Archiv der Kategorie: Sachbuch

Bennett, David – Den Himmel berühren

In drei Kapiteln präsentiert Verfasser David Bennett den Lesern sein Thema:

|“Senkrechte Welten – Ein Tag im Leben eines Wolkenkratzers“|: Im Mittelpunkt steht der Sears Tower, seit 2001 wieder höchstes Haus auf dem nordamerikanischen Kontinent. (Dass die höchsten Gebäude der Welt inzwischen in Asien emporragen, ist eine weitere Erkenntnis, die wir diesem Werk verdanken.) Er wurde in Chicago erbaut und reckt sich stolze 443 Meter in die Höhe. Verfasser Bennett geht es jedoch mehr darum, was sich im Inneren abspielt, dessen gewaltige Dimensionen einen exotischen Mikrokosmos mit eigenen Regeln und Gewohnheiten formen.

|“Hoch hinaus – Die Geschichte der Wolkenkratzer“|: Kaum ein Jahrhundert gibt es sie, obwohl man sich die Großstädte der Welt ohne sie nicht mehr vorstellen kann. Aber auch Hochhäuser haben tief angefangen – als Laternenkratzer gewissermaßen. Dieses Stadium haben sie aber rasch und gewissermaßen in 20-Jahres-Sprüngen hinter sich gelassen: Jedenfalls teilt David Bennett die Wolkenkratzer-Chronologie in diese Phasen ein. Als Laie findet man das überzeugend. Die wenigen, aber das Wichtige erfassenden Informationen verblassen ohnehin im Vergleich zum Bildmaterial. Historische Fotos von fabelhafter Qualität und sogar Ausklappseiten schwelgen in eindrucksvollen Gesamt- und Detailansichten.

|“Vertikale Realität – Der Bau der Hongkong Bank“|: So ganz klar wird nicht, wieso Bennett sich ausgerechnet dieses Gebäude als Beispiel dafür wählt, wie man heute ein Hochhaus baut; möglicherweise ist er einfach gerade anwesend gewesen … Sei’s drum, die Hongkong Bank kann als exemplarisch für den modernen Hoch-Bau gelten. Die unglaubliche Herausforderung wird selbst dem Nicht-Architekten sogleich deutlich. Wer sich bisher ernsthaft fragte, wie Wolkenkratzer der Schwerkraft trotzen, selbst wenn sie nicht von Flugzeugen gerammt werden, weiß nach der Lektüre mehr – und staunt fast ehrfürchtig! (Ausgenommen chronisch zivilisationskritische Weltverbesserer, die ihre Mitmenschen in Höhlen zurückzwingen möchten.)

Lässt sich die Geschichte der höchsten Häuser dieser Welt in einem (wenn auch großformatigen) Buch von gerade 120 Seiten darstellen? Kann diese Lektion um grundsätzliche technische Informationen ergänzt werden, ohne den Umfang des Werkes in die Höhe und die Nicht-Architekten unter den Lesern in die Flucht zu treiben? Ist es möglich, die kompakte Lehrstunde durch Foto-Impressionen zu ergänzen, die nicht einfach nur Seiten schinden, sondern zusätzliche Infos vermitteln sollen?

Tatsächlich ist das alles möglich, wenn man nur weiß, wie es gemacht wird. David Bennett, Ingenieur und Schriftsteller, hat sich sichtlich Gedanken darüber gemacht, wie er sein Thema dem Laien (der Fachmann murrt sicherlich wie üblich über viele weiße Flecken und Vereinfachungen) nahe bringen kann. Nicht dass dies in diesem Fall schwer wäre: Auch nach dem Fall der Twin Towers in New York haben Wolkenkratzer ihre Faszination nicht verloren. Wie sollten sie auch, symbolisieren sie doch diverse Träume des Menschen, den es seit jeher in die Höhe lockt. Sich über den alltäglichen Pöbel und den Straßenschmutz der Stadt erheben und gleichzeitig Kosten fürs Baugrundstück sparen: Wer könnte da schon widerstehen?

„Den Himmel berühren“ ist in gewisser Weise ein Zeugnis unschuldigerer Zeiten. Als es 1995 veröffentlicht wurde, war der Aufwärtsdrang der Architekten noch ungebrochen. Höher, immer höher sollte es gehen, Konzepte für 800-Meter-Wolkenkratzer wurden ernsthaft entwickelt. Wie bereits erwähnt wurde, steht heute das höchste Haus der Welt in Asien (Petronas Towers in Koala Lumpur, Malaysia, 450 m; kennen wir u. a. aus dem Kinofilm „Entrapment“/“Verlockende Falle“ von 1999 mit Sean Connery und Catherine Zeta-Jones). Zumindest in den westlichen Industrieländern ist mit dem Ende des World Trade Center in New York (zwei Mal 417 m übrigens) alles anders geworden. In Bennetts Werk gibt es sie natürlich noch, aber für diese aktuelle deutsche Billigausgabe hat sich der |Orbis|-Verlag tatsächlich die Mühe gemacht, einen Hinweis auf die Katastrophe vom September 2001 in den Text aufzunehmen. Respekt!

David Bennett ist Bauingenieur mit eigenem Beratungsbüro und hat sich – das dürfte keine Überraschung sein – auf Hochhäuser spezialisiert. Für diese macht er sich seit jeher auch publizistisch stark und hat zahlreiche (meist prächtig bebilderte) Sachbücher verfasst.

C. W. Ceram – Götter, Gräber und Gelehrte. Roman der Antike

Die frühen Hochkulturen der Erde, ihre (Wieder-) Entdeckung und die Geschichte/n jener Wissenschaftler, die sich um die Erforschung der Vergangenheit bemühten, stellt Autor Ceram in einer Mischung aus Faktenschilderung und Roman vor. Kurz nach dem II. Weltkrieg entstanden, bewahrt dieses überaus lebendig geschriebene Buch trotz nachträglicher (aber oberflächlicher) Aktualisierung seines Inhalts vor allem in seiner Sprache den Geist der Entstehungszeit, was weder ohne Folgen noch Probleme bleibt: eine ebenso interessante wie zwiespältige Neuveröffentlichung.
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Catherine Donzel – Legendäre Ozeanreisen

Donzel Ozeanreisen kleinInhalt

„Das Meer vergessen“ (S. 10-17): Die Einleitung versucht ein Paradoxon zu erklären, denn die Kunst des Reisens auf dem Wasser besteht darin, die Passagiere das feuchte Element, das sie trägt, möglichst vergessen zu lassen. Die großen Schiffe der Vergangenheit und Gegenwart waren so eingerichtet, dass mögliche Ängste im Luxus förmlich erstickt werden. Aus der möglichen Zumutung, Tage oder Wochen auf einem relativ kleinen, einsam dahin schippernden Gefährt zuzubringen, wurde auf diese Weise ein Erlebnis. Die Fahrt selbst war so wichtig wie das Ziel, bis schließlich die Kreuzfahrt erfunden wurde, die auf ein Ziel sogar völlig verzichten konnte.

„Sich einschiffen“ (S. 18-61): Die Reise mit einem Schiff war zumindest in der angeblich guten alten Zeit nicht identisch mit einer modernen Pauschalreise. Auf große Fahrt gingen primär jene, die sich dieses kostspielige Vergnügen leisten konnten. Während über Geld nicht gesprochen wurde – man hatte es –, musste der gesellschaftliche Status präsentiert werden. Um sich zur Schau stellen zu können, reiste man mit großem Gepäck; eigentlich nahm man einen guten Teil seines Hausstandes mit in ferne Länder. Das Einschiffen wurde unter dieser Voraussetzung zu einer logistischen Herausforderung. Unmengen von Kleidern, Anzügen oder Golfschlägern galt es an Bord zu nehmen und zu verstauen, während die anspruchsvollen Passagiere demutsvoll begrüßt und in ihre Suiten geführt wurden. Möglichst unbemerkt wurden gewaltige Mengen Nahrungsmittel, Wasser, Treibstoff und andere unverzichtbare Ladungen in den Bauch des Schiffes geschafft. Das Tohuwabohu, von dem die Passagiere der ersten Klasse nichts merken sollten, hielt noch an, während das Schiff bereits auf den Ozean hinaus steuerte. Catherine Donzel – Legendäre Ozeanreisen weiterlesen

Mrozek, Bodo – Lexikon der bedrohten Wörter II

In einer Zeit, in der Kommunikationstrainer ein verarmtes, farbloses Neusprech aus vorgestanzten Phrasen verbreiten und so mancher „Parvenü“ die Inhaltslosigkeit seiner Rede durch ein aufgemotztes Imponier-Denglisch zu kaschieren versucht, kommt ein Buch wie das „Lexikon der bedrohten Wörter II“ von Bodo Mrozek gerade recht. 2005 erschien der erste Band, in dem der Verfasser Worte vorstellte und erklärte, die im Sprachgebrauch immer seltener vorkommen. Auf seiner Internetseite http://www.bedrohte-woerter.de gingen seither so viele Hinweise auf Wörter ein, die in Gefahr sind, aus der Alltagssprache zu verschwinden, dass mehr als genug Material für den nun vorliegenden zweiten Teil vorhanden war.

Dem Leser begegnen auch im zweiten Band Wörter, die sich tatsächlich schon aus der Sprache der Lebenden verabschiedet haben („Breger“, „Vagant“), immer seltener benutzt werden („garstig“, „Schmöker“) oder nur noch in Sprichworten und Redensarten ein letztes Refugium gefunden haben („Kerbholz“, „Bockshorn“). Mrozek geht in den Artikeln nicht streng wissenschaftlich vor. Die Erläuterungen in seinem Lexikon sind informativ, aber meist humorvoll formuliert. Er verwendet eine gediegene, etwas altertümliche Sprache, spielt mit Klischees, und die vielen sachlich nicht immer notwendigen Querverweise helfen, Erkenntnisse aus der Lektüre zu verfestigen. Ein Unterton melancholischer Ironie ist dabei nicht zu überhören. Denn viele Begriffe verschwinden nicht aus unserem Alltag, weil alte Wörter durch neue ersetzt werden, sondern weil die Dinge selbst aussterben. Wenn man im vorliegenden Lexikon Wörter wie „Sonntagsstaat“, „Conférencier“ oder „Kopfputz“ findet, wird einem bewusst, dass eine ganze Welt bürgerlicher Kultur im Untergang begriffen ist.

Bei einigen Wörtern wie „Anorak“ oder „Dusel“ darf man bezweifeln, dass sie vom Aussterben bedroht sind, aber dennoch ist es interessant, etwas über Herkunft und Geschichte solcher Begriffe zu lesen. Denn wer hat gewusst, dass „Anorak“ eines der wenigen Wörter ist, die aus der Eskimosprache ins Deutsche gelangt sind? Wenn der Autor jedoch den „Rentner“ als bedroht einordnet, dürfte ihn wohl eher „der Stachel gelöckt“ haben, ein paar Kommentare zum Zeitgeschehen loszuwerden.

Es werden aber nicht nur offenkundig altertümliche Wörter vorgestellt, sondern auch manch eine Vokabel aus der Modesprache der letzten Jahrzehnte, denen ein früher Tod droht. Jüngere Leser dürften kaum noch wissen, dass man Western ironisch „Pferdeopern“ nannte oder dass es nicht ganz geschmackssichere Autonarren gab, die „Mantaletten“ an den Füßen trugen.

Eine kleine „Beckmesserei“ kann aber nicht unterbleiben: Wenn man sich mit der deutschen Sprache befasst, sollte man sich auch ein klein wenig in der deutschen Literatur auskennen. Schillers „Wallensteins Tod“ ist kein Gedicht, sondern ein richtiges, ausgewachsenes Theaterstück.

Bodo Mrozeks „Lexikon der bedrohten Wörter II“ ist eine kleine Kulturgeschichte des Alltags und mag eine Anregung sein, sich wieder des Reichtums und der Farbigkeit der deutschen Sprache bewusst zu werden und das eine oder andere ausdrucksstarke Wort der Bedrohung zu entreißen.

http://www.bedrohte-woerter.de
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Gordon, David George – Vogelspinne in 3D

„Vogelspinne in 3D“ ist eine Mischung aus Bilderbuch und Modell. Im Zentrum des 16-seitigen, ca. 30 x 26 cm messenden Werkes gibt es eine handtellergroße Aussparung. Kein Flachmann mit schwarzgebranntem Schnaps ist hier verborgen, stattdessen lauert eine dicke, haarige Spinne, die sich erfreulicherweise bei näherer Betrachtung als aus Plastik gefertigt entpuppt. Nach dem Vorbild einer Vogelspinne – einer mexikanischen Feuerknie-Vogelspinne, um genau zu sein – wurde dieses Modell gefertigt, das aus insgesamt acht Schichten besteht, die Stück für Stück den Blick in den Körper des Untiers ermöglichen.

Der Buchteil gliedert sich in Kapitel, die jeweils über Teile des Spinnenkörpers informieren, die man sich im Modell näher anschauen kann. Es beginnt mit einer Einleitung, die über den Körperbau der Spinne und Spinnen im Allgemeinen informiert. Interessant und sicherlich nicht unbedingt bekannt ist die Erklärung, dass und wieso Spinnen keine Insekten sind.

Dann wird die erste Schicht der Spinne – ihr Haarkleid – gelüftet, das „Exoskelett“ sichtbar: Unsere Vogelspinne besitzt keine Knochen, sondern trägt ihr Skelett außen am Körper. Es besteht aus Chitin, einer robusten, plastikähnlichen Substanz, und ist mit einer Wachsschicht bedeckt, welche die Spinne „wasserfest“ macht. Von Zeit zu Zeit fährt die Spinne buchstäblich aus der Haut, weil dieser Chitinpanzer nicht mitwachsen kann, sondern „am Stück“ erneuert wird.

„Beißklauen und Gift“ machen die Spinne zum gefährlichen Raubtier. Ein ausgeklügeltes System verwandelt die ohnehin mörderischen Klauen in kleine Injektionsspritzen, mit deren Hilfe Beutetiere gelähmt oder getötet werden. Natürlich kann sich die Spinne auf diese Weise auch verteidigen, doch wie wir lernen, ist ihr Biss keineswegs so gefährlich, wie uns Film & Fernsehen gern weismachen. (Allerdings sehen wir eine Galerie finster wirkender Witwenspinnen, von denen sich auch der Mensch lieber nicht beißen lassen sollte.) Wenn sie es für erforderlich hält, kann uns die Vogelspinne auch gut gezielt mit Brennhaaren bombardieren, was wesentlich unangenehmer als ihr Biss schmerzen soll.

„Das Kreislaufsystem“ einer Vogelspinne zeigt die Fremdartigkeit dieses Tiers. Es besitzt ein schlauchförmiges Herz, das kupferhaltiges und daher blaues Blut durch den Körper pumpt, aber keine Lungen: Die Spinne atmet nicht, sondern lässt Luft durch Öffnungen im Panzer in ihren Körper strömen, wo der Sauerstoff vom Blut „übernommen“ und dorthin transportiert wird, wo er benötigt wird. Bizarr wirkt auch das „Verdauungssystem“. Spinnen sondern über ihrer Beute ein Verdauungssekret ab, das deren Fleisch in eine Art Brühe verwandelt, die mit dem Saugmagen aufgenommen wird. Davon können die Tiere Monate, notfalls sogar Jahre leben, ohne neue Beute machen zu müssen.

„Die Sinnesorgane“ der Spinne wirken ebenfalls leicht außerirdisch. Nicht durch zwei, sondern durch acht Augen mustert sie die Welt. Dafür hat sie keine Ohren. Die werden von Tasthaaren ersetzt, die so empfindlich sind, dass sie Bewegungen durch Beutetiere, Feinde oder andere Spinnen noch über Meter wahrnehmen. Darüber hinaus sind viele Tasthaare mit Geruchszellen versehen.

„Ein kompliziertes Sexualleben“ lautet die Überschrift des Kapitels „Fortpflanzung“. Vogelspinnenmännchen lassen Sperma in ein spezielles Netz tropfen, saugen es dann in eine Art „Tank“ am Ende ihrer Tasterbeine und geben es an ein Weibchen weiter, das es speichern und damit nacheinander 1000 Eier befruchten kann. Wer hätte übrigens gedacht, dass es Vogelspinnenarten gibt, die ein halbes Jahrhundert alt werden?

„Spinnenseide“ ist ein ganz besonderer Stoff – elastisch und stark gleichzeitig sowie ein spinnenkörpereigenes Produkt, das in zwei Drüsen am Körperende hergestellt wird. Vogelspinnen bauen zwar keine Fangnetze, doch sie bauen Kokons für ihre Eier und kleiden ihre Höhlen mit Seide aus, die auf diese Weise temperatur- und feuchtigkeitsbeständiger wird. Manche Arten legen zudem „Stolperseile“ aus, welche die Ankunft von Beute oder Feinden signalisieren.

„Der Bewegungsapparat“ eines Tiers mit acht Beinen ist verständlicherweise recht komplex. Spinnenbeine besitzen sieben Gelenken und über dreißig Muskeln, die zum Teil durch hydraulische Systeme unterstützt werden. Falls mal eines verlorengeht, wächst es bei der nächsten Häutung nach.

„Vogelspinne in 3D“ schließt mit einem kurzen aber flammenden Appell, den zwar gruselig anzuschauenden, doch eigentlich harmlosen und sogar nützlichen Achtbeinern nicht umgehend das Lebenslicht auszublasen, wenn sie sich blicken lassen. Leben und leben lassen – dies sollte die Devise sein. Der Blick hinter die Kulissen des Spinnenalltags sollte diese Toleranz bewirken. Da sich „Vogelspinne in 3D“ primär an Kinder wendet, könnte es klappen, da diese in ihren Vorlieben und Abneigungen noch flexibler sind als Erwachsene, in denen sich die „Arachnophobie“ – so lautet das Fachwort für diese Angst vor Spinnen – meist schon fest eingenistet hat. Ob dieser Aufruf pro Spinne freilich noch greift, wenn diese auf 30 cm klafternden Beinen dem Leser entgegentappt, scheint zumindest dem Rezensenten fraglich …

Dennoch bietet die Kombination von gedruckter Info und be-greifbarem Modell einen guten Einstieg in das Thema. Nicht nur Kinder werden der „Vogelspinne in 3D“ mehr als einen flüchtigen Blick widmen. Natürlich zahlt man dafür seinen Preis, doch dürfte dieses Werk in der Herstellung nicht ganz billig sein (obwohl es in China entstand). Das Spinnenmodell ist recht detailliert ausgeführt und gleichzeitig robust genug, auch forschenden Kinderfingern standzuhalten. Die Pappseiten des Buchteils sind stabil, wasserfest und abwisch- oder waschbar. (Dennoch warnt ein Aufdruck davor, die „Vogelspinne in 3D“ Kindern unter 3 Jahren in die Hände zu drücken, da diese Kleinteile abbrechen und verschlucken könnten.)

Das Layout ist schlicht und übersichtlich und damit sehr überzeugend. Geschickt wird mit Farben, Formen und Schriften gearbeitet. Es gibt jeweils einen Haupttext, der von zusätzlichen Infoboxen begleitet wird. Deren Inhalte beschränken sich nicht auf das Thema Vogelspinne, sondern informieren darüber hinaus, wenn eine solche Vertiefung sinnvoll ist.

Die zahlreichen Abbildungen wurden fast vollständig mit der Hand gezeichnet und gemalt. Dies ermöglicht eine Beschränkung auf das Wesentliche, die dem begrenzten Raum – 16 Seiten – Rechnung trägt. Einige wenige Fotos zeigen Teile des Spinnenkörpers unter dem Mikroskop; hier legte der Verfasser ausdrücklich Wert auf Details, die von der Komplexität des exotischen Wesens Spinne kündet, das eben nicht nur ein haariger Ball voller Giftschleim & Teufelsdreck, sondern ein bemerkenswerter, von der Evolution geschliffener Organismus ist, der seine Funktionstüchtigkeit seit 330 Millionen Jahren unter Beweis stellt.

Die Mischform Buch/Modell scheint Anklang zu finden. „Vogelspinne in 3D“ ist bereits der fünfte Band, den der |Heel|-Verlag in dieser Reihe veröffentlicht. Darüber hinaus gibt es den „Menschen in 3D“, den „Tyrannosaurus Rex in 3D“, den „Weißen Hai in 3D“ sowie den „Rennwagen in 3D“. Für das Frühjahr 2007 ist ein „Frosch in 3D“ angekündigt.

David George Gordon ist ein Biologe, der sich eine solide Karriere als „Infotainer“ aufgebaut hat, die er nutzt, seinen ebenso faszinierten wie angeekelten Lesern, Zuschauern und Zuhörern die weniger beliebten Vertreter der Tierwelt – Spinnen, Schnecken, Würmer oder Kakerlaken – näher zu bringen. Mehr als zehn Bücher hat Gordon geschrieben, aber bekannt wurde er vor allem durch seine Lifeshows, in denen er das, worüber er schreibt, kocht, brät oder anderweitig zubereitet und denjenigen serviert, die wagemutig genug sind, solche Kost zu probieren, die Gordon nicht müde wird als gesunde, ökologisch perfekte Alternativnahrung anzupreisen.

Auch sonst gehört Gordons Liebe den obskuren Seiten der Naturwissenschaft, die er in diversen Zeitschriften und Internet-Kolumnen, in Fernsehen und Radio präsentiert. Was er jeweils treibt, teilt er seinen Anhängern auf seiner Website http://www.davidgeorgegordon.com mit.

http://www.heel-verlag.de/

Bruce, Victoria – Vulkan des Todes

Kolumbien, im Nordwesten des südamerikanischen Kontinents gelegen, gehört zu den vielen Ländern, die dem Standard-Michel beklagenswert unbekannt bleiben. Obwohl reich an Geschichte, Kultur und Natur, dringen primär die weniger schönen Dinge des kolumbianischen Lebens an die Öffentlichkeit. Die politische Realität erinnert fatal an den Verlauf des Brettspiel-Klassikers „Junta“, und wenn in den Nachrichten gerade nicht über neue Korruptionsfälle, Volksaufstände und Rebellenattacken berichtet wird, dann garantiert über Städte wie Medellin oder Cali, in denen die wahre Macht im Staate sitzt: absolut herrschende Drogenkartelle, neben denen die Mafia wie ein Kindergarten wirkt.

Die traurige Berühmtheit Kolumbiens wurde in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts durch eine Reihe von Naturkatastrophen gesteigert, die eindrucksvoll deutlich machten, dass die Bürger dieses Land nicht nur politisch auf einem Pulverfass sitzen. 30 Vulkane prägen eindrucksvoll die Landschaft, die wunderschön dort ist, wo ihr Umweltverschmutzung und Raubbau noch nicht den Garaus gemacht haben. Diese Feuerberge sind keineswegs erloschen, sondern mindestens latent aktiv. Kolumbien liegt an der Westkante der südamerikanischen Kontinentalscholle, die links von der „Nazca-Platte“ des Pazifischen Ozeans gerammt wird (1). Dadurch faltet sich an der Unfallstelle ein langsam, aber stetig wachsendes Gebirge – die nördliche Kordillere – auf. Gleichzeitig quillt glühende Lava aus dem Erdinneren hervor – mal mehr, mal weniger reichlich, und manchmal explosiv.

Im November 1985 sind ziemlich genau 140 Jahre seit dem letzten Ausbruch des 5.300 Meter hohen Nevado del Ruiz verstrichen. Dieses Ereignis wurde von den Menschen, die in seinem Schatten leben, längst aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen; sie haben sich emsig vermehrt und die tief eingeschnittenen Täler unterhalb des Vulkans besiedelt, in denen es sich wegen des ausgeglichenen Klimas viel besser leben lässt als in den schwülheißen Niederungen Ostkolumbiens. Ein Frühwarnsystem für Vulkanausbrüche und Erdbeben existiert nicht einmal in Ansätzen; das Geld ist knapp und wird wie in jeder Bananenrepublik, die auf sich hält, lieber auf geheimen Schweizer Bankkonten unterschlagen oder für Waffen und Protzbauten, aber ungern für Bildung und Wissenschaft ausgegeben. Niemand weiß daher die Unheil verkündenden Anzeichen zu deuten: Der Nevado del Ruiz heizt sich auf wie ein gigantischer Wasserkessel, bis er buchstäblich Dampf ablässt – und Millionen Tonnen Eis und Erde, die den Gipfel bedecken, in eine kochende Schlammlawine verwandelt, die sich – 30 Meter hoch, 80 km/h schnell – talabwärts wälzt, ganze Ortschaften unter sich begräbt und mehr als 23.000 Menschen tötet.

Jetzt ist die Aufmerksamkeit der Regierung, der Medien und der ganzen Welt geweckt. Blinder Aktionismus soll die peinlichen Versäumnisse der Vergangenheit übertünchen. Fachleute aus dem In- und Ausland werden gerufen, Gremien und Ausschüsse eingerichtet, Frühwarn- und Evakuierungspläne entworfen. Doch statt an einem Strang zu ziehen, arbeiten die Beteiligten nicht selten gegeneinander. Konkurrenzdenken und Neid sind den beteiligten Wissenschaftlern keineswegs fremd. Vor Ort sträuben sich die lokalen Politiker und Geschäftsleute gegen mögliche Einschränkungen des Fremdenverkehrs, denn der Blick in einen rumorenden Vulkanschlot gehört für die zahlungskräftigen, doch leider recht raren Touristen zu den Höhepunkten einer Kolumbien-Reise. Die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung, diversen Rebellengruppen und den Drogenbaronen erschweren oder verhindern zusätzlich die Umsetzung jeder Maßnahme, zu der man sich schließlich durchringen könnte.

So kommt es, wie es wohl kommen musste: Als im April 1988 der Galeras, ein weiterer Vulkan, Anzeichen einer bevorstehenden Eruption bemerken lässt, ist wiederum nichts und niemand vorbereitet. Fast fünf Jahre lässt der Berg sich Zeit – Jahre, in denen Forscher aus der gesamten Welt den Galeras untersuchen, sich streiten, warnen und einander widersprechen, bis die verwirrte Bevölkerung sich endgültig im Stich gelassen fühlt. Im Januar 1993 treffen sich die Koryphäen der Vulkanologie dann in Kolumbien zu einer Fachtagung. Als Höhepunkt steht eine Exkursion zum brodelnden Krater des Galeras auf dem Programm; das Angebot wird von den meisten Teilnehmern gern angenommen.

Es ist, als ob sich gestandene Fachleute plötzlich in ahnungslose Touristen verwandelt hätten: Männer und Frauen, die theoretisch vermeintlich alles über Vulkanismus wissen, erkennen in der Realität die Anzeichen für die unmittelbare Katastrophe nicht. Ein bizarrer Zufall will es, dass der Countdown für die Explosion des Galeras genau in dem Moment abläuft, als sich am 14. Januar 1993 die neugierigen Forscher um den Vulkankessel scharen; sie haben keine Chance. Dieses Mal geht keine Schlammlawine ab – eine vielhundertgradheiße Gas- und Aschewolke hüllt den Krater ein; wer ihr entkommt, fällt dem Hagel der Steinbrocken zum Opfer, die von der Detonation wie Schrapnellfeuer in alle Richtungen geschossen werden.

Binnen weniger Minuten kommen neun Menschen grausam zu Tode; zehn werden zum Teil schwer verletzt. Die Vulkanologie als Wissenschaft hat versagt, so denkt der Kolumbianer von der Straße. Aber auch im Ausland werden unangenehme Fragen gestellt, als sich die Überlebenden in widersprüchliche Aussagen verwickeln, denn es stellt sich heraus, dass es sehr wohl Warnungen besorgter Kollegen gab, die jedoch vorsätzlich ignoriert wurden.

Das ist in Kurzform die Geschichte, die uns Victoria Bruce im vorliegenden Sachbuch erzählt. Natürlich geht sie – selbst Geologin und nun Journalistin – wesentlich stärker ins Detail, was ihr Werk in Form und Inhalt einem dieser Wissenschafts-Thriller à la Michael „Jurassic Park“ Crichton ähneln lässt, die gerade so gern gelesen werden. Die Wirklichkeit schlägt freilich zuverlässig jede Fiktion. Dazu trägt das Thema seinen Teil bei: Die Dramatik eines Vulkanausbruchs zieht die Menschen zu allen Zeiten in den Bann.

Trotzdem lenkt der recht vordergründige (wenn nicht sogar platte) deutsche Titel die Aufmerksamkeit des Publikums in etwas falsche Bahnen. „Keine unmittelbare Gefahr“ nannte die Autorin selbst ihr Werk, und tatsächlich geht es nicht nur um Naturgewalten, sondern vor allem auch um menschliches Versagen in einer Krise. Und versagt haben sie alle, die Bruce Revue passieren lässt, und das nicht nur einmal, sondern wieder und immer wieder. Augen zu, das Beste hoffen, es wird schon nichts schief gehen – das ist ein Motto, das stets zuverlässig die größten Katastrophen einleitet. Mit deprimierender Präzision trägt Bruce die Rädchen, Federn und Wellen zusammen, die zusammengesetzt das Uhrwerk menschlicher Dummheit und Ignoranz gleich zweimal in Gang brachten. Ihre Forscher-Kollegen finden in diesem Werk den ihnen gebührenden Platz; sie treten hier nicht als selbstlose Streiter für Wissen und Weltfrieden auf, sondern als zerstrittener Haufen, der durchaus seinen Teil zum doppelten Desaster beiträgt.

Mit Schuldzuweisungen sollte man aber dennoch vorsichtig sein. Bruce stellt die Ereignisse von 1985 und 1993 auch als Produkt historischer und aktueller Prozesse dar, die in ihrer Gesamtheit ähnlich unwiderstehlich wie ein Lavastrom in eine Richtung drängen und ein Schwimmen gegen den Strom oder Ausbrüche nicht gestatten. In Südamerika gehen halt nicht nur die Uhren anders. Außerdem gilt weiterhin die schlichte Erkenntnis, dass es einfach bzw. billig ist, hinterher schlauer zu sein. Die brutale Wahrheit, die auch Bruce anspricht, ist wie gehabt, dass a) in absehbarer Zeit das Leid derer, die bei den Ausbrüchen des Nevado del Ruiz und des Galeras Familie & Freunde, Hab & Gut verloren, in Vergessenheit gerät, b) die Geologen, Vulkanologen etc. bei allem Unglück definitiv dazugelernt haben und c) sich bei einem neuerlich drohenden Ausbruch an anderer Stelle dieselbe traurige Geschichte im Großen und Ganzen wiederholen wird. (Letzteres ist allerdings die persönliche Ansicht Ihres Referenten, der strikt davon überzeugt ist, dass der Mensch nie wirklich dazulernt.)

Anmerkung:
(1) Dem geologischen Laien sei kurz beschrieben, dass die Erde auch Jahrmilliarden nach ihrer Entstehung ein Ball flüssigheißen Gesteins ist, der von einer recht dünnen Kruste bedeckt wird. Diese bildet keine geschlossene „Schale“, sondern ist in Schollen zerborsten, die auf der Lava schwimmen, bestimmten „Strömungen“ folgen und folglich an den Kanten zusammenstoßen oder sich reiben. Die Folgen sind besonders dort spektakulär, wo eine oder gar beide Schollen vom Wasser der Weltmeere bedeckt werden, da heiße Lava und kaltes Wasser zwei Elemente sind, die sich gar nicht gut vertragen.

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Hawking, Stephen / Mlodinow, Leonard – kürzeste Geschichte der Zeit, Die

Wissen ist „in“! Heutzutage gilt es nicht mehr als schick, wenn man von der Relativitätstheorie noch nie etwas gehört hat, wenn man nicht weiß, wieso der Himmel blau ist, oder nicht einmal eine ungefähre Ahnung davon hat, warum Flugzeuge sich in der Luft halten können. Der Wissenschaftsjournalismus boomt mehr denn je, im Fernsehen häufen sich die Wissens-Sendungen, die für Cleverness beim Zuschauer sorgen sollen, aber auch die erfolgreichen Tages- und Wochenzeitungen geben ihre eigene Wissenschaftszeitschrift heraus. Da wundert es nicht weiter, dass auch Stephen Hawking, der sich nicht nur einen Namen als theoretischer Physiker, sondern auch als Wissenschaftsautor gemacht hat, seine ehemals „kurze Geschichte der Zeit“ in aktualisierter und noch stärker vereinfachter Form herausbringt.

„Die kürzeste Geschichte der Zeit“ widmet sich den modernen Theorien der Physik und bringt diese dem interessierten Leser ganz ohne Formeln näher. Stephen Hawking führt uns zurück an den Anbeginn der Zeit, als sich sämtliche Materie bzw. Energie der Welt in einem Punkt vereinigt befand und es dann zum so genannten Urknall kam. Seit dem Urknall dehnt sich das Universum aus und kühlt sich immer weiter ab. Dass dem so ist, haben Experimente bewiesen, was uns Hawking ebenfalls eindrucksvoll vor Augen führt.

Auch die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie stellt uns Stephen Hawking vor, indem er die wesentlichen Argumente der beiden Theorien herauspickt und uns diese phänomenologisch verdeutlicht. Hawking spricht von Relativität von Raum und Zeit, er zeigt uns, dass unsere Welt aus mindestens vier Dimensionen besteht, nämlich aus den drei bekannten Raumdimensionen und der Zeitdimension. Wir erfahren, was unter dem Zwillingsparadoxon zu verstehen ist und warum Reisen folglich jung hält. Auch dass Räume gekrümmt sind und der direkte Weg nicht immer der kürzeste ist, lernen wir auf fast spielerische Art und Weise.

Natürlich versäumt Stephen Hawking es auch nicht, uns einige aktuelle Bestrebungen der Forscher vorzustellen, wie die Suche nach der großen vereinheitlichenden Theorie. Ganz nebenbei erfahren wir, woran eine Theorie meistens scheitert, nämlich am Unendlichen. Am Ende widmet sich Stephen Hawking der Stringtheorie, die davon ausgeht, dass Teilchen als Strings vorliegen, die Längen-, aber keine Breitenausdehnung haben. Warum diese Theorie nur für einen 10- oder 26-dimensionalen Raum widerspruchsfrei ist, habe ich zwar nicht verstanden, aber die Erklärung dafür bleibt uns Hawking auch – glücklicherweise – schuldig.

Abgerundet wird das Buch durch drei Kurzbiografien und ein Glossar, in dem die wichtigsten Begriffe des vorliegenden Buches noch einmal kurz, knapp und verständlich erklärt werden.

Stephen Hawking schafft auf weniger als 180 Seiten einen Rundumschlag über die gesamte moderne Physik. Ganz ohne Formeln und in einfachen und verständlichen Worten führt er uns sämtliche wichtigen Theorien vor Augen, an denen aktuell geforscht wird oder die zu entscheidenden Durchbrüchen in der Wissenschaft geführt haben. Hawking bricht dabei auch die komplizierteste Physik auf ein Niveau herunter, welches auch ein Nicht-Physiker leicht verstehen kann. Das führt allerdings dazu, dass Hawking sich bei seinen Ausführungen auf die wesentlichen Punkte einer Theorie beschränken muss und nie in die Details gehen kann. Der Leser erhält einen oberflächlichen, aber dennoch sehr faszinierenden Überblick über aktuelle Forschungsthemen.

„Die kürzeste Geschichte der Zeit“ richtet sich dabei an interessierte Laien, die kurz und knapp darüber informiert werden möchten, woran Physiker heutzutage forschen, mit welchen Problemen sie konfrontiert sind und wieso Relativitätstheorie und Quantenmechanik sich eigentlich widersprechen. Vorkenntnisse sind zum Verständnis des Buches eigentlich nicht erforderlich, da Hawking sich auf phänomenologische Ausführungen beschränkt und nie so weit ins Detail geht, dass der Nicht-Physiker aussteigen müsste. Ganz im Gegenteil, an manchen Stellen fand ich Hawkings Schilderungen fast schon zu simpel, denn dass Wellen aus Hügeln und Täler bestehen, muss man nicht dreimal innerhalb kürzester Zeit wiederholen, damit der Leser es versteht. Aber das trübt den Gesamteindruck des Buches nicht wirklich.

Absolut faszinierend fand ich, mit welcher Leichtigkeit Stephen Hawking selbst die komplizierteste Physik so darstellen kann, dass der Leser gar nicht merkt, wie schwierig das in Wirklichkeit ist, was er hier gerade präsentiert bekommt. Mit seiner spektakulären Themenwahl schafft er es außerdem, noch mehr Interesse an der Physik zu wecken, denn gerade die Fragen nach dem Ursprung der Zeit oder der Entwicklung des Universums verleiten zu weiteren Spekulationen, denen der Leser sich nach der Lektüre hingeben kann.

Auch optisch sticht das Buch ins Auge, denn die „kürzeste Geschichte der Zeit“ ist auf glänzendem Papier gedruckt, auf dem die Grafiken besonders gut zur Geltung kommen. In zahlreichen Abbildungen wird das verdeutlicht, was Stephen Hawking uns in Worten erklärt. Etwas befremdlich fand ich, dass der Autor selbst auf vielen der Bilder zu sehen ist, aber vielleicht gehört das zum Hawking’schen Humor?!

Insgesamt ist „Die kürzeste Geschichte der Zeit“ ein faszinierender, spannender und leicht zu lesender Überblick über die moderne Physik, der sich an interessierte Laien richtet. Ein studierter Physiker erfährt zwar nicht wirklich etwas Neues, aber trotzdem kann man sein eigenes Wissen noch einmal auf den neuesten Stand bringen und gerade, wenn es um Themen wie die Stringtheorie geht, kann eigentlich fast jeder nur dazulernen, denn wer hat die schon wirklich verstanden? Unter dem Strich bleibt ein äußerst positiver Eindruck zurück, auch wenn ich wohl eher nicht zur Zielgruppe des Buches gehöre.

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Peter Huchthausen – K-19 und die Geschichte der russischen Atom-U-Boote

huchthausen-k19-cover-kleinAusgehend vom Atom-Unfall an Bord der K-19 im Jahre 1961 rekonstruiert der Verfasser die desasterreiche Geschichte der sowjetischen U-Boot-Marine, die überhastet konstruierte und schlecht gebaute Unterseeboote in den Kalten Krieg mit den USA warf und dabei skrupellos Menschenleben aufs Spiel setzte. Das lesenswerte, gut recherchierte und spannend geschriebene Sachbuch beschränkt sich nicht auf die Nacherzählung diverser Katastrophen, sondern bettet einzelne Ereignisse in den historischen Kontext ein und beschreibt auch das ‚Erbe‘, das die UdSSR der Welt in Gestalt radioaktiv verseuchter Meere und Häfen hinterließ.
Peter Huchthausen – K-19 und die Geschichte der russischen Atom-U-Boote weiterlesen

David, Saul – größten Fehlschläge der Militärgeschichte, Die. Von der Schlacht im Teutoburger Wald bis zur Operati

Suchen Sie schon lange nach einem Buch, bei dessen Lektüre Sie sich mal wieder so richtig aufregen können? Oder schätzen Sie Werke, die das literarische Äquivalent zu jenen Sendungen darstellen, mit denen das private Fernsehen genüsslich die Dämlichkeiten synaptisch fehlgeschalteter Zeitgenossen zelebriert („Die ulkigsten Genickbrüche der Welt“)?

Dann greifen Sie zu, denn eine größere Ansammlung von Nieten und Versagern werden Sie in der nächsten Zeit nur noch in der täglichen Schenkelklopf-Show eines gewissen grinsenden TV-Metzgers finden. Einen gewichtigen Unterschied gibt es allerdings: Die Stümper („blunder“ = engl. Schnitzer, Pfusch oder eben Stümperei), die der Militärhistoriker Saul David uns hier vorstellt, haben Menschenleben auf dem Gewissen – und das nicht zu knapp!

Der Krieg ist der Vater aller Dinge, hat der griechische Philosoph Heraklit um 500 vor Christus angeblich geschrieben. (Keine Sorge: Das soll´s auch schon gewesen sein an humanistischem Bildungsgut der Vergangenheit.) Wenn er darin die Dummheit mit einschließt, hat er wohl Recht. Der Kampf, die Schlacht, der Krieg – das sind nicht nur Namen für den gewaltsamen Konflikt mindestens zweier verfeindeter Menschengruppen. Die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln (nun gut – einer sei mir noch gestattet: Carl von Clausewitz, 1780-1831) war und ist immer auch die Geschichte von Menschen unter Druck – und das ist bekanntlich keine gute Ausgangsposition für ein heikles Unternehmen wie den Versuch, einen (ähnlich gestressten und bis an die Zähne bewaffneten) Gegner in die Flucht zu schlagen.

Unter diesen Voraussetzungen ist es verständlich, dass Saul David es leicht hatte, Beispiele für strategische, politische oder einfach „nur“ menschliche Fehleinschätzungen aus der Militärgeschichte zusammenzutragen. 30 bekannte und weniger bekannte Konflikte aus 2000 Jahren – von der Schlacht im Teutoburger Wald (Römer gegen Germanen, 9 n. Chr.) bis zur „Operation Desert Storm“ (USA gegen Irak; wird bis heute gelegentlich in kleinerem Rahmen wiederholt) – analysiert der Autor, schildert kurz den Kampfablauf und entwickelt daraus das Wie und Warum der entscheidenden Fehler. Es ist bedrückend zu lesen, wie unfähige oder übertrieben ehrgeizige Kommandanten, simple Kommunikationsprobleme, bewusste „Bauernopfer“, die Einmischung unkundiger Politiker oder das Unterschätzen des Gegners wieder und immer wieder in dieselbe Katastrophe mündeten: den unnötigen Tod zahlloser Menschen, deren Pech es primär war, als Soldaten den Befehlen von Stümpern ausgeliefert zu sein.

Bücher (und Filme) über militärische Holzköpfe haben Konjunktur; kein Wunder, wenn wir die tragischen Geschichten hinter dem ungläubigen Kopfschütteln bedenken. Besonders unsere britischen Nachbarn beschäftigen sich intensiv mit den zahlreichen Schlachten ihrer langen Geschichte; da sie zumindest in den letzten Jahrzehnten jeweils auf der „richtigen“ Seite gekämpft haben (bis auf diese peinliche, aber halb vergessene Sache auf den Falklandinseln), können sie das relativ entspannt und ohne schlechtes Gewissen tun. Nun gut, ob sie es tun können, sei dahin gestellt; sie tun´s halt einfach – und zwar mit Begeisterung: Lässt man im Internet eine Suchmaschine – Ihr Rezensent bevorzugt Google – nach dem Begriffspaar „Military“ und „Blunders“ (nach dem Originaltitel des vorliegenden Buches) suchen, werden stolze 15.000 Websites angeboten!

Allerdings sollte Begeisterung keinesfalls Sachkenntnis ersetzen. Ohne in Details zu gehen, möchte Ihr Rezensent an dieser Stelle anmerken, dass ihm, der sich in der frühen und mittelalterlichen Geschichte berufsbedingt ziemlich gut auskennt, einige Punkte in Sauls Darstellung der besagten Schlacht im Teutoburger Wald, besonders aber des zweiten Kreuzzugs arg missfallen haben. Hier stützt sich der Autor zum Teil auf veraltete oder sogar definitiv falsche Quellen. Das lässt natürlich Misstrauen aufsteigen, inwieweit wir ihm sonst vertrauen können.

Ein weiteres Manko: Man mag es kaum ansprechen, aber wenn man nicht gerade zu denjenigen Zeitgenossen gehört, deren höchste Wonne es ist, die Schlachten der Weltgeschichte mit Tausenden von Zinnsoldaten nachzuspielen, ermüdet es unabhängig von der Zahl der Opfer rasch nachzulesen, wieso welcher Truppenteil wann welchen Berg stürmte (oder nicht). David selbst beschreibt die Schwierigkeit, um der Lesbarkeit willen die Balance zu finden zwischen der streng wissenschaftlichen und der eher populärwissenschaftlichen Darstellung; so recht ist ihm das jedenfalls nicht gelungen.

Angesichts der höchst komplizierten Dynamik, die dem Prozess des Kriegführens offensichtlich innewohnt, fragt man sich allerdings, ob noch so sorgfältige Pläne den Ausgang eines Gefechts wirklich beeinflussen können. Irgendwann scheint sich stets der Zufall durchzusetzen, es sei denn, der Kommandant ist definitiv verrückt, was übrigens häufiger vorgekommen ist, als man sich das vorstellen mag.

So wird die Lektüre mit fortschreitender Seitenzahl langsam etwas zäh. Man wird ungeduldig, runzelt über das inhaltliche Durcheinander bzw. die eigentümliche thematische Gliederung („Unfähige Kommandanten“, „Katastrophale Pläne“, „Einmischung von Politikern“, „Übertriebenes Selbstvertrauen“, „Truppenversagen“ – eine klare Trennungslinie kann da überhaupt nicht gezogen werden) die Stirn, mag Stalingrad nicht unbedingt an der Seite von Little Big Horn sehen. Vielleicht wäre es ratsam, „Die größten Fehlschläge …“ nicht am Stück, sondern in Etappen (um in den Jargon des Themas zu verfallen) zu lesen. Zu viel Dummheit am Stück kann ermüdend wirken oder zu wütender Resignation führen.

Übrigens präsentiert uns Saul David keineswegs „die größten Fehlschläge der Militärgeschichte“, wie uns der deutsche Titel weismachen möchte. Der Autor kann bereits im Vorwort glaubhaft machen, dass es ihm leicht gefallen wäre, ein Vielfaches an militärisch-menschlichen Katastrophen aus der Geschichte zu wählen. Aber sein Potpourri menschlichen Versagens reicht auch so vollauf!

Bill Curtsinger – Unter Wasser

Seit Jahrzehnten taucht Fotograf und Biologe Curtsinger vor allem in die kalten, dunklen Meere und Seen dieser Welt. Ihm gelangen Bilder von Tieren, die so noch niemand in ihrer natürlichen Umgebung sah. Haie, Wale und Robben aber auch scheinbar unspektakuläre Wesen wie Quallen, Schwämme oder Seeflöhe mutieren vor seiner Linse zu atemberaubenden Fabeltieren, die in kurzen, informativen Texten (Autor: ebenfalls Curtsinger) als integrale Bestandteile ihrer speziellen Ökosysteme beschrieben werden: sowohl ein Augenschmaus als auch ein Lesevergnügen.
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Norton, Trevor – In unbekannte Tiefen. Taucher, Abenteuer, Pioniere

Unter Wasser stirbt man nicht, wie einst Krimi-Klassiker Ross Macdonald eines seiner ausgezeichneten Werke betitelte (bzw. durch einen findigen deutschen Übersetzer betiteln ließ), aber dass dies heutzutage weitgehend bekannt ist, verdanken wir den Pionieren der Tauchkunst, die buchstäblich den Kopf (oder besser gesagt: die Lungen) für ihre Nachfahren hinhielten, auf dass sie heute die Gewässer dieser Erde bevölkern können, um dort die fischigen Bewohner zu belästigen.

Bloß: Wer weiß denn schon, wer diese Männer waren, die sich nicht nur unter recht abenteuerlichen, sondern definitiv lebensgefährlichen Umständen hinab in die Tiefe ließen, um dort zunächst weniger zu sehen & zu staunen, sondern schlicht zu versuchen, einige Minuten zu überleben? Trevor Norton, selbst ein Veteran unter Wasser, hat sich die Aufgabe gestellt, einige Taucherlegenden dem Vergessen zu entreißen. Da er Brite ist und daher genetisch in Sachen Humor begünstigt, ist das Ergebnis seiner Nachforschungen höchst vergnüglich zu lesen; bereits die Überschriften der einzelnen Kapitel deuten darauf hin, dass Norton sein Werk ganz sicher nicht mit sachbuchlichem Bierernst verfasste:

„Ein begnadeter Sinker“ – John Guy Gilpatric (1896-1950) war ein Pionier des Tauchens mit Brille und Schnorchel im freien Meer – und der ideale Repräsentant jenes seltsamen Menschenschlages, der diesem seltsamen, gefährlichen, faszinierendem Sport verfallen war und ist: wagemutig, exzentrisch, ein bisschen verrückt, und an Land stets ein wenig verloren.

Wie man sich der blaugrünen Tiefe zunächst näherte, schildert Norton im Kapitel „Legere Kleidung ist angesagt, Eimer als Kopfbedeckung sind Vorschrift“. Dass er meint, was er schreibt, und nicht kalauert, belegen eindrucksvoll diverse Fotos: Wie üblich entdeckte der Mensch das Meer nicht; er wollte es erobern und ihm seine Bedingungen aufzwingen. Daher glichen die ersten „Taucheranzüge“ frappierend den Ritterrüstungen des Mittelalters. Statt feindliches Meeresgetier, das unheimliche Wasser oder den gefährlichen Tiefendruck fernzuhalten, verwandelten sich diese Rüstungen nicht selten in Todesfallen, die weit mehr Opfer forderten als die fremde, feuchte Welt, bis man lernte, mit ihr und nicht gegen sie zu leben.

„Bewaffnet nur mit einer Spitzhacke“ – Henri Milne Edwards (1800-1885) war alles andere als der typische Tauchpionier, sondern primär ein Forscher, der seinen Job wirklich ernst nahm: ein Naturwissenschaftler, der sich auf die Tier- und Pflanzenwelt des Meeres spezialisiert hatte und den sehr richtigen Standpunkt vertrat, dass man beides gefälligst vor Ort zu untersuchen hatte – ein Entschluss, der im 19. Jahrhundert einen Mann allerdings zwangsläufig in heikle und groteske Situationen bringen musste.

„Der Mann, der es fast geschafft hätte“ – Roy Waldo Miner (1875-1955) war auf den ersten Blick der farblose Angestellte eines Naturkunde-Museums mit mehr Geld als Organisationstalent. (Das waren noch Zeiten!) Der Auftrag, einen Ausstellungsraum als Korallenriff zu gestalten, führte ihn in die Tropen, wo er die Vorlage unter Wasser kurzerhand mit Dynamit in handliche Stücke zerblies, die er dann auflas, in die Heimat brachte und dort mit viel Leim und Farbe recht lebensecht wieder zusammensetzte …

„Die Freuden des Herumspazierens“ – Über Charles William Beebes (1877-1962) sagenhaften Hang zur Selbstdarstellung darf man seinen großen Mut nicht vergessen: Er war der Mann, der sich in eine winzige Stahlkugel stecken und viele hundert Meter in die dunkle Tiefsee hinabsenken ließ!

„Versorgt mit Süßigkeiten“ – Trevor Nortons Kapitel über John Alwyne Kitching (1908-1996) ist weniger Biografie als kaum verhohlenes, ironisch-liebevolles literarisches Memento für einen alten Freund und Lehrer, der nach außen den knarzigen Sonderling gab und ansonsten eine ganze Generation tauchender Wissenschaftler den besten Start in ihre gefährliche Karriere ermöglichte.

„Der zerstreute Professor“ – John Scott Haldane (1860-1936) eröffnet den Reigen der „Denker und Taucher“, die gewissermaßen doppelt verschroben und dabei genial waren und dem Mensch auf ihre kuriose Weise den Weg auf den Meeresgrund ebneten. Haldane fand heraus, wieso es groteske Zwischenfälle heraufbeschwören kann, einem Taucher nur Atemluft durch einen simplen Schlauch zuzuführen. Er erfand den ersten tauglichen Taucherhelm – und für das Land die erste Gasmaske!

„Der knuddelige Kaktus in der Kammer des Schreckens“ – John Burdon Sanderson Haldane (1892-1964): Wieder eine der unbekümmerten Titelschöpfungen der Verfassers, hinter der sich eine faszinierende Persönlichkeit verbirgt: ein Pionier des Tauchens unter deutlich erschwerten Bedingungen – denen des Krieges nämlich, denn selbstverständlich wurde das Militär schon bald aufmerksam auf die Möglichkeit, dem Feind unter Wasser und damit unbeobachtet hässliche, explosive Überraschungen zu bereiten. Haldane (übrigens ein Sohn des „zerstreuten Professors“ – Genie & Exzentrik scheinen gleichermaßen vererbbar zu sein) ersann die Instrumente und Methoden dafür – und er probierte sie vor allem praktisch aus, was nicht nur aus heutiger Sicht als besonders komplizierter Versuch eines möglichst scheußlichen Selbstmords anmutet.

„Bumm!“ – Horace Cameron Wright (1901?-1979) ist die vielleicht farbigste unter den wahrlich schon denkwürdigen Gestalten dieses Buches; ein Pionier nicht nur des Tauchens, sondern auch des Unterwasser-Filmens, der noch zur Stummfilmzeit keine Kosten und Mühen scheute, unglaubliche, aber längst in Vergessenheit geratene Spektakel in Szene zu setzen. Der seltsame Kapiteltitel spielt auf Wrights Vorliebe an, die subaquatische Kulisse durch den großzügigen Einsatz von Sprengstoff nach eigenen Vorstellungen umzugestalten.

„Eine Zuchtperle“ – Louis Marie-Auguste Boutan (1859-1934) war nicht der erste Mensch, der sich fragte, ob und wie es möglich sei, Fotografien unter Wasser anzufertigen. Aber ihm gelang, was viele scheitern ließ, doch bis es so weit war, „Bilder ins Dunkle hinein“ zu schießen, geschahen seltsame Dinge …

„Der Mann mit der erstaunlichen Röhre“ – John Ernest Williamson (1881-1966) hielt wenig davon, sich ohne Deckung in die lebensfeindliche Welt unter Wasser zu wagen. Also konstruierte er eine sperrige, lange Röhre, die dort versenkt und von oben bestiegen werden konnte, um an ihrem unteren Ende gänzlich trockene See-Erkundungen zu ermöglichen – theoretisch jedenfalls, denn praktisch erwies sich bald, dass Williamson nicht den Stein der Weisen gefunden hatte …

„Tauchgang ins Abenteuer“ – Hans Heinrich Romulus Hass (geb. 1919) ist den mittelalten Bewohnern dieses unseres Landes so bekannt wie die Professoren Grzimek und Haber – nicht ein Taucher, sondern der Taucher (bis ihn in den 60er Jahren Jacques-Yves Cousteau ablöste) schlechthin, der in zahlreichen Büchern und Filmen seinen wasserscheuen Fans die Pracht tropischer Korallenmeere (durch die er gern seine Gattin Lotte schwimmen ließ, die zu Recht deutlich mehr Blicke auf sich ziehen konnte als jeder Teufelsrochen) näher brachte – und gleichzeitig eine ironische Reminiszenz an eine Zeit, als der „Forscher“ sich dem Objekt seiner Neugier prinzipiell näherte, um es mit Speer und Harpune zu durchbohren.

„Der stille Partner“ – Während sein alter Freund Cousteau selbst der Fun-Generation der Gegenwart noch nicht gänzlich unbekannt geworden ist, blieb Frederic Dumas (1913-1991) bescheiden im Hintergrund: ein fanatischer Taucher und Tüftler, dem der rotwollbemützte Kapitän des Medien-Kreuzers „Calypso“ mehr verdankte, als er in späteren Jahren bereit war anzuerkennen. Dennoch gehören beide zu den ersten, die erkannten, dass jeder Tauchgang auch ein „Hinab in die Vergangenheit“-Sinken sein kann – in die Welt der Wracks nämlich, die Zeitkapseln gleich auf dem Meeresgrund die Jahrtausende überdauern können.

„Der Entdecker gesunkener Schiffe“ – Peter E. A. Throckmorton (1928-1990) leitete über in die Phase der echten Unterwasser-Archäologie; es musste wohl der Tag kommen, an dem aus dem Abenteuer und Spaß Wissenschaft und Ernst wurde.

Damit hat sich für Norton der Kreis geschlossen. Selbstverständlich wird auch heute noch täglich irgendwo auf der Welt unter Wasser Pionierarbeit geleistet. Aber der eigentlich Knoten ist zerschlagen: Was es unter Wasser zu beachten gilt, damit man sich dort, wohin es 99 von 100 Tauchern zieht (d. h. nicht in die Tiefsee, in labyrinthische Höhlen oder in arktische Eismeere), aufhalten kann, ohne in jeder Sekunde in Lebensgefahr zu schweben, ist inzwischen bekannt. Aber dass dies gelingen konnte, verdanken die Anhänger dieses exotischen Sportes Männern wie jenen, denen Norton ein Denkmal setzt, das den meisten von ihnen wohl gefallen hätte.

Helen Morrison/Harold Goldberg – Mein Leben unter Serienmördern

Persönliche Geschichte und historische Fakten

Mehr als drei Jahrzehnten arbeitete die Ärztin und forensische Psychologin Helen Morrison als Profilerin, d. h. sie befragte und untersuchte gefangengesetzte Mörder, die gezielt in Serie mordeten und sich dabei so geschickt als ‚normale Menschen‘ tarnten, dass sie ihr Tun über Jahre oder Jahrzehnte fortsetzen konnten. Morrison versuchte einerseits herauszufinden, wie ihnen dies gelang, um mit der entsprechenden Kenntnis anderen, noch nicht entdeckten Serienkillern auf die Spur zu kommen, während sie sich andererseits zu begreifen bemühte, wie diese mörderischen Zeitgenossen „entstehen“ und sich entwickeln, um auf diese Weise Methoden zu ihrer frühzeitigen Erkennung und Behandlung zu finden.

Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse fasste Morrison in diesem Buch zusammen. Die Darstellung ist chronologisch strukturiert und stellt somit auch eine Autobiografie der Verfasserin dar, die ihre Arbeit verständlicherweise nicht strikt vom Privatleben trennen kann; die eine beeinflusst das andere, was folgerichtig in das Erzählte einfließt. Morrison beschreibt zunächst ihre ersten Gehversuche als Profilerin, die sie in den 1970er Jahren als junge und unerfahrene Ermittlerin mit einem Serienkiller namens „‚Babyface‘ Richard Macek“ zusammenführt. Morrison schildert die ungelenken Gehversuche, die in der Kriminalistik damals in Sachen Serienmord unternommen wurden. Es gab noch keine solide Informationsbasis, auf die man sich stützen konnte. Gewagte und aus heutiger Rückschau manchmal seltsame und riskante Versuche wurden in dieser Pionierzeit unternommen, um zu lernen, wie Serienmörder ticken („Gefährliches Terrain: Ein Serienmörder wird hypnotisiert“). Zahlreiche Sackgassen und Rückschläge mussten hingenommen werden, doch allmählich gewannen die Profiler an Boden („Einblicke in Maceks Geist“).

Im Verlauf ihrer Recherchen erkannte Morrison, dass Serienmord keine singuläre Erscheinung des 20. Jahrhunderts ist. Am Beispiel eines Veteranen – des Muttermörders und Leichenschänders Ed Gein, dessen Taten Alfred Hitchcock zum filmischen Meisterwerk „Psycho“ und Tobe Hooper zum Schock-Klassiker „Texas Chainsaw Massacre“ inspirierten – wirft Morrison einen Blick auf die (Kriminal-) Historie und weiß Serienkiller seit dem Mittelalter namhaft zu machen („Ed Gein und die Geschichte der Serienmörder“).

Prominenz und Alltag

Mit dem Fachwissen wuchs der Kreis derer, die Helen Morrison um Hilfe angingen. Es folgte die Prominenz in den Medien, die ihr manches unerfreuliche Erlebnis bescherte aber gleichzeitig half, auch mit den ‚Superstars‘ unter den Serienkillern zu arbeiten („John Wayne Gacy“). Der 33-fache Mörder Gacy verhalf ihr nicht nur zu neuen und wichtigen Erkenntnissen („Auge in Auge mit Gacy“), sondern brachte sie auch ins schmutzige Geschäft mit der ‚Gerechtigkeit‘: In den USA verdienen sich kriminalistische Fachleute gern ein Zubrot als Sprachrohre für Staatsanwälte oder Verteidiger („Im Zeugenstand beim Gacy-Prozess“).

Morrison zog sich nach diesen Erfahrungen auf ihre wissenschaftliche Arbeit zurück, verfeinerte ihre Untersuchungsmethoden parallel zu den medizinischen Errungenschaften, die inzwischen buchstäblich den Blick ins Hirn eines Menschen ermöglichten, und vertiefte ihr einschlägiges Wissen („Die Briefe und Träume des Bobby Joe Long“; „Der Sadismus des Robert Berdella“; „Der Auslöser: Michael Lee Lockhart“). Außerdem erweiterte sie ihr Untersuchungsfeld auf die Menschen, die – in der Regel ahnungslos – mit Serienmördern gelebt hatten: Eltern, Lebensgefährten, Kinder, Freunde („Serienmörder und ihre Angehörigen“) sowie jene seltsamen Menschen, die im Wissen um ihre Verbrechen mit Killern lebten oder diese bei ihren Foltermorden sogar unterstützten („Rosemary West und die Partner von Serienmördern“).

Gegenwart und Zukunft

Der Fortschritt der Kriminologie geht einher mit einer allgemeinen Globalisierung, die auch bisher fremde und isolierte Länder nicht mehr ausschließt. Dabei wird deutlich, dass Serienmörder weder Einzelfälle noch ein singuläres Phänomen der westlichen Industriestaaten sind. Es gibt sie auf der ganzen Welt („Serienmörder – ein internationales Phänomen“). Diese deprimierende Erkenntnis wird teilweise ausgeglichen durch die Tatsache, dass auch die Kriminalisten ihr Wissen verfeinern. Zwar bleibt die „CSI“-Perfektion sicherlich auch zukünftig dem Fernsehen überlassen, doch wird es Serienmördern immer schwerer fallen, ihre Untaten lange unerkannt zu treiben („Die DNA und der Mörder vom Green River“).

Morrison geht in ihrem Schlusswort noch einen Schritt weiter. Ist es möglich, Serienmörder nicht nur möglichst früh zu stellen, sondern kann man sie womöglich identifizieren, bevor sie überhaupt ihren ersten Mord begangen haben? Aus ihrer Arbeit meint sie eine Reihe von möglichen und gangbaren Wegen gefunden zu haben („Epilog: Wie geht es weiter?“).

Schlüssel zum Hirn des Killers

Bücher über Serienkiller und ihre Jäger gibt es sicherlich in ebenso großer Zahl wie ‚Sachliteratur‘ über den Heiligen Gral oder die Umtriebe der UFOs. Mit freundlicher Unterstützung durch Hannibal Lecter ist quasi ein eigenes Genre entstanden, das sich erstaunlich lange in der Gunst des Publikums hält und nicht zuletzt durch die „CSI“-Welle dank des Fernsehens neuen Auftrieb erhielt. Vom Treiben fiktiver Unholde und markiger Mörderfänger profitieren auch reale Kriminalisten, die lange im Verborgenen arbeiten mussten. Heute sind die neugierigen Laien geradezu süchtig nach Blicken in Labors & Leichenhallen, in denen Spezialisten gleich mittelalterlichen Hexenmeistern aus winzigsten Spuren verbrecherische Szenarien rekonstruieren.

Helen Morrison tritt erst auf den Plan, wenn der Strolch – Serienmörder sind in der Regel männlich – bereits gefasst wurde und sicher hinter Gittern setzt. Mit Fragebogen und Hirnstrommessgerät setzt sie sich dem Täter gegenüber und horcht ihn aus. Was keine besonders komplizierte Aufgabe zu sein scheint, relativiert sich durch die Erkenntnis, dass sie es hier mit Menschen zu bekommt, denen Gesetzesvorschriften oder die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens nichts bedeuten: Serienmörder, das weiß uns Morrison in ihrem Buch deutlich zu machen, leben nach ihrem eigenen Verhaltenskodex, der ausschließlich auf ihre privaten Bedürfnisse zugeschnitten ist, zu denen mit einer Furcht erregenden Selbstverständlichkeit Folter und Mord in Serie gehören.

Die Tatsache, dass man es mit einer „anderen Art“ von Mensch zu tun hat, die womöglich geistig gar nicht in der Lage ist zu begreifen, welcher Verbrechen sie sich schuldig macht, erschwert verständlicherweise die Kommunikation mit Serienmördern. Manche sind sogar stolz auf ihre ‚Leistungen‘ und erinnern sich gern ihrer Untaten, was wiederum Morrison einen wichtigen Zugang zur fremdartigen Denkwelt dieser Männer (und einiger weniger Frauen) öffnet.

Profiling als Geschäft

Dies zu schaffen, ermöglicht nicht nur viel Geduld – Morrison ringt und debattiert oft Wochen und Monate mit ihren Gesprächspartnern -, sondern auch eine stabile Psyche, denn mit einem Serienmörder in wirklich engen Kontakt zu treten, bedeutet wahrlich einen Blick in den Abgrund. Unglaubliche Scheußlichkeiten muss Morrison sich nicht nur auf Tatortfotos anschauen, sondern sich von oft triumphierenden Mördern in allen Details beschreiben lassen. Eine Flut belastender, dabei oft wenig informativer Worte und Bilder ergießt sich über sie, unter denen sie die wenigen relevanten Fakten erkennen muss und auswerten kann.

In mehr als drei Jahrzehnten hat Morrison ihr Verständnis vom Serienmörder entwickelt. Sie vertritt klare Standpunkte, die ihr Werk freilich nicht unumstritten machen. So ist sie beispielsweise davon überzeugt, dass Serienmörder als solche bereits geboren werden, sie also genetisch vorbelastet sind und letztlich außerstande sind zu begreifen, was sie anrichten. Auch gegen den Drang zum wiederholten Töten können sie sich im Grunde nicht wehren, so Morrison. Nach ihrer Meinung sind Serienmörder Menschen, die sich emotional niemals entwickelt haben sondern auf der Stufe eines Säuglings, der handelt ohne zuvor über eventuelle Folgen nachzudenken, stehengeblieben sind.

Die Logik dieser Theorie eines rein biologisch bedingten Serienmord-Phänomens ist weder absolut schlüssig noch in der Beweisführung überzeugend. Morrison ist sich dieser Tatsache bewusst. Man muss ihr hoch anrechnen, dass sie der Kontroverse nicht ausweicht, indem sie beispielsweise über ihrer Argumentation Nebelkerzen zündet. Klipp und klar und für Kritik sofort erkennbar fallen ihre Äußerungen aus. Unangenehmen Wahrheiten geht Morrison dabei nie aus dem Weg. Die Welt der Kriminalisten dreht sich nicht ausschließlich um die Suche nach Wahrheiten, sondern wird geprägt von Animositäten, Konkurrenzdenken und im Brustton der Überzeugung geäußerten Falscherkenntnissen. Mit seltener Deutlichkeit nennt Morrison Namen und Ereignisse, die kein gutes Licht auf die Forensiker, Profiler und kriminalistischen Psychologen werfen. Die Autoren ist eindeutig niemand, die ihrem Gegner auch die andere Wange hinhält, ihr Buch auch eine Abrechnung mit Zeitgenossen, die ihr beruflich in die Quere gekommen sind.

Warnung vor dem Heiler!

Unter diesen Aspekten muss man vor allem Morrisons Schlussfolgerungen im letzten Kapitel bewerten. Allen Ernstes plädiert sie für noch intensivere Untersuchungen weiterer Serienmörder, die Gehirnoperationen einschließen. Nicht einmal die Justiz der USA, die kaum als menschenfreundlich zu bezeichnen ist, gestattet solche Experimente. Morrison geht noch wesentlich weiter: Sie denkt über mögliche Konsequenzen ihrer Forschungsarbeit nach. Was geschieht, wenn sie wirklich eine Art ‚Serienmörder-Gen‘ entdeckt? Sollten alle Neugeborenen entsprechend untersucht werden? Kann man sie ‚heilen‘, wenn besagtes Gen auftritt? Falls nicht: Was macht man mit ihnen? Steckt man sie in Gefängnissanatorien, bevor sie – eventuell – zu morden beginnen?

Mit solchen drastischen ‚Anregungen‘ möchte die Verfasserin einerseits provozieren, denn der Serienmord ist für sie, die sich tagtäglich damit beschäftigt, ein brennendes Problem, dem von Politik und Öffentlichkeit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Andererseits resultiert Morrisons Vorstoß aus dem, was sie lernen musste: Serienmörder sind nicht unbedingt die seelenlosen Kreaturen, die sie in ihren sieht. Auf jeden Fall aber sind jene Menschen und ihre Familien und Freunde unschuldig, die unter mörderischen Attacken schreckliche Qualen erdulden müssen. Wer so etwas quasi miterlebt, wird sich in der Planung von Gegenmaßnahmen nicht von den Grenzen des politisch Korrekten bremsen lassen.

„Mein Leben unter Serienmördern“ ist letztlich kein Fach- oder Lehrbuch, sondern ein allgemeinverständliches Sachbuch, das informieren und Denkanstöße liefern möchte. Als solches ist es eine interessante und anregende Lektüre. Morrison hält sich im Ton meist zurück, ohne aber zu leugnen, dass auch sie oft erschüttert und angeschlagen oder angewidert ihre Arbeitsstätten verlässt. Es fehlt das aufdringlich Spektakuläre, das Schwelgen in blutigen Details, welchem die „True Crime“-Sparte ihren anrüchigen Ruf verdankt. Morrison verzichtet auf Fotos von Tatorten oder die üblichen Fahndungsbilder von Verbrechern, denen ‚Monster‘ praktisch in die Fratzengesichter geschrieben steht. Das Buch kann durch solche Zurückhaltung am richtigen Fleck nur gewinnen.

Autorin

Helen Morrison (*1942) ist Ärztin und als solche spezialisiert auf die Gebiete Neurologie und Psychiatrie. Seit mehr als drei Jahrzehnten arbeitet sie als forensische Psychologin und hat mehrere Fachbücher sowie mehr als 125 Artikel für wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. Mit ihrer Familie lebt Morrison in Chicago.

Taschenbuch: 352 Seiten
Originaltitel: My Life Among the Serial Killers (New York : William Morrow 2004)
Übersetzung: Sebastian Vogel
http://www.randomhouse.de/goldmann

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Weber, Thomas A. – Science Fiction

Die sachliche wie literarisch-unterhaltsame Beschäftigung mit Welten der Zukunft und ihren Bewohnern – das ist das Feld der Science Fiction, die als Literaturgenre noch jung, aber deren Geschichte bereits recht komplex geworden ist. Auf 128 kurzen Seiten wird der Versuch gewagt, das Genre auf seine grundsätzlichen Elemente zu reduzieren und auf diese Weise möglichst kompakt zu erläutern.

„Science Fiction“ gliedert sich wie alle Bände der Reihe „Fischer Kompakt“ in vier Abschnitte. Der „Grundriss“ (S. 3-93) liefert eine Gesamtdarstellung, die „Vertiefungen“ (S. 94-120) informieren über ausgewählte und exemplarische Aspekte des Themas. Ein „Glossar“ (S. 121-128) listet kommentierte Fachbegriffe der Science Fiction auf. Die „Literaturhinweise“ tragen der gewollt knappen (bzw. kompakten) Darstellung Rechnung und bieten Hinweise auf weiterführende Sekundärliteratur. Als besonderer Service werden diese auf der Website http://www.fischer-kompakt.de/sixcms/detail.php?template=autor__hinweise&id=481809 durch aktuelle Links auf weitere SF-Websites ergänzt.

Der „Grundriss“ setzt mit der Frage „Was ist Science Fiction?“ ein; diese Definition ist weder simpel noch eindeutig, denn das Genre erlebte eine schwere Geburt. Es gab im späten 18. und 19. Jahrhundert zahlreiche „Wegbereiter der Science Fiction“, doch das Genre in seiner modernen Prägung ist ein Kind der 1920er Jahre und begann in den USA als „»Pulp«-Science Fiction – Die Gernsback-Ära“. Die allmähliche Entwicklung der SF als zunächst durch und durch triviales, wissenschafts- und technikgläubiges aber zunehmend die Regeln der Unterhaltung meisterndes Genre gipfelte in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre im kurzen aber stürmischen „Goldenen“ Zeitalter.

Nach dem II. Weltkrieg wurde die SF erwachsen. In die Begeisterung über die Erwartung einer glänzenden Zukunft mischten sich zunehmend begründete, aus der Erfahrung erwachsende Zweifel: Es ging offenbar nicht stetig voran mit dem Fortschritt. Vom „»Goldenen Zeitalter« zur Respektabilität und Stagnation“ heißt deshalb das nächste Kapitel, denn auch in der SF verebbten die neuen Impulse schließlich. In den 1960er Jahren kam es zur „Revolte der New Wave“. Die Vertreter einer „neuen“ Science Fiction forderten zur Auslotung der „inneren Welten“ der menschlichen Psyche auf. Diese Abkehr von der „harten“ naturwissenschaftlichen und technikorientierten SF ging einerseits einher mit der Berücksichtigung der bisher wenig beachteten „weichen“ Sozial- und Geisteswissenschaften, während andererseits formal radikal experimentiert wurde. Die „New Wave“ gab Anstöße, lief sich jedoch lahm. Wieder befand sich „Die Science Fiction auf der Suche nach neuen Wegen“. Um 1980 begannen „Cyberpunker und kalte Krieger“ ihren Siegeszug. Die SF setzte auf den scharfen Kontrast zwischen Hightech & Cyberspace und einer sozial entfremdeten bzw. verkümmerten zukünftigen Gesellschaft.

Auch der Cyberpunk erwies sich als kurzlebige Mode. Bewährte und niemals verschwundene Subgenres feierten ihre Renaissance: „Neue Weltraumoper, New Weird und neue harte Science Fiction“ prägen das aktuelle Gesicht der Science Fiction. Das Alte wird im aktualisierten Gewand recycelt, die Grenzen zu anderen Genres öffnen sich. Elemente des Horrors, des Krimis oder der Fantasy fließen stärker denn je in die SF ein. Alles scheint möglich zu sein, während ein Aufbruch in echtes Neuland auf sich warten lässt.

Die „Vertiefungen“ greifen die Aspekte „Hohlweltgeschichten“, „Die britische »scientific romance«“, „Raketenpioniere und die Science Fiction“, „Die klassische Weltraumoper“, „Okkultismus, Scheinwissenschaft und Science Fiction“, „»Harte« Science Fiction“ sowie „Alternative Geschichte“ auf, die im Grundriss nur angesprochen wurden.

Gegen diese recht kunterbunt wirkende Auswahl richtet sich denn auch die einzige gravierende Negativkritik an diesem ansonsten informativen und nützlichen Buch, welche allerdings eingeschränkt werden muss: Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte jeder Autor sich andere Themen gewählt, um mit deren Hilfe die grundsätzliche Darstellung zu vertiefen. Hier ist das vorgegebene Format der limitierende Faktor: „Fischer Kompakt“-Bände weisen einen Standard-Umfang von 128 Seiten auf. Die Limitierung als solche ist eine bewusste und auch nachvollziehbare Entscheidung: Es ist einfacher, sich über ein Thema in epischer Breite zu äußern, als sich kurz zu fassen. In der Kürze liegt die Würze, heißt ein Sprichwort, das sich so übersetzen lässt: Die Kürze zwingt sowohl zur Präzision in der Gliederung des Stoffes als auch in der Formulierung. Dieser Herausforderung zeigt sich durchaus nicht jeder kluge Kopf gewachsen. Thomas Weber hat sich ihr gestellt und sie im Großen & Ganzen bewältigt.

Auf knapp 90 Seiten die wechselvolle Geschichte eines ganzen Genres „einzudampfen“, ist eine Leistung, die Respekt verdient. Natürlich mahnt der SF-Fachmann Aspekte an, die zu kurz gekommen sind oder ganz fehlen. Nur: Trifft dies auch zu? Weber hat den Mut zur Lücke und zur Paraphrasierung; er schuppt die Science Fiction bis auf ihr Grätengerüst ab. Dabei stellt sich heraus, dass diese Gräten zum Teil nur lose oder gar nicht miteinander verbunden sind: Die Geschichte der Science Fiction verläuft (vor allem im Hinblick auf ihre Entwicklung in vielen Ländern dieser Erde, die für den westeuropäisch/angelsächsisch zentrierten Sekundärliteraten immer noch weiße Flecken der Unkenntnis bilden) nicht stringent und sie ist reich an Nebenlinien und Sackgassen. Deshalb setzt jeder SF-Historiker besagtes Gerüst im Detail womöglich ein wenig anders zusammen.

Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet Webers Ausführungen als Ganzes, so liefern sie denen, die sich nicht nur als Leser für die Science Fiction, sondern auch für das Genre interessieren, genau die wertvolle Einleitung, die sie schließlich sein sollen: geradlinig in der Darstellung, allgemeinverständlich im Ausdruck, nie verbissen akademisch. (Vielleicht wäre „Science Fiction als Literatur“ als Titel dem Inhalt besser gerecht geworden – die zeitweise außerordentlich engen und wichtigen Wechselwirkungen, die zwischen Kino/Fernsehen und der geschriebenen SF bestehen, werden von Weber nur gestreift, aber dadurch in ihrer Bedeutung immerhin als erkannt markiert.)

Vor allem stellt Weber die Science Fiction nicht als isoliertes Phänomen dar. Auch wenn die Verfechter einer „Hochliteratur“ es immer noch ungern hören, ist die SF ein Element der Literaturgeschichte, die wiederum ein Spiegelbild der gelebten Realität ist. Auch die scheinbar jegliche Bodenhaftung entbehrende Science Fiction wird von Menschen geschrieben, herausgegeben und kommentiert, die politisch, gesellschaftlich, kulturell irgendwo in ihrer Zeit verwurzelt sind. Auf dieser Ebene wird sie zu einer historischen Quelle – zur „Vergangenheit der Zukunft“, wenn man es so ausdrücken will.

Die „Vertiefungen“ sollte man als Angebot verstehen. Sie liefern für ihr jeweiliges Thema interessante Zusatzinformationen. Vor allem machen sie aber deutlich, dass „Science Fiction“ nur einen ersten Überblick bieten kann und soll. In diesem Rahmen bleibt sogar Raum für eine Reihe von Abbildungen. Freilich hätte die deutsche Science Fiction dem deutschen Verfasser Weber wenigstens ein eigenes Kapitel in den „Vertiefungen“ wert sein sollen. Sie kommt definitiv zu kurz! Das ist indes ein Manko, welches nichts am Gesamturteil ändert: „Science Fiction“ gehört in das Regal jedes Lesers, der (oder die) einen Blick hinter die Kulissen „ihres“ Genres werfen möchten.

Franz Brandl – Brandls Barbuch

Franz Brandl ist eine Koryphäe auf seinen Gebiet. Er konnte bereits einen Abschluss als Barmeister vorweisen, als die Barkultur in Deutschland noch nahezu unbekannt war. Er war u.a. Barchef der „Harry`s New York Bar“ in München und des Dreisternerestaurants „Aubergine“. Ferner war er als Barmanager des „Sheraton“-Hotels tätig und veröffentlichte 1982 mit seinem „Mixguide“ einen zeitlosen Klassiker unter den Rezeptbüchern. Mit seinem „Barbuch“ hat er anschließend einen umfassenden Überblick zum Thema Barkultur geschaffen.

„Brandls Barbuch“ widmet sich dem Thema Bar im Allgemeinen, es werden also keine bereits bestehenden Bars vorgestellt. Brandl erläutert zunächst, wie das Phänomen Bar entstanden ist, und welche verschiedenen Bartypen sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben. Anschließend gibt er anschauliche Tips und Erläuterungen zu den Themen Barplanung, Bareinrichtung, Barkarte, Barutensilien, Gläserkollektion, Grundausstattung mit Getränken, Mixzutaten, Garnituren und praktischem Mixen. Dabei erläutert Brandl stets auch die klassischen Anfängerfehler und wie diese zu umgehen sind.

Der Rest des Buches beschäftigt sich mit den Getränken selbst. Die 300 (!) Rezepte zum Mixen unterschiedlicher Drinks nehmen dabei nur einen Bruchteil des Gesamtwerkes ein. Es folgt ein Getränkelexikon, welches wirklich keine (!) Frage zum Thema Geschichte und verfügbare Sorten der einzelnen Getränke offen stehen lässt. Abgerundet wird das Buch durch eine Liste der Getränkehersteller und Importeure sowie ein ausführliches Register.

Obwohl sich das Buch natürlich in erster Linie an Gastronomen richtet, kann es auch eine wertvolle Orientierungshilfe für alle sein, die mal eine private Cocktailparty geben wollen oder gar mit der Anschaffung einer eigenen Hausbar liebäugeln.

Bindung, Layout und Papierqualität des Buches sind erstklassig. Auch Brandls Sprache überzeugt – informativ, aber niemals abgehoben, anregend, aber niemals ordinär. Die dionysischen Sinnesfreuden werden hier auf höchstem Niveau vermittelt. Vollends veredelt wird das „Barbuch“ durch Bodo A. Schierens sinnliche Fotos – ein wahrer Augenschmaus, der Lust aufs Ausprobieren der einzelnen Drinks macht.

Fazit: Der Erwerb dieses Buches macht jede andere Literatur zum Thema Barbetrieb überflüssig (das Wirtschaftliche und Juristische mal außen vor gelassen). Nur wer ein handlicheres Rezeptbuch für Mixgetränke sucht, sollte lieber mit Brandls „Mixguide“ vorlieb nehmen. Man muss kein Gastronom sein, um zu erkennen, dass die „Gastronomische Akademie Deutschlands e.V.“ völlig zu Recht „Brandls Barbuch“ mit der Goldmedaille ausgezeichnet hat. Hier kommen nicht nur Freunde des gepflegten Trinkens, sondern auch Bibliophile und Ästheten im Allgemeinen voll auf ihre Kosten.

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Fergus Fleming – Neunzig Grad Nord. Der Traum vom Pol

Die vielen Versuche, den Nordpol zu erreichen, werden vom Verfasser zu einer „Entdeckungsgeschichte“ gebündelt, ein ehrgeiziges aber geglücktes Unterfangen, das unter Wahrung der historischen Tatsachen die absurden Aspekte eines an sich sinnlosen Wettlaufs betont. Als Sachbuch ebenso informativ wie spannend und witzig, wobei der Autor freilich manchmal literarisch etwas nachhilft, um für die gewünschten Humoreffekte zu sorgen.  Fergus Fleming – Neunzig Grad Nord. Der Traum vom Pol weiterlesen

Bennett, David – Metro. Die Geschichte der Untergrundbahn

Eine Geschichte der Untergrundbahnen dieser Welt – nicht nur in ihrer Funktion als Verkehrsmittel, sondern auch als Stätten der Kunst und der Architektur:

|“Die Anfänge des U-Bahnwesens“| (S. 13-62): Eine Untergrundbahn konnte es erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts geben; vorher war sie technisch nicht zu realisieren und es bestand auch kein Bedarf. Erst die Industrielle Revolution und das rapide Wachsen der Städte, deren oberirdische Straßen und Schienen dem Verkehr nicht mehr Herr werden konnten, ließen den Gedanken an eine Verlegung des Massentransportmittels Bahn unter die Erde Realität werden. Der erste Verkehrstunnel der Welt entstand bis 1841 unter der Themse von London und verband Wapping mit Rotherhithe – ein Start mit Hindernissen und doch ein Unternehmen, das viele Fragen für spätere Projekte beantwortete: Wie breit muss ein U-Bahntunnel sein? Wie gräbt man ihn mit möglichst geringem Aufwand? Betreibt man U-Bahnen mit Dampf? Mit Strom? Mit Diesel? Baut man Waggons besser aus Holz oder aus Metall? Wie sieht die optimalökonomische U-Bahnstation aus? Viele Jahre des Versuchens, Irrens und Findens schlossen sich an.

|“Architektur und Kunst in den Stationen“| (S. 63-128): Wie sich herausstellte, gibt es keine U-Bahn, die an ihre Planer und Erbauer nicht eigene komplexe Anforderungen stellt. 15 ausgewählte Strecken aus Großstädten Europas, Nordamerikas und Südostasiens belegen die enormen Anforderungen, die schwankende Böden, hohe Grundwasserstände oder andere Hindernisse aufwarfen. Aus der Not wurde eine Tugend gemacht, die Untergrundbahnen nach allen Schwierigkeiten, die ihr Bau aufwarf, in Tempel des Transportwesens verwandelt und entsprechend ausgestattet.

|“Untergrundkultur“| (S. 129-155): Nutzen und Kunst gingen eine oft erstaunliche Symbiose ein. Diese beschränkte sich keineswegs auf die Züge, die Gleise oder die Stationen. Die „U-Bahn-Künstler“ bezogen jedes Detail ein. „Metro“ zeigt Fahrkarten, Plakatkunst, Graffiti, Züge als Werbefläche, Rolltreppen, Netzpläne, die oft wie Ausstellungsobjekte wirken.

|“Liste der U-Bahnen“| (S. 156-167): Ein Buch, das wie „Metro“ das Phänomen der Untergrundbahn in seiner vielgestaltigen Gesamtheit abbilden möchte, muss sich auf Beispiele beschränken. Eine Aufzählung aller U-Bahnen dieser Welt, die ergänzt wird durch die Angabe der wichtigsten Grunddaten zu Geschichte, Entwicklung, Größe und Ausstattung, vermittelt zumindest einen Eindruck davon, dass unter den Städten dieser Erde noch manches U-Bahn-Universum seiner Entdeckung harrt.

Abgeschlossen wird „Metro“ durch eine Bibliografie (S. 168), ein Stichwortverzeichnis (S. 169-175) sowie einen Bildnachweis (S. 176)

„Metro“ steht für „Métropolitain“, die Pariser U-Bahn, die zu den berühmtesten (und ältesten) Untergrundbahnen der Welt gehört. „Metro“ und „U-Bahn“ – das sind Begriffe, die auch in Deutschland zu Synonymen geworden sind. (Glück gehabt; es hätte auch wesentlich profaner „the tube“ – die Tube – heißen können: So nennen die Bürger von London ihre U-Bahn, durch deren enge Tunnel die Züge wie Zahnpasta gequetscht werden.)

„Metro“, das Buch, überrascht durch einen thematisch ungewöhnlich breiten Ansatz. Zwar bekommt man zunächst, was zu erwarten war, einen Überblick, der die Geschichte der Untergrundbahn ebenso einschließt wie eine Schilderung der U-Bahn-Gegenwart. Viel steht da geschrieben über Bodenschichten, monströse Aushubmaschinen oder einfallsreiche Ingenieure. In diese Darstellungen mischen sich Anekdoten erschröcklicher (Wassereinbruch im Tunnel) und ergötzlicher (Kristalllüster und Stuckwände in U-Bahn-Stationen) Art.

Doch dieses „Pflichtprogramm“ schließt Verfasser Bennett schon mit der Seite 62 ab. Nunmehr taucht er mit dem Leser in eine exotisch-fremde Welt ab: Für Bennett ist die Untergrundbahn sichtlich mehr als ein simples Transportmittel, das möglichst viele Menschen von A nach B bringen soll. Mit seinem Blick betrachtet man die U-Bahn plötzlich als vom Rest der Welt isolierte Sphäre mit eigenen Regeln und Gesetzen.

In dieser Unterwelt ist der Ingenieur der Herrscher. Er ist ein gütiger Tyrann, der Politiker nur zu Streckeneröffnungen einlässt, die schönen Künste fördert und mit Unterstützung der Technik eine bis ins Detail durchgeplante Welt erschafft, die funktioniert. Man könnte nach der Lektüre von „Metro“ tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass dies der Realität entspricht, so intensiv huldigt Bennett seiner geliebten U-Bahn. Selbst Stationen, die der Leser aus eigener Erfahrung kennt und als finstere, schmutzige, von verdächtigen Gestalten bevölkerte Trollgruben beschreiben würde, geraten unter seiner Feder und vor allem unter seiner Kamera zu architektonischen Hymnen an den menschlichen Erfindungsreichtum. Die weniger erfreulichen Seiten der U-Bahn beschränkt Bennett weitgehend auf Klagen über allzu drastische Werbung sowie das Beschmieren von Wänden und Waggons (wobei die gezeigten Graffitis schon wieder den Tatbestand der Kunst erfüllen).

Diese Bilder sind großartig und definitiv keine Schnappschüsse. Der Standpunkt der Kamera ist mit Bedacht gewählt, sorgfältig hat man mit Licht inszeniert, was anschließend kunstvoll fotografiert oder besser: zu Lichtbildern veredelt wurde. Auch hier wird deutlich, dass „Metro“ weniger ein Sachbuch als ein „coffee table book“ ist, dessen Gestaltung mindestens ebenso wichtig ist wie der Inhalt; ein Prachtband, der sich, offensiv platziert, gut im repräsentativen Buchregal des weltoffenen, gut betuchten, kulturell interessierten Zeitgenossen macht.

Bennett ist selbst Ingenieur, was seine Begeisterung verständlich macht, die einer nüchternen Betrachtung sicherlich nicht standhalten kann. „Metro“ soll indes kein Sachbuch im rein darstellenden Sinn sein. Der Autor stellt die Untergrundbahn als geschlossenes System mit eigener „Evolution“ dar, was er verblüffend überzeugend an diversen Alltäglichkeiten deutlich zu machen weiß, die man ohne diese Darstellung weiterhin für selbstverständlich halten würde. So ist es ein weiter Weg bis zum heute gültigen, streng geometrischen, sich an der Topografie nicht mehr orientierenden U-Bahn-Netzplan gewesen. Die ersten Pläne bezogen noch das überirdische Straßennetz, Flussläufe und Zugstrecken ein, die gezeichneten Abstände zwischen den Stationen gaben maßstabsgerecht die realen Entfernungen wider. Das funktionierte, solange das U-Bahnnetz bescheiden blieb. Doch in jeder großen Stadt wuchs es kontinuierlich, bis sich die die ober- und unterirdischen Verkehrspläne hoffnungslos überlagerten. Erst allmählich lernte man zu trennen und „erzog“ den U-Bahn-Passagier zum selbstverständlichen Lesen abstrakter Netzpläne.

Die Untergrundbahn als Kunstausstellung wirkt ebenfalls ungewohnt. Dabei waren die Menschen schon immer stolz auf ihre Metros: Wer so viel Geist & Geld in die Erde versenkt, wünscht sich schon, dass etwas davon sichtbar wird. Heute gleichen U-Bahn-Stationen zwar nicht mehr den domähnlichen Prachtgewölben der Vergangenheit, doch ihre Architektur ist eher noch kühner geworden. Bennett dokumentiert Konstruktionen, die sich scheinbar schwerelos in den Raum erheben, was durch ausgeklügelte Lichtsetzung in der dramatischen Wirkung noch verstärkt wird. (Er verschweigt die banale Tatsache, dass harter Stahl, Keramik und Licht die Aktivitäten von Vandalen, Kunstbanausen und Sudelfinken erfolgreicher vereiteln als liebevoll gearbeitete aber empfindliche Wandpartien oder Bodenflächen.) In bzw. unter Stockholm (wo es offenbar weder Vandalen & Kunstbanausen noch Sudelfinken gibt) hat man die Stationen sogar in regelrechte Kunstgalerien oder begehbare Gesamtkunstwerke verwandelt.

Als Sachbuch mag „Metro“ nur bedingt bzw. in seinem ersten Drittel „tauglich“ sein, doch als Inszenierung einer Parallelwelt bereitet David Bennetts Besuch in einer Unterwelt mit vielen dunklen aber interessanten Winkeln großes Vergnügen. In der deutschen Ausgabe wird dieses durch die umständlich-steif wirkende Übersetzung („Die Konstruktionsweise der Wagen ist ein wesentlicher Faktor für die Gestaltung des Betriebs bei jeder U-Bahn, die teils mehrere Millionen Fahrgäste täglich zu befördern hat.“, S. 30) und bei einem Buch dieser Preisklasse erstaunlichen Zahl unkorrigiert gebliebener Rechtschreibfehler leicht getrübt, aber nicht wirklich verwässert.

Püstow, Hendrik / Schachner, Thomas – Jack the Ripper – Anatomie einer Legende

Wohl kaum ein Kriminalfall der Geschichte beschäftigt die Menschen auch heute noch so sehr wie die Morde von „Jack the Ripper“. Im Spätsommer und Herbst 1888 versetzte ein unbekannter Täter die Menschen des Londoner East Ends in Angst und Schrecken. Innerhalb weniger Wochen ermordete er mindestens fünf Frauen, allesamt Prostituierte, die sich auf den Straßen von Whitechapel ihren Lebensunterhalt verdienen mussten.

Über kaum einen Täter in der Kriminalgeschichte dürfte so sehr spekuliert worden sein wie über „Jack the Ripper“. An Theorien zu den Morden mangelt es nicht – höchstens an stichhaltigen Theorien. Im Laufe der Geschichte machten diverse Verdächtige die Runde. Mal soll die Spur der Morde bis ins britische Königshaus hinaufreichen, mal will jemand angeblich die Tagebücher von „Jack the Ripper“ gefunden haben, und mal macht sich eine renommierte Krimiautorin auf, im Namen der Aufklärung für viel Geld den Nachlass eines wichtigen Künstlers der damaligen Epoche unwiederbringbar zu zerstören. Gerade vor dem Hintergrund der Whitechapel-Morde von 1888 gibt es immer wieder skurrile Theorien und sonderbare Ereignisse, die zur Mythenbildung ihren Teil beisteuern.

Einen neuen Täter präsentieren auch Henrik Püstow und Thomas Schachner in ihrem im |Militzke|-Verlag erschienenen Buch „Jack the Ripper – Anatomie einer Legende“ nicht. Auch ansonsten kommt ihr Buch eher unspektakulär daher. Püstow und Schachner haben sich aber auch ein gänzlich anderes Ziel auf die Fahnen geschrieben, eines, das gerade unter Ripperologen wohl eher selten ist: Ganz nüchtern widmen sie sich lediglich den Fakten. Sie rekonstruieren die Fälle anhand der damaligen Presse und der Polizeiakten. Sie skizzieren den Ablauf der Verbrechen neu, lassen die damaligen Zeugen zu Wort kommen und versuchen möglichst genau die letzten Schritte der Opfer nachzuvollziehen.

Die Verdächtigen, die nach den unterschiedlichen Ripper-Theorien für die Taten verantwortlich sein könnten, stellen sie jeweils kurz vor und erläutern in einer Pro-und-contra-Liste, was für und was gegen die Tätertheorie spricht. Nun sollte man meinen, eine solche objektive, lediglich auf Fakten basierende Betrachtungsweise wäre nichts Neues, in Sachen „Jack the Ripper“ ist sie allerdings ein Novum.

Allein die Tatsache, dass Püstow und Schachner selbst keiner Tätertheorie anhängen, ist schon eher ungewöhnlich, war es doch unter Ripperologen sonst meist üblich, die Whitechapel-Morde so darzustellen, dass sie zur individuell gehegten Tätertheorie passen. Die beiden Autoren bleiben in ihrer Betrachtungsweise bis zum Schluss objektiv, und genau das macht dieses Buch nicht nur einmalig, sondern auch zu einem wichtigen Werk zum Thema „Jack the Ripper“. Püstow und Schachner zeigen auf, was wirklich zu den Fällen bekannt ist, sie rekonstruieren die Fälle minutiös und prüfen bekannte Tätertheorien auf ihre Stichhaltigkeit.

Das, was dieses Buch so wertvoll macht, ist auch die Tatsache, dass man sich einen wunderbaren Überblick zu dem Thema verschaffen kann. Sind die meisten Ripper-Publikationen stets sehr subjektiv gefärbt, so erfährt man bei Püstow und Schachner, was man als gesichert ansehen kann und was nicht. Hinzu kommt, dass die beiden Autoren Material gesichtet haben, das bislang kaum Eingang in die Literatur zum Thema gefunden hat. Laut Verlagsangaben lagen den beiden die kompletten Polizeiakten vor, teilweise gar bislang ungesehenes Material. Ergänzt haben sie das mit den damaligen Meldungen der Presse, teils auch der deutschsprachigen.

Püstow und Schachner schildern den Fall aus der damaligen Sicht und skizzieren damit auch sehr plastisch die Verhältnisse und Lebensumstände der Menschen im Londoner East End nach. Die Fakten werden nachvollziehbar dargelegt und der Stil der beiden Autoren liest sich so locker und fesselnd, dass die Lektüre sich recht angenehm gestaltet. Allzu zart besaitete Gemüter werden das in Anbetracht der teils sehr unappetitlichen Bilder und Schilderungen von den Autopsien sicherlich anders sehen, aber das trifft wohl auf so ziemlich jedes Buch zum Thema „Jack the Ripper“ zu. Die Morde an sich sind halt eine unappetitliche Angelegenheit, bei der es nichts zu beschönigen gibt.

Auch Püstow und Schachner können zur Aufklärung der Morde am Ende keine allzu neuen Erkenntnisse beitragen, die wesentlich größere Klarheit bringen. Was neu ist, ist die Entlarvung der Urheberschaft des so genannten „Dear Boss“-Briefes, der damals überhaupt erst den Namen „Jack the Ripper“ ins Spiel gebracht hat. Laut Püstow und Schachner ist der Absender nicht der Mörder selbst, wie sonst immer gemutmaßt wurde, sondern ein findiger Journalist.

Zum Thema „Jack the Ripper“ hat Püstows und Schachners Werk eine unabstreitbare Eignung zur Basisliteratur: Objektiv in der Betrachtungsweise, fundiert in der Vielzahl an Quellen und stets kritisch in der Beurteilung gängiger Theorien. Die beiden Autoren beleuchten den Themenkomplex auf erfrischende und bei der Thematik durchaus ungewohnte Art und Weise, klammern sie sich schließlich nicht an die verkaufsfördernde Wirkung spektakulärer Tätertheorien. Ihre nüchterne und klare Herangehensweise hat einen geradezu wissenschaftlichen Charakter, der dem Buch eine Glaubwürdigkeit verleiht, die man sonst bei Büchern zum Thema „Jack the Ripper“ oft mit der Lupe suchen muss.

Die beiden Autoren haben sich schon jahrelang mit dem Thema „Jack the Ripper“ beschäftigt. Henrik Püstow hat schon viele Aufsätze zum Thema veröffentlicht. Thomas Schachner stellte das größte deutsche Webportal zum Thema „Jack the Ripper“ auf die Beine und ist zusätzlich aktiv an der weltweit größten „Ripper“-Website www.casebook.org beteiligt. Zudem hat er die „Jack the Ripper“-Konferenz in Baltimore 2003 mitorganisiert.

Fazit: Was Püstow und Schachner in „Jack the Ripper – Anatomie einer Legende“ zusammengetragen haben, ist absolut lobenswert – sachlich, kritisch und glaubwürdig. Den Täter können auch sie nicht präsentieren, aber welcher seriöse Forscher mag heutzutage damit noch aufwarten? Was sie aber schaffen, ist ein objektiver Überblick, der gerade im Bereich der deutschsprachigen „Jack the Ripper“-Literatur stets gefehlt hat.

Und so kann man Püstow und Schachner auf jeden Fall schon mal attestieren, dass sie ein lesenswertes Grundlagenbuch zum Thema abgeliefert haben, das ungleich wertvoller ist als so manche abstruse oder spektakuläre Theorie, egal ob sie von Stephen Knight stammt oder von Patricia Cornwell. Püstow und Schachner geben der Thematik den nüchternen und sachlichen Blick auf die Tatsachen zurück, der in der versuchten Aufklärung der Verbrechen in den letzten Jahrzehnten viel zu oft gefehlt hat.

Das deutschsprachige Informationsportal zum Thema „Jack the Ripper“:
[www.jacktheripper.de.]http://www.jacktheripper.de
http://www.militzke.de/

Taylor, Michael Ray – Höhlen. Expeditionen in die faszinierenden Innenwelten an Land, unter Wasser und im Eis

Im Jahre 2000 begab sich ein Team der Firma MacGillevray Freeman Film, Spezialisten für die Herstellung von IMAX-Filmen, auf eine Nabelschau ins Innere unserer Erde. Unterstützt von der National Geographic Society wurde ein abenteuerliches Projekt realisiert: Zum ersten Mal sollte die komplizierte Technik, mit deren Hilfe außergewöhnlich scharfe und farbintensive Aufnahmen möglich sind, in Höhlen eingesetzt werden, die nicht nur unter der Erde und damit im Dunkeln, sondern teilweise sogar unter Wasser oder im Gletschereis lagen.

Vom Ewigen Eis des Nordens bis in die warmen Meere Mittelamerikas ging die Fahrt, die in diesem Buch beschrieben wird, das eine Mischung aus Expeditionsbericht und Sachbuch darstellt. Als „Blickfang“ und Identifikationsfiguren für die Zuschauer wurden Hazel Barton und Nancy Aulenbach, zwei junge und in ihrem Metier erfolgreiche, aber auch optisch ansprechende Höhlenforscherinnen angeheuert, welche für eine bezahlte Forschungsreise gern in Kauf nahmen, vor der Kamera ihrem Job nachzugehen. Der Wissenschaftsjournalist Michael Ray Taylor schloss sich der Expedition an und sammelte parallel zu den Filmaufnahmen das Material für sein hier vorgelegtes Buch. Es gliedert sich in drei Großkapitel, die sich an den drei Höhlentypen orientieren, die auf dieser Erde vorkommen: Höhlen im Eis, unter Wasser und im Felsen.

„Eis: ins Herz von Grönland“ (S. 12-67): Viele Kilometer dick sind die Eisschichten, welche die meisten Gebiete der größten Insel dieser Welt bedecken. Vor allem im Sommer, wenn die Sonne sogar in diesen eisigen Breiten für Wärme sorgt, beginnen Schmelzbäche Rinnen, Schluchten und Höhlen in das Eis zu fräsen. Dies ist der Zeitpunkt, auf den einige Spezialisten unter den Naturforschern gewartet haben, können sie doch nur auf diese Weise in die Welt unter dem Eis eindringen, das ansonsten undurchdringlich weil hart wie Eisen bleibt. Angetrieben werden sie nicht durch Abenteuerlust. Wissenschaftliche Neugier treibt sie hinab in die Tiefe – ein gefährliches Unterfangen, denn Eis ist ein Material, das sich in Nichts auflösen, zusammenstürzen oder rasant neu bilden kann. Eishöhlen sind deshalb ständigen Veränderungen unterworfen, die eine Expedition dem Irren durch ein einsturzgefährdetes Labyrinth gleichen lassen. Doch der Einsatz lohnt sich, denn dort, wo man normalerweise nur öde Kälte erwartet, gibt es Leben. Einzeller und anderes mikroskopisch kleines Getier sowie Kreaturen, deren Einteilung in den Stammbaum des Lebens schwer fällt, tummeln sich hier unten und gedeihen prächtig. Sie erweitern die Grenzen dessen, was die Forschung bisher als Lebensraum definierte, gewaltig. Plötzlich wirken auch fremde Welten wie der Mars oder der Jupitermond Europa nicht mehr absolut lebensfeindlich: Es ist dem Leben offenbar nicht nur theoretisch möglich, unter solchen Extrembedingungen zu existieren.

„Wasser: Flüsse unter Yucatan“ (S. 68-133): Diese Theorie findet auch an einem ganz anderen Ort Bestätigung. Die mittelamerikanische Halbinsel Yucatan ist ein riesiger Schweizer Käse, unter dessen dünner Erd- und Felsoberfläche ein gewaltiges Höhlensystem im stützenden Gesteinssockel ausgewaschen wurde. Nachdem der Meeresspiegel in der Vergangenheit angestiegen ist, liegt es heute unter Wasser. Oft künden nur „Cenotes“, riesige runde Löcher dort, wo die Decke eingestürzt ist, von ihrem Vorhandensein. Riesige Flüsse erstrecken sich unter einem Regenwald, in dem es kaum offene Wasserflächen gibt. Die Höhlenwelt im Wasser ist warm aber dunkel und keineswegs ohne Leben. Die Besucher finden hier neue, bemerkenswert an ihre seltsame Umwelt angepasste Lebewesen, die in geradezu bizarren Symbiosen „zusammenarbeiten“ und so den Anforderungen genügen, die ihre Heimat an sie stellt. Deren Erforschung ist sogar noch riskanter als der Gang ins Eis, muss sich der Mensch doch in ein Element wagen, das ihm die wichtigste Grundlage für seine Existenz versagt: den Sauerstoff, auf den er anders als die Wesen, die er in der Tiefe sucht, keineswegs verzichten kann. Soll dann auch noch gefilmt werden, werden die logischen Anforderungen für einen Tauchgang zu einem Albtraum.

„Erde: Klettern und Kriechen“ (S. 134-203): Höhlen in Felsen erweisen sich endlich einmal als stabil. Dies macht ihre Erforschung freilich nicht einfacher, denn in der Regel finden sich die für die Forschung besonders interessanten Stellen exakt dort, wo kaum ein Hinkommen möglich ist. Viele hundert Meter geht es durch das rote Gestein von Arizona in düstere, gähnende Schlünde oder durch sargenge Schlupfgänge hinab in den Bauch des Planeten, aus dessen Wänden womöglich giftige Gase oder gar Säuretropfen quellen. Aber selbst hier hat das Leben seine eigenen Wege gefunden. Absonderliche Geschöpfe mit nie vermuteten Fähigkeiten werden hier entdeckt; womöglich verbergen sie in ihrem Inneren Heilstoffe gegen menschliche Krankheiten, welche die Medizin revolutionieren können.

Die Forschung als Abenteuer verpackt, kann durchaus das Interesse wecken (oder Sponsorenbörsen öffnen). Nur die echten Ignoranten winken ab, aber ihnen bleibt das Reich der Jamba-Jingles & Privat-TV-Komiker, dessen Grenzen sie hoffentlich nie überschreiten. Freilich ist es durchaus möglich, dass sogar einige dieser (im Kopf) Hartgesottenen durch dieses Buch angelockt werden. Höhlen üben auf Menschen eine eigentümliche Faszination aus. Sie fürchten sich entweder vor der Enge, der Dunkelheit, dem Unbekannten, das sich dort verbergen mag, oder sie werden magisch angezogen auf der Suche nach Schätzen, welche in diesem Fall aus wissenschaftlichen Erkenntnissen bestehen. Möglicherweise spielt ja eine kollektive Erinnerung an jene fernen Zeiten eine Rolle, in denen der Mensch in Höhlen wohnte. Es sind indes nie so viele gewesen, wie man heutzutage annimmt; Höhlen mit Lebensqualität sind nicht gerade zahlreich.

Erstaunlich viele Kreaturen sehen das allerdings anders. Tief unter der Erdoberfläche gibt es bizarre Ökosysteme, die sich der Mensch bis vor kurzer Zeit nicht hätte träumen lassen. Höhlen stellen das ideale Versuchslabor der Natur dar. Hier existieren alle nur denkbaren Extrembedingungen: extreme Hitze oder Kälte, Trockenheit, Nässe, Atmosphären mit Gasen, die man für giftig gehalten hatte, die manche Bakterien jedoch zum Leben benötigen; die frische Luft ist es, die sie töten würde. Kein Wunder also, dass diese Spezialisten Spitznamen wie „Klingone“ tragen: Sie muten außerirdisch an – und geraten damit zu Hoffnungsträgern jener, welche auf den Planeten und Monden unseres Sonnensystems allzu gern Leben fänden. Wie es aussieht, könnten sie Recht behalten.

Die Suche nach solchen Wesen ist unter den beschriebenen Umständen schwierig. Michael Ray Taylor weiß für sein Buch davon zu profitieren. Er muss nur beschreiben, was sich vor seinen Augen in diversen Höhlen abgespielt hat, und könnte sich dabei sogar die Mühe sparen, dies ebenso präzise wie knapp und lesenswert zu tun (was er glücklicherweise nicht macht): Die Aufmerksamkeit des Lesers wird sofort auf 135 bemerkenswerte Fotos gelenkt.

Die IMAX-Technik gehört vermutlich bald zu den Sackgassen der Technikgeschichte. Gewaltige Kameras müssen mit überdimensionalen Filmrollen gefüllt werden. Für die entstandenen Werke wurden sogar eigene Kinos mit entsprechenden Leinwänden gebaut: IMAX-Bilder sind riesig, farbintensiv und unglaublich detailscharf. Bis auch hier die digitale Revolution Einzug hält, gehören sie zu dem Feinsten, was man dem menschlichen Auge bieten kann. Durchweg auf feines Kunstdruckpapier gedruckt, spiegeln die ausgewählten Aufnahmen das Dargestellte mit spektakulärer Intensität wider.

„Höhlen“ ist auch ein Bericht über eine Reise in ferne und fremde Länder. Er hilft begreiflich zu machen, wieso der Mensch Informationen über solche Expedition liebt: Sie führen dorthin, wo noch niemand zuvor war. Es gibt sie noch, die berühmten „weißen Flecken“ auf der Landkarte. Heute werden sie denjenigen, die es vorziehen, den mit der Erforschung verbundenen Strapazen aus dem Weg zu gehen, sogar ins Haus gebracht. „Höhlen“ ist so dicht am Geschehen, dass man leicht vergisst zu berücksichtigen, dass diese Bilder im Grenzbereich des Lebens entstanden. Obwohl sich Verfasser Taylor nach Kräften bemüht, die Gefährlichkeit von Höhlen angemessen darzustellen, ist ihm klar, dass die vielleicht größte Gefahr erst durch Film und Buch heraufbeschworen wird. Nicht grundlos werden die Zugänge zu vielen Höhlen sorgfältig geheim gehalten. Die hier angesiedelten Ökosysteme sind fragil, die laienhaften Besucher tölpelhaft oder offen zerstörungswütig. Vor allem fällt es ihnen schwer zu begreifen, dass in einer Höhle jeder Schritt bedacht sein will; es könnte sonst der letzte werden.

„Höhlen“ ist in jeder Beziehung ein monumentales Werk. Damit die Bilder wie beschrieben zur Geltung kommen können, wurde ein Buchformat von 23 x 30 cm (Hochformat) gewählt. Das Ergebnis hat seinen (Kauf-)Preis, doch hier gibt es einen Tipp: „Höhlen“ wird nunmehr antiquarisch angeboten. Mein Exemplar erwarb ich für weniger als die Hälfte des ursprünglichen Preises. Unter diesen Umständen ist es beinahe unmöglich, einen Kauf zu verhindern …

Der amerikanische Journalist und Buchautor Michael Ray Taylor ist Dozent für Journalismus an der Henderson State University im US-Staat Arkansas. Er nimmt an Expeditionen teil und hat sich auf die Erforschung von Höhlen spezialisiert, von denen er inzwischen ca. 600 besucht hat. Sein besonderes Interesse gilt dabei der Suche nach den „Extremspezialisten“ unter deren Bewohnern – den Nanobakterien. Als Wissenschaftsjournalist arbeitet Taylor u. a. für die Website des Discovery-Channels (www.discovery.de bzw. www.discovery.com) und als Berater für Dokumentarfilme dieses Hauses, für die National Geographic Society sowie für andere Fernsehsender.

Die National Geographic Society informiert unter der Adresse http://www.nationalgeographic.de über ihr Buchangebot.

Botting, Douglas – große Zeppelin, Der

Der Traum ist – so lautet eine der zahllosen Definitionen – ein Ventil, das unser Hirn benötigt, um in der Nacht kreativen Überdruck abzulassen, der in der grauen Realität des Tages meist fehl am Platze ist, denn dort haben Krämerseelen, Erbsenzähler oder Notstandsverwalter das Sagen. Nur manchmal geschieht es, dass die sonst vergeudete Energie, statt im Nichts zu verpuffen, den Weg ins Hier & Heute findet, um dort jenen komplexen Mechanismus aus Versuch & Irrtum anzutreiben, dem wir Menschen es verdanken, dass wir als Adresse nicht mehr die Höhle Nr. Sicher angeben müssen.

Was haben die raren Zeitgenossen, die von uns weniger Klugen oder Mutigen als „Spinner“ verlacht werden, bis wir sie nach wider Erwarten sich einstellendem Erfolg zum „Genie“ befördern, nicht zu erdulden, während sie unbeirrt ihrem seltsamen Drang folgen, der Welt etwas zu schenken, was diese zwar selten verdient, aber oft genug gut gebrauchen kann! Die Geschichte dieser erfindungsreichen Geister ist mit der des Zeppelins praktisch deckungsgleich. Im Nachhinein gibt es natürlich viele kluge Antworten auf die Frage, wieso das Luftschiff gerade um 1900 erfunden wurde, aber wie Douglas Botting so informativ wie unterhaltsam darzulegen weiß, ist die historische Wahrheit nur die Hälfte der Geschichte.

Luftschiffe sind keine Objekte nüchterner Betrachtung; das sind sie höchstens für Regierungen und Konzerne, die sie bezahlen müssen. Ansonsten stellen sie Objekte der Bewunderung und Projektionsflächen für die Träume der normalsterblichen Bodenbewohner dar. Weil Zeppeline üblicherweise recht voluminöse Gebilde sind, verbinden sich mit ihren entsprechend große oder großartige Träume. „Dr. Eckeners Traum-Maschine“ nennt denn auch der Verfasser sehr viel treffender, als der prosaische deutsche Titel dies auszudrücken vermag, sein Werk. Was er damit meint, führt er uns sogleich überzeugend vor Augen, als er mit der Chronologie seiner Zeppelin-Historie bricht und die Ehrfurcht gebietenden Riesen der Lüfte in den Stunden ihrer größten Triumphe zeigt. Die sagenhafte Erdumkreisung des „Grafen Zeppelin“ von 1929 führt dem Leser aber exemplarisch auch vor Augen, dass eine der ganz großen technischen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte enden musste wie sie begann: großartig, aber tragisch.

Dr. Hugo Eckener (1868-1954) ist für beides der ideale Hauptdarsteller. Ein nüchterner, auf Sicherheit und Zuverlässigkeit schwörender, genialer, sturer, schroffer, selbstbewusster, hoch verehrter, verschlossener, überlebensgroßer Mann, alles andere als ein trauriger Held, sondern eine Persönlichkeit mit Visionen und der Kraft, diese allen Widrigkeiten zum Trotz umzusetzen. Wohl nur Eckener konnte quasi im Alleingang die Luftschifffahrt Wirklichkeit werden lassen, weiß Botting deutlich zu machen, und was den Unterschied ausmacht, erklärt er uns, indem er Eckener den legendären Grafen Ferdinand von Zeppelin gegenüber stellt, der als eigentlicher Erfinder der (starren) Luftschiffe gilt, doch als solcher eigentlich ein Geschöpf der Medien war und sogar von Eckener, der sich als Journalist und Sachbuch-Autor mit der Materie auskannte, als solches erschaffen wurde. Graf Zeppelin war allerdings „nur“ der Mann mit der richtigen Idee, der mit dieser geistig nicht Schritt halten konnte und schließlich von ihr vereinnahmt wurde, Eckener dagegen ein Visionär auf dem Boden nackter Tatsachen, der stets bereit und fähig war dazuzulernen.

Er war zudem eine Führergestalt im positiven Sinne. Da der direkte Vergleich historisch möglich ist, zieht Botting ihn. Anders als Hitler besteht Eckener diesen Test, denn die Beweise sagen eindeutig, dass die Nazis mit ihrem genialen Luftschiffer gar nicht glücklich wurden. Mit seltener, durchaus tollkühner Eindeutigkeit hat sich Eckener gegen Hitler und sein Regime ausgesprochen. Nur sein Prominentenstatus als Liebling des deutschen Volkes, dem anders als sein „Führer“ die Zeppeline wert & teuer waren, rettete Eckener die Freiheit und womöglich das Leben. Seine scharfe Zunge kostete ihn freilich die über Jahrzehnte hart erarbeitete Vormachtstellung im deutschen Luftschiff-Bau: Als er d a s Meisterwerk der Zeppelin-Kunst, die „Hindenburg“, verwirklicht sehen wollte, musste er doch manche braune Kröte schlucken, um nicht kaltgestellt zu werden.

Die Geschichte der „Hindenburg“ bildet den zweiten Teil dieses Buches. Sie scheint hinlänglich bekannt, konzentriert sich aber tatsächlich meist auf jenen explosiven Moment, als dieses Schiff 1937 über dem Landefeld von Lakehurst havarierte und damit das Ende einer Epoche besiegelte. Botting macht deutlich, dass dies zu kurz gedacht ist. Die „Hindenburg“ symbolisiert einerseits das Ende einer grandiosen Sackgasse der Luftfahrt: Das Flugzeug hatte schon damals den Zeppelin eingeholt und überflügelt. Andererseits stellt die „Hindenburg“ noch heute eine technische Glanzleistung dar. Nach mehr als zwei Jahrzehnten grüner Verteufelung aller nicht auf Bäumen gewachsener Schöpfungen menschlichen Erfindergeistes ist es etwas aus der Mode gekommen, solche zur Kenntnis zu nehmen. Zudem wäre es falsch, die Katastrophe von Lakehurst mit dem Ende der Luftschifffahrt gleichzusetzen: Schließlich gab es noch einen heute fast vergessenen „Graf Zeppelin II“, der dem unglücklichen Schwesterschiff an Größe nicht nachstand. Erst der II. Weltkrieg machte Dr. Eckeners Traum-Maschine endgültig den Garaus.

Aber der Traum als solcher lebt: Douglas Botting bekennt sich selbst zu ihm und lässt dabei exakt dasselbe Maß an Selbsttäuschung erkennen, das auch Eckener und seine Gasschiff-Jünger einst an den Tag legten. Zum Zeitpunkt der Niederschrift von „Der große Zeppelin“ schien es, als ob die alte Pracht und Herrlichkeit in Deutschland wieder erstehen würde. „CargoLifter“ hieß die „Hindenburg“ der Gegenwart; ein Projekt, auf das Botting in einem Schlusskapitel voller Zuversicht und Hoffnung nicht nur hinweist, sondern – wohl ohne es selbst zu bemerken – von dem er enthusiastisch schwärmt. Wieder sah auf dem Papier alles glänzend aus: Nicht als Passagierschiff, sondern als fliegender Kran und Transporter für gewaltige, sperrige Fracht war der „CargoLifter“ konzipiert; in der Vergangenheitsform muss man inzwischen über ihn sprechen, denn Bottings Vision von der Wiederkehr der ruhigen Riesen zerstob ebenso wie die Hoffnung der „CargoLifter“-Aktionäre auf eine fette Rendite. Bei eindrucksvollen Computer-Simulationen ist es bisher geblieben, während die Kosten noch spektakulärer explodierten als einst die „Hindenburg“. Schlagzeilen macht der „CargoLifter“ höchstens als Pleitegeier. Eine gigantische Werfthalle nahe Berlin, die größte ihrer Art in der Welt, in deren lichter Kuppel sich echte Wolken bilden, und die heute als exotische Freizeitanlage genutzt wird, legen Zeugnis darüber ab, dass Luftschiffe heute mehr denn je Traum-Maschinen sind.

So bleibt einmal mehr nur der Blick zurück in eine schier unglaubliche Epoche. Die Bilder, die Botting zusammengetragen hat, lassen völlig ungeachtet des Wissens, wie dieser Traum endete, beim Betrachter den unbändigen Wunsch aufsteigen, selbst sofort mitzufliegen. (Sie leiden freilich unter ihrem zu geringen Format – wie immer und überall beansprucht so ein Zeppelin auch als Abbildung eine Menge Raum!) Kluge Köpfe wurden über der Frage zerbrochen, wieso dies so war, ist und immer sein wird. Kaffeesatz-Psychologen wiesen gern auf die frivole Form der Luftschiffe hin, und tatsächlich lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass Deutschland einst auf dieser Welt den Längsten hatte. Botting mag sich dieser simplen Interpretation nicht anschließen, und er hat wohl Recht: Primär ist es wohl die Kombination von Größe und Schwerelosigkeit, die dem Luftschiff seinen Nimbus verleiht. Immer wieder schwärmen Zeugen von der Freiheit, die in einem Zeppelin über den Wolken tatsächlich grenzenlos war. Das erschließt sich dem heutigen Leser so mühelos, dass daran wohl etwas dran sein muss.

Cross, Wilbur – Tragödie am Pol

Die Fakten: Im Frühjahr des Jahres 1928 macht sich das Luftschiff „Italia“ unter dem Kommando des Generals Umberto Nobile auf den Weg zum Nordpol, den es zum Nutzen der Wissenschaft sowie zum Ruhme Italiens und des faschistischen Mussolini-Regimes anfliegen soll, um dort womöglich sogar zu landen. Allen technischen Problemen zum Trotz gelingt immerhin Ersteres, doch das auch im polaren „Frühling“ unberechenbare Wetter bringt auf dem Rückflug die Katastrophe: In einem schweren Sturm stürzt die „Italia“ am 25. Mai 1928 im Niemandsland der Treibeiszone nördlich von Spitzbergen ab. Die Hälfte der Besatzung kommt um, Nobile wird schwer verletzt. Fast ohne Ausrüstung und Verpflegung sehen die Überlebenden im „Roten Zelt“ einem schrecklichen Ende entgegen, wenn es nicht gelingt, über das wundersam gerettete Funkgerät Hilfe herbei zu rufen. Der Versuch, das Festland zu Fuß zu erreichen, endet für drei Männer der Expedition in einem grausigen Desaster. Nach qualvollen Wochen werden Nobile und seine Gefährten endlich gefunden. Zahlreiche Rettungsversuche zu Wasser, zu Lande und durch die Luft scheitern oder fordern sogar neue Opfer, zu denen auch Roald Amundsen, der legendäre Bezwinger des Südpols, gehört; nur ein Flugzeug kommt durch, das den geschwächten Nobile ausfliegt. Die übrigen Männer können nach weiteren Wochen der Angst und Ungewissheit vom russischen Eisbrecher „Krassin“ geborgen werden.

Der Mythos: Umberto Nobile war ein von Stolz und Ehrgeiz zerfressener Mann, der es nicht ertrug, den Ruhm einer früheren, von Zank und Hader bestimmten, aber immerhin geglückten Luftschiff-Expedition zum Nordpol (deren Leiter ironischerweise Roald Amundsen war) teilen zu müssen. Er erzwang eine Wiederholung, dieses Mal unter eigenem Kommando, überschätzte sein Schiff und seine Fähigkeiten, brachte Tod und Verderben über seine unglücklichen Begleiter, gab im Notlager auf dem Polareis eine denkbar unglückliche Figur ab und ließ sich dort bei der ersten Gelegenheit in Sicherheit bringen, während er seine Freunde feige ihrem Schicksal überließ, vor dem sie erst ein Wunder in Gestalt der gar nicht so satanischen Sowjets retten konnte.

Die Wahrheit: Selten ist ein Mann nach Ansicht von Wilbur Cross so erfolgreich das Opfer politischer Intrigen geworden wie Umberto Nobile. Der angebliche Feigling war tatsächlich ein Mann von beträchtlichem Mut und Durchsetzungsvermögen, der nicht nur einer der fähigsten Luftschiff-Konstrukteure der Welt war, sondern dem auch das Kunststück gelang, als ausgewiesener Pazifist ein hohes militärisches Amt zu bekleiden, und sich nach 1922 – dem Jahr, in dem die Faschisten in Italien die Macht ergriffen – als ausgesprochen unbequemer Zeitgenosse erwies, der das „Italia“-Unternehmen quasi gegen den Willen Mussolinis und seiner Vasallen realisierte. Das Scheitern der „Italia“ war vor allem Pech, Nobiles Rettung eine notwendige, mit seinen Gefährten abgesprochene Aktion, die später von den Gegnern des Generals publizistisch ausgeschlachtet wurde, um diesen endgültig kaltzustellen.

Die Höllenfahrt der „Italia“ gehört zu den berühmtesten Episoden der an Sensationen nicht gerade armen Geschichte der Nordpol-Entdeckung. Der war zwar schon zwanzig Jahre zuvor über das Eis und ganz klassisch per Hundeschlitten erreicht worden, aber die Nobile-Tragödie schuf einen gar zu schönen Epilog. Ebenso klar waren die Rollen in diesem Drama verteilt: Nobile = Feigling, Amundsen = tragischer Held, Nobiles Männer = Hintergrundchor der Tapferen und Irregeleiteten, Besatzung der „Krassin“ = Personifikation des Völkerverständnisses, das sogar im freien Westen gewürdigt werden durfte, ohne dass man Gefahr lief, als Kommunisten-Knecht angeprangert zu werden.

Dabei sagen die Fakten ganz anderes aus, und sie liegen schon lange offen; tatsächlich war es niemals gelungen, sie wirklich zu unterdrücken, obwohl es Mussolinis Schwarzhemden mit aller Macht versucht hatten. In gewisser Weise sind sie erfolgreich geblieben: Die Mär vom feigen Nobile hat sich bis auf den heutigen Tag gehalten (falls sich überhaupt noch jemand an die Geschichte der „Italia“ erinnert). Eine gewisse ausgleichende Gerechtigkeit liegt freilich in der Tatsache, dass dies auch so ziemlich der einzige Triumph blieb, den die italienischen Faschisten feiern konnten.

Immerhin war dasselbe Schicksal, das ihn so viele Jahre in die Schurkenrolle drängte, gnädig genug, Nobile durch eine bemerkenswerte Lebensspanne zu entschädigen: Er starb erst 1978 im Alter von 93 Jahren, überlebte alle Feinde und erlebte noch die Genugtuung, weitgehend rehabilitiert zu werden, wobei das Pendel jedoch nicht vollständig zurückschlug oder zurückschlagen konnte: Unzweifelhaft ist – dies stellt auch Cross deutlich heraus – Nobiles Führungsschwäche, sein Beharren darauf, auch in Krisensituationen Entscheidungen zur Diskussion zu stellen, statt sie zu treffen, an sich ein liebenswerter Wesenszug, der Nobile jedoch den Weg in die Entdecker-Elite versperrte: Wahre Helden kennen keine Zweifel oder zeigen sie nicht, und sie achten vor allem sorgfältig darauf, dass sich niemand zwischen sie und die Geschichtsbücher drängt. Nobiles Konkurrent Amundsen kannte und beherzigte diese Faustregeln.

Vor allem aber stand Umberto Nobile noch der modernen Geschichtsschreibung als Zeuge zur Verfügung. Auch Wilbur Cross, der das hier vorgestellte „Italia“-Buch verfasst hat, konnte aus dieser Quelle schöpfen. Nach eigener Auskunft hat er viele Jahre recherchiert, bevor er es im Jahre 2000 endlich schrieb, und dabei nicht nur Nobile, sondern auch die meisten anderen Überlebenden des Absturzes befragt.

Wenn dies so geschehen ist, dann wundert man sich bei der Lektüre allerdings etwas darüber, dass „Tragödie am Pol“ als Sachbuch nicht wirklich eine Offenbarung ist. Echte Überraschungen bleiben aus; im Grunde wird längst Bekanntes noch einmal aufbereitet. Einzige Ausnahme scheint die Geschichte von Nobiles Niedergang als Folge faschistischer Intrigen zu sein, während auf dem Eis die historischen Korrekturen marginal bleiben. Sehr viel hat Cross wirklich nicht gemacht aus seinem Privileg, Zugang zu den Zeitzeugen und den Primärquellen erhalten zu haben.

In diesem Zusammenhang muss man wissen, dass Cross ein Profi des historischen Sachbuchs ist: Fast fünfzig hat er davon in den letzten Jahrzehnten geschrieben, was ihm nicht übermäßig viel Zeit für die Pro-Band-Recherche lässt. Das schlägt sich im Endprodukt durchaus nieder. Knapp 300 recht großzügig bedruckte Seiten sind nicht gerade üppig. Echte Schnitzer unterstreichen den Eindruck des mit der recht heißen Nadel gestrickten Werkes. So bricht Roald Amundsen Ende August 1928 zur Suche nach Nobile auf – und verschwindet nicht nur aus der Geschichte, sondern auch aus diesem Buch. Als Cross dann später beschreibt, wie Nobile und seine Gefährten nach ihrer Rettung in Skandinavien von der um ihren Helden Amundsen trauernden Bevölkerung geschnitten und beschimpft werden, ist man verwirrt: Dass Amundsen inzwischen tot und wie es dazu gekommen ist, hat Cross mit keiner Silbe erwähnt!

Deshalb ist „Tragödie am Pol“ eine zwar spannende, aber keineswegs tiefgründige Lektüre. Die deutsche Ausgabe ist angenehm lesbar übersetzt, der Mittelteil birgt eine Strecke historischer Fotos, die indes bis auf die zwar schon oft gezeigten, aber immer wieder sehenswerten Bilder aus dem „Roten Zelt“ recht beliebig wirken.