Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

John Sandford – Tödliches Netz

Sein enormes Fachwissen sollte Jack Morrison in den Dienst der Firma AmMath stellen, die Verschlüsselungs-Software für die US-Regierung herstellt und dabei einige Schwierigkeiten hat. Da man in seiner Person auch einen notorischen Hacker engagiert hat, ist es kaum verwunderlich, dass Morrison neugierig einen intensiven Blick auf besagte Software wirft und erkennt: Hier entsteht etwas ganz und gar Illegales. Das hätte er besser gelassen, denn Sicherheitschef St. John Corbeil fackelt nicht lange mit Schnüfflern. Morrison wird ermordet, sein Tod als missglückter Überfall eines bewaffneten Datendiebes ausgegeben. Er ist nicht der erste Pechvogel seiner Branche, der auf diese Weise endet.

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McCrery, Nigel – Fremde ohne Gesicht , Die

Dr. Samantha Ryan, gerichtsmedizinische Gutachterin und Pathologin in der englischen Universitätsstadt Cambridge, wird an den Schauplatz eines Prominentenmordes gerufen. Das Opfer: Sophie, Gattin des Unterhausabgeordneten John Clarke. Erdrosselt liegt sie nackt und gefesselt auf ihrem Bett. Die Medien belagern die Stätte und belauern die ermittelnden Beamten. Ein Skandal liegt in der Luft, und vielleicht lässt sich den prominenten Beteiligten sogar quotenförderlich am Zeug flicken!

Zumal sich ausgerechnet Detective Sergeant Stanley Sharman für diesen Fall interessiert. Er ist ein ausgezeichneter Polizist, dessen Privatleben jedoch ein Trümmerfeld ist. Außerdem unterliegt er einem Drang zur beruflichen Selbstzerstörung. Gern würde ihn Superintendent Tom Adams endgültig kaltstellen. Er lässt ihm einen Fall weit ab vom Clarke-Getümmel übertragen: Auf einer wilden Müllkippe wurde eine skelettierte Leiche gefunden. Ein Fixer, der sich hier den „goldenen Schuss“ gesetzt hat, so heißt es.

Doch schon wieder muckt Sharman auf. Einige Indizien am Fundort deuten für ihn auf Mord hin. Da es kein Geld und keine Leute gibt, versichert sich Sharman der Unterstützung Sam Ryans, die selbst ein Hühnchen mit Adams zu rupfen hat, der bis vor einiger Zeit ihr Lebensgefährte war und sie dann für eine andere Frau verließ. Seitdem herrscht Krieg zwischen dem Superintendent und der Pathologin, der zum Tagesgespräch in den Revieren und Seziersälen von Cambridge geworden ist.

Dass Sharman Recht hat und dies dank Ryans Hilfe beweisen kann, fördert die Harmonie keineswegs. Schlimmer noch: Sharman mischt sich weiterhin auch in den Clarke-Mordfall ein. Dort hat ein anonymer Tipp inzwischen zur Festnahme des Assistenten von John Clarke geführt. Seine DNS wurde an der toten Sophie festgestellt. Sharman glaubt an ein Komplott, das der Polizei einen Sündenbock präsentieren soll. Zu seinem Schrecken muss Adams feststellen, dass dies zutreffen könnte.

Unverdrossen setzen Sharman und Ryan – inzwischen unterstützt von Sharmans Freundin, einer Prostituierten, und einem unternehmungslustigen Kunststudenten – ihre „inoffiziellen“ Ermittlungen fort. Sie locken nicht nur einen völlig neuen Verdächtigen aus seiner Deckung, sondern stoßen auf Verbindungen zwischen der Toten auf der Müllkippe und der ermordeten Sophie. Dahinter stecken Leute, die viel zu verlieren haben und wenig Rücksicht kennen. So wird aus der Suche nach der Wahrheit für Sam Ryan und ihre Mitstreiter bald ein Kampf ums Überleben, den einige Teilnehmer verlieren werden …

Zwei Morde und ihre Aufklärung – so lässt sich der Plot dieses vierten Abenteuers um die Pathologin Samantha Ryan zusammenfassen. Nichts Originelles also, aber das ändert sich rasch (auch wenn sich Verfasser McCrery da eher auf dem Holzweg befindet; dazu später Näheres). Die Hindernisse, die einer raschen Aufklärung entgegenstehen, sind primär hausgemacht: Wie die Kesselflicker raufen Kriminalpolizei, Politik und Medien. Die einen treiben Ehrgeiz und Profilsucht zur möglichst raschen Aufklärung, die anderen fürchten genau das, denn es gilt noch einige Tatsachen zu vertuschen, die kein gutes Licht auf manchen Beteiligten werfen.

Ein Prominentenmord ist kein einfacher „Fall“, das macht Nigel McCrery uns deutlich. Da ergeben sich Möglichkeiten und Gefahren, Seilschaften werden aktiviert, alte Gefälligkeiten eingefordert, neue Mauscheleien in Gang gesetzt. Wehe dem, der sich in dieser Schlangengrube „nur“ als Ermittler sieht, der vor allem das Verbrechen klären will. Wie das zu geschehen hat, das wird „von oben“ diktiert!

Diese internen Querelen zu verfolgen, ist mindestens ebenso spannend zu beobachten wie die Art und Weise, wie sich Sam Ryan und Stanley Sharman unbeirrbar auf ihren Kreuzzug für Gerechtigkeit begeben. Das ist gut so, denn mit fortschreitender Handlung wird diese leicht fadenscheinig. Die Verknüpfung des Clarke-Mords mit dem Leichenfund auf der Müllkippe ist schon konstruiert genug. Dann bastelt McCrery noch eine gar schröckliche Brücke zum Klischee-Grusel Snuff-Porno, der sich hier publikumswirksam mit dem realen Balkangrauen der unmittelbaren Vergangenheit verleimen lässt.

Die vom Verfasser gelieferten „Erklärungen“ überzeugen nicht. McCrery setzt den Plot endgültig mit einer Last-Minute-Entlarvung des Mörders in den Sand, die so unvermittelt wie lächerlich in Szene gesetzt wird. Glücklicherweise sind wir da bereits auf den letzten Seiten. Die bis dahin positive, weil spannend erzählte Story kann dadurch nur noch marginal beschädigt werden.

Der britische Kriminalroman ist mit Recht bekannt für seine gelungene Mischung aus Spannung und Alltagsrealität. Keine Deduktions-Maschinen gehen hier heldenhaft & vollautomatisch ihrem Job nach. Menschen sind es, die sich gern selbst im Weg stehen, während sich Beruf und Privatleben ständig vermischen.

Samantha Ryan ist daher ein angemessen widerborstiger Charakter. (So muss man es wohl im Zeitalter glatt gebügelter Ermittlerfiguren bezeichnen.) Sie ist ein echtes Arbeitstier und gut in ihrem Job; fast zu gut, denn sie ist sich ihres Könnens durchaus bewusst und legt großen Wert darauf, fachlich ernst genommen zu werden. Freilich neigt sie zur Kleinkrämerei. Im Kriminalroman ist das ein wertvoller Charakterzug, sticht Sam Ryan doch deshalb so manches Indiz ins Auge, das die eher nach Dienstplan agierenden Kollegen übersehen.

Dank kann Dr. Ryan dafür nur selten erwarten: Genau wie im richtigen Leben schildert Autor McCrery ein Arbeitsklima, in dem Genialität unerwünscht ist bzw. sich dem hierarchischen Denken unterzuordnen hat. Missgünstig und neidvoll beobachten die Ermittler einander. Karriere machen vor allem Streber und Arschkriecher mit den „richtigen“ politischen Verbindungen und guten Kontakten zur Presse.

Die wirklich fähigen Männer und Frauen fristen dagegen allzu oft ein frustriertes Berufsleben im Verborgenen. Stanley Sharman ist so ein Quertreiber, der sich einfach nicht anpassen kann und will. In einem US-amerikanischen Kriminalroman würde man so eine Figur vermutlich nicht entdecken: ein ruppiger, ständig die Konfrontation suchender Polizist, der privat in eine bizarre Liebesgeschichte mit einer Nutte verwickelt ist, woraus er nicht einmal einen Hehl macht. Sam Ryan leidet hingegen noch immer unter den Nachwirkungen einer hässlich gescheiterten Liebesbeziehung zu Superintendent Tom Adams, mit dem sie zur engen Zusammenarbeit gezwungen und sich dabei für eine hässliche Privatfehde keineswegs zu schade ist.

Die ständigen Streitigkeiten zwischen den handelnden Personen wirken keineswegs – auch hier ist McCrery lobenswert realistisch – katalytisch auf die Ermittlungen. Stattdessen zermürben sie und binden Energie, die besser in die Suche nach dem Mörder investiert werden sollte. Aber harmonisch ideensprühend funktioniert ein kriminalistisches Team halt nur in mittelmäßigen TV-Serien.

Das kriminalistische Prozedere ist gut recherchiert und dort, wo es nicht diversen dramatischen Zuspitzungen zum Opfer fällt (der Bulle & die Nutte; also bitte, Mr. McCrery!), überzeugend in der Schilderung – kein Wunder, war der Verfasser (geboren 1953 in London) doch selbst neun Jahre als Polizeibeamter tätig. Als akademischer „Spätberufener“ studierte er später in Cambridge (aha!), arbeitete dann für die BBC und entwickelte dort die Figur der Samantha Ryan. Sie sollte ihm Glück und klingende Münze einbringen, denn sie fand 1996 nicht nur ihren Weg ins Fernsehen, sondern wurde dort vor und hinter der Kamera außergewöhnlich sorgfältig und kundig in Szene gesetzt.

„Silent Witness“, eine Serie spielfilmlanger, lose verbundener Episoden, entwickelte sich umgehend zum Straßenfeger und wird bis heute mit Amanda Burton in der Rolle ihres Lebens fortgesetzt. McCrery kam mit dem Schreiben bald nicht mehr nach, so dass andere Autoren die Drehbücher verfassten, was aber dem Erfolg keinen Abbruch tat, da es – diese Rezension hat es wohl deutlich gemacht – viele Schriftsteller gibt, die McCrery in Sachen Einfallsreichtum das Wasser reichen können.

In Deutschland wurde „Silent Witness“ ausgerechnet von RTL, dem dümmsten aller großen Privat-TV-Sender, ins Programm aufgenommen, und fiel dort lange wohl nur den hartgesottensten Krimifreunden auf. Auch den Büchern zur Serie war das Schicksal zunächst wenig hold, wurden sie doch im |vgs|-Verlag, der sich auf Reißbrett-Romane zu billigen TV-Serien spezialisiert hat, deutlich unter Wert verheizt. Nun geschieht den Bänden zumindest im Taschenbuch Gerechtigkeit – eine Chance, die der Krimifreund nutzen sollte!

Denn Nigel McCrery zeigt sich ungewöhnlich anpassungsfähig. Wie viele Kriminalrätsel kann das beschauliche Cambridge noch hergeben? Mit wem kann sich Sam Ryan noch verkrachen? McCrery mag kein begnadeter Autor sein; er ist sich jedenfalls der Tatsache bewusst, dass er sich zu wiederholen beginnt. „Die Fremde ohne Gesicht“ legt daher das Fundament für jene Veränderungen, die in der „Silent Witness“-TV-Serie, die nach den Romanen entsteht, bereits vollzogen wurde: Dr. Ryan zieht einen Strich, kündigt ihren Job und geht nach London. Ein neuer „Spielplatz“ mit neuen Möglichkeiten tut sich damit auf.

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Indriðason, Arnaldur – Engelsstimme

Der Dezember in einem noblen Hotel in Reykjavík bringt für die Angestellten viel Stress, denn zur Weihnachtszeit zieht es viele ausländische Besucher in die winterliche Hauptstadt des Inselstaates Island unweit des Nordpolarkreises. Am Pol selbst soll ja der Sage nach der Weihnachtsmann seine Werkstatt eingerichtet haben. In besagtem Hotel übernimmt diese Rolle indes seit vielen Jahren Guðlaugur Egilsson, der Portier und Hausmeister. Dieses Jahr fällt sein Auftritt freilich aus; man findet ihn erstochen in seinem kleinen Kellerzimmer, oberhalb der Gürtellinie bereits in seinem ehrwürdigen Kostüm, unterhalb allerdings nur mit einem Kondom „bekleidet“.

Kommissar Erlendur Sveinsson übernimmt den Fall. Zum Unmut des Managers quartiert der unkonventionelle Polizist sich sogar im Hotel ein. So erfährt er von recht unsauberen Umtrieben hinter den Kulissen des gar nicht so feinen Hauses. Prostituierte sollen hier mit Billigung der Geschäftsleitung ihrem Job nachgehen, die Angestellten angeblich kräftig in die eigenen Taschen wirtschaften. Guðlaugur wusste davon und damit womöglich zu viel.

Erstaunliches kommt außerdem über die Vergangenheit des Portiers zum Vorschein: Guðlaugur war als Kind ein berühmter Sänger, gesegnet mit einer wahren Engelsstimme. Seine viel versprechende Karriere wurde vom Stimmbruch abrupt beendet; ein Erlebnis, das Guðlaugur niemals verwunden und das ihn seiner Familie entfremdet hat. Nur zwei Schallplatten hat er vor Jahren aufgenommen, die heute gesuchte Sammlerstücke sind. Erlendur lernt im Hotel den Briten Wapshot kennen, der fanatisch nach Guðlaugurs Werken fahndet und diesem bereits viel Geld gezahlt hatte. Kam es darüber zum Streit zwischen den beiden Männern? Wapshot belügt Erlendur und versucht Island heimlich zu verlassen. Das macht ihn zu einem weiteren Verdächtigen.

Die Wahrheit entspricht wie so oft nicht dem, was die Indizien versprechen. Erlendur und seine Kollegen müssen tief in das Universum der Knabensänger eindringen und entdecken dabei eine eigenartige Kunstwelt, deren „Gesetze“ jedoch nicht annähernd so hart und unerbittlich sind wie die Schrecken, welche die eigene Familie bereithält …

Wie in den ersten beiden in Deutschland veröffentlichten Bänden der Erlendur-Serie – in Island duzen sich die Menschen und sprechen einander mit Vornamen an – geht es in „Engelstimme“ um Rätsel der Vergangenheit. Dass diese in Arnaldurs Island besonders akut bleibt, mag an der konservierenden Frische der Nordmeerinsel liegen, die als Kulisse durch den drastischen Kontrast zwischen der Zivilisation des 21. Jahrhunderts und der archaischen Wildheit einer Insel im Grenzbereich der menschlichen Existenztoleranz weiterhin reizvoll neu wirkt. Die Natur beginnt nicht nur unmittelbar hinter den Ortsgrenzen, sie ist auch von einer Kompromisslosigkeit, die dem modernen Menschen im Grunde fremd ist: Auf Island ist es leicht möglich, während eines Winterspaziergangs „verloren“ zu gehen; Kommissar Erlendur hat es selbst erlebt (s. u.).

Islands Abgeschiedenheit verstärkt die Sonderrolle: Die Bewohner der Insel sind auch heute noch weitgehend unter sich. Im Vergleich mit Ländern vergleichbarer Größe ist die Zahl der Bewohner gering; sie konzentriert sich zudem in Dörfern und „Städten“, die anderenorts kaum als solche bezeichnet würden. Selbst Reykjavík, die Hauptstadt, bringt es auf gerade 115.000 Einwohner. Man kennt zwar einander nicht persönlich, aber man läuft sich immer wieder über den Weg. In diesem recht übersichtlichen Umfeld gären ungelöste Konflikte deshalb gut, bis sie den Deckel sprengen – das ist oft der Zeitpunkt, an dem Kommissar Erlendur und seine Kollegen ins Spiel kommen müssen.

Viel „geschieht“ nicht in dieser Geschichte – dies gilt jedenfalls, wenn man einen Krimi am Faktor „Action“ misst. Die Dramatik liegt im Denken und Handeln der Figuren. So kann ein scheinbar simpler Mord aus Leidenschaft in eine griechisch anmutende Tragödie ausarten, die immer mehr Personen in ihren unheilvollen Bann zieht. Geradezu lawinenhaft vermehren sich dabei die begangenen Verbrechen. Zum Mord gesellen sich Betrug, Diebstahl, Misshandlung, Kinderpornografie – ist die Dose der Pandora erst einmal geöffnet, ergießt sich ihr Inhalt unbarmherzig über die allzu Neugierigen.

Guðlaugur Egilsson brachte seine Engelsstimme in eine höllische Lebenssituation. Er wurde zum „Wunderkind“ gedrillt und erlitt dadurch seelische Schäden. Als sich dann sein einzigartiges Talent verflüchtigte, zerbrach er daran, geißelte sich selbst als Versager und bestrafte sich, indem er buchstäblich von der Bildfläche in einen öden Kellerwinkel verschwand. Dies war auch der Versuch die schmerzlich gewordene Geschichte abzuschütteln, was freilich misslingen musste, denn so tief sind auch auf Island die Keller nicht, dass dich die unbewältigte Vergangenheit nicht doch irgendwann findet.

Niemand weiß dies besser als Kommissar Erlendur. Er gibt sich selbst die Schuld am tragischen Wintertod seines jüngeren Bruders, den er in Albträumen immer wieder durchleben muss und dessen Leiche nie gefunden wurde. Auch deshalb lässt er nicht locker in seinem Bemühen, das Geheimnis um Guðlaugur zu lüften. Als Kriminalist weist Erlendur darüber hinaus manische Züge auf. Die Arbeit ist sein Leben bzw. seine Chance vor dem Leben zu flüchten. Arnaldur lässt das Schicksal erneut hart zuschlagen: Erlendur ist so einsam, dass er es daheim nicht mehr aushält und lieber in ein Hotel zieht, wo er sich ebenso verzweifelt wie hoffnungslos um eine Frau bemüht. Seine Ex-Gattin hasst ihn aus tiefster Seele, seine drogenabhängige Tochter droht erneut der Sucht zu verfallen. Erlendur hat auch einen Sohn; der ist Alkoholiker.

Das ist fast schon zu viel des Depressiven, wäre da nicht Arnaldurs Kunst, die böse Realität mit sehr viel trockenem Humor darzustellen. Isländer knausern mit Worten. Was sie zu sagen haben, bringen sie möglichst auf den Punkt. Das lässt sich in wunderbaren Onelinern konzentrieren. Erlendurs Kollegen von der Kriminalpolizei sind in dieser Beziehung besonders erfinderisch. Hinter ihrem Sarkasmus verbergen sie die Seelenpein, die ihnen ihre unerfreuliche Arbeit oft beschert. Trotzdem sorgen sie für willkommene Auflockerungen, denn Erlendur, der geplagte Mann mit Charaktertiefe aber wenig Eigenschaften, wäre auf Dauer und ausschließlich als Kriminalist wohl doch schwer zu ertragen.

Im allzu Menschlichen verbirgt sich schließlich auch die Wahrheit im Mordfall Guðlaugur. Man sollte nicht versuchen, schneller zum Täter vorzudringen als Erlandur; der Verfasser spielt zwar fair, d. h. der Mörder gehört zum Kreis der handelnden Figuren, doch er denkt nicht daran, ihn durch nachträglich verdächtige Randbemerkungen anzukündigen. Wie die ganz und gar nicht kriminalistisch genial wirkende Polizei bleiben wir Leser ratlos – und sind schließlich genauso überrascht wie diese, als der Fall eine deprimierende Finalwendung nimmt.

Arnaldur Indriðason wurde am 8. Januar 1961 in Reykjavík geboren. Er wuchs hier auf, ging zur Schule, studierte Geschichte an der University of Iceland. 1981/82 arbeitete als Journalist für das „Morgunbladid“, dann wurde er freiberuflicher Drehbuchautor. Für seinen alten Arbeitgeber schrieb er noch bis 2001 Filmkritiken. Auch heute noch lebt der Schriftsteller mit Frau und drei Kindern in Reykjavík.

1995 begann Arnaldur Romane zu schreiben. „Synir duftsins“ – gleichzeitig der erste Erlendur-Roman – markierte 1997 sein Debüt. Jährlich legt der Autor mindestens einen neuen Titel vor. Inzwischen gilt er – auch im Ausland – als einer der führenden Kriminalschriftsteller Islands. Gleich zweimal in Folge wurde ihm der „Glass Key Prize“- der Skandinaviska Kriminalselskapet (Crime Writers of Scandinavia) – verliehen (2002 für „Nordermoor“, 2003 für „Todeshauch).

Drei seiner Romane hat Arnaldur selbst in Hörspiele für den Icelandic Broadcasting Service verwandelt. Darüber hinaus bereiten die isländischen Regisseure Baltasar Kormákur bzw Snorri Thórisson Verfilmungen von „Nordermoor“ bzw. dem Thriller „Napóleonsskjölin“ (Operation Napoleon), den Arnaldur 1999 schrieb, vor.

Die Erlendur-Romane erscheinen gebunden und als Taschenbücher im (|Bastei-)Lübbe|-Verlag:

(1997) [Menschensöhne 1217 („Synir duftsins“) – TB Nr. 15530
(1998) „Dauðarósir“ (noch nicht in Deutschland erschienen)
(2000) [Nordermoor 402 („Mýrin“) – TB Nr. 14857
(2001) [Todeshauch 856 („Grafarþögn“) TB Nr. 15103
(2002) [Engelsstimme 721 („Röddin“) – TB Nr. 15440
(2004) [Kältezone 2274 („Kleifarvatn“)
(2006) „Vetraborgin“ (noch nicht in Deutschland erschienen)

Cook, Robin – Experiment, Das

1692: In Salem bricht eine Hexenhysterie aus, als einige Bewohner drastische Verhaltensveränderungen durchmachen. Sechs Frauen werden als Hexen verurteilt und finden im Juli ihren Tod durch Erhängen. Eines dieser Opfer ist die junge Elisabeth Stewart, die aufgrund eines eindeutigen Beweises überführt und im Laufe der Jahrhunderte aus sämtlichen geschichtlichen Aufzeichnungen gestrichen wird.

Im Jahre 1994 findet sich die Krankenschwester Kimberly Stewart durch ihren Cousin Stanton mit den Ereignissen von 1692 konfrontiert. Zusammen mit ihrem Bruder hat Kim das alte Anwesen der Stewarts geerbt – das Cottage, in dem Elisabeth lebte, und die Burg, das spätere Herrenhaus der Familie. Da die Geschichte der verurteilten Vorfahrin innerhalb ihrer Familie schon immer als Tabu galt, erwacht die Neugier in der jungen Frau, welches Beweisstück unwiderlegbar für den Pakt mit dem Teufel gesprochen haben soll. Der Hirnforscher Edward Armstrong ist begeistert von ihren Nachforschungen und glaubt, die damaligen Vorfälle könnten durch einen Pilz entstanden sein, der damals in Salem gewachsen und in die Nahrung gelangt sein könnte.

Im Bemühen, Elisabeth zu rehabilitieren, nimmt Kim die Sichtung von unzähligen Papieren und Dokumenten in Angriff, die in der Burg seit Jahrhunderten unberührt lagen, und lässt Edward Bodenproben entnehmen, um Spuren eines möglichen Pilzes zu finden. Diese findet er auch. Von seinem Erfolg angespornt, züchtet er eine neue Kultur des Pilzes heran und schreckt auch davor nicht zurück, ihn an sich selbst zu testen, um seine Toxizität festzustellen. Das Ergebnis ist für den Wissenschaftler der Garant für ein neues Medikament, denn außer ein paar wenigen Halluzinationen führt der Stoff zu keinen negativen Reaktionen. Im Gegenteil, er löst Ängste und Depressionen in Rauch auf, stärkt das Selbstbewusstsein, erhöht den Energiehaushalt des Körpers und reduziert das Schlafbedürfnis auf ein Minimum von vier bis fünf Stunden pro Nacht. In völliger Besessenheit stürzt er sich in die weitere Erforschung des Pilzes und schafft es, diesen so zu verändern, dass die halluzinative Wirkung ausbleibt. Daraufhin lässt er durch Kims Cousin ein Labor einrichten, um Ultra, das neue Wundermittel, zu produzieren.

Inzwischen stößt Kim auf Hinweise, dass der Pilz tatsächlich im 17. Jahrhundert zu dramatischen Erkrankungen geführt hat und dass auch das ungenannte Beweisstück gegen Elisabeth irgendetwas damit zu tun haben muss. Trotz ihrer Versuche gelingt es ihr nicht, Edward davon zu überzeugen, das Mittel nicht vor Abschluss aller Tests selbst zu nehmen. Unter Zeitdruck und im Glauben, Ultra verursache nur Positives, nehmen der Wissenschaftler und seine neu eingestellte Crew das Mittel ein, dessen grauenhaften Auswirkungen sich erst allmählich bemerkbar machen und Salem erneut in Hysterie versetzt …

Ich habe dieses Buch gerne gelesen. „Das Experiment“ bietet eine spannende Mischung aus Medizinthriller und historischen Romanelementen, die zum größten Teil kurzweilig und unterhaltsam den Leser mitnimmt und ihn im zweiten Teil auch ein ganz kleines bisschen das Gruseln lehrt.

Medizinthriller zählen normalerweise nicht zu meinem erstgewählten Lesestoff, aber bei „Das Experiment“ verhält es sich doch etwas anders. Erstens sind die fachlichen Ausführungen gut verständlich (auch für Laien) und zweitens würde es ohnehin keine große Rolle spielen, wenn man sie nicht verstehen oder überlesen sollte, denn die Story an sich funktioniert auch prima ohne sie. Dafür ein Lob von mir an Autor Robin Cook, der aufgrund seiner Absolvierung der medizinischen Fakultät der Columbia University New York gerade diesen Aspekt viel massiver hätte anpacken können.

Stattdessen hat sich der Bestseller-Autor genauso viel Mühe bei den Charakteren und Schauplätzen gegeben, die den Roman sehr lebendig gestalten. Angefangen im Jahre 1692, lernen wir die eigentliche Hauptperson des Buches bereits mitten in ihrem Schicksal kennen: die energische, durch und durch sympathische Elisabeth Stewart auf dem Weg in ihr Verhängnis – umringt von Kindern, von denen eines die ersten Symptome der Pilzvergiftung in ihrem Haus durchleben muss. Ihr Mann weilt auf Geschäftsreise, sie kümmert sich nicht nur um Haushalt und die Kinder, sondern vermehrt ungerührt das Grundstücksvermögen der Familie in einer Zeit, in der Frauen die Geschäftsfähigkeit abgesprochen wird. Sie überlegt sich Lösungen für die herrschende Hungersnot und leistet Hilfestellungen für von Indianern überfallene Familien. Eine Frau also, die ihrer Zeit nicht nur weit voraus ist, sondern die sich auch gern Feinde mit ihrer direkten und offenen Art macht.

Zugegeben, ohne solch eine Person verlieren derlei Geschichten ihren Reiz, denn wer liest schon gerne darüber, dass eine Frau als Hexe verurteilt wird, weil sie wirklich ein ganz und gar unausstehliches, böses und kriminelles Weibsstück ist? Trotzdem ist Elisabeth mehr als nur ein armes, unschuldiges Opfer, das einfach zur falschen Zeit am falschen Ort ist – sie ist in der Tat der Auslöser der Tragödie. Und wie heißt es so schön: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Nun gut, der Leser empfindet trotzdem Mitleid mit ihr, und das ist gut so, denn ansonsten könnte man das Buch nach knapp vierzig Seiten weglegen und sich ein neues suchen. Und da die Person der Elisabeth nicht der einzige Grund zum Weiterlesen ist, möchte ich ebenfalls erwähnen, dass auch durchaus die anderen Charaktere – allen voran Kim und Edward – ihr Durchschreiten der Handlung mitreißend und spannend in Szene setzen.

Das Ganze runden die schön herausgearbeiteten Schauplätze ab, denn die Beschreibungen der Burg mit ihren Kellern und Sälen versetzten mich mitten ins Mittelalter und ließen meinen Kindertraum neu erwachen, in solch einem Gebäude einen Berg von Aufzeichnungen aus vergangener Zeit zu finden. Und so habe ich Kims Wühlen in den unermesslichen Schätzen des alten Gemäuers geradezu verschlungen und konnte ihre Aufregung nur zu gut nachvollziehen. Vor allem das letzte Drittel des Romans – die Auflösung des dubiosen Beweisstückes und des Wirkens von Ultra – ließ mich im Lesen kaum noch innehalten, und erfreulicherweise wurde ich nicht davon enttäuscht. Alles klärt sich in mehr oder weniger glücklicher Fügung auf und Elisabeth fordert ungeschönt noch mehr Mitleid, aber das darf jeder gerne selbst herausfinden. Ich empfehle es sogar!

Am Schreibstil gibt es ebenfalls nicht wirklich viel zu meckern. Ab und an verfällt Cook zwar in ganz simpel gestrickte Erzählsätze, aber das tut der Stimmung wahrlich keinen Abbruch und kommt erfreulicherweise auch nur ab und an vor.

Fazit: ein spannender Ausflug in die Welt der Wissenschaft, mit faszinierenden Abstechern in die Zeit der Hexenmythologie! Auf jeden Fall lesenwert!

Laymon, Richard – Rache

Los Angeles im Hochsommer: In der Stadt herrscht eine erdrückende Hitze, Buschbände wüten am Rand, Sirenengeheul tönt durch die heißeste Nacht des Jahres. Das junge Pärchen Sherry und Duane verbringt den Abend in Duanes Wohnung. Die beiden sind seit ein paar Wochen zusammen. Sherry arbeitet als Aushilfslehrerin, Duane handelt mit alten Büchern. In dieser Nacht wollen sie zum ersten Mal miteinander schlafen – doch es fehlen die Kondome. Sherry ist eine Gesundheitsfanatikerin und hat Angst vor AIDS, also zieht sich Duaine schnell etwas über und fährt zwei Blocks weiter, um welche zu kaufen. In spätestens zehn Minuten will er wieder da sein. Sherry wartet und lenkt sich ab. Nach einer Dreiviertelstunde ist Duane aber immer noch nicht zurück. Sherry wird immer nervöser. Sie fürchtet, dass ihrem Freund im nächtlichen L.A. etwas zugestoßen ist. Schließlich verlässt sie seine Wohnung und geht selber zum Speed-D-Markt.

Auf dem Parkplatz steht Duanes weißer Lieferwagen, doch von ihm fehlt jede Spur. Der Verkäufer bestätigt, dass er ihn vor einer Weile bedient hat, kann jedoch nicht sagen, wohin er gegangen ist. Während Sherry ratlos überlegt, was sie tun soll, spricht sie ein etwa achtzehnjähriger Junge an. Toby gehört zu den Schülern, die sie kürzlich aushilfsweise unterrichtet hat. Er kann sich noch gut an sie erinnern und erzählt obendrein noch, dass er Duane gesehen hat, wie er mit einem Mann in die entgegengesetzte Richtung verschwand. Kurzerhand bietet Toby Sherry seine Hilfe an. Der schüchterne, dickliche Junge erscheint ihr harmlos, dazu beschäftigt sie die Sorge um ihren Freund. Sie steigt in seinen Wagen und sie fahren durch die Nacht, auf der Suche nach Duane.

Sherry ahnt jedoch nicht, dass es kein Zufall ist, dass Toby sie mitgenommen hat. Sie ahnt auch nicht, dass er alles andere als ein harmloser Schüler ist. Stattdessen hat Toby einen perversen Plan, was er mit Sherry anstellen will …

Während Richard Laymon in Amerika den Ruf eines Kultautors besitzt, ist er hierzulande noch eher unbekannt. Das ändert sich möglicherweise in Zukunft, denn nach und nach werden auch seine älteren Werke inzwischen auf Deutsch übersetzt.

|Hardcore ja, Splatter nein|

Dass „Rache“ in der neuen |Hardcore|-Reihe von |Heyne| erscheint, deutet bereits an, womit der Leser rechnen darf: Viel Gewalt und brutale Handlungen, ohne Beschönigungen und viel Drumherumgerede. Diese Rechnung geht auch auf, aber wer wiederum ein Gemetzel oder puren Splatter erwartet, wird enttäuscht. Zwar gibt es tatsächlich ein, zwei harte Szenen, bei denen man als Leser ein mulmiges Gefühl in der Magengrube bekommt, vor allem wenn empfindliche Körperstellen wie Augen oder Ohren traktiert, Gegenstände wie Bohrmaschinen und Schraubenzieher ganz plötzlich zweckentfremdet werden und ein Anflug von Kannibalismus ins Spiel kommt.

Der Antagonist der Story, der kleine Perversling Toby, ist äußerst phantasievoll, wenn es darum geht, seine Opfer zu quälen und schließlich auch zu töten. Allerdings übertritt der Autor hier keine Grenze, die versierte Horrorleser nicht auch schon von anderen Werken gewohnt sein dürften. Auch die bekannten Vertreter wie Stephen King oder Dean Koontz scheuen sich nicht, die eine oder andere Gewaltszene detailliert zu beschreiben, in einigen ihrer Romane geht es sogar noch um einiges blutiger zu als hier. Der Roman ist mitnichten eine Aneinanderreihung von Abscheulichkeiten, sondern setzt seine Brutalismen gezielt und bewusst an die den passenden Stellen ein. Mehr noch – in manchen Szenen verzichtet der Autor sogar darauf, eine explizite Schilderung folgen zu lassen und überlässt stattdessen der Phantasie des Lesers die Ausmalung der grausigen Details.

|Mitreißender Beginn|

Der Anfang des Buches reißt den Leser direkt hinein ins Geschehen. Ohne Umschweife wird man mit Sherry und Duane konfrontiert, die wie das nette Pärchen von nebenan wirken und grundsätzlich sehr sympathisch sind. Die Atmosphäre transportiert das nächtliche Los Angeles über die Buchseiten hinaus zum Leser. Man spürt die Hitze, die auf den Figuren lastet, den kühlenden Wind, der durchs Fenster hineinweht, die Leidenschaft und das spielerische Necken der beiden Verliebten. Das erste Drittel des Romans ist zugleich auch das überzeugendste, was vor allem an der Identifizierung mit Sherry liegt. Die junge, äußerlich etwas burschikose Frau erscheint intelligent, humorvoll und liebenswert. Von Duane erfährt man nicht viel, aber das wenige genügt, um sich mit ihm ebenso anzufreunden.

Umso stärker kann man nachempfinden, was in Sherry vorgehen muss, als ihr Freund von seinem Kurzeinkauf nicht zurückkehrt. Die Gedanken der jungen Frau sind realistisch und genau wie sie wägt man ab, wie man in der entsprechenden Situation handeln würde: Warten, bis Duane wiederkehrt, weil ihm doch bestimmt nichts passiert sein kann in der kurzen Zeit? Oder Sorgen machen und seine Spur nachverfolgen? Immer wieder versucht Sherry, sich zu beruhigen und mit allen möglichen Tätigkeiten abzulenken. Aber jeder neue Blick auf die Uhr ist wie ein Stich ins Herz, der ihr verrät, dass irgendetwas passiert sein muss. Auch beim Leser siegt schließlich die innere Unruhe und gespannt begleitet man Sherry auf ihrer Suche nach Duane.

Die Begegnung mit Toby ist ebenfalls realistisch gestaltet. Der Leser ist durch den Klappentext vorgewarnt, doch Sherry kann man nicht verübeln, dass sie zu Toby ins Auto steigt. Als Lehrerin sieht sie in dem Jungen keine Bedrohung, sondern einen Schüler, der offensichtlich ein wenig für sie schwärmt, ansonsten aber einen durch und durch harmlosen Eindruck macht. Dazu kommt die immer größer werdende Sorge um Duane, der sich laut Toby in Begleitung eines merkwürdigen Mannes befand. Grund genug also für Sherry, auf Toby zu vertrauen, der scheinbar nicht mehr will, als ein bisschen mit einer hübschen Frau zu plaudern und mit ihr durch die Gegend zu fahren.

|Schwindende Glaubwürigkeit|

Dieser Realismus verliert sich leider im Verlauf der Handlung. Die Glaubwürdigkeit bekommt spätestens an der Stelle Risse, als Sherry erfährt, was mit Duane geschehen ist und Toby sie in seine Gewalt nimmt. Obwohl ihr jetzt sonnenklar ist, dass sie in der Hand eines perversen Mörders steckt, kommen ihr hin und wieder trocken-ironische Kommentare in den Sinn, die nicht zu ihrer Lage passen wollen. Überhaupt liegt hier ein Manko in Sherrys Charakterisierung vor, die zuvor so schön überzeugend auf den Leser gewirkt hat: Sherry präsentiert sich als erstaunlich abgeklärtes Opfer.

Sie leistet sich keinen Nervenzusammenbruch, obwohl ihr Freund soeben auf grauenvolle Weise gestorben ist, obwohl sie weitere tödliche Angriffe von Toby auf andere Menschen miterleben muss, obwohl sie beständig in Lebensgefahr schwebt und keine Rettung zu erwarten ist. Im Gegenteil nutzt sie jede Gelegenheit, um vor ihrem Peiniger zu schauspielern und Toby phasenweise vorzutäuschen, dass sie ganz auf seiner Seite ist, um ihn vor weiteren Quälereien abzuhalten. Die Wirksamkeit dieses Plans steht außer Frage, aber es ist unwahrscheinlich, dass ein Opfer sich tatsächlich so sehr zusammenreißen kann, um seinen Peiniger zu täuschen. Natürlich muss nicht jede Frau zwangsläufig in wilde Hysterie ausbrechen, aber diese Reaktion erscheint uns etwas zu nüchtern.

Mangelnde Glaubwürdigkeit muss man auch anderen Charakteren vorwerfen, die im weiteren Verlauf auftauchen. Die beiden halbstarken Teenager Pete und Jeff, die in der zweiten Romanhälfte eingeführt werden, reagieren ebenfalls unnatürlich gelassen auf die plötzliche Konfrontation mit einer Leiche und einem verrückten Mörder. Wenn man bei Pete immerhin noch einige Zweifel erkennt, so erscheint Jeff dagegen als übertrieben cooler Möchtegernheld, der sich nichts sehnlicher wünscht als eigenhändig auf Killerjagd zu gehen und sich dabei grenzenlos überschätzt. Jungs in diesem Alter mögen sicherlich einen härteren Ton anschlagen und sich bisweilen unsensibler benehmen, aber hier wird zumindest einer von ihnen überstilisiert zum Klischee eines lüsternen Playboys, den eine nackte Frauengestalt elektrisiert – auch wenn es sich dabei um eine Leiche handeln sollte.

Wie Darsteller eines C-Movies agieren leider zum Teil auch die Freunde von Brenda, Sherrys Schwester, die im letzten Drittel des Romans zu Tobys Zielscheibe wird. Im Gegensatz zu Sherry reagiert Brenda angemessen auf die katastrophalen Geschehnisse, aber von ihrer Clique kann man das kaum behaupten. Mit einer Portion Wohlwollen könnte man über diese Schwäche noch hinwegsehen. Wirklich störend ist aber eine Nachlässigkeit, die sich Toby erlaubt und die ihn in eklatante Schwierigkeiten bringt. Anstatt zu kontrollieren, ob eines seiner Opfer wirklich tot ist, entlässt er es unabsichtlich in Freiheit – ein Lapsus, der sehr konstruiert wirkt und den Zufall und das Glück überstrapaziert.

|Hohes Tempo in Handlung und Stil|

Ein Pluspunkt ist der locker-flüssige Stil, der sich problemlos lesen lässt und keine Konzentrationsanforderungen stellt. Trotz eines Umfangs von immerhin gut 550 Seiten lässt sich der Roman in ein oder zwei Tagen verschlingen. Laymon vermeidet Abschweifungen oder unnötige Ausführlichkeit. Der Stil passt ideal zum hohen Handlungstempo, reißt mit, sodass man in kürzester Zeit von Seite zu Seite fliegt. Bis zum Schluss darf man sich nicht sicher sein, wer das Killerszenario überlebt. Nach dem Lesen verflüchtigt sich der Eindruck jedoch recht bald wieder. Wenn die Reaktionen der Charaktere nicht teilweise so unrealistisch wären, hätte Laymon hier einen fulminanten Horrorthriller abliefern können. So allerdings bleibt nur ein ordentlicher Hardcore-Schmöker, in dem nur teilweise umgesetztes Potenzial schlummert.

_Fazit:_ Ein junger Mann verschwindet, seine Freundin macht sich auf die Suche und fällt dabei in die Hände eines Psychopathen – vor allem Fans von rasanten Thrillern, die nicht mit Gewaltschilderungen geizen, kommen hier auf ihre Kosten. Nach einem sehr überzeugenden Beginn schleichen sich leider nach und nach Schwächen in die Handlung ein, vor allem in Punkto Glaubwürdigkeit der Figuren. Wer Abwechslung zu den bekannten Stars der Branche wie Stephen King oder Dean Koontz sucht, findet mit diesem Roman vielleicht kein Highlight, aber eine unterhaltsame Alternative.

_Der Autor_ Richard Laymon wurde 1947 in Chicago geboren und ist einer der meistverkauften Horrorautoren der USA. Er studierte englische Literatur und arbeitete unter anderem als Lehrer und Bibliothekar, ehe er sich dem Schreiben widmete. Im Jahr 2001 verstarb er überraschend früh und hinterließ eine Reihe Romane, die vor allem wegen ihrer schnörkellosen Brutalität von sich Reden machten. Nur ein kleiner Teil davon ist bislang auf Deutsch erhältlich. Zu seinen weiteren Werken zählen u.a. „Parasit“, „Im Zeichen des Bösen“ und [„Vampirjäger“. 1138 Für diesen Sommer ist in der |Heyne Hardcore|-Reihe noch „Die Insel“ geplant.
Mehr über ihn auf seiner offiziellen [Homepage.]http://www.ains.net.au/%7Egerlach/rlaymon2.htm

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James, Peter – Mein bis in den Tod

Faith Ransome könnte eigentlich glücklich sein: Seit über zehn Jahren ist sie mit dem erfolgreichen Schönheitschirurgen Ross verheiratet, ihr kleiner Sohn Alec ist ihr ganzer Stolz, sie lebt in guten finanziellen Verhältnissen und ist attraktiv. Doch hinter der schönen Fassade ist Faith zutiefst unglücklich. Schon seit Jahren ist Ross nicht mehr der Mann, den sie mal geheiratet und geliebt hat. Nach außen hin präsentiert er sich als perfekter Ehemann, aber gegenüber Faith ist er kompromisslos, hartherzig und bestimmend. Jede kleine Nachlässigkeit im Haushalt bringt ihn in Rage. Faith muss stets perfekt gestylt und gekleidet sein, alles hat sich seinem Tagesrhythmus anzupassen. Sein Drang zu immer neuen Schönheitsoperationen an ihrem Körper verunsichert sie. Immer größer wird ihre Angst, dass er eines Tages auch Gewalt anwendet. Sie denkt an Scheidung, doch sie befürchtet, dabei ihren Sohn an Ross zu verlieren. Alex zuliebe, der sehr an seinem Vater hängt, versucht sie, den Schein zu wahren.

Auf einem Geschäftsessen von Medizinern begegnet Faith dem Arzt Oliver Cabot. Der sensible Mann mit den grauen Haaren ist ihr sofort sympathisch, was auf Gegenseitigkeit beruht. Bald darauf begegnen sich die beiden beim Einkaufen wieder. Faith ist fasziniert von der Ruhe und der Sicherheit, die der Alternativmediziner ausstrahlt. Bei ihm findet sie die Geborgenheit, die ihr in der Ehe mit Ross schon so lange fehlt. Oliver wiederum, dessen Ehe nach dem Tod seines Sohnes scheiterte, fühlt sich zum ersten Mal seit Jahren wieder zu einer Frau hingezogen.

Währenddessen erleidet Faith immer wieder Schwächeanfälle. Auf Drängen ihres Mannes lässt sie sich von ihrem Hausarzt untersuchen. Das Ergebnis ist schockierend. Alles in Faith sehnt sich danach, ihren Mann zu verlassen und mit Oliver ein neues Leben anzufangen und mit seiner Hilfe die Krankheit zu besiegen. Doch sie ahnt nicht, dass Ross grausame Pläne schmiedet, um seine Frau für immer an sich zu binden, und dabei vor nichts zurückschreckt. Er setzt einen Privatdetektiv und einen Killer auf Oliver Cabot an. Faith und Oliver müssen um ihr Leben kämpfen …

Es ist kein neues Thema und es sind keine neuen Zutaten, die Peter James für seinen Thriller verwendet. Das Resultat ist dementsprechend ein unspektakulärer, wenngleich unterhaltsamer Roman über das alte Thema einer Ehefrau in den Händen eines Psychopathen.

|Klappentext weckt falsche Erwartungen|

Die Kurzbeschreibung des Romans erweckt den fälschlichen Eindruck, hier stünden die Operationen von Ross an seiner Ehefrau im Vordergrund, da er Faith „nach seinen Vorstellungen umoperieren“ wolle und seine Frau deshalb nach einem Ausweg sucht. Tatsächlich spielt sein Operationszwang zwar eine Rolle, doch diese ist weitaus geringer, als man zunächst annehmen würde. Ross hat in den vergangenen Jahren ein halbes Dutzend Eingriffe an Faiths Körper und Gesicht vorgenommen und drängt sie zu einer weiteren Nasenkorrektur. Faith lehnt ab, bereut bereits ihre vergangenen Operationen und fürchtet immer mehr, dass Ross nie Gefallen an ihrem ursprünglichen Aussehen empfunden hat. Doch das ist dann auch schon alles und der Roman dreht sich wieder hauptsächlich um die unglückliche Ehe, um Ross‘ Einengung und Eifersucht und Faiths Versuch, der Hölle zu entfliehen. Keineswegs ist es so, wie der Klappentext suggeriert, dass Faith speziell wegen der Schönheitsoperationen aus der Ehe ausbrechen will. Vielmehr geht es um den psychischen Druck, den ihr Ehemann anwendet, die Gewalt, zu der er schließlich greift, und ihre Gefühle für Oliver Cabot.

|Charakterisierungen mit Licht und Schatten|

Das Hauptaugenmerk liegt eindeutig auf Faith Ransome. Mit ihr soll der Leser fühlen und sich so weit als möglich identifizieren. Das gelingt vor allem zu Beginn recht gut. Faith erscheint als sympathische junge Frau, die in ständiger Angst vor ihrem Ehemann lebt. Zum Wohl ihres Sohnes, der sehr an seinem Vater hängt, stellt sie ihr Fluchtbedürfnis zurück und bemüht sich, den heilen Schein zu wahren. Ihr Leben ist bestimmt von Unsicherheit und einer drückenden Spannung. Alles in der Wohnung muss blitzblank aufgeräumt und geputzt sein, Faith selber darf keine Schlabberklamotten tragen, sondern hat stets in perfektem Dress auf ihren Mann zu warten. Dabei wendet Ross zunächst nicht einmal körperliche Gewalt an – doch alles an seinem gebieterischen Auftreten schüchtert Faith ein. In seinen gemeinen Momenten erinnert er seine Frau daran, dass erst seine geschickten Chirurgenhände ihrem Gesicht und ihrem Körper zu der Ebenmäßigkeit verholfen haben, die sie von Durchschnittsfrauen abhebt. Mit unguten Gefühlen erinnert sich Faith daran, wie Ross sie auf Kongressen als Anschauungsmodell vorgeführt hat. Einerseits sagt sie sich, dass jeder Schönheitschirurg seine eigene Frau operiert, Ross sich also völlig normal verhält. Andererseits spürt sie immer mehr, dass er nicht sie selber liebt, sondern die Idealgestalt, die er nach seinen Vorstellungen aus ihr geformt hat. Ein großes Plus bei ihrer Charakterisierung ist die Tatsache, dass der Leser gut versteht, warum sie sich nicht einfach scheiden lässt. Ihr kleiner Sohn Alec, der von der Härte seines Vaters lange Zeit nichts mitbekommt, hängt sehr an seinem Daddy, so sehr, dass sie manchmal fast neidisch auf diese traute Zweisamkeit wird. Dazu kommt noch ihre eigene Mutter, die Ross beinah wie einen Heiligen verehrt, ja selber für ihn ein klein wenig schwärmt und nichts auf ihren geliebten Schwiegersohn kommen lässt. Auch im Bekanntenkreis ist Ross nur der angesehene Arzt mit den großartigen Erfolgen. Faith ist gefangen in einer Scheinwelt, die sie immer stärker spüren lässt, dass sie eines Tages ausbrechen muss, um ihr Glück zu finden.

Ross Ransome ist dagegen ein in jeder Hinsicht zwiespältiger Charakter. Gut gezeichnet sind seine Dominanz, sein befehlendes Auftreten, das keine Widersprüche duldet und ebenso die Souveränität, die er für unwissende Außenstehende ausstrahlt. Es fällt nicht schwer nachzuvollziehen, wieso sich Faith vor ihm fürchtet und weshalb im Gegenzug niemand anderer sein krankhaftes Verhalten erkennt. Etwas gewöhnungsbedürftig aber durchaus interessant ist seine Wechselhaftigkeit. Genau wie Faith weiß der Leser nie so recht, wie Ross auf neue Ereignisse reagieren wird. Wird er seine Frau schlagen, wird er die Nerven verlieren oder versucht er, sie mit Liebesschwüren an sich zu fesseln? Alles ist möglich, denn in seinem Kopf schwebt die fixe Idee, dass Faith ihn niemals verlassen darf. So schlecht er sie auch behandelt, so sehr überschüttet er sie immer wieder mit Beteuerungen, dass sie der Inhalt seines Lebens sei. Erst nach und nach erfährt man als Leser die ganze Grausamkeit seines Denkens. Ein Mittel dafür sind die schrittweisen Enthüllungen, wenn alle paar Kapitel die Zeit zurückgedreht und in seine Kindheit geschaltet wird. Hier sieht man den kindlichen Ross, man erfährt seine familiären Hintergründe und erlebt mir, wie er schon damals zu schrecklichen Taten fähig war. Ab da ist man gewarnt, dass er in seiner Rache vor nichts zurückschrecken wird …

Insgesamt weniger glaubwürdig ist allerdings die Darstellung von Oliver Cabot. Allein sein Hintergrund ist klischeehaft: Oliver verlor seinen Sohn durch eine Krankheit und wandte sich daraufhin der alternativen Medizin zu, trennte aich von seiner Frau und lebte bis zur Begegnung mit Faith in freiwilliger Enthaltsamkeit. Oliver ist der Samariter schlechthin, der Retter von Faith Ransome in allen Lebenslagen. Bereits auf den ersten Blick erkennt er die Traurigkeit der jungen Frau hinter der aufgesetzten Maske und legt es darauf an, sie bald wiederzusehen. Faith kann von Glück reden, dass ihr ein solcher Held begegnet – aber realistisch ist es nicht. Die Zuneigung und Beziehung zwischen den beiden entwickelt sich im Eiltempo und wirkt angesichts aller schwierigen Umstände zu geschönt, um wirklich zu überzeugen.

Ein umso facettenreicherer Nebencharakter indes ist der Privatdetektiv Hugh Caven, den Ross anheuert, um Faith und Oliver zu beschatten. Caven arbeitet einerseits mit unsauberen Methoden und hat eine kriminelle Vergangenheit hinter sich, andererseits besitzt er Herz und Mitgefühl. Sein Auftraggeber ist ihm alles andere als sympathisch und bis zum Schluss darf man mitfiebern, ob sich Hugh Caven für sein Gewissen oder für das Geld entscheidet.

|Gegen Ende konstruiert|

Leider spielt der Zufall grundsätzlich eine übertrieben große Rolle. Das ist vor allem gegen Ende hin ärgerlich, als alles auf einen spektakulären Showdown hinausläuft. Ross verhält sich wie viele Klischee-Psychopathen, die ihrem Opfer genug Spielraum zur Flucht geben, anstatt kurzen Prozess zu machen. Und auch der finale Schluss verläuft etwas zu abrupt und problemlos, als seien dem Autor die Zeit und die Ideen ausgegangen, das Ende realistischer zu gestalten. Es gibt keine wirklich überraschenden Wendungen, im Grunde verläuft alles so, wie der versierte Thrillerleser es bereits nach spätestens einem Drittel des Romans vermutet. Dass man sich trotzdem gut unterhalten fühlt, liegt vor allem am Interesse an der Hauptperson, deren Schicksal den Leser gewiss nicht kalt lässt.

|Verschenkte Spannungsmöglichkeit|

Man hofft auf ein doppeltes Happy-End, denn schließlich muss Faith nicht nur gegen ihren gefährlichen Ehemann, sondern auch gegen eine unberechenbare Krankheit ankämpfen. Und hier liegt auch eine verschenkte Möglichkeit, die Spannung zu steigern. Hin und wieder wird stellenweise in die Perspektive von Ross hinübergelenkt, so dass dem Leser Einblick in seine Gedanken gewährt wird. Dadurch wird Ross in seiner Unberechenbarkeit und Undurchschaubarkeit gebremst – anstatt dass der Leser im Dunkeln gelassen wird, ist er informiert über die Denkweise von Ross und seine Pläne hinsichtlich seiner Frau. Das zeigt sich deutlich, als er von ihrer schweren Krankheit erfährt. Geschickter wäre es gewesen, hier erst einmal offen zu lassen, ob nicht Ross die Blutproben gefälscht hat oder irgendwie an ihrer Krankheit Schuld trägt.

|Flüssiger Stil|

Mehr als 550 Seiten umfasst der Roman, lässt sich aber dennoch in wenigen Tagen verschlingen. Das liegt vor allem an der schnörkellosen Schreibweise, die es dem Leser ermöglicht, der Handlung ohne Mühe zu folgen. Obwohl die Medizin einen nicht unerheblichen Raum dabei einnimmt, kommen keine Unverständlichkeiten auf. Jede Operation von Ross wird verständlich geschildert, keine Fachausdrücke halten den Lesefluss auf. Auch wenn es um Faiths Krankheit geht, wird nicht im medizinischen Fachjargon, sondern immer nachvollziehbar darüber geredet. Die Rückblicke in die Kindheit von Ross sind sehr überschaubar gehalten und sauber vom Rest der Handlung abgetrennt – man muss nicht befürchten, dass die beiden Zeitebenen durcheinander geraten oder für Verwirrung sorgen. Wer zu einem empfindlichen Magen neigt, muss sich keine Sorgen über allzu grausige Szenen machen. Selbst die gewaltvollen Stellen sind nicht übermäßig explizit gestaltet, sodass auch bei Zartbesaiteten kein Ekel aufkommt. Insgesamt ist Peter James hier ein unterhaltsamer Thriller gelungen, der sich gut als Urlaubslektüre eignet, aber nicht dauerhaft im Gedächtnis bleibt.

_Unterm Strich_ erwartet den Leser ein solider, aber in keiner Form herausragender Thriller über einen psychopathischen Arzt und eine Frau in Gefahr. Die größte Stärke liegt in der Identifizierung mit der Hauptfigur, die sich gegen ihren mörderischen Ehemann und eine tückische Krankheit gleichermaßen wehren muss. Gegen Ende verliert die Geschichte leider an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Dank des lockeren, unkomplizierten Stils ist das Buch gut zum Zwischendurchlesen geeignet.

_Der Autor_ Peter James, Jahrgang 1948, liebt Autos, Sport und alles Paranormale. Er lebte jahrelang in den USA als Drehbuchautor und Filmproduzent, ehe er wieder nach England zurückkehrte. Zu seinen Werken zählen unter anderem „Ein guter Sohn“, „Die Prophezeihung“ und „Wie ein Hauch von Eis“. Zuletzt erschien der Horror-Thriller „Stirb ewig“.

Fasman, Jon – Bibliothek des Alchemisten, Die

Im Jahre des Herrn 1154 schickt Roger II., der wissenschaftlich stark interessierte König von Sizilien, seinen Geografen al-Idrisi auf eine heikle Mission: Der arabische Gelehrte soll eine Karte der bekannten Welt zeichnen. Roger hat den richtigen Mann für diese Aufgabe gefunden. Al-Idrisi gilt nicht grundlos als genialer Forscher und brillanter Kartograph. Der König bot seinem Gast sämtliche Möglichkeiten zur Forschung. Al-Idrisi dankte es seinem Herrn mit bemerkenswerten Entdeckungen. Die Begeisterung des Arabers über den aktuellen Auftrag hält sich freilich in Grenzen. Seine Reise ist höchst gefährlich und wird ihn viele Jahre seinem Labor fernhalten.

Außerdem sind da bestimmte Experimente, über die al-Idrisi lieber schweigt. Er betätigt sich auch als Alchemist, was ihn als Magier verdächtigt machen und die gefährliche Aufmerksamkeit der Kirche wecken könnte. So hat er ein Rezept entdeckt, das sein Leben weit über das übliche Maß verlängert. Hinweise darauf geben einige Instrumente und Artefakte, die in al-Idrisis Labor zurückblieben. Dort hat sich der Dieb Omar Iblis seine Abwesenheit zu Nutze gemacht, ist in sein Labor eingebrochen und hat die unersetzlichen Objekte gestohlen. Sie werden im Laufe der nächsten Jahrhunderte vor allem in die Weiten der späteren UdSSR zerstreut.

Al-Idrisi hatte einige Alchemistenkollegen in sein Geheimnis eingeweiht. Diese gründeten einen Bund, den sie seiner Bewahrung weihten. Skrupellose Männer trugen das Verlorene wieder zusammen. Der letzte Hüter erwies sich als Verräter, was einen erbitterten Kampf im Verborgenen ausgelöst hat: Die Alchemisten wollen ihren Schatz zurück – um wirklich jeden Preis!

Von alledem ahnt der junge Paul Tomm gar nichts. Er arbeitet als Journalist für eine kleine Wochenzeitschrift, die im Städtchen Lincoln im neuenglischen US-Staat Connecticut über die alltäglichen Vorfälle in einem recht verschlafenen Ort berichtet. In dieses Muster passt Tomms aktuelle Recherche: Er soll einen Nachruf für den just verblichenen Jaan Pühapäev schreiben, der an der Universität im nahen Wickenden sehr unauffällig als Linguist und Professor für baltische Geschichte tätig gewesen ist. Tomms Interesse erwacht, als er herausfindet, dass Pühapäev weit mehr war als ein weltfremder Bücherwurm. Offenbar gehört er einem Orden oder einer Sekte an, die (s. o.) nach gewissen Objekten fahndet. Paul gerät den Alchemisten in die Quere, aber was zunächst wie die Story seines Lebens aussieht, droht ihn bald genau jenes zu kosten …

(Randbemerkung: Sage ich zu viel über die Handlung? Nun, meine Idee war es nicht, dieses Buch im Deutschen „Die Bibliothek des Alchemisten“ zu nennen und damit bereits im Titel zu verraten, wer hinter dem mysteriösen Geschehen steckt …)

Ein dunkles Geheimnis aus ferner Vergangenheit wirft in der Gegenwart bedrohliche Schatten: Auf diese wenigen Worte lässt sich der Plot von „Die Bibliothek des Alchemisten“ reduzieren. Geht man von der alten Hollywood-Weisheit aus, dass sich eine richtig gute Story auf der Rückseite einer Streichholzschachtel skizzieren lassen muss, darf man zwar nichts Neues aber trotzdem Großes = Spannendes von diesem Roman erwarten.

Es setzt auch erfreulich, wenn auch gemächlich ein. „Die Bibliothek …“ startet zwei Handlungsstränge, die zunächst nichts miteinander zu tun haben – die kommentierte Geschichte diverser Gegenstände aus al-Idrisis Labor sowie der Bericht von Paul Tomm, der von einem autobiografischen Abriss mit zahlreichen „coming of age“-Elementen langsam (sehr langsam) in eine Thriller-Handlung übergeht. Allmählich kristallisieren sich diverse Zusammenhänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart heraus; Verfasser Fasman weiß hier geschickt die Spannung zu schüren, indem er jedem Artefakt eine „Karteikarte“ zuordnet, die es als Museumsobjekt zu beschreiben scheint. Entscheidende Episoden aus der Historie der Stücke werden erzählt; sie enthüllen eine endlose Kette von Gräueltaten, die im Laufe von Jahrhunderten um ihren Besitz begangen werden. Diese Rückblicke bleiben unkommentiert. Wer schreibt sie, was ist der Grund? Es bleibt offen, der Leser muss sich selbst einen Reim darauf machen.

Die eigentliche Handlung ist ihm keine große Hilfe. Während Fasman die historischen Vignetten sehr gut gelingen, geht ihm im Paul-Tomm-Strang die Puste aus. Er kommt einfach nicht auf den Punkt. Mehr als hundert Seiten vergehen, ehe überhaupt etwas geschieht, das den Thriller andeutet. Leider wird das nicht besser, sondern geht ebenso behäbig weiter. Fasman scheint lieber vom Alltag eines jungen Mannes – sein Alter Ego? – zu erzählen, der nach seinem Platz in dieser Welt sucht. Die entsprechenden Fragen mögen ihn, der noch recht jung ist (Jahrgang 1975), stark beschäftigen, doch im Rahmen eines Thrillers drücken sie in dieser epischen Breite auf Tempo und Spannung. Fasman hätte lieber den Handlungsmotor mit mehr Hirnschmalz schmieren sollen: Als es endlich ein wenig lebhafter wird, wirken die Thrillerelemente hausbacken und ungelenk.

Die meisten alchemistischen Artefakte tauchen in der historischen UdSSR bzw. in deren Nachfolgestaaten auf. Das ist kein Zufall, sondern lässt sich mit Fasmans Biografie erklären; der Autor hat einige Jahre in Moskau gelebt und gearbeitet und dort auch „Die Bibliothek …“ geschrieben. Als Journalist steht er in den Passagen, die in allerlei exotischen Winkeln des versunkenen Sowjetreiches spielen, auf spürbar sicherem Boden. Hier bietet der Roman eine Qualität, die man in der Haupthandlung schmerzlich vermisst.

Als das Rätsel des Alchemisten endlich gelüftet wird, ist das Interesse an diesem Roman fast erloschen. Das letzte Kapitel schreibt Hannah Rowe – es gibt da noch eine ganze Reihe von offenen Fragen, die abschließend zu klären sind: Kein gutes Zeichen, wenn solche Erklärungen einem Roman quasi angeklebt werden. Als Leser ist man bei der Lektüre geblieben, weil man nach vielen Stunden noch wissen will, wie es ausgeht, und weil Fasman anders als allzu viele „Schriftsteller“, welche den aktuell so beliebten „Da-Vinci-Code“-Quark in den Buchläden der Welt breit treten, immerhin schreiben kann. Damit hievt der Autor sein Werk jedoch nur auf Mittelmaß: Zufriedenheit und Enttäuschung halten sich mühsam die Waage. Fasman hat sich viel vorgenommen, aber nur wenig erreicht.

Werfen wir einen näheren Blick auf die Figuren. Über Paul Tomm wurde bereits weiter oben geklagt. Dies ließe sich hier fortsetzen. Ihr Rezensent bittet Sie allerdings, ihm dies zu erlassen und zu glauben, dass Mr. Fasman die Schaffung eines jungen, unerfahrenen Charakters allzu gut gelungen, aber Paul als glaubhafter Handlungsträger kaum tauglich ist. Auch sonst treten nur Chargen auf, die mit viel Klischeewolle gestopft wurden. Väterlicher Freund des Helden, kantiger Bulle mit Herz aus Gold, schwarzhumoriger Pathologe, weltfremder Universitätsdozent … Sie alle sind fest verankert in der modernen Unterhaltung, sollten jedoch nicht so eindimensional daherkommen wie hier.

Wieso sich Hannah in Paul „verliebt“, wird uns nachträglich aufdringlich erläutert. Zu ihrem Glück ist das Opfer keine Leuchte, denn als Agentin taugt Hannah ganz sicher nicht. Damit der Leser merkt, dass sie verdächtig ist, lässt Fasman sie etwa so diskret handeln wie Mata Hari in einem Stummfilm der 1920er Jahre. Dass mit der guten Hannah Rowe, die sich so bereitwillig in Pauls Bett ziehen lässt, etwas faul ist, merkt so, wie Fasman an die Sache herangeht, selbst der inzwischen schläfrig gewordene Leser. Nur der gute Paul ist wie gesagt mit einer Blindheit geschlagen, die man ihm gern durch einen kräftigen Tritt in den Hintern austreiben möchte. Neu-England muss ein Ort sein, der dem menschlichen Verstand nicht sehr zuträglich ist …

Die Alchemisten-Schurken in unserem Spektakel konzentrieren sich glücklicherweise auf ihren Job. Sie suchen und killen und treten primär in den Rückblenden auf. Das bekommt ihnen gut, denn sie müssen nicht hilflos im Sumpf der Fasman’schen Trivialcharakterisierungen versinken. Erst im großen Finale – das sich auf eine lächerliche Prügelei und umständliches Geschwätz beschränkt – kommt der Chefgauner aus seinem Loch. Er enthüllt einen Masterplan, über dessen „Sinn“ man lieber nicht nachdenken sollte, weil man sich sonst nachträglich ärgern würde, diesem Roman so viele Stunden gewidmet zu haben, und entfernt sich zwecks weiterer Spinntrigen (aber hoffentlich nicht in Vorbereitung einer Fortsetzung!) in die weite Welt.

Jon Fasman wurde 1975 in Chicago geboren. Er wuchs in Washington, D.C., auf und studierte in Rhode Island Englische Literatur der Renaissancezeit. Anschließend arbeitete er für eine kleine Wochenzeitschrift. Die Heirat mit einer aus Russland gebürtigen Frau veranlasste ihn, dieser nach Moskau zu folgen, wo er – ein Fremder in einem fremden Land – für die „Moscow Times“, eine englischsprachige Zeitung, tätig wurde und genug Muße zur Niederschrift seines ersten Romans fand. „The Geographer’s Library“ entstand nach eigener Auskunft als Zeitvertreib und verarbeitete, was sein Verfasser über die Verhältnisse und die Geschichte seines neuen Heimatlandes lernte. Später fand das Manuskript seinen Weg zum renommierten |Penguin|-Verlag in New York, wo es 2005 als Fasmans Debütwerk erschien.

Der Autor hat Moskau inzwischen verlassen und leben in London, wo er für „The Economist“ schreibt. Er arbeitet an einen neuen Thriller mit fantastischen Elementen, der wiederum im fiktiven Wickenden spielt, das dem realen neuenglischen Providence nachempfunden wurde.

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Lauenroth, Frank – Simon befiehlt

„Simon says“ (zu Deutsch: Simon befiehlt) ist ein beliebtes Spiel, das sicher jeder noch von vergangenen Kindergeburtstagsfeiern kennt. Prinzip des Spiels besteht darin, dass der Spielführer Simon seinen Mitspielern Befehle erteilt, die diese ausführen müssen, sofern der Befehl mit „Simon says“ eingeleitet wird. Befehle ohne diesen Zusatz sind wirkungslos und dürfen nicht befolgt werden. Dieses beliebte Spiel hat sich der deutsche Autor Frank Lauenroth zum Thema seines preisgekrönten Romans „Simon befiehlt“ gemacht, wobei er uns eine deutlich erwachsenere Version des Kinderspiels präsentiert, das eher an den berühmten Film „The Game“ mit Michael Douglas erinnert als an ein harmloses Spiel vom Kindergeburtstag. Doch erst einmal hübsch der Reihe nach …

Zunächst lernen wir den Filmkolumnisten Trevor Man kennen, der sich mit rasendem Herzen und einer Urne mit der Asche seiner Mutter auf das Empire State Building begibt, um von dort oben in einem unbemerkten Moment die Asche verstreuen zu können. Dieser merkwürdige letzte Wunsch seiner Mutter kostet Trevor fast das Leben, da Man unter so genanntem Stressasthma leidet, das bei körperlicher Anstrengung oder Aufregung ausbricht und Trevor eiskalt erwischt, als es plötzlich einen Feueralarm gibt und der Bedienstete des Empire State Buildings mit Trevor den Abstieg aus dem 80. Stockwerk zu Fuß antritt. Trevor wird ohnmächtig und überlebt nur durch den beherzten Einsatz der hübschen Notärztin Fiona, in die Trevor sich auf den ersten Blick verliebt.

Doch der Tod seiner Mutter hält noch weitere Überraschungen für Trevor parat, muss er doch erfahren, dass er nicht nur 42 Millionen Dollar geerbt hat, von deren Existenz er nichts geahnt hatte, sondern auch die Mitgliedschaft im geheimnisvollen Simon-Club. Das Geld ist für Trevor der Weg zu einem sorgenfreien Leben ohne den Inhalator gegen sein Asthma, denn von Fiona erhält er den Tipp, dass es ein geheimes Forschungslabor gibt, in dem mysteriöse Geckos gezüchtet werden. Diese kleinen Tierchen leben schließlich in Symbiose mit den Patienten und verabreichen ihnen durch einen Biss die lebensrettende Medizin gegen den Asthma-Anfall.

So könnte Trevor Man endlich sein Leben genießen, wäre da nicht der Simon-Club. Was es damit auf sich hat, erfährt Trevor früher, als ihm lieb ist, denn verpflichtender Teil des Clubs ist das Spiel „Simon befiehlt“, bei dem die Club-Mitglieder zusammen mit einigen Assistenten einen gefährlichen Auftrag ausführen müssen, der offenkundig einem guten Zweck dient. Als aber nach und nach die Mitspieler ums Leben kommen, erkennt Trevor, dass mehr hinter diesem Spiel steckt …

So weit auf der rein inhaltlichen Ebene, die schon für genug Zündstoff in dem 280-seitigen Thriller sorgt. Doch „Simon befiehlt“ bietet seinen Lesern noch mehr: Schon die Einstiegsszene fesselt den Leser an das Buch; hier erleben wir gleich zu Anfang eine lebensbedrohliche Situation mit unserem Hauptprotagonisten Trevor Man mit, der nur knapp seinen Asthma-Anfall überleben kann. Die Schilderung dieser dramatischen Situation ist dabei auf der einen Seite so nüchtern, auf der anderen so packend, dass es einem beim Lesen eiskalt den Rücken herunterläuft, weil wir Zeuge von Trevors letzten Gedanken werden, bevor er ohnmächtig wird. Hautnah bekommen wir Trevors Gedanken zu lesen, der weiß, dass er den Abstieg vom Empire State Building nicht überleben kann, und obwohl wir Trevor gerade erst kennen gelernt haben, fiebern wir bereits mit ihm mit und wünschen ihm, dass er diese Situation überstehen möge.

Im Grunde genommen sind es altbekannte Elemente, die hier verwendet werden, um Spannung aufzubauen, diesmal allerdings zu einem überzeugenden Ganzen zusammengesetzt sind und „Simon befiehlt“ so lesenswert machen. Lauenroth erzählt nicht nur die Geschichte um Trevors aktuelles Leben, sein Asthma und den Tod seiner Mutter, er entführt uns auch in Trevors Vergangenheit, als dieser durch Zufall die reiche Familie McGuiness kennen lernt, und zum dritten werden wir mitgenommen zu einem mysteriösen Casting, bei dem der hinkende Alfred van Houten fünf Spezialisten für einen nicht näher bekannten Auftrag sucht. Der Leser tappt dabei lange Zeit im Dunkeln und kann die Verbindung zwischen den drei Geschichten nicht erkennen; es bleibt unklar, welche Informationen aus Trevors Vergangenheit wichtig sind für die aktuelle Entwicklung, aber noch undurchsichtiger ist die Verbindung zwischen van Houten und Trevor Man.

Erst spät enthüllt Frank Lauenroth uns die Zusammenhänge, die schließlich zum großen Aha-Erlebnis führen werden. Geschickt macht der Autor mehrere Handlungsebenen auf, die parallel weitererzählt werden, die Geschichte auf verschiedenen Ebenen weiterführen und dem Leser neue Informationen liefern. Viele Details können wir schwer einsortieren, wie beispielsweise Trevors Asthma oder seinen Gecko, doch am Ende erkennen wir, dass jede Information ihre Berechtigung hatte, alles genau durchdacht ist und jede Kleinigkeit Sinn ergibt.

Frank Lauenroths Schreibstil ist dabei schlicht und nüchtern, nie schreibt er um den heißen Brei herum, seine Sätze sind knapp und leicht verständlich. Gleichzeitig schafft der Autor es aber auf hervorragende Weise, uns gefährliche Situationen so ausführlich und packend zu schildern, dass unser Herz schneller schlägt und wir geneigt sind, vor Nervosität an unseren Fingernägeln zu knabbern.

Die Protagonisten aus „Simon befiehlt“ passen sich wunderbar in das Gesamtgefüge ein; allen voran ist hier Trevor Man als tragischer Held zu nennen, der immer wieder durch sein Asthma ausgebremst wird, aber auf der anderen Seite als erfolgreicher Kolumnist und gut aussehender Frauenheld auftritt. Auch Trevors neue Freundin Jazz verbirgt hinter ihrer selbstbewussten Art ihre eigene Verletzlichkeit, außerdem müssen wir erfahren, dass sie von einem Unbekannten erpresst wird. Ganz allmählich lässt Lauenroth uns hinter die Fassaden seiner handelnden Charaktere blicken, sodass wir schließlich erkennen müssen, dass in ihnen mehr steckt, als wir geahnt haben.

„Simon befiehlt“ ist ein gut durchkonstruierter Science-Fiction-Thriller, der von Anfang an ein hohes Tempo anschlägt und seine Leser sogleich fesselt. Geschickt verwebt Frank Lauenroth seine Handlungsstränge miteinander und enthüllt ihre Verbindungen erst recht spät. So bleibt am Ende festzuhalten, dass „Simon befiehlt“ absolut lesenswert ist – eigentlich die ideale Lektüre für einen dunklen Winterabend, doch dieser Thriller unterhält auch an einem sonnigen Frühlingstag nicht minder gut, wenn man sich auf die eingestreuten Science-Fiction-Elemente einlässt und sich von Frank Lauenroth nach New York entführen lässt.

Mehr über Frank Lauenroth unter http://www.franklauenroth.de/

Rennie Airth – Orte der Finsternis

Der ehemalige Polizist John Madden wird im Spätsommer 1932 gegen seinen Willen in einen grausamen Mordfall verwickelt: Nahe Highfield, einem Dorf in der südenglischen Grafschaft Surrey, entdeckt man in einem Waldstück die gut versteckte Leiche der zwölfjährigen Alice Bridger. Das Mädchen wurde vergewaltigt und erwürgt, ihr Gesicht mit einem Hammer völlig zerschmettert. Will Stackpole, ein einfacher Constable, ruft Madden, der sich inzwischen als Farmer niedergelassen hat, zur Hilfe. Auch Detective Inspector Wright, der die Ermittlung offiziell übernimmt, hat nichts gegen den Rat Maddens einzuwenden, der als Kriminalist einen legendären Ruf genießt und dessen Kündigung in Scotland Yard noch immer bedauert wird.

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Jackson, Lisa – Ewig sollst du schlafen

|Um sie herum herrscht tiefe Dunkelheit. Ein süßlicher, unangenehmer Geruch nimmt ihr fast den Atem, als die junge Frau aus tiefer Bewusstlosigkeit erwacht. Gedämpft hört sie das Prasseln von Erde und ein grausames Lachen – und erkennt in plötzlicher Panik, dass sie lebendig begraben wird. Sie wird nicht das letzte Opfer des sadistischen Killers bleiben.

Dessen verstörende Taten sind für die Journalistin Nikki Gillette zunächst nichts weiter als neuer Stoff für die Titelseiten. Sie ahnt noch nicht, dass der Mörder einen kranken Plan verfolgt, in dem sie eine Schlüsselrolle spielt … |

_Die Autorin_

Lisa Jackson arbeitete nach ihrem Studium zunächst einige Jahre im Banken- und Versicherungswesen, bevor sie das Schreiben für sich entdeckte. Mittlerweile zählt Jackson zu den amerikanischen Top-Autorinnen, deren Romane regelmäßig die Bestsellerlisten der „New York Times“, der „USA Today“ und der „Publishers Weekly“ erobern. Lisa Jackson lebt in Oregon.

_Rezension_

Pierce Reed – attraktiver Detective bei der Polizei von Savannah, mit Augen, denen nicht viel entgeht, und dessen Archillesferse Frauen sind – und die Reporterin Nikki Gillette werden in perverse Mordfälle verwickelt, deren roter Faden ein Prozess zu sein scheint, an dem sie vor zwölf Jahren beteiligt waren.
Verurteilt wurde damals LeRoy Chevalier, der im Verdacht stand, seine Lebensgefährtin und zwei ihrer drei Kinder getötet zu haben, nachdem er sie vorher missbraucht und gezwungen hatte, miteinander zu schlafen. Jetzt, zwölf Jahre später, ist er wegen eines Verfahrensfehlers wieder auf freiem Fuß.
Und just da beginnt die Verbrechensserie.

Das besonders Perfide: der Mörder begräbt seine Opfer lebendig, nackt, zusammen mit einem bereits Bestatteten, dessen Sarg er wieder ausgräbt und für seine Zwecke nutzt, versieht die Begrabenen mit Mikros und hört ihnen beim Sterben zu, was ihn sexuell erregt. Erstes Opfer ist Barbara Jean Marx, die ein Verhältnis mit Reed hatte und – wie die Obduktion ergibt – von ihm schwanger war.

Aufgrund ihrer Affäre wird Reed wegen Befangenheit von dem Fall abgezogen, den seine platinblonde, viermal geschiedene Partnerin und Mutter zweier Kinder Sylvie Morrisettes mit einem neuem Partner weiterführen soll. Cliff Siebert, der ebenfalls bei der Polizei von Savannah seinen Dienst versieht, zu Highschoolzeiten der beste Freund von Nikkis verstorbenem Bruder war und die Reporterin aus ehemaliger Verliebtheit mit Insiderinformationen versorgt, wirkt sonderbar verschlossen.

Nikki Gillette, ehrgeizig, mit einer Faszination für Verbrechen und Tochter des Richters Ronald |Big Ron| Gillette, arbeitet für den |Savannah Sentinel| und will durch den Fall endlich die Exklusivstory landen! Von da ab wird es turbulent in ihrem Leben, in dem zeitgleich auch ihr gut aussehender, draufgängerischer Ex-Freund Sean Hawke auftaucht. Doch da sie nicht an die Wiederbelebung einer Beziehung glaubt, ist sie nicht erpicht darauf, Sean wiederzusehen. Viel zu sehr ist sie mit dem Fall des „Grabräubers“, wie sie den Mörder bezeichnet, beschäftigt.

Der Grabräuber, der sich selbst |der Überlebende| nennt, nimmt sowohl zu Reed als auch zu Nikki Kontakt auf und schickt ihnen seltsame Botschaften. Der Sonderling besitzt eine Sammlung aus Hunderten von Filmen über Helden, die es geschafft hatten, trotz allen möglichen Härten des Lebens zu überstehen, und die selbst für Gerechtigkeit sorgten.

In dem Keller eines Hauses, dessen Besitzerin nicht weiß, dass er über einen Schlüssel zu dem abgelegen Teil des alten Gebäudes verfügt, hält er unter anderem sein „Heiligtum“, eine alte Kommode, versteckt, deren obere Schublade er niemals öffnen will, weil sie intim und unantastbar ist. In den anderen Laden bewahrt er die Dessous seiner Opfer, an denen er sich aufgeilt und befriedigt, ebenso wie an dem Grauen und Sterben der lebendig Begrabenen, deren Todeskampf er aufzeichnet und mitanhört.
Dann fühlt er sich mächtig.
Stark.

Nikki versucht an Reed, der Reporter – besonders aber Nikki Gillette – wie der Teufel das Weihwasser meidet, heranzukommen und stellt fest, dass das ungefähr so einfach ist wie mit einem Stachelschwein zu schmusen. Für Nikki ist Reed halsstarrig, mürrisch und grob, und für ihn ist sie wiederum genau die unheilvolle Kombination, um die er sonst einen Boden macht: attraktiv und intelligent. Doch die Mordfälle führen sie unweigerlich zusammen, weil der Täter zu ihnen beiden Kontakt aufgenommen hat und sie sich Informationen vom anderen erhoffen.

Als der Grabräuber sogar in Nikkis Wohnung einsteigt, spitzt sich die Situation zu und Nikki erfährt zum ersten Mal, wie es ist, auf der anderen Seite zu stehen: von den Medien gejagt und benutzt zu werden, und sie fühlt, wie ihre kämpferische Selbstsicherheit immer mehr bröckelt. Das gegenseitige Misstrauen zwischen ihr und Reed schwindet durch die zuerst widerwillig eingegangene Zusammenarbeit, und die beiden kommen sich immer näher.

Dann verschwindet Simone Everly, Nikkis beste Freundin und die Frau, die Nikkis verstorbener Bruder heiraten wollte. Schnell wird allen bewusst, dass auch sie in die Fänge des Grabräubers geraten sein muss.

Wird es Nikki Gillette und Pierce Reed gelingen, Simone Everly zu befreien? Und vermögen sie es, sich nicht weiter in dem Netz des Überlebenden zu verfangen, das dieser immer enger um sie herum spinnt?
Denn der Überlebende ist bereit für den |coup de gráce|!

_Fazit:_Ein kurzweiliger, flott geschriebener Krimi, der auf stolzen 600 Seiten erstaunlich wenig „Längen“ aufweist und der |die| Prise Sex & Crime beinhaltet, die ein gutes Unterhaltungsbuch dieses Genres bieten sollte. Sehr schnell meint man sich auf der richtigen Fährte, und ist am Ende doch überrascht, dass es alles ein wenig anders ist, als man dachte! Wer sich gut unterhalten will, ist hier an der richtigen Adresse!

|Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Hartmann|
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Kastner, Jörg – Engelsfürst

Mit „Engelsfürst“ legt der deutsche Autor Jörg Kastner bereits seinen dritten Vatikanthriller rund um den ehemaligen Schweizer Gardisten Alexander Rosin und die engagierte Vatikanjournalistin Elena Vida vor. In den beiden Vorgängerromanen „Engelspapst“ und [„Engelsfluch“ 808 standen sowohl der reformerische Papst Custos als auch der Geheimorden Totus Tuus im Zentrum der Erzählung. Über zwei Jahre ist es her, seit Alexanders geliebter Onkel ermordet wurde und Papst Custos an die Macht kam, der über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt und daher unter dem Namen Engelspapst bekannt wurde. Aber auch der Gegenpapst Lucius, der sich in „Engelsfluch“ einen Namen gemacht hat, besitzt heilende Fähigkeiten und stammt von einem bekannten Engel ab. Im Engelsfürsten nun regieren beide Päpste in trauter Zweisamkeit, bis das Übel seinen Lauf nimmt …

Zu Beginn des vorliegenden Buches begibt Elena Vida sich zu später Stunde an einen abgelegenen Treffpunkt, um sich dort mit dem stellvertretenden Direktor der Vatikanbank, Monsignore Picardi, zu treffen, der am Telefon nervös klang und offensichtlich geheime Informationen für Elena hat. Doch am vereinbarten Treffpunkt wartet nicht Picardi auf Elena, sondern zwei gefährliche Männer, die Elena bewusstlos schlagen. Kurz darauf findet Elena Vida sich in Polizeigewahrsam wieder, da sie neben der Leiche Picardis gefunden wurde und nun des Mordes verdächtigt wird.

Alexander Rosin dagegen wird in den Vatikan gerufen, um dort ebenfalls unglaubliche Neuigkeiten zu hören. Kardinal Mandume nämlich ist nicht, wie offiziell bekannt gegeben, an einem Herzschlag gestorben, sondern er ist durch die so genannte Selbstverbrennung gestorben, bei der innerhalb von Sekunden oder wenigen Minuten von einem Menschen nur noch ein Häuflein Asche übrig bleibt. Als Alexander dann auch noch erfahren muss, dass Elena, von der er inzwischen getrennt lebt, nur knapp einem Anschlag entkommen konnte und nun selbst des Mordes verdächtigt wird, befindet sich auch Rosin mitten in der Geschichte.

In einem zweiten Handlungsstrang treffen wir auf Enrico, den Sohn des zweiten Papstes Lucius, der sich in einem Kloster in San Gervasio aufhält und von merkwürdigen Träumen heimgesucht wird. Der Abt des Klosters bietet Enrico an, eine Rückführung zu versuchen, damit Enrico seine Träume besser deuten kann und vielleicht herausfindet, ob es sich dabei nicht vielmehr um eigene Erinnerungen aus einem früheren Leben handelt. Bei seinen Sitzungen mit dem Abt muss Enrico schließlich feststellen, dass er vor 2000 Jahren tatsächlich bereits unter dem Namen Vel gelebt hat und er aus diesem Leben schreckliche Erinnerungen ans Tageslicht holen wird …

In zwei parallelen Handlungssträngen erzählt Jörg Kastner temporeich die Geschichte des Engelsfürsten. Während recht schnell Elenas Unschuld bewiesen ist und Alexander Rosin ebenfalls nur knapp einem Mordanschlag entkommen kann, versuchen Stelvio Donati und Alexander zusammen herauszufinden, welche Zusammenhänge es zwischen den beiden toten Kirchenmännern Picardi und Mandume gibt. Umrahmt wird die Erzählung durch die tragische Liebesgeschichte zwischen Alexander und Elena, die ein Ende fand, als Alexander aus Neid vor Elenas journalistischen Erfolgen eine Affäre begann. Doch damit nicht genug, erfährt Alexander nun auch noch, dass Elena ein Kind von ihm erwartet. Die Beziehung der beiden ist somit gespickt von Streit, Zwistigkeiten und Eifersucht. Elena kann Alexander seine Untreue einfach nicht verzeihen, obwohl dieser seinen Fehler gerne ungeschehen machen würde. Aber für viel Liebesgeplänkel ist glücklicherweise nicht viel Zeit, da sich im Kloster von San Gervasio etwas Schreckliches zusammenbraut.

Nach gleichem Strickmuster schon wie in „Engelsfluch“ lässt Kastner den besiegt geglaubten Geheimorden Totus Tuus wieder auferstehen, der mächtige Männer auf den Plan treten lässt, die ähnlich prominente Ahnen haben wie Papst Lucius und sein Sohn Enrico, die vom Engel Uriel abstammen und daher als Engelssöhne bezeichnet werden.

Schnell wird klar, dass das so genannte Engelsfeuer entfacht werden soll, um den Engelsfürsten auferstehen zu lassen, doch mit welchen Mitteln dies geschehen soll und worum es sich dabei genau handelt, das enthält Jörg Kastner uns über weite Strecken des Buches vor. Doch wer sich noch an den Vorgängerband erinnern kann, wird einige Parallelen entdecken, die ziemlich offensichtlich sind. Insbesondere beim Showdown erwartet den Leser ein unangenehmes Déjà-vu – man meint, fast genau die gleiche Szene bereits zu kennen.

Nun ja, ein paar neue Komponenten sind durchaus enthalten und es fehlen auch nicht die atemberaubenden Verfolgsjagden und Mordanschläge, die immer wieder die Spannung steigen lassen und das Tempo anziehen, obwohl Jörg Kastner durch die steten Schauplatzwechsel von vornherein ein ziemlich hohes Erzähltempo anschlägt. So bleibt dem Leser wenig Zeit zum Durchatmen und glücklicherweise oft auch wenig Zeit zur Reflektion über das gerade Gelesene, was dem Roman sicher zugute kommt.

Insbesondere die personellen Schwächen sind schnell aufgedeckt, denn wir treffen wieder auf unsere alten Bekannten, den ehemaligen Gardisten Alexander Rosin und seine nunmehr Exfreundin Elena Vida, die beide unerschrocken zu Werke gehen und sich von keinem Killer den Mut nehmen lassen. Immer wieder stürzen sie sich in gefährliche Situationen und treffen daher mehrfach auf die beiden unbekannten Mörder. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch permanent Elenas Sorge um den ungeborenen Sohn anhören. Natürlich vergisst Kastner es auch nicht, immer wieder Alexanders Schuldgefühle auszubreiten, von denen er aufgrund seiner Untreue heimgesucht wird, aber wer hätte es nicht geahnt? Am Ende – so viel sei verraten, ohne zu viel preiszugeben – erwartet unsere beiden Helden natürlich ein schmalztriefendes Happyend, das ebenso gut aus der Feder einer Rosamunde Pilcher hätte stammen können.

Doch bleiben wir beim Inhalt – und da hat Jörg Kastner leider wenig Neues zu bieten; es treten kaum Charaktere auf, die wir nicht bereits aus den Vorgängerbänden kennen, auch ist der Roman nach exakt dem gleichen Schema konstruiert wie sein Vorgänger und dadurch zu leicht durchschaubar. Thematisch entfernt Kastner sich rein gar nicht von seinem eingeschlagenen Pfad, sondern geht gerade mal ein, zwei Schritte weiter, um einige winzige neue Aspekte ins Spiel zu bringen, die aber wenig Sensationelles zu bieten haben. Als dann schließlich die Söhne verschiedener Engel im großen Finale aufeinander treffen, hoffen wir eigentlich nur noch eins: und zwar, dass Totus Tuus nun endlich ausgerottet sein möge, damit kein weiteres Feuer entfacht werden kann.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Kastner mit „Engelspapst“ ein überzeugender Start in seine Vatikanreihe gelungen ist, die er leider mit dem zweiten Band nicht völlig gelungen fortgesetzt hat, „Engelsfürst“ ist nun nur noch ein müder Abklatsch von „Engelsfluch“ und damit der schwächste der drei bisher erschienenen Bände. Natürlich ist das Buch rasant geschrieben, nett zu lesen und auch ganz unterhaltsam, aber man sollte schon einen Hang zum Mystischen haben, um diesem Buch etwas abgewinnen zu können; logische Gedanken und der Wunsch zur Realitätsnähe sind hier fehl am Platze.

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Sullivan, Mark T. – Geistertanz

Lawton in den Green Mountains im US-Bundesstaat Vermont, im Frühjahr 1998: Der Dokumentar-Filmer Patrick Gallagher besucht den kleinen, abgelegenen Ort, um für ein neues Projekt zu recherchieren. Um die Jahrhundertwende hat der Gemeinde-Pfarrer Pater Victor D’Angelo in Lawton angeblich zahlreiche Dorfbewohner durch das Auflegen seiner Hände vor dem sicheren Tod bewahrt. War D’Angelo ein Heiliger? Pater McColl, der heute die Gemeinde Lawton leitet, hat das komplizierte kirchliche Verfahren in Gang gesetzt, durch das D’Angelo selig oder sogar heilig gesprochen werden könnte. Über diesen Mann und seine Geschichte will Gallagher einen Film drehen.

In Lawton werden Fremde mit Misstrauen bedacht – besonders, wenn sie womöglich die Kür eines eigenen Ortsheiligen gefährden könnten! Das stellt Gallagher rasch fest, als er sich um eine Unterkunft bemüht. Erst Andromeda „Andie“ Nightingale, die als Sergeant für die Kriminalpolizei des Ortes arbeitet, ist bereit, ihm eine Hütte zu vermieten. Sobald Gallagher sich eingerichtet hat, drängt es den passionierten Angler zum Bluekill River. Nach kurzer Zeit geht ihm ein wahrhaft kapitalen Brocken an den Haken: die Leiche des brutal ermordeten Zahnarztes Hank Potter.

Andie Nightingale findet unter den Hinterlassenschaften Potters eine seltsame Zeichnung, die laut Gallagher Charun darstellt, den mythologischen Fährmann der Seelen in das Reich der Toten. So viel humanistische Bildung lässt den Filmmann für Chief Mike Kerris und Lieutenant Brigid Bowman, Nightingales Kollegen bei der Polizei, umgehend zum Hauptverdächtigen aufsteigen. Der Druck auf Gallagher wächst, als weitere Morde „Charuns“, wie der Killer bald genannt wird, Lawton in Unruhe versetzen. Dennoch kann Gallagher Nightingales Vertrauen gewinnen und sie bei ihren Ermittlungen unterstützen. Sie finden heraus, dass Charun es auf die Besitzer eines mysteriösen Tagebuchs abgesehen hat, das die junge Indianerfrau Sarah Many Horses – eine Nichte Sitting Bulls – vor mehr als einem Jahrhundert niedergeschrieben hat und das nach ihrem Tode aufgeteilt wurde. Die Aufzeichnungen werfen ein äußerst unvorteilhaftes Licht auf die damals wie heute die Geschicke Lawtons bestimmenden Familien. Schlimmer noch: Many Horses starb unter grotesken Umständen, die auch Pater D’Angelo in den Kreis der Verdächtigen ziehen. Will Charun die Spuren dieser alten Kollektiv-Schuld tilgen?

„Geistertanz“ ist ein Roman, dessen Handlung von falschen Fährten, mutwillig angelegten Sackgassen und mehrdeutigen Anspielungen bestimmt wird. Das beginnt bereits mit dem Titel, der auf ein reales historisches Phänomen anspielt: den pseudo-religiösen Kult der Geistertanz-Bewegung, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter den Indianerstämmen des US-amerikanischen Westens aufkam. Von den weißen Siedlern, den Soldaten und der Regierung immer stärker bedrängt, entlud sich der äußere und innere Druck der Ureinwohner in einem an sich wahnwitzigen Irrglauben, in dem eigene Mythen sich mit Elementen des Christentums mischten. Der „Geistertanz“ sollte eine Brücke zwischen den zahllosen toten und den wenigen überlebenden Kriegern schlagen, die dann gemeinsam gegen den verhassten weißen Feind vorgehen zu können glaubten. Außerdem waren die Anhänger des Kultes überzeugt, von nun an unverwundbar zu sein. Der US-Regierung machte weniger die Sorge um die Realität dieser aus Verzweiflung geborenen Bewegung zu schaffen als die plötzliche Einigkeit zwischen eigentlich verfeindeten Stämmen, die sich zu einem gefährlichen, weil sehr realen Gegner entwickeln konnten. So wurden Truppen ausgeschickt, die den Geistertanz-Glauben niederhalten sollten. Erwartungsgemäß kam es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die im Winter 1891 in South Dakota in einem Massaker am Wounded Knee gipfelten, bei dem die Armee „vorsichtshalber“ viele hundert Männer, Frauen und Kinder niedermetzelte – eines der bekannteren Gräuel der modernen Geschichte.

Sullivans fiktive Sioux-Frau Many Horses ist eine Überlebende von Wounded Knee und eine der Letzten, die das Geistertanz-Ritual kennt. Mehr als dieses lokalkoloritische Element trägt sie nicht zum Roman bei. Die Geschichte, wie Many Horses nach Lawton kam, um dort einer bizarren örtlichen Sekte buchstäblich zum Opfer zu fallen, ist sehr interessant zu lesen und wird vom Autor auch sehr spannend nach und nach enthüllt, doch sie trägt angesichts des Raumes, die Sullivan ihr zugesteht, zur eigentlichen Geschichte zu wenig bei. Fakt ist, dass Many Horses‘ Tod bzw. der weiter bestehende Aberglaube um ihre wundertätigen Kräfte zwar die Ursache für die Morde von Lawton ist. Doch das ist nicht das Thema der von Sullivan ausgewalzten Vorgeschichte zur Mordserie von 1998.

Wie ist es überhaupt um die angebliche Wunderkraft bestellt? Sullivan spielt ständig mit übernatürlichen Elementen, nur um sie im Finale sämtlich „logisch“ aufzulösen. Es gibt in Lawton keine indianischen Rachegeister, und es gab sie nie. Dann fragt man sich als Leser natürlich, wieso Sullivan seinen Roman mit einem Kapitel einleitet, das im Jahre 1918 spielt und den angeblichen Heiligen Pater D’Angelo eindeutig als Wunderheiler beschreibt. Die Erklärung ist ebenso einfach wie ärgerlich: Sullivan bedient sich eines simplen Tricks, um das Interesse seines Publikums zu erregen. Als er am Schluss seiner Geschichte eher beiläufig das Thema noch einmal aufgreift, versucht er sich mit der Binsenweisheit, dass Glaube Berge versetze, aus der Affäre zu ziehen – eine sehr unbefriedigende „Lösung“, die zudem suggeriert, der Leser müsse halt selbst entscheiden, wie „geisterhaft“ die Ereignisse der verstrichenen Seiten nun zu werten sind.

Solche faulen Tricks hätte der Roman gar nicht nötig. „Geistertanz“ ist ein solide konstruiertes und kompetent (wenn auch ein wenig hausbacken) geschriebenes Buch. Die Fakten sind sauber recherchiert, was kaum verwunderlich ist, wenn man sich vor Augen führt, dass Mark T. Sullivan, der als Wirtschaftskorrespondent für die Agentur Reuters in Chicago arbeitet, bereits zweimal für den renommierten Pulitzer-Preis nominiert wurde und sein journalistisches Handwerk nachweislich beherrscht. Die einfach gestrickte und altmodische, aber in zahllosen Romanen und Filmen bereits bewährte Geschichte vom düsteren Geheimnis in einem kleinen, abgegrenzten, nur scheinbar idyllischen Ort bringt er gut über die Runden. Schade nur, dass er im Finale auf den obligatorischen Killer mit erheblichem Dachschaden zurückgreift; typisch dann aber wieder, dass er plötzlich noch einen zweiten, den „richtigen“ Bösewicht aus dem Hut zaubert.

Mit seinen beiden Hauptfiguren Gallagher und Nightingale hat sich Sullivan beinahe schon zu viel Mühe gegeben. Er möchte imaginären Figuren echtes Leben einhauchen, was an sich nur zu begrüßen ist. Doch er geht in seinem Eifer oft zu weit, wenn er Seite um Seite tragische Ereignisse aus der Vergangenheit Gallaghers und Nightingales (harte Kindheit, persönliche Enttäuschungen, Alkoholismus, Schuldgefühle usw. usf.) nacherzählt, die mit der eigentlichen Handlung nicht das Geringste zu tun haben. „Geistertanz“ ist somit ein durchschnittlicher, gut lesbarer und bis auf das enttäuschende Finale spannender Roman, der sich indes ein wenig wichtiger nimmt, als ihm zukommt.

Hiaasen, Carl – Unter die Haut

Er ist nicht der Mann, mit dem man sich unbedingt anlegen sollte: Mike Stranahan war ehemals Soldat in Vietnam (1) und wurde später Ermittler für die Staatsanwaltschaft von Dade County im US-Staat Florida. Nachdem er im Dienst und in Notwehr drei Menschen und zuletzt einen korrupten Richter erschossen hat, beschloss die Behörde, ihn lieber mit einer guten Pension nach Hause zu schicken. Gerade vierzig Jahre alt geworden, bewohnt Stranahan seitdem im „Stelzendorf“ an der Biscayne Bay und damit direkt am Wasser ein altes Haus auf hohen Pfählen und lebt nach seiner fünften Scheidung recht vergnügt in den Tag hinein, als die Vergangenheit ausgerechnet in der Gestalt von ‚Dr.‘ Rudy Graveline wieder auflebt. Der ebenso geldgierige wie unfähige Schönheitschirurg hat bereits eine blutige Spur durch einige Bundesstaaten gezogen. Im Norden ist ihm der Boden zu heiß geworden, aber in Florida ist er endlich auf jenes Umfeld aus Bestechlichkeit, Dummheit und Eitelkeit gestoßen, das es ihm ermöglichte, nicht nur sein unheilvolles medizinisches Werk fortzusetzen, sondern sogar eine eigene, äußerst gut gehende Privatklinik namens „Whispering Palms“ zu gründen, in der sich die Reichen und Berühmten von echten oder eingebildeten Schönheitsfehlern befreien lassen können.

Nur noch selten greift Graveline selbst zu Skalpell und Fettabsauger. Er ist vorsichtig geworden, seit er vor vier Jahren einen Routine-Eingriff verpfuscht hat und ihm die junge Vicky Barletta auf dem Operationstisch gestorben ist. Mit Hilfe einflussreicher Freunde hat Graveline dies vertuscht und die Leiche verschwinden lassen. Doch jetzt droht alles wieder ans Licht zu kommen: Der eingebildete TV-‚Reporter‘ Reynaldo Flemm ist auf den Barletta-Fall aufmerksam geworden und will ihn in seiner primitiven, aber bei der Proleten-Fraktion des Publikums sehr beliebten Krawallshow präsentieren. Noch schlimmer: Die Mordkommission könnte die Untersuchung wieder aufnehmen! Zwar zeigt die Staatsmacht wie üblich wenig Neigungen in dieser Richtung, doch Graveline weiß, dass einen der damaligen Ermittler der ungelöste Fall noch heute wie ein Stachel im Fleisch schmerzt. Sein Name: Mike Stranahan!

Graveline gerät in Panik und heuert einen Killer an. „Tony der Aal“, eine freundliche Leihgabe der örtlichen Mafia, geht allerdings seinen Job mit mehr Elan als Intelligenz an und wird von Stranahan unter Zuhilfenahme eines ausgestopften Schwertfisches ins Jenseits befördert. Der nächste Gegner ist von anderem Kaliber: Blondell Tatum, genannt „Chemo“, dessen Gefühlskälte eindrucksvoll durch seine Physiognomie widergespiegelt wird, die der des Frankenstein-Monsters gleicht.

Dass immer neue Mordanschläge auf ihn verübt werden, reißt Stranahan aus seiner Frührentner-Lethargie. Er nimmt als Privatmann die Ermittlungen auf, was ihn der Verpflichtung enthebt, dabei den Buchstaben des Gesetzes Folge zu leisten. Rasch entspinnt sich an der sonnigen Küste Südfloridas eine blutige Komödie der Irrungen und Wirrungen, in der auch Stranahans ‚Haustier‘ – ein mannsgroßer Barrakuda – kräftig mitmischt …

Die Welt ist schlecht: Selten ist dieser Stoßseufzer so überzeugend in Worte gegossen worden wie in „Unter die Haut“, einer weiteren Runde im Kampf Carl Hiaasens gegen die allgegenwärtige Dreifaltigkeit der modernen menschlichen Zivilisation – Dummheit, Gier und Ignoranz. In Florida scheinen sich diese wenig erfreulichen Wesenszüge besonders prächtig zu entwickeln. Vielleicht kann Hiaasen aber auch einfach seinen Heimvorteil ausspielen: Er kennt diesen Teil der Vereinigten Staaten wie seine Westentasche, und das schließt die von der Tropensonne kaum beschienenen Bereiche ausdrücklich mit ein.

Carl Hiaasen wurde 1953 in Florida geboren; er ging hier zu Schule, studierte hier (bis 1974) Journalistik und ging anschließend zum „Miami Herald“. Bei dieser Zeitung ist er noch heute und schreibt Kolumnen und Berichte, in denen er jene Sünden anprangert, mit denen wir auch in seinen Romanen immer wieder konfrontiert werden. Zu schaffen macht Hiaasen besonders der unentwirrbare Filz aus Politik, Wirtschaft und Verbrechen, der Florida in Sachen Korruption und Umweltzerstörung einen traurigen Spitzenplatz in den USA garantiert.

Da Hiaasen die Erfahrung machen musste, dass seine wütenden Attacken im täglichen Mediengewitter mehr oder weniger untergingen, begann er ab 1981 Romane zu schreiben, die in spannender Thrillerform und scheinbar fiktiv die genannten Missstände auch jenem Publikum nahe zu bringen verstehen, die gemeinhin nur den Sportteil einer Zeitung zur Kenntnis nehmen. Zunächst ‚übte‘ Hiaasen und schrieb die ersten drei Romane mit seinem Journalisten-Kollegen William D. Montalbano, bevor er sich mit „Tourist Season“ (dt. „Miami Terror“) 1986 quasi selbstständig machte. Schon früh begann er damit, die bittere Medizin, die er verabreichen wollte, zu versüßen, indem er dazu überging, immer groteskere Plots für seine ohnehin actionbetonten Geschichten zu entwerfen. Ironie und Sarkasmus, die jederzeit in blanken Zynismus umschlagen können, versuchen die Welt, wie Hiaasen sie in Florida vorzufinden glaubt, als Tollhaus zu demaskieren.

Die Rechnung ging auf: Weil Hiaasen sein Talent, wirklich krude Geschichten mit knochentrockenem und dadurch um so wirksamerem Witz zu entwerfen, rasch zur Perfektion entwickelte, fand er sein Publikum. Den Ritterschlag als echter Bestseller-Autor erhielt Hiaasen, als Mitte der 90er Jahre Hollywood auf ihn aufmerksam wurde. Zwar entwickelte sich „Striptease“ nicht zuletzt dank seiner Hauptdarstellerin, der unsäglichen Demi (no) Moore, zu einem üblen Kassengift, aber immerhin konnte Hiaasen (übrigens auch hierzulande) einen Popularitätsschub verzeichnen.

„Unter die Haut“ zeigt Carl Hiaasen jedenfalls auf der Höhe seines Könnens. Mit unnachahmlicher Eleganz, die in der deutschen Übersetzung erfreulich gut erhalten blieb, breitet der Autor ein Panorama ruchloser Menschen aus, die ausnahmslos mehr oder weniger Dreck am Stecken haben. Sie alle erhalten entweder ihre Strafe, die in der Regel ziemlich grauslich, aber immer unerwartet ausfällt, oder werden vom Schicksal auf eine Weise belohnt, die dieses in jedem Fall als recht hinterlistig outet … Nicht so recht ins wüste Bild will sich nur die Figur der Produzentin Christina Marks fügen, die Hiaasen ein wenig zu ’normal‘ angelegt hat, so dass sie manches Mal wie eine Spielverderberin dasteht.

Das ändert jedoch überhaupt nichts am Lesespaß, den man sich nicht entgehen lassen sollte: Carl Hiaasen ist in diesem unseren Lande weiterhin ein Geheimtipp, was primär bedeutet, dass seine Werke zwar veröffentlicht, aber selten neu aufgelegt werden. Während jeder schimmelige Schinken aus der Anne-Perry- oder Elizabeth-George-Kammer für Junkfood-Leser zig-fach aufgewärmt wird, müssen echte Feinschmecker leider darben. Sogar „Striptease“ ist heute vergriffen, und auf ein Wiedersehen mit „A Death in China“, „Tourist Season“ oder „Double Whammy“ (1987, dt. “Miami Morde”) darf wohl erst recht nicht gehofft werden!

Anmerkung:
(1) Unsere Geschichte spielt im Jahre 1989!

Thomas Kohlschmidt – BLIND

Thomas Kohlschmidt, in der Phantastikszene bekannt durch zahlreiche veröffentlichte Artikel und Kurzgeschichten, legt jetzt mit dem Phantastikthriller „BLIND“ sein Romandebüt vor.

Professor Keller sitzt in einer Hamburger Psychiatrie gefangen, da er ein Buch über eine merkwürdige Dunkelheit veröffentlichte, die die Erde zu beherrschen drohe. Mit diesen esoterischen Thesen kam er einem Kollegen in die Quere, der seinen gesamten Einfluss geltend machte, um Keller aus dem Verkehr zu ziehen.

Gerade diese beschworene und verlachte Dunkelheit ist nun im Begriff, sich auf die Erde herabzusenken, und Keller wird von einer amerikanischen Sturmtruppe aus der Psychiatrie befreit. Außerdem sind die Russen, die UNO und andere Mächte plötzlich an ihm interessiert, so dass er als Spielball von einem zum anderen wechselt, bis ihn eine Söldnertruppe nach Kalkutta, dem Ort seiner Forschungen und einzig mögliche Ausgangsbasis zur Lösung des Problems, bringt.

Seine Anhänger haben ihm im Verlauf der Gefangenschaftsjahre ein Labor ganz nach seinen Wünschen eingerichtet und in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt, von dem aus er nun auf die andere Seite, in die „Nicht-Licht-Welt“, vorzudringen gedenkt, um der Gefahr zu begegnen. Für die Außenstehenden wird seine krankhafte Fantasie von Nicht-Licht-Wesen plötzlich zur alles betreffenden Gefahr; die Weltbevölkerung bricht in Panik aus und jede Macht will Keller für die nationale Sicherheit benutzen, ohne zu akzeptieren, dass er das Übel an seiner Wurzel in Kalkutta packen muss, wo er vor Jahren das Tor zur anderen Seite öffnete, das schon die Magier und Schamanen vergangener Zeiten zu hüten und zu verschließen bemüht waren. Was aber in der Nicht-Licht-Welt vorgeht, ist auch Keller noch unbekannt …

In einem Artikel auf WARP-online nimmt Kohlschmidt Stellung zu seiner Arbeit an diesem Roman und verdeutlicht seine Vorgehensweise bei der Recherche, die eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung gespielt hat, da er seine Geschichte an bekannten Orten mit verschiedensten Nationalitäten und Umgangsformen und realen Techniken erzählt. Dabei schafft er es sehr gut, die gefundenen Informationen zu bearbeiten und in einem gesunden, knappen Maß in seine Geschichte einfließen zu lassen, so dass man an keiner Stelle das Gefühl hat, er wolle möglichst alles, was er an Arbeit mit der Recherche hatte, auf Biegen und Brechen in dem Roman verarbeiten. Diese Fähigkeit muss man hervorheben, tun sich doch sehr viele gestandene Schriftsteller damit schwer und spicken ihre Erzählungen mit seitenlangen Abhandlungen. Kohlschmidt schafft diesen Balanceakt mit Auszeichnung, strafft so die Handlung und rückt das Wesentliche in den Mittelpunkt.

Dagegen erschweren die vielen unterschiedlichen Erzählebenen ein wenig den Lesefluss und behindern die Entwicklung der wichtigen Charaktere. An sich ist gegen die schlaglichtartige Darstellung der Situation nichts einzuwenden, wird so doch der große erdumfassende Zusammenhang sehr deutlich herausgestellt. Damit erhält jedoch jede einzelne Nebenfigur das gleiche Gewicht wie die wirklichen Handlungsträger, um deren Ausarbeitung etwas mehr hätte gegeben werden können.

Die Handlung steht auf etwas tönernen Füßen. Tragende Wichtigkeit kommt der Tatsache zu, dass die Anhänger von Kellers Theorie eine Organisation aufgebaut haben, die keinerlei finanzielle Probleme hat und außerdem die größten Könner aus jedem Gebiet rekrutieren konnte. Das erhebt alles in ein überirdisches Licht und enthebt Keller der Schwierigkeit, seiner (durch seinen Aufenthalt in der Klappsmühle nicht eben im Ansehen gesteigerten) phantastischen Theorie die Mittel und die Anerkennung zu erkämpfen, die es benötigt, um der Gefahr rechtzeitig entgegentreten zu können. So erscheinen die Protagonisten über jede weltliche Schwierigkeit erhaben, was durchaus der Glaubwürdigkeit der Geschichte abträglich ist.

Die Auflösung ist interessant und verknüpft die Mythologien eigentlich sämtlicher frühzeitlicher Völker auf einer neuen Ebene. Und natürlich muss der tragische Tod einer sympathischen Person die emotionale Bindung zum Leser gerade am Ende noch einmal richtig festigen.

Fazit: Kohlschmidts Romanerstling lässt sich locker, flüssig und spannend lesen und bietet kurzweilige Unterhaltung, hat aber einige Schwächen bei der Ausarbeitung der Charaktere und durch ein paar klischeehafte Wendungen. Ausbaufähig, aber ein Roman, der hohes Potenzial erkennen lässt.

Dahl, Arne – Rosenrot

Kriminalromane haben Hochkonjunktur, insbesondere, wenn ihre Autoren aus Skandinavien und dort speziell aus Schweden kommen. Doch seit Henning Mankell immer seltener seine beliebten Wallanderromane veröffentlichte, schaffen auch andere Autoren den Sprung nach ganz oben in die Krimi-Bestsellerlisten. Ein Autor, der Mankell nicht nur in seiner Schreibweise und einigen Anspielungen sehr nahe kommt, ist der ebenfalls schwedische Autor Arne Dahl, der mit „Rosenrot“ seinen nunmehr fünften Roman rund um die so genannte A-Gruppe vorlegt.

Im Einsatz gegen illegale Einwanderer erschießt der Polizist Dag Lundmark – vermeintlich in Notwehr – den Südafrikaner Winston Modisane, als dieser seinen Fluchtweg versperrt vorfindet. Zunächst sieht alles nach einem ganz normalen Polizeieinsatz aus, doch schnell mehren sich die Verdachtsmomente gegen Dag Lundmark, der offensichtlich etwas zu verbergen und vielleicht doch nicht in Notwehr gehandelt hat. Der Leser weiß natürlich bereits, dass auf Lundmark kein Schuss abgegeben wurde und dass Modisane unschuldig sterben musste. Die A-Gruppe kommt zum Einsatz, sodass wir schnell auf Paul Hjelm und Kerstin Holm treffen, die Lundmark verhören sollen. Doch Holm ist befangen, trägt sie doch noch den Verlobungsring von Dag Lundmark, mit dem sie vor Jahren eine unglückliche Beziehung geführt hat. Tief in Kerstin Holm kommen Gefühle zum Vorschein, die sie sicher verwahrt geglaubt hatte. Obwohl Dag Lundmark sie damals regelmäßig vergewaltigt hatte, trägt sie nach wie vor seinen Verlobungsring und kann ihrem Ex-Geliebten immer noch nicht so recht unter die Augen treten.

Zu dem mutmaßlichen Mord an Winston Modisane gesellt sich eine zweite Leiche, über die ein erkälteter Einbrecher stolpert, dessen Nase so verstopft ist, dass er die halb verweste Leiche zunächst gar nicht bemerkt und ebenso wenig, dass er selbst so sehr nach Leiche stinkt, dass er von der nächsten Polizeikontrolle aufgelesen wird. Bei der zweiten Leiche handelt es sich um Ola Ragnarsson, der einen mysteriösen Abschiedsbrief hinterlassen hat, in welchem er sich als Massenmörder zu erkennen gibt. Doch wieso konnten Ragnarssons Morde unentdeckt bleiben und wieso wurden keine Menschen vermisst gemeldet? Ein verdeckter Hinweis führt die Polizisten zu einem Acker, in welchem zwei Leichen begraben liegen, die offensichtlich auf Ragnarssons Konto gehen. Die Spuren führen bis nach Monte Carlo, wo Ragnarssons Ex-Freundin lebt, die den Ermittlern einen wichtigen Hinweis geben kann.

Zur gleichen Zeit verschwindet Dag Lundmark, gegen den sich die Verdachtsmomente so weit verdichten, dass er schnell als Modisanes Mörder entlarvt werden kann. Langsam aber sicher entdecken die Ermittler die Verbindung zwischen den beiden so unterschiedlich aussehenden Todesfällen, doch bis dahin ist es ein langer Weg für die schwedische Polizei und insbesondere für Kerstin Holm, die von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt wird und schlimme Dinge entdecken muss …

Arne Dahl präsentiert uns einen zunächst absolut unspektakulären Fall, in dem ein vielleicht rassistisch veranlagter und zu Brutalität neigender Polizist im Dienst einen schwarzen Einwanderer erschießt und dies wie Notwehr aussehen lässt. Doch ist dies nur die Oberfläche, an der wir kratzen. Hinter der Fassade versteckt sich ein ausgeklügelter Plan, der weitreichende Konsequenzen hat. Nach und nach streut Arne Dahl weitere Hinweise ein, die uns Dag Lundmark besser kennen lernen lassen. Wir erfahren wichtige Dinge aus seiner Vergangenheit und auch von Kerstin Holms Vergangenheit, die vor Dag Lundmark bereits von einem Freund ihrer Familie sexuell belästigt und vergewaltigt wurde. Die sonst so toughe A-Ermittlerin erscheint verletzlicher und angreifbarer denn je. Ein „schwarzes Loch“ zieht sie an und droht, sie in die Tiefe zu reißen. Kerstin Holm kann nicht länger vor ihrer eigenen Vergangenheit flüchten und ist in diesem Kriminalfall die Marionette in einem perfiden Plan.

Nach etwa hundert Seiten tritt die zweite Leiche auf den Plan und die Ermittlungen spalten sich in zwei vermeintlich unterschiedliche Kriminalfälle auf, die selbstverständlich miteinander zusammenhängen, obwohl sie erst gar nichts miteinander zu tun haben. Der Einbrecher Björn Hagmann erhält einen anonymen Hinweis und beschließt daraufhin, auch mit seiner schweren Erkältung einen Einbruch zu verüben, der jedoch nur dazu dient, dass die Leiche von Ragnarsson entdeckt werden kann. Kurz nach dem Einbruch gelingt Hagmann die Flucht vor der Polizei, doch kann er nicht einem Mordanschlag entkommen, den er nur knapp überlebt.

Die schwedische Polizei hat alle Hände voll zu tun, liefern beide Todesfälle doch viel Anlass zu Ermittlungen, sodass wir etliche Ermittler kennen lernen, die in einem schwer durchschaubaren Miteinander leben und arbeiten. Arne Dahl entwirft ein kompliziertes Beziehungsgeflecht, in dem die meisten Protagonisten eine bewegte Vergangenheit haben und auch aktuell nicht frei von Problemen und Sorgen sind. Leider lässt Dahl allerdings so viele Ermittler und Verdächtige auf den Plan treten, dass man sich als Leser nur schwer zurechtfinden kann. Die fremdartigen Namen helfen natürlich auch nicht gerade, um die jeweilige Hintergrundgeschichte einem Protagonisten zuzuschreiben. Einzig Paul Hjelm und Kerstin Holm bleiben gut im Gedächtnis und hinterlassen ihre Spuren beim Leser. Besonders Kerstin Holm wird uns näher gebracht, auch wenn wir ihre Handlungen nicht nachvollziehen können. Doch im Nachhinein zeigt sich, dass Kerstin Holms Taten von ihren verwirrten Gefühlen getrieben wurden und hierbei sehr verständlich bleiben.

Personell ist „Rosenrot“ leider etwas überfrachtet; man bekommt den Eindruck, dass die schwedische Polizei sogar überbesetzt ist, weil so viele unterschiedliche Personen an den beiden Fällen arbeiten. Das macht die Identifikation mit den einzelnen Figuren beim Lesen deutlich schwieriger. Hier vermisst man dann doch den Mankell’schen Wallander, der in seinen Romanen stets im Mittelpunkt steht und dem Leser als Identifikationsfigur oder zumindest doch Bezugsperson dient. Dies fällt in „Rosenrot“ deutlich schwieriger.

Doch Arne Dahl überzeugt dafür an anderer Stelle: Wie dem Leser schnell klar wird, hängen beide Kriminalfälle natürlich eng zusammen und gehören zu einem großen Plan, auch wenn Dahl uns nur langsam die Verbindungen zeigt und uns erst spät verstehen lässt, wie alles zusammenhängt und wo die Motive für die Morde versteckt liegen. Dahl eröffnet immer mehr Handlungsspielorte und lässt seine Akteure in viele unterschiedliche Richtungen ermitteln, sodass die Erzählung immer mehr Tempo aufnimmt und den Leser zunehmend fesselt. Die Geschichte in „Rosenrot“ ist verwickelt, aber sehr gut konstruiert. Der Kern zur Auflösung der Todesfälle liegt versteckt unter einem Haufen verhüllender Schichten, die nur nach und nach angehoben werden. Als Leser muss man sich mit wohldosierten Informationshäppchen zufrieden geben, die sukzessive den Blick unter die vielen Schichten erlauben und den Leser ganz am Ende mit einer Auflösung belohnen, die ein echtes Aha-Erlebnis ist. Wenn sich die Hintergründe der Todesfälle offenbaren, bleibt der Leser sprachlos zurück. Arne Dahl hat mit „Rosenrot“ eine überzeugende und bewegende Romanhandlung komponiert, die nachwirkt und sich äußerst positiv vom Durchschnitt der aktuellen Kriminalromane abhebt. Mit diesem Buch festigt Arne Dahl seinen Anspruch auf die oberen Plätze der Bestsellerlisten und seinen Platz unter den großen Autoren der Spannungsliteratur.

Abschließend bleibt nur noch festzuhalten, dass Arne Dahl mit „Rosenrot“ einen klug inszenierten Roman vorgelegt hat, der logisch durchkomponiert ist und absolut überzeugen kann. Wie sein schwedischer Kollege Mankell scheut auch Dahl sich nicht davor, seinem Roman einen politisch kontrovers diskutierbaren Hintergrund zu geben und darüber hinaus Protagonisten, die alles andere als perfekt sind und einige Krisen zu durchleben haben. „Rosenrot“ beginnt zwar erst gemächlich, nimmt dann aber ein solches Tempo auf, dass man das Buch nicht mehr zur Seite legen kann. Und auch das Ende enttäuscht nicht, allerdings sollte man sich als Leser zurückhalten und vor der Lektüre lieber nicht den Umschlagtext zum Buch lesen, da meiner Meinung nach einiges vorweggenommen wird, was Arne Dahl dem Leser erst spät präsentiert. „Rosenrot“ ist eine runde Sache, endlich wieder ein Autor, der Henning Mankell so nah kommt wie vielleicht kein anderer!

http://www.piper.de

Siehe ergänzend auch die [Rezension 3091 von Michael Matzer zur Lesung bei |steinbach sprechende bücher|.

Caleb Carr – Das Blut der Schande

Das geschieht:

Irgendwann in den späten Tages des 19. Jahrhunderts – ein exaktes Datum verschweigt uns der Verfasser, aber den Hund der Baskervilles deckt bereits der kühle Rasen – tritt Mycroft, der ältere Bruder des berühmten Privatermittlers Sherlock Holmes, mit einem Spezialauftrag an diesen heran: In Holyroodhouse, dem Sommerlandsitz der britischen Königin Victoria, sind zwei Männer auf grausige Weise zu Tode gekommen: Man fand ihre Leichen von unzähligen Klingenstichen durchbohrt; jeder Knochen im Leib war zerbrochen.

Mycroft, welcher der Regierung als ‚Berater‘ nahe steht, wähnt schottische Anarchisten oder sogar deutsche Spione am Werk. Diskret soll die peinliche Affäre aufgeklärt werden. Sherlock freut sich, denn zur Sorge seines treuen Gefährten Dr. Watson hegt der sonst so rational denkende Detektiv seit einiger Zeit merkwürdige Theorien, die um die Existenz jenseitiger Welten kreisen. Holyroodhouse war vor drei Jahrhundert Schauplatz eines düsteren Ereignisses: Vor den Augen einer entsetzten Königin Maria Stuart ermordeten schottische Adlige ihren italienischen Sekretär und Vertrauten. Seither soll der Geist dieses David Rizzio im Westturm von Holyrood umgehen und rachedurstig die Unvorsichtigen packen, die ihm zu nahe kommen. Caleb Carr – Das Blut der Schande weiterlesen

French, Nicci – falsche Freund, Der

Miranda Cotten ist Ende zwanzig, lebt in London und führt ein lockeres, ungebundenes Leben. Ehe oder feste Partnerschaft gibt es bei ihr nicht, doch sie trifft sich ein paar Mal mit Brendan Block. Aber bevor sich die Sache zu einer ernsthaften Beziehung entwickeln kann, ertappt sie ihn dabei, wie er heimlich in ihre Wohnung eindringt und ihr altes Tagebuch liest. Ohne Zögern macht Miranda Schluss und hofft, ihn nie wiederzusehen.

Bald darauf taucht Brendan jedoch wieder in ihrem Leben auf – als neuer Freund von ihrer Schwester Kerry. Miranda fühlt sich in dieser Konstellation sehr unwohl. Aber es kommt noch schlimmer, denn Brendan erzählt jedem, dass er es war, der Miranda verlassen hat, anstatt umgekehrt. Innerhalb kurzer Zeit integriert sich Brendan in Mirandas Familie und ihrem Bekanntenkreis. Kerry schwebt im siebten Himmel, die Eltern sind von dem charmanten Mann angetan und auch Mirandas Freunde finden ihn sympathisch. Immer freundlich, verständnisvoll und hilfsbereit präsentiert er sich seiner Umgebung, sodass ihn alle für den perfekten Traummann halten.

Doch hinter der Fassade lauert ein unberechenbarer Psychopath. Nach wie vor ist Brendan von Miranda besessen. Er spioniert ihr Leben aus, er verfolgt sie, er spinnt Intrigen gegen sie. Mit teuflischem Geschick gelingt es ihm sogar, sich und Kerry für einige Zeit in ihrer Wohnung einzunisten. Immer öfter fühlt sich Miranda von ihm belästigt und bedroht, kann es jedoch niemandem beweisen. Verzweifelt versucht Miranda, ihre Familie und Freunde vor ihm zu warnen, doch die anderen schlagen sich immer weiter auf Brendas Seite. Um Abstand zu gewinnen, zieht sie vorübergehend zu ihrer besten Freundin Laura, aber auch hier will man ihr langsam nicht mehr glauben; bald darauf zerbricht ihre neue Beziehung. Miranda gilt bei allen als hysterisch und krankhaft eifersüchtig. Hilflos muss sie mitansehen, wie Brendan und Kerry sich verloben und ihre Hochzeit planen. Als sich schließlich eine schreckliche Tragödie ereignet, glaubt sich Miranda endgültig am Ende – bis sie beschließt, zurückzuschlagen …

Spätestens seit dem Film „Eine verhängnisvolle Affäre“ ist das Thema Stalking abgewiesener Liebhaber ein immer wieder gern genommenes Thema für Kino und Literatur. Ob es sich bei dem Psychopathen um Mann oder Frau handelt, ist dabei relativ egal; in jedem Fall geht es um verletzten Stolz und unerwiderte Gefühle, die sich zu einer Hass-Liebe steigern und dem Liebesobjekt das Leben zur Hölle machen. Auch die Darstellung des Verfolgten, dem niemand aus seiner Umgebung Glauben schenkt, ist ein beliebtes Mittel, das hier seine hitchcockeske Wirkung nicht verfehlt.

|Fiebern mit Protagonistin|

Der Roman wird aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur Miranda erzählt. Die Identifikation des Lesers und seine Sympathie sind daher ein wichtiges Kriterium, um sich in die Handlung vertiefen zu können. Tatsächlich gelingt es den Autoren gut, Miranda überzeugend darzustellen und den Leser mit ihr mitfiebern zu lassen. Miranda erscheint als durchschnittliche Frau mit mehr oder weniger liebenswerten Zügen; kein perfektes Barbiepüppchen, sondern eher eine handfeste Frau mit Charakter, die in ihrem Maler- und Tapezierberuf aufgeht, bescheiden wohnt und ihr Leben mit großer Selbstständigkeit meistert. Die Beziehung zu Brendan ist für sie kaum mehr als eine belanglose Affäre, der sie keine Sekunde lang hinterhertrauert. Miranda ist nicht oberflächlich, aber selbstbewusst genug, um zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen in ihrem Leben zu unterscheiden – und Brendan gehört dabei eindeutig zu den unwichtigen Dingen. Dazu kommt, dass sie den Schlussstrich aus sehr nahe liegenden Gründen zieht.

Auch den Leser beschleicht Empörung, als er liest, wie sich der neue Freund ungefragt in der Wohnung ausbreitet und in Seelenruhe in Mirandas Tagebuch blättert. Die Antipathie gegen Brendan ist damit unausweichlich, während man sich bereits um Mirandas Willen vor seiner Rache fürchtet. Hinzu kommt, dass uns sofort bewusst ist, dass Miranda sich nichts vorzuwerfen hat und ohne eigene Schuld die Zielscheibe von Brendans Aktionen wird. So wie sie ahnungslos in seine Fänge stolperte, könnte es auch jedem Leser ergehen, der genau wie sie nicht jeden Menschen auf Anhieb richtig einschätzen kann. Im Grunde könnte in jedem Menschen auf der Straße ein Charakter wie Brendan stecken – und das ist durchaus eine beunruhigende Vorstellung, der man sich nur schwer entzieht.

Einer weiterer gut gelungener Charakter ist Mirandas kleiner Bruder Troy. Der knapp Siebzehnjährige leidet seit Jahren unter schweren Depressionen, die ihn zum Sorgenkind der Familie Cotton machen. Gleichzeitig führen seine Intelligenz und seine kurzzeitigen Gute-Laune-Phasen bei allen Beteiligten zur besonderer Freude. Miranda liebt ihren kleinen Bruder mit aller Zärtlichkeit und kann ebenso wenig wie der Leser den Gedanken ertragen, dass Brendan ihm schaden könnte.

|Von Tatsachen und Beweisen|

Für Miranda liegt es auf der Hand, dass es sich bei Brendan um einen Psychopathen handelt. Dabei ist sie zunächst durchaus gewillt, sich für ihre Schwester zu freuen und hofft, sich mit Brendan auf einer oberflächlichen Basis – Kerry zuliebe – arrangierne zu können. Doch sein unbefugtes Eindringen in ihre Wohnung, der Einbruch in ihre Privatsphäre und obszöne Bemerkungen unter vier Augen reichen bereits aus, damit Miranda ihn von ganzen Herzen zu hassen beginnt. Vielleicht hätte ein mehrwöchiger Abstand ihre Antipathie gedämpft, doch stattdessen ziehen Kerry und Brendan vorübergehend in ihre kleine Zweizimmerwohnung.

Brendan benutzt ihr Badezimmer und tritt ungefragt ein, während sie in der Badewanne liegt; Brendan plaudert ihre Tagebuchgeständnisse auf Familienfeiern aus. Aber hat er auch nach seinem Auszug ihre Wohnung betreten, hat er tatsächlich ihr Badezimmer überflutet? Miranda ist dessen sicher, aber Beweise für diese Taten hat sie nicht. Während sie in ihrer Wut Brendan offen Beschuldigungen vorwirft, reagiert dieser so lammfromm, dass alle Freunde und Familienmitglieder ihm Glauben schenken. Auch der Leser darf hin und wieder zweifeln, ob er wirklich für alle schlimmen Taten verantwortlich ist, oder ob Mirandas Verstand wirklich beginnt, ihr Streiche zu spielen – denn schließlich kennt man nur ihre Sicht der Dinge.

Noch schlimmer kommt es, als Miranda beim Versuch, Beweise für Brendans Schuld zu finden, selber ertappt wird, wie sie seine Sachen durchwühlt. Die Detektivin wird zum Tatverdächtigen, und anstatt Brendan von ihren Lieben zu entzweien, treibt sie ihn immer weiter in deren Arme. Beinah schmerzhaft wird uns bewusst, wie schwer es ist, einen geschickten Lügner zu überführen. Für jedes Indiz, das Miranda auftreibt, hat Brendan eine Ausrede parat, die er gelassen und überzeugend den anderen erklärt. Bald hat Miranda niemanden mehr, dem sie vertrauen kann – aber sie schwört sich, nicht zu ruhen, bis sie ihre Rache bekommt …

|Kleine Konstruktionen und offene Fragen|

Auch wenn die Autoren bemüht sind, die Ereignisse subtil zu steigern, erscheint es doch ein wenig unglaubwürdig, wie viel Glück und Geschick Brendan bei seinem Vorgehen zufliegen. Es gelingt ihm, so gut wie jeden aus Mirandas Umgebung einzuwickeln und von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen und nicht zuletzt auch Kerry äußerst schnell zu einer Verlobung zu überreden. Der Zufall will es zudem, dass ein Unterkommen im Haus der zukünftigen Schwiegereltern unmöglich ist, sodass Miranda den beiden gezwungenermaßen Zuflucht in ihrer winzigen Wohnung bieten muss.

Auch muss man sagen, dass Mirandas Familie und Freunde ihr viel zu wenig vertrauen. Es scheint gar keine harte Arbeit von Brendans Seite nötig zu sein, um Miranda bei allen anderen Menschen zu diffamieren. Man möchte doch meinen, dass beste Freundinnen und engste Familienangehörige sich nicht so leicht von Fremden überzeugen lassen und zunächst einmal dem Menschen glauben, den sie ein Leben lang kennen. Unrealistisch wirkt in dem Zusammenhang ebenfalls, dass sich Brendan rasch mit dem ermittelnden Polizeibeamten, Rob Pryor, anfreundet, der natürlich im Gegenzug einer der härtesten Widersacher von Miranda wird.

Wer bis ins letzte Detail alle Hintergründe geklärt haben will, wird zum Schluss womöglich eine kleine Enttäuschung erleben. Obwohl Miranda hartnäckige Nachforschungen in Brandons früherem Leben anstellt, bleiben doch viele Fragen offen, wie er sich zu dem Menschen entwickeln konnte, der er ist. Hier bleibt Raum für Andeutungen und Spekulationen – aber manchmal ist genau das von Vorteil, denn im wahren Leben erfährt man auch nicht immer alle Beweggründe.

|Flüssiger Stil|

Nicht nur die sich immer weiter zuspitzende Handlung, sondern auch der flüssige Schreibstil sorgen dafür, dass man die knapp 400 Seiten locker in zwei Tagen herunterlesen kann. Schon ab den ersten Seiten ist man mitten im Geschehen und lebt sich in Mirandas Welt und ihre Sicht der Dinge ein. Die Autoren lassen keinen Platz für Abschweifungen oder überflüssige Nebenhandlungen; die Ereignisse werden teilweise in rascher Abfolge, aber immer überschaubar präsentiert.

Wer nicht in der glücklichen Lage ist, den Roman binnen kürzester Zeit zu verschlingen, der braucht sich nicht zu sorgen, dass ihm ein erneuter Einsteig nach einer Pause Schwierigkeiten bereitet. Die Handlung verläuft einsträngig und geradlinig, es gibt weder viele Schauplatzwechsel noch eine Masse an Namen zu merken. In der deutschen Übersetzung (und so wohl auch im Original) sind die Sätze überwiegend kurz und in einer einfachen Sprache gehalten, sodass keine hohen Konzentrationsanforderungen gestellt werden. Damit eignet sich der Thriller ideal als Urlaubszeitvertreib oder auch als Nebenherlektüre, wenn man Erholung von schwierigeren Werken sucht.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer Thriller, der sich zwar des altbekannten Themas über psychopathische Stalker bedient, die Handlung aber solide umzusetzen versteht. Dank des raschen Einstieges und des temporeichen Verlaufs der Handlung ist der Leser sofort drin im Geschehen. Die Ich-Erzählerin lädt zur Identifikation ein und die Spannung spitzt sich in höchstem Maße immer weiter zu. Dank des flüssigen Stils, der keinen Platz für Abschweifungen lässt, liest sich der Roman in kurzer Zeit herunter. Einige Schwächen, die aber nicht gravierend sind, liegen in der Vorhersehbarkeit der ersten Hälfte, ein paar konstruierten Ereignissen und kleine Unglaubwürdigkeiten.

_Hinter Nicci French_ verbergen sich in Wirklichkeit gleich zwei Autoren, nämlich das Journalistenehepaar Nicci Gerrard und Sean French. Nicci Gerrad wurde 1958 geboren, studierte Englische Literatur und lehrte später in Los Angeles. Ihr Partner Sean French ist ein Jahr jünger und studierte ebenfalls Englische Literatur. Weitere Werke sind u.a.: „Höhenangst“ (1999), „Der Sommermörder“ (2000), „Das rote Zimmer“ (2001) und „In seiner Hand“ (2002). Zuletzt erschien auf Deutsch „Der Feind in deiner Nähe“.

Cheyney, Peter – Rote Lippen – blaue Bohnen

Zwei hochrangige Physiker sind spurlos verschwunden. In der mexikanischen Sierra Leone sollten sie zum Nutzen des freien Westens atomare Überraschungen für die heimtückischen Sowjetroten testen. J. Edgar Hoover, Leiter des FBI, entsandte den Agenten Pepper über die Grenze. Er sollte sich dort unauffällig umhören – und ging ebenfalls verloren.

Auftritt Lemuel H. „Lemmy“ Caution, FBI-Mann der draufgängerischen Sorte, der selten im Büro sitzt, sondern lieber durch die Welt gaukelt und die Bösen das Fürchten lehrt, wobei manche Flasche Whiskey und noch mehr schöne Frauen seinen Weg säumen. Inkognito reist Caution Pepper hinterher, dessen Leiche er in einem einsamen Wüstengrab findet. Auch Lemmy bekommt es sofort mit jenen dunklen Mächten zu tun, die weitere Nachforschungen und ihn im Keim ersticken wollen. Unter seinen Gegnern findet er erstaunt den Schläger Jack Hotshot, genannt „Spiegelei“, der für den Mafiaboss Mike Koltisow in Chicago die Drecksarbeit erledigt.

Aber auch dieser sitzt noch längst nicht am Ende der Fahnenstange: Dort lauern die finsteren Sowjets, die gern viel Geld für die brisanten Dokumente zahlen würden. Diese müssen ihnen – die verdrehte Dramaturgie dieser Räuberpistole will es so – in Frankreich übergeben werden. Also macht sich Lemmy auf den Weg ins alte Europa, zumal sich im Schlepptau der Gangster die schöne Georgette befindet, die es zu retten gilt. Bloß: Ist sie Opfer – oder steckt sie gar hinter den Ereignissen, die in Paris ins Rollen kommen, Lemmys Pläne gründlich durcheinander bringen und in einem furiosen Finale auf dem offenen Atlantik münden …?

Nein, der Plot ist es wirklich nicht, der den Krimifreund hier fesseln könnte. Autor Cheyney macht freilich nie einen Hehl daraus, dass er die dünne Handlung nur als Vorwand für ein turbulentes Garn betrachtet, das primär durch Schlägereien und schwitzige Techtelmechtel mit willigem Weibsvolk geprägt wird, wobei die einen mit den anderen abwechseln.

Ernst zu nehmen ist hier nichts. Physiker wurden entführt? Es könnten auch Marsmenschen sein. Der Plot ist ein Hitchcockscher „McGuffin“, d. h. eine von den Lesern verlangte Notwendigkeit, die der Handlung ein Fundament verschaffen soll. Peter Cheyney, der wie Edgar Wallace stets mit zahllosen Gläubigern auf den Fersen schrieb, kümmerte sich wenig um die Schlüssigkeit seiner Geschichten. Er erzählte sie schnell und ohne sich Gedanken über die Logik zu machen. Viel mechanisches Schreibhandwerk wird allzu offenbar, wenn sich Lemmy wieder und wieder auf offensichtlich kriminelle Frauen einlässt und Schurken vertrimmt.

Trotzdem geht die Rechnung auf: „Rote Lippen – blaue Bohnen“ unterhält. Cheyney macht Tempo, jagt Lemmy Caution kreuz & quer durch Mittel- und Nordamerika. Dass er von den realen Verhältnissen auf beiden Kontinenten nur rudimentäre Kenntnisse besitzt, ist eigentlich unwichtig. Heute gilt dies mehr denn je; Lemmy prügelt und liebt sich durch diverse Märchenländer, über die zu lesen nostalgisches Vergnügen (mit gewissen Einschränkungen – s. u.) bereitet.

Wer heute an Lemmy Caution denkt, vor dessen geistigem Auge entsteht sofort die narbige, dauergrinsende Visage des Schauspielers Eddie Constantine, der mit dieser Figur nicht nur die Rolle seines Lebens fand, sondern ihr vor allem eine Gestalt verlieh, die sie angenehm vom literarischen Vorbild unterschied.

Lemmy Caution à la Peter Cheyney ist eine Figur, über welche die Zeit längst hinweggegangen ist. Einst war er der Held für kleine und große Jungs – ein Kriminalist, der jeglicher bürokratischer Vorschriften und alltäglicher Langeweile enthoben war, und stattdessen durch die ganze Welt zog, um dort allerlei Gangsterpack zu jagen. Stets hat dieser Lemmy einen coolen Spruch auf und eine Flasche Whiskey an den Lippen. („Ich muss selbst auf mich aufpassen, denn mein FBI-Ausweis ist hier für mich genausoviel wert wie ein Erdbeereis für einen Eskimo mit doppelseitiger Lungenentzündung.“) Schöne Frauen ziehen ihn an wie das Licht die Motte; auf die weibliche Gegenseite wirkt die Anziehungskraft sogar noch stärker.

Diese Damen heißen hier Fernanda oder Zellara aber ihre Namen sind unwichtig: Cheyney-Frauen sind austauschbar schön aber heimtückisch. Sie schmelzen wie Butter in der Sonne, sobald Lemmy auf der Bildfläche erscheint, doch den freigiebig (wenn auch zeitgebunden züchtig) dargebotenen Reizen ist meist nicht zu trauen. Dame und Herr tauschen andeutungsreiche Anzüglichkeiten aus, denen aber niemals bettschwere Taten folgen.

Caution kämpft gegen Verbrecher, die mit der Realität rein gar nichts verbindet. Raue Kerls sind das, denen ihr Job ins hässliche Gesicht geprägt steht. Sie reden und handeln so, wie sich der fleißige Kinosesseldrücker das einst vorstellte. Bei aller Brutalität sind sie ziemlich dumm, so dass sich Caution mit flinken Fäusten & flotten Sprüchen aus jeder Todesfalle winden kann.

Das geht in Ordnung so, denn Cheyney-Thriller sind unter kriminalliterarischen Gesichtspunkten fröhlicher Unsinn, der einfach nur unterhalten soll. Allerdings war der echte Peter Cheyney, der sich gern als kosmopolitischer Lebemann gab, nach Aussagen seiner Zeitgenossen kein durchweg angenehmer Mensch. So soll er ausgesprochen rassistisch gewesen sein. Nach der Lektüre von „Rote Lippen – blaue Bohnen“ will oder muss man das gern glauben. Die Geschichte spielt in Mexiko, dessen Bürger der Verfasser entweder herablassend – Lemmy duzt sie alle, während er selbstverständlich gesiezt wird – oder offen als „Menschen minderer Klasse“ behandelt werden:

– „Sie setzen sich hin, greifen nach ihren Gitarren und gucken verdutzt aus der Wäsche, wie das die Mexikaner immer tun, wenn sie merken, dass sie arbeiten müssen.“ (S. 9)
– „Ich stelle fest, dass sie für eine Mexikanerin einen verteufelt hübschen Mund hat. Sie hat nicht solch dicke Lippen wie die meisten Frauen hier unten …“ (S. 11)
– „Er hat den Mund voll Gold wie jene naiv-protzigen Südamerikaner, die damit zeigen wollen, dass sie die Taschen voll Geld haben.“ (S. 109)

Dies sind willkürlich herausgegriffene Beispiele. Die traurige Liste lässt sich leicht verlängern. Für Caution = Cheyney sind alle (männlichen) Mexikaner faule, verlogene, geldgierige, korrupte Gockel, die man ordentlich züchtigen muss. Die Frauen sind hitzig und allzu freizügig, so dass ein (weißer) Mann, der auf sich hält, es tunlichst vermeidet, sich in amouröse Niederungen zu begeben. Dass solche Niederträchtigkeiten quasi wie nebenbei und in Nebensätzen geäußert werden, zeigt, dass sie vom Verfasser so beabsichtigt sind.

Die deutsche Übersetzung versucht den Verfasser offenbar noch zu übertrumpfen. „Don’t Get Me Wrong“ wurde 1939 veröffentlicht, „Rote Lippen – blaue Bohnen“ indes erst 1954, als die Lemmy-Caution-Filme auch die deutschen Zuschauer in die Kinos lockten. Die Handlung wurde „aktualisiert“: Plötzlich lesen wir von Lemmys Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg, der zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung gerade erst begonnen hatte. Es fällt ohne Blick in den Originaltext schwer zu beurteilen, ob sich der Plot auch ursprünglich um Atomspionage mit sowjetischen Drahtziehern drehte. Sowjets gab es auch 1939 schon, aber die gesamte Kalter-Krieg-Szenerie muss dem Roman nachträglich aufgepfropft worden sein – samt hysterischer Hasstiraden gegen die roten Teufel, die Lemmy am liebsten über den Haufen schießen will.

|“Rote Lippen – blaue Bohnen“ – der Film|

Eddie Constantine spielte die Lemmy-Caution-Figur mit der nötigen Dosis Selbstironie, welche zum operettenhaften Geschehen passt, was ihr bei Cheyney völlig abgeht. Constantines Caution ist ein sympathischer, großer, nie erwachsen gewordener, kalauernder Junge, der weder sich noch die absurden „Kriminalfälle“ ernst nimmt, in die er ständig verwickelt wird. Diese Unbekümmertheit floss in die rasant gemachten B-Movies der 1950er Jahre ein, die Constantine, ein US-Amerikaner in Frankreich, wie am Fließband drehte. „Rote Lippen – blaue Bohnen“ („Vous Pigez?“/“Il Maggioratio Fisico“), eine französisch-italienische Coproduktion, entstand 1955 unter der Regie von Pierre Chevalier. Vor und hinter der Kamera tummelten sich filmerfahrene Leute, so dass dieses vierte Filmabenteuer von Lemmy Caution trotz der dicken Staubschicht, die sich auf diesen Streifen gelegt hat, auch heute noch anschaubar ist. (Hier dreht sich die Story übrigens nicht um geheime Sprengstoffe, sondern um die Herstellung künstlicher Diamanten – ein weiterer Hinweis auf die Nebensächlichkeit von Logik.)

Reginald Evelyn Peter Southouse Cheyney wurde am 22. Februar 1896 in London, Stadtteil Whitechapel, als jüngstes von fünf Kindern geboren. Rechtsanwalt sollte er werden, doch wie so viele seiner Altersgenossen musste er in den I. Weltkrieg einrücken, wo er es bis zum Lieutenant brachte. Der junge Mann versuchte nach seiner Entlassung im Showbusiness Fuß zu fassen. Jahre der Armut folgten, in denen Cheyney kleine Theaterrollen ergatterte, Sketche und Lieder schrieb. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre verzeichnete Cheyney endlich Erfolg als Ghostwriter, der unter dem Namen eines ehemaligen Polizisten „wahre Kriminalgeschichten“ verfasste. Er gründete eine Literaturagentur, die gleichzeitig Detektei war.

1936 versuchte sich Cheyney als Schriftsteller unter eigenem Namen. „This Man is Dangerous“, der erste Roman einer Serie um den FBI-Agenten Lemmy Caution, wurde sogleich ein großer Erfolg. Auch mit Slim Callaghan, einem britischen Privatdetektiv, traf Cheyney ins Schwarze. In den nächsten 15 Jahren verfasste er mindestens zwei Romane pro Jahr. Hinzu kamen unzählige Kurzgeschichten, die sich derselben Mixtur aus Sex & Crime bedienten wie später u. a. Ian Fleming (James Bond) oder Mickey Spillane (Mike Hammer).

Peter Cheyney ließ die Kerze seines Lebens an beiden Enden kräftig brennen. Schon in den späten 1940er Jahren begann der Raubbau, den er mit seinen Kräften trieb, seine Folgen zu zeigen, ohne indes seine Produktivität zu beeinträchtigen. Am 26. Juni 1951 ist Cheyney im Alter von nur 55 Jahren gestorben.

Den eigentlichen Erfolg seiner Werke erlebte Cheyney nicht mehr. Besonders in Frankreich erfreuten sich seine unbekümmert harten, anspruchslosen Geschichten großer Wertschätzung. Zwei Jahre nach seinem Tod entstand mit „La mome vert-de-gris“ (dt. „Im Banne des blonden Satans“) der erster einer langen Reihe von Lemmy-Caution-Streifen, die den aus Los Angeles stammenden, in den USA erfolglosen Schauspieler Eddie Constantine (1917-1993) zum europäischen Film- und Kultstar machten. Auch in Deutschland liefen diese rabaukig charmanten B-Movies viele Jahre erfolgreich in den Kinos und später im Fernsehen. Primär kamen die deutschen Leser in den Genuss der Cheyney-Romane um Caution und Callaghan, während das sonstige Werk nur sporadisch Aufmerksamkeit gewann. Seit den 1980er Jahren werden die lange nachgedruckten Romane nicht mehr aufgelegt.

Die Lemmy-Caution-Serie:

01. This Man is Dangerous (1936, dt. „Eine Dame stiehlt man nicht/Dieser Mann ist gefährlich“)
02. Poison Ivy (1937; dt. „Hiebe auf den ersten Blick“)
03. Dames Don’t Care (1937; dt. „Schwierige Damen/Serenade für zwei Pistolen“)
04. Can Ladies Kill? (1938, dt. „Frauen sind keine Engel/Lemmy schießt nicht auf Blondinen“)
05. Don’t Get Me Wrong (1939, dt. „Rote Lippen – blaue Bohnen“)
06. You’d Be Surprised (1940; dt. „Auf Befehl der FBI“)
07. Your Deal, My Lovely (1941; dt. „1 : 0 für Lemmy“)
08. Never a Dull Moment (1942; „Im Bann der grünen Augen/Lemmy lässt die Puppen tanzen“)
09. You Can Always Duck (1942; dt. „Gut versteckt ist halb gewonnen“)
10. I’ll Say She Does (1945; dt. „Die Geheimakten/Wer Lemmy eine Grube gräbt“)

Kastenholz, Markus – Bleichgesicht

Frank Kroll führt im Rheingau das zurückgezogene Leben eines Außenseiters. Er ist ein Albino, lichtempfindlich und nachtaktiv. Mit seiner hellen Haut, den weißen Haaren, der obligatorischen Sonnenbrille und dem zusätzlichen Übergewicht bietet er einen befremdlichen Anblick. Dank finanzieller Unabhängigkeit arbeitet er sporadisch als Graphiker, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg.

Eines Tages trifft er in seiner eigenen Kneipe eine alte Freundin wieder, die er seit vielen Jahren nicht gesehen hat. Franziska war nicht nur seine Schulkameradin, und sondern auch seine damalige Liebe. Inzwischen ist sie mit dem schwerreichen Georg Fentz verheiratet, der seine Geschäfte über das Privatleben stellt. Doch der Grund für Franziskas Rückkehr an den Ort ihrer Jugend ist trauriger Natur: Ihre Tochter Eva wurde im hiesigen Internat Adlerhorst, das seinerzeit auch Franziska und Kroll besuchten, tot aufgefunden. Die Vierzehnjährige hat sich die Pulsadern aufgeschnitten und stürzte anschließend aus dem Fenster. Die Polizei vermutet Selbstmord oder einen Unfall im Drogenrausch, aber Franziska glaubt an Mord.

Kroll entschließt sich, seiner alten Freundin zu helfen, und verwickelt sich immer tiefer in den Fall und in die Erinnerungen an seine Schulzeit. Einer seiner Anknüpfungspunkte ist ein weiterer ehemaliger Freund, Thorwald Melchior, der als Lehrer im Internat arbeitet und Eva gut kannte. Unterstützung erhält Kroll von seinem Freund Ingo Schuster, dem ermittelnden Kriminalbeamten. Die Motive für Evas Selbstmord bleiben rätselhaft, und schon bald entdeckt Kroll Hinweise darauf, dass sich ein Verbrechen hinter ihrem Tod verbirgt. Eine Spur führt ihn auf den Weg zum Drogendealer Mühlberg, der kurz darauf auf bestialische Weise getötet wird. Es folgen weitere grausame Morde, die die Region erschüttern. Auf der Suche nach den Zusammenhängen verstrickt sich Kroll immer weiter in einen Strudel aus Gewalt, verwirrten Gefühlen und Rache …

Auch wenn dem Leser hier ein bodenständiger Krimi geboten wird – dass der Autor aus dem Phantastik-Bereich kommt, ist nicht zu übersehen. Zwar ist „Bleichgesicht“ frei von übernatürlichen Elementen, aber der Horror schmeckt deutlich durch die Handlung hindurch. Bei den geschilderten Morden wird kaum ein Blatt vor den Mund genommen und empfindliche Leser sollten ihre Magentabletten bereithalten. Die Beschreibungen der Tatorte und der Opfer werden zwar nicht extrem ausufernd, aber doch recht detailliert beschrieben. Nicht nur Kroll und sein Freund Ingo Schuster müssen bei den Anblicken schwer schlucken, auch dem Leser erscheinen vor dem geistigen Auge Bilder, wie man sie aus brutalen Horrorfilmen kennt. Die Themen kreisen um Kindesmissbrauch, Drogenhandel und Mord. Es ist kein sauberer britischer Krimi, in dem die Ermordeten mit Gifttabletten sanft entschlafen wurden, sondern harte Realität, die keine Rücksicht auf Würde oder Schonung nimmt. Und nicht nur die Ereignisse sind hart und kompromisslos, sondern auch die Worte der Charaktere, die auf vornehme Zurückhaltung verzichten. Hier wird beschmipft, geflucht und verteufelt, in Gedanken wie in offener Rede, glücklicherweise ohne dabei allzu vulgär zu werden. Mag man angesichts des deftigen Vokabulars mancher Personen anfangs noch etwas irritiert sein, gewöhnt man sich schnell an die ungeschönten Ausdrucksweisen, die den Dialogen obendrein den nötigen Realismus verleihen.

|Außergewöhnlicher Protagonist|

Gut gelungen ist die Darstellung des Protagonisten. Frank Kroll, der sich am liebsten nur mit dem Nachnamen anreden lässt, ist ein ungewöhnlicher Charakter, und das nicht nur, aber natürlich auch wegen seiner Albinokrankheit. Er lebt menschenscheu, ist Hänseleien und irritierte Blicke gewohnt und besitzt keine Aussicht auf eine erfüllte Partnerschaft. Da ist es kein Wunder, dass das unerwartete Auftauchen seiner alten Liebe Franziska für emotionale Verwirrung sorgt. Auch wenn man in seinem Alltag und seinen Problemen kaum das eigene Leben wiedererkennt, gelingt es doch recht bald, sich mit ihm zu identifizieren und diese eigenwillige Person zu mögen – obwohl oder gerade weil Kroll alles andere als ein Durchschnittsbürger ist. Erzählt wird überwiegend aus seiner personalen Perspektive. Einerseits merkt man, dass es sich bei ihm um einen schwierigen Menschen handelt, andererseits fühlt man mit ihm und interessiert sich zunehmend für sein Schicksal. Besonders deutlich wird das in der Mitte der Handlung, als er zum ersten Mal eine sehr persönliche Episode aus seiner Vergangenheit offenbart, die zwar recht klischeehaft ist, aber dennoch betroffen macht. Im übertragenen Sinne blasser als der Albino Kroll bleiben dagegen die anderen Charaktere, allen voran Franziska Fentz. Während in der ersten Hälfte noch eine gewisse Spannung besteht aufgrund ihrer früheren Verbindung zueinander, geht Franziska im weiteren Verlauf regelrecht unter und wird zur Statistin degradiert. An ihre Stelle tritt eine andere Frau, für die Kroll Empfindungen aufbaut. Anja Ahlers ist die Leibwächterin von Georg Fentz und mit ihrer Durchsetzungskraft und ihrer schlagfertigen Art kein uninteressanter Charakter, aber doch im Vergleich zur Hauptfigur nicht lebendig genug – vor allem angesichts der Rolle, die sie für den Roman spielt.

|Schwarzer Humor und straffe Handlung|

Trotz aller Härte und aller dargebotenen Grausamkeiten der Handlung besitzt der Roman eine ordentliche Portion Humor, die weitestgehend adäquat eingebunden wird. Vor allem Kroll ist es, der fast jedes Ereignis, entweder laut oder in Gedanken, mit einem zynischen Spruch kommentiert, der ein Schmunzeln beim Leser hervorruft, z. B. wenn Anja Skepsis empfindet „als melde sich beim Papst Saddam Hussein mit dem Anliegen zu konvertieren“ und sich Kroll beim Aufwachen fühlt „wie eine Henne in einer Legebatterie aussah“. Allerdings sind nicht alle Vergleiche gleich gut gelungen; störend wird es beispielsweise dann, wenn abgegriffene Formulierungen wie „fiel es ihm wie Schuppen aus den Haaren“ bemüht werden, die schon bei ihrer Erfindung nicht wirklich komisch waren.

Sehr positiv zu vermerken ist die Geradlinigkeit des Romans, die keinerleih Längen oder Abschweifungen zulässt. Die Handlung ist dicht gefasst, die Ereignisse geschehen innerhalb kurzer Zeiträume und der Leser hat keine Mühe, den Ermittlungen zu folgen. Sowohl die Örtlichkeiten als auch die Personen sind überschaubar gehalten, sodass keine Verwirrungsgefahr gegeben ist. Dabei bleibt dennoch Zeit für ruhige Momente, in denen vor allem Kroll in Nachdenklichkeit verfällt und Vergangenes Revue passieren lässt – allerdings stets in angemessener Kürze, sodass der Handlungsbogen die ganze Zeit über straff gespannt bleibt. Bis zum Ende bleibt Spannung erhalten, auch nach der Klärung der Täterfrage, da nicht nur die Verbrechen, sondern auch zwischenmenschliche Fragen geklärt werden wollen. Das Ende bietet einen perfekten Abschluss, der im passenden Maß Raum zum Reflektieren und Weiterdenken lässt und dabei zugleich den Leser zufrieden stellt. Schade ist jedoch, dass das eigentliche Motiv und seine Hintergründe sehr spät und wie aus heiterem Himmel eingeführt werden. Die Lösung wirkt eher aufgesetzt und hätte diverse subtile, frühere Andeutungen verdient, um beim Leser besser akzeptiert zu werden.

|Flüssiger, aber eigenwilliger Stil|

Das Schriftbild und der Stil überraschen hin und wieder durch Eigenwilligkeit. So fehlt grundsätzlich das Leerzeichen vor den Auslassungspunkten, was eine Eigenheit des Verlags zu sein scheint. Der Stil ist sicher, überzeugt durch kurze, übersichtliche Sätze ohne Verschachtelungen; allerdings stört der bisweilen exzessive Gebrauch von Ausrufezeichen. Auffallend ist zudem, dass scheinbar um jeden Preis das Wort „sagte“ vermieden wurde; stattdessen finden sich immer abenteuerlichere Umschreibungen, die teilweise nichts mit Reden zu tun haben. An manchen Stellen enden wörtliche Reden demzufolge mit „sah er betrübt auf die Tischplatte“ oder „machte er“, woran man sich zwar mit der Zeit gewöhnt, was sich aber eher unbeholfen liest. Ein weiteres Merkmals des Autors ist die ebenfalls übertrieben anmutende Vermeidung von mit „dass“ eingeleiteten Nebensätzen. Stattdessen herrscht ein parataktisch dominierter Stil vor, in dem Nebensätze umgangen und durch aneinandergereihte Hauptsätze ersetzt werden. Davon abgesehen liest sich der Roman flüssig, vor allem die zweite Hälfte läd dazu ein, in einem Rutsch verschlungen zu werden.

_Als Fazit_ bleibt ein solider Kriminalroman mit starken Horroreinflüssen, der vor allem Lesern, die nicht vor plastischen Schilderungen und brutalen Geschehnissen zurückschrecken, gefallen dürfte.

_Der Autor_ Markus Kastenholz, Jahrgang 1966, ist (gemeinsam mit Timo Kümmel) Herausgeber des phantastischen Magazins NOCTURNO und der EDITION NOCTURNO im Virpriv-Verlag. Er veröffentlichte mehrere Beiträge in Anthologien sowie diverse Einzeltitel, darunter die Serie „Tiamat – Im Auge des Drachen“ und die Horror-Anthologie „Dämonium“.

http://www.betzelverlag.de/

Bo R. Holmberg – Schneegrab

In der nordschwedischen Provinz kommt es im Winter des Jahres 1849 zum tödlichen Streit zwischen zwei Landstreichern. Der mit den Ermittlungen in diesem Routinefall beauftragte Polizeiamtmann kommt vor Ort zufällig einem ganz anderen, wesentlich schlimmeren Verbrechen auf die Spur … – Lesenswerter skandinavischer Historienkrimi der besonders düsteren Art. Ohne falsche Nostalgie schildert der Verfasser eine kalte, karge Landschaft, deren Bewohner von Pflicht und Tradition in ihrem harten Alltagstrott gefangen werden, bis sie dem Druck nicht mehr standhalten und sich – mit oft tödlichen Folgen – Luft verschaffen.
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