähnte Beschreibung der verschiedenen Welten Berlins, in denen sich der Roman bewegt. Sie alle stellt Keller lebendig und authentisch dar, mit einem guten Auge für kleine, aber unterhaltsame Details.

Diese manifestieren sich vor allem im Schreibstil, der den Zuckerguss auf „Aussortiert“ darstellt. Einfach und schnörkellos erzählt Keller, immer auf der Suche nach dem humorvollen Kick. Er benutzt Metaphern, setzt gehobene Wörter ein, um die Lachmuskeln zu animieren, und überlässt es vor allem seinem zynischen, erdigen Humor, den Leser einzunehmen.

Wer ist Titus Keller? Ein Name, den man auf jeden Fall in Erinnerung behalten sollte, denn mit „Aussortiert“ hat er einen selten unterhaltsamen Roman geschrieben. Nabel gehört zu den originellsten Charakteren in Krimideutschland, die ich bis jetzt gelesen habe, und der Schreibstil geht sowohl in die Tiefe als auch in die Breite und gefällt mit seiner Schlagfertigkeit. Mehr davon!

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Katzenbach, John – Opfer, Das

Nachdem John Katzenbach sich im letzten Jahr mit seinen beiden Thrillern [„Die Anstalt“ 2688 und „Der Patient“ einen Namen gemacht hat, ist er nun mit einem neuen Werk am Start: „Das Opfer“. Wieder ein Psychothriller, nur kommt diesmal kein Psychiater drin vor, wie in den beiden Vorgängerwerken. „Das Opfer“ bedient sich einer Thematik, die schon durch ihren aktuellen Bezug besticht: Stalking.

Der Geschichtsprofessor Scott Freeman findet im Zimmer seiner Tochter Ashley einen Brief, der böse Vorahnungen weckt. |“Keiner könnte dich jemals so lieben wie ich, weder heute noch irgendwann. Wir werden für immer zusammen sein – so oder so.“| – so lauten die Zeilen eines unbekannten Verehrers.

Wie richtig er mit seiner Vorahnung liegt, kann er noch nicht wissen. Auch die Kunstgeschichtsstudentin Ashley ahnt davon noch nichts. Angeheitert und aus einer spontanen Laune heraus, hat sie sich ganz gegen ihre Art auf einen One-Night-Stand eingelassen – mit dem Computerfreak und gerissenen Kleinkriminellen Michael O’Connell. Und genau der lässt sie anschließend nicht mehr in Ruhe.

Was zunächst einfach nur lästig ist, beginnt mit der Zeit, Ashley Angst zu machen. Verwelkte Blumen vor ihrer Tür, massenhafte E-Mails und das ständige Gefühl, verfolgt zu werden, machen ihr schon bald Sorgen. Als Ashley die Sache zu unheimlich wird, vertraut sie sich ihrer Familie an. Vater Scott und Mutter Sally, die Rechtsanwältin ist, suchen nach einem Ausweg, doch was sie auch versuchen, es scheint Michael nur noch mehr anzustacheln.

Michaels Nachstellungen arten in reinen Psychoterror aus und gnadenlos räumt er jedes Hindernis aus dem Weg, das ihm den Zugang zu Ashley versperrt. Schon bald droht die ganze Sache zu eskalieren und die Familie Freeman in ihrem dunklen Sog zu verschlingen – ein Katz-und-Maus-Spiel auf Leben und Tod …

Stalking ist ein durchaus brisantes Thema, das sich hervorragend als Stoff für einen Psychothriller eignet. Der Verfolger, der sich nicht abschütteln lässt und aus obsessiver Liebe heraus seinem Opfer den Alltag zur Hölle macht – das verspricht Spannung und Schauder zugleich. Vor allem ist ein Thriller um das Thema Stalking auch ein Lehrstück, das zeigt, wie verwundbar der Mensch ist, wie leicht ein Leben zur Qual werden kann, wenn sich jemand darin einmischt und wie wenig es braucht, damit Liebesbeteuerungen zu Psychoterror werden.

Dabei ist der Psychoterror selbst oftmals ein ganz subtiler. Und genau darum tun sich Gesetzgeber und Justiz so schwer damit, Stalking als das Verbrechen anzuerkennen, das es ist. Auch Ashley sieht sich mit dieser Problematik konfrontiert. Die Bedrohung durch einen Stalker ist (solange er keine nennenswerten Gesetzesüberschreitungen begeht) eine eher diffuse. Drohungen werden kaum konkret ausgesprochen, aber sie liegen dennoch auf der Hand, wenn auch in chiffrierter Form.

All diese Erfahrungen macht auch Ashley, wobei sie das Pech hat, obendrein an einen äußerst gerissenen und gefährlichen Psychopathen geraten zu sein. Michael ist intelligent und geduldig genug, um in Ashleys Leben jede Menge Schaden anzurichten, und er ist clever genug, um das Ganze so geschickt einzufädeln, dass seine Schandtaten kaum auf ihn zurückzuführen sind.

Ashleys Familie neigt zunächst dazu, die Gefahr, die von Michael ausgeht, zu unterschätzen. Lange Zeit sehen sie nicht, wie gefährlich die Lage für sie ist, und als sie es erkennen, ist es fast schon zu spät. Michael ist ein mächtiger Gegner, und zu beobachten, wie er seine Schachzüge vorbereitet und ausführt, sorgt schon für sich genommen für reichlich Spannung.

Katzenbach geht den Roman von Anfang an spannend an. Ständige Perspektivenwechsel zwischen den Protagonisten, eine Erzählweise, die versetzt über zwei Zeitebenen immer auch schon einen kleinen Blick in die Zukunft wirft und dabei dezente Andeutungen bevorstehender Ereignisse im gegenwärtigen Erzählstrang einstreut – Katzenbachs Rezeptur zur Romankomposition ist ausgeklügelt und wohlakzentuiert. Der Plot folgt einem stetig aufstrebenden Spannungsbogen, in dem auch Gedanken und Gefühle der unterschiedlichen Figuren nie zu kurz kommen.

Über weite Strecken entwickelt sich der Roman äußerst vielversprechend. Katzenbach erzählt zwar gerne ausführlich, aber die Spannung kommt in der Regel dennoch nicht zu kurz. Die Ausführlichkeit hat auch den Vorteil, dass man sich zunehmend gut in die Romanfiguren einfühlen kann.

Die Auflösung der Geschichte hat es obendrein ziemlich in sich. Katzenbach schlägt eine Richtung ein, die alles verändert und dafür sorgt, dass der Roman sich in seiner Grundstimmung vollkommen wandelt. Bereits im vorderen Teil der Handlung lässt Katzenbach auch immer wieder moralische Fragen durchschimmern, insbesondere wenn es um den Schutz von Stalkingopfern und die Verfolgung der Täter geht.

Die moralischen Zwischentöne werden zum Ende hin zunehmend lauter, und darunter leidet dann leider auch ein wenig die Spannung. Die Figuren müssen sich neu positionieren, vieles erscheint plötzlich in einem anderen Licht, und diese Umorientierung dauert ihre Zeit, so dass der ansonsten bis zu diesem Punkt so straffe, aufstrebende Spannungsbogen ein wenig an Fahrt verliert.

Am Ende bleibt ein Haufen Fragen. Die einen muss sich der Leser selbst stellen – in Bezug auf die moralischen Konsequenzen der Geschichte – und die anderen stellen sich in Form letzter nagender Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Handlungsweisen der Protagonisten. Letzteres offenbart eine Schwäche, die auch schon bei [„Der Patient“ 2994 am Ende ein wenig den Lesegenuss getrübt hat. So läuft ein eigentlich sehr gut begonnener Psychothriller am Ende in eine etwas merkwürdige Richtung und verliert etwas dabei an Fahrt, wenngleich nicht an Schärfe und Brisanz.

Unterm Strich also ein solider Thriller, der dem Leser viel Spannung beschert und eine ebenso packende wie aktuelle Geschichte abhandelt. Katzenbach kann so seinen Ruf als Autor spannender Thriller auf jeden Fall festigen, wenngleich er auch hier wieder zum Ende hin ein wenig schwächelt. Trotzdem, ein „Page-Turner“ ist ihm auch mit „Das Opfer“ über weite Strecken wieder einmal gelungen.

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Birgit Erwin – Neun Leben

Die junge Catherine strotzt vor Unternehmungsgeist und Selbstsicherheit und sieht toll aus. Sie ist ein Profi als Privatdetektivin und Tochter einer reichen, adligen Familie in Nordengland. An ihrem Geburtstag besucht sie das Anwesen ihrer Eltern, und für ihren bodenständigen Freund Michael zeigt sich die Gesellschaft so intellektuell und spröde wie im Mittelalter. Der Haussegen hängt schief, Catherines Zwillingsbruder ist nicht gekommen und die alten Geschichten über ihren Berufsweg werden ausgegraben. Catherine und Michael verschwinden so bald wie möglich.

Ein anonymes Schreiben ruft sie an einen sehr persönlichen Ort der Freundschaft zwischen ihrem Zwillingsbruder und ihr, den sonst niemand kennt. Catherine und Michael besuchen ihn in der Nacht, in der Hoffnung auf ein heimliches Treffen mit dem Bruder. Sie finden ihn auch, ermordet.

Die Beziehungen, die Catherine über ihre Familie nutzt, führen dazu, dass ein Freund und Verehrer aus der schottischen Polizei (der Mord geschah knapp in Schottland) den Fall übernimmt. Catherine selbst stürzt sich auf ihren aktuellen Auftrag, der sich mit einer Sekte beschäftigt. Sie hat den Tod ihres Bruders noch nicht verarbeitet und grübelt über ihre Beziehung und setzt alle neuen Erlebnisse mit ihm in Verbindung.

Catherine wird im Zuge ihrer Ermittlungen plötzlich gehäuft in Unfälle verwickelt, aus denen sie immer wie durch ein Wunder nur leicht verletzt hervorgeht. Ihr Arzt wird misstrauisch und befürchtet Verbindungen zu ihrer Arbeit, aber sie glaubt nicht an Mordversuche. Erst ihre Ermittlungen bei der Sekte bewirken eine schleichende Veränderung.

Und während ihr Fall immer mehr unerwartete Verbindungen mit ihrem Bruder bekommt, sie selbst mit den Ansichten der Sekte konfrontiert wird und die Polizei in ihrer Ermittlung nicht vorankommt, macht sich ihr Freund Michael Sorgen und ermittelt auf eigene Faust und auf seine Art als Journalist. Er kommt der Wahrheit auf die Spur und sieht seine Freundin sich immer tiefer verstricken, immer weiter zurückziehen und immer stärker entfremden. Er bekommt ernsthaft Angst, sie zu verlieren.

Wie schon in ihrem Erstling »Lichtscheu« greift Birgit Erwin auf ein verbreitetes unerklärliches Phänomen und einen Glauben zurück, um ihrer Geschichte die phantastische Note zu verleihen. Waren es dort Vampire, sind es hier die ägyptischen Mythen, aus denen Erwin ein Detail aufgegriffen hat. Die Göttin Isis, Schwester des Obergottes Osiris und gleichzeitig seine Frau und Liebesgefährtin, steht als Pate für die Sekte, in deren Fänge es Catherine treibt. Diese Sekte besteht aus sogenannten Kriegern und Kriegerinnen der Isis, die weiterhin ihre Ziele verfolgen und in ihrem Sinne kämpfen. Sie sollen nach dem Glauben der Sekte neun Leben besitzen, um ihren gefährlichen Aufgaben gerecht werden zu können. In einer recht schnellen Wandlung gelangt Catherine von ihrer spöttisch-herablassenden Art, die sie vor allem ihrer sterndeutenden Mutter gegenüber hervorkehrt, zu der Überzeugung, selbst eine Kriegerin mit neun Leben zu sein. Mit diesem Glauben erscheinen die vielen Unfälle in ihrem Leben in einem ganz neuen Licht: Überlebte sie nur aufgrund ihrer Eigenschaften? Überlebte sie also gar nicht, sondern verlor lediglich ein Leben?

Man könnte die Wandlung in ihrer Schnelligkeit kritisieren. Erwin hat geschickt den Tod des Bruders als Erklärungsansatz für Catherines Labilität geliefert, andere Agonisten spekulieren im Laufe der Geschichte, dass sie gar nicht so selbstsicher sei, sondern durch ihre Entwicklung und selbst durch die Beziehung zu ihrem Bruder in ihrer Psyche geschwächt sei.

Michael hat ebenfalls seine Probleme. Er ist sich weder seiner Liebe zu Catherine noch ihrer Liebe zu sich sicher. Wenn er auch nicht als Alkoholiker bezeichnet wird, kommt man doch nicht umhin zu sehen, dass er seine Probleme in Bier ertränkt. So wie der zur Flasche greift, ist das jedenfalls nicht völlig normal. Das gemeinsame Leben der beiden zeugt bis zu dieser Situation auch nicht gerade von Harmonie. Und in dieser »heißen Phase« kommunizieren sie über gekritzelte Notizen und leben aneinander vorbei, statt die Probleme miteinander anzugehen. Seine Neigung zum Alkohol lässt auch ihn nicht gerade als Sympathieträger auftreten.

Erwins Stil ist persönlich und modern, trifft damit sicher den Geschmack vieler Leser und stößt andere vielleicht ab. Flüche, wie sie sonst oft vermieden oder dezent eingesetzt werden (zum Beispiel »Scheiße«) kommen in naturalistischer Häufung vor, und wahrscheinlich wird im normalen Leben noch mehr geflucht und geschimpft. Spannend und unterhaltsam ist die Geschichte auf jeden Fall, flüssig zu lesen, weitgehend glaubwürdig. Vor allem in die Überlegungen von Catherine kann man sich hineinversetzen, man kann sogar den Schwenk in die Übernatürlichkeit mit vollziehen. Nochmal bedacht, ergibt er sich aus der Angst und dem großen Verlust, den Catherine erfahren und der ihrem Leben eine gleichmäßige Stütze genommen hat. In dieser Phase erkennt sie ihren Lebensgefährten nicht als Hilfe.

So steuert der Roman einem beinahe klassischen Finale entgegen, wobei man sich über weite Strecken fragen könnte, wohin der Weg führt. Lange bleibt der Sinn des Titels verborgen, so dass er sogar aus dem Bewusstsein verschwindet. Schließlich wird alles mit einem Schlag deutlich und das Ende ist absehbar, aber in seiner Dramatik doch überraschend.

Gerade der Epilog befriedigt die Spannung, die sich über den Roman aufbaut und in unerwarteter Tragik entlädt. Er kann aber nicht verschleiern, dass die Geschichte lange ohne Ziel verläuft und so nur die Hoffnung auf ein gutes Ende bleibt.

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Donzowa, Darja – Spiele niemals mit dem Tod

Das Leben als Schriftsteller muss wunderbar sein. Ruhig und friedlich, den ganzen Tag nur am Schreibtisch sitzen und schreiben. Die Russin Darja Donzowa ist da allerdings anderer Ansicht.

Die vierzigjährige, aufgeweckte Tanja ist gerade als Haushälterin im Haus des berühmten Krimi-Autors Kondrat Rasumow und seiner jüngeren, schönen Frau eingestellt worden, als der Autor bei dem allabendlichen Kriegsspiel mit seinem vierjährigen Sohn plötzlich zusammenbricht – tot, wie sich herausstellt. Erschossen mit einer Waffe, die jemandem dem spielzeugwaffenvernarrten Wanja in die Hand gedrückt hat. Es ist ganz klar, dass der Vierjährige seinen Vater nicht mit Absicht ermordet hat, aber wer hatte dem Jungen die scharfe Waffe zugesteckt?

Für die Miliz ist der Fall klar. Es war Lena, denn Rasumow war ein ziemlicher Schürzenjäger und sie nicht sonderlich glücklich darüber. Die Einzige, die an Lenas Unschuld zu glauben scheint, ist Tanja, und die macht sich jetzt auf die Suche nach dem wahren Täter. Anhaltspunkte findet sie im letzten, noch unveröffentlichten Werk von Rasumow, in dem er über einige Menschen aus seinem Leben herzieht. Tanja beschließt, diese Leute aufzusuchen und sie darüber auszufragen, wie sie zu dem Schriftsteller standen, doch irgendwie scheinen all diese potenziellen Zeugen ums Leben zu kommen …

Einer der großen Boni von „Spiele niemals mit dem Tod“ ist die unglaublich sympathische Hauptperson Tanja, die mit ihrer resoluten Art den Haushalt des Schriftstellers auch nach seinem Tod zusammenhält. Gleichzeitig kümmert sie sich aber auch noch mit einer großen Portion Herz um die Tochter und auch um den Nachbarn Andrej, ein ehemaliger Gangster, der ihr während ihren Ermittlungen zur Seite steht.

Tanja weiß genau, wie sie an die Zeugen herankommt, und sie ist sehr geschickt, wenn es darum geht, Lügen zu erfinden, um die Leute zu treffen. Trotzdem schafft Donzowa es, Tanjas heimliche Ermittlungsarbeiten sehr authentisch wirken zu lassen, da sie nicht auf Superheldenkräfte setzt, sondern in so kleinen, nachvollziehbaren Schritten vorgeht, dass es tatsächlich real wirkt. Dabei ist ja gerade die Frage nach der Realität diejenige, die man sich in Büchern, bei denen der Normalbürger ermittelt, gerne stellt.

Donzowa meistert diese Hürde unglaublich gut und schafft es dabei auch noch, eine Menge Spannung aufzubauen. In Tanjas Leben tauchen plötzlich so viele fremde Menschen auf, dass weder sie noch der Leser wissen, wem sie jetzt eigentlich vertrauen können. Die Autorin schafft es dadurch, einige falsche Spuren auszulegen und Tanja immer tiefer in einen Sumpf geraten zu lassen, bei dem man nicht immer zwischen aufrichtigem, aber illegalem Angebot und Bosheit unterscheiden kann.

Wer ist der Mörder des Schriftstellers? Lange wird diese Frage noch nicht mal ansatzweise beantwortet, aber schlussendlich, nach vielen Wendungen und Überraschungen kommt die Wahrheit ans Licht – und ist vielleicht das Überraschendste am ganzen Buch.

Neben Tanja als Hauptperson, die aus der Ich-Perspektive erzählt, ist aber vor allem Donzowas Schreibstil bezeichnend für „Spiele niemals mit dem Tod“. Nicht umsonst wird sie auf dem Buchrücken als „Die große Satirikerin unter den Krimi-Frauen“ (|Literaturen|) bezeichnet. Gewitzt und nicht unkritisch lässt sie Tanja das Leben in Moskau beschreiben. Dabei schafft sie es auf der einen Seite, sehr liebevoll und sauber zu schreiben, so dass sich ein flüssig zu lesendes Ganzes ergibt, und auf der anderen Seite unterhält sie den Leser mit ihren kleinen Witzchen, Bemerkungen, Anspielungen, die manchmal beinahe sarkastisch klingen. Der Roman ist also in einem frischen, flüssigen, manchmal zum Lachen animierenden Stil geschrieben ist, den man sofort ins Herz schließt.

Genau wie das ganze Buch. „Spiele niemals mit dem Tod“ hebt sich schon deshalb von anderen Kriminalromanen ab, weil im Mittelpunkt eine Frau aus dem gewöhnlichen Volk steht, die gelernte Harfenistin ist, aber als Haushälterin arbeitet und dabei in eine Sache schlittert, die eigentlich eine Nummer zu groß für sie ist. Eine sympathische Protagonistin, ein Fall mit Winkeln und Ecken und ein unterhaltsamer Schreibstil – diese Zutaten sorgen dafür, dass „Spiele niemals mit dem Tod“ ein richtig gutes Buch ist!

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Clark, Robert – Verbrechen des Mr. White, Das

Herbert White gehört zu jenen unauffälligen Zeitgenossen, die ihr gesamtes Leben am Rande der Gesellschaft verbringen und dort von ihren Mitmenschen kaum zur Kenntnis genommen werden. Dabei ist es nicht einfach, ihn zu übersehen, ist er doch auffällig groß und kräftig und trotz seiner Jugend mit einer spiegelblanken Glatze geschlagen. Mit ruhiger Regelmäßigkeit geht er seinem farblosen Angestelltenjob nach und verbringt die Feierabende und Wochenende daheim. Dort schneidet er Zeitungsartikel aus, die über Neues in der Welt berichten. Für White ist das wichtig, denn er leidet an Gedächtnisstörungen und kann sich schlecht merken, was in den letzten Tagen und Wochen geschehen ist oder er selbst getan hat.

Das ist fatal, denn es sichert ihm zusammen mit seinem zweiten Zeitvertreib die ungeteilte Aufmerksamkeit der örtlichen Polizei. Herbert White fotografiert gern – am liebsten junge und schöne Frauen. Dafür ist er schon bekannt bei den Tänzerinnen der „White Castle“-Bar, denen seine harmlose Obsession eine schöne Nebenerwerbsquelle erschließt. Doch wir schreiben das Jahr 1939, und St. Paul, Whites Heimatort, ist keine weltoffene Großstadt, sondern ein kleines Nest irgendwo im US-Staat Minnesota. Hier gelten eigene, oft ungeschriebene Regeln, deren wichtigste lautet, dass jeder als verdächtig gilt, der sich „anders“ verhält als die braven Bürger.

Und Verdächtige sind Männern wie den Polizisten Welshinger und Trent vom Sittendezernat des Städtchens St. Paul ausgeliefert – selbstherrlichen, rassistischen und korrupten Männern, die gern Landstreicher, Schwarze, Juden und andere Minderheiten, die sich nicht wehren können, schurigeln, demütigen oder erpressen. Die meisten ihrer Kollegen sind aus demselben Holz geschnitzt. Lieutenant Wesley Horner ist allerdings anders – ein beruflich integerer Mensch, dem privat viel Schlimmes widerfahren ist. Seine Ehefrau ist nach langer Krankheit gestorben, die Tochter fortgezogen. Nun ist er allein und grübelt zu viel. Der Dienst leidet aber nicht darunter, was nur gut ist, als in einer lauen Spätsommernacht die Leiche der Tänzerin Charlene Mortensen entdeckt wird; die junge Frau wurde erschlagen. Mord ist ein seltenes Delikt in St. Paul. Die Polizisten schwärmen aus, doch Eifer ersetzt solide Fahndungsarbeit. Ein Täter muss her, und das möglich rasch, denn Presse und Öffentlichkeit werten jede Verzögerung als Schwäche. Da ist die Versuchung groß, die Ermittlungen ein wenig abzukürzen. Es dauert auch nicht lange, bis Herbert White ins Visier der Beamten gerät. Er passt nicht nur gar zu gut in ihr beschränktes Weltbild, sondern eignet sich auch hervorragend als Hauptverdächtiger. Sein umständliches Verhalten, seine angeblichen Gedächtnislücken und sein ungewöhnliches Hobby verschaffen ihm einen schweren Stand. Gar zu gern würden Welshinger und Trent ihm die Bluttat anhängen. Zwar ist die Indizienkette mehr als dünn, doch dem ließe sich nachhelfen …

Als „Mr. White’s Confession“ 1999 von den ehrwürdigen „Mystery Writers of America“ als bester Kriminalroman des Jahres mit dem „Edgar Allan Poe Award“ ausgezeichnet wurde, war niemand erstaunter als Robert Clark, der niemals einen klassischen Thriller im Sinn hatte, als er die traurige Geschichte des Herbert White niederschrieb. Nachdem man sie gelesen hat, versteht man ihn gut, denn in der Tat steht „Das Verbrechen …“ zwischen den Genres: Krimi, Liebesgeschichte, historischer Rückblick, psychologische Studie – das alles und noch mehr steckt in der Geschichte, die trotzdem ein harmonisches und sehr stimmiges Ganzes ergibt und glänzend ihren Verfasser bestätigt, der es ablehnt, sich in literarische Schubladen sperren zu lassen.

Ist der Leser bereit, über seinen (oder ihren) Schatten zu springen und sich auf die Geschichte einzulassen, bleibt die Belohnung nicht aus. Ja, es ist wahr: In diesem Roman geschieht nicht gerade viel, und es gibt eigentliche keine Figur, die wirklich sympathisch wäre. Das schließt Herbert White, den tragischen Anti-Helden, ausdrücklich mit ein. Sogar die wenigen Polizisten, die sich tatsächlich bemühen, Recht und Ordnung zu vertreten, sind recht unbedarft und leicht auf falsche Fährten zu locken. Das mindert jedoch in keiner Weise die Wirkung einer ganz spezifischen Rekonstruktion des Jahres 1939. Dabei beschränkt sich Robert Clark auf ganz wenige Pinselstriche, wenn er das St. Paul von einst wiedererstehen lässt. Er hat es nicht nötig, Authentizität durch ausufernde historische Reiseberichte zu erzwingen. Die Vergangenheit wird nur dort beschworen, wo sie für die Handlung relevant ist.

Die scheint wiederum Jim Thompson Recht zu geben, der stets der Meinung war, die scheinbare Idylle der kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt und man sich stets untereinander hilft, könne sich als arger Saustall entpuppen, in dem es genauso schmutzig zugeht wie in der verluderten Metropolis. Doch Clark ist kein Zyniker wie Thompson, und St. Paul kein Höllenpfuhl, sondern einfach ein Ort, bewohnt von Menschen, die grundsätzlich bemüht sind, ihr Leben regelkonform zu führen. Das schützt sie nicht vor dem Scheitern: „Das Verbrechen des Mr. White“ ist eine ganz einfache Geschichte, wie sie das Leben tatsächlich manchmal schreibt, und weil ihr Verfasser sein Handwerk versteht, liest sie sich trotzdem spannend. Das Ausbleiben einer Auflösung ändert daran gar nichts. Wer zwischen den Zeilen liest, wird den wahren Mörder ohnehin selbst erkennen. Gewissheit gibt es allerdings nicht: Clark verstreut sehr geschickt Andeutungen und Indizien über den ganzen Text, die neben dem boshaften Welshinger noch andere Verdächtige zulassen. Auch Herbert White wird nie völlig entlastet. So bleibt dem Leser die Entscheidung überlassen.

St. Paul ist übrigens kein fiktiver Ort; er existiert tatsächlich, und Robert Clark ist dort geboren und aufgewachsen. Inzwischen ist er mit Ehefrau und zwei Kindern in Seattle ansässig.

Sidor, Steven – Skin River

Seit anderthalb Jahren ist Buddy Bayes Besitzer der Black Chimney Tavern. Außerhalb Gunnars, einer kleinen Stadt im Nordosten des US-Staates Wisconsin einsam gelegen, ist die Kneipe ein beliebter Treffpunkt für Urlauber, Jäger und Fischer. Sie ist aber auch ein Versteck für Bayes, der in seiner Heimatstadt Chicago den Gangster Red um viel Geld betrogen hat und sich nun verborgen halten muss, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Buddy hat sich eingelebt und in der jungen Mutter Margot auch eine Freundin gefunden; er ist zufrieden.

Natürlich meidet er tunlichst öffentliche Aufmerksamkeit. Daher ist es schlecht, dass ausgerechnet er die Überreste der jungen Melissa Teagles im Skin River treibend findet. Sie ist dem „Ziegenhäuter“ in die Hände gefallen, einem psychopatischen Serienkiller, der seine Opfer mit dem Messer jagt und zerlegt. Die Existenz eines unsichtbar bleibenden Killers, der womöglich zu den Einheimischen gehört, übersteigt das Verständnis des kriminalistisch nur bedingt fähigen Sheriffs Glen Rafferty. Er hält sich an Buddy Bayes, den Neuling in der Gemeinde, der sich ihm als Verdächtiger anbietet.

Notgedrungen muss sich Bayes selbst als Detektiv versuchen. Leider fehlt ihm jede Erfahrung. Seine ungeschickten Ermittlungen bringen den düpierten Red und seine Schergen auf seine Spur. Sie wollen das unterschlagene Geld, und sie wollen Bayes strafen. So wird der Kneipenwirt plötzlich von zwei Seiten unter Druck gesetzt. Zu allem Überfluss wird der „Ziegenhäuter“ auf Bayer aufmerksam. Er stellt ihm eine Falle und plant seine Form von Vergeltung, denn er hat ein Auge auf Margot geworfen …

Solche Thriller liest man gern: Eine einfache und bewährte Story wird mit diversen Hakenschlägen in einen rasanten Thriller verwandelt. „Skin River“ ist stets für eine Überraschung gut. Der Plot wird ordentlich gegen den Strich gebürstet: Die Hauptfigur selbst ist es, die ihren Untergang einleitet. Längst hat der von ihm gefoppte Gangster seine Niederlage als böse Erfahrung abgehakt – er denkt gar nicht daran, seine Zeit damit zu vergeuden, nach Buddy zu suchen. Der hat sich völlig unnötig in der Wildnis eingegraben und tritt jetzt denkbar ungeschickt seinem Gegner noch einmal auf die Füße.

Auf dieser Welt geht eben schief, was schiefgehen kann. „Murphys Gesetz“ ist ein wichtiges Element dieses Romans. Kein Zufall ist so irrwitzig, dass es ihn nicht geben könnte. Bemerkenswerterweise erscheint dem Leser dies nie seltsam, übertrieben oder unlogisch: Sidor hat seine Geschichte vor allem in ihren ersten beiden Dritteln fest im Griff.

Danach wird das bisher so dichte Handlungsgefüge ein wenig löchrig. Der Verfasser muss einen Weg finden, die einzelnen Fäden seiner Story, die er so kundig gesponnen hat, für das Finale zu einem soliden Knoten zu verknüpfen. Hier zeigen sich leichte Schwächen, denn Sidor wählt den einfachen Weg und inszeniert eine wilde Verfolgungsjagd, die einerseits in eine mörderische Abrechnung zwischen Bayes und dem Gangster und andererseits in der Entlarvung des „Ziegenhäuters“ mündet. Das ist wiederum sehr spannend, aber nicht raffiniert.

Das trifft auch auf die Figurenzeichnung zu. Selten treten uns die Protagonisten eines Thrillers so plastisch vor das innere Auge wie hier. Mit Buddy Bayes hat Sidor einen zwielichtigen „Helden“ geschaffen. Anfänglich schildert er uns einen sympathischen Zeitgenossen, der mit seiner verbrecherischen Vergangenheit abgeschlossen hat. Bayes hat einen Schurken betrogen, das ist ja nicht so „schlimm“. Nun führt er eine Kneipe, kommt gut mit seinen Gästen aus und knüpft sogar zarte Bande zu einer schönen Frau.

Dann holt besagte Vergangenheit ihn nicht etwa ein. Bayes weckt sie, denn er hat noch eine zweite, deutlich düsterere Seite. Wenn er in Chicago prüft, ob man ihm auf den Fersen ist, kommt plötzlich der „alte“ Bayes zum Vorschein – ein gewiefter Krimineller, für den Gewalt ein alltägliches „Instrument“ ist. Dieser Bayes droht, schlägt und schießt. Er ist deshalb kein Psychopath, sondern erledigt nüchtern seinen „Job“. Erst weil wir diesen Bayes kennen gelernt haben, erscheint uns die gewaltige Schießerei in und um Buddys Kneipe nicht unwahrscheinlich: Die Situation ist nicht unbedingt neu für unseren bedrängten Mann, und deshalb meistert er sie.

Die zweite zentrale Gestalt des „Skin River“-Dramas ist der „Ziegenhäuter“, ein Psychopath der ganz finsteren Sorte. Sidor schildert ihn erfreulich realistisch nicht als diabolisch genialen Übermenschen, der auf überkomplizierte Art killt und quasi nebenbei die verfolgende Polizei mit sardonischen Scherzen neckt. Sein „Ziegenhäuter“ ist ein Mensch, der von seinem dunklen Trieb beherrscht wird. Mit diesem Drang hat er sich arrangiert, er ist ein „organisierter“ Serienmörder, der seine Spuren verwischt und es im Laufe vieler Jahre auf eine bedrückend beeindruckende Jagdstrecke gebracht hat, ohne auch nur in Verdacht zu geraten.

Doch seine psychische Situation ändert sich. Sidor schildert einen „Ziegenhäuter“, der die Kontrolle über sich zu verlieren beginnt. Die inneren Stimmen in seinem Kopf werden so laut, dass er sich nicht mehr darauf konzentrieren kann, seine Tarnung als liebenswert unkonventioneller Außenseiter in der Gemeinde Gunnar aufrechtzuerhalten. Er wird schlampig, versteckt seine Opfer nicht mehr, sondern präsentiert sie. Größenwahn erfüllt ihn. So würde er sich irgendwann sogar dem engstirnigen Sheriff Rafferty verraten, doch da ist Buddy Bayes. Zwar ist der „Ziegenhäuter“ verrückt, doch dumm ist er nicht. Deshalb legt er falsche Spuren, die Bayes in Verdacht geraten lassen.

Schließlich erfolgt der geistige Zusammenbruch so schnell, dass dem „Ziegenhäuter“ solche Schlichen und seine Maske gleichgültig werden. Der Wahn beherrscht ihn vollständig. Diesen Prozess weiß Sidor eindringlich zu schildern. Der „Ziegenhäuter“ ist auf der einen Seite selbst ein Opfer. Die berühmt-berüchtigte „gestörte Kindheit“ hat ihn geprägt und die Saat für seinen Krankheit gelegt. Auf der anderen Seite ist der „Ziegenhäuter“ womöglich ein Psychopath von Geburt an. Sidor legt sich hier nicht fest und folgt damit der Forschung, die weiterhin nicht wirklich weiß, wie ein Serienmörder „entsteht“ oder „funktioniert“.

Zu guter Letzt bleibt vom „Ziegenhäuter“ nur das groteske Zerrbild eines Menschen. Sidor schildert ihn etwa wie den alten Ed Gein, den berüchtigten Mörder und Leichenschänder, der u. a. als Vorbild für den Horrorfilmklassiker [„Texas Chainsaw Massacre“]http://www.powermetal.de/video/review-58.html diente. Seine letzten Jahre verbrachte Gein in einem Sanatorium für geisteskranke Kriminelle: ein geistig zerbrochener, täuschend friedlicher Mann, der nach Ansicht seiner Ärzte jedoch weiterhin von seinen Dämonen getrieben wurde. Der „Ziegenhäuter“ ist so wahnsinnig geworden, dass sich die in ihm aufgestaute Gewalt nicht mehr gegen unschuldige Opfer, sondern gegen sich selbst entlädt: Die Bestie zerstört sich selbst.

Auch den Randfiguren schafft Sidor detaillierte Biografien. Hier übertreibt er es in seinem Eifer allerdings, denn der Aufwand lohnt sich nur bedingt. So wichtig werden Figuren wie Sheriff Rafferty, Margot oder Gangster Red nicht, dass sie uns so aufwändig vorgestellt werden müssten. Andererseits fällt auch hier auf, wie geschickt der Autor Klischees vermeidet. Er vervollständigt damit das erfreuliche Bild eines Thrillers, der es keineswegs verdient, im Meer jener Durchschnittskrimis zu versinken, die Monat für Monat auf den deutschen Buchmarkt geworfen werden. Das kann leider leicht geschehen, denn sowohl die Aufmachung als auch der alles und gleichzeitig nichts sagende Covertext verschleiern erfolgreich, welches Kleinod hier auf seine Leser wartet!

Viel ist noch nicht bekannt über Steven Sidor, der bisher nur zwei Romane geschrieben hat und ein drittes Werk für 2007 ankündigt. Auch seine [Website]http://www.stevensidor.com zeichnet sich in biografischer Hinsicht durch bestürzende Kargheit aus. Den knappen Verlagsinfos lässt sich entnehmen, dass Sidor das Grinnell College besuchte und an der University of North Carolina in Chapel Hill studierte. Er arbeitete anschließend in der Betreuung psychisch kranker Menschen. Heute lebt Sidor mit seiner Familie in der Nähe von Chicago.

http://www.knaur.de

Gillian Flynn – Cry Baby

Die Werbekampagne des Scherz-Verlages für den Debütroman der hübschen Autorin Gillian Flynn war groß und edel angelegt: Im Börsenblatt blickte einem eine dunkelrote zweiseitige Anzeige entgegen, das Buch wird in einem ansprechend bedruckten Pappkarton und mit einem schicken Schutzumschlag angeliefert und ist schon auf den ersten Blick ein Hingucker. Doch auch wenn man in das Buch hineinschaut und -liest, wird man feststellen, dass einem nicht zu viel versprochen wird durch die schicke Optik, sondern dass dieses Werk in der Tat etwas ganz Besonderes ist…

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Buticchi, Marco – dritte Prophezeiung, Die

Das Interesse von Verschwörungsfanatikern an den Templern ist nach wie vor ungebrochen und auch die katholische Kirche ist immer wieder für einen packenden Thriller gut. So bedient der gefeierte italienische Autor Marco Buticchi sich zweier erfolgversprechender Komponenten für seinen Thriller „Die dritte Prophezeiung“. Und wenn man den Lobpreisungen auf den Umschlagseiten glauben darf, so hält man hier das Buch des italienischen Dan Brown in Händen, der nun endlich der Erste sein könnte, der den großen Brown von seinem Bestsellersockel stoßen könnte. Die Erwartungen sind also hoch, wenn man das Buch aufschlägt und zu lesen beginnt. Schauen wir uns an, was uns zwischen den Buchdeckeln geboten wird:

Zu Beginn begegnen wir im Jahre 1918 dem Unteroffizier Igor Drostin, der der Hinrichtung der Familie Nikolaj Romanows beiwohnt und später in den Kleidern der Romanows eine wertvolle Entdeckung macht, nämlich zahlreiche kostbare Juwelen, von denen er einige auf die Seite schafft. Seinem Enkel Josif Drostin vermacht Igor ein paar abgenutzte Schreibhefte, in denen er verschlüsselt den Weg zu den vergrabenen Juwelen offenbart. Doch noch ahnt Josif nichts von seinem anstehenden Glück und verzweifelt immer mehr an seiner frustrierenden Arbeit in der Fabrik, bei der er zusätzlich von einem cholerischen Vorgesetzten gequält wird. Bevor Josif es allerdings zu großem Reichtum bringt, muss er einige Schicksalsschläge überstehen; seine Freundin wird ermordet und er selbst wird als mutmaßlicher Mörder gesucht. Der Zufall will es aber, dass Josif in russischen Mafiakreisen immer weiter aufsteigt und es schließlich zum mächtigsten Waffenhändler bringt. Ein besonders gefährlicher Auftrag führt Josif allerdings auf eine Kreuzfahrt, die zum Himmelfahrtskommando auszuarten droht.

Im Jahre 1978 beginnt die Erzählung um Pat Silver und seinen besten Freund Derrick Grant, die bei einer manipulierten spiritistischen Sitzung das Herz von Maggie Elliot und Annie Ferguson erobern wollen. Als Pat mit seinem Schauspiel beginnt, fällt Maggie jedoch tatsächlich in Trance und verkündet in einer fremden Sprache, dass sich die Prophezeiung zu erfüllen droht. In den Jahren darauf hat Maggie immer wieder ihre Ahnungen, in denen sie zukünftige Geschehnisse sehen kann und beispielsweise auch das Attentat auf Papst Johannes Paul II. im Jahre 1981 voraussieht. Diese Gabe verhilft Maggie zu einer erstaunlichen Fernsehkarriere, nur privat läuft es alles andere als rosig. Denn ihre heimliche Liebe zu Pat Silver steht unter keinem guten Stern; die beiden kommen einfach nicht zusammen, sodass Maggie schließlich Timothy Hassler heiratet. Pat kann sie allerdings nie vergessen. Der jedoch dreht ein krummes Ding nach dem anderen und verdient sich eine goldene Nase durch seine illegalen Computertricks. Doch das Schicksal der vier Collegefreunde wird eng miteinander verbunden bleiben und auf einer noblen Kreuzfahrt schließlich ein fulminantes Finale hervorbringen …

Diese beiden Haupterzählstränge, die zunächst nichts miteinander zu tun haben, verbinden sich, als Derrick Grant seine drei Jugendfreunde auf die Kreuzfahrt mit dem größten Passagierschiff der Welt einlädt. Auf diesem Schiff reist nämlich auch Josif Drostin, der eine gefährliche Ladung zu übergeben hat.

Eine weitere Erzählebene widmet sich Geschehnissen, die einige hundert Jahre in der Vergangenheit liegen. Hier erleben wir im Jahre 1291 in Akkon das Ende des letzten Großmeisters der Templer mit. Die weiteren historischen Ereignisse schildern die gefährliche Reise des jungen Ritters Bertrand de Rochebrune, der dem Gemetzel in Akkon entfliehen konnte, aber in den darauffolgenden Jahren noch viele Abenteuer zu überstehen hat. Spät offenbart uns Marco Buticchi schließlich auch das Bindeglied zwischen den historischen Ereignissen im ausklingenden 13. und beginnenden 14. Jahrhundert und den Geschehnissen am Ende des 20. Jahrhunderts. Bis dahin heißt es für den Leser Rätsel raten …

In seinem packenden Verschwörungsthriller hat uns Marco Buticchi offensichtlich viele Geschichten zu erzählen. Stilistisch hat er sich in der Tat von Dan Brown und seinen Erfolgen inspirieren lassen, denn er fügt seinem Buch die gleichen erfolgversprechenden Komponenten hinzu und schlägt ein unglaubliches Erzähltempo an, das durch die schnellen Wechsel der Schauplätze immer weiter gesteigert wird. Immer dann, wenn es in der Gegenwart besonders spannend wird, springt Buticchi zurück in die Vergangenheit, wo wir Bertrand de Rochebrune auf seinen Reisen begleiten. Die Wechsel zwischen den verschiedenen Erzähl- und Zeitebenen schaffen allerdings oft genug auch einige Verwirrung, da Buticchi viele Lebensjahre seiner Protagonisten beleuchten will. So zieht sich alleine die Geschichte um Maggie Elliot und ihre Freunde vom Jahre 1978 bis zum Jahre 1999.

Im vorliegenden Roman erwartet einen folglich eine wahre Informationsflut, der man stellenweise kaum folgen kann. Marco Buticchi bemüht sich zwar, seinen Charakteren Leben einzuhauchen, allerdings empfand ich viele der präsentierten Auskünfte als überflüssig. Nehmen wir nur allein die unglückliche Liebe zwischen Maggie Elliot und Pat Silver, die sich über viele Jahre hinzieht und in einem Seitensprung auf dem Luxusdampfer endet. Auf vielen Seiten breitet Buticchi Pat Silvers kriminelles Berufsleben aus, er umschreibt ausschweifend die Eheprobleme zwischen Maggie Elliot und Timothy Hassler, aber all dies bringt die Erzählung kein Stück voran. Diese Handlungen im Leben der Figuren haben nichts mit der eigentlichen Geschichte zu tun, also nichts mit dem geplanten Anschlag auf das Kreuzfahrtschiff. Derlei schmückendes Beiwerk findet sich an vielen Stellen im Buch und stört sowohl den Spannungsaufbau als auch die Glaubwürdigkeit. Meiner Meinung nach hätte sich Marco Buticchi wie sein großes Vorbild Dan Brown auf das Wesentliche konzentrieren sollen. Im Übrigen hat Buticchi an so mancher Stelle eher schlecht geklaut, denn seine Bösewichte verpackt Buticchi so dürftig, dass selbst der ungeübte Leser diese Verräter schnell enttarnt haben dürfte.

Gelungen fand ich in weiten Teilen den Spannungsbogen des Buches, der durch die schnellen Szenenwechsel immer weiter ansteigt und dafür sorgt, dass man das vorliegende Buch nicht mehr aus der Hand legen kann. Auf der anderen Seite hätte ich mir gewünscht, dass Buticchi seine Erzählebenen enger miteinander verknüpft. Zwar offenbart der Autor uns die Verbindung zwischen den Ereignissen im 13./14. Jahrhundert und denen im ausklingenden 20. Jahrhundert, aber mir persönlich war diese Verbindung zu locker. Es ist nicht deutlich geworden, welchen inhaltlichen Sinn die historischen Exkurse hatten und insbesondere hat Buticchi uns nicht klar gemacht, was genau hinter dem Anschlag auf das Kreuzfahrtschiff steckt. In vielen Szenen treffen wir auf mysteriöse Gestalten, die sich hinter einer Kutte verborgen halten und die offensichtlich zum Templerorden gehören, aber ihre Beweggründe sind mir nicht klar geworden.

So kann Marco Buticchi in Ansätzen zwar überzeugen und man entdeckt auch das schriftstellerische Potenzial, das in ihm steckt. An vielen Stellen hätte man sich allerdings ein strafferes Lektorat gewünscht und insbesondere auch den roten Faden, der die einzelnen Ereignisse miteinander verknüpft und den Leser durchs Buch führt. Denn an vielen Verzweigungen seiner Handlungsstränge lässt Buticchi uns alleine stehen und zeigt uns nicht deutlich genug, wo es eigentlich langgehen soll. Viele Fragen bleiben am Ende offen, die einen etwas unbefriedigt zurück lassen, auch wenn „Die dritte Prophezeiung“ durchaus Unterhaltungswert hat und nett zu lesen ist. Aus der Masse der zahllosen Verschwörungsthriller hebt sich das vorliegende Buch allerdings leider nicht ab.

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Seghers, Jan – Braut im Schnee, Die

|Jan Seghers ist das Pseudonym für den Frankfurter Journalisten Matthias Altenburg, unter dem er Kriminalromane schreibt. Nach „Ein allzu schönes Mädchen“ veröffentlichte er den Krimi „Die Braut im Schnee“, in dem ebenfalls der leicht verschrobene Hauptkommissar Marthaler ermittelt.|

Die Leiche einer jungen Zahnärztin wird, in grotesker Weise ausgestellt, vor ihrem eigenen Haus gefunden. Die Frau, die kaum Freunde gehabt zu haben schien, führte ein biederes Leben. Sie kannte nur die Arbeit und ihren entfernt lebenden Verlobten, einen schüchternen Installateur. Das Ermittlerteam um Marthaler kann sich überhaupt keinen Reim aus dem Verbrechen machen, doch ihr Chef Herrmann schießt sich sehr schnell darauf ein, dass ein wegen sexueller Vergehen vorbestrafter Fotograf der Schuldige ist, und zieht alle Polizeikräfte für die Fahndung nach dem Fotografen ab.

Marthaler, der noch nie ein gutes Haar an seinem Chef gelassen hat, ist mit diesem Vorgehen nicht einverstanden, was zu seiner vorübergehenden Suspendierung führt.

Als Marthaler wieder im Dienst erscheint, ist der Fall immer noch nicht gelöst. Im Gegenteil gibt es ein zweites Opfer, doch dieses Mal ist der Täter beobachtet worden …

In einem lobenden Zitat am Anfang des Buches wird erwähnt, dass es Henning Mankell war, der Jan Seghers zum Schreiben brachte. Wenn das wahr ist, dann wundert es nicht, dass man die eine oder andere Parallele zwischen Ermittlerschwergewicht Wallander und Marthaler entdeckt. Beide sind alleinstehend und eher etwas zurückgezogen, haben Figurprobleme und widersetzen sich ihren Vorgesetzten.

So weit, so gut, denn Marthaler ist im Vergleich von Wallanders manchmal schon entrückt wirkender Depressivität weit entfernt und wirkt menschlicher und alltagsnaher als der beliebte schwedische Polizist. Was ihn sympathisch macht, ist, dass er keineswegs ein Übermensch ist, sondern wie der nette Nachbar von nebenan wirkt. Ein wenig verschroben manchmal, aber an und für sich ein freundlicher Kerl. Manchmal vielleicht ein wenig zu freundlich, wenn es darum geht, in ihm eine herausragende Persönlichkeit zu sehen, die im Gedächtnis bleibt.

Ähnliches gilt für die Handlung. Die ist auch ein sehr freundlicher Kerl, lässt an einigen Stellen aber die Originalität missen. Damit ist sie in Bezug auf den Punkt Authentizität natürlich auf der sicheren Seite, denn man kann ihr nicht den Vorwurf machen, sie würde mit überzogenen, unrealistischen Ereignissen prahlen.

Allerdings nagt es an der Spannung, wenn man als Leser das Gefühl hat, Ähnliches schon einmal in einem anderen Buch gelesen zu haben. Und da hilft es noch nicht einmal, wenn der Ermittleralltag wirklichkeitsgetreu dargestellt wird, indem man zwischen dem ersten Mord und der Aufklärung über ein halbes Jahr verstreichen lässt. Die harmlose Mischung aus Marthalers Privatleben und den Mordermittlungen inklusive einiger weniger Perspektivwechsel hat zwar ihre kleinen Höhe- und Wendepunkte, läuft aber nie zur Höchstform auf.

Der Schreibstil beweist, dass Seghers alias Altenburg sein Handwerk gelernt hat. Es gibt keine Unannehmlichkeiten und das Buch lässt sich flüssig lesen, auch wenn es an der einen oder anderen zu ausschweifenden Ortsbeschreibung ruckelt.

Insgesamt ist „Die Braut im Schnee“ aber ein sehr angenehmes Buch. Nicht besonders aufregend, aber auch nicht schlecht. Ein netter Krimi für zwischendurch, aber keiner, der sonderlich lange im Gedächtnis haften bleibt.

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Pickard, Nancy – Schneeblüte

|Wenn man sich die Preise anschaut, die Nancy Pickard für ihre Kriminalromane bereits eingeheimst hat, erwartet man eigentlich eine spannende Geschichte in „Schneeblüte“. Eigentlich …|

1987 findet der junge Rex zusammen mit seinem älteren Bruder Patrick und seinem Vater, dem Sheriff des kleinen Örtchens Small Plains, die Leiche einer jungen Frau im Schnee. Es wird nie geklärt, wer sie ist oder woher sie kam, denn niemand im Dorf scheint sie zu kennen.

In der gleichen Nacht wollen Abby und Mitch zum ersten Mal miteinander schlafen, doch als Mitch aufsteht, um aus der Hauspraxis von Abbys Vater, der der örtliche Arzt ist, Präservative zu holen, kehrt er nicht mehr zurück. Als Abby am nächsten Morgen bei seinen Eltern klingelt, erfährt sie, dass sie ihn weggeschickt haben, weil er sie angeblich nicht mehr sehen wollte.

Siebzehn Jahre vergehen. Abby und Rex sind mittlerweile erwachsen und die Identität der jungen Toten ist immer noch nicht geklärt. Sie liegt in einem anonymen Grab auf dem Friedhof von Small Plains und hat über die Jahre den Status einer Wunder vollbringenden Jungfrau bekommen.

Es ist der Tod von Mitchs Mutter, der Abby aufweckt und sie daran erinnert, dass die junge Frau immer noch anonym ist. Sie versucht Rex, der mittlerweile das Amt seines Vaters übernommen, zu überreden, den Fall nochmals aufzurollen. Zufällig taucht zur gleichen Zeit Mitch wieder auf, dem man nach dessen Verschwinden vor siebzehn Jahren nachsagte, er könnte das Mädchen umgebracht haben. Abby, die sich immer noch von ihm angezogen fühlt, steht vor einem großen Konflikt …

„Schneeblüte“ ist eines dieser Bücher, die man nach der Lektüre mit einem schalen Beigeschmack zur Seite legt und feststellt, dass man doch nur Zeit verschwendet hat.

Nancy Pickards Roman weist eine Handlung auf, die durchaus schlüssig ist. Sie beginnt mit einem in der Vergangenheit liegenden Leichenfund, der dessen Beteiligte auch nach Jahren noch beschäftigt. Die Autorin versucht auch Spannung aufzubauen, indem sie die wirklichen Wesenszüge einiger Figuren im Dunkeln lässt und dem Leser Einblicke gewährt, die die Hauptpersonen nicht haben.

Trotzdem kommt während des Lesens kaum Spannung auf. Das Buch zieht sich in die Länge, weist immer wieder unnötige Passagen auf (in denen es vornehmlich um die weiblichen Probleme von Abby geht) und hat so gut wie keine sich steigernden Spannungsstufen. Seite für Seite tröpfelt das Geschehen vor sich hin, mal mehr, mal weniger vorhersehbar.

Vorhersehbar ist ein Wort, das man im Zusammenhang mit diesem Buch nicht nur einmal verwenden kann. Die Charaktere sind leider recht einfach gestrickt, geradezu oberflächlich, langweilig. Abby erscheint wie die lockerluftige Dauersinglechaotin eines Frauenromans, und das ist nicht gerade die perfekte Besetzung für ein Buch, das sich „Thriller“ nennen lassen möchte.

Hinzukommt eine klischeehafte Schwarzweißzeichnung der Dorfbevölkerung. Es gibt den Bad Boy, der vom College fliegt, wovon aber niemand etwas wissen soll, und der selbst nach siebzehn Jahren immer noch etwas unreif wirkt und zu Gewalt neigt. Es gibt die Dorfseelen, die Dorfhexen und all diese unbescholtenen Bürger, deren einziger Fauxpas zu sein scheint, in den Fall von vor siebzehn Jahren verwickelt gewesen zu sein, was ihnen aber niemand ansieht, weil sie sich wie normale Menschen benehmen. Nancy Pickard scheint voll und ganz auszuklammern, dass selbst die beste Dorfseele ihre Abgründe hat und dass die Menschen eben nicht immer nur nett zueinander sind.

Dummerweise ist der Schreibstil Pickards genauso belanglos wie die Handlung und die Personen. Gerade Letztere fallen an dieser Stelle noch mal negativ auf, da die Autorin zu exzessiven Personenbeschreibungen neigt, die sie nicht in den Erzählfluss einbettet. An solchen Stellen entstehen Brüche, die nicht hätten sein müssen und vielleicht hätten verhindert werden können, wenn Pickard sich dazu aufgerafft hätte, etwas spannender zu schreiben. Stattdessen reiht sie einen wenig tiefgründigen Satz an den anderen und stürzt den Leser damit in verzweifelte Langeweile.

Beim besten Willen, nein. Es ist sehr schwierig, an „Schneeblüte“ auch nur ein gutes Haar zu lassen. Die Handlung schleppt sich so langsam dahin wie ein trister Tag im Herbst, die Charaktere sind sehr oberflächlich und der Schreibstil glänzt durch seine Langeweile. Langeweile ist wohl der beste Begriff für ein Fazit zu diesem Buch von Nancy Pickard, denn viel mehr weiß selbiges nicht zu bieten.

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Ellroy, James – Black Dahlia – Die schwarze Dahlie

James Ellroy gehört zu den großen Kriminalautoren unserer Zeit, und so ist es kein Wunder, dass sein Erfolgsbuch „Die schwarze Dahlie“ im letzten Jahr mit einer Starbesetzung und unter der Regie von Brian de Palma in die Kinos kam. Für |Ullstein| ist das Grund genug, um den Roman von 1988 nochmals herauszubringen.

Im Mittelpunkt steht Ich-Erzähler Bucky Bleichert, Polizist in Los Angeles, der in Lee Blanchard, einem hochgewachsenen, meist skrupellosen Polizisten, der mit der ehemaligen Freundin eines Gangsters zusammenwohnt, nicht nur einen Partner, sondern auch einen guten Freund findet.

Das Ermittlungsgeschick der beiden ist gefragt, als 1947 die schrecklich zugerichtete Leiche einer 22-jährigen vor einem heruntergekommenen Haus gefunden wird. Bei der Toten handelt es sich um die naive Elizabeth Short, die nach L. A. gekommen war, um beim Film groß herauszukommen – wie so viele andere Mädchen. Tatsächlich landete sie ständig in den Betten anderer Männer und verstrickte sich in Lügengeschichten von Ehen mit tapferen Soldaten anstatt ein Filmstudio auch nur von außen gesehen zu haben.

Der gesamte Polizeiapparat steht unter großem Druck, denn einen Fall, der so hohe Wellen in der Öffentlichkeit schlägt, sollte man nicht ungelöst lassen. Doch obwohl Bleichert und Blanchard ihr gesamtes Repertoire an legalen und illegalen Ermittlungsmethoden ausschöpfen, kommen sie nicht voran. Währenddessen wird der Fall für Blanchard eine Art Obsession, da ihn die Tote, die aufgrund ihres exzentrischen Aussehens – sie färbte sich die Haare schwarz und trug nur schwarze Kleider – von der Presse als Schwarze Dahlie bezeichnet wird, an seine verschwundene kleine Schwester erinnert.

Und auch Bucky verliert den Bezug zur Realität. Er fühlt sich nicht nur von Kay, der Freundin Blanchards, angezogen, sondern beginnt auch ein Verhältnis mit der verwöhnten Unternehmertochter Madeleine Sprague, die sich auffällig für den Fall der Schwarzen Dahlie interessiert …

Was Ellroys Roman vor allem auszeichnet, sind der hohe Realismus und das hohe Maß an Misstrauen, das er seinen Charakteren entgegenbringt. In „Black Dahlia – Die schwarze Dahlie“ gibt es keinen strahlenden Protagonisten – jeder hat Dreck am Stecken und das, obwohl die meisten Personen Gesetzeshüter sind. Aber gerade dieser Dreck am Stecken lässt die Charaktere unglaublich authentisch aussehen und ihre undurchsichtigen Verwicklungen sorgen innerhalb der Handlung immer wieder für Überraschungsmomente.

Diese Überraschungsmomente kann die Handlung ab und an ganz gut gebrauchen. Obwohl die Atmosphäre des Buches stimmt, zieht sich die Handlung an einigen Stellen etwas zu sehr in die Länge. An anderen Stellen weiß sie dagegen zu überraschen und ein beträchtliches Maß an Spannung aufzubauen. Allerdings ist gerade die Auflösung des Falls, die zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr im Vordergrund steht, ein wenig zu haarsträubend geworden.

Was steht denn dann im Vordergrund, wenn nicht der Kriminalfall? Ganz einfach. Es ist Buckys Leben nach dem Verschwinden seines Partners Lee Blanchard. Denn „Black Dahlia – Die schwarze Dahlie“ ist mehr als ein Kriminalfall und geht weit über den stereotypen Ermittlerroman hinaus. Es behandelt viel mehr das Leben von Bleichert, zusammen mit seinen Frauengeschichten und der Männerfreundschaft zu Blanchard. Dadurch bekommt das Buch sehr viel psychologische Tiefe und hebt sich wohltuend von anderen Kriminalromanen ab.

Der Autor zeichnet folglich ein sehr düsteres Bild vom L. A. der 40er Jahre, das er mit dem ebenfalls recht düsteren Ich-Erzählerschreibstil noch eindrücklicher gestaltet. Bucky Bleichert zeichnet sich auch sprachlich nicht gerade durch Überkorrektheit aus, was zu einigen Flüchen und politisch unkorrekten Äußerungen führt. Dadurch und durch die lakonische Schreibweise entsteht eine beinahe schon filmische Atmosphäre, die an alte Ermittlerstreifen erinnert. Da sowohl Bleichert als auch Blanchard früher leidenschaftliche Boxer waren (und auch mal gegeneinander im Ring standen), würzt Ellroy seine Schreibe noch mit ein wenig Boxerslang, was das Ganze noch verruchter erscheinen lässt.

In der Summe ist „Black Dahlia – Die schwarze Dahlie“ das gestochen scharfe Portrait der Traumfabrik L. A. in den 40er Jahren und eines Ermittlerpaares, das sowohl im dienstlichen als auch im privaten Leben keine weiße Weste aufweist. Auch wenn der Kriminalroman an einigen Stellen in der Handlung schwächelt, tut er sich mit einer wunderbar düsteren Atmosphäre, großartigen Charakteren und einem dreckig-authentischen Schreibstil hervor.

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