Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Viktor Arnar Ingólfsson – Das Rätsel von Flatey

Das geschieht:

Flatey ist eine kleine Insel an der Nordwestküste Islands. Im Jahre 1960 leben hier 40 Menschen, die als Fischer, Vogelfänger und Seehundjäger ihr bescheidenes Auskommen haben. Jeder kennt jeden, Geheimnisse gibt es scheinbar nicht. Doch eines Junitages wird auf dem unbesiedelten Inselchen Ketilsey die fast vollständig skelettierte Leiche des dänischen Historikers Gaston Lund entdeckt. Er hatte Flatey besucht, um dort das in skandinavischen Forscherkreisen berühmte Rätsel des Flateyjarbóks zu lösen. Dies stammt aus dem 14. Jahrhundert und sammelt isländische Sagen und Legenden aus noch älterer Zeit. Das Rätsel ist jünger; seine Lösung ergibt sich aus dem Inhalt des Flateyjarbóks. Noch jeder ist daran gescheitert. Lund sah sich auf einer heißen Spur.

Wieso wurde er auf einer einsamen Insel ausgesetzt, wo er verhungerte und erfror? Der für Flatey zuständige Bezirksamtmann schickt seinen Angestellten Kjartan nach Flatey, einen jungen Mann mit dunkler Vergangenheit, die er sorgsam zu verbergen trachtet. Kjartan ist kein Ermittler und folglich unerfahren in seinem Versuch, Lunds letzte Tage auf Flatey zu rekonstruieren. Die Inselbewohner sind freundlich, aber in ihrer entlegenen Welt ticken die Uhren anders. Es ist die Natur, die ihr Leben bestimmt. Wind, Wasser, die Jahreszeiten – das sind Faktoren, die zählen. Kjartan muss sich dem Rhythmus von Flatey erst anpassen. Viktor Arnar Ingólfsson – Das Rätsel von Flatey weiterlesen

Elrod, P. N. – Blutzirkel (Vampirdetektiv Jack Fleming – Das 3. Abenteuer)

Tja, die Vergangenheit kann man eben nicht so einfach abschütteln. Gerade noch hatte Vampir Jack Fleming in „Blutjagd“ beschlossen, die Suche nach seiner alten Flamme Maureen aufzugeben, als sich ihre Schwester Gaylen meldete. Nun, mit all den neuen Informationen, die Jack gewonnen hat, beschließt er im dritten Band der Reihe um den Vampirdetektiv Jack Fleming, „Blutzirkel“, die Suche nach Maureen wieder aufzunehmen. Schließlich könnte sie in Lebensgefahr schweben; oder gar schon tot sein! So kehren er und sein Freund Escott dem Chicago der 30er Jahre den Rücken und reisen nach New York, denn dort verlor sich Maureens Spur vor fünf Jahren.

Mittlerweile hat sich Jack auch mit seinem vampirischen Dasein arrangiert. Die Blutbeschaffung bereitet ihm kein Kopfzerbrechen mehr (auch wenn sie unter Umständen sein Schuhwerk ruiniert, weil er einer Kuh hinterherjagt) und auch die hypnotische Beeinflussung von Menschen belastet sein Gewissen lange nicht mehr so stark wie noch in den Vorgängerbänden. Und sein Freund Escott scheint ohnehin keinerlei Probleme mit dem Zustand seines Freundes zu haben. Ohne zu Murren schleppt er dessen riesigen Kleiderkoffer durch die Gegend, schiebt dem untoten Jack heimlich Heimaterde unter und führt eine Art Erste-Hilfe-Kasten für Vampire mit sich (hauptsächlich bestehend aus einer Spritze, einem Schlauch und einer Anzahl Milchflaschen).

So ausgerüstet, begegeben sich die beiden nach New York, von wo aus die Spur schnell zum Anwesen der Franchers nach Long Island führt. Maureen nämlich hatte ihrer Nachbarin versichert, unter dieser Telefonnummer erreichbar zu sein. Dies verwirrt unsere beiden Detektive zunächst, können sie sich doch keinen Reim darauf machen, worin die Verbindung zwischen Maureen und der reichen und exzentrischen Emily Francher bestehen soll. Doch als sie das Anwesen erst besuchen, wird bald alles klarer. Der Sekretär der Besitzerin ist kein Geringerer als Jonathan Barrett höchstselbst, den wir schon kurz im letzten Band „Blutjagd“ kennen gelernt haben. Barrett, selbst Vampir, hatte Maureen offensichtlich Unterschlupf gewährt, jedoch nur für eine Nacht. Alles, was Jack und Escott darüberhinaus in Erfahrung bringen, will einfach keinen Sinn ergeben. Und Barrett selbst ist alles andere als hilfsbereit …

Wer Jonathan Barrett noch aus P. N. Elrods anderer Vampirserie kennt, der wird ihn hier zunächst nicht wiedererkennen. Der sensible Gutmensch, der als Erstes seine Familie in seinen Vampirismus einweiht und im Prinzip keiner Fliege etwas zuleide tun kann, ist in „Blutzirkel“ einem verschlossenen Eigenbrötler gewichen. Die beiden Vampire Fleming und Barrett umkreisen sich zunächst wie zwei hungrige Wölfe, die ihr Revier verteidigen wollen. Keiner traut dem anderen und ihr vorsichtiges Taktieren in Gegenwart des anderen ist ein reines Vergnügen für den Leser. Dass hier zwei Vampire mit- und gegeneinander agieren, ist ungemein reizvoll, durfte der geneigte Leser bisher doch „nur“ Jack als Vampir erleben.

„Blutzirkel“ ist in mancher Hinsicht anders als die beiden Vorgänger. Da wäre zunächst der Schauplatz: Vom lauten und gefährlichen Großstadtpflaster Chicagos geht es ins gemächliche, aber nicht weniger tödliche Long Island. Hier müssen sich Jack und Escott mit ganz anderen Problemen herumschlagen. Dass jeder jeden kennt und alles sofort weitergetratscht wird, wird Jack – mal wieder – fast zum Verhängnis. Zum anderen tauscht Elrod die wilden Verfolgungsjagden und Schießereien gegen bodenständige Detektion und Schnüffelarbeit.

Ein kleines Manko hat der Roman allerdings. Während die beiden Vorgänger von Heiko Langhans übersetzt wurden, übernahm diesmal Rosa Welz die Übertragung ins Deutsche. Das wirkt sich sprachlich auf den Detektivplot aus. Wo Heiko Langhans noch mit Verve heutzutage fast vollkommen verschollene Ausdrücke wie „Flüsterkneipe“ und „Rabatz“ ausgegraben hat, bietet die Übersetzung von Rosa Welz durchgehend flüssige, aber eben moderne Prosa. Der Reiz der 30er-Jahre-Gangstersprache, der im Erstling „Vampirjäger Jack Fleming“ am ausgeprägtesten war, ist mittlerweile fast gänzlich aus der Erzählung verschwunden. Schade!

Doch trotzdem bietet „Blutzirkel“ natürlich 250 Seiten Lesevergnügen. In gewohnter Manier tischt P. N. Elrod dem Leser einen packenden Plot, ein mysteriöses Geheimnis und mit Jack Fleming einen toughen, aber humorigen Helden auf. Amüsante Kurzweil und spannende Detektion gehen in „Blutzirkel“ Hand in Hand – alles gebettet auf Elrods überzeugende Charaktere. Denn wenn die amerikanische Autorin ein Talent hat, dann ist es das Erschaffen von dreidimensionalen Charakteren, die dem Leser einfach nie langweilig werden. Über Jack und Escott gibt es immer wieder Neues zu erfahren und man kann es kaum erwarten, den nächsten Band in den Händen zu halten. Gut, dass Elrod kaum Ermüdungserscheinungen zeigt und ihrer vampirischen Protagonisten noch lange nicht überdrüssig ist!

|P. N. Elrod bei Buchwurm.info:|

[„Der rote Tod“ 821

[„Der endlose Tod“ 863

[„Der maskierte Tod“ 1582

[„Vampirdetektiv Jack Fleming“ 432

[„Blutjagd“ 1928

http://www.festa-verlag.de/

Rankin, Ian – Wolfsmale

Typisch Rebus: Weil er seinen Chef in angeheitertem Zustand mit dessen ungeliebten Spitznamen konfrontiert hat, schickt dieser seinen Detective Inspector aus Edinburgh als angeblichen „Experten für Serienmorde“ nach London. Dort geht der „Wolfsmann“ um, ein irrer Serienmörder, der seine Opfer nicht nur grausam verstümmelt, sondern ihnen auch noch wütende Bauchbisse versetzt. Vier Leichen in drei Monaten hat man so aufgefunden. Detective Inspector George Flight von der London von der Metropolitan Police und seine Leute haben Hilfe bitter nötig. Trotzdem sind sie wenig erbaut darüber, dass ausgerechnet ein „Jock“, den sie nicht einmal richtig verstehen, wenn er den Mund aufmacht, ihnen zeigen soll, wie sie ihren Job zu machen haben.

Rebus, der schon immer mehr Einzelkämpfer als Teamspieler war, braucht erwartungsgemäß wenig Zeit, sich den Zorn der englischen Kollegen zuzuziehen. Während er damit kämpft, sich in der ungewohnten Umgebung zurechtzufinden, geht er daran, den Wolfsmann-Fall auf seine eigene, oft unkonventionelle Weise anzugehen. Als Außenstehender fällt es ihm leichter, neue Wege einzuschlagen. Auch gegen Hilfe hat Rebus nichts einzuwenden. Daher leiht er der Psychologin Lisa Frazer von der Universität London gern sein Ohr, als sie ihm vorschlägt, ein Profil des Wolfsmanns zu entwerfen; dass bei ihr Kompetenz mit gutem Aussehen einhergeht, ist Rebus, der sich in der fremden Stadt doppelt einsam fühlt, nicht entgangen. Binnen kurzer Zeit ist der Inspector schwer verliebt und übersieht gar zu gern die Anzeichen dafür, dass Lisa nicht diejenige ist, die sie zu sein vorgibt.

Aber Rebus ist auch anderweitig abgelenkt. Im Wolfsmann-Fall drängt die Zeit: Die Abstände zwischen den einzelnen Morden werden kürzer; der Mörder beginnt die Kontrolle über sich zu verlieren und agiert zusehends blindwütiger …

Nach „Verborgene Muster“ und „Das zweite Zeichen“ ist „Wolfsmale“ der dritte Band der fabelhaften Inspektor-Rebus-Reihe, die Ian Rankin seit einem Jahrzehnt zuverlässig Zutritt zu den Bestsellerlisten diesseits und jenseits des Großen Teiches verschafft. Erneut wird rasch klar, wieso dies zu ist: Rankins Thriller sind nicht ’nur‘ spannend, sondern seine Figuren lebendig, sein Talent als Erzähler außerordentlich (was in der Übersetzung erfreulicherweise fortlebt). Darüber hinaus schildern sie bewegend, aber niemals sentimental oder gar rührselig die Tücken des modernen Großstadtlebens.

Dabei kann „Wolfsmale“ allerdings mit dem furiosen Vorgängerband nicht ganz mithalten. Es ist, als ob Rebus in der ‚Fremde‘ mehr als nur ein wenig hilflos ist. In Edinburgh sticht er, der die dunklen Seiten der unheilvoll verschlungenen Allianz aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Verbrechen seiner Heimatstadt genau kennt, regelmäßig in Hornissennester; in London vergräzt er nur ein paar Polizistenkollegen.

Zu weit in den Hintergrund lässt Rankin zudem die eigentliche Thriller-Handlung rutschen. Stattdessen erzählt er hauptsächlich die Abenteuer eines Schotten in London. Weil er ein so hervorragenden Autor ist, macht er dies höchst unterhaltsam. Außerdem weiß hierzulande zwar wohl jede/r um das schwierige Verhältnis zwischen Engländern und Iren. Aber dass die Schotten noch immer auf den Spuren Maria Stuarts wandeln und nach einer vorausgegangenen, sehr nationalistisch geprägten Volksabstimmung 1999 sogar ein eigenes Parlament erhielten, ist wahrscheinlich weniger bekannt. Die dicht unter der Oberfläche lauernden Ressentiments zwischen Engländern und Schotten – Rebus bleibt seinen Gastgebern in diesem Punkt nichts schuldig – tragen zur Dramatik der Handlung entscheidend bei.

Weniger gelungen ist eine Nebenhandlung, die Rebus’ kompliziertem Familienleben gewidmet ist und ihn bei dem Versuch zeigt, seine in London lebende Tochter aus den Klauen eines Kleinkriminellen mit allzu großen Ambitionen zu befreien. Zum eigentlichen Geschehen trägt dies immerhin insofern bei, als Rankin sehr schön zeigt, wie Rebus’ sprunghafter Geist arbeitet, und ihn zufällige Begebenheiten und Beobachtungen, die mit dem Wolfsmann-Fall unmittelbar nichts zu tun haben, dessen Lösung dennoch näher bringen (auch wenn Rankin die Macht des Zufalls hier ein wenig zu oft beschwört).

Der Wolfsmann selbst bleibt über die gesamte Distanz recht blass. Vielleicht haben wir Krimifreunde in den letzten Jahren einfach zu viele Serienkiller über uns ergehen lassen müssen. Selbst wenn sie nicht nur als mörderische Bestie Grusel-Schwung in einen Thriller bringen sollen, sondern mit einer glaubwürdigen und auch tragischen Vita ausgestattet werden, kennen wir sie zumindest in ihrer literarischen Inkarnation zu gut, als dass sie uns noch fesseln könnten. „Wolfsmale“ entstand allerdings bereits 1992, d. h. recht kurz nach „Das Schweigen der Lämmer“, mit dem der Blut-und-Bodycount-Boom 1989 begann. Rankin ist nicht für die Erstarrung des Genres (mit-)verantwortlich zu machen, aber „Wolfsmale“ leidet dennoch darunter, dass heute jeder regelmäßige Krimileser automatisch zum Feierabend-Profiler geworden ist.

Zu guter Letzt laufen sowohl Rebus als auch Rankin aber wieder zur Höchstform auf. Der Inspektor liefert sich mit dem endlich entlarvten Übeltäter eine wilde Auto-Verfolgungsjagd, die einerseits sehr spannend ist, aber andererseits vielfach ironisch gebrochen wird. Rebus ist wahrlich nicht Dirty Harry, doch wie wir nun erfahren, hat er schon immer heimlich davon geträumt, einen Fall nicht nur durch eintönige, zermürbende Fahndungsarbeit, sondern in einem spektakulären Finale zu lösen. Freilich muss er die Erfahrung machen, dass sich dies im Kino wesentlich einfacher realisieren lässt als in der ‚Realität‘, die von der Tücke des Objektes regiert wird!

Fazit: „Wolfsmale“ bietet dieses Mal ’nur‘ gehobene Thriller-Unterhaltung, dies jedoch gemessen an jener Latte, die Rankin selbst aufgelegt hat – und er gehört als Schriftsteller eindeutig in die Olympia-Riege! Mit der Rückkehr ins traditionsreiche, aber gewiss nicht ehrwürdige Edinburgh kehrt Rankin im vierten Rebus-Roman („Ehrensache“/“Strip Jack“) zur alten Form zurück. Es tut gut, zwischen 1001 pfiffigen Mönchlein, weisen Krankenschwestern, knallharten Großstadtcops und übersinnlich begabten Pathologinnen den eigensinnigen Rebus beobachten zu können.

Ian Rankin wird 1960 in Cardenden, einer Arbeitersiedlung im Kohlerevier der schottischen Lowlands, geboren. In Edinburgh studiert er ab 1983 Englisch, zunächst mit dem Schwerpunkt Amerikanische, später Schottische Literatur. Schon früh beginnt er zu schreiben. Zunächst hoffnungsvoller Poet, wechselt er als Student zur Prosa. Nach zahlreichen Kurzgeschichten versucht er sich an einem Roman, findet aber keinen Verleger. Erst der Bildungsroman „The Flood“ erscheint 1986 in einem studentischen Kleinverlag.

Nachdem sein Stipendium ausgelaufen ist, verlässt Rankin 1986 die Universität und geht nach London, wo er u. a. als Redakteur für ein Musik-Magazin arbeitet. Nebenher veröffentlicht er den Kolportage-Thriller „Westwind“ (1988) sowie den Spionageroman „Watchman“ (1990). Unter dem Pseudonym „Jack Harvey“ verfasst Rankin in rascher Folge drei actionlastige Thriller. 1991 greift Rankin eine Figur auf, die er vier Jahre zuvor im Thriller „Knots & Crosses“ (1987; dt. „Verborgene Muster“) zum ersten Mal hat auftreten lassen: Detective Sergeant (später Inspector) John Rebus. „Knots & Crosses“ war 1987 weniger als Kriminalroman, sondern eher als intellektueller Spaß im Stil Umberto Ecos gedacht, den sich der literaturkundige Autor mit seinem Publikum machen wollte. Schon die Wahl des Namens, den Rankin seinem Helden gab, verrät das Spielerische: Um Bilderrätsel – Rebusse – dreht sich die Handlung.

Mit John Rebus gelingt Rankin eine Figur, die im Gedächtnis seiner Leser haftet. Als man ihn immer wieder auf das weitere Schicksal des Sergeanten anspricht, wird er sich dessen Potenzials bewusst. Die Rebus-Romane ab „Hide & Seek“ (1991; dt. „Das zweite Zeichen“) spiegeln das moderne Leben (in) der schottischen Hauptstadt Edinburgh wider. Rankin spürt seither den dunklen Seiten nach, die den Bürgern, vor allem aber den (zahlenden) Touristen von der traulich versippten Führungsspitze aus Politik, Wirtschaft, Medien und Kirche gern vorenthalten werden. Daneben lotet Rankin die Abgründe der menschlichen Psyche aus. Simple Schurken, deren möglichst malerisches, weil „gerechtes“ Ende bejubelt werden kann, gibt es bei ihm nicht.

Ian Rankins Rebus-Romane kommen nach 1990 in Großbritannien, aber auch in den USA stets auf die Bestsellerlisten. Die renommierte „Crime Writers‘ Association of Great Britain“ zeichnet ihn zweimal mit dem „Short Story Dagger“ (1994 und 1996) sowie 1997 mit dem „Macallan Gold Dagger Award“ aus. 1992 ehrt man ihn in den USA mit dem „Chandler-Fulbright Award“ als „Nachwuchsautoren des Jahres“. Rankin gewinnt im Jahre 2000 weiter an Popularität, als die britische BBC beginnt, die Rebus-Romane zu verfilmen.

Ian Rankins [Website]http://www.ianrankin.net ist höchst empfehlenswert; über die bloße Auflistung seiner Werke verwöhnt sie u. a. mit einem virtuellen Gang durch das Edinburgh des John Rebus.

Die John-Rebus-Romane …
… erscheinen in Deutschland im Wilhelm Goldmann Verlag (Stand: Sommer 2005):

01. [Verborgene Muster 956 (1987, Knots & Crosses) – TB-Nr. 44607
02. [Das zweite Zeichen 1442 (1991, Hide & Seek) – TB-Nr. 44608
03. Wolfsmale (1992, Wolfman/Tooth and Nail) – TB-Nr. 44609
04. [Ehrensache 1894 (1992, Strip Jack) – TB-Nr. 45014
05. Verschlüsselte Wahrheit (1993, The Black Book) – TB Nr. 45015
06. Blutschuld (1994, Mortal Causes) – TB Nr. 45016
07. [Ein eisiger Tod 575 (1995, Let it Bleed) – TB Nr. 45428
08. [Das Souvenir des Mörders 1526 (1997, Black & Blue)
09. Die Sünden der Väter (1998, The Hanging Garden) – TB Nr. 45429 (noch nicht erschienen)
10. Dead Souls (1999, noch kein dt. Titel)
11. Der kalte Hauch der Nacht (2000, Set in Darkness) – TB Nr. 45387
12. Puppenspiel (2001, The Falls) – TB Nr. 45636
13. [Die Tore der Finsternis 1450 (2002, Resurrection Man)
14. Die Kinder des Todes (2003, A Question of Blood)
15. [So soll er sterben 1919 (2004, Fleshmarket Close)

Darüber hinaus gibt es zwei Sammlungen mit Rebus-Kurzgeschichten: „A Good Hanging & Other Stories“ sowie „Beggars Banquet“. Hinzu kommt „Rebus’s Scotland“, ein Fotoband mit Texten von Rankin, der hier jene Orte aufsucht, die ihn zu seinen Romanen inspirierten.

Joseph Conrad – Der Geheimagent

Mr Verloc besitzt einen kleinen, überteuerten Krämerladen in Londons unvorteilhaftem Viertel Soho. Die Treppe hoch hinter dem schäbigen Laden wohnt er mit seiner Frau Winnie, deren geistig behindertem Bruder Stevie und ihrer Mutter.

Mr Verloc ist fett und faul.

Als Mieter von Winnies Mutter erflirtete er sich zunächst vor allem deren Gunst, und die alte Dame war froh darüber, dass dieser ruhige Mann, der ihrem schwierigen Sohn, dem Schuhputzer, immer so großzügig Trinkgeld gab, ihrer Tochter den Hof machte. Und als Winnies Liebschaft mit einem jüngeren Mann zerfiel, wandte sie sich eben Verloc zu, der ihren einzigen vom toten Vater ungeliebten Bruder wenigstens akzeptierte. Und so heirateten die beiden, und Verloc eröffnete mit dem Geld der Schwiegermutter seinen kleinen Laden und nahm dafür die bettlägerige Alte und Winnies debilen Bruder bei sich auf.

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Michael Pearce – Im Schatten des Feigenbaums

Das geschieht:

Kairo, Nordägypten, in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts: Vor dreißig Jahren rief ein vom Thronsturz bedrohter Khedive (so lautet der Titel des Monarchen, der königlich über das Land herrscht) die Briten zur Hilfe. Freudig nutzten diese ihre Chance, ihrem Empire ein Sahnestück einzuverleiben, ohne zuvor einen Großteil der einheimischen Bevölkerung abzuschlachten. Das uralte Wüstenland am Nil hätten sich auch die Franzosen gern unter den Nagel gerissen; in Afrika gehören sie zu den ärgsten kolonialen Konkurrenten, die es tunlichst nicht zu brüskieren gilt. Daher ist Ägypten offiziell keine britische Kolonie; die Regierung lässt sich von den Briten nur ‚beraten‘.

Selbstverständlich weiß jeder um die wahren Verhältnisse. Die Briten halten das Heft fest in der Hand. Die örtlichen Herrscher sind mehr oder weniger Marionetten. Es herrscht zwar Ruhe im Land, aber nationalistische Gruppe schüren immer wieder und seit einiger Zeit verstärkt Unruhen. Dafür zu sorgen, dass diese nie offen ausbrechen, obliegt dem britischen Geheimdienst, der in der ägyptischen Hauptstadt stark präsent ist. Gareth Owen steht ihm vor, ein besonnener Mann, der die komplexen politischen und vor allem religiösen Verhältnisse vor Ort kennt. Offiziell arbeitet er für den Khedive, aber jeder Bürger Kairos weiß, dass tatsächlich der „Mamur Zapt“ – so Owens Amtstitel – das Sagen hat.

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Sternmut, Norbert – Marlies

|Marlies ist wieder da!|
So beginnt der zweite Teil der (Krimi-)Trilogie von Norbert Sternmut (nach „Der Tote im Park“). |Ich| beginne: Norbert Sternmut ist wieder da. Erneut sprachlich prägnant, mit teilweise kurzen minimalistischen Sätzen, keinem Einheitsblabla, mit viel Liebe zum sprachlichen und szenischen Detail und immer noch – oder noch mehr? – mit einer gewohnt exzentrischen Mischung aus Sex, Crime und einem Hauch von Entrücktsein, Anderssein.

Ich leugne es nicht, ich habe ein Faible für Norbert Sternmuts Texte, weil sie so anders sind. Weniger vom Stil her, als vielmehr von der Umsetzung seiner Themen, seiner Plots, seiner Figuren. Sternmuts Charaktere haben etwas Alltägliches, etwas, das in uns allen steckt, uns sofort mit ihnen vertraut macht. Aber auch – und das macht die interessante Mixtur aus – etwas, das uns fremd ist, uns teilweise erschreckt, das wir – vor allem – nicht sehen wollen, das uns aber auch einen Spiegel vorhält. Etwas über uns Menschen, unsere Gesellschaft, unser eigenes Verhalten und unsere Bigotterie.

Norberts Sternmuts Romane sind keine reinen Unterhaltungstexte. Wenn man sie auf sich wirken lässt, erkennt man darin vielschichtige psychologische Aspekte, besonders dort ,wo wir als Menschen an unsere Grenzen stoßen. So ist es in „Marlies“ ein Mann, der z. B. erst dann erkennt, dass er das wahre Glück, die wahre Liebe längst an seiner Seite hat, nachdem er sie betrogen und hintergangen hat und jener Frau, Marlies, die ihm schon einmal zum Verhängnis wurde, wieder erliegt, sich ihrem sexuellem Reiz nicht entziehen kann. Nicht entziehen will. Aber auch seine Selbstzweifel, sein offensichtliches menschliches Versagen ist uns nicht fremd, wenn wir ehrlich in uns horchen.

Wieder wird in diesem Krimi – wie in dem Vorgänger – nicht klar: Ist die Handlung real oder fiktiv, ist sie nur dem Gehirn des Schriftstellers entsprungen oder nicht? Und genau das macht einen zusätzlichen Reiz dieses Buches aus! Es lässt uns Raum für unsere eigene Interpretation und Phantasie. Daher: lesen, lesen, lesen!

Nun muss ich leider, so ist das im Leben, auch zum Negativen kommen. Wie immer hat jede Medaille zwei Seiten – schauen wir uns daher das Handwerkliche an:
Zuerst ist es von Verlagsseite nicht optimal gewählt, eine Trilogie in gänzlich abweichender Aufmachung zu präsentieren. Band eins kam als recht unscheinbares Paperback daher – preislich für einen Kleinverlag angemessen. „Marlies“ präsentiert sich nun als Hardcover zum entsprechend stolzen Preis von 18,80 €. Da erwarte ich als Käufer natürlich auch eine erstklassige Lesekost. Leider ist schon das Cover nicht optimal gewählt, aber darüber ließe sich ja noch streiten, |aber| – das große ABER – über den Satz lässt sich nicht streiten! Da werden Szenen, sogar Dialoge auseinandergerissen und man fragt sich: Wird hier auf Seitenzahl geschunden? Was letztendlich ärgerlich ist, umso mehr, da dies auch noch erheblich den Lesefluss stört. Ganz katastrophal ist aber, wenn dann auch noch Hurenkinder, Hammellücken und Ähnliches den Satz verunzieren. Da war kein Meister seines Fachs am Werke. Auch das Lektorat – soweit überhaupt eines erfolgt ist – hat keine gute Arbeit geleistet. Da hat der Verlag ganz offensichtlich am falschen Ende gespart. Er hätte besser ein gutes Paperback mit noch besserem Inhalt angeboten. So ist es eine Mogelpackung geworden, was mich gerade im Falle Norberts Sternmuts ärgert, denn ich wünsche einem Ausnahmeautor wie ihm bessere Verlagsarbeit. Er hat es verdient!

Fazit: Ein äußerst lesenswertes Buch mit verlegerischen Mängeln, die dem Autor nicht angelastet werden sollten. Also: |Kaufen!|

http://www.wiesenburgverlag.de/
http://www.sternmut.de

Elrod, P. N. – Blutjagd. Ein Vampir-Krimi

Auf die Idee muss man erstmal kommen: Ein Vampir als Detektiv. Bereits 1990 hatte die amerikanische Autorin P. N. Elrod den Einfall für diesen genialen Kunstgriff. (Und war damit dem vampirischen Detektiv Nick Knight in der gleichnamigen Serie um zwei Jahre voraus.) Im Auftaktroman zu ihrer Serie um den „Vampirdetektiv Jack Fleming“ machte sie Jack kurzerhand zum Vampir und ließ ihn im Chicago der 30er Jahre mit Hilfe seines neu gewonnenen Freundes Escott seinen eigenen Mord aufklären. Da Jack sich in Luft auflösen und Menschen durch Hypnose beeinflussen kann und darüber hinaus ziemlich unverwüstlich ist, wäre Escott – der eigentliche Detektiv – ein Dummkopf, würde er sich nicht Jacks Hilfe bei einigen brenzligen Fällen bedienen.

Doch ein klassischer Fall präsentiert sich in der Fortsetzung „Blutjagd“ zunächst nicht. Stattdessen beobachten wir Fleming dabei, wie er es sich in seiner vampirischen Existenz gemütlich macht. Bobbi, die Barsängerin aus dem Vorgängerroman, ist nun Jacks Freundin und erfreut sich an den speziellen Zuwendungen, die man von einem untoten Bettgenossen erfährt. Jack fühlt sich so wohl in dieser neuen Beziehung, dass er die Zeit für gekommen hält, seine Suchanzeige in den großen Zeitungen des Landes zu stoppen und Maureen aufzugeben. Sie war nämlich die Vampirin, die Jack durch ihren Biss verwandelt hat. Die beiden verband eine heiße Affäre, bis Maureen sich plötzlich absetzen musste. Seit fünf Jahren nun sucht Jack per Annonce nach ihr – bisher ohne Erfolg. Nun jedoch beschließt er, diesen Abschnitt seines Lebens als erledigt zu betrachten und die wöchentlichen Anzeigen einzustellen.

Doch offensichtlich hat er nicht damit gerechnet, dass dies einigen windigen Gestalten auffallen würde. So hängen sich plötzlich zwei unfähige Vampirjäger à la „Tanz der Vampire“ an seine Fersen, fuchteln mit Holzkreuzen vor seiner Nase herum und belästigen seine Familie. Außerdem taucht ganz plötzlich Maureens Schwester auf – mittlerweile über 70 Jahre alt und ebenfalls auf der Suche nach Maureen. Wie soll Jack die Vampirjäger loswerden, ohne sie zu töten? Und sagt Maureens Schwester tatsächlich die Wahrheit? Man kann sich sicher sein, dass Elrod im Verlauf einige Kehrtwendungen für den Leser parat haben wird. Langweilig wird es also garantiert nicht!

Wer zu Beginn des Romans den echten und geradlinigen Mordfall vermisst, der wird schnell entschädigt. P. N. Elrod legt mit „Blutjagd“ zwar erst den zweiten Teil ihrer Serie um Jack Fleming vor, doch schon hier taucht sie tief in die Geschichte der Vampirliteratur ein und flicht viele mehr oder minder auffällige Anspielungen in ihre Handlung ein. So verschlägt es (einen noch menschlichen) Jack Fleming in New York in den Buchladen eines Spinners, der okkulte Bücher sammelt. Fleming ist auf der Suche nach „Varney, the Vampire“ und zwischen ihm und dem Buchhändler entspinnt sich ein unterhaltsames Gespräch über die Existenz von Vampiren, die Frage, ob es Dracula wirklich gab und diverse Klassiker der Vampirliteratur. Ein echtes Fest für Fans des Genres!

Ebenso erheiternd ist das Zusammentreffen von Jack mit den beiden Vampirjägern, die offensichtlich Ted Brownings „Dracula“ einmal zu oft gesehen haben und vor Theatralik nur so strotzen. Vermutlich können sie es Jack auch nicht verzeihen, dass er nicht ständig im Theatercape herumläuft. Die beiden heften sich wie zwei Zecken an die Fersen des Vampirs, der eher amüsiert als wirklich verängstigt ist. Die Attacken des dynamischen Duos wehrt er mit Sarkasmus und Gutmütigkeit ab, doch die selbst ernannten Retter der Menschheit geben einfach keine Ruhe und schrecken schließlich auch nicht davor zurück, Unschuldige mit in den Tod zu reißen. Elrod rechnet hier mit dem Bild des Vampirjägers nach dem Muster von van Helsing ab. Für sie ist der Vampir nur ein Mensch mit besonderen Eigenschaften. Der Jäger aber ist das eigentliche Monster – nur fähig zu zerstören, was nicht so ist wie er, anstatt das Potenzial in dieser Andersartigkeit zu erkennen, wie z. B. Jacks Freund Escott es tut.

Und schlussendlich wird der treue Elrod-Leser auch den Protagonisten ihrer anderen, ebenfalls bei |Festa| veröffentlichten, Vampirserie hier wiederfinden. Jonathan Barrett nämlich, der sensible Gentleman-Vampir aus Long Island, taucht in den Erinnerungen von Maureens Schwester auf, da er bei Maureens Vampirwerdung eine entscheidende Rolle spielte. Man darf hoffen, dass er auch in zukünftigen Romanen kleine Auftritte haben wird, trägt dies doch zu der Attraktivität beider Romanserien bei.

P. N. Elrod ist ein echtes Phänomen. Jeder ihrer Romane ist ein Treffer mitten ins Schwarze und jedes Mal denkt man aufs Neue, dass man so gut schon lange nicht mehr unterhalten worden ist. Doch mit jedem Roman übertrifft sie sich selbst. Ihre Charaktere sind farbenfroh und nicht ohne Humor, ihre Handlung flott und immer vorwärts strebend. Neben Laurell K. Hamilton ist Elrod wohl die amerikanische Autorin, die dem Vampirgenre im Moment die meisten neue Impulse gibt. Es gilt hier also nicht, eine Leseempfehlung auszusprechen. Nein, stattdessen gibt es einen Lesebefehl! Kaufen, lesen, lieben!

|P. N. Elrod bei Buchwurm.info:|

[„Der rote Tod“ 821

[„Der endlose Tod“ 863

[„Der maskierte Tod“ 1582

[„Vampirdetektiv Jack Fleming“ 432

http://www.festa-verlag.de/

Ian Rankin – So soll er sterben

Das geschieht:

Das Revier St. Leonard‘s im schottischen Edinburgh wurde umstrukturiert, die Kriminalpolizei ausquartiert. Detective Inspector John Rebus hat es nach Gayfield Square verschlagen. Dort ist er im Grunde überflüssig, denn seine Vorgesetzten möchten den querköpfigen Ermittler, der innerhalb der traulichen Filzokratie der Stadt immer wieder für Unruhe sorgt, endlich loswerden und aus dem Job ekeln. Wenigsten ist Detective Sergeant Siobhan Clarke, Rebus‘ Vertraute, mit ihm versetzt worden.

Sein aktueller Fall bringt Rebus nach Knoxland, ein heruntergekommenes Stadtviertel von Edinburgh. Die Ärmsten der Armen hausen in verkommenen Betonbauten. Noch weiter unten in der gesellschaftlichen Hackordnung stehen die Einwanderer und Asylanten, die von einer überforderten und gleichgültigen Verwaltung mit Rassisten und Fremdenhassern zusammengepfercht werden. Einen der ungeliebten Fremdlinge hat es erwischt: Stef Yurgii, ein kurdischer Regimekritiker, der vor der Ausweisung stand, wurde erstochen. Niemand hat etwas gesehen, will der Polizei etwas sagen oder wagt dies zu tun. Ian Rankin – So soll er sterben weiterlesen

Crouch, Blake – Blutzeichen

Zu schade, dass ich den ersten Teil von „Blutzeichen“, „Bruderherz“ betitelt, noch nicht kenne. Ein Umstand, den ich nach dem Konsum von „Blutzeichen“ schleunigst ändern werde, da die literarische Niederschrift seelischer Abgründe aus der Feder von Blake Crouch fesselnder nicht sein könnte. Meine Herren! Selten zuvor habe ich ein Buch derart verschlungen und dabei mehr als nur Blut und Wasser geschwitzt.

Andrew Thomas, Schriftsteller, geriet im Erstling in die psychopathischen Fänge seines Zwillingsbruders Orson, denen er nur mit viel Glück entrinnen konnte. Orson ist tot und Andrew mittlerweile in Alaska abgetaucht, da er für die begangenen Morde verantwortlich gemacht und polizeilich gesucht wird. Eines Tages erfährt Andrew, dass seine Ex-Freundin bestialisch ermordet wurde und in ihm keimt ein böser Verdacht: Orsons Helfer muss zurück sein, um die Arbeit seines Mentors zu vollenden. Luther Kite ist wieder da, und er wird seinen Weg unbarmherzig zu Ende gehen, wenn sich ihm niemand in selbigen stellt.

So weit die Rahmenhandlung des schweißtreibenden Nervenkitzlers, uns spätestens nach dem ersten Drittel des Buches nicht mehr aus seinen Pranken entlässt. Dabei lässt die Eiseskälte, mit der Luther seine Arbeit verrichtet, ein ums andere mal die Magensäfte brodeln. Es sei also zartbesaiteten Personen abgeraten, sich auf „Blutzeichen“ einzulassen.

Nach einem relativ besinnlichen Beginn dreht Crouch im Verlauf des Buches erbarmungslos an der Spannungsschraube. Wann und wie wird der Psychopath zuschlagen? Was wird Andrew dem entgegen setzen können und wird er am Ende sein Leben lassen müssen? In düsterer, nein, abgrundtief finsterer Atmosphäre graben sich die Seiten ins Gedächtnis und man kämpft unweigerlich gegen den inneren Schweinehund an, der einem das Ende des Tages befiehlt, da man am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrüh zur Arbeit muss. Ich konnte den Kampf eigentlich immer gewinnen, verschlang „Blutzeichen“ gierig bis zum Ende der Storyline. Und die hat es in sich …

Blake Crouch versteht es blind, eine psychologisch bedrückende Atmosphäre zu erschaffen, die im filmischen Sinne Meisterwerken wie etwa David Finchers „Sieben“ in nichts nachsteht. Desillusionierende Alltagsszenarien, Düsternis, Regen und ein Held, der scheinbar übermächtigen Gegebenheiten immer einen Schritt hinterherzuhinken droht. Nichts kann Luther aufhalten! Oder etwa doch?

„Blutzeichen“ ist eines dieser Bücher, die ich Thrillerfans blind ans Herz legen kann. Die Zeichen und Worte spielen geschickt auf der Klaviatur des Grauens und wälzen sich flächendeckend in der Bildsprache des Ekels. Hier ist ein kleiner Minuspunkt zu verzeichnen. Denn auch wenn ich die plastische Darstellung von exzessiver Gewalt als durchaus sinnvoll und dramaturgisch wirksam empfinde, denke ich dennoch, dass „Blutzeichen“ für das Gros der Leserschaft eine deutliche Spur zu heftig ist. Denn „Blutzeichen“ ist ein Paradebeispiel für literarische Grausamkeit und Brutalität in Wort und Schrift.

Wer einen starken Magen hat, nachts gut schlafen kann und mal wieder Bock auf eine wirklich deftige Thriller-Schlachtplatte hat, sollte die paar Kröten auf jeden Fall ausgeben und sich in eine Parallelwelt des Grauens schießen lassen, der man am besten in einem Lesemarathon am Stück erliegt. Ein Tipp noch am Rande: Kauft euch auch gleich noch den Erstling „Bruderherz“. Selbiges werde ich jetzt jedenfalls auch tun!

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Walters, Minette – Im Eishaus

Dieser Roman wurde 1992 ausgezeichnet mit dem |John Creasey Memorial Dagger|. In diesem Jahr erschien die Originalausgabe unter dem Titel „The Ice House“. Die deutsche Ausgabe erschien erstmals 1994 bei |Goldmann|. Die Übersetzung ins Deutsche stammt von Mechtild Sandberg-Ciletti.

|Handelt es sich bei der Leiche im Eishaus des englischen Landsitzes Streech Grange um die sterblichen Überreste des Hausherrn David Maybury? Seit zehn Jahren fehlt von ihm jede Spur und für die Dorfbewohner gibt es nur eine Erklärung: Phoebe Maybury hat ihren Mann umgebracht. Dass sie sich seit damals mit zwei Freundinnen zu einer geheimnisvollen Lebensgemeinschaft auf dem Landsitz zurückgezogen hat, erhöht das Misstrauen der Leute noch zusätzlich. Und auch Inspector Walsh ist überzeugt, Phoebe endlich den Mord von damals nachweisen zu können. Doch schon bald stellt sich heraus, dass der Fund der Leiche nicht genügt, um das dunkle Geheimnis von Streech Grange zu lüften.|

Minette Walters bewies bereits in diesem Debütroman „Im Eishaus“ ihre Fähigkeit, mehrdimensionale Charaktere zu erschaffen, und lässt darüber hinaus immer wieder geschickt Überraschungsmomente einfließen. Die Lebendigkeit ihrer Texte wird auch durch die Dialoge untermauert, die humorvoll immer eine Prise Ironie erkennen lassen.

„Im Eishaus“ war – nach [„Die Bildhauerin“ 1908 – der zweite Krimi von Minette Walters, den ich las, und hatte daher nach dem großartigen Bildhauerin-Band einen schweren Stand. So gut „Im Eishaus“ auch ist, er hat mich nicht gleichermaßen gefesselt. Dabei fängt er routiniert an:

Ein geheimnisvoller Leichenfund im alten Eishaus raubt den Bewohnern des Landsitzes Streech Grange die Ruhe. Ist der bis zur Unkenntlichkeit verweste Tote etwa David Maybury, der Gutsbesitzer, der vor zehnn Jahren spurlos verschwand und nie mehr auftauchte? Der seinerzeit ermittelnde Inspektor Walsh vermutete, dass die Ehefrau, Phoebe Maybury, ihren Gatten ermordete, konnte ihre Schuld aber nicht beweisen – eben weil keine Leiche gefunden wurde. Nun aber scheint er Phoebe Maybury endlich überführt zu können. Zur Seite steht ihm sein Assistent Sergeant Andy McLoughlin, der gerade von seiner Frau verlassen wurde.

Die Gerüchte um Mrs. Maybury werden immer weitgreifender. So soll sie nicht nur ihren Ehemann, sondern auch ihre Eltern beseitigt haben und mit ihren Freundinnen, der Innenarchitektin Diana Goode und der Journalistin Anne Cattrall, die seit knapp zehn Jahren mit in ihrem Haus leben, eine lesbische Beziehung haben. Auch gottlose Praktiken wie Hexenrituale und Satanskult werden den Frauen nachgesagt.

Einer Vorverurteilung steht also nichts im Wege. Die Dorfbewohner glauben allzu bereitwillig das, was sie glauben wollen. Nur die Aussage des Dorfplayboys passt nicht in das konstruierte Bild. McLoughlin beginnt an der Schuld der Verdächtigten zu zweifeln. Zu undurchsichtig ist das Gutachten des Gerichtsmediziners und zu einseitig sind die Ermittlungen seines Vorgesetzten Walsh. Als wäre das nicht genug, verliebt sich der Sergeant auch noch in die eigenwilligste der drei Frauen. Doch er behält den Überblick. Mit Verstand und Spürsinn gelingt es ihm in letzter Sekunde, einen Mord zu verhindern, und er entdeckt, welches Geheimnis Streech Grange verbirgt.

Dieser spannende, psychologisch vielschichtige Roman enthält alles, was der Leser von einem Krimi erwarten kann. Minette Walters weiß es vortrefflich zu unterhalten und den Leser auf falsche Fährten zu locken. Mal webt sie Indizien ein, die zu beweisen scheinen, dass der Tote der verschollene Maybury ist. Dann aber kommen Fakten ans Tageslicht, die genau das Gegenteil beweisen. Das hält den Spannungsbogen des Romans weitgehend konstant. Und das ohne bluttriefende Knalleffekte.

Die Charaktere sind interessant und mehrdimensional, besonders die Freundinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten! Ihre Stärken und Schwächen beleben den Roman zusätzlich. Aber auch McLoughlin ist ein wandlungsfähiger Charakter. Anfangs verspürt man noch ständig Lust, ihm die spitzen High-Heels in den Allerwertesten zu rammen, so verquer ist sein Auftreten. Und er hat den Spitznamen, den ihm Diana Goode gibt, redlich verdient. Er ist in der Tat ein „Muffel Macho“ – doch dem „Schrumpfhirn“ steht er tapfer entgegen. Denn gerade der Sergeant entpuppt sich als besonders gelungene Schlüsselgestalt der Handlung und wird immer mehr zur Hauptfigur, was dem Plot außerordentlich gut bekommt – besonders als McLoughlin beginnt, Walshs Arbeit kritisch zu beäugen, auch dessen Versuch, ihn zu manipulieren.

Minette Walters zeigt deutlich die menschlichen Abgründe auf, die wohl in jedem von uns schlummern – mehr oder weniger. Auch, wie schnell der „gute“ Nachbar von nebenan mit Verleumdungen und Vorurteilen bei der Hand ist. Ebenso bekommt die Yellowpress ihr Fett weg. Was mir bei Minette Walters immer wieder gefällt, ist die Tatsache, dass sie sich einer leicht verständlichen, wortwitzigen, aber nicht wortverliebten Sprache bedient. Dafür haben es ihre Handlungen und Charaktere umso mehr in sich. Und so sollte es sein.

Wer intelligente Krimilesekost konsumieren möchte, ist bei Minette Walters und somit auch bei diesem Titel an der richtigen Adresse!

Reginald Hill – Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das geschieht:

Dendales in der englischen Grafschaft Yorkshire, Sommer 1982: In dem abgelegenen entsteht ein Staudamm; in dem See wird der kleine Ort untergehen. Die Einwohner haben sich lange gewehrt, mussten letztlich aufgeben. Ihr Unmut wird jedoch nebensächlich, als in kurzem Abstand drei junge Mädchen spurlos verschwinden und ein viertes angegriffen wird. Angst und Misstrauen wachsen zu Panik und offenem Zorn, als es der Polizei nicht gelingt, die Kinder zu finden.

Für die Dorfbevölkerung ist der Schuldige bald gefunden: Benny Lightfoot, ein eigenbrötlerischer, wunderlicher junger Mann, der sich abseits der Gemeinschaft hält. Die Polizei vernimmt ihn, kann ihm aber nichts nachweisen. Wieder in Freiheit, setzt Benny sich ab. Niemand hat ihn seither gesehen. Dendales wird wie geplant geflutet. Die Einwohner ziehen in den Nachbarort Danby. Langsam gerät die Tragödie in Vergessenheit. Reginald Hill – Das Dorf der verschwundenen Kinder weiterlesen

Taavi Soininvaara – Finnisches Requiem

Auch Taavi Soininvaara zählt zu den glücklichen Preisträgern eines bekannten Buchpreises, denn sein Roman „Finnisches Requiem“ wurde als bester finnischer Kriminalroman ausgezeichnet. Zugegebenermaßen verliere ich langsam den Überblick über die verliehenen Kriminalpreise, auch wenn mich derlei Werbung auf den Buchdeckeln immer wieder zum Kauf eines Buches überzeugt. Doch „Finnisches Requiem“ zeigt einmal mehr, dass Autoren oft völlig zu Recht ausgezeichnet werden. Der vorliegende Roman stellt allerdings keinen herkömmlichen Kriminalroman dar, Soininvaara präsentiert uns eher einen packenden politischen Thriller, in welchem er aktuelle Probleme und Meinungen im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung diskutiert.

Taavi Soininvaara – Finnisches Requiem weiterlesen

Ellery Queen – Das Geheimnis der weißen Schuhe

Queen Geheimnis kleinDas geschieht:

New York City in den „Roaring Twenties“ des 20. Jahrhunderts: Das „Dutch Memorial Hospital“ zählt zu den modernsten Krankenhäusern der Stadt, weil eine reiche Frau vom geradezu unamerikanischen Drang zur Nächstenliebe beseelt wird. Abigail Doorn, seit einigen Jahren Witwe, schaut oft und gern in ‚ihrem‘ Hospital nach dem Rechten. Dort schätzt man die freundliche Gönnerin, auch wenn sie manchmal ein wenig launisch ist.

Daher ist die allgemeine Bestürzung groß, als Abigail bei einem Sturz im „Dutch Memorial“ schwer verletzt wird. Zufällig anwesend ist Ellery Queen, Berater der Kriminalpolizei von New York sowie Verfasser gern gelesener Kriminalromane. Eigentlich wollte er nur einen alten Freund besuchen, aber der führt Ellery als Ehrengast in den OP. Aus der blutigen Vorstellung wird freilich nichts, denn als Abigail Doorn hineingerollt wird, ist sie bereits mausetot: erdrosselt mit einem Stück Blumendraht. Ellery Queen – Das Geheimnis der weißen Schuhe weiterlesen

March, Hannah – Lied der Ringeltaube, Das

Nachdem mich Hannah March’s zweiter Roman um den Lehrer und Erzieher Robert Fairfax wirklich umgehauen hatte, beschloss ich, mir auch die Vorgänger-Story zu besehen, auf die die Autorin in [„Als wär’s der Teufel selbst“ 1763 des Öfteren zurückblickt. Leider jedoch ist „Das Lied der Ringeltaube“ bei weitem nicht so stark wie das Zweitwerk der in Peterborough (England) geborenen Schriftstellerin. Es will einfach nicht vorangehen, und wenn dann endlich mal ein Anflug von echter Spannung auftaucht, befindet man sich auch schon auf den letzten Seiten – aber dazu später mehr.

_Story:_

Ein neuer Auftrag für Robert Fairfax: Der wohlhabenede Ralph Hemsley möchte, dass sein Sohn Matthew den letzten Feinschliff in seiner Erziehung bekommt und wendet sich an den erfahrenen Fairfax. Dieser nimmt den Auftrag an und reist zusammen mit Matthew nach London, um ihn dort mit der Kultur und der Administration der Hauptstadt bekannt zu machen. Allerdings verlaufen die Dinge zu Beginn ganz anders, als der alte Hemsley es für seinen Sohn vorgesehen hatte.

Matthew erblickt auf einem Flugblatt das Bild der jungen und gerade aufstrebenden Theater-Schauspielerin Lucy Dove und ist sofort fasziniert von dieser schönen Dame. Als er dann auch noch zufällig einen Bekannten aus seiner Schulzeit trifft, der Kontakte zu Doves Bruder hat, ist Matthew wie verzaubert und bekommt alsbald die Chance, Lucy im Theater selber kennen zu lernen. Fairfax ist zwar anfangs nicht begeistert von Matthews Hingabe, lenkt aber schließlich ein und begleitet seinen Schützling. Für diesen jedoch besteht die Welt nur noch aus Luca Dove; der junge Hemsley hat sich Hals über Kopf in die Schauspielerin verliebt, und als er später auch noch ein Attentat auf die Angebetete vereiteln kann, hat er auch ihre Freundschaft gewonnen.

Einen Abend später sitzen Doves Bruder (ein ehemaliger Kapitän der britischen Marine), Matthew, sein Freund Mallinson und Fairfax beim gemeinsamen Kartenspiel in der Wohnung des Captains, als unerwartet ein Brief für Matthew eintrifft. Von seinem anschließendem Gang zum Abort kehrt Hemsley nicht mehr zurück, und die anderen (bis auf den betrunkenen Mallinson) machen sich auf die Suche nach ihm. Er wird schließlich völlig niedergeschlagen vor Lucys Wohnung gefunden, in der die Schauspielerin von ihm tot aufgefunden wurde. Und da Matthew sich des Schocks wegen nicht mehr an die Geschehnisse in Lucys Wohnung erinnern und sich so auch nicht verteidigen kann, wird er letztendlich auch beschuldigt, seine Geliebte umgebracht zu haben. Das Gericht lässt Matthew einsperren, und Fairfax macht sich an die Arbeit, die Unschuld seines Schützlings zu beweisen – auch um selber nicht als Versager dazustehen.

Im Grunde genommen ist die Geschichte sehr gut und bietet auch hinsichtlich der Spannung ein gehöriges Potenzial. Einige in Frage kommende Mörder, ein wirklich sehr gut inszenierter Schauplatz für die Geschichte und charismatische Akteure – das alles spricht für diesen Roman. Das Problem ist lediglich, dass March fast die Hälfte der Zeit für die Einleitung verschwendet. Bevor die Geschichte erst mal ins Rollen kommt – sprich, bis der Mord geschehen ist – vergehen mal eben 130 Seiten, in denen nichts Wesentliches passiert. Gut, man erhascht einen Blick auf das Umfeld der Ermordeten und lernt auch Matthew und Fairfax kennen, aber die hierbei vorangeschobenen Informationen sind zu vielen Teilen recht belanglos und bringen weder die Geschichte noch die Entwicklung der CHaraktere sonderlich voran. Außerdem sind es einfach zu viele zufällige Bekanntschaften, die das Gespann Fairfax/Hemsley in London machen, das wirkt irgendwann nicht mehr realistisch.

Nach dem Wendepunkt durch den Mord an Lucy Dove schreitet das Erzähltempo dann endlich im gewohnten Maße voran, allerdings hat die Autorin sich für diesen Part nicht mehr besonders viel Raum gelassen, um die Handlung noch ausschmücken zu können. Folglich ist Hannah March also bemüht, die verloren gegangene Zeit wieder aufzuholen und überschlägt sich quasi auf den letzten Seiten.

Es hätte in diesem Falle also zwei Optimallösungen gegeben: Entweder hätte March die Seitenzahl strecken und die eigentliche Handlung weitaus fokussierter beschreiben sollen; oder aber sie hätte nicht so viel Wert auf die Darstellung der einzelnen Charaktere gelegt und sich stattdessen einzig und allein auf den Plot an sich konzentriert. Beides ist nicht der Fall, so dass die Spannung letztendlich über weite Strecken ausbleibt und dies den Roman schließlich verblassen lässt. Im Vergleich zu „Als wär’s der Teufel selbst“ jedenfalls ist „Das Lied der Ringeltaube“ nur ein nettes Büchlein für zwischendurch, während das Zweitwerk durchaus als Weltklasse-Krimi bezeichnet werden darf. Auch wenn sich der Hauptdarsteller Robert Fairfax im zweiten Buch wieder blicken lässt, so braucht man den ersten Teil deswegen nicht dringend gelesen zu haben. Im Gegenteil, dies birgt die Gefahr, dass man das Interese an der Autorin vrliert und so „Als wär’s der Teufel selbst“ als Lektüre gar nicht mehr in Erwägung zieht. Mein Rat daher: Einfach mit dem zweiten Buch beginnen und dann selber entscheiden, ob dem Leser das nicht wirklich geglückte Krimi-Debüt der Britin die Zeit wert ist. Ich persönlich fand die Geschichte um die ermordete Schauspielerin nicht ganz so prickelnd …

Arthur Conan Doyle – Der Hund der Baskervilles [Sherlock Holmes]

Für ein vor Jahrhunderten begangenes Unrecht wird das Geschlecht der Baskervilles von einem mörderischen Geisterhund gejagt. Nun soll der berühmte Detektiv Sherlock Holmes den Spuk bannen. Mit seinem treuen Gefährten Dr. Watson macht er sich auf in das Moor von Devonshire, wo des Nachts freilich nicht nur der Hund umgeht … – Berühmtester und mit Abstand bester der vier Holmes-Romane, gelungen in der Handlung, spannend, atmosphärisch unerhört dicht: jede Zeile mit Recht ein Klassiker des Kriminalromans.
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Walters, Minette – Bildhauerin, Die

|Olive Martin sitzt wegen eines grausamen Verbrechens im Gefängnis: Sie hat zugegeben, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester ermordet und dann zerstückelt zu haben. Unter ihren Mitgefangenen ist Olive wegen ihrer Ausbrüche gefürchtet, und ihre Beschäftigung mit Knetpuppen, in die sie Nadeln sticht, hat ihr den Namen „Die Bildhauerin“ eingetragen.
Rosalind Leigh ist gewarnt, als sie das Gefängnis betritt, um Olive zu treffen. Die Journalistin soll die Hintergründe des Falles ausleuchten. Schnell erkennt sie, dass es noch eine tiefere Wahrheit gibt als die in Geständnis und Urteil festgeschriebene. Zusammen mit der Bildhauerin tritt Rosalind eine gefährliche Reise an in eine Welt voller versteckter Leidenschaften und offenem Hass, schreiender Ungerechtigkeit und dunkler Geheimnisse …|

Die Londoner Journalistin Rosalind Leigh soll auf Druck ihres Verlegers die Hintergründe eines grausamen Verbrechens recherchieren: Die damals 23-jährige Olive Martin hat zugegeben, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester ermordet und zerstückelt zu haben. Aufgrund ihres hässlichen Aussehens wurde auf Olive Martin von der Presse eine regelrechte Hetzjagd veranstaltet.

Sechs Jahre später soll nun Rosalind (Roz) ein Buch über diesen spektakulären Fall schreiben. Widerwillig lässt sie sich darauf ein, die Vorstellung, diesem menschlichen Ungetüm gegenübertreten zu müssen, flößt ihr größtes Unbehagen ein. Bei ihren Besuchen ist die Journalistin jedoch mehr und mehr fasziniert von der |Bildhauerin|, die im Zuchthaus für ihre Tobsuchtsanfälle bekannt ist und auch dafür, dass sie fortwährend Figuren kreiert, die sie mit langen Nadeln spickt.

Während ihrer Recherche erkennt Rosalind, die den Eindruck hat, dass die Inhaftierte, die selbst immer wieder ihre Schuld betont, lügt, dass hinter dem Verbrechen ein dunkles Geheimnis liegt und sie tut alles, um die Wahrheit an den Tag zu bringen. Daher stellt sie auf eigene Faust Nachforschungen an und stößt auf etliche Ungereimtheiten, auch bei den polizeilichen Ermittlungsarbeiten.

Darüber hinaus wird ihr Olive immer sympathischer, menschlich zugänglicher. Die „Tat“ wird für Rosalinde immer unverständlicher, denn Olives Geständnis und auch ihre Behauptung, nie eine enge Beziehung zu ihrer ermordeten Schwester gehabt zu haben, stehen in Widerspruch zu den Aussagen, die Rosalinde einholt. Da ist die Rede von Fürsorge und Zärtlichkeit, die Olive der kleinen Schwester entgegengebracht hat.

Und war Olives kleine Schwester Amber wirklich das reizende Mädchen, als das sie gesehen wurde? Mit jeder Information, die Rosalind einholt, wächst ihre Vermutung, dass alles anders ist, als der erste Eindruck vermuten ließ, und dass viele Alibis nicht stichhaltig sind.

Was das Buch so interessant macht, ist der Nebenplot über Rosalinds Vergangenheit, deren Schatten immer noch über ihr liegen und auf ihr lasten. Doch durch ihre Begegnung mit Olive kann Rosalind immer mehr mit ihrer Vergangenheit abschließen.

Ebenso geschickt hat Minette Walters den Charakter von Olive Martin angesiedelt. Auf der einen Seite ist diese abstoßend, undurchschaubar, niederträchtig – und verlogen. Auf der anderen aber auch intelligent, feinfühlig und äußerst verletzlich.

Was den besonderen Reiz des Romans ausmacht, ist das „offene“ Ende. Bis zur letzten Seite hat der Leser keine Gewissheit darüber, was an Olives Geschichte wahr ist oder nicht, ob sie die Täterin ist oder nicht. Vor allem bleibt die Frage: Warum hat sie bis nach dem Tod ihres Vaters – der der Einzige gewesen wäre, der Aufschluss hätte geben können – gewartet, bis sie ihr Schweigen gebrochen und ihre Geschichte erzählt hat?

Dieses Buch wurde zu Recht mit dem Edgar-Allan-Poe-Preis ausgezeichnet! Es war mein erster Roman von Minette Walters (erste |Goldmann|-Auflage 1995), der mich gefesselt und fasziniert hat. Besonders wenn man privat, aber vor allem auch beruflich sehr viel liest, wie ich, ist man dankbar für „Perlen“ der Literatur. Dieser Krimi ist mit Sicherheit eine! Die Autorin schreibt sehr detailliert, atmosphärisch, spannend und arbeitet mit psychologischen Charakterplots und Handlungsebenen, was ihre Romane deutlich von den seichten U-Romanen abhebt. „Die Bildhauerin“ fesselt von der ersten bis zur letzten Seite, ist meines Erachtens eines der besten Walters-Werke und für mich daher ein absolutes Muss!

Ein grandioses Buch, das ich jedem empfehlen kann – und das dieses Jahr als Sonderband neu bei |Goldmann| aufgelegt wurde.

_Minette Walters_ arbeitete lange als Redakteurin in London, bevor sie Schriftstellerin wurde. Sie gilt als die britische „Queen of Crime“ und hat eine Fangemeinde von Millionen Leserinnen und Leser. Viele ihrer bisher erschienenen Romane wurden mit wichtigen internationalen Preisen ausgezeichnet. Minette Walters lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Hampshire, England.

Wagner, Jan Costin – Schattentag

_Der Autor_

Jan Costin Wagner wurde 1972 in Langen bei Frankfurt geboren. Er studierte Germanistik und Geschichte in Frankfurt. Für sein Debüt „Nachtfahrt“ erhielt Jan Costin Wagner den Marlowe-Preis 2002 für den besten Krimi. Sein zweiter Roman „Eismond“ brachte den internationalen Durchbruch. 2004 wurde er mit dem Förderpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet.

_Die Geschichte_

Das Leben des Protagonisten, der die Erzählung hier hier aus der Ich-Perspektive wiedergibt, ändert sich über Nacht komplett. Er verliert alles: sein Haus, seine Familie, seine Firma – und sein Augenlicht. Doch am Tag des größten Unglücks trifft er im Krankenhaus seine Jugendliebe Mara wieder und beginnt mit ihr auf einer traumhaften Insel ein neues Leben. In einem roten Holzhaus, umgeben von Wasser und Himmel, startet er in der idyllischen Umgebung ein neues Leben, wird aber nach und nach vom Schatten seiner Vergangenheit eingeholt – und das von dem Moment an, an dem ein Mann auf mysteriöse Art und Weise bei einem Feurwerk von den Klippen gestoßen wurde.

In immer kürzeren Abständen bedrohen ihn die Bilder aus seinem alten Leben, jedoch gelingt es ihm nicht, die Momentaufnahmen und Erinnerungen zu einem Puzzle zusammenzubringen. Damit verbunden sind ebenfalls Ängste. Vor dem Scheitern; davor, dass Mara ihn verlässt, und vor dem seltsamen Kommissar vom Festland, der ihm nicht sagen will, wie sein Kinderbild in die Brieftasche des Mordopfers gelangt ist. Das Resultat der Verwirrung: Eine Tour de Force der Seele, an welcher der Protagonist zu zerbechen droht …

_Der Eindruck_

Gerade einmal 180 Seiten hat der Autor benötigt, um ein sehr beklemmendes Spannungsbild aufzubauen, das sich am Ende radikal auflöst und die ganze Handlung auf den Kopf stellt. Was uns in dieser Seitenspanne begegnet, fasziniert von Anfang bis Ende, und dafür ist einzig und allein der ungewöhnliche Erzählstil von Wagner verantwortlich. In stetig wiederkehrenden Rückblicken verarbeitet der Hauptdarsteller seine Vergangenheit, ist aber anfangs nicht in der Lage, sich einen genauen Überblick über sein ‚altes‘ Leben zu verschaffen. Doch die Anzahl der Erinnerungen steigt von Stunde zu Stunde, nur wollen sich keine Zusammenhänge erschließen lassen. Wagner wechselt so ständig zwischen der Gedankenwelt des Protagonisten und der Realität auf der paradiesischen Insel und treibt solcherart auch mit den Lesern ein Spielchen, das zunächst noch für Verwirrung sorgt, aber stetig an Farbe hinzugewinnt und auf ein merkwürdiges Ende hinzusteuert. Stellenweise fühlt man sich dabei tatsächlich wie der zerstreute und gebeutelte Mann. Unsicherheit macht sich breit, und im Hinblick auf den Leser überträgt sich diese insofern, als dass man nach einiger Zeit Realität und Fiktion nur noch schwerlich auseinanderhalten kann.

Bei der Charakterisierung des seltsamen Mannes hat Wagner einen Volltreffer gelandet. Zerbrechlich, ängstlich und schließlich in einer surrealen Welt gefangen, fällt es ihm immer schwerer, die Ereignisse in seiner Umwelt passend einzuordnen. Der Aspekt der Kriminalgeschichte geht dabei bewusst oft verloren, macht „Schattentag“ aber letztendlich auch erst zu dem Ereignis, das der Roman nun mal ist. Ein Krimi, bei dem sich die Frage nach dem Grund für das Schicksal des Mannes erst einmal klären muss, bevor die Rahmenhandlung sich entwickeln kann. Doch erstaunlicherweise gelingt es Wagner sehr fließend, die beiden Plots nebeneinander laufen zu lassen, ohne dass man den Anschluss verliert. Und beide parallel erzählte Stränge haben es in sich und sorgen in der poetischen Variante, die Wagner für diesen Roman gewählt hat, des Öfteren für Gänsehaut.

In seinem Genre ist „Schattentag“ wahrhaftig einzigartig und daher auch dringend empfehlenswert. So tief wie dieser Autor sind nur wenige Schriftsteller je in das Seelenleben eines Menschen eingedrungen, und Wagner hat dies hier mit einer Überzeugungskraft gemeistert, vor der man nur den Hut ziehen kann. Ich wittere bereits die nächste Auszeichnung für diesen aufstrebenden Autor …

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http://www.eichborn.de/

Carl Hiaasen – Dicke Fische

Das geschieht:

R. J. Decker, einstiger Starfotograf in der Sinnkrise, versucht er als Privatdetektiv einen Neuanfang im sonnigen US-Staat Florida. Aktuelle hat ihn Millionär Dennis Gault angeheuert, der sich sein süßes Leben im Müßiggang als Wettkampffischer versüßt. Der Kampf um den größten Maulbarsch ist nicht nur ein amerikanischer Breitensport geworden, lernt der erstaunte Decker, sondern hat eine lukrative Industrie für Zubehör aller Art hervorgebracht. Die Fänger der dicksten Fische gelten als Idole, die Preisgelder erreichen schwindelerregende Höhen. Bisher war Gault der Hecht in diesem Barschteich. Nun macht ihm ein Konkurrent seinen Status streitig. Dickie Lockhart hat es sogar zu einer eigenen Angel-Show im Fernsehen gebracht.

Aber er betrügt und hängt offenbar gefrorene Dickfische an den Haken, wenn niemand hinschaut. Das soll Decker beweisen. Dafür winken ihm 50.000 Dollar Honorar, was ihn eventuelle Vorbehalte rasch vergessen lassen. Er ahnt nicht, dass er sich das Geld sauer wird verdienen müssen. Just ist im Lake Jesup die Leiche des Anglers Robert Clinch aufgetaucht. Angeblich ist er ertrunken, aber Decker wird nachdenklich, als er auf der Beerdigung dessen Geliebte kennenlernt. Lanie Gault – Dennis‘ Schwester – erzählt ihm, dass Clinch Deckers Vorgänger auf der Jagd nach Lockhart war. Carl Hiaasen – Dicke Fische weiterlesen

Rankin, Ian – Ehrensache

Der Plan: Um sein von der Auflösung bedrohtes Polizeirevier Great London Road und natürlich die eigene Person den Medien, dem Steuerzahler und vor allem der Politik zu empfehlen, ordnet Chief Superintendent Watson eine Razzia in Edinburghs einzigem Bordell an. Leider stellt wie schon so oft der Zufall dem armen „Farmer“, wie ihn seine Untergebenen respektlos zu nennen pflegen, ein Bein: Unter den sündhaften Gästen, die unter großem Hallo der Presse das lasterhafte Haus verlassen müssen, befindet sich auch Gregor Jack, allseits beliebter Abgeordneter des schottischen Parlaments.

Dass dieser mächtige Freunde hat, denen diese Bloßstellung gar nicht gefällt, wird Watson bald schmerzlich bewusst. Trotzdem steckt Jack in einem peinlichen Dilemma. Zwar dürfte ihm die Gunst der meisten Parteifreunde und Wähler erhalten bleiben, doch ob dies auf seine Gattin, die unberechenbare Elizabeth, und ihren nicht zur Nachsicht mit dem Schwiegersohn neigenden Vater, den einflussreichen Geschäftsmagnaten Sir Hugh Ferrie, ebenfalls zutrifft, steht in den Sternen.

Oder hat man dem allzu beliebten und erfolgreichen Parlamentarier etwa eine Falle gestellt? Das ist die Theorie, der Inspector John Rebus anhängt. Der eigensinnige Polizist schätzt den Politiker Jack und beginnt, auf eigene Faust Recherchen anzustellen. Dabei entdeckt er, dass nicht Gregor, sondern Elizabeth das schwarze Schaf in dieser Ehe ist, schätzt sie doch ausschweifende Partys, die oft in lupenreine Orgien ausarten. Interesse erregt auch die Liste der Gäste, die im Hause der Jacks ein und aus gehen. Darunter befinden sich illustre Persönlichkeiten wie der Schauspieler Rab Kinnoul und seine Ehefrau Cathy, aber auch eher zwielichtige Gestalten wie der Antiquar Ronald Steele, den Rebus schon früher kennen gelernt hat, als er in einem Fall von Bücherdiebstahl ermittelte. Notgedrungen nur im Geiste kann ein weiterer Jugendfreund an den Zusammenkünften teilnehmen: Andrew Macmillan hat vor Jahren seiner Gattin den Kopf abgesägt und sitzt seitdem in einer Anstalt für geisteskranke Kriminelle ein.

Seltsame Leute sind sie alle, die sich überdies gegenseitig belügen und betrügen, wie Rebus offen legt. Er kann er sich dem Fall Gregor Jack nun offiziell widmen. Rückendeckung erhält er ausgerechnet von „Farmer“ Watson, dem der Druck von oben zu schaffen macht. Gern hätte er jetzt einen Beweis für Jacks Unschuld, den Rebus ihm beschaffen soll. Stattdessen identifiziert Rebus eine Leiche: Im Fluss unterhalb der Kinnoulschen Villa treibt mit zerschmettertem Schädel die allseits vermisste Elizabeth Jack – und entdeckt hat sie Cathy Kinnoul. Ein eigenartiger Zufall, findet Rebus, der sich allmählich fragt, wie lieb und teuer die Verblichene ihren Freunden eigentlich wirklich war, die sie offenbar gern gemeinsam mit einigen unschönen Geheimnissen tief begraben wüssten …

Die Welt ist schlecht – der Lektion vierter Teil. Eine eigentlich bitter schmeckende Medizin, würde sie nicht so formvollendend verabreicht wie in diesem neuen-alten Abenteuer des schottischen Querkopf-Polizisten John Rebus. „Ehrensache“ erschien hierzulande mit mehrjähriger Verspätung, aber das ist unwichtig, da Ian Rankin stets gültige Wahrheiten (oder Binsenweisheiten) zu einem ebenfalls nicht gerade neuen, doch immer wieder gern gelesenen Plot verknüpft: Reichtum und Einfluss korrumpieren quasi automatisch, und Gesetze und Regeln gelten primär für jene, deren Machtlosigkeit sie zur Befolgung zwingt. Immerhin macht Geld allein offenbar tatsächlich nicht glücklich.

Glücklicherweise ist es John Rebus, der die Fäden fester in der Hand hält, als dies seine immer offener zur Schau gestellte Überdrüssigkeit vermuten ließe. Inzwischen hat er den Gedanken an eine Karriere im Polizeidienst endgültig ad acta gelegt und macht sich einen (freilich selbstzerstörerischen) Spaß daraus, unfähige oder allzu ehrgeizige Vorgesetzte zu piesacken. Alkohol im Dienst ist für Rebus schon lange kein Tabu mehr, und auch den Feierabend genießt (oder erträgt) er lieber ein wenig angesäuselt. Wie nebenbei wird dem Leser deutlich, dass dieser John Rebus endgültig in ein schwarzes Loch zu fallen droht. Der Polizeidienst ist ihm wichtiger als er sich selbst zugestehen mag, denn sein Privatleben ist inzwischen ein kaum mehr existentes Desaster. Zwar lebt Rebus nicht mehr solo, aber es braucht keinen Wahrsager, um zu erkennen, dass diese Beziehung keine Zukunft hat.

Erwartet uns also eine recht schwerblütige Lektüre? Nicht im Geringsten, denn Ian Rankin versteht die Kunst, das Tragische immer wieder durch (keltischen?) Humor aufzulockern. Noch stärker als in den ersten drei Bänden der Rebus-Serie nutzt er die Tücke des Objektes als Element der Handlung. Zuverlässig regiert das Chaos in den baufälligen Mauern des Reviers Great London Road, und es scheint auf die dort arbeitenden Beamten abzufärben. „Farmer“ Watson agiert, von Alkohol und Koffein gleichermaßen angefeuert, wirrköpfiger denn je und muss von Rebus, seinem liebsten Feind, immer wieder unauffällig auf den halbwegs rechten Pfad zurückgelotst werden, denn schon sägt der schleimige Superintendent „Fart“ Lauderdale an des Farmers Stuhl, und den möchte nicht nur Rebus auf keinen Fall dort sehen. Der geheime Kleinkrieg hinter den Kulissen von Great London Road gehört zu den Höhepunkten dieses Romans und sorgt auch für den wunderbaren (hier nicht verratenen) Schlussgag, der Rebus einmal mehr als Opfer eines boshaften, aber immerhin sehr einfallsreichen Schicksalsgottes zeigt.

Die eigentliche Kriminalhandlung funktioniert, kann aber nicht durch Überraschungen oder wirklich Unerwartetes glänzen – oder gibt es unter uns Leser, die nicht davon überzeugt sind, dass jeder Politiker zum Lumpen prädestiniert ist? Deshalb hält sich das Mitleid in Grenzen, wenn der Himmel über der Welt des Gregor Jack einstürzt und er nach den Regeln des alten Kartenspiels „Strip Jack“ (hierzulande angeblich „Bettelmann“ genannt) Stück für Stück seiner Würden und seines Ansehens entkleidet wird. Es ist das wunderbare Ensemblespiel, das „Ehrensache“ wieder mit deutlichem Abstand über die Latte des Durchschnitt-Thrillers hievt.

Kirstilä, Pentti – Nachtschatten

Schon im Jahre 1977 veröffentlichte Pentti Kirstilä seinen ersten Roman. Doch obwohl er in Finnland zu den erfolgreichsten Kriminalautoren zählt und bereits zweimal mit dem Preis für den besten finnischen Krimi ausgezeichnet worden ist, erschien erst im letzten Jahr der erste Roman von Pentti Kirstilä in deutscher Sprache. Aktuell ist mit „Nachtschatten“ sein zweiter Krimi in Deutschland erschienen.

_Mord im Dunkeln_

Im ersten Teil von „Nachtschatten“ schildert uns der Ich-Erzähler eine merkwürdige Situation: Auf einem seiner nächtlichen Spaziergänge trifft er auf zwei Bekannte, die ihn nicht zu bemerken scheinen. Unbeachtet kann er ihrem Gespräch lauschen und wird dann Zeuge, wie Antti Koski seine schöne Frau Annikki brutal ermordet. Mit einem scharfen Messer schlitzt er ihr die Kehle auf und flüchtet. Hier begeht der Ich-Erzähler den ersten Fehler, denn er nähert sich der Leiche und tritt aus Versehen in die sich ausbreitende Blutlache. Nun muss der heimliche Zeuge nicht nur unbemerkt vom Tatort verschwinden, sondern auch noch seine neuen Schuhe unauffällig entsorgen.

Obwohl unser Ich-Erzähler sich sicher ist, den Mörder als seinen Freund Antti erkannt zu haben, beschließt er, nicht zur Polizei zu gehen, sondern stattdessen einen Erpresserbrief zu schreiben und Anttis Reaktion abzuwarten. Aus verschiedenen Zeitschriften sammelt der Ich-Erzähler sich die notwendigen Buchstaben zusammen und verfasst seine Nachricht. Da der zweite Brief allerdings zu lang ausfällt, nimmt der heimliche Mordzeuge unvorsichtigerweise seine eigene Schreibmaschine. Als er kurz darauf seinen Freund Antti besucht, findet er dessen Wohnungstür unverschlossen vor und seinen Freund mit einer Kugel im Bauch. Nur noch ein einziges Wort bringt Antti Koski über die Lippen und verwirrt damit nicht nur den Ich-Erzähler, sondern auch die Leser.

Der zweite Teil wird von einer außenstehenden Perspektive erzählt und berichtet von den ausführlichen polizeilichen Ermittlungen. Kommissar Lauri Hanhivaara wird losgeschickt, um neugierige Nachbarn oder unvermutete Zeugen des Mordes ausfindig zu machen. Auch der klar abgesteckte Freundeskreis der Koskis wird genau unter die Lupe genommen. In vielen Gesprächen erfahren wir einiges über das Ehepaar Koski, doch die einzelnen Puzzleteile wollen sich nicht in ein stimmiges Gesamtbild einsortieren lassen. Hanhivaara hat einen eigenen Mordverdächtgen, die Ermittlungen scheinen sich allerdings in eine andere Richtung zu entwickeln.

Erst spät überschlagen sich die Ereignisse, es kommen Informationen an den Tag, die die Ermittlungen in eine ungeahnte Richtung vorantreiben …

_Wer bin ich?_

Pentti Kirstilä spielt mit seinen Lesern, wie auch Agatha Christie es gern getan hat. Im ersten Teil präsentiert er uns einen unbekannten Ich-Erzähler, den er nur ganz am Rande ein wenig vorstellt, seinen Namen erfahren wir nicht und auch nicht, wie gut er mit den Koskis bekannt ist. Als der zweite Teil beginnt, ist der Ich-Erzähler schnell vergessen, weil wir Lauri Hanhivaara bei seinen Befragungen begleiten. Erst spät erahnen wir die Zusammenhänge, doch zaubert Kirstilä am Ende noch ein Ass aus dem Ärmel, mit dem man schwerlich gerechnet hat.

Der Spannungsbogen ist nicht durchgängig geglückt. Nach einem straffen Einstieg in die Geschichte, dem baldigen ersten Mord und den merkwürdigen Geschehnissen zwischen dem Zeugen und Antti Koski leidet die Spannung nahezu im ganzen zweiten Buchteil erheblich. Hier werden wir Zeuge zahlreicher langer Befragungen im Freundeskreis der Koskis, die nur wenig neue Informationen zu Tage bringen. Die Ermittlungen treten auf der Stelle, auch wenn Hanhivaara bald einen persönlichen Verdächtigen hat, doch löst dies immer noch nicht den ganzen Kriminalfall. Nur bröckchenweise erfahren wir Dinge aus der Vergangenheit des Ehepaars Koski, die irgendwie nicht zusammenpassen wollen. Stets bleiben Fragezeichen zurück, wie zum Beispiel die Frage, warum die Koskis sich erst seit genau drei Jahren einen Freundeskreis aufgebaut haben. Die beiden scheinen viele Geheimnisse verborgen zu haben, von denen wir nur manche nach und nach erzählt bekommen. Dennoch reichen diese Informationen nicht aus, um sich ein stimmiges Gesamtbild zu machen. Dies hat zwar seinen Reiz, dennoch hätte das Erzähltempo im Mittelteil gestrafft werden können, weil zu wenig neue Hinweise hinzukommen, die uns voranbringen.

Am Ende greift Kirstilä in die Trickkiste. Es war klar, dass ein Überraschungsschlag kommen musste (allein schon, weil er auf dem Buchdeckel bereits angekündigt wird), doch entwirrt der Autor seine Rätsel nicht ganz überzeugend. Selbstverständlich werden die meisten Leser überrascht oder erstaunt sein und wahrscheinlich noch einmal im Buch zurückblättern, um nachzuprüfen, ob das wirklich alles so stimmen kann, doch so ganz wohl ist einem bei der präsentierten Lösung nicht. Es passt zwar alles zusammen, aber realistisch erscheint uns diese Aufklärung eher nicht, ein bisschen mehr Wirklichkeitsnähe wäre hier wünschenswert gewesen.

_Pluspunkte_

Punkten kann Kirstilä mit seiner Erzählweise; besonders der erste Teil aus der Ich-Perspektive ist sehr gelungen. Hier wird der Leser direkt angesprochen und immer wieder mit in die Handlung einbezogen, der Erzähler lässt uns nie los und will sich stets unserer Aufmerksamkeit sicher sein. Die Sprache empfand ich als erfrischend und sympathisch; da wird schon mal eine Leiche als „Gaststar“ bezeichnet, und irgendwie passt das zu Kirstiläs lockerem Schreibstil. Der Autor beschreibt sehr genau die Schauplätze und auch die auftauchenden Personen. Besonders von Lauri Hanhivaara können wir uns im Laufe des Romans ein gutes Bild machen, das durchaus zu gefallen weiß. Hanhivaara hat Ecken und Kanten und beweist Profil. Er ist mit Eigenarten und Fehlern ausgestattet, er raucht definitiv zu viel und pflegt das merkwürdige Ritual, sich einmal pro Woche ganz gezielt zu betrinken. Natürlich passieren ihm auch bei den Ermittlungen einige Missgeschicke, die ihn authentisch wirken lassen und für den Leser sympathisch machen.

_Unterm Strich_

Insgesamt gefällt „Nachtschatten“ mit nur kleinen Abstrichen sehr gut. Das Buch ist schnell durchgelesen und weiß zu unterhalten. Am Ende bleibt der Leser erstaunt zurück, wird aber einsehen müssen, dass Kirstiläs Konstruktionen zwar nicht ganz realistisch wirken, im Buch aber durchaus stimmig sind. Lauri Hanhivaara wird uns als Mensch mit Ecken und Kanten vorgestellt, von dem wir gerne noch mehr lesen möchten. Nur der Spannungsbogen gelingt im Mittelteil nicht ganz so gut. Die Befragungen sind zu sehr in die Länge gezogen und halten den Leser nur mühsam bei Laune. An dieser Stelle wäre eine straffere Erzählweise notwendig gewesen. So bleibt dies neben dem konstruierten Buchende aber auch der einzige Kritikpunkt, über den man durchaus gerne hinwegsehen wird.

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