Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Robert Louis Stevenson/Lloyd Osborne – Der Ausschlachter

Stevenson Ausschlachter Cover kleinZwei unerfahrene Freunde kaufen ein Wrack, an dessen Bord sie einen Schatz vermuten. Finstere Konkurrenten, die Südsee-Fremde und andere Schwierigkeiten bescheren ihnen statt eines Vermögens vor allem immer neue Abenteuer … – Der von Autor Stevenson und seinem Stiefsohn verfasste Roman ist ein vergnügliches, Komplikation auf Verwicklung häufendes Abenteuer mit sachter Sozialkritik.
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King, Stephen – Colorado Kid

Das geschieht:

Moose-Lookit ist eine kleine Insel vor der Küste des US-Staates Maine. Die wenigen Bewohner leben vom Sommertourismus, ansonsten bleibt man unter sich. Über die Ereignisse des Insellebens informiert seit einem halben Jahrhundert der „Weekly Islander“, der vom neunzigjährigen Vince Teague und seinem Partner Dave Bowie herausgegeben wird. In diesem Sommer gesellt sich ihnen die 22-jährige Praktikantin Stephanie McCann hinzu. Die junge Frau kommt gut mit den beiden alten Männern klar und zeigt als Journalistin echtes Talent.

Eines Tages hört Stephanie vom „Colorado Kid“. Als sie neugierig nachfragt, erzählen ihr Teague und Bowie vom größten ungelösten Rätsel ihrer langen Laufbahn. 25 Jahre zuvor hatte man am Strand die gut gekleidete Leiche eines unbekannten Mannes gefunden, der offenbar an einem Stück Steakfleisch erstickt war. Er trug keine Papiere bei sich, es gab keine Anzeichen für ein Verbrechen. Die Nachforschungen der Polizei blieben erfolglos, die Leiche ohne Identität, bis mehr als ein Jahr später zufällig Name und Herkunft des Mannes entdeckt wurden: Von seinem Arbeitsplatz im US-Staat Colorado war der Zeichner James Cogan eines Tages plötzlich verschwunden, hatte seine Familie verlassen und war auf unbekannte Weise und in Rekordzeit nach Maine gereist, wo er am Strand von Moose-Lookit gestorben war.

Oder hatte man ihn ermordet? Die Indizien ließen sich in dieser Richtung deuten, aber bestätigen konnten Teague und Bowie diesen Verdacht nie. Ein Vierteljahrhundert später diskutieren sie den Fall Cogan mit Stephanie McCann und ordnen die Fakten neu, um der Kollegin eine wertvolle Lektion über den Journalistenberuf zu erteilen …

Nicht jede Ausgrabung fördert Gutes zutage

Seltsame Ideen sind keine seltene Erscheinung auf dem modernen Buchmarkt, gilt es doch ein Medium lukrativ zu halten, das im digitalen Zeitalter ein wenig altmodisch geworden ist. Immer gern gedrückt wird die Nostalgie-Taste, denn früher war bekanntlich alles besser, auch der Kriminalroman. In unserem Fall soll die Erinnerung an die Pulps der 1940er und 50er Jahre geweckt werden: billig hergestellte, mit grellen Umschlägen versehene Krimireißer voller Sex & Gewalt, die oft von den Großen des Genres in Rekordzeit in die Tasten (damals noch von Schreibmaschinen) gehauen wurden. Nicht selten verbargen sich in diesem Ghetto des Schrillen und Brutalen echte Klassiker, denen die Eile gut bekam, die ihre Verfasser an den Tag legen mussten in einer Zeit, als nur Cents pro Wort gezahlt wurden.

Die Pulp-Tradition wurde 2004 in der US-Reihe „Hard Case Crime“ wiederbelebt. Mehr oder weniger bekannte Autoren schreiben neue Thriller der alten Art, die mit Titelbildern im plakativen Stil versehen und als Taschenbücher preisgünstig auf den Markt geworden werden. Auch Stephen King, der stets bestrebt ist, Marktnischen auszuloten, ließ sich anheuern. Mit „The Colorado Kid“ steuerte er im Oktober 2005 den 13. Band zur Serie bei.

Abergläubische Zeitgenossen könnten darauf hinweisen, dass dieses Experiment aufgrund der Unglückszahl scheitern musste. Das wäre freilich auch die Antwort eines verzweifelten King-Fans, für den der Meister einfach nichts falsch machen kann. Aber er kann, und er hat es hier eindrucksvoll – und glücklicherweise seitenschwach – unter Beweis gestellt.

Vom Rätsel über das Indiz zur Lösung

„Colorado Kid“ wird von King nicht als „hard boiled thriller“ angelegt, sondern ist eher ein philosophischer Exkurs über das Wesen des (journalistisch aufbereiteten) Rätsels. Drei Menschen unterhalten sich über einen Vorfall, der sich vor langer Zeit ereignete und ungeklärt blieb. Wie in einem ‚richtigen‘ Krimi werden Tatort, Indizien und Verdächtige präsentiert. Doch eine Auflösung bleibt aus. Wie so oft im realen Leben gibt es zu wenige Fakten, um das Puzzle zu vervollständigen. Stephanie McCann hat begriffen, was ihre Mentoren sie eigentlich lehren wollten: Ein Rätsel ohne Zugang ergibt keine Geschichte, sondern schafft nur Verdruss und sollte deshalb ungeschrieben bleiben.

Zu Kings Pech trifft Teagues & Bowies Lehrsatz auf auch „Colorado Kid“ voll und ganz zu. Selten ziehen sich knapp 180 großzügig bedruckte Seiten so in die Länge wie hier. Man kann und mag nicht glauben, dass wirklich Stephen King dieses Stückchen Nicht-Unterhaltung zu Papier gebracht hat. Er legt „Colorado Kid“ wie einen seiner epischen Romane an. Zwei Drittel des Buches sind bereits gelesen, und wir befinden uns immer noch in der Einleitung, dem durchaus gelungenen Stimmungsbild einer von der Zeit ein wenig vergessenen Maine-Insel und ihrer angenehm kauzigen Bewohner. Erst dann scheint King einzufallen, dass er ja eine Geschichte zu erzählen hat, nur dass da wie gesagt keine Geschichte ist. Diesen Widerspruch spannend aufzulösen ist ihm gänzlich misslungen.

Aus Figuren werden Menschen

Auf der anderen Seite ist „Colorado Kid“ keineswegs schlecht geschrieben. King, der geborene Geschichtenerzähler, der sich erfolgreich auch jenseits der Phantastik tummelt, hat nach wie vor ein Schreibhändchen für Figuren, die vor dem geistigen Auge Gestalt annehmen. Das ist eine echte Gabe, zumal sich die Handlung in diesem Büchlein auf ein Gespräch zwischen drei Personen beschränkt. Was sich ereignet hat, wird nur erzählt, und das nicht am Stück. Immer wieder unterbrechen Dialoge die Rückblenden ins Jahr 1980, dazu kommen Sprünge, wie sie für eine Unterhaltung typisch sind.

Dennoch ist King die schwierige Aufgabe gelungen, zwischen zwei alten Männern und einer jungen Frau eine besondere, von anzüglichen Untertönen völlig freie Beziehung zu schaffen. Hier diskutieren drei Profis, die sich miteinander wohl fühlen. Als ‚vierte Person‘ tritt Moose-Lookit dazu, die kleine Insel, die auf jene, die für ihr Flair anfällig sind, eine eigenartige Anziehungskraft ausübt. James Cogan musste, Stephanie McCann darf es erfahren, denn im Verlauf der Geschichte schält sich allmählich heraus, dass sie auf Moose-Lockit bleiben und als Journalistin arbeiten wird.

Solche literarischen Kabinettstückchen reichen unterm Strich aber nicht aus. „Colorado Kid“ bleibt eine langweilige, überflüssige Angelegenheit. Der Name Stephen King ist es, der dieses Büchlein verkauft. Dessen Preis ist niedrig aber für das Gebotene trotzdem zu hoch, „Colorado Kid“ weniger eine Weihnachtsüberraschung als ein Windei, das sich nur der King-Komplettist ins Nest legen lassen sollte.

Autor

Eine Biografie des Stephen King kann ich mir an dieser Stelle sparen. Über den Verfasser unzähliger Bestseller der Unterhaltungsliteratur informieren ausführlich und zum Teil vorbildlich viele, viele Websites, zu denen selbstverständlich auch des Meisters eigene (www.stephenking.com) gehört.

Impressum

Originaltitel: The Colorado Kid (New York : Mass Market Paperback 2005)
Übersetzung: Andrea Fischer
Deutsche Erstausgabe: Dezember 2005 (Ullstein Taschenbuchverlag/TB Nr. 26378)
159 S.
ISBN-13: 978-3-548-26378-6
Neuauflage: Mai 2009 (Wilhelm Heyne Verlag/TB Nr. 43396)
176 S.
EUR 7,95
ISBN-13: 978-3-453-43396-0
www.randomhouse.de/heyne
Als e-Book: PeP-Verlag
ISBN-13: 978-3-641-03284-5
EUR 7,95
www.randomhouse.de/pep

Reichs, Kathy – Totgeglaubte leben länger

Was, wenn Jesus nicht am Kreuz gestorben wäre?

Bibelthriller zwischen Fakten und Fiktion haben seit Dan Brown Hochkonjunktur – da wollte Bestsellerautorin Kathy Reichs wohl nicht zurückstehen. Zumindest haben wir es hier mit einer Fachfrau zu tun: Ihre Serienheldin, die Gerichtsmedizinerin Tempe Brennan, hat schließlich ihre Wurzeln in der forensischen Archäologie – ebenso wie die Autorin übrigens.

Diesmal ermittelt Tempe Brennan im Gelobten Land. Wie kommt es dazu? Der jüdische Antiquitätenhändler Avram Ferris ist ermordet worden und liegt auf Tempes Obduktionstisch, während ihr Geliebter Ryan und seine Polizeikollegen bereits ermitteln. Kurz nach der Obduktion spielt ein Fremder Tempe ein Foto zu, welches scheinbar mit Ferris’ Ermordung in Zusammenhang steht: Das Bild zeigt ein korrekt angeordnetes Skelett, daneben Fußabdrücke im Staub und einen Pinsel als behelfsmäßigen Kompass. Tempe geht davon aus, dass das Foto von einer archäologischen Grabung stammt und wendet sich Hilfe suchend an ihren ehemaligen Kollegen, den Archäologen Jake Drum. Der findet heraus, dass das Foto von Grabungen im israelischen Masada stammt und möglicherweise etwas zeigt, das auf dem heiligen Tafelberg nach jüdischer und christlicher Glaubensgeschichte nicht hätte existieren dürfen.

Tempe und Ryan reisen gemeinsam nach Israel. Während Tempe mit Jake eine sensationelle Entdeckung um die Familiengruft Christi macht, lassen ihnen religiöse Fundamentalisten verschiedenster Couleur kaum eine ruhige Minute, die Funde eingehend zu untersuchen.

|Hochspannung mit Schönheitsfehlern|

Der Name Kathy Reichs steht für Hochspannung. Das Thema fasziniert, der zwischen Gegenwart und Vergangenheit angesiedelte Plot ist manchmal ein bisschen wirr, fesselt aber trotzdem bis zur letzten Seite.

Positiv ist anzumerken, dass Kathy Reichs ohne billige Effekte eine spannende und geradlinige Geschichte zu erzählen vermag; mit klassischen Krimizutaten und gar nicht so viel Blutvergießen, wie man es von einem Gerichtsmedizin-Thriller erwarten würde. Die unvermeidbare Liebesgeschichte zwischen Tempe und Ryan ist zugleich ein geschickter Kunstgriff, um unsere Heldin an den gegenwärtigen Ermittlungen ebenso teilhaben zu lassen wie an den Ausgrabungen. Es handelt sich genau genommen auch eher um einen Archäologie-Thriller; wie üblich bei Kathy Reichs fand die Geschichte ihren Ursprung in einem realen Fall: Ihr Freund und Kollege James Tabor untersucht seit 2000 das so genannte Jakobus-Ossuar aus dem ersten Jahrhundert und fragte Reichs, ob sie ihn begleiten und die Geschichte für einen neuen Tempe-Brennan-Fall verwenden wolle. Kathy Reichs war Feuer und Flamme.

Ob nun tatsächlich real oder Verschwörungstheorie – ähnlich wie bei Dan Brown eignet sich die Fiktion hervorragend als Spielplatz, um verschiedene Varianten, wie es durchaus hätte sein können, durchzuspielen. War Jesus tatsächlich kein Einzelkind, war er sogar verheiratet und hatte selbst Kinder? Hat er seine eigene Kreuzigung überlebt und wurde 80 Jahre alt? So ganz hundertprozentig werden wir es nie erfahren, auch wenn es historische Hinweise darauf gibt. Wegen dieser kaum überbrückbaren Kluft zwischen Glauben und Wissen sind solche Bücher wohl so erfolgreich. Von brennender Aktualität sind dagegen die Verweise auf religiöse Fundamentalisten, deren Alleinansprüche auf Wahrheit es immer und in allen Religionen gegeben hat. Die Amerikanerin Kathy Reichs bleibt dabei relativ neutral, bis auf eine Ausnahme. Zitat: „Wütender Mund. Stechender Blick. Der ungestutzte Bart eines islamischen Fundamentalisten.“ (S. 292). Wenn es so einfach wäre, islamische Extremisten auszumachen, hätten die USA mit ihrem „Krieg gegen den Terror“ mehr Erfolg gehabt.

Während der Plot selbst zwar manchmal haarsträubend, aber doch gut recherchiert ist, scheint das Buch jedoch mit heißer Nadel gestrickt worden zu sein. Das ist schade, denn das schmälert manchmal das Lesevergnügen. Wir wollen bei einem Krimi nicht schulmeisterlich werden, doch in Sachen Stil und Satzbau hat Kathy Reichs manchmal den Charme einer gehetzten Wissenschaftlerin, die sich nebenher Notizen macht. Vielleicht ist das ja auch so? Die forensische Archäologin Kathy Reichs hat sicher viel aus ihrem Berufsleben zu erzählen, aber als Bestsellerautorin und Vollbeschäftigte vermutlich auch nicht die Zeit, Bücher am Fließband zu produzieren. Wirklich gut Ding will Weile haben – doch das Buch sollte wohl noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft erscheinen.

Was bleibt, ist ein überdurchschnittlich spannender Thriller mit Schönheitsfehlern. An Dan Browns [„Sakrileg“ 1897 jedenfalls, das hier ganz sicher Pate stand und sogar ein paarmal erwähnt wird, reicht Kathy Reichs Roman nicht heran.

Clark, Mary Higgins – Mein ist die Stunde der Nacht

Dr. Jean Sheridan, eine erfolgreiche Historikerin Ende dreißig, kehrt zu ihrem zwanzigjährigen Abschlussjubiläum an der Stonecroft Academy in ihre Heimatstadt zurück. Bei einem groß angelegten Klassentreffen soll sie mit sechs anderen Absolventen für herausragende berufliche Leistungen geehrt werden. Doch das Treffen wird überschattet: Fünf ihrer Schulfreundinnen sind in den letzten Jahren ums Leben gekommen. Für Jean birgt das Treffen noch weitere düstere Erinnerungen: Kurz vor ihrem Abschluss starb ihr damaliger Freund bei einem Autounfall, Jean trug das gemeinsame Kind in aller Heimlichkeit aus und gab es zur Adoption frei. Auch heute noch trauert sie ihrer Tochter, die sie bei sich „Lily“ nennt, und ihrer verlorenen Liebe hinterher. Umso erschreckender sind die Faxmeldungen, die Jean in letzter Zeit erhält. Alle enthalten Drohungen gegen ihre Adoptivtochter. Jean hofft, dass es sich bloß um einen bösen Scherz handelt und versucht, sich auf dem Treffen abzulenken.

Sie ahnt nicht, dass die Todesfälle kein Zufall waren. Einer ihrer ehemaligen Mitschüler ist ein skrupelloser Mörder, der sich nach und nach an allen rächt, die ihn seinerzeit zurückgewiesen haben. Er nennt sich „die Eule“, nach seinem Spitznamen aus der Kindheit. Wie ein Raubvogel schlüpft er nachts in die Rolle des Jägers und überwältigt seine Opfer. Jean Sheridan, ihre Adoptivtochter und Jeans Freundin Laura sind die Letzten auf seiner Liste, an denen er seine Rache vollziehen will. Als Laura schließlich spurlos verschwindet, ahnt Jean, dass einer der ehemaligen Klassenkameraden dahinter steckt und die anderen Frauen ermordet wurden. Aber wer ist der Täter? Im Verdacht stehen vor allem der zynische Bühnenautor Carter Stewart, der schadenfrohe Komiker Robby Brent, der TV-Psychologe Mark Fleischerman, der unterkühlte TV-Manager Gordon Amory und der skrupellose Geschäftsmann Jack Emerson.

Verzweifelt versucht Jean, den Täter zu entlarven, bevor er sein Werk vollendet. Ihr zur Seite stehen Detective Deegan, ein älterer Polizeibeamter, sowie der vorwitzige Schülerzeitungsreporter Jake Perkins. Die Zeit drängt, denn es schwebt nicht nur Laura, sondern auch Jeans Tochter in höchster Gefahr …

*

Wen weder Titel noch Autorin reizen, der wird spätestens durch das Cover auf das Buch aufmerksam: Eine wunderschöne schneeweiße Eule in Großaufnahme, so dass nur mehr ihr Schnabel und ihr linkes Auge zu sehen sind, zieht den Betrachter in den Bann. Der Blick auf den Klappentext ist dann nur noch reine Formalität, denn der Name Mary Higgins Clark steht gewöhnlich für solide, wenn auch nicht außergewöhnliche Thrillerkost. Es sind auch hier wieder einmal bewährte Zutaten, auf die die Autorin zurückgreift und die sie in einen unterhaltsamen, allerdings nicht mehr als durchschnittlichen Roman umsetzt.

|Identifizierung durch Sympathiefiguren|

Wie so oft dreht sich die Handlung um eine junge, sympathische Frau, die ohne eigenes Verschulden in eine gefährliche Lage gerät. Auch Jean Sheridan hebt sich nicht weiter von dem Strickmuster anderer Higgins-Clark-Heldinnen ab. Die Protagonistin macht es dem Leser leicht, sich mit ihr zu identifizieren. Jean ist erfolgreich und ehrgeizig, dabei aber frei von Arroganz, sondern angenehm bodenständig. Obwohl zwanzig Jahre ins Land gegangen sind, trauert sie immer noch um ihre verstorbene Jugendliebe Reed, und die zur Adoption freigegebenen Tochter, die sie bei sich zärtlich „Lily“ nennt. Voller Zärtlichkeit denkt sie an ihre unbekannte Tochter, von der sie nicht einmal weiß, welchen Namen ihr ihre neuen Eltern gegeben haben. Der Roman ist somit nicht nur Thriller, sondern enthält auch einige melodramatische Komponenten und es kommt zumindest so viel Mitgefühl für die Hauptfigur auf, dass man ihr eine versöhnliche Begegnung mit ihrer verlorenen Tochter wünscht.

Die zweite Sympathiefigur ist der väterliche Detective Sam Deegan, zu dem Jean sofort Vertrauen fasst. Deegan ist mehr als ein unermüdlicher Ermittler; er steckt auch darüberhinaus viel persönliches Interesse in die mysteriöse Mordserie; nicht zuletzt deshalb, weil die Todesfälle offenbar in Zusammenhang mit einem ungeklärten Mord stehen, der ihm seit zwanzig Jahren keine Ruhe lässt …

Für Humor sorgt vor allem der junge Schülerzeitungsreporter Jake Perkins, der in seinen hartnäckigen Rechermethoden seinen älteren Kollegen in nichts nachsteht. Mit viel Witz und Genuss durchschaut er die arroganten Teilnehmer des Klassentreffens und bringt mit seinen forschen Fragen so manchen Interviewparter in Verlegenheit. Übertrieben wird dieses freche Auftreten nur am Schluss, als sich Jake selbst angesichts eines Wettlaufs auf Leben und Tod noch detailliert in seinen brisanten Informationen ergehen will.

|Jeder kann die Eule sein|

Um die Spannung zu erhöhen, greift Mary Higgins Clark tief in die Trickkiste: In fast jedem zweiten Kapitel wechselt der personale Erzähler von der Protagonistin Jean Sheridan zum Mörder hinüber, allerdings ohne dabei seine Identität preiszugeben. Der Killer ist nur „die Eule“, sein richtiger Name fällt nie. Dem Leser ist es kaum möglich, den Täter hinter diesem Decknamen vorzeitig zu erraten. Jeder aus dem engeren Kreis ist aus diversen Gründen gleich verdächtig. Weder der Leser noch Jean Sheridan können mit Gewissheit sagen, wem von ihnen zu trauen ist. Die Hinweise auf die Täterschaft sind dünn gesät und so allgemein gehalten, dass sie auf jeden Verdächtigen zutreffen könnten. Nahezu alle von ihnen haben sich im Erwachsenenleben um 180 Grad gewandelt, haben eine schwere Kindheit hinter sich und machen sich durch gewisse Bemerkungen oder Handlungen verdächtig. Leichte Gruselmomente kommen auf, wenn der Mörder sich seine Eulenmaske überzieht und jenen Spruch aufsagt, der ihm damals nach einer Theatervorstellung zu seinem Spitznamen verhalf: „Ich bin die Eule und ich lebe in einem Baum …“

Leider steckt in diesem Punkt auch ein erhebliches Manko des Buches: Die Autorin ist so sehr darauf bedacht, den Leser aufs Glatteis zu führen und den Täter geheim zu halten, dass sie zu betrügerischen Mitteln greift und es mit der Informationsverweigerung auf die Spitze treibt. Selbst als die entführte Laura ihren Peiniger erkennt und der Leser Einblick in ihre Gedanken bekommt, fällt nicht sein wahrer Name; selbst hier, bei sich, nennt ihn Laura nur „die Eule“. Und wenn sie denn mal trotz seines Verbots seinen wahren Namen ausspricht, so erfährt der Leser natürlich nur, dass sie „immer wieder seinen Namen flüsterte“. Das Bemühen der Autorin um Spannung in allen Ehren, aber dass selbst sein Opfer seinen Namen nicht in Gedanken nennt, lässt die Handlung an diesen Stellen zu unrealistisch und konstruiert erscheinen.

Konstruiert sind auch die zahlreichen Scheinbar-Hinweise und falschen Fährten, die allzu offensichtlich dazu dienen, jeden der Verdächtigen mal kurz ins Licht zu rücken. Im Laufe der Handlung fällt bei jedem von ihnen mindestens ein Satz oder ein Gedanke, der ihn mit dem Täter in Verbindung bringt, meist als Cliffhanger formuliert, um dem Leser besonders nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Gerade diese Ausgewogenheit der Verdachtsmomente sorgt dafür, dass die Auflösung, wer sich tatsächlich hinter der „Eule“ verbirgt, längst nicht so spektakulär ist wie die eigentliche Mörderjagd selbst. Keiner der in Frage Kommenden drängt sich dem Leser als Täter-Kandidat auf. Allenfalls einen von ihnen wünscht man sich nicht als Mörder, beim Rest spielt es keine große Rolle, ob er sich als Schuldiger entpuppt oder nicht. Zwar ergibt seine Identität letztlich Sinn, alle offenen Fragen werden zufrieden stellend geklärt, aber es fehlt ein letztes Aha-Erlebnis, eine finale Wendung oder Überraschung als abschließende Krönung.

|Leichtverdauliche Thrillerkost|

Unterm Strich bietet der Roman einem versierten Thrillerleser nichts Neues, verlässt sich auf vertraute Strickmuster von netten Charakteren bis hin zum versöhnlichen, beinah schon kitschigen Ende, ohne dabei nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben oder gar für echte Überraschungen zu sorgen. Durch den einfachen, glatten Schreibstil und die geradlinige Handlung ohne größere Abschweifungen lässt sich der Roman in wenigen Tagen verschlingen. Da er keine hohen Anforderungen stellt, ist er sowohl für Gelegenheitsleser als auch als Urlaubslektüre ideal geeignet.

_Fazit:_

Ein unterhaltsamer Thriller mit sympathischer Protagonistin, der bis zum Schluss die Spannung und die Frage nach dem Mörder bewahrt. Leichte Abzüge gibt es für die konstruierte Handlung und das konventionelle Strickmuster, das insbesondere an viele weitere Romane der Autorin erinnert. Als leichte Unterhaltung ein lesenswerter Roman, für versierte Thrillerfans jedoch insgesamt zu unspektakulär, um weiter im Gedächtnis zu bleiben.

Sinkel, Bernhard – dritte Sumpf, Der

_Der Autor_

Bernhard Sinkel wurde am 19. Januar 1940 in Frankfurt am Main geboren. Erstes und Zweites Juristisches Staatsexamen. Von 1970 bis 1972 Leiter des Archivs und der Dokumentation des Magazins |Der Spiegel|.

Seit 1974 Arbeiten als Produzent, Drehbuchautor und Regisseur u. a. von „Lina Braake“ (1974), „Berlinger“ (1975), „Deutschland im Herbst“ (1978) und „Der Kinoerzähler“ (1992), für die er mit zahlreichen internationalen Filmpreisen ausgezeichnet wurde.

_Story_

Raoul Levkowitz ist der CIA noch immer ein Dorn im Auge. Wegen einer geheimen Dopingakte, mit der er einigen in den USA ansässigen Doppelagenten an die Wäsche hätte gehen können, ist CIA-Agent Gallagher ihm schon länger auf der Spur. Ein weiterer Grund für das Interesse des Geheimdienstes: Weil Levkowitz die Dokumente nicht herausgerückt hat und die Geschichte mittlerweile größere Kreise gezogen hat, wurde außerdem das Zeugenschutzprogramm des CIA merklich gefährdet.

Natürlich ist Gallagher auch weiterhin hinter den Daten her und bittet Levkowitz um Vernunft. Deswegen fordert er ihn auch zur Zusammenarbeit auf, die der Berliner Ex-Stasi-Spitzel, dessen besonderes Merkmal ein fotografisches Gedächtnis ist, aber kategorisch ablehnt. Noch dramatischer wird die Situation für die Ermittler, als bekannt wird, dass Levkowitz seit frühester Kindheit mit dem jemenitischen Terroristen Ahmed bin Salim al-Amir befreundet ist, den die USA dringend zur Strecke bringen möchten. Raoul jedoch hält nicht viel von den Machenschaften der verschiedenen Geheimbünde, die ihm ob dieser Bekanntschaft fortan auf den Fersen sind und verweigert jegliche Kooperation.

Die CIA sieht sich dazu gezwungen, andere Mittel zu bemühen, und erpresst Levkowitz, der kurz davor steht einzulenken. Dann jedoch ergibt sich für seine Freundin Dorothy Jensen die Gelegenheit, ein Archäologenteam in die Wüste des Jemen zu fliegen. Auch Raoul soll mit an Bord gehen, wird aber kurz vorher krank und muss passen. Als Dorothys Flugzeug allerdings in der Wüste abstürzt, begibt er sich ebenfalls in den Jemen und sucht verzweifelt seine verschollene Freundin. Levkowitz weiß jedoch nicht, dass die CIA eine erneute Verschwörung gestartet hat, bei der Raoul sie geradewegs zum Terroristenführer al-Amir führen soll …

_Meine Meinung:_

In „Der dritte Sumpf“ setzt Bernhard Sinkel die im letzten Thriller „Bluff“ gestartete Geschichte um seinen Hauptcharakter Raoul Levkowitz fort. Auch in seinem neuesten Werk bezieht sich der Autor dabei auf die Stasi-Vergangenheit seines Schützlings bzw. deren Bedeutung für das Jetzt, wobei die Folgen seiner ehemaligen Bekanntschaften dieses Mal weitaus verheerender sind.

Sinkel lehnt sich dabei sehr weit aus dem Fenster und schießt indirekt besonders gegen die CIA, die mit ihren verschwörerischen Machenschaften selbst vor den grausamsten Erpressungsmethoden nicht zurückschreckt. Lag sein Schwerpunkt im ersten Band noch auf den Zusammenhängen hinsichtlich des CIA-Einflusses in der DDR, spannt er nun das Netz bis hin zur US-amerikanischen Anti-Terrorpolitik im Nahen Osten und hat sich hierfür exemplarisch den Jemen als Zielort herausgesucht. Nun, gut: Dass ausgerechnet dieser Levkowitz auch Kontakte in den arabischen Staat haben soll, ist im Gesamtkontext sicherlich etwas weit hergeholt, aber über so etwas sollte man erst gar nicht nachdenken. Stattdessen sollte man einfach genießen, wie Sinkel mit sehr einfachen Mitteln eine ziemlich komplex arrangierte Story aufbaut, die bis ins letzte Detail fein ausgeklügelt ist und trotz ihrer fiktiven Entwicklung sehr realistisch wirkt. Der Autor bezieht sich sehr stark auf ein mittlerweile alltäglich gewordenes, sehr brisantes Thema und bettet dieses in einen sehr spannenden Thriller ein, der einerseits ziemlich brutal (auf mentaler Ebene), andererseits dadurch aber auch nur authentischer wird.

Natürlich bleiben die politische Meinung und die deutliche Kritik an den Institutionen der Vereinigten Staaten seitens Sinkel nicht außen vor, aber wären diese nicht enthalten, könnte er die Erzählung sicherlich auch nicht mit einer derartigen Überzeugungskraft ausfüllen, wie es schlussendlich der Fall ist. Diese Entschlossenheit zeigt sich letztendlich auch im enorm flotten Erzähltempo: Sinkel lässt kaum Zeit verstreichen, um die Handlung einzuleiten; dazu reicht schon ein minimaler Prolog mit den Ereignissen aus dem vorangegangenen Buch. Danach startet der Autor direkt mitten im Geschehen und kommt auch während der Entwicklung des Plots immer sehr zügig auf den Punkt, was sicherlich ein weiteres Indiz für die recht nervenaufreibende Atmosphäre der Handlung ist.

Gut 250 Seiten reichen schließlich aus, um einen ziemlich gewagten und gerade deshalb auch äußerst lesenswerten Polit-Thriller zu kreieren, der trotz sprachlicher Schlichtheit durchgängig zu fesseln weiß. Für Freunde solcher Materie ist „Der dritte Sumpf“ aus diesem Grund auch nur empfehlenswert – speziell für Leute, die eine Antipathie gegen die Bush-Regierung und ihre zahlreichen Nebenarme haben. Für diese Zielgruppe lohnt sich dann aber auch das komplette, mit „Bluff“ beginnende Paket, auf dem Teile der Handlung aufbauen.

Roberts, Nora – Dunkle Herzen

Die junge, erfolgreiche Bildhauerin Clare Kimball lebt in New York, wo sie gerade wieder eine erfolgreiche Ausstellung präsentiert hat. Seit ihrer Kindheit wird Clare von einem immer wiederkehrenden Albtraum gequält. In diesem düsteren Traum steht sie auf einem nächtlichen Friedhof und beobachtet, wie mit Tierköpfen und Kutten verkleidetete Männer satanische Rituale durchführen. In einem der Männer erkennt sie schließlich ihren geliebter Vater, der in ihrer Teenagerzeit durch einen Fenstersturz ums Leben kam. Sowohl der Albtraum als auch der ungeklärte Tod ihres Vaters lassen ihr keine Ruhe. Clare will Gewissheit haben und beschließt, in ihre Heimatstadt Emmitsboro zurückzukehren.

Emmistboro ist eine verschlafenen Kleinstadt in Maryland ohne spektakuläre Ereignisse, in denen sich alle Bürger untereinander gut kennen. Clares Rückkehr sorgt bei den Einwohnern für großes Interesse. Vor allem für den charmanten Sheriff Cam Rafferty, den sie noch aus ihren Jugendtagen kennt, entwickelt sie rasch Gefühle. Während sie viele ehemalige Freunde und Nachbran herzlich aufnehmen, machen sich einige der Bewohner über ihr Auftauchen Sorgen. Denn was Clare nicht weiß: Hinter der biederen Kleinstadt-Fassade verbirgt sich ein satanischer Zirkel, in den zahlreiche der scheinbar unbescholtenen Bürger verstrickt sind.

Kurze Zeit nach Clares Einzug in ihr Elternhaus geschieht ein grausamer Mord, der die Menschen jäh aus ihrer Idylle reißt. Grabschändungen, geschlachtete Tiere und ein entführtes Mädchen deuten darauf hin, dass Clares Träume der Wirklichkeit entsprechen. Je mehr sie sich an das Gesehene erinnert und je weiter sie in ihren Nachforschungen vordringt, desto gefährlicher wird sie für die Teufelssekte …

Schwarze Messen, brutale Morde und eine Gemeinschaft, die sich dem Bösen verschworen hat – die als Schnulzenautorin verschriene Nora Roberts geizt nicht mit allerleih grausigen Zutaten für ihren Horrococktail, der durchaus zu unterhalten weiß.

Dabei kann von Innovation an kaum einer Stelle des Romans die Rede sein. Die Charaktere sind teilweise klischeehaft und in keiner Weise wirklich spektakulär, jeder Figur ist man so oder so ähnlich schon in anderen Büchern begegnet. Die satanischen Rituale folgen exakt den landläufigen Vorstellungen der Leser und auch überraschende Wendungen sind im Grunde Mangelware. Dass der Roman trotzdem zu fesseln weiß, liegt an der souveränen Zusammenstellung all dieser Komponenten, die dem Leser zwar nichts Neues, aber Altbewährtes auf solide zubereitete Weise präsentieren.

|Altbewährter Schauplatz|

Die verschlafene Kleinstadt wird bekannterweise gerne als Schauplatz für ein Horrorszenario gewählt. Nirgends wirkt das Grauen so effektiv wie in einer scheinbar harmlosen Idylle, deren Friedlichkeit sich als trügerisch erweist. Je beschaulicher der Leser sein eigenes Leben führt, desto mehr wird er sich in diese Lage hineinversetzen und dementsprechend mitfiebern können. Auch Emmitsboro entspricht in jeder Hinsicht den gängigen Kleinstadt-Klischees. Die Menschen kennen sich untereinander gut, alles geht seit Jahrzehnten seinen gewohnten Gang, die Polizei kümmert sich größtensteils um Diebstähle und Ruhestörungen. Besonders prekär wird die Lage dadurch, dass Clare die meisten Bewohner seit ihrer Kindheit kennt und es besonders schmerzhaft ist, auf einmal befürchten zu müssen, dass einige unter ihnen schon damals ihre dunklen Machenschaften trieben und über all die Jahre eine Scheinwelt aufrecht gehalten haben. Das betrifft letztlich und vor allem ihren eigenen Vater. Je mehr Clare über den satanischen Zirkel und seine Anhänger herausfindet, desto offensichtlicher wird die quälende Tatsache, dass auch ihr Vater zumindest zeitweise darin verwickelt war. Für Clare, die immer seine Lieblingstochter war und die immer noch unter seinem frühen Tod leidet, bricht eine Welt zusammen. Doch als sie der Wahrheit zu nahe kommt, steht ihr der größte Kampf noch bevor …

In einem Psychothriller über Satanismus bleiben natürlich auch explizite Gewaltszenen nicht aus. Allerdings ist keine Schilderung so brutal, dass man als Leser Ekelgefühle befürchten müsste. Im Gegenteil existieren sogar Szenen, in denen die Gewalt nur angedeutet wird und hauptsächlich in der Vorstellung der Leser stattfinden muss. Beinahe schon etwas zu bieder geraten sind die Darstellungen der satanischen Rituale, die in keinem Punkt von den althergebrachten Vorstellungen abweichen, die der unbedarfte Leser vor der Lektüre besitzt. Die Jünger tragen schwarze Kutten und verbergen ihre Gesichter hinter Masken, frönen perversen Ausschweifungen, bringen Tier- und Menschenopfer und rufen in lithurgisch inszenierten Huldigungen Satan an. Sicher wären an der Stelle Abwandlungen der Klischees reizvoller gewesen, zumal gerade das Unbekannte und schwer Einschätzbare den Horroreffekt steigert.

|Schablonenartige Charaktere|

Das Hauptaugenmerk liegt natürlich auf Clare Kimball, die auf Anhieb sympathisch erscheint. Clare hat sich trotz ihrer knapp dreißig Jahre ein kindliches Gemüt bewahrt. Gleich zu Beginn erfährt man, dass Clare, wie es für eine Künstlerin typisch ist, stets im kreativen Chaos lebt. Die Haare werden achtlos zusammengebunden, ein ausgeleiertes Shirt erfüllt den Kleidungszweck, eine Großpackung Eis muss als Mittagessen vorhalten. So ergibt sich ein liebenswertes Bild: Auf der einen Seite die intelligente, erfolgreiche und selbstständige Künstlerin, auf der anderen Seite die chaotische und undisziplinierte Lebensart eines Kindes. Mit ihrer unverfälschten Art und ihrem ansteckenden Humor bezaubert sie nicht nur ihre Umwelt, sondern auch ihre Leserschaft. Sowohl Frauen als auch Männer werden diese gelungene Mischung aus Verletzlichkeit und Sensibilität mit Mut und scharfem Verstand zu schätzen wissen.

Sheriff Cam Rafferty präsentiert sich als der ideale Mann für Clare. Genau wie sie schätzt er Ehrlichkeit und Gerechtigkeit, hält nichts von überflüssigen Etiketten, folgt seinem Gefühl und verstößt bereitwillig gegen den guten Ton der Gesellschaft. In jungen Jahren ein wilder Rebell, hat er sich auch als Polizeibeamter seine Polarität bewahrt. Während die einen Bewohner seine Aufrichtigkeit schätzen, ist er vor allem der biederen Gesellschaft ein Dorn im Auge.

Die meisten anderen Bewohner der Stadt erscheinen als bestenfalls einfache und schlimmstenfalls kleinkarierte Bürger mit beschränktem Horizont, von denen ein nicht unerheblicher Teil im Geheimen dem satanischen Zirkel angehört. Es sind typische Kleinstadt-Charaktere, wie man sie schon aus vielen anderen Romanen kennt: der langweilige Oberlehrer; die hübsche, handfeste Kellnerin; die Edelnutte, die vom Ausstieg und der weiten Welt träumt; die geistig zurückgebliebene Pennerin mit dem kindlichen Herzen; die hemdsärmeligen Farmer; die spitzzüngigen Damen der Kaffeeklatschgesellschaft.

Für diese Vorhersehbarkeit der Charaktere gibt es kleine Abzüge. Fast bei jedem neuen Charakter wird der Leser rasch über dessen Eigenschaften informiert, so dass man jede Figur sofort auf die „gute“ oder die „böse“ Seite stellen kann. Dabei fühlt man sich ein wenig bevormundet, als ob es uns der Autor nicht zutraute, ohne explizite Beschreibung den Charakter einzuschätzen. Und zum anderen hätte es die Spannung noch zusätzlich gesteigert, wenn man bei einigen Figuren zunächst im Ungewissen gelassen worden wäre. Stattdessen weiß man bei den meisten Personen sofort, ob Clare ihnen vertrauen darf oder nicht. Vor allem bei Sheriff Rafferty existiert bereits nach der ersten Begegnung mit Clare kein Zweifel mehr, dass sich zwischen beiden eine Beziehung entwickeln wird; erst recht nicht, als man erfährt, dass Clare ihn bereits in ihrer Jugend heimlich umschwärmte. Bei manchen der Satansjünger erfährt der Leser erst spät von ihrem Doppelleben, doch echte Überraschungen bleiben dabei vollends auf der Strecke. Das gilt auch für den Epilog des Romans, der beim Leser nicht den angestrebten Aha-Effekt erzielt, sondern wie eine nachträglich angefügte Pointe wirkt.

Die einzige Ausnahme bildet der rebellische Teenager Ernie, von dem man lange Zeit nicht mit Sicherheit sagen kann, ob er sich unwiderruflich der dunklen Seite verschreibt oder nicht. Davon abgesehen wäre es besonders bei Cam Rafferty der Spannung zuträglich gewesen, wenn man hin und wieder an seiner Solidarität an Claire hätte zweifeln können.

|Flotter Schreibstil|

Das Stilniveau geht zwar über den des Groschenromans hinaus, stellt aber dennoch keinerlei weitere Anforderungen an den Leser. Die klare Sprache und die übersichtlichen Sätze machen es zu einer Leichtigkeit, den mehr als 600 Seiten des Buches mühelos zu folgen. Wegen der weiblichen Hauptfigur und des Images der Autorin als Liebesromanschreiberin zieht das Buch vornehmlich Frauen als Leserinnen an, eignet sich aber grundsätzlich auch für Männer, ebenso wie für Jugendliche. Die Handlung verzichtet auf detaillierte Nebenstränge, so dass keine große Konzentration von Nöten ist. Als Urlaubslektüre oder als unterhaltsamer Zwischendurch-Roman ist das Buch daher definitiv zu empfehlen.

_Unterm Strich:_ Unterhaltsamer und sehr flüssig geschriebener Psychothriller über satanische Morde hinter der biederen Fassade einer Kleinstadt. Der Roman kombiniert altbewährte Zutaten zu einem angenehm lesbaren und über weite Strecken fesselnden Lesevergnügen für alle Freunde der Spannungsliteratur. Leichte Abzüge gibt es für die Vorhersehbarkeit und die klischeehaften Charaktere, denen etwas mehr Innovation nicht geschadet hätte.

_Nora Roberts_ ist eine der meistgelesenen Autorinnen der USA. Seit sie 1981 ihren ersten Roman veröffentlicht hat, sind mehr als hundert Bücher von ihr erschienen. Ihre Domäne sind vor allem romantische Liebesromane und Thriller.

Hayder, Mo – Tokio

Mo Hayder sah als Teenager ein Foto von einem japanischen Soldaten, der einen chinesischen Zivilisten enthauptet. Als sie dieses Bild Jahre später in Tokio wiederentdeckte und ihr selbst japanische Freunde nichts über das Massaker von Nanking berichten konnten, war ihr Interesse an einem Kapitel japanischer Geschichte geweckt, das bis heute von offizieller Seite mit Vorliebe verschwiegen wird. („Tokio“ soll nicht in Japan erscheinen!)

Auch die Protagonistin Grey in Hayders neuem Roman „Tokio“ hat in frühen Jahren ein Foto aus Nanking gesehen und ist, gerade weil ihre Umwelt die Existenz des Fotos wie auch die historischen Kriegshandlungen leugnet, besessen von der Idee, die Wahrheit herauszufinden. Grey, die den größten Teil ihrer Jugend in einer psychiatrischen Klinik verbracht hat, ist besessen davon, ihre Zweifel und die Ungewissheit zur Gewissheit werden zu lassen.

‚Geh und Beweise es‘, hatte ihr eine Zimmergenossin aus der Klinik mit auf den Weg gegeben. Und für Grey, die nach Jahren in der Psychiatrie die eigene Persönlichkeit als kranken Psycho-Freak mit perversen Neigungen wahrnimmt, sind die historischen, totgeschwiegenen Ereignisse inzwischen ebenso wichtig wie die eigene Heilung geworden; erst wenn sie beweisen kann, dass die Gräuel von Nanking nicht ihrer kranken Fantasie entsprungen sind, sieht sie eine Chance, in das Leben zurückzukehren.

Labil und voller psychischer wie physischer Narben reist Grey nach Tokio, um einen chinesischen Wissenschaftler aufzusuchen, der im Besitz eines Filmes sein soll, in dem das Massaker von Nanking dokumentiert ist. Shi Chongming, ein einstmals freigeistiger, inzwischen desillusionierter Intellektueller, arbeitet als Gastprofessor in Tokio. Er ist Opfer und Überlebender der japanischen Kriegshandlungen, die neben dem Film, in dessen Besitz er gelangt ist, auch in seinem Tagebuch aufgezeichnet sind. Diese Niederschrift eines (Kriegs-)Tagebuchs aus Nanking führt den Leser alternierend mit der Handlung der Gegenwart in den Winter 1937, in das von Japanern besetzte Nanking.

Für jeden Wissenschaftler ist es eigentlich eine Ehre, an der Todai-Universität, der berühmtesten Universität Japans, zu forschen und zu lehren; doch Shi Chongming hat neben seiner offiziellen Verpflichtung einen weiteren, sehr persönlichen Grund für seinen Aufenthalt in Japan. Das Auftauchen der ‚verrückten Fremden‘, die die Vergangenheit aufleben lassen will und ihn in ihrer Besessenheit ‚attackiert wie eine Hornisse‘, stürzt den alten Chinesen in eine tiefe Krise.

Gray arbeitet inzwischen aus Geldnot in dem Nachtclub |Some like it hot| als Hostess. Dort lernt sie den mächtigen Yakuza-Chef Fuyuki und dessen brutale, geheimnisvolle, geschlechtlich nicht zu identifizierende Krankenschwester Ogawa kennen. Diese Bekanntschaft öffnet ihr unerwartet die Türen zum abweisenden und widerstrebenden Chinesen Shi Chongming. Plötzlich schlägt dieser Grey einen Deal vor: Er wird auf ihr Anliegen eingehen und ihr den Film zeigen, wenn sie ihm ein Elixier bringt, ein Tonikum, dem Shi Chongming schon lange auf der Spur ist und dessen Geheimnis sich in Fuyukis Besitz befinden soll.

Grey scheint indes dem mysteriös abweisenden Charme Tokios und seiner Nachtclubs zu erliegen. Und auch ihr rätselhafter Mitbewohner Jason, der ihr mit seiner Vorliebe für Scheußlichkeiten seltsam nahe zu stehen scheint, lenkt sie von ihrer ursprünglichen Absicht ab, Shi Chongmings Film um jeden Preis zu sehen. Doch dann geschehen entsetzliche Dinge und Grey begibt sich in größte Gefahr. Dabei ist sie nicht nur außerstande, die Bedrohung, die sich immer enger um sie knüpft, richtig einzuschätzen, Grey kann nicht einmal ahnen, inwieweit die Tragödie ihres eigenen Lebens mit der grausamen Vergangenheit und der brutalen Realität der Gegenwart verwoben ist!

Mit „Tokio“ verlässt Mo Hayder den Londoner Schauplatz, wo ihre beiden Bestseller „Der Vogelmann“ und „Die Behandlung“ um Detective Inspector Jack Caffery angesiedelt waren, und wendet sich einem historischen Ereignis und einer fernöstlichen Kulisse zu. „Tokio“ ist ein atemberaubend dichter Thriller, in dem die Spannung Seite um Seite steigt.

Dabei erzählt Mo Hayder eher geruhsam, mit einer poetischen Trägheit, die sie in einem perfekt abgestimmten Tempo, das sich sachte über Anspielungen, Andeutungen, Vor- und Rückgriffe im Geschehen überaus brutal an Perversionen, Morde und skrupellose Gräuel annähert. Durch diese beeindruckende Ökonomie der Information, mit der Hayder optimal kalkuliert umzugehen weiß, aber auch durch eine traumhaft märchengleiche Kulisse eines nächtlichen Tokios spitzt sich die Spannung in jeder Szene weiter zu.

Mo Hayder, die früher einmal selbst in Tokioter Nachtclubs gearbeitet hat, ist für die Recherche zu „Tokio“ zwanzig Jahre später noch einmal in die Rolle einer Hostess geschlüpft, um dem mysteriösen und brutalen Mordfall an Lucie Blackman, einer in Tokio arbeitenden englischen gaijin (Hostess), nachzuspüren. Es liegt wohl an diesen persönlichen Erfahrungen, dass das traumähnlich gezeichnete Nachtleben Tokios so real wird. Eine Welt voller authentischer Sonderlinge, die alle am Rande der Gesellschaft leben: Mama Strawberry, die Nachtclubbesitzerin, die gern wie Marilyn Monroe aussähe, Ogawa, die sadistische Krankenschwester, oder Jason, der perverse Sonderling – all diese Figuren geben „Tokio“ einen Reiz, der sich aus Sympathie und Unverständnis, Faszination und Abscheu zusammensetzt.

Mo Hayder versteht es meisterhaft, auf dem schmalen Grat zwischen Abscheulichkeit und Faszination, dem Schönen und dem durch und durch Bösen zu wandeln. Sie lotet das Böse aus, lässt sich auf alle menschlichen Schattierungen von schamlos über verdorben bis auf wirklich böse ein – und das mit einer unübersehbaren Schwäche für Freaks. So durchschreitet Mo Hayder Grenzen, bringt uns Figuren und Ereignisse näher, die sonst so brutal und unmenschlich scheinen, dass wir uns eher schaudernd von ihnen abwenden. Schuld und Unwissenheit ziehen sich leitmotivisch durch den Text, eine meines Erachtens sehr konstruktive Kategorisierung, die das Böse nicht oberflächlich zu verurteilen aber zu orten scheint.

„Tokio“ ist ein sehr grausames Buch, das sich in seiner fiktiven Authentizität auf einer teilweise surreal anmutenden, dem Stil entspringenden Schönheit und Poesie trägt. Als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit der Geschichte ist „Tokio“, das ein breites Publikum erreichen wird, bedeutsam. Als Literatur wie auch als Thriller ist „Tokio“ in seiner naiven Unschuld wie seiner abgrundtief pervers-brutalen Abscheulichkeit einfach umwerfend und Nerven aufreibend bis zum Finale!

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ & http://www.krimizeit.de/ veröffentlicht.|

http://www.mohayder.net

Weitere Rezensionen bei |Buchwurm.info|:
[Der Vogelmann 1632
[Die Behandlung 1635

Jonathon King – Tödliche Fluten

Das geschieht:

Anfang der 1920er Jahre versuchten Cyrus Mayes und seine beiden Söhne Steven und Robert Geld beim Bau des ersten Highways durch die Sümpfe der Everglades im Süden des US-Staats Florida zu verdienen. Sie gerieten in eine stickige grüne Hölle, in der brutale Aufseher die Arbeiter wie Sklaven misshandelten. Die Gewalt regierte hier, wo das Gesetz abwesend war. Wer die Flucht versuchte, wurde vom firmeneigenen Lohnkiller John William Jefferson als ‚Deserteur‘ betrachtet, verfolgt und umgebracht, denn niemand sollte wissen, was in den Everglades vor sich ging.

Auch Mayes und seine Söhne wurden offenbar ermordet. Ein Urenkel hat Briefe gefunden, die auf diese Familientragödie hinweisen. Er wünscht Aufklärung und engagiert den Anwalt Billy Manchester, der wiederum seinen Freund, den Privatdetektiv Max Freeman, mit den Ermittlungen beauftragt. Manchester entdeckt, dass die Firma Noren, die einst mit den Straßenbauarbeiten beauftragt war, im PalmCo-Konzern aufgegangen ist, einem der größten Bauunternehmer in Florida. Jonathon King – Tödliche Fluten weiterlesen

Arthur Conan Doyle – Eine Studie in Scharlachrot [Sherlock Holmes]

Im London der frühen 1880er Jahre lernt der Arzt Dr. Watson den „beratenden Detektiv“ Sherlock Holmes kennen. Die beiden Männer werden Freunde, und so ist Watson an Holmes’ Seite, als dieser den Mord an einem reichen Amerikaner aufklärt und eine düstere Geschichte von Fanatismus, Betrug und Mord ans Tageslicht bringt – Erster, schon gelungener Auftritt des legendären Mr. Holmes, wobei die eigentlich spannende Story nicht mit der Figurenzeichnung mithalten kann.
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John D. MacDonald – Alptraum in Pink [Travis McGee 2]

Ermittlungen führen den Gelegenheits-Detektiv Travis McGee nach New York und in die Fänge einer Gaunerbande, die sich in einer ‚Nervenheilanstalt‘ eingerichtet hat und vor allem reiche Kunden behandelt, denen anschließend etwas zustößt … – Selbstverständlich landet McGee in seinem zweiten Abenteuer in jenem Irrenhaus, das er nicht mehr verlassen soll; der flaue Plot zieht sich in die Länge und bleibt dort hängen, wo Autor MacDonald seine Hauptfigur auflisten und kommentieren lässt, was falsch auf der Welt läuft: schwatzhaft und langweilig.
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Clark, Mary Higgins – Nimm dich in acht

Die New Yorker Psychologin Dr. Susan Chandler moderiert eine beliebte Radiosendung. Als aktuelles Thema hat sie sich das Buch „Verschwundene Frauen“ des Psychiaters Dr. Donald Richards ausgesucht, den sie in ihrer Sendung dazu befragt. Auf eigene Faust hat sie den Fall der vermissten Regina Clausen aufgetan, die vor drei Jahren nach einer Kreuzfahrt nicht mehr zurückkehrte. Während der Sendung meldet sich eine anonyme Anruferin, die von einem Verdacht berichtet. Vor zwei Jahren lernte sie auf einer Schiffreise einen Mann kennen, der ihr einen Ring mit der Gravur „Du gehörst mir“ schenkte. Genau so ein Ring befand sich auch in Regina Clausens Gepäck. Susan wittert eine heiße Spur und bittet die Anruferin zu einem Treffen. Doch am nächsten Tag wird die Frau vor ein Auto gestoßen und liegt im Koma.

Es folgen weitere Anschläge auf Personen, die Hinweise zu Regina Clausens Verschwinden liefern können. Während die Polizei im Umfeld der Betroffenen ermittelt, vermutet Susan, dass sie einem Serienkiller auf der Spur ist, der sich seine Opfer unter alleinreisenden Frauen auf Kreuzfahrten sucht. Spätestens nachdem sie Regina Clausens Mutter, die schwerkranke Jane Clausen, kennen lernt, fühlt sie sich verpflichtet, die Wahrheit über das Verschwinden dieser Frau herauszufinden.

Dabei stößt Susan auch in ihrem eigenen Umfeld auf Unstimmigkeiten: Was hat den Autor Don Richards bewogen, ein Buch über diese Fälle zu schreiben? Welches falsche Spiel treibt Jane Clausens Anwalt Douglas Layton mit seiner Klientin? Etwas Entspannung erhofft sich Susan von der Bekanntschaft mit dem reichen und attraktiven Alex Wright, bis sich herausstellt, dass sich auch ihre Schwester Dee für ihn interessiert. Bei ihren Nachforschungen kommt Susan dem Kreuzfahrt-Mörder immer näher, ohne zu ahnen, dass er schon längst seine Jagd auf sie begonnen hat …

Unterhaltsame Dutzendware ist das passende Prädikat, um diesen Thriller einzuordnen. Wie in so vielen anderen ihrer Romane verlässt sich Mary Higgins Clark auf bewährte Zutaten, die zu einem unspektakulären, aber doch über weite Strecken spannenden Katz-und-Maus-Spiel gemixt werden.

_Sympathie für den Hauptcharakter_

Das Schema des Romans ähnelt dem Rest ihrer Werke: Eine junge, sympathische und attraktive Frau wird in einen mysteriösen Mordfall verwickelt und startet auf eigene Faust Ermittlungen, bei denen sie ins Visier des Täters gerät. Von diesem Grundriss weicht die Autorin auch in dieser Geschichte nicht ab. Dr. Susan Chandler präsentiert sich somit als austauschbare Protagonistin, die sich kaum von den Hauptfiguren der anderen Werke abhebt. Sie ist relativ jung, attraktiv und sehr erfolgreich, ohne dabei eingebildet zu sein. Im Gegenteil, Susan stammt aus einer reichen Familie, hält selbst aber nichts von Standesdünkel. Besonders deutlich wird ihr netter Charakter in der direkten Gegenüberstellung mit ihrer Schwester Dee. Dee ist die oberflächlichere der beiden Frauen, die ihren inzwischen tödlich verunglückten Mann seinerzeit Susan ausgespannt hat und auch an Alex, der Susan den Hof macht, verdächtig viel Interesse äußert. In diesem Vergleich ist es nicht schwer, sich solidarisch mit Susan zu zeigen und ihr Glück und Erfolg auf ihrer Mörderjagd zu wünschen, zumal ihre Familiensituation grundsätzlich einige Komplikationen und Probleme beinhaltet. In Susans leserfreundlichem Charakter liegt eine der Stärken des Romans, da man zwangsläufig mit der netten Psychologin mitfiebert. Das Fehlen von auffälligen Ecken und Kanten verhindert zwar, dass sich ihre Figur nachhaltig einprägt, sorgt aber bei der geneigten Durchschnittsleserin für ein hohes Maß an Identifikation.

Die weiteren Personen sind allesamt lebendig genug, um dem Leser einigermaßen klar vor Augen zu stehen, doch auch hier sind markante Figuren Mangelware. Da wäre die nette Jane Clausen, die so dringend den Wunsch verspürt, noch vor ihrem Tod die Wahrheit über das Schicksal ihrer Tochter Regina zu erfahren. Nicht nur Susan, auch der Leser fühlt mit der älteren Dame, die sich nach einem erlösenden Lebensabend sehnt. Da wäre der zurückhaltende Psychiater Don Richards, der durch Susans Sendung in den Fall verwickelt wird und ein starkes persönlichen Interesse an der Aufklärung zu haben scheint und immer wieder seine Mithilfe anbietet. Der zweite Mann, der in Susans Leben tritt, ist der gutaussehende und charmante Alex Wright, der die Gefühle der Psychologin mehr beeinflusst, als ihr lieb ist. Eine wichtige Rolle spielt auch der schmierige Anwalt Douglas Layton, dem Susan nicht über den Weg traut.

_Konstruierte Tätersuche_

Wie in jedem Mary-Higgins-Clark-Roman ist die Autorin bemüht, den Täter so lange wie möglich geheim zu halten und den Verdacht parallel auf mehrere Personen zu schwenken. Für diese Taktik bedient sie sich gerne Cliffhangern, die sie am Ende eines Kapitels einsetzt. Meist fallen diese Cliffhanger in Form von doppeldeutigen Äußerungen einer Figur, die man sowohl als harmlose Bemerkung als auch als Täterschaft deuten kann. Dieses Prinzip verliert leider nach mehrmaliger Anwendung seine Wirkung, weil allzu offensichtlich ist, dass bestimmte Sätze nur fallen, um eine Person in verdächtiges Licht zu setzen. Auch der Rest der Handlung leidet unter auffälligen Konstruktionen, die das gesunde Maß zuweilen übersteigen. Das zeigt sich vor allen an den vielen Zufällen, die in Susan Chandlers Mörderjagd mit hineinspielen. Dabei sticht vor allem heraus, wie leicht es zu sein scheint, Zeugen und Hinweise für den Mörder von Regina Clausen zu finden.

Den Anfang macht die hellseherische Begabung einer Freundin des Beinah-Opfers Carolyn Wells, die sich als anonyme Anruferin in Susans Sendung mit einbringt. Eine kurze Berührung des Rings verrät ihrer Freundin, dass eine tödliche Bedrohung dahinter lauert. Darüberhinaus spielt diese Begabung keine weitere Rolle. Somit bleibt sie billige Effekthascherei, um die Beteiligten für das drohende Unheil zu sensibilisieren. Ein weiterer Griff in die Zufallskiste ist auch die spätere Meldung einer junge Frau, die den Täter damals im Laden beim Ringekauf beobachtet hat. Anschließend kommt noch der Ladenbesitzer selbst ins Spiel, der sich über die Jahre hinweg Aussehen und Namen des Kunden gemerkt hat. Das ist wenig plausibel, wenn man bedenkt, dass die gekauften Ringe weder wert-, noch schmuckvoll sind und der Käufer nur alle paar Monate in den Laden kam. Noch unglaubwürdiger wird es dann, als der Besitzer des Sexshops gegenüber den Kunden als verdächtig einstuft, obwohl er selbst nie etwas mit ihm zu tun hatte. Den Höhepunkt der Konstruktionen erreicht die Handlung aber an der Stelle, an der Susan entdeckt, dass der Mörder bei seinen wechselnden Identitäten stets den gleichen Vornamen an erster oder zweiter Stelle einbaut. Allein die Tatsache, dass der Täter dadurch mutwillig seine Entdeckung riskiert, macht sein Vorgehen unwahrscheinlich und die Entlarvung für den Leser unerfreulich einfach.

Ein weiteres Manko des Romans ist die fast hundertprozentige Gewissheit, dass den Leser am Ende ein mehr oder weniger glücklicher Ausgang erwartet. In keinem der etwa fünfzehn Mary-Higgins-Clark-Romane, die ich bislang gelesen habe, wird auf ein Happyend verzichtet, wenn der Schluss auch nicht zwangsläufig unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ steht. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Protagonistin bei ihren Ermittlungen selbst ums Leben kommt, ist dementsprechend gering. Umso wichtiger wäre es in dem Fall, die Zwischenhandlung vom üblichen Einheitsbrei abzuheben, wenn schon die Frage, ob der Täter letztlich gefasst wird, nicht mehr aufgeworfen wird. Die ganz große Spannung bleibt somit aus, da man nicht wirklich um den guten Ausgang der Geschichte bangt, sondern sich in der Gewissheit sonnt, dass alles sein gerechtes Ende nimmt.

Nicht weiter tragisch, aber etwas unglücklich ist der deutsche Titel, der viel zu belanglos daherkommt und kaum dafür geschaffen ist, sich dem Leser einzuprägen. „Nimm dich in acht“ ist eine Plattitüde, die auf so ziemlich jeden Psychothriller passt und als Titelwahl ausgesprochen lieblos und nichts sagend daherkommt. Passend ist dagegen der Originaltiel „You belong to me“, der zwar auf den ersten Blick ebenfalls belanglos zu sein scheint, aber wenigstens Bezug auf den Roman nimmt, indem er die Gravur des mörderischen Ringes aufgreift. Eine unveränderte Übersetzung nach „Du gehörst (zu) mir“ ins Deutsche wäre an dieser Stelle angebracht gewesen.

_Lockere Unterhaltung_

Trotz dieser Schwachpunkte bleibt unterm Strich ein solider Thriller, der dank seiner lockeren und flüssigen Sprache zwei bis drei Tage unterhaltsames Lesevergnügen bietet. Der Stil der Autorin gleitet munter dahin, ohne an den Leser besondere Anforderungen zu stellen. Es ist das ideale Buch, das man sich abends im Bett genehmigt, wenn man für anspruchsvollere Lektüre bereits zu müde ist. Es ist das ideale Buch, das man auf eine lange Zugfahrt oder mit ins Wartezimmer nimmt. Es ist das ideale Buch, das man trotz glühender Hitze am Strand aufschlägt. Die Sätze sind weder kompliziert noch übermäßig lang, es fallen keine Fremdwörter. Aufgrund der weiblichen Hauptfigur werden sich vor allem Frauen zur Zielgruppe zählen. Aber auch Jugendliche, die erste Thrillererfahrung sammeln wollen, sind mit diesem Roman gut bedient. Sogar zartbesaitete Leser mit empfindlichen Mägen dürfen sich ruhig an die Lektüre wagen, denn obwohl Mrs. Clark im Thrillermilieu zuhause ist, finden sich hier wie in den meisten anderen Werken nur wenige blutige Szenen.

_Fazit:_ Ein leicht verdaulicher Thriller, der vor allem von seiner sympathischen Protagonistin und dem Rätselraten um den Täter lebt. Der solide Gesamteindruck wird leider durch die übertrieben konstruiert verlaufende Mördersuche und die vielen Zufälle, die der Ermittlerin in die Hände spielen, geschmälert. Dank des einfachen und unkomplizierten Stils bleibt ein relativ spannender Roman ohne blutige oder schockierende Szenen, der sich leicht und locker in wenigen Tagen herunterliest.

_Mary Higgins Clark_, geboren 1929, zählt zu den erfolgreichsten Thrillerautorinnen der Welt. 1975 erschien ihr erster Thriller „Wintersturm“, der zum Bestseller avancierte. Seitdem verfasste sie Dutzende von Krimi- und Thrillerromanen, die regelmäßig die Spitzenplätze der Bestsellerlisten belegen.

John D. MacDonald – Abschied in Dunkelblau [Travis McGee 1]

Bootseigner Travis McGee fahndet für eine betrogene Frau nach dem gestohlenen Familienerbe. Er gerät an einen mörderischen Heiratsschwindler, der es gar nicht schätzt, dass ihm jemand die Tour vermasselt, und soll auf dem Grund des Ozeans enden … – Der erste Band einer insgesamt 21-bändige Serie ist ein solide geplotteter Thriller und einem reizvoll angeknacksten Helden, der eigentlich ein Ritter und stets bereit ist, schönen Frauen zu helfen; leider neigt McGee zum Philosophieren, und was einst beinahe Literaturqualität erreichte, klingt heute platt und peinlich: ein zwiespältiges, immerhin endlich ungekürztes Vergnügen.
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Max Allan Collins – CSI Las Vegas: Das Versprechen

In Las Vegas treibt wieder ein Serienkiller sein blutiges Unwesen. Das CSI-Team um Gil Grissom tappt (zu) lange im Dunkeln, weshalb sich die Leichen häufen. Schließlich taucht ein zweiter Mörder auf, der dem ersten als ‚Vorbild‘ diente, und metzelt sich empört durch die Wüstenstadt, um den frechen Nachahmer zu strafen … – Mittelmäßiger, aber routiniert geschriebener und flott zu lesender Roman zur erfolgreichen TV-Serie „CSI Las Vegas“, der den Ton der Vorlage vorzüglich trifft. Für Fans daher ein Muss, doch auch für ‚normale‘ Krimileser taugliche Lektüre. Max Allan Collins – CSI Las Vegas: Das Versprechen weiterlesen

Remes, Ilkka – Ewige Nacht

Ilkka Remes ist der meistgelesene Autor in Finnland. Sein Name ist Garant für hochkarätige Spannungsliteratur von internationalem Format. Mit „Ewige Nacht“ erscheint nun erstmals ein Thriller von ihm in Deutschland.

Remes wurde 1962 im südostfinnischen Seengebiet geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften in London und war in Finnland und im Ausland im Medienbereich tätig. Remes‘ erster Thriller „Pääkallokehrääja“ („Der Totenkopffalter“, 1997) wurde auf Anhieb zum Bestseller. Seiher setzen sich seine Bücher regelmäßig an die Spitzen der Verkaufslisten.

_Story_

Als Anführer der militanten Öko-Organisation G1 arbeitet der deutsche Ralf Denk, der Sohn der RAF-Agentin Renate Kohler, schon lange an einem großen Plan. Nach dem Scheitern bei einer Demonstration in Genua muss er sein geheimnisvolles Vorhaben mit seiner neuen Komplizin Noora für eine Weile aufschieben. Zwei Jahre später scheint dann der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein. Er überfällt einen Geldtransporter auf dem Weg von Finnland nach Russland und trifft sich anschließend in einem Wald hinter der Grenze mit zwei russischen Komplizen, die ihm eine Kernladung besorgt haben. Denk tötet die beiden ‚Freunde‘ noch vor Ort und macht sich mit dem Sprengkörper wieder zurück auf den Weg nach Finnland. Den Fahrer des Transports bringt er aus Sicherheitsgründen nach dem erneuten Passieren der Grenze ebenfalls um.

Als die finnische Polizei von dem brutalen Raubmord erfährt, setzt sie den beleibten Terror-Spezialisten Timo Nortamo auf die Sache an. Nortamo ist Mitglied einer europäischen Spezialeinheit, die insgeheim auch als die modernere Version von Interpol gilt. Als er sich zusammen mit seinem Sohn in die Wahlheimat Brüssel begibt, soll er auf der Fähre nach Travemünde die dort befindlichen Gangster observieren. Doch sein Sohn, der vom mysteriösen Gerede seines Vaters fasziniert ist, vermasselt die Sache, indem er zu offensichtlich in der Nähe der Globalisierungsgegner herumschnüffelt. Timo und sein Sohn Aaro werden von Denk kurzerhand außer Gefecht gesetzt, und dieser weiß nun, dass man ihm auf der Spur ist.

Denk und seinen Helfern gelingt es schließlich zu fliehen, doch schon bald wieder taucht er wieder auf: erst als Entführer der Agentin Heidi Klötz, die mit ihrem unvorsichtigen Vorgehen den Selbstmord von Ralfs Bruder Theo einleitet, und dann in den Gemächern des Papstes, den er mit einem unentdeckten Virus, einer Mutation von Ebola, infiziert, um so ein Exempel zu statuieren. Doch die Motive seines Verbrechens bleiben weiterhin unklar, und erst als Timo und die TERA mit weltweiter Unterstützung mehr über die Vergangenheit von Ralf Denk in Erfahrung bringen, wird ihnen klar, welchen Plan Denk mit der gestohlenen Atombombe umsetzen möchte. In kürzester Zeit reist Timo Nortamo um die halbe Welt bis in den Kongo, der ehemaligen belgischen Kolonie, die sich laut eines frühen Bekennerschreibens von Denk als perfekter Zündort für die Bombe eignet. Für den Sicherheitsexperten Nortamo beginnt ein schonungsloser Wettlauf gegen die Zeit, der im weiteren Verlauf noch Wahrheiten ans Tageslicht bringen soll, die Timo sich nicht einmal in seinen grausamsten Träumen hätte vorstellen können …

_Meine Meinung_

„Ewige Nacht“ beginnt wie ein ganz normaler Krimi, der sich lediglich von anderen Sparten-Romanen darin unterscheidet, dass die Ermittlungen sich auf internationales Gebiet erstrecken. Ansonsten ist alles wie gehabt: Ein Geldtransport wird ausgeraubt, die Täter flüchten und die Polizei jagt ihnen her. Da Ilkka Remes zugleich auch noch von Anfang an beide Seiten schildert und man die Verbrecher noch vor dem eigentlichen Helden kennen lernt, ist die Befürchtung, dass die Spannung hierunter leiden wird, zunächst recht groß – aber das erweist sich zum Glück als Irrtum!

Schon nach kurzer Zeit stellt sich nämlich heraus, wie komplex die Geschichte eigentlich ist bzw. was Remes alles bedacht hat, um die Handlung mit immer neuen Wendungen zu versehen und so die Spannung ins Unermessliche zu steigern. Die große Frage nach dem ‚Warum‘ steht fortan im Vordergrund, und da holt der Wirtschaftsexperte Remes auch immer weiter aus. Im Mittelpunkt steht dabei das Land Belgien und dessen militante Vergangenheit während der Kolonialzeit. Ständig blickt der Autor in die grausame Zeit von König Leopold II. zurück, der damals gegen jegliche Menschenrecht verstieß, gegen die man nur verstoßen konnte, das Land beraubte und seine Menschen versklavte. Über diese landeseigene Geschichte entwickelt sich auch schließlich immer mehr das Verständis für das Handeln der Globalisierungsgegner. Denk, selber in Afrika aufgewachsen, hat lange Jahre als Molekularbiologe gearbeitet und sich dabei vor allem mit der Wirkung verschiedener Viren auseinandergesetzt. Auch im Bereich von Bio-Waffen kennt sich der Mann bestens aus, was ihm in den Achtzigern verschiedene Verbindungen in die Sowjetunion eingebracht hat, wo man damals schon mit einzelnen Bio-Waffen experimentierte. Schließlich hat man dort eine Waffe entwickelt, mit deren Hilfe gezielt bestimmte Rassen und Arten komplett ausgelöscht werden konnten. Dieses Wissen hat sich der Mann schließlich zur Hilfe gemacht, um seinen grausamen Plan in die Wirklichkeit umzusetzen. Nach zähem Hin und Her gehen die Ermittler daher auch davon aus, dass Denk mit der dem Papst injizierten Krankheit die gesamte kaukasische Rasse auslöschen und die Atombombe quasi als ‚Verteiler‘ nutzen möchte.

Doch wie passt dies in die Logik dieses Menschen? Warum sollte er ausgerechnet im Kongo eine Bombe zünden, die durch die nukleare Detonation wohl auch einen großen Teil der geliebten afrikanischen Bevölkerung töten würde? Dieses für die Ermittler wie Leser absonderliche Rätsel ist das Hauptmotiv des Romans und wird auch erst am Schluss gelüftet. Ebenso dauert es auch bis zum Ende, bis man die komplexen Verstrickungen der Vergangenheit der G1 durchschaut hat. Hierbei zeichnet sich Remes vor allem durch umfassendes Wissen in Bezug auf die Hintergründe der Herrschaft von König Leopold II. im Kongo aus und glänzt auch mit sehr vielen Fakten aus der Zeit des kalten Krieges bis hin zum Ende der Sowjetunion. Der Autor weiß, wovon er spricht und bindet reichlich Faktenwissen in die Story ein; lediglich die Figur des Papstes und natürlich die Akteure des Romans bleibt fiktiv, ansonsten orientiert sich Ilkka Remes an der aktuellen Politik mitsamt ihrem Kampf gegen das weltweite Terrornetzwerk.

Und was kann schon förderlicher sein als treffend angebrachtes, fundiertes Hintergrundwissen, wenn man die Intention hat, eine Story an die Realität anknüpfen und so authentisch wie möglich erscheinen zu lassen? Im Falle von „Ewige Nacht“ zeigt sich dies jedenfalls als äußerst wertvoll und kreiert aus dem ohnehin schon sehr lebendigen Werk einen mitreißenden Roman.

Andererseits hat Remes aber auch eine ganze Menge Gesellschatskritik hineingepackt. Gerade das durch die Kindermord-Skandale geplagte Belgien kommt in der Geschichte nicht sehr gut weg, denn der Autor bezieht schon sehr klar Strellung zu der menschenverachtenden Vergangenheit des Landes. Alleine deswegen weiß man im Laufe des Buches auch nie so recht, welche Position man nun einnehmen soll: Sowohl die Globalisierungsgegner um ihren Kopf Ralf Denk als auch die Ermittler der Terrororganisation kann man verstehen, wobei die Brutalität, mit der die G1 vorgeht, natürlich bei der Entscheidung zugunsten Nortamos und der TERA hilft. Aber ein nicht gerade kleines Fünkchen Wahrheit steckt schon in den Überlegungen des G1-Anführers, und darüber lohnt es sich auch über den Roman hinaus nachzudenken.

Das letzte wichtige Kriterium sind die zwischenmenschlichen Beziehungen in diesem Thriller. Da wäre zum einen die schüchterne Noora, die Denk blind folgt und ihm immer wieder vertraut, obwohl sie gar nicht weiß, welche Ziele er genau verfolgt. Doch sie lässt sich von dessen schicksalhafter Vergangenheit blenden und wird so leicht zum Spielball des Öko-Verfechters, der selbst vor unnötigen Mordanschlägen nicht Halt macht. Als sie ihm jedoch endlich in die Karten schaut, ist es bereits zu spät …

Auf der anderen Seite steht dann Timo Nortamo, der genau wie seine Frau ein absoluter Karrieremensch ist, dies aber bisweilen immer wieder bitter bereut. Sein Sohn kommt viel zu kurz und die Beziehung zu seiner Frau Soile leidet ebenfalls darunter, dass sich die beiden so selten sehen. Gerade als er sich vorgenommen hat, seinem Sohn in Brüssel etwas mehr Zeit zu schenken, wird er zu den Ermittlungen im Falle ‚Denk‘ abgestellt und muss feststellen, dass sich sein Beruf und seine Rolle als Vater einfach nicht vereinbaren lassen.

Tragische Helden, eine bittere Vergangenheit und eine ungewisse Zukunft – Ilkka Remes hat in seinem aktuellen Thriller eine perfekt abgestimmte, sehr wechselhafte und sich stetig wendende Geschichte erschaffen, die uns auch im Nachhinein noch zu fesseln vermag und auch einigen Grund zum Nachdenken gibt. Beim Gedanken an den letzten Satz eines jeden Kapitels bekomme ich jetzt noch immer eine Gänsehaut, und damit hat der finnische Star-Autor wohl auch sein Ziel erreicht. „Ewige Nacht“ ist einer der spannendsten Romane, die zurzeit auf dem Markt sind, und führt hoffentlich dazu, dass auch die übrigen Romane von Remes in deutscher Sprache veröffentlicht werden. Mein Fazit: Unbedingt empfehlenswert!

Ian Fleming – James Bond 007: Leben und sterben lassen

Das geschieht:

Buonaparte Ignace Gallia, genannt „Mr. Big“, ist der farbige Al Capone von New York. In Afrika geboren und auf Haiti aufgewachsen, hat sich der charismatische Mann zum Herrn der Unterwelt aufgeschwungen. Handlanger findet er unter der schwarzen Bevölkerung, die er sich mit Terror und Schwarzer Magie gefügig macht. Die Behörden blieben bisher machtlos, aber jetzt mischt sich der Geheimdienst ein: Mr. Big verdingt sich als Agent der Sowjetunion und lässt seine Organisation für die roten Feinde der freien Welt arbeiten.

Außerdem hat Mr. Big, der auch in der Karibik einen Stützpunkt unterhält, auf der Insel Jamaica offenbar den Schatz des Piratenkapitäns Morgan gefunden. Große Mengen wertvoller Goldmünzen aus dem 18. Jahrhundert tauchen seit einiger Zeit in den USA auf; ihr Verkauf mehrt das Kapital, das Mr. Big zur Agitation gegen den Westen einsetzen kann. Ian Fleming – James Bond 007: Leben und sterben lassen weiterlesen

Lawrence, David – Kreis der Toten, Der

|“Vier Menschen sitzen im Kreis –
Zwei Frauen und zwei Männer.
Alle blicken nach innen, alle sind leicht vorgebeugt,
als starrten sie etwas an, das in der Mitte des Kreises liegt.
Alle vier sind tot.“|

Detective Stella Mooney ermittelt in einem der seltsamsten Fälle ihrer Laufbahn. Was hat die vier älteren Menschen dazu getrieben, sich selbst umzubringen? War es etwa ein ritueler Selbstmord, der von einer geheimen Sekte befehligt wurde? War es überhaupt ein groß angelegter Suizid? Und wer waren diese vier Menschen überhaupt?

Stella arbeitet in einem der zwielichtigsten Viertel von London, nämlich in Notting Hill, einerseits ein bekanntes Mode-Viertel, in dem sich die extravagantesten Menschen herumtreiben, andererseits aber auch ein sozialer Brennpunkt mit einer großen Drogenszene und der wohl stadtintern höchsten Prostitutionsrate. Und in die letztgenannte Szene ist Mooney, so stellt sich alsbald heraus, anscheinend hineingeraten. Die erste Spur führt sie nämlich in die Welt eines der entdeckten Opfer, eines gewissen Jimmy Stone, der sich sein täglich Brot mit dem Verkauf von Erinnerungsstücken blutiger Mordanschläge verdiente. Er ist auch der Einzige in der Gruppe, der offensichtlich durch einen Fremdeingriff ermordet wurde, so dass sein Umfeld als Erstes überprüft wird. Monney findet heraus, dass Stone nicht nur mit obskuren Gegenständen handelte, sondern auch für die Gangsterfamilie Tanner arbeitete. Offensichtlich hat er sich deren Unmut zugezogen und wurde so zum gefährdeten Spielball der Mafiosi.

Die Vermutung eines rituellen Selbstmords hat Stella Mooney derweil völlig abgelegt, denn immer tiefer führt sie die Spur in die Londoner Unterwelt und schließlich auch bis zu besagter Gangsterfamilie. Doch die Polizei scheint machtlos gegen das organisierte Kriminalunternehmen, das scheinbar überall seine Finger im Spiel hat. Einen Mord konnte man den offensichtlichen Verbrechern jedoch noch nicht nachweisen, bis nun die Leiche von Stone aufgetaucht ist. Mooney und ihr neuer Gehilfe John Delany, der eigentlich nur als Journalist an dem seltsamen Fall interessiert war, suchen nun nach Beweisen, um die kompromisslose Familie wegen ihres neuesten Opfers endlich hinter Gitter zu bringen und den Machenschaften des Tanner-Konzerns endgültig ein Ende zu setzen – aber ihre Gegner kennen keine Gnade …

Der Titel und auch die Beschreibung auf dem Backcover von „Der Kreis der Toten“ sind sehr kryptisch. Vermutet man nämlich hier einen zeitgemäßen Psychothriller mit scheinbar religiösem Hintergrund, stellt sich bereits nach wenigen Seiten heraus, dass es sich bei dem Fall um einen ‚ganz normalen‘ Mord handelt, bei dem lediglich die Hintergründe ein wenig verzwickter sind. Das soll nun nicht falsch verstanden werden, denn dies mindert die Qualität des Inhalts keineswegs. Einigen wir uns also darauf, dass das von David Lawrence bereits 2002 veröffentlichte Buch eher eine Mischung aus Mafia-Thriller und Kriminalroman ist.

Vom Inhalt her ist die Geschichte aber wirklich sehr intensiv und auch vielschichtig dargestellt. David Lawrence hat nämlich ganz nebenher auch noch ein detailliertes Bild über die gesellschaftlichen Unterschiede und die dadurch entstehenden Randgruppen, die auch das moderne London bevölkern, gezeichnet, bei dem er vor allem dem organisierten Verbrechen sein Hauptaugenmerk schenkt. Lawrence erzählt von Menschenhandel, Prostitution, Mord und dem nackten Kampf ums Überleben und untermalt seinen fiktiven Text hierbei mit einem durchaus authentischen Rahmen, der einerseits erschreckend wirkt, der düsteren, beklemmenden Atmosphäre des Buches aber sehr zugute kommt. Besonders dramatisch ist diesbezüglich die Darstellung der bosnischen Nutte Zuhra Hadžic, die bei ihrer Flucht aus dem heimischen Kriegsgebiet, in dem ihre Eltern vor ihren Augen brutal ermordet wurden, Menschenhändlern auf den Leim geht und schließlich auch im Netz des Tanner-Clans landet.

Die zunächst erhoffte Sicherheit in einem fremden Land entpuppt sich für das Mädchen als Schein, und bevor es sich versieht, hat es sie in London noch schlimmer angetroffen als im Land des Bürgerkriegs. Unter Aufsicht der Handlanger der Tanners führt sie als Prostituierte ein menschenunwürdiges Leben, das sie wahrscheinlich nur noch durch ihren Tod mit Stolz erfüllen kann. Doch mit dem jüngsten Mord ergibt sich für sie eine unerwartete – und sicherlich die einzige – Chance, ihrem brutalen Schicksal zu entkommen und trotz ihrer grausamen Geschichte endlich Frieden zu finden. Doch Zuhra ist ängstlich, weil sie weiß, dass ein falscher Schritt von den Tanners sofort mit ihrem letzten verbliebenen Gut, dem Leben, bezahlt wird. Und genau diese Angst beschreibt Lawrence wirklich sehr schön, wenngleich er sich nie zu konzentriert diesem Thema widmet. Stattdessen meistert er dies über die teils sehr emotionslose Darstellung der Londoner Unterwelt und ihrer Gefangenen, die ihm schließlich im Falle des bosnischen Mädchens am besten gelungen ist.

Die Kriminalgeschichte profitiert somit auch ständig von diesen gelungenen Portraits und schreitet in ziemlich flottem Tempo voran. Gleichzeitig fällt es auch nicht schwer, in die Geschichte hineinzufinden, denn der Autor steigt sofort beim Mordszenario und dem Totenkreis ein und kommt auch mit der Vorstellung der Hauptcharaktere zügig auf den Punkt. Insgesamt hat Lawrence so eine nahezu perfekte Mischung aus gehörigem Erzähltempo, bedrohlich-authentischer Atmosphäre, starken Charakterzeichnungen und toller Story gefunden, die zwischendurch mit zahlreichen Höhepunkten aufwarten kann und darüber hinaus auch bis zum Ende spannend bleibt.

Unterm Strich ergibt das einen fabelhaften Kriminalroman, der mittendrin teilweise sehr hart ist (Lawrence beschreibt die Gewaltexzesse ziemlich ausführlich), sprachlich sehr eigenwillig erscheint und nicht selten zutiefst unter die Haut geht. Mit diesem Debütwerk hat sich der Autor direkt in die Liste der besten seines Faches eingereiht, daher auch eine ganz klare Empfehlung für „Der Kreis der Toten“.

Remin, Nicolas – Schnee in Venedig

Auf den venezianischen Spuren einer Donna Leon wandelt nun in seinem Erstlingsroman auch der studierte Literaturwissenschaftler und Philosoph Nicolas Remin, der mit „Schnee in Venedig“ einen lesenswerten Roman mit nur einigen kleinen Schönheitsfehlern vorgelegt hat. Manch einer mag ihm vorwerfen, dass er auf etwas zu viele klischeebesetzte Figuren zurückgegriffen hat, doch jede Leserin, die schon jetzt den weihnachtlichen Ausstrahlungen der zuckersüßen Sissi-Filme entgegenfiebert, wird sich über das Wiedersehen mit der Kaiserin von Österreich in diesem Buch sehr freuen und Remin ein paar Fehlgriffe mehr verzeihen als der strenge männliche Leser.

Zunächst startet „Schnee in Venedig“ mit einem Prolog, welcher im Jahre 1849 spielt und sehr lange nicht in den Zusammenhang mit der restlichen Romanhandlung gebracht werden kann und daher vielleicht etwas zu schnell in Vergessenheit gerät. Schon auf Seite 13 springen wir ins Jahr 1862 und begleiten Emilia Farsetti auf ihrem Weg zur Arbeit, der sie zur |Erzherzog Sigmund| – einem Österreichischen Raddampfer – führt. Dort entdeckt sie in Kabine 4 zwei Leichen und lässt unüberlegt einige Dokumente verschwinden, was sie später noch bereuen wird. Hofrat Hummelhauser aus Wien wird mit zwei Schusswunden aufgefunden, eine unbekannte junge Dame neben ihm wurde erwürgt und in den Hals gebissen. Der Fund wirft viele Fragen auf, denn wer ist die unbekannte Dame, die nicht auf der Passagierliste steht, und welche Dokumente hat Emilia Farsetti an sich genommen?

Commissario Tron wird zu dem Fundort hinzugerufen, wo ihm allerdings schnell der Fall von Oberst Pergen wieder entzogen wird, der zu wissen meint, dass diese beiden Morde im Zusammenhang mit einem geplanten Attentat auf die Kaiserin von Österreich stehen. Tron allerdings gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden und forscht auf eigene Faust nach – genau wie Elisabeth von Österreich, die einen Brief ihres Gatten vermisst und nun dem Mord an Hofrat Hummelhauser auf den Grund gehen möchte, da dieser den verloren gegangenen Brief überbringen sollte.

Zeitgleich zu den Vorbereitungen zu einem Maskenball im Palazzo der Trons geschehen weitere Morde, die immer mehr Fragen aufwerfen und Tron in seinem Glauben bestärken, dass Oberst Pergen nicht den wahren Täter gefunden hat.

Nicolas Remin hat sich für seinen Debütroman eine faszinierende Welt ausgesucht, welche den Rahmen zu seiner Kriminalgeschichte bildet. Das verschneite Venedig mit seinen Gondeln und Maskenbällen gepaart mit einer mutigen Elisabeth von Österreich, die uns hier nicht annähernd so zerbrechlich präsentiert wird, wie wir sie aus anderen Erzählungen kennen, ergeben eine interessante Mischung, die zu unterhalten weiß. Als eingefleischter Sissi-Fan muss man sich zunächst an die Wandlung der Elisabeth gewöhnen, doch gewinnt die kaiserliche Figur, die sich nur aufgrund eines fehlenden Briefes ihre eigenen Nachforschungen anstrengt und sich dabei heimlich aus dem Palast stiehlt, schnell an Sympathie.

Es sind die Charaktere in diesem Buch, welche den Reiz ausmachen, denn auch der ärmliche Tron mit seinen berühmten Vorfahren und der exzentrische Polizeichef, der seine Süßigkeiten auf keinen Fall mit anderen teilen und auch beim Mittagessen gefälligst nicht gestört werden möchte, gefallen sehr gut und animieren den Leser zum Schmunzeln. Überhaupt beweist Remin an mancher Stelle einen trefflichen Humor, wenn zum Beispiel eine Leiche ins Wasser geworfen wird und dann festgestellt werden muss, dass sich dummerweise direkt unter der Abwurfstelle ein Boot befindet, welches die Leiche aufgefangen hat. Remin entwirft nicht nur zum Teil skurrile Charaktere, sondern auch manch eine Situation, die mich zum Schmunzeln gebracht hat.

Zwei Handlungsfäden sind es, die sich durch das gesamte Buch ziehen und die Handlung vorantreiben; so begleiten wir auf der einen Seite Commissario Tron bei seinen Ermittlungen, die er nun als Privatmann fortführen muss, und wir werden Zeuge, wie Elisabeth zur Gräfin Hohenembs wird, die sich unerlaubterweise aus dem Palast stiehlt, um ebenfalls herauszufinden, wer hinter dem Mord an Hofrat Hummelhauser steckt. Das Schema zweier paralleler Handlungsstränge ist altbekannt, verwirrend empfand ich allerdings den Zeitsprung, den wir beim Wechsel von einem Schauplatz zum nächsten durchmachen müssen, denn Tron agiert stets in der Vergangenheit, während die Passagen rund um Elisabeth in der Gegenwart verfasst sind. Eventuell mag dies ein geschickter literarischer Kniff sein, für mich bedeutete dieser Wechsel im Zeitverlauf allerdings immer wieder eine Störung im Lesefluss, auf die ich gerne verzichtet hätte.

Dafür überzeugt Remin in anderen Belangen auf ganzer Strecke, seine romantischen und vielfarbigen Beschreibungen des winterlichen Venedigs ermöglicht es seinen Lesern, ganz in diese fremde und faszinierende Welt einzutauchen und das ungemütliche Herbstwetter vor dem eigenen Fenster vollends auszublenden. Ganz nebenbei erfährt man sogar ein klein wenig über venezianische Geschichte und Venedigs Verbindungen zu Österreich. Abgesehen von den Zeitsprüngen empfand ich Remins bildhaften und sympathischen Schreibstil als sehr erfrischend und angenehm, seine Zeilen liest man einfach gerne, sie machen Spaß und unterhalten gut. Diese Pluspunkte auf stilistischer Ebene sorgen dafür, dass man Remin inhaltlich dafür ein paar Schnitzer nachsieht, auch das etwas kitschig anmutende Ende passt ja irgendwo in ein Buch, in welchem Sissi eine Hauptrolle spielt.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Nicolas Remin zwar keinen perfekten Debütroman vorgelegt hat, aber ganz sicher einen unterhaltsamen Kriminalroman, der vielleicht nicht ganz so rasant geschrieben ist wie bei Mankell, der uns dafür aber in eine unglaublich interessante und fremdartige Welt entführt, in die man sehr gerne eintaucht. Nur wenige Dinge trüben ein klein wenig den Lesegenuss, die meiste Zeit aber bereitet dieses Buch einfach nur Freude und macht schon jetzt neugierig auf den im Januar erscheinenden Nachfolger „Venezianische Verlobung“, den ich mir sicher nicht entgehen lassen werde.

George, Elizabeth – Gott schütze dieses Haus

|Jahrhundertelang hat ein Nest im englischen Yorkshire im Dornröschenschlaf verbracht – bis ein brutaler Mord die Spinnweben für alle Bewohner zerreißt. Denn der Dorfpfarrer, Pater Hart, macht eine grauenvolle Entdeckung: William Theys, eines seiner treuesten Schäfchen und hoch angesehenes Gemeindemitglied, liegt enthauptet in seiner Scheune. Neben ihm kauert seine leicht debile neunzehnjährige Tochter, die sagt: „Ich hab’s getan.“ Dann verstummt sie …

Ein Fall für Scotland Yard, das ein höchst ungleiches Team zur Aufklärung des Verbrechens schickt: Inspektor Thomas Lynley, attraktiv, weltmännisch, galant, und seine Mitarbeiterin Barbara Havers, ein hässliches Entlein, das sich neben dem charmanten Lynley noch plumper und unbeholfener vorkommt. In nervenaufreibender Kleinarbeit entwirren die beiden ein dunkles Netz, das die Abgründe hinter einer biederen Fassade von Wohlanständigkeit kaschiert, entlarven eine grausige Wahrheit, die mehr als ein Leben zerstört hat . . .|

„Gott schütze diess Haus“ war mein erster Krimi von Elizabeth George – und sie hat mich sofort „gepackt“, die Affinität zu dieser Autorin, die meisterhaft psychologisch zu erzählen weiß, und das in geschickt verwobenen Handlungssträngen. Geschickt aus dem Grund, dass sich der tatsächliche Mordplot dezent im Hintergrund abspielt und der Krimi dennoch mit einem Cliffhanger aufwartet, der sich lesen lassen kann.

Pater Hart, der Seelsorger des kleines Dorfes in Yorkshire, in dem die Handlung spielt, findet eines Tages den Bauern William Teys erhängt in seiner Scheune vor. Der zweifache, alleinerziehende und sehr religiöse Mann ist ermordet, genauer: enthauptet worden. Seine jüngere, dickliche Tochter Roberta sitzt neben ihm, gesteht den Mord zwar, spricht aber fortan kein einziges Wort mehr.

Inspektor Lynley – ein bei Elizabeth Goerge immer wiederkehrender Charakter – und seine neue – und spröde – Partnerin Barbara Havers, die in den Streifendienst strafversetzt wurde, ermitteln in diesem Fall. Beide gehen zuerst recht misstrauisch miteinander um, von gegenseitigen Vorurteilen geprägt. Barbara hält den adeligen Vorgesetzten für einen Schönling und Frauenheld, Lynley sie wiederum für stur und schwierig. Doch Lynleys schöner Schein trügt, denn auch er hat mit emotionalen Problemen zu kämpfen, da sein bester Freund Simon Lynleys Ex-Verlobte Deborah geheiratet hat, und der Inspektor zu allem Überfluss die beiden am Tatort trifft, wo sie ihre Flitterwochen verbringen.

Schnell wird erkennbar, dass es die Autorin vortrefflich versteht, vielschichtige Charaktere zu erschaffen.
So ist Inspektor Thomas Lynley gutaussehend, erfolgreich im Beruf und bei den Frauen. Er ist intelligent, begütert, charmant, aber er ist auch feinfühlig und verwundbar. Das zeigt sich darin, wie sehr er um die Frau seines Herzens, die er verloren hat, trauert.
Seine neue Partnerin Seargent Barbara Havers hingegen wirkt auf den ersten Blick wie eine unattraktive, unsichere Frau, die von Selbstzweifeln geplagt wird, aber bei genauerem Hinsehen einen glasklaren Verstand besitzt.
Im Laufe des Handlung entwickelt sich zwischen Lynley und ihr so etwas wie Freundschaft, was das einzig Vorhersehbare des Buches ist. Gewürzt wird dieser Plot aber mit der Vergangenheitsbewältigung von Barbara Havers, die mit persönlicher Nähe ihre Probleme hat, und den Spannungen zwischen den beiden konträren Charakteren.

Die beiden nehmen das ganze Dorf unter die Lupe und stoßen bei ihrer Recherche auf einige Hinweise der familiären Vergangenheit des Toten. So befindet sich in dem Haus des Ermordeten eine Art Gedenkschrein für Williams Teys Frau Tessa, eines der Zimmer ist unbewohnt, in einem Fotoalbum sind etliche Bilder, auf denen ein Gesicht fehlt, und Robertas Schwester Gillian, die ihrer Mutter sehr ähnlich sieht, hat im Alter von sechzehn Jahren das Haus verlassen hat.

Das alles wirft Fragen auf, auch nach möglichen Tatmotiven, denn niemand glaubt so recht an Robertas Geständnis. Auch der Neffe des Ermordeten, ein Maler von Keldale, der mit dem Ermordeten in Streit geraten war, ebenso Tessas neuer Mann oder seine älteste Tochter geraten in den Kreis der Verdächtigen.

Der Leser wird von der Autorin mit außerordentliche Raffinesse auf immer wieder neue Fährten in dieser verstrickten Familienstory geschickt, die mit dem überraschenden Ende einen absoluten Höhepunkt präsentiert.

Bei diesem Krimi stimmt einfach alles! Denn wie immer verwischen sich bei Elizabeth George Realität und Fiktion, was gerade dieses Werk so interessant macht. Absolut empfehlenswert!

Clark, Mary Higgins – Mein ist die Stunde der Nacht

_Die Frau, die die Eule erschuf._

Mary Higgins Clark wurde 1928 geboren, und ihre Thriller führen stets die Bestsellerlisten an. So hat sich auch der |Heyne|-Verlag die „Königin der Spannung“ unter den Nagel gerissen, und die meisten ihrer Bücher veröffentlicht, das ZDF hat sich sogar die Filmrechte von zwei Erzählungen und vier Romanen gesichert: „Haben wir uns nicht schon mal gesehen?“, „Schwesterlein, komm tanz mit mir“, „Sieh dich nicht um“, „Dass du ewig denkst an mich“ und „Glückstag“.

Die Irin hat 25 Romane und zwei Bände mit Erzählungen veröffentlicht, auch weiterhin schreibt sie fleißig weiter, ihr großes Ziel ist es, eines Tages die „100-Romane-Barriere“ von Agatha Christie zu knacken.

„Mein ist der Stunde der Nacht“ ist einer dieser Romane und nun erstmals als Taschenbuch erhältlich. Er ist nicht der aktuellste ([„Hab Acht auf meine Schritte“ 1799 ist es), aber das ändert an der Qualität der Story natürlich nichts:

_Der Mörder ist immer der Loser._

Sam Deegan will in Pension gehen, der einzige Fall, der ihn noch an seinen Job fesselt, ist der Mord an Karen Sommers, ein Mord, der ohne erkennbares Motiv stattfand, und ein Mord, den Deegan zwanzig Jahre lang nicht lösen konnte. Am Ende seiner Kräfte entschließt er sich dazu, die Akte zu schließen, bis ihn die Mutter von Karen Sommers bittet, sich um einen weiteren Mordfall zu kümmern: Alison Kendall wurde tot in ihrem Swimmingpool aufgefunden, sie war eine enge Freundin von Jean Sheridan, die ihrerseits eine Freundin von Karen Sommers war.

Mörder ist ein mysteriöser Jemand, der sich selbst die Eule nennt, schon zu Beginn informiert er den Leser über seine Motive, ohne seine Identität zu lüften: Er ist ein weinerlicher Hosenpiesler, der von seinem Vater geschlagen, von seiner Mutter verhöhnt und von niemandem an der Schule ernst genommen wurde. Der Mörder in ihm wurde wach, als ihn eine Gruppe von Klassenkameradinnen verspottete, da er seine Sprechrolle als Eule nicht stotterfrei formulieren konnte: „Ich b-b-bin die Eu-Eule, und l-l-lebe in ei-ei-einem B-Baum …“ Alison Kendall war eine der Frauen, aus dieser Spöttergruppe.

Dieser Mord war sein Auftakt, der Beginn seines Planes, auch noch die letzten beiden Frauen um die Ecke zu bringen, die ihm diese Schmach angetan haben: Laura Wilcox und Jean Sheridan, und das lang geplante Klassentreffen ist die ideale Kulisse für ihn, um seinen Plan zu vollenden.

Und dieses Klassentreffen ist es dann auch, auf dem sich der Thriller abspielt: Ein ganzes Ensemble möglicher Täter trifft dort zusammen, jeder von ihnen könnte der ehemalige Loser sein, der den beiden Frauen an den Kragen will: Da wäre Carter Stewart, ein bösartiger und scharfzüngiger Dramaturg, der sich mit seinen rabenschwarzen Stücken aus der Unterschicht schreiben konnte; Robby Brent, der ungeliebte Sohn und unbegabte Schüler, der sich zum Komiker gemausert hatte und nichts mehr liebt, als Schläge unter der Gürtellinie zu verteilen; Gordon Amory, erfolgreicher Fernsehproduzent, der sich durch plastische Chirurgie seiner körperlichen Unzulänglichkeiten entledigt hat; Mark Fleischman, berühmter TV-Psychiater, dem nachgesagt wurde, seinen beliebten Bruder getötet zu haben; und Jack Emerson, ein reicher Immobilienmakler, der noch immer darunter leidet, dass ihn die schöne Laura Wilcox seinerzeit abgewiesen hatte.

Jean Sheridan ist die Erste, die die Drohung der Eule zu spüren bekommt, aber schließlich ist es Laura Wilcox, die verschwindet …

_Puzzle-Krimi´s Paradise._

Mary Higgins Clark steht nicht nur in dem Ruf, die Königin der Spannung zu sein, man sagt ihr außerdem nach, dass es ihre Spezialität sei, falsche Fährten zu legen und den Leser in die Irre zu führen. Eines jedenfalls stimmt: Sie ist eine Meisterin der Andeutung. An jedem Teilnehmer des Klassentreffen zeigt sie Verdächtiges auf, stupst den Leser an, in eine bestimmte Richtung zu denken, nur um dann woanders ein Verhalten zu zeigen, das noch viel verdächtiger wirkt. Überall sind Spuren; immer wenn man glaubt, den Täter zu kennen, oder wenn man annimmt, dass Clark zu viel verraten hat, bekommt man schon den nächsten Brocken an den Kopf geknallt.

Clark zeichnet dabei den Hintergrund der Figuren als klug verwobenes Patchwork: Manche Szenen werden aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt; zwar werden dadurch einige Ereignisse mehrmals rückgeblendet, aber sie macht das so geschickt, dass die Rückblende weitere Feinheiten aufdeckt, und ganz nebenbei die „rückblendende“ Figur durch ihren Standpunkt mitcharakterisiert.

Eine besondere Rolle hat dabei Jake Perkins inne: Er ist Schüler der Stonecroft Academy, und interessiert sich brennend für das Phänomen der dezimierten Frauenrunde. Er möchte unbedingt einen Artikel darüber verfassen und kennt keine Skrupel dabei, sich Informationen zu verschaffen. Für den Leser ist Perkins ein Quell unbequemer Informationen über die Besucher des Klassentreffens, er stochert überall hinein und trägt einiges dazu bei, den Leser zu erhellen (und ihn dabei natürlich weiterhin auf falsche Fährten zu locken).

Jedenfalls spitzen sich die Konflikte bis zum Ende hin zu, der finale Showdown bleibt nicht aus und Clark zieht die Spannungsschraube ständig an – erst auf den letzten Seiten lüftet sich, wer die Eule tatsächlich ist.

_Schmackhaftes Thriller Fast Food._

„Mein ist die Stunde der Nacht“ bietet all die Zutaten, die einen Thrillersüchtigen zum Nägelkauen verleiten: Ein Puzzle aus Verdächtigen und Informationen, die sich nach und nach aneinander reihen, dazu Konflikte, Bedrohungen für die Protagonisten und eine Atmosphäre aus Angst und Misstrauen.

Clark hat hier wirklich solide Arbeit geleistet und unterhält bis zum Schluss, die Story steht nie still und löst am Ende alle Fragen. Um auf ihre Fähigkeiten als Fährtenlegerin zurückzukommen: Ja, sie schafft es, den Leser zu irritieren, aber sie bedient sich dabei einiger unlauterer Tricks. Clark lässt ihre Figuren Dinge tun, die nur dazu dienen, um sie verdächtig zu machen. Nicht selten handeln Figuren nach einer Art, die nicht der ihren entspricht, manchmal sogar haben diese Handlungen nicht den geringsten Sinn – außer eben den, den Leser zu irritieren.

Das wiederum hat zur Folge, dass man irgendwann aufgibt, das Rätsel selbst knacken zu wollen. Man lehnt sich zurück und lässt sich passiv durch die Geschichte treiben: Aha, jetzt soll dieser verdächtig erscheinen, oho, jetzt ist es jener.

Trotzdem. „Mein ist die Stunde der Nacht“ ist bis zum Schluss spannend und unterhaltsam, es liest sich flüssig, hat keine Längen und wurde geschickt konstruiert. Ein Thriller-Imbiss für zwischendurch, schmackhaft und sättigend, aber sobald man ihn vertilgt hat, wird man ihn vergessen. Da kann man nur noch guten Appetit wünschen.

Holt, Anne – Was niemals geschah

Man könnte ja manchmal denken, diese ganzen Erfolgsautoren seien alle in den letzten zwei, drei Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen, doch das stimmt natürlich nicht. Die ersten Krimis von Anne Holt sind schon Mitte der Neunziger bei |btb| erschienen, allerdings galt die norwegische Ex-Justizministerin damals noch als Geheimtipp. Inzwischen hat die lesbische Kommissarin Hanne Wilhelmsen sieben Fälle gelöst und sich damit eine beträchtliche Fangemeinde erobert.

Die zweite Krimiserie von Anne Holt dreht sich um den Kommissar Yngvar Stubø und seine Frau, die Profilerin Inger Johanne Vik. „In kalter Absicht“ haben sie ihren ersten Fall miteinander gelöst, „Was niemals geschah“ ist der zweite Fall mit diesem ungewöhnlichen Doppel.

_Eine Mordserie, die sich zu wiederholen scheint_

Stubø ist gerade im Vaterschaftsurlaub, Inger Johanne noch im Mutterschutz. Eigentlich wollen beide mit dem Fall nichts zu tun haben, den Stubøs Kollegen recht schnell an ihn herantragen. Doch die Neugier siegt und schließlich auch die Zeit, die verrinnt, bis Stubø wieder seinen Dienst antreten muss und der Fall noch immer mehr Fragen aufwirft als dass irgendwelchen Spuren nachgegangen werden könnte.

Mehr noch, bei dem Mörder scheint es sich um einen Serientäter zu handeln, der sich auf prominente Opfer spezialisiert hat, eine Mordserie, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Stets hinterlässt der Mörder eine Botschaft des Schreckens: Da wird der beliebten Fernsehmoderatorin die Zunge herausgetrennt und mit einem Skalpell gespalten. Sie sollte wohl ganz offenkundig posthum als Lügnerin enttarnt werden. Da wird eine aufstrebende rechtspopulistische Politikerin in kompromittierender Stellung mit dem Koran zwischen den Beinen aufgefunden. Ein religiöser Fanatiker also?

Nachdem Stubo und seine Kollegen eine Weile im Dunkeln tappen, findet die eigentlich nicht direkt an den Ermittlungen beteiligte Psychologin Inger Johanne eine entscheidende Spur – in ihrer eigenen beruflichen Vergangenheit beim FBI, über die sie bisher auch Yngvar gegenüber ein großes Geheimnis gemacht hat. Es scheint, als hätte es diese Mordserie schon einmal gegeben – kann es Zufall sein?

_Anne Holt at her best!_

Mehr sollte man auf keinen Fall verraten, um nicht die vielen überraschenden Wendungen vorwegzunehmen, die dieser Krimi in sich birgt. Wenn man erst mal angefangen hat, ist es unmöglich, ihn aus der Hand zu legen, und nebst atemberaubender Spannung schreibt die Autorin auf erfreulich hohem Niveau.

Der Fall ist außergewöhnlich und recht „konstruiert“, denn der Mörder inszeniert diese Morde ja förmlich, dazu noch ermordet er Menschen, die ohnehin im Rampenlicht stehen. Dennoch bleibt der Fall bis zum Ende schlüssig. Und das Ende selbst ist so klasse, dass man sich eigentlich gar keine Fortsetzung wünschen würde, allerdings muss ich zugeben, dass mich die beiden sympathischen Anti-Helden glatt zu einer Serienleserin machen könnten.

Die Eheleute Vik und Stubø haben kein einfaches Leben miteinander. Sie haben ihre Macken und ihre Vorgeschichte, was sie glaubwürdig und menschlich macht. Beide schleppen regelrechte Traumata aus ihrer Vergangenheit mit sich herum, doch während Stubø im Familienalltag langsam wieder Fuß fasst, fühlt sich Inger Johanne durch ihre etwas schwierige Tochter Kristiane und den Säugling stark belastet. Die beiden streiten, diskutieren, wälzen Probleme – vielleicht manchmal zu häufig? Das habe ich mich manchmal bei der Lektüre gefragt, doch im Nachhinein passt das alles ganz wunderbar zusammen.

Schön ist außerdem, dass die beiden absolut Hand in Hand arbeiten und einander ebenbürtig sind. Obwohl Inger Johanne eher eine „Nebenermittlerin“ ist, hat man nie den Eindruck, sie sei „nur“ Hausfrau und Hobbydetektivin, sondern von ihr kommen im Gegenteil die entscheidenden Impulse.

Der Fall wird hauptsächlich aus der Perspektive von Yngvar und Inger Johanne geschildert, teils aber auch aus der Sicht der anderen beteiligten Personen. Nicht immer finde ich eine solche Erzählweise gelungen, hier ist das ausgewogen und äußerst spannungsfördernd.

Im Gegensatz zu manchen anderen Autoren, die sich doch recht oft wiederholen, sobald sie „in Serie gehen“, wird Anne Holt besser und besser.

_Fazit:_ Einer der besten psychologischen Krimis seit langem – mit interessanter Handlung, glaubwürdigen Charakteren und überraschenden Wendungen. Wird wahrscheinlich eine vielversprechende neue Krimiserie.

_Anne Holt_ wurde 1958 geboren und wuchs in Norwegen und den USA auf. Sie ist mit einer Frau verheiratet, hat eine kleine Tochter und sich nach ihrer politischen und juristischen Karriere ganz aufs Schreiben verlegt. Wenn ich richtig gezählt habe, sind derzeit neun Krimis von ihr lieferbar. Zudem hat Holt noch einen lesbischen Liebesroman geschrieben mit dem Titel „Mea Culpa“.

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