Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Jane Adams – Im Bann des Bösen

Das geschieht:

Der wenig erfolgreiche Journalist Simon Emmet und die berühmte Fotografin Tally Palmer bildeten nach allgemeiner Ansicht ein ungleiches Paar. Niemand ist daher erstaunt, als Simon von Tally rüde den Laufpass erhält. Sie liebe ihn zwar, doch es gäbe einen „Jack“, der ältere Rechte geltend machen könne, so Tallys Schlusswort. Simon kann und will den Bruch nicht wahrhaben. Krank vor Eifersucht stellt er der Geliebten nach, überwacht sie heimlich, versucht dem geheimnisvollen Jack auf die Spur zu kommen. Eine letzte Aussprache endet im Streit. Als Simon betrübt den Heimweg antritt, wird er überfallen und niedergestochen.

Hat ihm Jack eine Lektion erteilen wollen? Dies fragen sich Simons Freunde, zu denen auch Detective Inspector Alec Friedman und seine Lebensgefährtin Naomi Blake gehören. Naomi war selbst Polizistin, bis ihr ein Unfall das Augenlicht raubte. Sie hat die unglückliche Liebe zwischen Simon und Tally schon lange verfolgt und kann der Versuchung nicht widerstehen, sich in den Fall einzumischen. Jane Adams – Im Bann des Bösen weiterlesen

Raymond Khoury – Scriptum

Es ist auffällig, wie viele Romane erschienen sind, die im ähnlichen oftmals sogar gleichen Genre wie Dan Browns Erfolgstitel (Sakrileg/Illuminati) spielen und an dessen Erfolgen teilhaben wollen. Fast jeder Verlag versucht ein Stückchen dieses Marktes für sich zu behaupten. Und in jedem Roman spielen der Vatikan, Geheimbünde und Verschwörungen eine Rolle. Hier werden Tatsachen, Theorien der Bibelgeschichte und überhaupt der Geschichte, Magie und Aberglaube miteinander vermischt, es entsteht ein Hang zum Okkulten, ein Drängen danach, die einzige Wahrheit zu finden oder zumindest etwas Licht in die Schattenwelten uralter Geheimnisse zu bringen.

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Ian Rankin – Der diskrete Mr. Flint

Eine Routineüberwachung wird für einen altgedienten Agenten zum Beginn eines Kesseltreibens, das mit seinem Tod enden soll. Der potenzielle Sündenbock kann entkommen und beginnt einen Rachefeldzug gegen seine verräterischen Kollegen … – Dieses frühe Werk des schottischen Meisterschriftstellers ist ein Spionagethriller aus der Zeit des Kalten Kriegs, der seine komplexe Story schnörkellos und mit enormem Tempo über die Runden bringt: eine Ausgrabung, die nicht unbedingt überfällig war aber einen anderen, ebenfalls lesenswerten Ian Rankin präsentiert.
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Berry, Steve – Urbi et Orbi

|Sancti Apostoli Petrus et Paulus, de quorum potestate et auctoritate confidimus, ipsi intercedant pro nobis ad Dominum.

Amen.

Precibus et meritis beatæ Mariae semper Virginis, beati Michaelis Archangeli, beati Ioannis Baptistæ et sanctorum Apostolorum Petri et Pauli et omnium Sanctorum misereatur vestri omnipotens Deus et dimissis omnibus peccatis vestris, perducat vos Iesus Christus ad vitam æternam.

Amen.

Indulgentiam, absolutionem et remissionem omnium peccatorum vestrorum, spatium verae et fructuosae penitentiæ, cor semper penitens et emendationem vitae, gratiam et consultationem sancti Spiritus et finalem perseverantiam in bonis operibus, tribuat vobis omnipotens et misericors Dominus.

Amen.

Et benedictio Dei omnipotentis Patris et Filii et Spiritus sancti descendat super vos et maneat semper.

Amen.|

|Urbi et Orbi| – der Stadt und dem Erdkreis: Damit verbindet wohl ein jeder Christ oder zumindest gläubige Katholik den apostolischen Weihnachts- und Ostersegen, den das Oberhaupt der Römisch-katholischen Kirche, der Stellvertreter Jesu Christi und Nachfolger des Apostelfürsten, pünktlich jedes Jahr zu Milliarden von Menschen rund um den Erdball sendet.

„Urbi et Orbi“ ist auch der Titel eines Romans vom Autor Steve Berry. Der Kundige stöhnt auf: Nicht schon wieder ein Roman, der sich mit dem Vatikan, einer Geheimloge, Verschwörungstheorien und Nachfolgern Christi beschäftigt! Sieht man sich die Auslagen der großen und kleinen Buchhandlungen an, so drängt sich dem literarisch interessierten Mitmenschen der Eindruck auf, dass es eine ganze Reihe von Autoren gibt, die sich im Wirkungskreis eines Dan Brown („Sakrileg“, „Illuminati“) bewegen wollen, um vielleicht einen ähnlich kommerzträchtigen Erfolg vorweisen zu können.

Nur wenige davon haben es bis dato geschafft, mein Interesse wirklich zu wecken und mir positiv in Erinnerung zu bleiben. Der vorliegende Roman ist empfehlenswert und gibt dem Leser viel mehr Einblicke in die Kurie des kleinen Kirchenstaates, als ich es anfänglich für möglich gehalten habe, denn der Buchrücken verheißt nicht wirklich viel Überraschendes.

Autor Steve Berry befasst sich mit alten Prophezeiungen: die „drei Geheimnisse von Fátima“, die als Wunder und daher für viele gläubige Menschen als Beweis für die Existenz Gottes gelten. Die „Echtheit“ wurde seitens der Römisch-katholischen Kirche bestätigt.

_Die Story_

13. Juli 1917. Cova da Iria bei Fátima in Portugal. Die drei ärmlichen Hirtenkinder Lucia dos Santos, Jacinta Marto und Francisco Marto empfangen von der heiligen Jungfrau Maria drei Botschaften, drei Visionen, drei Offenbarungen, die vielmehr eine Prophezeiung sind. Veröffentlicht wurden diese, „drei Geheimnisse von Fátima“ nicht, der Vatikan schenkte den drei Kindern anfänglich keinen Glauben. Der Grund war, dass der Papst die uneingeschränkte und einzige Wahrheit Gottes verkündete, und dass seine Worte niemals angezweifelt werden durften.

Erst 1927 soll Lucia dos Santos die Erlaubnis direkt als Botschaft von Gott erhalten haben, diese Geheimnisse zu lüften und niederzuschreiben. Aber auch hier verbot die Kirche die Veröffentlichung der Geheimnisse.

1941. Vierzehn Jahre später übergab sie die Niederschrift der Geheimnisse dem Bischof von Leiria. Ein Jahr später wurden die ersten beiden Geheimnisse vom Vatikan veröffentlicht. Die drei Kinder hatten mehrere Visionen, mehrere Begegnungen mit der Jungfrau Maria. Die wichtigste und tragendste Rolle spielte dabei Lucia dos Santos, die nicht nur die Jungfrau leibhaftig sah, sondern auch mit ihr als Einzige sprach.

Das dritte Geheimnis wird unter Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 öffentlich verlesen. Er sieht in der Prophezeiung, und interpretiert dies auch in der Öffentlichkeit, dass das Attentat auf ihn direkt damit im Zusammenhang steht.

Aber warum zweifeln Gläubige, Wissenschaftler und selbst Priester das dritte Geheimnis von Fatima an? Verschweigt die Kirche etwas, wodurch ihre Existenz, ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt würde, oder betreffen die Worte der Jungfrau Maria die gesamte Welt, ob nun christlich oder nicht?

Rom, Vatikan, in der Gegenwart. Colin Michener, der irisch-amerikanische Privatsekretär des kränklichen Papst Clemens XV. sorgt sich um den Stellvertreter Christi. Der Papst zieht sich immer öfter in die Geheimen Archive des Vatikanischen Staates zurück und betritt einen Raum, der nur den Päpsten zugänglich ist. Hier, an einem Ort, den nur die wenigsten Sterblichen je sehen, liegen auch die Orginaldokumente der Geheimnisse von Fátima – die originalen Aufzeichnungen von Lucia dos Santos. Papst Clemens sorgt sich um diese düsteren und schwer interpretierbaren Worte eines Hirtenmädchens und schickt seinen Privatsekretär Colin Michener auf eine mysteriöse Reise ins ferne Rumänien. Dort lebt sehr abgeschieden der letzte lebende Zeitzeuge, ein alter Priester, der die Weissagungen von Lucia ins Italienische übersetzte.

Doch die Angst des Papstes beobachten auch andere römische Kirchenoberste. Diese sorgen sich nicht um das Oberhaupt, sondern gieren nach dem Ring des Fischers, nach der Unfehlbarkeit der Papstwürde und der alleinigen Macht.

Ein potenzieller Nachfolger, ein italienischer Kardinal, der den Papst direkt mit seinen Ängsten konfrontiert, wird die größte Gefahr für den Sekretär Colin Michener, der selbst gerne die Kardinalswürde innehätte und über einen dunklen Punkt seiner Vergangenheit nicht hinwegkommt.

In Rumänien kann er das Geheimnis von Fátima mit Hilfe des letzten Zeitzeugen nicht auflösen. Noch mehr offene Fragen stellen sich ihm entgegen und immer mehr vermutet Colin, dass das dritte Geheimnis nicht vollständig veröffentlicht wurde. Im Gegenteil, wurde es gar verändert?

Er weiß nicht, wem er noch trauen kann, der Papst schickt ihn wiederum zu dem Wallfahrtsort Medjugorje (Bosnien Herzegowina), in dem Jugendliche seit den 80er Jahren ebenfalls Marienerscheinungen hatten und diesen ebenfalls Botschaften übermittelt wurden. Der Papst setzt ein offizielles Schreiben an die Seher auf und schickt Colin Michener wiederum auf die Reise, um Licht ins Dunkel der Geheimnisse zu bringen.

_Kritik_

„Urbi et Orbi“ bietet dem Leser einen einzigartigen Einblick in die Hierarchie des Vatikans. In vielen Passagen des Romans werden diverse Rituale und Gegebenheiten des kleinen, aber mächtigen Kirchenstaates erklärt. Der Autor Steve Berry hat für seine Recherche hierzu ein besonderes Lob verdient. Keine haltlosen Theorien, keine Verschwörungen mit Geheimlogen oder Politikern. Nein, ganz im Gegenteil. Berry erzählt in seinem Roman eine wirklich spannende Story, die, befasst man sich mit den Marienerscheinungen von Fátima, der Realität entsprechen könnte.

Auch greift Steve Berry alltägliche Themen und Skandale des kleinsten Staates der Welt auf. Dogmen wie das Zölibat, die Unfehlbarkeit des Papstes und selbst die sexuellen und homosexuellen Ausschreitungen der katholischen Priester werden thematisiert. Und dies weder ausschweifend noch von Vorurteilen geprägt.

Papst Clemens XV., der ja im Roman nur eine fiktive Person verkörpert, wird sehr menschlich dargestellt, mit allen Fehlern und Ängsten, die ein Mensch, sei er auch das Oberhaupt der weltweit größten Kirche, betreffen. Auch der zweiten und eigentlichen Hauptfigur in Person des Privatsekretärs Colin Michener hat der Autor Tiefgang verliehen, der die Protagonisten in thematisch ähnlichen Romanen wie eben „Sakrileg“ oder „Illuminati“ blass erscheinen lässt.

„Urbi et Orbi“ lebt von den Dialogen und bringt den Leser dazu, einen Spannungsbogen zu verfolgen, der anders gelagert ist als bei den meisten klerikalen Thrillern. Die Geheimnisse von Fátima, und dazu komme ich noch am Ende meiner Rezension, werden hier dem Lesen aufmerksam vermittelt, so interessant, dass man gerne mehr darüber erfahren möchte – auch wenn man, wie ich, gerade solchen Phänomenen eher skeptisch gegenübertritt.

Die verborgene Welt des Vatikans tritt hier für den Laien ein wenig deutlicher zutage und bringt dem Leser verständlich nahe, warum die Kirchenfürsten so um ihre weltliche Macht bangen. Ohne durch Detailreichtum an Spannung zu verlieren, liest sich der Roman flüssig und kommt ohne logische Fehler aus.

Ein guter Ansatz zum Gelingen des Werkes ist, dass Steve Berry sichtlich Mühen auf sich genommen hat, genau zu recherchieren, ohne dabei wie andere Autoren maßlos zu übertreiben. Auch wurden Details aufgegriffen wie das Ritual der Exkommunikation eines Priesters, der das Dogma des Zölibats in Frage stellt und sich vor einem Gericht aus Kardinälen dazu rechtfertigen soll. Nur ein Nebenthema in der Geschichte, aber ungemein interessant, spannend und prägend erzählt. Aber das ist nur ein Kleinod der Nebenschauplätze.

_Steve Berry_ ist amerikanischer Anwalt und hat auch „Die Romanow-Prophezeiung“ verfasst, die ebenfalls bei |Blanvalet| erschienen ist.

http://www.blanvalet.de

Thiesler, Sabine – Kindersammler, Der

In unserer heutigen Zeit, und das nicht nur in unserem Land, gibt es, glaubt man den Medien, immer mehr Fälle von Serienmorden. Die Opfer: meist wehrlose Kinder, und finden sich Berichte dieser Morde oftmals detailliert und grausam geschildert in der Presse und in den verschiedenen Nachrichtenmagazinen sowie im Fernsehen wieder. Die Täterprofile ähneln sich; meist unscheinbare, unauffällige Männer, zumeist Einzelgänger. Die meisten werden gefasst, die meisten begehen zum Glück Fehler in dem Versuch, entweder Aufmerksamkeit zu erlangen oder die Taten zu vertuschen.

Psychologen, Polizisten, Politiker versuchen die Psyche dieser oftmals krankhaften Mörder zu ergründen. Vieles wird versucht zu erklären, oftmals durch die Presse bis in grausamste Detail transparent gemacht, nicht nur der Verlauf der Morde, vielmehr geht es um die Frage, warum dieser allen Anschein nach „harmlose“ Mann eine solche Tat begangen hat, die ihm kein Mensch zugetraut hätte.

Ist der Mensch von sich aus „böse“ oder beeinflussen verschiedene Mechanismen, Erlebnisse in der Kindheit den Täter so sehr, dass er nicht mehr unterscheiden kann zwischen Grausamkeit und individueller Auslebung seines devianten Charakters?

|Was macht einen Menschen zum Mörder?|

Der Roman von Sabine Thiesler mit dem Titel „Der Kindersammler“ greift ein Thema auf, das wie oben schon beschrieben immer wieder Schrecken und Angst hervorruft. Gerade junge Eltern können ihre alptraumhaften Ängste gar nicht greifbar machen und denken immer wieder, dass dies nur anderen widerfahren kann, auf gar keinen Fall ihnen selbst.

„Der Kindersammler“ ist ein Roman, der der wahrscheinlichen Realität viel zu nahe kommt. Er berührt, aber zumeist erschreckt er und ein Grauen breitet sich im Leser aus, wie man es selten erlebt. Oftmals fragte ich mich bei der Lektüre: Musste das wirklich so erzählt werden? Musste aus diesem grausamen Muster an Fällen der Vergangenheit ein Roman entstehen?

_Die Geschichte_

Berlin 1986. Alfred, ein junger Mann Anfang dreißig, unauffällig und ein Einzelgänger, lebt vor sich hin. Ein Überlebenskämpfer in der anonymen Größe einer Stadt, immer bereit, dieser so schnell wie es geht den Rücken zu kehren. Er hat schon gemordet, nicht nur Menschen, krampfhaft versucht, dieser Unruhe Herr zu werden, dem Drang zu widerstehen, Kindern seine Macht aufzuzwingen und sie später fast schon in einer theatralischen Szene zu töten.

Seine Kindheit ist ein einziger lang anhaltender Schrecken. Die einzige Bezugsperson ist sein älterer Bruder, der ihn beschützt, nicht nur vor Mitschülern, die ihn hänseln, sondern er gibt Alfred auch Rückendeckung gegenüber der chronisch kranken und sozial schwachen Mutter. Aber dieser erkrankt schwer und stirbt schließlich. Alleine gelassen, glaubt er zu erkennen, dass er die Macht über Leben und Tod hat. Nur er bestimmt, wann der Tod ihn einholt, nur er hat die Kontrolle über sich und andere. Ein Gotteskomplex.

Ein Zufall lässt Alfred in der Gegenwart wieder töten. Bei einem Spaziergang hilft er einen kleinen Jungen, der von zwei Jugendlichen ausgeraubt werden soll. Er verjagt diese und gewinnt dadurch das Vertrauen des kleinen Benjamin. Benjamin Wagner ist kein guter Schüler. Seine Familie ist in Schwierigkeiten, der Vater hoffnungslos damit überfordert, dass seine Frau unheilbar an Multipler Sklerose erkrankt und durch einen erneuten Schub an den Rollstuhl gefesselt ist, seine Abende verbringt er in Kneipen und entflieht mit Alkohol der Gegenwart und der Zukunft. Eine zerstörte Familie, die dem fast schon Zwölfjährigen keinen Rückhalt bietet. Nachts lauscht er den Gesprächen seiner Eltern und morgens geht er übermüdet in die Schule.

Alfred vergewaltigt Benjamin Wagner und tötet diesen, danach präpariert er dessen Leiche. Er versteckt sie nicht, sondern setzt den Körper an einen Tisch und stellt ihn dort gewissermaßen aus. Eine Szene für die Nachwelt; er will jedem zeigen, wer der Herr über Leben und Tod ist. Aber nicht, ohne ein „Souvenir“ des toten Kindes zu behalten.

Doch Alfred wird der Boden zu unsicher, nicht nur in Berlin auch in anderen Städten hat er gemordet. Die Polizei fahndet mit Hochdruck und zusammen mit einer Frau, die ihm nur zur Vertuschung dient, wandert er in die Toskana aus, wo beide mit bescheidenen Mitteln leben.

Aber auch hier mordet Alfred, der jetzt in der Toskana unter dem Namen Enrico weiterlebt. Doch die italienische Polizei verfolgt die Spuren nach einer gewissen Zeit nicht weiter. Sein nächstes Opfer wird wieder ein kleines Kind – Felix, Sohn einer kleinen Familie, die in der Toskana Urlaub macht.

Nach dem Verschwinden ihres Sohnes kehren Anne und Harald wieder zurück nach Deutschland. Doch Anne hat nach zehn Jahren noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben und kehrt an den Ort ihres Verlustes zurück. Sie will auf eigene Faust herausfinden, was damals passiert ist, und bei aller Angst und Ungewissheit ahnt sie nicht, wie nahe sie dem Serienmörder kommt …

_Meine Meinung_

Sabine Thiesler erzählt die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, und genau das ist das Erschreckende an diesem Roman. Den Mord aus der Sichtweise des Opfers, des zwölfjährigen Benjamin Wagner zu schildern, mitsamt all seiner Empfindungen und Ängste, weckt im Leser eine solche düstere Beklemmung, dass er fast schon überlegt, ob es ratsam ist, diesen Roman weiterzulesen. Aber nicht nur diese Sichtweise ist fast schon brutal; die Kindheit des Mörders, die für die Autorin wohl der Auslöser für die Morde ist, ist ebenso deutlich gezeichnet.

Die Autorin spielt mit verschiedenen Varianten des Schreckens. Als Elternteil liest man den Roman wahrscheinlich mit einer ganz anderen Empfindung. Gerade die Sichtweise der besorgten und verängstigen Eltern, die darauf warten, dass der Sohn zur Türe reinkommt, ist gnadenlos. Auch hier musste ich manches Mal den Roman beiseitelegen. Sabine Thiesler spielt mit unseren Urängsten, unseren Beschützerinstinkten, die ein jeder Vater oder eine jede Mutter hat.

Ich gebe zu, der Roman ist spannend, die Story ist jedoch von Klischees überfüllt. Der Mörder, der eine zerstörte Kindheit vorzuweisen hat; die Kinder, die ermordet wurden, kommen entweder aus zerstörten oder zu glücklichen Familien. Ein jeder Leser wird diese „Geschichten“ aus den Medien wiedererkennen. Spannend, aber zugleich viel zu brutal schildert Sabine Thiesler die Sichtweisen der Charaktere: des Mörders – des Opfers – der Eltern.

Brutal ist dieser Roman nur durch die Ängste, mit denen er spielt. Die Morde werden nicht im Detail geschildert, nicht blutig beschrieben. Ganz im Gegenteil. Ist es das, was diesem Roman auf den Bestsellerlisten einen solch hohen Rang einbringt? Ich denke schon. Unsere Zivilisation ist abgestumpft und träge geworden. Aufregung bieten nur die Medien mit ihren täglichen Schreckensbildern, die sich, gleich, aus welchem Land sie kommen, ähneln. Heute ein Mord, morgen eine Naturkatastrophe, übermorgen ein Krieg mit unzähligen Opfern. Aber nichts ist darunter, was uns wirklich schockiert, nur krankhaft fasziniert.

Ich kann diesen Roman nicht guten Gewissens empfehlen, und dies aus vielen Gründen. Unter anderem, weil Kinder die Opfer sind, weil mit ihren Ängsten gespielt wird und mit unserem Voyeurismus. Weil man zwar Nervenkitzel bei der Lektüre erlebt, dies aber weniger der fiktiv-erzählerischen Güte wegen als vielmehr, weil die Darstellung viel zu real gehalten wird. Der Roman zeigt uns, dass jedes Kind verletzlich ist und zum Opfer werden kann, egal, wie viel Liebe und wie viel Sicherheit wir innerhalb der Familie geben können. Wann wird aus einer fiktiven Geschichte Realität, wann wird aus dieser Geschichte erbarmungslose Brutalität? Der Roman schildert nur die Tat und erklärt nicht die Morde, wenn diese ebenso wie die Beweggründe nur als Klischees zu empfinden sind.

_Die Autorin_

Sabine Thiesler wurde in Berlin geboren und wuchs in der Hauptstadt auf. Sie studierte Theaterwissenschaft und Germanistik. Einige Jahre arbeitet sie als Schauspielerin im Fernsehen und auf der Bühne. Außerdem war sie Ensemblemitglied der „Berliner“ |Stachelschweine|. Sie verfasste Drehbücher fürs Fernsehen, z. B. für die Reihen des Tatorts und Polizeiruf 110.

„Der Kindersammler“ ist ihr Debütroman.

|527 Seiten|
http://www.heyne.de

Crichton, Michael – Next

Mit „Next“ legt Michael Crichton seinen neuesten Spannungsroman vor, der im Stile seines letzten Buches [„Welt in Angst“ 880 ebenfalls ein kontrovers diskutiertes aktuelles Thema aufgreift. Nach Crichtons Schilderungen zur Klimaproblematik nimmt er sich dieses Mal die Gentechnik vor und beleuchtet in Romanform einige ihrer „Auswüchse“.

Zunächst lernen wir den Kopfgeldjäger und Privatdetektiv Vasco Borden kennen, der auf der Jagd nach einem Nachwuchsforscher ist, der sich schließlich selbst umbringt, als Borden ihm zu nahe auf die Pelle gerückt ist. Doch der Forscher, der unerlaubterweise Zellen aus seinem Labor entwendet hat, wird nicht Bordens einziger Auftrag in diesem Buch bleiben. Im späteren Verlauf soll er einen Jungen oder seine Mutter kidnappen, wird aber bei diesem Entführungsversuch durch einen Hybriden eines Ohres entledigt.

Ein weiterer Handlungsstrang befasst sich mit Frank Burnet, der nach einer schweren Krebserkrankung wieder genesen ist und nun seinen behandelnden Arzt anzeigt, weil dieser ihm Zellen und Gewebeproben entnommen hat, um sie kommerziell zu vermarkten. Doch Burnet hat nie die Genehmigung für diese Vermarktung unterschrieben und möchte nun zumindest an diesem Milliardengeschäft beteiligt werden. Sehr zu Burnets Verwunderung und zum Entsetzen seiner Tochter Alex, die als Juristin arbeitet und ihren Vater in diesem Fall verteidigt, verliert Burnet den Prozess und ist somit anschließend nicht mehr der Besitzer seiner Körperzellen. Als im Labor die Burnet-Zelllinie kontaminiert wird, ist die Not groß: Die Zellen müssen unbedingt wiederbeschafft werden, allerdings ist Frank Burnet untergetaucht, sodass nun Alex und ihr kleiner Sohn Jamie ins Kreuzfeuer geraten, da sie dieselben Zellen liefern könnten.

Bei einer Expedition in Zentralsumatra beobachten Fotografen einen Menschenaffen, der die Abenteurer in verschiedenen Sprachen beschimpft. Der sprechende Affe macht Schlagzeilen, allerdings ist dies nicht das einzige sprechende Tier, das uns in „Next“ begegnen wird, denn wir lernen auch den Papageien Gerrard kennen, der nicht nur wunderbar sprechen, sondern sogar rechnen kann. Etwas ganz Besonderes ist auch Dave – ein Schimpanse, der von seinem Vater im Labor gezeugt wurde und nun eingeschläfert werden soll. Doch sein leiblicher Vater rettet Dave, bringt ihn zu seiner Familie und schickt ihn sogar zur Schule. Dass dies Probleme mit sich bringen wird, dürfte offensichtlich sein.

Michael Crichton erzählt zahlreiche weitere Geschichten in seinem gut 500-seitigen Wissenschaftsthriller: Josh Winkler gerät in große Probleme, als sein drogensüchtiger Bruder aus Versehen eine Probe inhaliert, die eigentlich für Tierversuche bestimmt war. Als Joshs Bruder anschließend von seiner Drogensucht befreit ist und sein Leben wieder in die richtigen Bahnen lenken kann, ist Joshs Mutter begeistert, allerdings weiß sie noch nicht, dass ihr Sohn durch das Mittel wesentlich schneller altern wird. Gentechnik bringt eben nicht nur Gutes mit sich…

„Next“ mag zwar durchaus Michael Crichtons neues Buch sein, wahrscheinlich wird es sogar sein nächster Bestseller werden, doch eines ist „Next“ ganz sicher nicht: sein nächster ausgefeilter Roman mit überzeugendem Spannungsbogen! Michael Crichton ist einer der Väter des Wissenschaftsthrillers. In „Timeline“ befasste er sich mit der Teleportation und dem vieldiskutierten Quantencomputer, in „Beute“ waren es die Nanoroboter, die sich plötzlich selbständig gemacht und dadurch für allerhand Ungemach gesorgt haben. Gentechnik und die damit verbundene Problematik ist sicher ein brisantes Thema, das viel Potenzial hat, um es in einem spannungsgeladenen Roman auszubreiten. Doch dies war wohl nicht Michael Crichtons Absicht.

Von Beginn an öffnet er zahlreiche Handlungsstränge, stellt uns selbst 100 Seiten vor Schluss noch neue Protagonisten vor und verliert dabei offensichtlich selbst den Überblick, denn es häufen sich die losen Enden, die nicht fortgeführt werden. Viele Figuren werden präsentiert und geraten anschließend in Vergessenheit. Einen roten Faden lässt dieses Buch ebenso vermissen wie einen Spannungsbogen, Hauptcharaktere oder Sympathieträger. Wir lernen so viele verschiedene Figuren kennen, dass es ratsam wäre, sich beim Lesen eine Personenliste zu erstellen. Eine solche wäre mit Sicherheit deutlich hilfreicher gewesen als das kommentierte Literaturverzeichnis, das stattdessen den Abschluss des Buches bildet.

Wieder einmal ist Michael Crichton missionarisch unterwegs. Wie das ausführliche Literaturverzeichnis vermuten lässt, hat sich Herr Crichton in den letzten Monaten oder auch Jahren intensiv mit der Gentechnik beschäftigt und nun ist für ihn die Zeit gekommen, der Welt seine Meinung kundzutun. In Form zahlreicher Handlungsstränge, in denen uns Michael Crichton Forscher als gewissenlose Egoisten vorstellt, führt er uns vor Augen, welch schreckliche Folgen die Gentechnik denn haben kann und wie rücksichtslos Wissenschaftler und Unternehmer mit den Zellen anderer Menschen und auch ihrem Schicksal umgehen. Zwischendurch flechtet Crichton immer wieder fingierte Zeitungsartikel ein, die sich ebenfalls den negativen und erschreckenden Folgen der Gentechnik widmen. Im Grunde genommen ist es natürlich sehr löblich, dass sich Michael Crichton dieses in der Tat sehr wichtigen Themas annimmt, das ja zu Recht kontrovers diskutiert wird und sicherlich nicht nur Gutes bringen wird. Doch leider offeriert Crichton uns nicht nur Fakten und wahre Begebenheiten, anhand derer man sich sein eigenes Urteil bilden kann – nein, Michael Crichton schwingt den Holzhammer, mit dem er uns seine eigene Meinung einhämmern möchte. Das muss zwangsläufig schiefgehen. Als halbwegs gebildeter und eigenständig denkender Mensch muss man sich von diesem Buch einfach veräppelt fühlen. Crichton hält seine Leser offenbar für geistig beschränkt und meint, uns eine Meinung an die Hand geben zu müssen, nämlich seine eigene.

Dabei ist gerade die Gentechnik ein Thema, mit dem man äußerst sensibel umgehen sollte. Wo Politiker Expertengremien bilden, die zu einem fachlich durchdachten Urteil kommen soll(t)en, stellt Crichton sich hin und predigt „die (seine!) Wahrheit über die Gentechnik“, doch so geht es nicht! Natürlich muss man vorsichtig mit menschlichen Zellen umgehen, natürlich ist es fragwürdig, was die heutige Forschung möglich macht bzw. machen kann, und natürlich ist es verwerflich, wenn ein Forscher sich im Labor einen tierischen Nachkommen erschafft. Doch ist nicht alles schwarzweiß – Forschung bedeutet neben all diesem Gräuel auch Fortschritt und mögliche Hilfe bei Krankheiten. Es ist nicht alles schlecht, nur weil ein Michael Crichton dies so darstellt. Meiner Meinung nach ist es gefährlich, dass ein berühmter und erfolgreicher Bestsellerautor ein solches Buch schreiben darf, in dem nur eine einzige Meinung Gültigkeit hat.

In „Next“ werden sämtliche Figuren schwarzweiß gezeichnet, die Forscher, Ärzte, Juristen sind schlecht, rücksichtslos und nur auf Gewinn bedacht, während die Patienten, die ohne ihr Wissen Gewebe gespendet haben, Opfer sind, denen kein Recht an ihren Zellen zugestanden wird. Crichton verwendet Schablonen anstelle von echten Charakteren, keiner Figur verleiht er Tiefe, niemanden stellt er uns so vor, dass er authentisch wirkt oder zum Sympathieträger werden könnte. Möglicherweise mag dies an den „falschen Genen“ der Protagonisten liegen, kann doch durch die Gene alles Verhalten erklärt werden, wie man nach der Lektüre dieses Buches glauben könnte. Das vorliegende Buch wirkt ausgefranst und man kann sich durch die vielen Handlungsstränge und die schnellen Wechsel der Szenerie nicht so recht einlesen. Bis zum Schluss bin ich mit diesem Werk nicht warm geworden und wusste nicht, was der Autor mir eigentlich sagen möchte. Zu Crichtons Gunsten hatte ich zunächst angenommen, er wolle die möglichen Folgen der Gentechnik lediglich überspitzt darstellen, um sein Publikum aufzuschrecken und auf dieses drängende Problem aufmerksam zu machen. Doch das Lesen des Nachwortes macht diese Hoffnung zunichte, denn Crichton möchte mit diesem Buch tatsächlich nur seine eigene Meinung kundtun.

Insgesamt bin ich schlichtweg enttäuscht von diesem literarischen Ausrutscher Michael Crichtons, den ich seit „Timeline“ leider nie wieder in Höchstform erleben durfte und der mir inzwischen eher wie ein Wanderprediger vorkommt. Sehr lobenswert finde ich sein Anliegen, aktuelle und kontroverse Themen für seine Bücher herauszugreifen und dadurch auf diese aufmerksam zu machen. Sein Vorgehen hierbei ist allerdings sehr fragwürdig, denn er lässt keine Meinung neben seiner eigenen zu und vereinfacht die Sachlage viel zu sehr. Wie ein Elefant im Porzellanladen geht Crichton zu Werke, wo stattdessen viel Fingerspitzengefühl gefragt gewesen wäre.

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Harris, Thomas – Hannibal Rising

„Haben die Lämmer aufgehört zu schreien?“, fragte Dr. Hannibal Lecter die noch junge FBI-Schülerin Clarice Starling in dem 1991 verfilmten Roman [„Das Schweigen der Lämmer“ 354 von Thomas Harris.

Mit dem Film entstand rund um den intelligenten, charismatischen und grausamen Dr. Hannibal Lecter ein neues Genre. Nicht nur der Film wurde hoch gelobt und bekam wohlverdient als bester Film mehrere Oscars, auch der Schöpfer dieses jetzt größten Filmschurken verdiente das große Lob seiner Romane.

Die Verfilmungen der Thrilleradaptionen „Roter Drache“ und „Hannibal“ konnten an den Erfolg anschließen und haben einen hohen Maßstab gesetzt, literarisch wie auch cineastisch. Nach „Hannibal“ allerdings hatte der Darsteller des Kannibalen Dr. Lecter – Sir Anthony Hopkins – genug von dieser „wahnsinnigen“ Figur, mit der er auf immer identifiziert werden sollte.

Thomas Harris hat sich mit seinem Roman „Hannibal Rising“ viel Zeit gelassen und geht wie so mancher Autor vor ihm den Weg zurück. Viele Autoren bedienen sich Sequels/Prequels, um an ihren Erfolg anzuknüpfen, und da Anthony Hopkins wie gesagt nicht mehr bereit ist, Dr. Lecter zu spielen, lag es nahe dem interessierten Leser und Zuschauer zu erklären, wie es dazu kam, dass ein hoch gebildeter Doktor der Psychologie solchen Wahnsinn an den Tag legt. Welche Einflüsse und Erlebnisse in jungen Jahren haben Hannibal zu dem Serienmörder gemacht, der er ist – ob nun wirklich böse oder nicht, lassen wir erstmal dahingestellt. Haben wir uns diese Frage nicht immer schon gestellt?

„Hannibal Rising“ von Thomas Harris erschienen Ende 2006 im Verlag |Hoffmann und Campe| und gibt den Lesern Antworten auf die Fragen „Warum“ und „Weshalb“.

_ Die Geschichte_

Litauen 1941: Der achtjährige Hannibal Lecter, Sohn eines Grafen, seine Mutter ist italienischer Abstammung, lebt zusammen mit seiner jüngeren Schwester Mischa auf Burg Lecter. Seit fünf Jahrhunderten ist diese im Besitz der Grafschaft Lecter.

Die Eltern erkennen schon die besondere Intelligenz an dem immer höflichen und interessierten Jungen und fördern seinen unersättlichen Wissensdurst mit Hilfe eines Privatlehrers, zu dem Hannibal bald eine tiefe Freundschaft entwickelt.

Um der immer näher rückenden Front zu entkommen, entschließt sich Graf Lecter mitsamt seiner Familie und dem Lehrer dazu, Zuflucht in ihrem Jagdhaus zu suchen. Doch die Ausläufer des schrecklichen Zweiten Weltkriegs finden auch zufällig dieses letzte Versteck, und bei einem Bombenangriff werden die Eltern sowie der Lehrer getötet. Hannibal und seine kleine Schwester überleben das Inferno und sind nun auf sich allein gestellt.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges finden einige Deserteure und Söldner, die sich als Rot-Kreuz-Helfer tarnen, das kleine Jagdhaus und somit auch Hannibal und Mischa. In der nächsten Zeit wird durch die Grausamkeiten, die Hannibal erlebt, der erste Grundstein seines späteren Verhaltens gesetzt. Beide werden krank, hungern und werden an die Kette gelegt wie wilde Tiere in einem Gefängnis.

Die Deserteure sind unterernährt, erkranken wie die beiden Kinder selbst auch und suchen verzweifelt nach etwas Essbarem. Schließlich muss Hannibal mit ansehen, wie seine Schwester Mischa vor seinen Augen mit einer Axt getötet und ihre kleine Leiche verspeist wird. Dieser Moment, dieses Erlebnis entfacht ihn ihm den Drang nach Rache. Zudem traumatisiert ihn dieses Erlebnis für Jahre, und er verschließt sich unbewusst diesem grausamen Trauma.

Später wird der verletzte und ausgehungerte Hannibal nahe dem Jagdhaus gefunden. Er spricht nicht mehr, ist verstört und kommt in ein Waisenhaus. Inzwischen ist er dreizehn Jahre alt. In der Nacht wird Hannibal immer wieder von Alpträumen geplagt und immer schreit er in der Dunkelheit den Namen seiner Schwester: Mischa, Mischa …! Er durchlebt wieder und wieder die schrecklichen Erlebnisse, ohne sich allerdings bis zuletzt daran erinnern zu können. Tagsüber aber wehrt sich der Jugendliche Hannibal gegen die Geister der Vergangenheit.

Hannibals Onkel, der Bruder seines Vaters, und seine schöne und kultivierte japanische Frau Lady Murasaki nehmen Hannibal in ihre Familie auf und Frankreich wird die nächste Station in seinem noch jungen Leben. Hannibal baut eine tiefe und innige Zuneigung für die schöne und gebildete Lady Murasaki auf, die sich hingebungsvoll seiner annimmt und ihn vieles lehrt. Hannibal entwickelt sich schon hier zu einem interessierten, höflichen jungen Mann. Doch der Schein trügt, sein Temperament ist hitzig, und doch strahlt seine ganze Person kein Gefühl aus.

Als nach dem Tod seines Onkels Lady Murasaki tief beleidigt wird, offenbart sich das Wesen Hannibals langsam. Kalt und berechnend fordert er den Mann auf, sich schriftlich bei Lady Murasaki zu entschuldigen. Dieser nimmt Hannibal nicht ernst und wird zum ersten Opfer des späteren Serienmörders.

Hannibal, ein schulisches Genie, überspringt ein paar Klassen und beginnt interessiert sein Medizinstudium. Besonders bewandert und talentiert ist Hannibal in der Anatomie. Durch einen Zufall kommt er an eine Wahrheitsdroge und durch deren Gebrauch erinnert er sich an den grausamen Mord an seiner Schwester Mischa.

Hannibal sinnt auf Rache; brutal und berechnend sucht er die Männer auf, die sein Leben für immer geprägt haben …

_Kritik_

Der Gedanke, „Hannibal Lecter“ erklären zu wollen, ist ein logisch schlüssiger Ansatz des Autors Thomas Harris. Ganz klar interessiert sich der Leser der vorherigen Romane und Zuschauer der Verfilmungen für die Wurzeln des Bösen Hannibals.

Hannibals schreckliche und grausame Kindheit wird dem Leser in fast schon epischer Breite erzählt, allerdings zunächst ohne darauf hinzuweisen, was seiner kleinen Schwester widerfahren ist. Stilistisch interpretiert Thomas Harris Hannibal natürlich ganz anders als in den drei bisherigen Romanen („Das Schweigen der Lämmer“, „Roter Drache“ und „Hannibal“). Hannibal wird hier zumeist als Opfer gezeigt, nicht als unberechenbares Monster wie in den Büchern zuvor.

Besonders gut gefallen hat mir genau dieser erster Teil des Romans; auch wenn Kindheit und Jugend Hannibal Lecters nicht den Spannungsbogen dieses Romans beherbergen. Er wird als liebenswürdiger und menschlicher Charakter dargestellt. Erst im Waisenhaus zeigt sich in Momentaufnahmen sein aggressives, unberechenbares Verhalten, wenn aus dem stillen und interessierten Jungen auf einmal ein kalter und grausamer Charakter wird, sobald er Unrecht und Unhöflichkeit empfindet.

Die Rache an den Mördern seiner Schwester wird von Thomas Harris fast schon zu nüchtern erzählt, und zuletzt konzentriert sich der Autor, so empfand ich es bei der Lektüre, nur auf diesen Handlungsstrang.

Zwar entwickelt sich zwischen Lady Murasaki und Hannibal eine platonische Liebe, die aber nicht weiter ausgeführt wird. Genauso habe ich es vermisst, die menschliche Seite an Hannibal hervorzuheben; bruchstückhaft wird dies zwar versucht, aber nicht zu Ende geführt. Mich hätte auch das Alltagsleben interessiert, nicht nur die Morde, die er erwarteterweise ausführt.

Ich habe lange auf diesen Roman gewartet, denn die Romane von Harris mit der Figur des Dr. Hannibal Lecter haben mich immer schon fasziniert, zumal Hannibal in den Verfilmungen oftmals zu Unrecht nur als „böses Monstrum“ gezeigt wird. Einzig und allein die Romane zeigen den Mörder auch von seiner menschlichen Seite, nicht nur als Wahnsinnigen, der des Spaßes wegen tötet. Im Gegenteil – Hannibal Lecter hat seine ganze eigene Welt, seinen eigenen Gedankenpalast, und Unhöflichkeit kann dieser kultivierte, intelligente Mann in seinen Maßstäben nicht durchgehen lassen. Dass er dabei die Morde nicht als etwas Böses ansieht, ist für den Zuschauen nicht zu begreifen.

Der Roman „Hannibal Rising“ ist unterhaltsam, aber meine Erwartungen hat er leider nicht erfüllen können. Weniger Morde, dafür mehr Erklärungen wären sinniger gewesen. Leider endet der Roman damit, dass er sein Medizinstudium abschließt und als Assistenzarzt in Baltimore anfängt. Dem Leser bleibt leider verborgen, was zwischen seinem Medizinstudium und den Anfängen von „Roter Drache“ passiert. Mich hätte sehr interessiert zu erfahren, wie sich der Charakter von Hannibal weiterentwickelt.

Ich kann den Roman bedingt empfehlen, und vielleicht hat dieser auch sein Ziel bereits damit erreicht, neugierig auf die Verfilmung zu machen, die Mitte Februar in den deutschen Kinos anlaufen wird. Jedenfalls hat er das bei mir bewirkt.

Thomas Harris hat für einen weiteren Roman unterschrieben; hoffentlich findet der Autor dann die Brücke zwischen den einzelnen Bänden.

_Autor_

Der Autor Thomas Harris wurde 1940 in Jackson, Tennessee geboren. Kurz nach dem Studium entschloss er sich einige Zeit in Europa zu verbringen 1968 wurde er als Reporter in New York tätig. Erst 1975 erschien sein Erstlingswerk „Schwarzer Sonntag“ dem die Hannibal Lecter Romane folgen sollten.

|Bibliographie|

1. Schwarzer Sonntag
2. Roter Drache
3. Das Schweigen der Lämmer
4. Hannibal
5. Hannibal Rising

Alle Romane sind verfilmt worden. Bis auf „Schwarzer Sonntag“ handelt es sich bei allen anderen um Hannibal-Lecter-Romane.

http://www.hoffmann-und-campe.de
http://www.thomasharris.com

Hurwitz, Gregg – Scharfrichter, Die

Selbstjustiz ist gerade in den USA, wo schon so mancher Waffennarr das Recht, einen Einbrecher zu erschießen, für sich beansprucht hat, ein sensibles Thema. So gesehen packt Gregg Hurwitz mit seinem Thriller „Die Scharfrichter“ ein mehr oder minder heißes Eisen an.

Tim Rackley ist US Marshal in Los Angeles. Auch seine Frau Andrea arbeitet bei der Polizei. Tim ist ein rechtsgläubiger Mensch, der an die Gesetze glaubt. Das ändert sich, als seine sechsjährige Tochter Virginia brutal ermordet und der Täter aufgrund eines juristischen Formfehlers freigesprochen wird. Tim sieht plötzliche, wie die Rechtsprechung auch mal im Unrecht sein kann, und das will und kann er nicht so stehen lassen.

Wie es der Zufall so will, klopft just in dem Moment aufkeimender Rachegelüste ein Mann an seine Tür, der sich als Vertreter einer Kommission vorstellt, die es sich zum Ziel gemacht hat, solche Fehlurteile der Rechtsprechung geradezubiegen – auf eigene Faust, versteht sich, und auf nicht ganz legale Weise obendrein. Nach einigem Grübeln schließt Tim sich dieser Kommission an, die sich daraufhin trifft, um sieben Fälle neu aufzurollen, zu verhandeln, Urteile zu sprechen und zu vollstrecken. Der siebte Fall soll der Mörder von Tims Tochter sein.

Zunächst verläuft alles planmäßig, als dann jedoch einige skrupellose Mitglieder der Kommission bei einer Urteilsvollstreckung ein Blutbad anrichten, läuft die Sache aus dem Ruder. Tim muss schon bald erkennen, dass er sich auf ein Spiel eingelassen hat, von dem er besser die Finger gelassen hätte und bei dem am Ende nicht nur sein eigenes Leben in Gefahr ist …

Auf den ersten Blick klingt das alles nach einem spannenden Thriller um Justiz und Rache. Diesen Eindruck will offensichtlich auch der auffällige gelbe Sticker auf dem Buchdeckel erwecken, der „Hochspannung!“ verspricht. Solche Sticker machen mich mittlerweile aber immer misstrauisch, denn schon zu oft entpuppte sich ein solcher „hochspannender“ Thriller oder gar „Thriller des Monats“ als Pleite oder höchstens mittelklassiges Werk.

„Die Scharfrichter“ ergeht es da leider nicht viel anders – zumindest scheint sich der Sticker auf dem Buchdeckel lediglich auf das letzte Buchdrittel zu beziehen. Mag die Thematik im ersten Moment auch noch spannend klingen und auch Hurwitz‘ Einstieg in die Geschichte noch recht vielversprechend erscheinen, so folgt dem mit zunehmender Seitenzahl dann doch immer häufiger ein Stirnrunzeln. Die Geschichte entwickelt so einige Ecken und Kanten, die ein wenig den Lesegenuss trüben.

Und das, obwohl Hurwitz am Anfang noch einen recht guten Eindruck hinterlässt. Die Trauer und Ohnmacht der Eltern wird einigermaßen gut greifbar und steht in den ersten Kapiteln noch im Mittelpunkt der Handlung. Das erste Stirnrunzeln folgt dann mit dem Freispruch des Kindermörders wenig später. Der Täter wird freigesprochen, nachdem die Verteidigung mehrere Gutachten vorlegt, die belegen, dass der Angeklagte taub ist, also nicht hören konnte, wie ihm seine Rechte vorgelesen wurden, als die Polizei ihn mitsamt aller erdrückenden Beweise in seinem Haus vorfand. Dass daher alle in diesem Zusammenhang sichergestellten (und absolut eindeutigen) Beweise und das Geständnis des Täters vor Gericht nicht anerkannt werden, führt zum Freispruch. Dass aber vorher niemand gemerkt haben will, dass der Täter taub ist, wird nicht sonderlich glaubwürdig verdeutlicht.

Auch andere Fehlurteile, die die Kommission später intern noch einmal neu aufrollt, bleiben ähnlich fragwürdig. Warum z. B. die Gerichte einen Mann, der erwiesener Maßen ein Massenmörder ist, freisprechen, weil das Sondereinsatzkommando drei Minuten zu spät seine Wohnung stürmt, wird nicht ganz deutlich. Dafür, dass die USA sich beispielsweise in Guantanamo einen Dreck um die Rechte Verdächtiger scheren, lässt die US-Justiz hier einfach zu freizügig Massenmörder laufen, als dass es glaubhaft wäre.

Und so lässt das Ganze Hurwitz‘ Realitätsbezug ein wenig zu zweifelhaft erscheinen. Mag sein, dass das Rechtssystem einige haarsträubende Schlupflöcher hat, aber dass eine dreiminütige Verspätung der Polizei schwerer wiegen soll als ein 86-facher Mord, erscheint einfach zu unglaubwürdig. Wenn Hurwitz‘ Recherchen wirklich so haarsträubende Probleme in der US-Justiz ergeben hätten, hätte ich mir einen entsprechenden Kommentar im Nachwort gewünscht, um dem irgendwie Glauben schenken zu können, aber ohne einen weiteren Kommentar klingt das für meine Ohren einfach zu fantastisch.

Der Thrillerplot, den Hurwitz aber aus diesem etwas fragwürdigen Stoff spinnt, lässt mit der Zeit zumindest die Spannungskurve ordentlich steigen. Damit lässt er sich zwar auch ein wenig Zeit (in der ersten Hälfte des Buches gibt es immer wieder Phasen, die weniger spannend sind), dafür ist gerade das letzte Drittel des Buches dann doch wirklich spannend. Es entbrennt ein fesselndes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Tim, den anderen Mitgliedern der Kommission und der Polizei, bei dem es um alles geht.

Bei der Schilderung der Vorgehensweise der Kommission, bei allen Aspekten, die sich um Waffen und Technik sowie deren Handhabung drehen, geht Hurwitz äußerst präzise vor. Er schildert solche Dinge geradezu detailverliebt und lässt immer wieder Daten und Fakten einfließen, wie die Stärke des Rückschlag einer Waffe oder die Vorgehensweise zur Ausschaltung eines Bewegungsmelders. Dem gegenüber stehen aber hier und da kleine Flüchtigkeitsfehler in der Kontinuität der Geschichte. So beträgt der Zeitraum zwischen dem Mord an Tims Tochter und den aktuellen Ereignissen des Romans erst 14 Tage, später dann nur noch 11 Tage, und eine Sprengstofftasche, die erst oliv war, ist plötzlich schwarz. Aber das sind sicherlich eher Kleinigkeiten, die man als nicht ganz so schwerwiegend betrachten kann.

Nicht ganz überzeugend finde ich dagegen die Auflösung. Ich hatte befürchtet, dass die Geschichte auf das hinauslaufen würde, was dann zum Ende hin kommt, denn irgendwie liegt das im Laufe des Buches schon in der Luft – überzeugend gelöst finde ich es dennoch nicht. Auch das Ende erscheint mir ein wenig zu typisch amerikanisch. Der strahlende Held bleibt der strahlende Held, trotz all der Dinge, die er tut und erlebt. Das Ende passt zwar zur Geschichte, hinterlässt aber dennoch einen etwas fahlen Nachgeschmack.

Überhaupt wirken die Figuren etwas klischeebehaftet: Tim der Superpolizist auf Abwegen, der nie den Überblick zu verlieren scheint und dessen Heldenaura nur selten Kratzer erleidet. Auch die Kommissionsmitglieder wirken teils sehr klischeeüberfrachtet. Die muskulösen Zwillingsbrüder Masterson, die ihre Aggressionen nicht immer im Zaum halten können. Storch, der hässliche, kränkliche Technikfreak, der ein gesellschaftlicher Außenseiter ist, aber in Sachen Technik ein brillantes Genie. Das sieht alles ein wenig zu sehr nach Hollywoodfilm aus.

Bleiben unterm Strich also gemischte Gefühle zurück. Einerseits baut Hurwitz den Plot spannend auf und gibt der Geschichte gerade zum Ende hin viel Tempo, dennoch bleiben viele Aspekte in Erinnerung, die wenig überzeugend sind. Gerade mit Blick auf die Entscheidungen der Justiz bleibt vieles fragwürdig. Zwar sind die USA ein Land, wo Gerichte auch schon mal den Ausgang einer demokratischen Wahl festlegen (was für sich genommen so haarsträubend ist, dass man all die krassen Fehlurteile, die Hurwitz schildert, sofort glauben möchte), dennoch erscheint mir in dieser Hinsicht manches zu fantastisch. Auch die wenig befriedigende Auflösung und die klischeebehafteten Figuren trüben ein wenig die Freude. Fazit: Spannende Kost zwar, aber dennoch nicht auf ganzer Linie überzeugend.

http://www.knaur.de

Holtkötter, Stefan – Geheimnis von Vennhues, Das

Vennhues im Münsterland, 1982. Beim Spielen im Moor findet ein Junge die grausam zugerichtete Leiche eines Kindes. Schnell hat man einen Hauptverdächtigen gefasst, den knapp achtzehnjährigen Peter Bodenstein. Peter beteuert seine Unschuld, doch die Dorfbewohner sind davon überzeugt, dass er der Mörder ist. Kurz vor der Tat hat er sich mit dem Opfer zerstritten, die Tatwaffe stammt aus seinem Haus und er hat kein Alibi. Sogar seine Eltern zweifeln. Peter wird aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Aus Angst vor Rache verlässt er den Ort und meldet sich zur See.

Mehr als zwanzig Jahre danach kehrt Peter Bodenstein zurück auf den Hof seines Vaters. Er will endlich seine Unschuld beweisen, aber er wird kalt empfangen. Bis auf seinen Vater halten nur wenige Dorfbewohner zu ihm, der Rest sieht in ihm nach wie vor den Mörder, zumal es nie einen weiteren Verdächtigen gab. Bald darauf geschieht die Katastrophe: Wieder findet man die Leiche eines Jungen im Moor und wieder gerät Peter Bodenstein in Verdacht. Die aufgebrachten Dorfbewohner wollen Peter lynchen, der im letzten Moment flüchten kann.

Hauptkommisar Bernhard Hambrock aus Münster, der in Vennhues aufgewachsen ist, übernimmt den Fall. Vor zwanzig Jahren war er mit Peter befreundet und er hält seine Unschuld für möglich. Bei seinen Ermittlungen rollt er auch den alten Mordfall wieder auf. Doch obwohl er selber aus dem Dorf stammt, erhält er bei seinen Nachforschungen kaum Unterstützung. Die eingesessenen Dorfbewohner betrachten den Großstädter als Fremdling, der nicht mehr zu ihnen gehört, und verweigern die Zusammenarbeit. Doch Hambrock gibt nicht auf. Bei seinen Untersuchungen stößt er auf düstere Geheimnisse und kämpft darum, die Wahrheit ans Licht zu holen. Die Spur führt schließlich ins Moor …

Ein kleines Dorf, ein düsteres Moor, eine verschworene Gesellschaft und grausige Morde … Aus bewährten Zutaten zaubert Stefan Holtkötter einen Krimi der Extraklasse, den sich kein Spannungsfreund entgehen lassen sollte.

|Überzeugende Charaktere|

Einen großen Anteil daran haben die Charaktere, die von Beginn an überzeugen können und dem Leser plastisch vor Augen treten. Da ist der Mordverdächtige Peter Bodenstein, damals ein halber Junge, der gerade das Erwachsenenalter erreicht hatte und seitdem auf den Schiffen um die halbe Welt gereist ist. Mit Anfang vierzig kehrt er nun zurück in seine alte Heimat, um den zweimonatigen Landurlaub bei seinem alten Vater zu verbringen. Mit Peter Bodenstein ist dem Autor eine zwiespältige und gerade deshalb hochinteressante Figur geglückt, die einerseits das Misstrauen des Lesers weckt, da man nicht zu hundert Prozent von seiner Unschuld überzeugt ist. Andererseits empfindet man tiefes Mitgefühl für diesen Mann, der sein halbes Leben auf der Flucht verbringen musste. Nicht einmal sein Vater kann sagen, dass er ihn für unschuldig hält, obwohl er trotzdem zu seinem Sohn steht und ihn liebt. Peters Mutter ist vor ein paar Jahren verstorben, ohne ihren Sohn noch einmal wiedergesehen zu haben. Auch wenn nicht sehr viele Worte gebraucht werden, um Peters Schicksal zu beschreiben, spürt man die Hoffnungslosigkeit, die über seinem Leben schwebt, das an jenem Tag zerbrach, an dem die Leiche von Willem van der Kraacht gefunden wurde.

Unauffälliger aber nicht weniger interessant ist die Gestalt von Hauptkommissar Bernhard Hambrock, der ihn, nur wenige Jahre jünger als Peter, in Jugendtagen einst bewunderte und fest an seine Unschuld glaubte. Zwei Jahrzehnte und viele Berufserfahrungen später weiß Hambrock, dass es kein Indiz für Peters Unschuld gibt, dass sich Mörder hinter den unwahrscheinlichsten Masken verbergen. Hambrock steckt in einem Dilemma: Die Dorfbewohner kritisieren seine Ermittlungen und fordern eine schnelle Vertreibung von Peter Bodenstein aus Vennhues; der um Neutralität bemühte Hambrock ist für sie ein Verräter, der einen Mörder schützt. Umgekehrt sieht Peter Bodenstein in dem alten Freund nur noch den Gesetzeshüter, der seine Schritte überwacht. Zu allem Überfluss war Hambrocks ehemaliger Vorgesetzter, auf dessen Urteil er große Stücke hält, der damals leitende Ermittler, der nach wie vor von Bodensteins Schuld überzeugt ist. Bernhard Hambrock präsentiert sich als tüchtiger und gewissenhafter Ermittler, dessen private Persönlichkeit nie in den Vordergrund gedrängt wird. Immer wieder gibt es kleine Episoden aus seinem Ehe- und Familienleben, vor allem wegen der wenigen Zeit, die er seiner Gattin widmen kann, nette Anspielungen auf seine Zwangsdiät – aber der Roman dreht sich nicht um ihn als Hauptfigur, sondern um die Aufklärung zweier Verbrechen und die Schuldfrage eines verjagten Verdächtigen und ehemaligen Freundes. Auch die restlichen Nebenfiguren wissen zu überzeugen. Der Leser begegnet im Dorf den verstockten Altbewohnern, die am liebsten Selbstjustiz verüben würden, den zurückhaltenden Vernünftigen, die sich um Neutralität bemühen und den wenigen Menschen, die zu Peter halten und seinen Aussagen Glauben schenken oder es zumindest versuchen. Für kleine Auflockerungen sorgt Hambrocks Assistent Phillip, ein junger, impulsiver Polizeipraktikant, der den Hauptkommissar mit seiner fehlenden Besonnenheit manchmal fast zur Verzweiflung treibt.

|Dramatik bis zum Schluss|

Von Beginn an liegt Spannung in der Luft: Der Prolog führt zurück ins Jahr 1982, als der junge Frank im Moor über die Leiche des erstochenen Willem van der Kraacht stößt. Das dörfliche Vennhues mit seinen alteingesessenen Bewohnern, die zusammenhalten und gegen jeden Außenstehenden misstrauisch reagieren, wird anschaulich und atmosphärisch dicht geschildert. Schon bald ist der Leser mittendrin in dieser Gemeinschaft, spürt den Hass, der gegen Peter Bodenstein in der Luft liegt und die Zerrissenheit von Bernhard Hambrock, der sich von seiner Subjektivität gegenüber Peter befreien muss. Rasch ahnt man, dass die Mordfälle viel komplexer sind, als die Bewohner angenommen haben, und dass es düstere Geheimnisse unter ihnen gibt. Nach und nach kristallisiert sich bei Hambrocks Ermittlungen heraus, dass es neben Peter noch andere Dorfbewohner gibt, die Motiv und Gelegenheit zu den Morden gehabt hätten. Doch zwanzig Jahre nach einem Verbrechen ist es schwer, glaubhafte Indizien zu finden und die Nachforschungen der Polizei kommen nur langsam voran. Die Spannung liegt nicht nur in der Mördersuche, sondern auch in der Frage, was mit Peter am Ende geschehen wird – hat er Schuld an den Morden, und wenn nicht, wird er rehabilitiert? Verübt einer der Bewohner zuvor Selbstjustiz an ihm? Ist seine Flucht nach dem zweiten Mord erfolgreich, wird er gefasst oder wird er sich sogar stellen? Alles scheint möglich, und je mehr Einwohner in den Fall verwickelt werden, desto unvorhersehbarer wird das Finale. Der Leser erhält nicht nur Anteil an einer bis zuletzt abwechslungsreichen Mörderjagd, sondern wird auch ein wenig nachdenklich bei dieser Suche nach Schuld und Sühne und der Darstellung dessen, was Vorverurteilungen aus einem Menschenleben machen können. Zusammen mit dem stets gegenwärtigen Ortshintergrund des bedrohlichen Moors ergibt sich eine unheilvolle Atmosphäre, die für wohlige Schauer sorgt.

|Minimale Mankos|

Schwächen gibt es kaum in diesem durchgehend überzeugenden Krimi. Routinierte Genreleser mögen jedoch vielleicht bemängeln, dass das Setting der dörflichen Gemeinschaft, die gegen Fremde erbarmungslos zusammenhält, mittlerweile sehr bekannt ist. Etwas gewöhnungsbedürftig ist auch das Ende, bei dem der Autor darauf verzichtet, sämtliche Fäden sauber zu verknüpfen und einen kleinen Raum für Spekulationen lässt, wenn auch nicht in den wesentlichen Fragen. Dass er kein reines Happy-End liefert, verstärkt allerdings den Authentizitätscharakter der Geschichte, da auch in der Realität selten alles einen uneingeschränkt guten Schluss findet.

_Unterm Strich_ erwartet den Leser ein hervorragender Krimi aus deutschen Landen mit viel Lokalkolorit. Schnörkellos und klar geschrieben, lässt sich der kompakte Roman locker und leicht lesen. Die Spannung wird bis zum Schluss aufrechterhalten und unterhaltsames Mörderraten ist garantiert. Ein Muss für alle Freunde von Lokalkrimis.

_Der Autor_ Stefan Holtkötter wurde 1973 im Münsterland geboren. Er absolvierte unter anderem eine Ausbildung als Sozialpädagoge und arbeitet heute neben seiner Autorentätigkeit in Berlin als Motivationstrainer und Berater für Arbeitslose. 2005 erschien sein erster Roman, der Berlin-Krimi „Fundort Jannowitzbrücke“. Mehr über ihn auf seiner Homepage http://www.stefan-holtkoetter.de.

Max Allan Collins – CSI Las Vegas: Killing Game

Zwei neue Fälle für das aus dem US-Fernsehen bekannte CSI-Team von Las Vegas beanspruchen nicht nur die ermittlerischen Fähigkeiten der Beteiligten, sondern stehen außerdem unter dem Unstern büropolitischer Intrigen … – Diese nicht verfilmte Story bietet einen Routine-Plot, der vom CSI-erfahrenen Verfasser immerhin mit der üblichen Nähe zur Vorlage im positiven Sinn routiniert erzählt wird, sodass vor dem geistigen Auge sogleich die entsprechenden Bilder ablaufen: für Fans ohnehin ein Muss, für den ‚normalen‘ Krimifan ein Kann.
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James, Peter – Stirb ewig

„Stirb ewig“ ist der spannungsgeladene Auftakt zu Peter James‘ Kriminalreihe um Detective Superintendent Roy Grace, die vor kurzem durch [„Stirb schön“ 3154 fast ebenso packend fortgesetzt wurde:

Der erfolgreiche Unternehmer Michael Harrison steht kurz vor seiner Hochzeit mit der schönen Ashley, als er mit seinen besten Freunden nochmal ordentlich einen trinken gehen und bei seinem Junggesellenabschied auf den Putz hauen möchte. Doch Michael ahnt noch nicht, was für einen perfiden Joke sich seine Freunde mit ihm erlauben wollen, die wollen sich nämlich ein wenig an Michael und seinen schlechten Scherzen der Vergangenheit rächen und planen eine „Beerdigung“ für ihn. Auf einem verlassenen Grundstück haben die Freunde ein Grab ausgehoben und einen passenden Teakholzsarg bereitgestellt, der leider an der Unterseite etwas leck geschlagen ist und Wasser durchlässt. Im betrunkenen Zustand heben sie Michael in den Sarg, drücken ihm eine Taschenlampe, ein Pornoheft, eine Flasche Whiskey und ein Walkie-Talkie in die Hand, bevor sie den Deckel herunterlassen und fest verschrauben. Noch machen die vier Freunde sich keine Sorgen um Michael, denn der ist mit seinem Atemschlauch versorgt und durch das Walkie Talkie direkt mit ihnen verbunden, allerdings wissen sie auch noch nicht, dass sie auf dem Weg zur nächsten Kneipe einen schrecklichen Autounfall haben werden: Drei der Freunde sind auf der Stelle tot, der vierte schwebt in Lebensgefahr und liegt im Koma. Und das lebensrettende Walkie Talkie wird von dem geistig zurückgebliebenen Davey gefunden, der den Ernst der Lage nicht erkennt und das Walkie-Talkie vor seinem Vater versteckt.

Derweil sitzt Michaels Geschäftspartner Mark Warren im Flugzeug und hat aufgrund von Nebel stundenlang Verspätung, sodass er nicht wie geplant am Junggesellenabschied teilnehmen kann. Der Nebel allerdings rettet sein Leben, denn sonst hätte auch Mark im Unfallauto gesessen. Als er von dem schweren Autounfall hört, sieht er seine Chance gekommen: Er behauptet, von dem inszenierten Begräbnis und von Michaels Verbleib nichts zu wissen, insgeheim schmiedet er jedoch ganz andere Pläne, denn der Stachel der Eifersucht nagt tief in ihm, weil Michael schon immer erfolgreicher war. Michael kommt aus guten Verhältnissen und hatte schon immer den deutlich größeren Erfolg beim weiblichen Geschlecht – damit soll nun Schluss sein.

Roy Grace ahnt von diesem verhängnisvollen Zusammenspiel noch nichts, als er vor Gericht steht, um dem Prozess eines Schwerverbrechers beizuwohnen, der daran zu scheitern droht, dass Roy Grace zur Aufklärung des Falles ein Medium hinzugezogen hat. Als die Presse davon Wind bekommt, wird Roy Grace zum Gespött aller Zeitungen, sein Ruf ist ruiniert und seine Chefin ziemlich schlecht auf ihn zu sprechen. Doch auch auf der Suche nach Michael Harrison wird er auf paranormale Hilfe zurückgreifen müssen.

Michael weiß von all diesen Geschehnissen nichts, während er mit steifen Gliedern im Sarg liegt, Hunger und Durst leidet und das Grundwasser im Sarg immer höher steigt. Seine Panik wächst und wächst, doch die mögliche Rettung weiß noch nicht einmal von seiner prekären Lage …

Dies sind die Komponenten für Peter James‘ hochspannenden Thriller, der von dem Moment an mitzureißen weiß, als Michaels Freunde ihren schweren Autounfall haben und Michael hilflos in einem stabilen Sarg begraben liegt, über dessen Verbleib niemand etwas weiß. Was zunächst wie ein Dummer-Jungen-Streich wirkt, wird schlagartig todernst, als Michaels Freunde verunglücken und nur noch eine winzige Hoffnung besteht, dass der schwer verletzte Josh erwacht und Michaels Aufenthaltsort verraten kann. In jeder Minute fiebert man mit Michael mit und hofft, dass Josh erwachen möge, dass Mark es sich vielleicht anders überlegen könnte oder dass Davey sich verraten und damit seinen Vater auf den Plan rufen würde. Doch nichts davon geschieht, Peter James macht in seinem Spannungsroman jede aufkeimende Hoffnung sehr schnell zunichte, wodurch er seinen Spannungsbogen immer weiter ausbaut, sodass man schließlich fingernägelkauend mit dem Buch in der Hand dasitzt und einem Schweißperlen vor Aufregung auf der Stirn stehen. Ich habe selten ein Buch gelesen, das spannender war als „Stirb ewig“. Und das liegt noch nicht einmal an der ausgefeilten Charakterzeichnung, einem überragenden Ermittler oder einer besonders ausgeklügelten Story. Nein, Peter James fügt die Bausteine, die ihm zur Verfügung stehen, klug zusammen und konzentriert sich größtenteils darauf, das Tempo immer weiter anzuziehen – und genau das schafft er meisterlich.

Nach und nach fügen sich die einzelnen Informationen zu einem Ganzen zusammen und hierbei hat Peter James so einige Überraschungen für uns parat, sodass man einige Male ziemlich erstaunt ist angesichts der Wendung, die sich einem beim Lesen eröffnet. Allerdings muss man auch so ehrlich sein und zugeben, dass insbesondere die allerletzte Wendung gen Buchende ein wenig viel des Guten gewesen ist. Dass James uns überraschen will, ist legitim und an den meisten Stellen auch gelungen, aber leider übertreibt der Autor es am Ende ein wenig, sodass die finale Auflösung etwas unrealistisch anmutet. Aber was soll’s – in Anbetracht von gut 300 Seiten Hochspannung mag man ihm dies verzeihen.

„Stirb ewig“ ist der Auftakt zu Peter James‘ Kriminalreihe rund um Roy Grace, der uns hier erstmals präsentiert wird. In diesem Buch erfahren wir einiges zu seiner Person und insbesondere zu seiner Vergangenheit. Vor genau zehn Jahren ist an Roys Geburtstag seine geliebte Frau Sandy spurlos verschwunden, die er seitdem mit allen Mitteln aufzuspüren versucht, selbst wenn es sich bei diesen Mitteln um Medien handelt, die ihn später bei der Polizei in Verruf bringen werden. Peter James‘ Hang zur Esoterik fand ich etwas gewöhnungsbedürftig und ehrlich gesagt auch völlig überflüssig, aber das scheint nun mal sein Markenzeichen zu sein. Nach der Lektüre beider Roy-Grace-Romane muss ich allerdings anmerken, dass Roy Grace im Laufe dieser beiden Romane nur wenig an Profil gewinnt, „Stirb schön“ trägt kaum dazu bei, uns diesen Ermittler besser vorzustellen, das haben andere Autoren vor Peter James schon deutlich überzeugender geschafft.

Verzichtbar fand ich die Nebengeschichte rund um den Strafprozess, an dem Roy Grace ebenfalls beteiligt war. Dieser Prozess hat rein gar nichts mit dem aktuellen Kriminalfall zu tun und lenkt daher nur überflüssig vom eigentlichen Geschehen ab, aber glücklicherweise trat dieser Prozess sehr schnell in den Hintergrund.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Peter James mit „Stirb ewig“ ein grundsolider Thriller mit einem hervorragenden Spannungsbogen gelungen ist, der von Beginn an zu fesseln weiß. Auf jeder Seite fiebert der Leser mit dem eingeschlossenen Michael Harrison mit, der erst nach und nach ahnt, in welch prekärer Lage er sich wirklich befindet. „Stirb ewig“ ist spannende Unterhaltung für einige Stunden, die man sich als Thrillerfan nicht entgehen lassen sollte.

http://www.fischerverlage.de/

Sylvain, Dominique – Schöne der Nacht

Endlich hat |List| die junge französische Autorin Dominique Sylvain für sich entdeckt, sodass der bibliophile Leser nun auch in den großartigen Genuss der Lola-Jost-Reihe kommt. Der Verlag selbst macht Werbung für das vorliegende Buch mit den Worten „die Krimientdeckung aus Paris“ und trifft damit ins Schwarze, denn genau das ist es, eine wunderbare Entdeckung, die jedem Krimifreund das Herz höher schlagen lässt! Aber genug der Lobesworte vorweg, beschäftigen wir uns zunächst mit dem Inhalt:

Zu Beginn lernen wir Jean-Luc und die beiden unzertrennlichen „siamesischen Zwillinge“ Farid und Noah kennen, die gemeinsam den Coup ihres Lebens planen. Am frühen Morgen rammen sie mit ihrem Geländewagen eine Wechselstube und rauben diese gründlich aus. Die Beute bei diesem Raubzug ist enorm, insgesamt anderthalb Millionen Euro haben die Räuber eingesackt. Doch Farid hat Erstaunliches mit seinem Anteil vor, er nimmt die 500.000 € und macht sich damit zu seiner Exfreundin Vanessa auf, um diese noch einmal umzustimmen. Besonders Jean-Luc ist schockiert von dieser Wendung, doch kann er noch nicht ahnen, welchen Rattenschwanz an Ereignissen Farids Entscheidung nach sich ziehen wird.

Denn am nächsten Morgen wird Vanessa ermordet aufgefunden. Jemand hat sie erwürgt und ihr fein säuberlich mit einem Beil die Füße abgetrennt. Farid ist apathisch und muss mit vereinten Kräften aus seiner Wohnung gerettet werden. Aber ausgerechnet Vanessas Mitbewohnerinnen Khadidja, die zufälligerweise Farids Schwester ist, und die psychisch labile Chloé finden ihre ermordete Freundin und auch Farids Geld, das in einer Sporttasche neben der Toten liegt. Als die Polizei am Tatort eintrifft, haben die beiden jungen Mädchen das Geld bereits an die Seite geschafft. Jean-Pascal Grousset soll die Ermittlungen im Fall Vanessa Ringer leiten, das wiederum gefällt seinem Mitarbeiter Jérôme Barthélemy überhaupt nicht, da er seinen Vorgesetzten, den er wenig schmeichelhaft den Gartenzwerg nennt, nicht ausstehen kann. Da seine ehemalige Chefin Lola Jost in der Nähe des Tatorts wohnt, eilt er sogleich zu ihr, um ihr von dem Leichenfund zu berichten.

Zunächst ist die pensionierte Lola Jost viel mehr an ihrem 5000-teiligen Puzzle als an dem Mordfall interessiert, als jedoch Maxime Duchamp ins Zielfeuer der Ermittlungen gerät und zum Hauptverdächtigen avanciert, wird Lola auf den Plan gerufen, denn Maxime ist der Küchenchef in ihrem Stammrestaurant und damit für sie unentbehrlich. Aber Lola Jost ist nicht die Einzige, die auf Maxime nicht verzichten kann; auch die blonde Bohnenstange Ingrid Diesel, die Maxime leidenschaftlich gerne massiert und gerne noch viel mehr mit ihm anstellen würde, möchte ihren Angebeteten vor der Justiz retten, da sie fest an seine Unschuld glaubt. So macht sich schließlich dieses unvergleichliche Duo an die Ermittlungen und ist der Polizei stets mindestens einen Schritt voraus …

Zugegeben, das klingt zunächst nach einem ganz alltäglichen Kriminalfall, der sich auch nicht sonderlich von anderen Spannungsromanen abhebt. Doch weit gefehlt; Dominique Sylvain gelingt etwas ganz Seltenes, nämlich die Erschaffung eines Ermittlerduos, das vom ersten Moment an süchtig macht. Während Ingrid Diesels erster Auftritt als verliebte Masseuse noch eher gewöhnungsbedürftig ist, sammelt sie als Partnerin von Lola Jost viele Sympathien. Diese beiden Damen, die ein wenig an Pat und Patachon erinnern mögen, sind es, die mit viel Engagement den Restaurantbesitzer Maxime Duchamp aus den Fängen der Polizei retten wollen. Als Duo sind die beiden Frauen so ungewöhnlich und so sympathisch, dass der Kriminalfall fast ein wenig in den Hintergrund treten mag, wenn die beiden sich vorzugsweise nachts auf die Tätersuche machen und dabei trotz zahnhygienischer Unannehmlichkeiten einige Nächte im Auto schlafen müssen, um dann allerdings am Ende natürlich triumphieren zu können.

Die übergewichtige grauhaarige und bereits pensionierte Ex-Polizistin Lola Jost, die eigentlich ja Marie-Thérèse heißt, entwickelt von ihrem ersten Auftritt an Kultstatus. Forsch, energisch und mit einer gewissen Portion Rücksichtslosigkeit entreißt sie ihrem Nachfolger seinen Fall und spielt ihn dabei an die Wand. Während der Ermittlungen wagt sie sich sogar todesmutig zu ihrem übermotivierten Friseur, der sie schließlich mit einer Volierenfrisur aus seinem Laden entlässt, die aber glücklicherweise dem schlechten Wetter auf den stürmischen und regnerischen Straßen von Paris nicht lange standhalten kann. Doch ist dies für Lola nebensächlich, solange sie durch den Friseurbesuch doch an gewünschte Informationen kommen kann.

Aber auch Ingrid Diesel hat es faustdick hinter den Ohren. Nicht ganz unauffällig schwärmt sie für den gutaussehenden Maxime Duchamp, der leider bereits mit der schönen Khadidja liiert ist, auf die Ingrid schrecklich eifersüchtig ist. Doch was Maxime noch nicht weiß, ist, dass Ingrid als Schöne der Nacht sehr erfolgreich in einer Stripteasebar auftritt, in der sie ihm schließlich auch den Kopf verdrehen kann. Lola und Ingrid ergänzen sich hervorragend zu einem unvergleichlichen Duo, das gemeinsam alle Schwierigkeiten zu meistern weiß und auch dem äußerst verwickelten Mordfall auf den Grund kommen wird.

Und das muss man Dominique Sylvain ebenfalls lassen: Sie schafft nicht nur eine geniale Figurenzeichnung, sie versetzt ihre beiden Krimiheldinnen auch in einen ziemlich gut durchkonstruierten Kriminalfall, in den alle beteiligten Figuren irgendwie verwickelt sind. Beim Lesen mag man zwischendurch zwar etwas den Durchblick verlieren, aber genau das wünscht man sich bei einem guten Krimi ja, sofern am Ende alles aufgeklärt wird. Hier bleiben einfach keine Wünsche offen: Sylvain führt uns auf die eine oder andere falsche Fährte, sie lockt uns mit Informationen, die mehr verheimlichen als offenbaren und die uns dadurch nur umso neugieriger machen. Schon früh wird klar, dass Chloé eine schreckliche Begegnung mit Farid hinter sich haben muss, die sie schließlich psychisch aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Denn seitdem sucht sie regelmäßig einen Psychiater auf, der natürlich ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. So fügt sich am Ende alles stimmig ineinander und der Leser bleibt staunend und außerordentlich zufrieden zurück.

Aber hier sind wir noch nicht am Ende der Lobeshymne angekommen, denn „Schöne der Nacht“ ist darüber hinaus einfach wunderbar geschrieben. Dominique Sylvain versetzt uns gekonnt in ein verregnetes Paris, in dem etliche Rätsel zu lösen sind. Man fühlt sich dort einfach wohl, hinzu kommt ein äußert feiner Humor, der dem Leser immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Am amüsantesten mutet wohl die Ergreifung eines Übeltäters mittels Schnellkochtopf und Cello an, die zu Gehirnerschütterung und Nierenverletzung, aber auch zu einer erfolgreichen Festnahme geführt hat. An diesen Stellen beweist Sylvain viel Sprachgefühl und auch einen Wortwitz, der den vorliegenden Kriminalfall zu einem absoluten Lesevergnügen macht.

So bleibt am Schluss nur festzuhalten, dass „Schöne der Nacht“ für mich in der Tat die angekündigte Krimientdeckung war. Schon jetzt warte ich ungeduldig auf den nächsten Lola-Jost-Fall, den sie hoffentlich wieder gemeinsam mit Ingrid Diesel lösen wird. Dominique Sylvain punktet insbesondere mit ihrer äußerst sympathischen Figurenzeichnung und ihrem wunderbaren Ermittlerinnenduo, das mich immer wieder köstlich amüsiert hat. Aber auch der zu lösende Kriminalfall hat es in sich; hier geht es einige Jahre in die Vergangenheit, viele Rätsel müssen gelöst und sämtliche Figuren in die Handlung einsortiert werden. „Schöne der Nacht“ ist ein Spannungsroman, der das Herz jedes bibliophilen Krimifreundes höher schlagen lässt!

Berndorf, Jacques – Eifel-Kreuz

_Die Handlung_

Berndorfs aktueller Krimi „Eifel-Kreuz“ konfrontiert den Journalisten Siggi Baumeister mit einem absurden Mord, denn in einer verlassenen Villa entdeckt Baumeister einen jungen Mann namens Sven Dillinger, der wie Jesus Christus gekreuzigt wurde. Fast zeitgleich wird die ermordete Gabriele Sikorkski in der Nähe entdeckt. Die Polizei stellt fest, dass die beiden Fahrzeuge der Ermordeten nebeneinander abgestellt wurden. Ein Zusammenhang scheint deutlich und wird dadurch bewiesen, dass beide Toten auf einem Foto einer Radarfalle erkannt werden. Beide saßen im Porsche der Gabriele Sikorski.

Schnell stellt Siggi Baumeister fest, dass der tote Schüler Sven Dillinger an seiner von Patres geführten katholischen Schule als Querulant galt, der die biblischen Überlieferungen immer wieder anzweifelte. Baumeister stellt zudem fest, dass der Tote den Geistlichen wegen seiner Führungsrolle unter den Schülern ein Dorn im Auge war. Bald stellt sich Baumeister die Frage, ob die Lehrer der Schule so weit gehen würden, den Schüler durch eine Kreuzigung zu bestrafen …

_Das Thema_

Der mittlerweile 70-jährige Autor Jacques Berndorf scheut sich nicht, Strukturen der katholischen Kirche in seinem Roman „Eifel-Kreuz“ zu kritisieren. Das Verschweigen von kirchlichen Skandalen und auch den Missbrauch von jungen Schulkindern durch Geistliche, wie es immer wieder bekannt wurde, stellt Berndorf in den Mittelpunkt. Besonders erschreckend wirkt, wie Rat suchende junge Menschen immer wieder an einer Mauer des Schweigens scheitern.

Stilistisch dreht Berndorf richtig auf. Seine 70 Lebensjahre haben seine literarischen und inhaltlichen Qualitäten nicht verändert. Berndorf vermischt Offenheit für die Kirche und deren Historie mit harscher Kritik an Geistlichen, die weltfremd und herrisch ihren Glauben vertreten. Privat erlebt Berndorfs Titelheld Siggi Baumeister ein „Coming-out“ – seine Tochter offenbart sich als lesbisch. Doch mit ihrer Homosexualität haben Gesellschaft, Kirche und Freunde offenbar mehr Probleme als der weltoffene Siggi Baumeister.

Die Geschichte von „Eifel-Kreuz“ ist spannend, atmosphärisch und zugleich auch sehr kritisch. Berndorf greift Kritiken an der katholischen Kirche auf, die spätestens durch Dan Browns Verfilmung des Romans [„Sakrileg“ 1897 im Jahr 2006 zu heißen Diskussionen führten. Er scheut sich nicht, den Finger in diese Wunde zu legen.

Ohne Zweifel berührt er ein sehr sensibles Thema – vor allem in der erzkatholischen Eifel. Man mag gespannt sein, wie die Leser darauf reagieren. Aber: Er greift nie die Gläubigen an, nein, er greift die „Instrumente“ der Kirche an, die unter Umständen ihre Macht missbraucht.

Berndorf begibt sich in flache Gewässer, traut sich einiges. Und im Grunde spricht er Skandale an, die in den Medien immer wieder ein Thema sind. Dies paart er mit einer äußerst spannenden Kriminalgeschichte. Gelungen!

_Der Autor_

Jacques Berndorf, der eigentlich Michael Preute heißt, feierte am 22. Oktober seinen 70. Geburtstag und lebt in der Eifel. Geboren wurde er in Duisburg, bis er sich Anfang der achtziger Jahre in der Eifel niederließ.

Seine Wege als Journalist führten ihn um zwei Drittel unseres Planeten, und Michael Preute war vor allem auch Berichterstatter aus Krisenregionen. Zu seinen wohl namhaftesten Arbeitgeber gehörten die deutschen Magazine „Stern“ und „Der Spiegel“. Neben zahlreichen Veröffentlichungen als Journalist begann Michael Preute, damals noch nicht unter seinem Pseudonym Jacques Berndorf, auch Bücher zu schreiben, von denen – zwanzig Jahre und älter – viele vergriffen sind.

Heute kaum noch bekannt und doch 1977 ein sicher erfolgreiches Taschenbuch, war eine Biografie über den verstorbenen „King Of Rock ’n‘ Roll“ Elvis Presley. Neben Romanen sah sich Michael Preute auch bei Sachthemen als „Lieferant“ interessanter Fakten. Sein erster Roman jedoch erschien bereits 1970 und hieß „Magnetfeld des Bösen“.

Politik, und dies auch in Verbindung mit Krimis, prägt verschiedene Phasen des Schreibens bei Jacques Berndorf. In den 80er Jahren – der Journalist war mittlerweile in die Eifel gezogen und lebt heute in dem kleinen Südeifeler Ort Dreis-Brück – widmete er sich seiner Kultfigur Siggi Baumeister, einem freien Journalisten, der immer wieder in rasante Storys mit Mord- und Totschlag inmitten der Eifel stürzt.

Seine politischen Erfahrungen als Journalist verarbeitete Preute immer wieder. Bestes Beispiel ist der Krimi „Eine Reise nach Genf“ (1993/2001). Dort arbeitet der Autor eine Legende um den mysteriösen Tod eines deutschen Politikers auf und präsentiert eine spannende Idee, wie es vielleicht war … vielleicht aber auch nicht. Oder „Der letzte Agent“: Nach dem Zusammmenbruch der DDR führen letzte Wege zu Stasi-Spionen im „Westen“, die ihre Machenschaften noch nicht aufgegeben haben, aber natürlich nicht auffliegen wollen.

Bekannt und beliebt ist das Urgestein aber vor allem durch seine Eifel-Krimis, die im |Grafit|-Verlag seit 1989 erscheinen. Über drei Millionen Exemplare der Romane um seinen Helden Siggi Baumeister, den in der Eifel lebenden Journalisten mit der Spürnase für mörderische Fälle, wurden bislang verkauft. Jede neue Story um seinen Helden Siggi Baumeister hat Pfiff und bietet ganz neue Aspekte. Vor allem ist ein freier Journalist als Held der Geschichten eine gute Alternative zu den üblichen Kripobeamten in deutschen Krimis. Seine Recherchen sind daher weitgehend glaubwürdig, und immerhin hat er ja einen Kriminalrat a. D. namens Rodenstock als guten Freund, der ihm bei festgefahrenen Situationen mit guter Spürnase hilft.

http://www.jacques-berndorf.de/
http://www.grafit.de/

Läckberg, Camilla – Eisprinzessin schläft, Die

Das schwedische Fjällbacka ist ein Kaff, wie es im Buche steht. Irgendwo an der ländlich-provinziellen Küste Schwedens gelegen, wo vor allem der Tourismus als Lebensgrundlage dient, seit der Fischfang kein ganz so einträgliches Geschäft mehr darstellt. Klingt alles in allem nicht gerade nach einem Ort, an dem viel passiert – schon gar nicht nach einem Ort, der Stoff für spannende Krimis bietet. Dennoch hat Camilla Läckberg sich gerade ihren Geburtsort Fjällbacka als Handlungsort ihrer Krimis auserkoren. Und das ist durchaus eine kluge Wahl gewesen …

Während des Winters liegt in Fjällbacka der sprichwörtliche Hund begraben. Umso höher schlagen die Wellen, als ein Leichenfund die schwedische Winteridylle trübt. Alexandra Wijkner wird ermordet im gefrorenen Wasser ihrer Badewanne gefunden. Die junge Frau war erfolgreich, reich und schön, doch ihr Ableben gibt allen in Fjällbacka und auch der Polizei Rätsel auf. Wen mochte Alexandra Wijkner sich zum Feind gemacht haben?

Auch Erica Falk stellt sich Fragen wie diese. Erica ist nach Fjällbacka zurückgekehrt, um im Haus ihrer verstorbenen Eltern Klarschiff zu machen und wird dabei in den Mord an ihrer früheren Busenfreundin Alexandra hineingezogen. Gemeinsam mit Kriminalassistent Patrik Hedström sammelt Erica Informationen zu dem Fall, in dem sich so manche sonderbare Verbindung auftut. Eine Spur führt zur Familie des reichen Konservenfabrikanten Lorentz, eine andere zu einem stadtbekannten Säufer. Und was ist mit dem ungeliebten Ehemann der Toten?

Irgendwo hinter all den winzigen Puzzlestückchen, die Erica und Patrik ausgraben, scheint ein altes Geheimnis verborgen zu liegen. Irgendetwas, das vielleicht bis in Alexandras Kindheit in Fjällbacka zurückreicht …

Camilla Läckberg ist mit ihren Krimis in Schweden bislang ziemlich erfolgreich. Über 500.000 verkaufte Bücher sind in einem Land wie Schweden schon ein Wort und dementsprechend wird die Autorin auch von der deutschen Presse gefeiert. Die |Bild am Sonntag| kürt sie gar zu einer „Krimi-Queen“. All das Lob lässt in jedem Fall auf Gutes hoffen, und diese Hoffnungen werden nicht enttäuscht.

Mit Erica Falck und Patrik Hedström schickt Camilla Läckberg ein außerordentlich sympathisches Ermittlerduo ins Rennen. Erica stolpert eher unverhofft in den Fall hinein. Durch Zufall ist sie bei der Entdeckung der Leiche dabei, und da sie früher einmal Alexandras beste Freundin war und nun als Schriftstellerin prädestiniert für die Aufgabe ist, bitten Alexandras Eltern sie darum, den Nachruf für die Zeitung zu schreiben.

Ehe Erica sich versieht, steckt sie auch schon mitten in den Ermittlungen, und da sie nun einmal Schriftstellerin ist, macht sie sich auch gleich ein paar Notizen, um aus der Geschichte um Alexandras Tod später einen Roman entwickeln zu können. Ericas Interesse an dem Fall ist also eher auf persönlichen und schriftstellerischen Interessen begründet. Daraus resultiert auch eine gewisse Unbefangenheit, mit der sie an den Fall herangeht. Sie folgt einfach ihrer Intuition und macht dabei so manche Entdeckung, um die Patrik Hedström sie nur beneiden kann.

Auch Patrik und Erica kennen sich aus früheren Zeit. Im Zuge der Ermittlungen kreuzen sich ihre Lebenswege wieder. Dabei kommen die beiden sich nicht nur beruflich näher. Auch Patrik ist eine äußerst sympathische Figur. Zu lesen, wie die beiden sich vorsichtig einander annähern, ergänzt den Krimi um eine weitere menschliche Facette.

Überhaupt liefert Camilla Läckberg mit „Die Eisprinzessin schläft“ einen Krimi ab, der stets auch immer ein wenig über den Horizont des eigenen Genres hinausschaut. Es trifft genau das zu, was Läckberg ihre Protagonistin Erica über das Schreiben von Krimis sagen lässt: Erica interessiert sich eigentlich weniger für Krimis als vielmehr für die Menschen, die dahinter stecken. Genau das wendet auch Camilla Läckberg an. Sie rückt die Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung, und das hebt sie sehr schön aus der Masse vieler anderer Kriminalautoren heraus. Bei ihr verdient so ziemlich jede Figur eine genauere Betrachtung, auch wenn sie nur marginal Einfluss auf die Handlung nimmt. Da sie dabei auch gleichzeitig beweist, dass sie es vermag, ihren Figuren in die Herzen zu schauen, geht die Rechnung auf. Läckbergs Krimis haben eine unverkennbar menschliche Sicht der Dinge, die einen zusätzlichen Lesegenuss darstellt.

Es ist diese menschliche Sicht der Dinge, die dem Roman auch immer wieder eine positive Note verleiht. Die Autorin krempelt die Vergangenheit ihrer Figuren um und fördert dabei wirklich unschöne und erschütternde Dinge zu Tage, dennoch hat der Roman insgesamt auch eine unverkennbar positive Ausstrahlung.

Damit schafft Camilla Läckberg es (und wenn wir uns schon im Spannungsfeld schwedischer Krimiliteratur bewegen, ist dieser Vergleich wohl unvermeidlich), einen schönen Gegenpol zu den düsteren Krimis zu schaffen, die beispielsweise ein Henning Mankell abliefert. Läckberg braucht den Vergleich mit Mankell nicht zu scheuen, einfach weil die beiden sich letztendlich an entgegengesetzten Punkten des Krimigenres bewegen.

Läckberg schafft in ihrem Plot immer wieder auch Raum für Nebenhandlungen, die der Geschichte zusätzliche Tiefe verleihen. Dabei bettet sie diese Nebenstränge so gut in den Haupthandlungsstrang ein, dass man kaum Kritikpunkte findet – zumal ihr flüssiger und lockerer Erzählstil sein Übriges zum Gelingen beiträgt. Am Ende ergibt die Geschichte ein überzeugendes großes Ganzes. Läckberg hat nicht nur einen Kriminalfall gelöst, sondern auch menschliche Schicksale entblättert. Die Auflösung des Falls gelingt ihr dabei sehr gut und stimmig. Die Motive des Täters werden deutlich nachvollzogen und die losen Enden der Geschichte stimmig zusammengeführt. Handwerklich gibt es daran nichts auszusetzen.

Schön sind auch immer wieder die etwas humorvolleren Töne. So beschreibt Läckberg durch wechselseitige Perspektiven wunderbar Hedströms Chef, der sich einfach absolut unmöglich benimmt, sich dabei aber jederzeit für einen glanzvollen Helden hält. Auch die Betrachtungen von Ericas Verhalten ganz allgemein und speziell gegenüber Patrik geben immer wieder Anlass zum Schmunzeln. Ich musste bei der Lektüre hin und wieder an Bridget Jones denken und war daher auch nicht sonderlich verwundert, als Erica im Laufe des Romans Bridget Jones als ihre Lieblingsheldin nennt. Läckberg schafft es mit diesen humorvollen Zwischentönen und ihrer positiven Grundstimmung, den Krimiplot ganz hervorragend abzurunden.

Bleiben unterm Strich eigentlich keine Wünsche offen. Camilla Läckberg weiß mit ihrem Debütroman „Die Eisprinzessin schläft“ auf ganzer Linie zu überzeugen. Mit Erica Falck und Patrik Hedström hat sie ein wunderbar sympathisches Ermittlerduo geschaffen, dem man gerne bei weiteren Ermittlungen über die Schulter schauen möchte. Die Geschichte ist stimmig erzählt, lässt humorvolle Zwischentöne zu und wirkt trotz der erschütternden Hintergründe des Falls in den Grundzügen ausgesprochen positiv und realitätsnah. Spannend und gleichermaßen unterhaltsam erzählt Läckberg ihre Geschichte und macht dabei wirklich Lust auf mehr. Wie gut, dass mit [„Der Prediger von Fjällbacka“ 2539 bereits ein weiterer Krimi mit Erica und Patrik in den Hauptrollen vorliegt.

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Jane R. Goodall – Keltenmond

Im ländlichen England der 1970er Jahre schlägt ein mysteriöser Mörder seinen Opfern die Schädel ein. Ein weiblicher Polizeiinspektor muss sich die Frage stellen, ob sie einem leibhaftig gewordenen Halbgott aus der Urzeit folgt … – Klassisch britischer Krimi, der den psychologischen Hintergrund nicht vernachlässig. Die Autorin übertreibt es freilich mit dem Legen falscher Spuren und opfert den ausführlich entwickelten ‚keltischen‘ Background für eine ‚normale‘ Auflösung, die so, wie sie präsentiert wird, enttäuscht. Als Lektüre primär dem Krimi-Vielfraß empfohlen.
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Kramp, Ralf – Hart an der Grenze

_Blick in die Vergangenheit_

_Die Story von „Hart an der Grenze“:_

Der US-Amerikaner David Nizer kehrt nach dem Zweiten Weltkrieg zurück an die Front, jener Grenzregion zu Deutschland, wo er als Soldat in den belgischen Ardennen half, die Nazis zurückzuschlagen. Am Ort des Schreckens holen ihn seine Erinnerungen ein. Es verschlägt ihn später in die Eifel. Und Nizer wird tot, mit einer Kugel im Kopf, aufgefunden.

Jedermann denkt, er sei aus freien Stücken aus dem Leben geschieden, aber Herbie Feldmann nicht! Er, der Spinner, der Stimmen hört und von einem Geist namens Julius stets verbal und nur für ihn sichtbar, begleitet wird, stürzt sich in den Fall. Nicht ganz unschuldig daran ist die unattraktive Nelli, die Herbie eigentlich nur heimfahren soll. Auf der pompösen Geburtstagsfeier seiner Tante Hettie wird er zu diesem Auftrag verdammt, die Tochter von Tante Hetties Rechtsanwalt nach Hause zu begleiten.

Doch Nelli schwärmt für Herbie Feldmann, und ihr ist nach Abenteuer zumute. Sie lockt ihn mit dem Fall um den toten Amerikaner und wird neben dem Unsichtbaren Julius Herbies nächster nervtötender „Schatten“ …

_Der Autor_

Ralf Kramp wurde 1963 geboren und arbeitete zunächst als Karikaturist, um sich dann der Schreibkunst zu widmen. Zudem veranstaltet er beliebte Krimi-Wochenenden und ist Eigner des Hillesheimer |KBV|. Zu seinen Autoren gehören unter anderem Jacques Berndorf, Carola Clasen und Carsten Sebstian Henn.

_Eindrücke_

Gewohnt amüsant erzählt Kramp die Story des Herbie Feldmann, der leicht verspinnert ist und nach einer Psychose von dem nur für ihn wahrnehmbaren Julius stets durch freche Kommentare begleitet wird.

Das Strickmuster rund um Herbie Feldmann ist in sechs Romanen recht identisch und starr, doch hat man nie das Gefühl, dass ein Roman dem anderen gliche. Kramp ist als Autor ideenreich und kreativ, weiß zudem, Leser zum Schmunzeln zu animieren. Herbie hat das Anrecht auf einen Kultstatus.

Aber auch der Autor Kramp ist nicht fehlerfrei. In einem der ersten Kapitel wird von einer alten Frau namens Lämpchen berichtet. Diese ist eigenartig und fährt mit ihrem Mofa gerne über Stock und Stein in den Wald, um nachts Tiere zu beobachten. Einige Seiten weiter berichtet der Autor, dass die alte Dame namens Lämpchen keinen rechten Arm, sondern nur einen verkrüppelten Stumpf hat. Der aufmerksame Leser wird sich fragen, wie sie dann überhaupt ein Mofa steuern kann, vor allem, weil der Gasgriff eines Zweirades sich rechts befindet. Und wer kann schon ohne zwei flinke Arme ein Mofa über Stock und Stein bewegen? Diese Art „logischer Fehler“ kann einen aufmerksamen Leser dazu führen, die Lust am Roman zu verlieren.

Trotzdem: Wer diesen „Fauxpas“ schluckt, entdeckt in den vielen weiteren Kapiteln eine sehr spannende und auch atmosphärische Story. Herbie und Julius sind Sympathieträger, kultig, verwegen und in Sachen Humor verschmitzt. „Hart an der Grenze“ ist in der Reihe um Kramps Kultfigur Herbie Feldmann der vielleicht schwächste Roman, und doch ist er lesenswert für all jene, welche die anderen Romane um den sonderbaren „Spinner“ Herbie schätzen.

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Driest, Burkhard – Brennende Schuld

Burkhard Driests Krimis spielen da, wo andere Urlaub machen – auf Ibiza. „Brennende Schuld“ ist bereits Driests dritter Roman um den auf Ibiza ermittelnden Hauptkommissar Toni Costa, der sich stets ein wenig hin- und hergerissen fühlt zwischen seinen Aufgaben als Polizist und den Erwartungen seiner mächtigen und einflussreichen Verwandtschaft.

In seinem dritten Fall ermittelt Costa im Fall einer des Nachts an den Strand gespülten, entstellten Leiche, die seine Lebensgefährtin Karin entdeckt. Bei den Ermittlungen finden Costa und seine Kollegin Elena vor einem antiken Altarstein in einer Höhle unter dem Meer zwei weitere Leichen, beide bis auf die Knochen verbrannt. Die Höhle befindet sich unterhalb der Nekropolis Ibizas, der phönizischen Totenstadt im Herzen der Stadt.

Als Costa das dortige Gelände in Augenschein nimmt, trifft er die Archäologin Dr. Laureana Sanchez, eine Koryphäe auf dem Gebiet der karthagischen Geschichte, die bei den Ermittlungen behilflich ist. Costa und seine Kollegen vermuten hinter den Morden zunächst eine rituelle Opferung. Doch Costa kommen Zweifel an dieser These. Auf eigene Faust deckt er noch andere mögliche Hintergründe auf, bei denen er schon bald auf einen Verdächtigen stößt. Doch als er den verhaften will, bricht ein wahres Inferno los. Plötzlich steht der Wald in Flammen, doch die Löschflugzeuge bringen nicht die erhoffte Rettung, sondern Costa beinahe den Tod …

Schon beim Blick auf den Klappentext verspricht „Brennende Schuld“ eine feine Mischung. Ein spannender Krimiplot, ein bislang im Krimigenre wenig abgenutzter Handlungsort, den viele zumindest aus Urlauberinnerungen kennen, und eine Prise geschichtlicher Kontext. Doch bis ins Letzte kann der Roman dann doch nicht den hoch gesteckten Erwartungen gerecht werden. Gerade anfangs kommt die Geschichte irgendwie nüchtern und distanziert rüber. Man braucht einige Zeit, ehe man wirklich in die Geschichte eintaucht.

Driest lässt zwar sprachlich kaum einen Wunsch offen, dennoch gilt es, die Distanz zwischen Leser und Figuren erst einmal zu überwinden, und das dauerte zumindest in meinem Fall dann doch eine ganze Weile. Immer wieder springt der Autor in der Zeit hin und her. Gerade zu Anfang werden häufig Kapitel eingeschoben, die in der Kindheit der Hauptfiguren spielen und deren tieferer Sinn sich nicht immer direkt erschließt. So wird es tendenziell schwerer, in die Handlung einzutauchen und sich darauf einzulassen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Driest mit dem Auftauchen der Archäologin Dr. Sanchez auch den einen oder anderen Ausflug in die phönizische Geschichte macht. Das bremst die Spannung ein wenig aus und trägt ähnlich wie die Vergangenheitskapitel dazu bei, dass die Geschichte sich etwas schwer tut, richtig in Fluss zu kommen. Erst mit fortschreitender Seitenzahl schafft Driest es, mit seinem Plot zu fesseln. Der Fall entwickelt sich zielgerichteter, man taucht tiefer in die Geschichte ein und das Spannungsfeld der Figuren wird zunehmend faszinierender. Was letzteren Punkt anbelangt, entwickelt gerade das Verhältnis von Costa zu seiner Lebensgefährtin Karin seinen Reiz. Karin, die die erste Leiche gefunden hat, ist als Journalistin tätig, was für Costas Arbeitsalltag einiges an Konfliktpotenzial bereithält.

Costa selbst gerät im Laufe der Ermittlungen immer wieder in brenzlige Lagen, die sich spannungssteigernd auf den Plot auswirken. Zumindest in einem Fall ist aber die Auflösung einer solchen brenzligen Situation etwas zu haarsträubend zufallsgeprägt. Dass rein zufällig in dem Moment, als Costa bewusstlos in einem Swimmingpool treibt, die Kollegin mit einem mobilisierten Hubschrauber mitten durch ein Großfeuer zu seiner Rettung herbeieilt, klingt dann doch eher so, als hätte Driest seinen Helden hier in eine Situation manövriert, aus der er keinen glaubwürdigen Ausweg mehr gefunden hat. Das schmälert dann wieder etwas den Lesegenuss, auch wenn der Plot zu diesem Zeitpunkt schon mächtig in Fahrt gekommen ist und sein Spannungspotenzial unaufhaltsam zu entrollen beginnt. Auch die Auflösung des Falls birgt noch einiges an Spannung und ist durchaus klug inszeniert.

Die Figur des Hauptkommissars Toni Costa ist dabei durchaus interessant und facettenreich. Ein bisschen südländisch machohaft wirkt er, obwohl er durch seine deutsche Mutter von den Kollegen kaum als echter Ibizenker angesehen wird. Er ist geschieden, und während er mit seiner deutschen Lebensgefährtin Karin auf Ibiza lebt, wohnt seine Ex-Frau mit den beiden Kindern in Deutschland. Familiäre Dinge spielen in den Plot immer wieder hinein. Toni ist ein Spross einer der einflussreichsten ibizenkischen Familien, die die Insel in politischen wie auch in wirtschaftlichen Belangen ziemlich unter ihrer Fuchtel hat. Und nicht immer scheint der Machterhalt der Familie Costa ganz treu mit den Gesetzen des Landes konform zu gehen. So bringt die Familie für Toni Costa durchaus auch Konflikte in seinem Beruf als Polizist mit sich.

Eine weitere Annehmlichkeit birgt der Handlungsort des Romans. Ibiza ist als Krimischauplatz noch ziemlich unverbraucht, und eine Insel, die der Durchschnittsdeutsche höchstens durch Urlaubsreisen kennt, mal durch die Brille der Einheimischen zu betrachten, hat durchaus seinen Reiz. Driest weiß dabei, wovon er spricht, lebt er doch selbst schon seit Jahren auf der Insel. Für Ibizafans ist die Krimireihe um Hauptkommissar Costa sicherlich ohnehin ein größerer Genuss.

Eine Anmerkung noch zur Kontinuität der Reihe. Man kann die Bände auf jeden Fall einzeln für sich lesen, doch Driest verfährt ähnlich wie beispielsweise ein Henning Mankell. Hier und da nimmt er in der persönlichen Reflektion der Figuren gerne mal Bezug auf vorangegangene Fälle. Wer sich also nicht die Spannung vermiesen möchte, tut gut daran, die Reihe in der vorgesehenen Reihenfolge zu lesen, d. h. erst „Roter Regen“, dann „Liebestod“ und zu guter Letzt „Brennende Schuld“.

Bleibt unterm Strich ein etwas durchwachsener Eindruck zurück. Ibiza als Handlungsort ist durchaus reizvoll, auch wegen der interessanten geschichtlichen Hintergründe. Auch die Figur des Hauptkommissar Costa weiß zu überzeugen. Ein paar Schwächen im Handlungsaufbau können diese Vorzüge allerdings nicht verbergen. Auch wenn Driest sprachlich sein Handwerk durchaus versteht, bremst er im Aufbau die Spannung manchmal etwas aus, greift zumindest in einem Fall zu sehr in die Zufallskiste und gestaltet den Einstieg in die Geschichte durch seine Handlungssprünge und geschichtlichen Einschübe leider so unruhig, dass man sich etwas schwer tut, richtig in die Geschichte einzutauchen.

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Ed McBain – Big Bad City

Trotz Sommerhitze und Überlastung versuchen die Polizisten des 87. Reviers, einige ebenso blutige wie bizarre Verbrechen aufzuklären, während sich ein Attentäter daranmacht, an einem der Beamten tödliche Rache zu üben … – Mit dem 49. Band führt Autor McBain seine legendäre Krimi-Serie problemlos ins 21. Jahrhundert. Klassisch setzt er diverse Stränge zu einer spannenden Geschichte zusammen, die wie immer auch Teil der Chronik des 87. Polizeireviers ist: wunderbar!
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Noll, Ingrid – Apothekerin, Die (SZ Kriminalbibliothek 45)

Die Apothekerin Hella Moorman liegt im Heidelberger Frauenkrankenhaus. Ihre Bettnachbarin ist die ältere Rosemarie Hirte, der sie nach und nach aus ihrem abenteuerlichen Leben erzählt. Hella erlebte eine schwere Kindheit, mit einem strengen Vater und einem Außenseiterdasein in der Schule. Ein katastrophaler Unfall sorgt endgültig für ein Trauma bei dem jungen Mädchen, das sich seitdem ganz zurückzieht und verbissen für gute Noten arbeitet.

Ihre Partner entpuppen sich gewöhnlich als labile Sorgenkinder, die mit Selbstmordgedanken spielen oder Drogen nehmen. Mit dreißig Jahren lernt sie den jüngeren Zahnmedizin-Studenten Levin kennen, mit dem sie erstmals an eine dauerhafte Zukunft mit Familie denkt. Levin jedoch ist ein sprunghafter, verschwenderisch lebender Jüngling mit deutlich weniger ernsten Absichten. Während Hella hofft, dass ihr Traum von Hochzeit und Kindern doch noch in Erfüllung geht, wartet Levin auf den Tod seines reichen Großvaters Hermann Graber, der an einer Herzkrankheit leidet. Der alte Herr, der wenig von Levin hält, lebt in einer feudalen Villa, gemeinsam mit der jungen, liederlichen Margot, die ihm den Haushalt führt. Levin steht unter Druck, seit Dieter, Margots Ehemann, aus dem Gefängnis entlassen wurde. Dieter ist sein alter Kumpel, der Rache sucht und Levin erpresst. Levin überredet Hella zur Beihilfe zum Giftmord an seinem Großvater, um rascher an das Erbe zu gelangen. Nach langem Zögern willigt Hella ein. Sie mag den alten Großvater zwar, aber die Angst um Levin ist größer.

Das Testament birgt eine Überraschung: Als Haupterbin ist Hella eingesetzt, unter der Voraussetzung, dass sie Levin innerhalb eines halben Jahres heiratet. Das frische Brautpaar zieht in die Villa ein, Levin gewährt dort außerdem seinem versöhnten Kumpel Dieter und seiner Frau Margot Unterschlupf. Mit Unbehagen bemerkt Hella, dass Levin sie hauptsächlich wegen des Geldes geheiratet hat und vermutet auch langsam ein Verhältnis mit Margot. Dafür nähert sie sich selber Dieter an, der viel mehr Verständnis aufzubringen scheint als Levin. Doch es dauert nicht lange, bis diese prekären Beziehungskonstellationen eskalieren. Levins Großvater wird nicht der letzte Tote in Hellas Leben sein …

_Morde im Stil der Borgias_

Mörderische Ladys sind Ingrid Nolls Spezialgebiet. Auch ihr dritter Roman überzeugt durch Spannung und viel schwarzen Humor, den ihre Fans so sehr an ihr lieben.

Mit Hella Moormann hat sie eine für sie sehr typische Frauenfigur geschaffen. Hella ist intelligent und strebsam, ein bisschen spröde, vernunftbetont und gut organisiert. Diese Eigenschaften zeichneten sich bereits in der Kindheit ab, die zu Beginn in kurzen Auszügen erzählt wird. Hella hängt an ihrem Vater, der es jedoch als strenger Vegetarier seiner Familie nicht leicht macht. Ein schlimmer Zwischenfall mit katastrophalen Folgen in der Schule zerrüttet das familiäre Verhältnis endgültig und Hellas Außenseiterleben bestätigt sich. Der Beruf als Apothekerin entspricht in mehrfacher Hinsicht ihrem Charakter. Sie hat einen guten Sinn für Details und Kleinigkeiten, sie arbeitet mit viel Sorgfalt und liebt es, Dinge zu sortieren und mit viel Feinsinn zu behandeln. Gleichzeitig besitzt sie ein ausgeprägtes Helfersyndrom. Um die Leere in ihrem eigenen Leben auszufüllen, widmet sie sich mit Hingabe problembelasteten Männern; Selbstmordkandidaten, labile Persönlichkeiten und ehemalige Häftlinge finden bei ihr Zuspruch und ein warmes Bett. Da ist es kein Wunder, dass auch Levin in diese Sammlung hineinpasst. Levin gehört zum Typ der „großen Jungen“; er ist ein Wildfang mit viel Temperament, der sich zu Hellas Freude wie ein Kind für bestimmte Dinge begeistern kann. Andererseits gehört auch eine gehörige Portion Unreife zu seiner Person. Levin liebt den Luxus und die Verschwendung, Porschewagen sind seine große Leidenschaft und er besitzt keine Ambitionen, sein Studium zu beenden. Die kluge Hella erkennt zwar seine Unzulänglichkeiten und sie ahnt, dass Levin ihren Traum von einer kleinen Familie kaum teilen wird, doch sie hofft, mit dem nötigen Einfluss seinen Charakter zu festigen.

Fast alle Figuren im Roman vereinen mehrere Seiten in sich. Das gilt auch besonders für Dieter, den man vor seinem ersten Auftritt als gefährlichen Ex-Knacki beschrieben bekommt, ehe er sich dann zeitweise sogar sehr sensibel verhält und vorübergehend Levin aus Hellas Herz verdrängt. Hauptfigur Hella ist eine gelungene Mischung aus positivem und negativem Charakter. Sie ist wahrlich keine Heldin, beweist Unzulänglichkeiten, fällt auf die falschen Männer herein und nimmt es später mit der Treue selber nicht mehr so genau. Trotzdem fiebert man mit ihrem Schicksal mit, amüsiert sich über ihre ironisch-zynischen Schilderungen und ist gespannt, was in ihrem Leben als nächstes geschieht.

|Viel Spannung, viel Humor|

Die Spannung entspringt dabei vor allem zwei Gründen: Zum einen läuft bei Ingrid Noll fast jeder Charakter Gefahr, um die Ecke gebracht zu werden. Die Handlung nimmt immer neue überraschende Wendungen, sodass man nicht sicher sein kann, wer hier als nächstes gegen wen intrigiert und ob man jemanden nicht voreilig falsch eingeschätzt hat. Nicht nur der leichtlebige Levin, der zwielichtige Dieter und die ordinäre Margot sind unberechenbar, sondern auch Hella selbst. Das beste Beispiel dafür ist die Beihilfe zur Ermordung von Hermann Graber, die Hella schwerste Gewissensbisse einbringt. Auch das reiche Erbe ist kein Trost für sie, denn geldgierig ist sie nie gewesen. Doch der brennende Wunsch, mit Levin ein glückliches Familienleben führen zu können, ist so stark, dass sie dafür selbst kriminelle Methoden in Kauf nimmt. Zum anderen deutet Hella in ihren Gesprächen mit Rosemarie Hirte immer wieder bestimmte Ereignisse an, ohne zu viel vorwegzunehmen, sodass der Leser es kaum erwarten kann, bis er Genaueres erfährt. Nicht nur Frau Hirte wundert sich über manche Andeutungen und fragt sich, welche Wendungen auf den Hörer bzw Leser noch zukommen werden.

Auch in diesem Roman überzeugt die Autorin durch den unverwechselbaren Stil, in dem sie ihre Protagonistin erzählen lässt. Hella Moormann kommentiert ihr Leben in einer lakonischen Sprechart, hat keine Scheu vor Selbstironie und gewinnt so auch tragischen und dramatischen Ereignissen eine galgenhumorige Note ab. Auch wenn Hella ihre Fehler erkennt und vor Selbstkritik nicht zurückschreckt, wird es mit der Moral nicht gerade genau genommen. Empfindliche Leser, die mit schwarzem Humor nicht viel anfangen können, werden womöglich eher befremdet reagieren. Allen anderen dürfte dieser spezielle Krimispaß ein großes Lesevergnügen bereiten.

|Wiedersehen mit Frau Hirte|

Die Handlung spielt zwar in zwei Zeitrahmen, aber Gefahr, dabei durcheinanderzukommen, läuft man ganz sicher nicht. Der größte Teil der Erzählung besteht aus Rückblenden, in denen Hella aus der Zeit mit Levin erzählt. Die Kapitel werden dann oft mit Szenen aus der Gegenwart eingeleitet, in denen Hella im Krankenhaus liegt und sich mit Frau Hirte unterhält. Der besondere Clou in diesem Gegenwartsstrang liegt darin, dass Rosemarie Hirte für Noll-Leser keine Fremde ist, sondern die Hauptfigur in Nolls Debütroman „Der Hahn ist tot“ war. Während Hella Moorman die 58-jährige Dame neben sich für eine alte, etwas langweilige Jungfer hält, die sie mit ihren Mordgeschichten schockt, ahnt sie nicht, dass Rosi Hirte ihr vor nicht allzu langer Zeit in nichts nachstand, selber ein paar Leutchen auf dem Gewissen hat und nicht weniger schauerliche Geschichten zum Besten geben könnte.

|Kleine Mankos|

Nolls große Stärken sind zum einen das Erschaffen von emanzipierten Frauenfiguren, die sich trotz ihrer Durchschnittlichkeit und Sympathie zu Mörderinnen entwickeln, und zum anderen die humorvolle Darstellung von Rache- und Mordgeschichten. Die Schwäche liegt darin, dass sich dieses Schema beinahe in jedem Roman finden lässt und sich die Figuren wie auch die Motive ähneln. Fans kommen dabei jedes Mal aufs Neue auf ihre Kosten, andere Leser können sich, wenn sie schon eines oder mehrere Werke gelesen haben, allerdings langweilen. Alleine die Protagonistinnen aus den Romanen „Der Hahn ist tot“, „Die Apothekerin“ und „Die Häupter meiner Lieben“ weisen starke Parallelen auf. Kindheit, Jugend und frühe Erwachsenenzeit sind geprägt durch Konflikte, Außenseiterdasein und viele Enttäuschungen in zwischenmenschlicher Hinsicht, vor allem in Liebesdingen. Hella Moorman ist zwar jünger als Rosemarie Hirte, aber beide Frauen verbindet die vergebliche Suche nach einem passenden Partner, nach der großen Liebe, mit der sie traute Zweisamkeit und ein Familienleben verwirklichen können. Die Morde ergeben sich nicht aus Gier oder gar Grausamkeit heraus, sondern entstehen beinah ungewollt und als notwendige Übel. Ohne Zweifel ist es höchst amüsant, wie diese jungen und nicht mehr ganz so jungen Damen auf der Suche nach dem großen Glück zu unpopulären Mitteln greifen und in Mordangelegenheiten verwickelt werden, die nicht einmal sie selber sich jemals zugetraut hätten. Doch der Abnutzungseffekt kann nicht wegdiskutiert werden, und wer kein erklärter Fan von Ingrid Noll ist, wird dem Schema auf Dauer kritisch gegenüberstehen.

Stärke und Schwäche liegen auch in den Insideranspielungen nah beieinander. Wer Nolls Debütroman „Der Hahn ist tot“ noch gut in Erinnerung hat, wird über das Wiedersehen mit Rosemarie Hirte begeistert sein. Die Anspielungen auf Rosi Hirtes Leben sind recht dezent gehalten, sodass die Kenntnis des anderen Romans nicht zwingend notwendig ist. Aber der Spaßfaktor liegt doch beträchtlich höher, wenn man um die Umstände aus „Der Hahn ist tot“ weiß. Zudem besteht die Gefahr, dass einem der Lesespaß bei „Der Hahn ist tot“ durch manche Details aus der „Apothekerin“ verdorben wird, denn Rosi Hirte gibt ein paar Einzelheiten preis, die recht bedeutsam für den Handlungsverlauf ihrer Geschichte sind – im letzten Drittel wird sogar ein Teil des Ausgangs dieser Geschichte verraten. Auch wenn die Bücher grundsätzlich voneinander unabhängig zu lesen sind, ist es deswegen dringend anzuraten, sich erst „Der Hahn ist tot“ zu widmen und anschließend zur Lebensbeichte von Hella Moormann zu greifen.

Irritierend ist außerdem Hellas Reaktion auf einen positiven Schwangerschaftstest, den sie erst vom Arzt überprüfen lassen will. Dass ein Test fälschlich negativ ausfällt, kommt schon mal vor, entweder weil man zu früh getestet hat oder sich das Schwangerschaftshormon erst später in ausreichender Menge bildet. Dass umgekehrt das Hormon vorhanden ist, obwohl man nicht schwanger ist, ist praktisch nicht möglich, außer bei seltenen Tumoren, die das Hormon ebenfalls produzieren, oder bei einer unbemerkten Fehlgeburt im frühen Stadium. So wie die Protagonistin hier spricht, klingt es, als sei es gar nicht mal selten, dass falsch positive Teste vorkommen, was so nicht stimmt. Gerade weil Hella Moormann selber Apothekerin ist, also das nötige Fachwissen besitzt, stört diese Ungenauigkeit.

_Unterm Strich_ hat man es hier mit einem vergnüglich-spannenden Krimi zu tun, der vor allem weibliche Leser mit Spaß an schwarzem Humor begeistern wird. Kleine Parallelen zu Nolls anderen Romanen schwächen den Gesamteindruck zwar ein klein wenig, der aber trotzdem insgesamt sehr überzeugend ist.

_Die Autorin_ Ingrid Noll wurde 1935 als Tochter eines Arztes in Shanghai geboren. Mit 14 Jahren siedelte sie mit ihrer Familie nach Deutschland über, wo sie in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte zu studieren begann. Erst im Alter von 55 Jahren veröffentlichte sie mit „Der Hahn ist tot“ ihren ersten Roman, der sofort die Bestsellerlisten stürmte. Es folgten weitere Werke, allesamt humorvolle Krimis, die sich meist um mordende Alltagsfrauen drehen, u. a.: „Die Häupter meiner Lieben“, „Selige Witwen“, „Röslein rot“. Mehrere ihrer Bücher wurden bereits verfilmt.

James, Peter – Stirb schön

Mit „Stirb schön“ veröffentlicht Peter James den zweiten Roman rund um Roy Grace, der bereits in „Stirb ewig“ einen grausigen Fall zu lösen hatte. Peter James ist von Haus aus eigentlich Filmproduzent und versteht es vielleicht auch deshalb besonders gut, seine Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln, ohne sein Publikum zu Atem kommen zu lassen.

Das vorliegende Buch beginnt mit einem Paukenschlag; gleich im ersten Satz lernen wir Janie Stretton kennen, eine wunderschöne und intelligente Jurastudentin, die nebenbei für einen Begleitservice gearbeitet hat. Noch im ersten Absatz teilt James uns mit, dass Janie nicht mehr lange zu leben hat, denn wir begegnen ihr am letzten Tag ihres Lebens. Gleich von Beginn an ist die Zielrichtung also klar. Bevor allerdings Janie ihrem Mörder begegnet, lernen wir auch Tom Bryce kennen, der ein eigenes Unternehmen leitet, das finanziell in der Krise steckt. Doch das ist nicht die einzige Sorge, die Tom quält, denn der Umzug in ein teures neues Heim und die eBay-Sucht seiner geliebten Frau Kellie treiben Tom noch weiter in den Ruin. Hinzu kommen die nervige Pendelei im überfüllten Zug und der fette Mann, der ihm dieses Mal gegenüber sitzt und ganz besonders lautstark telefoniert. Als der dicke Mann aussteigt, bemerkt Tom, dass dieser eine CD-ROM vergessen hat. Tom nimmt diese an sich, ahnt allerdings noch nicht, dass er sich damit viel Ärger eingehandelt hat …

Als Tom Bryce abends besagte CD-ROM in seinen Laptop einlegt und startet, wird er live Zeuge, wie Janie Stretton von ihrem Mörder brutal abgeschlachtet wird. Tom ist schockiert, glaubt jedoch zunächst, einen besonders realistischen Filmtrailer gesehen zu haben. Kurze Zeit später wird ein menschlicher Torso gefunden, der Kopf bleibt jedoch verschwunden. Detective Superintendent Roy Grace beginnt seine Ermittlungen und findet bald heraus, dass es sich bei der ermordeten jungen Frau um Janie Stretton handelt. Nach und nach taucht er in den Fall ein und kommt langsam, aber sicher den Mördern näher, die ihre grausige Tat live ins Internet übertragen haben.

Schneller, als ihm lieb ist, muss Tom Bryce erkennen, dass er nicht nur einen Filmtrailer, sondern einen realen Mord gesehen hat, denn er bekommt Drohmails, die anschließend seine Festplatte löschen. Als er seiner Frau Kellie von diesen erschreckenden Ereignissen erzählt, rät sie ihm, entgegen der Forderung des unbekannten Mailabsenders doch zur Polizei zu gehen. So gibt Bryce sich bei der Polizei schließlich als Mordzeuge zu erkennen, wird diesen Schritt allerdings noch bitter bereuen …

Peter James hat mit „Stirb schön“ einen rasanten und spannenden Thriller vorgelegt, der seine Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln weiß. Von Anfang an legt James ein Tempo vor, dem der Leser sich nicht entziehen kann. Dabei macht er verschiedene Handlungsebenen auf, auf denen sich später die Ereignisse abspielen werden. Ein Schauplatz rankt sich um Tom Bryce und seine Familie sowie seine familiären Probleme. Obwohl er seine Frau über alles liebt, erkennt Bryce doch auch auftauchende Schwierigkeiten, die insbesondere finanzieller Art sind, da seine Frau ihm zuletzt einen mehrere tausend Dollar teuren Grill ersteigert hat.

Eine weitere Erzählebene widmet sich dem Ermittler Roy Grace, dessen Frau Sandy vor einigen Jahren spurlos verschwunden ist. Seitdem sucht Grace verzweifelt nach Spuren, die ihn zu seiner Frau führen könnten. Sobald ein bekanntes Medium die Stadt bereist, besucht er die Aufführung und versucht dort ebenfalls, die Gründe für das Verschwinden seiner Frau zu ergründen. Doch nun hat Grace sich neu verliebt und lässt sich auf Anraten seines Kollegen neu einkleiden, um die angebetete Cleo zu beeindrucken. Und tatsächlich wird das erste Date ein voller Erfolg, nur leider muss Grace später erfahren, dass er offensichtlich nicht der einzige Mann in Cleos Leben ist. Im Laufe der Geschichte kann Roy Grace beim Leser jede Menge Sympathiepunkte sammeln und wird so zu einer hoffentlich festen Größe in Peter James‘ Spannungsromanen.

Aber auch die Ermittlungen selbst nehmen natürlich einen großen Raum im Buch ein. Ein wichtiger Punkt ist hierbei Tom Bryces Laptop, auf dem Spuren nach den unbekannten Betreibern der Snuff-Homepage gesucht werden. Die Polizei lässt ihre besten Computerspezialisten ans Werk gehen, doch auch diese stehen dem Laptop ziemlich ratlos gegenüber. Auch Janie Strettons bewegtes Leben wird genau unter die Lupe genommen, wobei die Polizei recht bald auf einen Freier stößt, mit dem Janie in der Zeit vor ihrem Tod mehrere Verabredungen hatte und der dadurch zu einem der Verdächtigen wird. Ein großes Rätsel stellt auch der tote Skarabäus dar, der in der Leiche gefunden wird. Was will der Mörder damit sagen?

Während die Polizei lange Zeit im Dunkeln tappt, nähern die Verbrecher sich mit rasenden Schritten Tom Bryce und seiner Familie, die immer wieder bedroht werden und ganz offenbar im Zielkreuz stehen. Am Ende ist die Polizei so verzweifelt, dass sie sogar ein Medium zurate ziehen, das per Auspendeln bei der Auflösung des Mordfalles helfen soll.

Peter James eröffnet zahlreiche Handlungsstränge, zwischen denen er in rasantem Tempo hin- und herschaltet, um die Spannung immer weiter zu steigern. Zwischendurch kann man allerdings leicht den Überblick über alle ermittelnden Polizeibeamten verlieren, die größtenteils mit familiärem Anhang vorgestellt werden, sodass ich mir nur einen Bruchteil der Figuren überhaupt merken konnte. In Anbetracht des eher geringen Buchumfangs hätte Peter James sich durchaus auf einige wenige Ermittler beschränken und diese umso besser vorstellen können. Aufgrund der Fülle der auftauchenden Figuren erhalten nur die wichtigsten ein eigenes Profil, auf die anderen Charaktere hätte man daher größtenteils auch gut verzichten können.

Insgesamt bleibt aber definitiv ein positiver Gesamteindruck zurück, da Peter James es ausgesprochen gut versteht, seine Leser ans Buch zu fesseln und gekonnt zu unterhalten. „Stirb schön“ reicht sicherlich nicht an großartige Thriller wie „Das Schweigen der Lämmer“ und Co. heran, dennoch habe ich das Buch sehr gerne gelesen und werde mit Sicherheit wieder zu einem Buch von Peter James greifen. „Stirb schön“ ist genau das Richtige für dunkle, verregnete und ungemütliche Winterabende, bei denen man es sich mit einem spannenden Buch auf dem Sofa gemütlich machen möchte.

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