Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

David Morrell – Creepers

Das geschieht:

Sie nennen sich „Creepers“: Männer und Frauen, die es lieben, sich in möglichst alte, lange verlassene Tunnel, Gebäude und andere Großbauwerke einzuschleichen, wo sie zwischen bröckelnden Mauern nach Relikten vergangener Zeiten suchen. Robert Conklin, unorthodoxer Professor für Geschichte, ist der Anführer dieser Gruppe, die aus seinen Studenten Vincent Vanelli, Cora und Rick Magill besteht.

Zu ihrer aktuellen Tour hat Conklin den Reporter Frank Balenger eingeladen, denn sie gilt einem ganz besonderen Ziel: Ashbury Park, einst eine blühende Kleinstadt im US-Staat New Jersey, ist schon lange eine Ruinenstätte, über der sich wie eine antike Maya-Pyramide das Paragon-Hotel erhebt. 1901 hat es der exzentrische Millionär Morgan Carlisle entworfen und errichten lassen. Siebzig Jahre hat er das Penthouse des Hotels nicht verlassen, bis er in der letzten Nacht seines 92-jährigen Lebens daraus geflohen ist und sich umgebracht hat. David Morrell – Creepers weiterlesen

Reginald Hill – Welch langen Weg die Toten gehen

Das geschieht:

Im leer stehenden „Moscow House“, dem alten Stammsitz der Macivers, schießt sich Palinurus, das Oberhaupt der Familie, mit einer Ladung Schrot den Schädel weg. Er will damit ein Signal setzen und seine verhasste Stiefmutter Kay Kafka in Verruf bringen, die er für den Tod seines Vaters und das Ende der einst selbstständigen Maschinenfabrik Maciver verantwortlich macht. Vor zehn Jahren hatte Palinurus senior seinem Leben auf dieselbe Weise ein Ende gesetzt wie jetzt der Sohn, nachdem ihn Kay als Ehefrau betrogen und ein US-Konzern mit ihrer Unterstützung seine Firma übernommen hatte.

Damals war Palinurus junior bei der Kriminalpolizei von Mid-Yorkshire vorstellig geworden. Der unorthodoxe Detective Superintendent Andrew Dalziel hatte seine Aussage damals aufgenommen, sie jedoch nicht für relevant gehalten, sodass zur Verbitterung des Juniors keine weiteren Schritte erfolgt waren. Auch dieses Mal will Dalziel die Sache offensichtlich unter den Teppich kehren. Detective Chief Inspector Peter Pascoe würde freilich gern weitere Ermittlungen anstellen. Die Macivers sind definitiv keine Musterfamilie. Ist womöglich etwas dran an Kay Kafkas üblem Ruf? Palinurus‘ Schwester Cressida und seine Witwe Sue-Lynn hassen die Stief- bzw. Schwiegermutter ebenso inbrünstig wie der Verstorbene. Helen, die deutlich jüngere Schwestern, liebt sie dagegen wie eine echte Mutter. Wie passt das zusammen? Reginald Hill – Welch langen Weg die Toten gehen weiterlesen

Geagley, Brad – Jahr der Hyänen, Das

Ägypten im 12. Jahrhundert v. Chr., zur Zeit von Ramses III: Die Einwohner Thebens feiern das Osiris-Fest, bei dem sie den Verstorbenen gedenken. Die alte und nahezu blinde Priesterin Hetephras wird auf dem Weg zum Tempel ermordet, ein kleiner Junge entdeckt die Leiche bald darauf im Schilf. Eine tote Priesterin verheißt Unglück und das Verbrechen soll daher so schnell wie möglich geklärt werden, zumal die Verstorbene in enger Bindung zur Königin stand. Dabei stellen sich jedoch Probleme in den Weg: Theben wird in Osten und Westen von zwei verschiedenen Bürgermeistern, Paser und Pawero, regiert; die Tote gehörte dem einen Bezirk an, wurde jedoch im anderen gefunden. Die Feindschaft der Regierenden sorgt für zusätzliche Spannungen, jeder der beiden beansprucht den Fall für sich.

Überraschend erhält der Detektiv Semerchet den Auftrag, den Mord zu klären. Semerchet ist zwar ein scharfsinniger Ermittler, doch sein Ruf dagegen miserabel. Erst vor kurzem wurde er von seiner Frau Naia verlassen, die obendrein ein Kind von einem anderen Mann erwartet. Seitdem ist Semerchet, der zu cholerischen Anfällen neigt, dem Alkohol verfallen – doch dieser hochbrisante Fall weckt wieder den Lebenswillen in ihm.

Mit der Unterstützung seines Bruders Nenri, Oberster Schreiber des Bürgermeisters Paser, der ihn dem Großwesir als Ermittler empfahl, stürzt sich Semerchet auf seine Aufgabe, die sich als äußerst knifflig erweist. Er ahnt sehr bald, dass der Mord größere Bedeutung hat als zunächst angenommen – und dass er den Auftrag gerade wegen seiner Trunkenheit erhielt, in der Hoffnung, keinen Erfolg zu haben. Semerchet fühlt sich herausgefordert und entsagt dem Alkohol. Die Dorfbewohner verweigern die Mitarbeit, mysteriöse Reichtümer tauchen auf und die Grabwächter leiden seit geraumer Zeit an einer unerklärlichen Müdigkeit und Albträumen. Semerchet wird klar, dass alle Vorkommnisse zusammengehören. Mehr noch: Der Mordfall ist Teil einer viel größeren Verschwörung, die sich gegen Pharao Ramses III richtet und Semerchet in höchste Gefahr bringt …

An Detektivromanen herrscht kein Mangel auf dem Buchmarkt. Aus aller Herren Länder treten die Privatermittler hervor und auch Historienkrimis sind nichts Neues, man denke beispielsweise an die Serienhelden von Paul Harding oder Ellis Peters, die im mittelalterlichen England ihre Fälle aufklären. Das Ägypten zur Zeit der Pharaonen ist jedoch ein orgineller Schauplatz, sodass selbst eingefleischte Krimifans hier auf abwechslungsreiche Kosten kommen.

|Hardboiled-Detektiv im Lendenschurz|

Im Zentrum steht die Gestalt des ungewöhnlichen Detektivs Semerchet, eigentlich eher ein Antiheld mit seinem Hang zum Alkoholismus und seiner oft unleidlichen, sturen Art. Die Handlung spielt zwar vor tausenden von Jahren, doch Semerchet verkörpert ein menschliches Schicksal, das sich genauso gut zur heutigen Zeit ereignen könnte. Der Leser lernt ihn während eines verzweifelten Versuches kennen, seine Ex-Frau zurückzugewinnen. In seiner Not schwört er ihr, von nun abstinent zu leben, was die traurige Naia nicht mehr ernst nehmen kann, woraufhin er sie kurzzeitig sogar mit einem Messer bedroht. Mit seiner kaputten Psyche erinnert Semerchet nicht selten an die Protagonisten der Hardboiled-Schule, nur dass sein Revier nicht in der verregenten Großstadt, sondern am sonnigen Nil liegt und er statt staubigem Trenchcoat einen Lendenschurz trägt.

|Humor und Faktentreue|

Sehr positiv fällt auf, dass sich das Buch als ausgewogene Mischung zwischen Historienroman und Krimi präsentiert. Autor Brad Geagly ist ein Experte auf seinem Gebiet, nicht zuletzt durch seinen Einsatz als zentraler Berater beim Hollywood-Klassiker „Cleopatra“ mit Liz Taylor in der Titelrolle. Auch wenn der Roman ins Reich der Fiktion gehört, stützt sich die Handlung auf historische Fakten, nämlich auf die ältesten bekannten Gerichtsakten und nicht nur Pharao Ramses III. – der tatsächlich beinahe einer Verschwörung zum Opfer fiel -, sondern auch weitere Figuren wie sein Großwesir To beruhen auf realen Personen. Ägyptenkenner werden sich am Detailwissen des Autors erfreuen, der viele historische Fakten einfließen lässt, angenehmerweise ohne dabei je trocken zu werden oder ins Dozieren zu verfallen. Im Gegenteil gelingt es ihm sogar, dem Roman einen humorvollen Unterton zur Seite zu stellen, etwa wenn der wütende To mit Wendungen wie „Bei den Eiern des Horus“ um sich wirft oder der volltrunkene Semerchet in den Lotusteich seiner entsetzten Schwägerin uriniert, woraufhin alle Fische das Zeitliche segnen.

|Kleine Schwächen|

Wenn man vom Schauplatz der Geschichte absieht, ist der Aufbau der Handlung allerdings sehr konventionell geraten. Wie in zahlreichen anderen Krimis auch wird hier das beliebte Schema verwendet, in dem sich ein anfangs nebensächlich erscheinender Mord zu einer gewaltigen Verschwörung ausweitet und ein unscheinbarer Ermittler, dem niemand viel zuzutrauen scheint, letztlich einen großen Erfolg landet. Auch dass höchste Regierungskreise in das Verbrechen verwickelt sind, ist eine altbewährte Idee, inklusive der Korruption und der Beteiligung von Charakteren, die im Privatleben des Ermittlers eine Rolle spielen – wie in diesem Fall seine Ex-Frau Naia, deren neuer Mann Nacht keine unwichtige Figur in der Angelegenheit ist.

Und auch wenn der Autor eine kurze Einleitung in die geschichtlichen Umstände liefert, können Leser, denen das pharaonenregierte Ägypten kein gewohntes Terrain ist, vom Detailreichtum zeitweise überfordert werden. Das Buch besitzt zwar eine doppelseitige Landkarte, in der die wichtigsten Orte verzeichnet sind, aber es fehlt dringend an einem Glossar mit Namens- und Worterklärungsverzeichnis. Allein die Personennamen können am Anfang verwirren, schließlich klingen „Naia“, „Nenri“ und „Nacht“ nicht unähnlich, zumal es nicht leicht ist, den ungewohnten Namen auf Anhieb einen weiblichen oder männlichen Träger zuzuordnen. Ebenso verhält es sich mit ägytptischen Bezeichnungen, die nicht unbedingt jedem Leser geläufig sind, vor allem Götternamen, die sicher jeder schonmal gehört hat, aber bei denen es möglicherweise am Hintergrundwissen hapert. Von diesen kleinen Mängeln abgesehen, ist Geagley jedoch ein unterhaltsamer Roman gelungen, dem zu wünschen ist, dass ihm noch einige Nachfolgebände folgen – der zweite Krimi um Semerchet ist in den USA bereits erschienen.

_Fazit:_ Ein Krimi aus dem alten Ägypten mit einem Antihelden als Privatdetektiv, der mit einem scheinbar unwichtigen Mord beginnt und in eine große Verschwörung mündet, die bis in die Kreise des Pharaos reicht. Die Handlung ist eher konventionell gehalten, der Schauplatz dagegen originell und fundiert aufbereitet, sodass vor allem Historienfans auf ihre Kosten kommen. Für weniger geschichtsversierte Leser fehlt leider ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen, das die Lektüre erleichtern würde.

_Der Autor_ Brad Geagley ist seit vielen Jahren ein Experte für das Alte Ägypten und zugleich als Produzent und Drehbuchautor in Hollywood tätig. „Das Jahr der Hyänen“ ist sein erster Roman, der Nachfolger „Day of the false king“ ist in den USA bereits erschienen. Heute lebt er in Palm Springs, Kalifornien.
Mehr Informationen über den Autor und seine Werke findet man auf seiner Homepage: http://www.yearofthehyenas.com/

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James Hadley Chase – Der Schlächter von Dead End

chase-schlaechter-cover-kleinDen Massenmord im Haus einer berühmten Schauspielerin möchte ein ehrgeiziger Ermittler unbedingt einem verhassten Gangsterboss anhängen. Das persönlichen Duell mündet in einem leichenreichen Krieg zwischen Gesetz und Verbrechen … – Ein typischer Chase-Reißer, d. h. einerseits simpel aber effektvoll geplottet, hart und schnell, andererseits aber klischeebeladen und heute angestaubt; die ‚überraschende‘ Lösung des Mordrätsels errät der moderne Leser auf Anhieb.
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Varesi, Valerio – Pension in der Via Saffi, Die. Commissario Soneri blickt zurück

_Story_

Winter in Parma. Nebelbänke liegen über der Stadt und versetzen Commissario Soneri in eine melancholische Stimmung, vor allem, seit er mit der Aufklärung des Mordes an der alten Pensionsbesitzerin Ghitta Tagliavini beauftragt worden ist. Soneri kannte das Opfer aus der gemeinsamen Zeit mit seiner ehemaligen Freundin Ada, mit der er einige Nächte in Tagliavinis Gasthaus verbrachte. Nun wird er an diese Zeit zurückerinnert und damit auch an den dramatischen Tod Adas, der ihn die Vergangenheit ein zweites Mal erleben lässt.

Soneri beginnt die Ermittlungen an diesem zwielichtigen Mordfall und findet alsbald heraus, dass Ghitta bei weitem nicht so ehrenhaft war, wie der Commissario immer dachte. Stattdessen hat sie sich illegal als Wunderheilerin einen Namen gemacht und dadurch ihren dubiosen Ruf noch weiter bekräftigt. Soneri fühlt sich mit dem Fall überfordert, weil seine persönliche Vergangenheit immer weiter in den Vordergrund gerät. Doch als er realisiert, wie dicht sein eigenes Schicksal mit dem rätselhaften Mord an die alte Tagliavini verknüpft ist, weiß er, dass es für einen Rückzieher bereits zu spät ist.

_Meine Meinung_

Nach dem spannenden politischen Krimi [„Der Nebelfluss“ 1587 bemüht Valerio Varesi ein weiteres Mal seinen Antihelden Soneri, der seiner Rolle als sturköpfiger Eigenbrödler hier ein weiteres Mal vollends gerecht wird. Im zweiten Roman um den verbissenen Commissario geht es wiederum um Inhalte aus Italiens politischer Vergangenheit, die der Autor geschickt in eine spannende Kriminalhandlung eingeflochten und mit der Geschichte des Protagonisten verbunden hat. Allerdings kristallisieren diese sich erst nach und nach heraus, genauer gesagt erst im zweiten Drittel, als Soneri die Spur des seltsam gekleideten Pitti verfolgt, der ebenso wie viele andere Menschen in den umliegenden Häusern von Ghittas Pension direkt oder indirekt in den Fall mit eingebunden zu sein scheint. Ab diesem Punkt nimmt die Handlung aber auch erst richtig Tempo auf, wohingegen die ersten Seiten fast ausschließlich dazu verwendet werden, einzelne Ausschnitte aus Soneris Studentenleben zu reflektieren und die Umgebung des Tatorts zu beschreiben.

Doch dann wird’s mit einem Male interessant; Soneri dringt tiefer in die Geschehnisse in der Via Saffi und stößt dabei zunächst auf Ghattis ehemalige Mitbewohnerin Elvira, deren unsicheres Auftreten den Beamten schnell stutzig macht. Er informiert sich in den umliegenden Kneipen sowie bei seinem dort angesiedelten Friseur über die Dame, holt bei einem neugierigen Landstreicher Infos über die Vergangenheit der involvierten Personen ein, kommt dabei aber immer wieder mit seinen Gedanken zurück zu seiner gescheiterten Beziehung mit Ada. Gleichzeitig muss er aber auch seine derzeitige Geliebte Angela bei Laune halten, die dem neuesten Fall ihres Gefährten mit großer Skepsis entgegenblickt, zumal sie nicht akzeptieren möchte, dass in Soneri alte Gefühle aufkeimen und ihren Rang damit untergraben.

Hin- und hergerissen von seinen Emotionen und Gedanken, steigert sich der Commissario immer weiter in den Fall hinein und ist irgendwann froh, dass ihn die ersten Resultate zur Vermutung einer politisch motivierten Tat führen. Er verfolgt fortan noch genauer, was besagter Pitti allabendlich in den Straßen der Via Saffi erledigt, berücksichtigt dabei mit wachsender Intensität scheinbare Zusammenhänge zu längst verjährten Mordfällen und erhält dadurch die Ablenkung, die er sich bei all seinen wirren Gedankenspielen wünscht. Doch viel lieber noch würde er das Attentat auf die Tagliavini weiterdelegieren, kann diesen Entschluss aber schon alleine deswegen nicht mehr durchziehen, weil er auf diese Weise auch nicht mit sich selbst Frieden schließen kann. Um mit seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen, ist er geradezu dazu verpflichtet, zu lernen, das Unumkehrbare zu vergessen oder es zumindest hinzunehmen, um endlich wieder aus seiner Melancholie herauszukommen.

Auf der anderen Seite ist sich der Commissario die Aufklärung der Tat auch als Rechtfertigung vor den schmierigen Figuren der Chefetage der Polizei schuldig. Von dort aus werden ihm stetig neue Hürden in den Weg gelegt, während jeder Fortschritt ohne jegliche verdiente Anerkennung bleibt. Soneri hat es satt, den Spielball für seine Vorgesetzten abzugeben, und wehrt sich mit aller Kraft dagegen, den ihm zugesprochenen Verliererpart anzunehmen. Zwar bleiben seine Ermittlungen bis kurz vor Schluss ergebnislos, doch sobald sich seine Spur als richtig erweist, tritt der Mann sofort eine wahre Lawine los, von der selbst gefürchtete Ex-Genossen zutiefst erschüttert werden. Und damit geht diese Geschichte erst richtig los.

„Die Pension in der Via Saffi“ bleibt aber trotz all dieser emotionalen Energie ein wenig hinter den zuletzt geschürten Erwartungen zurück. Valerio Varesi hat dieses Mal erhebliche Probleme damit, die Geschichte ‚rund‘ zu bekommen. Die Verknüpfung der Zusammenhänge ist die gesamte Zeit über sehr vage dargestellt und könnte bei der umfassenden Rahmenhandlung manchmal etwas mehr Zielstrebigkeit vertragen, gerade was die Verquickung von politischen und kriminalbezogenen Inhalten angeht. Varsi macht nicht wirklich deutlich, was das eine mit dem anderen zu tun, oder um es hinsichtlich der Handlung zu formulieren: Der Mord an Ghitta scheint völlig losgelöst von den hinterlistigen Affären der im Roman aufgeführten Darsteller behandelt zu werden, und wenn sich das Ganze zum Schluss dann als Einheit zusammenfügen soll, wirkt dies ein wenig künstlich.

Dabei sind die Ideen in „Die Pension in der Via Saffi“ sehr interessant, gerade eben, was die historischen Hintergründe betrifft. Aber in diesem Fall sind sie leider nicht so spannend umgesetzt wie noch in „Der Nebelfluss“; der Plot ist bei weitem nicht so stringent, die Stimmung zudem ziemlich ungewöhnlich für einen Kriminalroman (was ja zunächst mal gar nicht falsch sein muss) und die diesmal unheimlich vielen Charaktere manchmal etwas schwammig in die Geschichte eingeführt worden. Und all das sind kleine Schwächen, die in ihrer Summe dafür sorgen, dass Varesis aktuelles Werk sich dem Leser nur bedingt öffnet und dieser wiederum immer nur episodisch Interesse entwickelt, den Faden wieder aufzunehmen und die etwas komplexere Erzählung konzentriert zu verfolgen. Mit anderen Worten: Der Autor schafft es dieses Mal nicht, sein Publikum von der ersten bis zur letzten Sekunde an sein Werk zu fesseln, so dass alles in allem ein recht durchschnittlicher Gesamteindruck steht, der dem guten Ruf eines Valerio Varesi meines Erachtens nicht gerecht wird. Aber das beweist auch, dass viele interessante Ideen noch lange kein Garant für einen spannungsgeladenen Plot sind.

Lehtolainen, Leena – Wie man sie zum Schweigen bringt. Maria Kallios sechster Fall

Ein bisschen skandinavische Krimi-Stimmung für den Herbst gefällig? Leena Lehtolainen liefert mit dem sechsten Fall ihrer Kommissarin Maria Kallio solide Sofakost aus dem hohen Norden ab.

Petri Ilveskivi, Innenarchtitekt und Mitglied von Espoos Stadtrat, macht aus seiner Homosexualität keinen Hehl. Als er eines Tages auf dem Weg zu einer wichtigen Stadtratssitzung überfallen und getötet wird, vermutet man deshalb zuerst, dass er erneut Opfer von Skinheads wurde, wie das schon einmal der Fall war. Doch Kommissarin Maria Kallio gibt sich mit so einer einfachen Erklärung nicht zufrieden. Sie ermittelt nach allen Seiten und findet letztendlich heraus, dass Marko, ein Kleinkrimineller, dahinter steckt. Doch welchen Grund hatte er, Petri umzubringen? Maria vermutet einen Auftraggeber, doch bevor sie Marko befragen kann, wird dieser ebenfalls umgebracht und plötzlich schiebt man Maria aus den oberen Etagen einen Riegel vor und ein Bombenanschlag wird auf sie verübt. Das alles hält sie natürlich nicht vom Ermitteln ab. Es scheint, als ob ihre hartnäckigen Ermittlungen mehr Staub aufgewirbelt hätten, als sie dachte …

Lehtolainens Bücher sind schon deshalb ein wenig ungewöhnlich, weil sie aus der Ich-Perspektive schreibt, was in der skandinavischen Kriminalliteratur nicht so häufig vorkommt. Da die Autorin aber leider dazu neigt, zu viele unwichtige Details aus Marias Privatleben – wie die zutatentreue Aufzählung von Marias Kochkünsten oder die Beschreibung sämtlicher Wohnungseinrichtungen – in die Geschichte zu bringen, kann dieser ungewöhnliche Stil nicht begeistern. Das dehnt nicht nur unheimlich die Geschichte, sondern gibt dem Ganzen auch einen gewissen Frauenlektüretouch. Gott sei Dank verzichtet Lehtolainen aber auf den diesem Genre eigentümlichen Pseudohumor, was dem Krimi einen angenehm seriösen Anstrich gibt.

Die Handlung hat durchaus ihre spannenden Momente, überzeugt aber hauptsächlich durch gute Beobachtungen und sauber ausgearbeitete Charaktere. Hier bleibt vor allem Suvi, die Frau des Kleinkriminellen Marko, in Erinnerung. Die finnische Autorin schafft es, die arbeitslose Frau, die mit ihren drei Kindern zu Hause darauf wartet, dass Marko von seinem Coup wiederkommt, sehr realistisch an den Mann zu bringen, und obwohl Suvi den einen oder anderen proletenhaften Charakterzug hat, wirkt sie dank Lehtolainens Fingerspitzengefühl nicht wie die 08/15-Asoziale, sondern wie ein Mensch.

Doch was die Charaktere haben, fehlt in der Geschichte selbst. Diese passt sich schnell an gängige Kriminalromane an, so dass es an vielen Ecken und Kanten an Spannung fehlt. Lehtolainen weiß zwar, diese nicht vorhandene Spannung so zu verpacken, dass sie nicht auffällt, aber wenn man nach Zuschlagen des Buches zurückschaut, ist wenig hängen geblieben. Keine Situation, bei der man vor Spannung das Atmen vergessen hat. Keine neue Entwicklung im Fall, die das Gehirn derart angeregt hat, dass man bis zum Ende des Buches mitgefiebert hat und unbedingt wissen wollte, wer nun der Täter ist.

Ich kann mich daran erinnern, wie mich „Zeit zu Sterben“, ebenfalls aus der Kallio-Reihe, vor ein paar Jahren Abend für Abend an mein Bett gefesselt hat. Dieser Roman war die beste Werbung für eine Krimiautorin überhaupt, doch es scheint, als habe Lehtolainen seitdem stark abgebaut. „Wie man sie zum Schweigen bringt“ ist, obwohl der Titel ähnlich reißerisch klingt, nichts weiter als durchschnittliche Krimikost mit gut ausgearbeiteten Charakteren. Die Handlung endet ziemlich schnell im Sumpf der Belanglosigkeit, der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig und, mit Verlaub, in diesem Fall nicht wirklich für einen Krimi geeignet. Zu sehr erinnert er an einschlägige Frauenliteratur, vor allem dank der minutiösen Detailverliebtheit, die in großen Teilen mehr als unnötig ist.

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Katzenbach, John – Patient, Der

In den USA ist John Katzenbach schon seit Jahren ein Name, der für spannende Thrillerlektüre steht. Bereits zehn Romane sind von ihm erschienen, von denen es viele in die Bestsellerlisten schafften. Zweimal brachte er es obendrein auf eine Nominierung zum Edgar Award. In Deutschland war John Katzenbach dagegen bis vor kurzem noch ziemlich unbekannt. Erst durch seinen Psychothriller [„Die Anstalt“ 2688 wurde er populär. Nun schiebt der |Knaur Taschenbuch Verlag| mit „Der Patient“ den nächsten Katzenbach hinterher.

Thematisch bewegen sich beide Bücher auf etwa gleichem Terrain. Während „Die Anstalt“ sich um die sonderbaren Vorkommnisse in einer Nervenheilanstalt dreht, in deren Zentrum die Patienten stehen, dreht sich „Der Patient“ um einen Psychoanalytiker.

Dr. Frederick Starks begeht seinen 53. Geburtstag – in der Gleichförmigkeit von Starks tristem Alltagsleben ein Tag wieder jeder andere auch. Dennoch krempelt dieser Tag Starks Leben völlig um, als ihn die Glückwünsche eines sehr sonderbaren Gratulanten erreichen. |“Herzlichen Glückwunsch zum 53sten Geburtstag, Herr Doktor. Willkommen am ersten Tag Ihres Todes.“| Mit diesen Worten leitet der unbekannte Absender seinen Brief ein.

Der Unbekannte, der sich selbst Rumpelstilzchen nennt, lädt Starks zu einem Spiel ein. Starks soll innerhalb von 15 Tagen herausfinden, wer er ist. Findet er die Lösung, hat er gewonnen. Findet er sie nicht, so muss er am Ende dieser 15 Tage entweder Selbstmord begehen oder Rumpelstilzchen wird einen beliebigen Menschen aus Starks Verwandtschaft umbringen.

Rumpelstilzchen behauptet, irgendwo in Starks Vergangenheit zu existieren. Starks hat angeblich sein Leben zerstört und dafür will er nun Rache nehmen, die er anhand seines perfiden Spiels vollzieht. Und während Starks sich mangels Alternativen daran macht, seine Vergangenheit auf der Suche nach der Identität des Unbekannten zu durchforsten, nimmt das Spiel seinen Lauf. Doch schon bald muss Starks erkennen, dass Rumpelstilzchen ihm stets einen Schritt voraus ist …

Hat er eine Chance, in 15 Tagen Rumpelstilzchens Identität zu lüften? Wird Frederick Starks in 15 Tagen noch am Leben sein? Ist in Rumpelstilzchens Spiel überhaupt vorgesehen, dass Starks überlebt?

Was John Katzenbach auf den 668 Seiten seines Romans inszeniert, ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das es wirklich in sich hat. Raffiniert zieht er die Geschichte auf und lässt sich dabei nicht in die Karten gucken. Rumpelstilzchens „Spiel“ ist bis ins letzte Detail durchgeplant. Starks beschaulichem, eintönigem Leben haftet auch eine gewisse Durchschaubarkeit seines Verhaltens an, das sich der Täter zunutze macht.

Mit jedem Tag, der im Laufes der gesetzten Frist verstreicht, arbeitet Rumpelstilzchen darauf hin, Starks keine andere Möglichkeit zu lassen, als am Ende den Freitod zu wählen. Man staunt, mit welcher Leichtigkeit das Leben eines Menschen aus den Angeln gehoben wird und wie gering die Chancen für Dr. Starks sind, sich dem Unvermeidlichen zu entziehen.

Doch würde alles so laufen, wie Starks Kontrahent es vorgesehen hat, bräuchte der Roman wohl kaum über 600 Seiten, um in einem finalen Selbstmord zu enden. Katzenbach baut diverse Wendungen in die Geschichte ein, die stets aufs Neue die Spannungsschraube anziehen. Doch um nicht zu viel zu verraten und dem potenziell interessierten Leser die Spannung vorwegzunehmen, verkneife ich mir hier weitere Details. Es reicht zu wissen, dass Katzenbach die Geschichte wesentlich komplexer ausbaut. Die Handlung macht so manche Wendung mit, die die Geschehnisse in anderem Licht erscheinen lässt.

Und so reicht es, an dieser Stelle zu sagen, dass die meisten der vollzogenen Wendungen durchaus glaubwürdig und nachvollziehbar sind – und oft sind sie auch wirklich überraschend. Katzchenbach packt die Erzählperspektive durchaus spannungssteigernd an. Oft lässt er den Leser selbst über Dr. Starks Pläne im Dunkeln. Er lässt ihn Starks Aktivitäten beobachten und seine eigenen Schlüsse ziehen. Erst im weiteren Verlauf der Ereignisse sieht der Leser dann, in welche Richtung sich das Ganze entwickelt. Das macht den Roman zu einem wahren „Page-Turner“.

Für mich persönlichen gab es nur einen einzigen konkreten Fall, in dem ich wirklich Schwierigkeiten hatte, die Glaubwürdigkeit der Handlung beziehungsweise die Motivation einer Figur nachzuvollziehen. Das hinterlässt im Gesamteindruck einen kleinen Makel, kann den Lesegenuss aber nur geringfügig schmälern.

Insgesamt sind der Romanaufbau, die Erzählweise und der Spannungsbogen immer noch so gut durchdacht ausgearbeitet, dass die Lektüre durchweg fesselnd ist. Katzenbach zieht den Leser schnell in seinen Bann und lässt ihn bis ganz zum Ende nicht mehr los, denn zu jeder Zeit gibt er dem Leser ein Dutzend Fragen an die Hand, die ihn auf Trab halten, so dass man das Buch kaum beiseite legen mag.

Beachtlich ist auch, wie wenig Gewalt und Brutalität Katzenbach braucht, um einen spannungsgeladenen Plot aufzubauen. Der beste Teil der Spannung spielt sich komplett auf der Ebene der Psyche ab, im Hin und Her zwischen den Figuren, im Vorausahnen der Aktivitäten des Gegners und im gedanklichen Konstruieren der Person, die sich hinter dem Namen Rumpelstilzchen verbirgt. Zwar geht auch „Der Patient“ nicht ganz ohne Gewaltanwendung über die Bühne, aber der Schwerpunkt ist eindeutig anders gesetzt. Sprachlich ist das Ganze so formuliert, dass sich das Buch ganz flott runterlesen lässt. Katzchenbachs Stil ist recht einfach und eingängig, aber dennoch nicht ganz so simpel gestrickt, wie es bei Thrillern von der Stange oftmals der Fall ist.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass „Der Patient“ spannungsgeladene Lektüre ist, die den Leser zu fesseln weiß. Katzchenbach inszeniert einen verzwickten und raffinierten Plot, den der Leser nicht so leicht durchschaut. Sieht man von der Glaubwürdigkeit einer einzelnen Nebenfigur ab, ist „Der Patient“ durchaus nachvollziehbar konstruiert. Fazit: Spannend, raffiniert und voller interessanter Wendungen. Wer ausgeklügelte Psychothriller mag, der kommt hier voll auf seine Kosten.

http://www.john-katzenbach.de/
http://www.knaur.de

Soininvaara, Taavi – Finnisches Quartett

Auch mit seinem dritten Kriminalroman beweist der finnische Bestsellerautor Taavi Soininvaara erneut, dass in seinen Krimis mehr steckt als „nur“ Spannung, Morde und polizeiliche Ermittlungen. Immer wieder pickt sich Soininvaara einen politischen Konflikt heraus, um den herum er seine Romanhandlung strickt, sodass er seine Leser nicht nur fesseln, sondern auch zum Nachdenken anregen kann. In seinem aktuellen Krimi „Finnisches Quartett“ geht es um Ökoterroristen und regenerative Energiequellen, aber auch um Energiekonzerne, welche die Forschung an Kernfusion verhindern wollen …

Am Maifeiertag brechen drei Ökoterroristen der Gruppierung „Final Action“ bei Dutch Oil ein – einem Unternehmen, das die Umwelt der Entwicklungsländer zerstört und die natürlichen Ressourcen der Ureinwohner ausbeutet. Die drei Öko-Aktivisten wollen die EDV-Anlage zerstören und können Dutch Oil einen beträchtlichen Schaden zufügen, als plötzlich auf den Computermonitoren ein geheimes Treffen eingeblendet wird, bei dem nicht nur der Vorstandsvorsitzende von Dutch Oil, Jaap van der Waal, dabei ist, sondern auch verschiedene Führungskräfte von internationalen Ölkonzernen, die sich über die geplante Liquidierung eines bekannten Fusionsphysikers namens Elvas durch den Engel des Zorns unterhalten. Die drei Mitglieder von Final Action riechen die Gefahr und versuchen zu flüchten, doch plötzlich gehen die Sirenen los und auf dem Gelände von Dutch Oil werden sie von Sicherheitskräften gejagt, die sie sicherlich nicht nur der Polizei ausliefern wollen. Jorge Oliveira wird schwer verletzt und von den Verfolgern ermordet, während Ulrike Berger und Lasse Nordman zunächst fliehen können. Doch wissen sie, dass sie immer noch von den Sicherheitskräften von Dutch Oil gesucht werden. Zur gleichen Zeit ärgert sich Arto Ratamo von der finnischen Sicherheitspolizei über den Lärm seiner Nachbarn, bis er sich nicht anders zu helfen weiß, als die Polizei zu rufen.

Die Ereignisse überschlagen sich, denn vor seiner Ermordung kann Jorge Oliveira noch eine SMS absetzen, in der er vom geplanten Mord am Physiker Elvas berichtet. Lasse Nordman, der Sohn der finnischen Verteidigungsministerin, lässt sich absichtlich schnappen, damit seine Freundin Ulrike die Möglichkeit zur Flucht bekommt. Auch muss die Polizei feststellen, dass der Physiker Elvas tatsächlich ermordet wird und auch die vergangenen Morde an verschiedenen namhaften Physikern wohl doch keine Unfälle waren, sondern geschickt durchgeführte Morde. Doch noch tappt die Polizei im Dunkeln und hat keine Spur, die zum Engel des Zorns führen könnte.

Der Leser hat diesen, der sich auch Ezrael nennt, allerdings bereits kennen gelernt. Ezrael hat in seiner Kindheit Schlimmes durchgestanden und handelt nun auf Befehl seiner Schwester Mary Cash, die ihn als Werkzeug benutzt. Ezrael denkt, dass er Verräter ermordet, doch seine Schwester weiß ganz genau, welchem Zweck die Ermordung der Physiker wirklich dient, auch der Leser erfährt es bald. Lasse Nordman und Ulrike Berger stehen ebenfalls bald auf Ezraels Exekutionsliste, weil sie zu viel wissen von der geheimen Verschwörung.

Taavi Soininvaara hält sich wieder einmal nicht lange mit Vorgeplänkel auf, sondern wirft seine Leser direkt mitten in die Geschichte. Gleich auf den ersten Seiten begleiten wir die drei Ökoterroristen auf ihrem Feldzug gegen Dutch Oil und erleben mit, wie die Drei Mitwisser einer Verschwörung werden und danach auf die Abschlussliste geraten. Direkt im Anschluss lernen wir den Engel des Zorns kennen und erleben mit, wie er Jagd macht auf einen Physiker, der noch nichts von der Gefahr ahnt, die sein Leben bedroht. Während all dies geschieht, ist unser Romanheld Arto Ratamo noch damit beschäftigt, einen Kleinkrieg gegen Studenten in seiner Nachbarschaft anzuzetteln. Taavi Soinunvaara macht uns somit gleich mit allen wichtigen Romanfiguren bekannt und beginnt mit einem Paukenschlag. Danach dauert es auch nicht lange, bis der Leser erahnen kann, welchen Grund die Anschläge auf die Physiker haben. Doch enthält uns Soininvaara lange vor, was wirklich hinter all dem steckt, denn natürlich passiert viel mehr unter der Oberfläche.

Der Spannungsbogen setzt also gleich zu Beginn des Buches ein und fesselt den Leser an die Geschichte. Später bricht die Spannung allerdings leider etwas ein, obwohl ständig Menschenleben bedroht werden und mindestens ein verrückter Killer sein Unwesen treibt, der zwischenzeitlich eine uns gut bekannte Geisel nehmen kann. Doch unglücklicherweise hegt man für die meisten handelnden Figuren wenig Sympathien, sodass man ihrem Ableben auch recht gleichgültig entgegensehen kann. Taavi Soininvaara begeht den Fehler, dass er seinen früheren Romanhelden Arto Ratamo, den man in den beiden Vorgängerkrimis kennen und schätzen gelernt hat, zu sehr in den Hintergrund treten lässt. Ratamo ist zwar überall vor Ort, aber er wird selbst nicht gejagt und steht auch nie im Zentrum der Geschehnisse, sodass er sich in diesem Buch leider mit einer kleineren Nebenrolle begnügen muss.

Darüber hinaus bremsen zwei weitere Faktoren die Spannung: Nachdem der Engel des Zorns eine Geisel genommen hat, die er für den „Engel der Offenbarung“ hält und von dem er sich einen neuen Auftrag erhofft, begleiten wir ihn längere Zeit bei seinen Handlungen und lernen ihn, sein Wesen und seine Vergangenheit besser kennen. Sein fanatisches Gerede vom Engel der Offenbarung strapaziert auf Dauer leider sehr die Geduld des Lesers. Man ist es bei einem Kriminalroman ja schon gewöhnt, dass man auf verrückte Romanfiguren trifft, aber so tief wollte ich dann doch nicht in die Gedanken des Killers eintauchen, denn mir erschien er zu unglaubwürdig. Auch die seitenlangen historischen Exkurse Jaap van der Waals bringen weder die Handlung noch die Spannung voran, sodass ich gut auf sie hätte verzichten können.

Zwei weitere Dinge sind es, die den eigentlich durchaus positiven Gesamteindruck etwas trüben. Zum einen übertreibt Taavi Soininvaara es etwas mit seinem Lokalkolorit. Wenn seine handelnden Figuren durch die Straßen Helsinkis oder auch Amsterdams spazieren, erfahren wir alle möglichen Straßennamen oder markanten Orte, die der Durchschnittsleser noch nie im Leben gehört hat. Für jemanden, der diese vielfältigen Schauplätze bereits besucht hat, ist diese überschwängliche Verwendung fremd klingender Straßennamen natürlich äußerst spannend, wenn man aber permanent über diese Bezeichnungen stolpert, stört dies ein wenig den Lesefluss. Zum anderen fand ich es etwas unglaubwürdig, dass niemand bemerkt haben soll, dass die Morde an den jeweils führenden Fusionsphysikern kein Zufall sein können. Zwar hatte der Engel des Zorns seine Morde jeweils gut als Unfall getarnt, aber wenn immer wieder der zurzeit beste Fusionsphysiker sein Leben lassen muss, sollte eigentlich jedem klar sein, dass dies nicht nur ein Zufall sein kann.

Dem entgegen steht Taavi Soininvaaras stetes Bemühen, seinen Romanen einen spannenden politischen Hintergrund zu verpassen. In „Finnisches Quartett“ befasst er sich mit umweltfreundlichen Energien, Ökoterroristen und zwielichtigen Managern, die auf Kosten der Umwelt ihren eigenen Profit suchen. Diese Konstellation birgt viel Potenzial, das Soininvaara auch gekonnt ausnutzt. Insbesondere vor dem Hintergrund der tatsächlichen amerikanischen „Umweltpolitik“, offenbart auch Soininvaara eine „unbequeme Wahrheit“, denn man könnte sich durchaus vorstellen, dass die geschilderten Ereignisse gar nicht so weit hergeholt sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. In einer Nation, die bekanntlich der größte Umweltverschmutzer auf der ganzen Welt ist und bezeichnenderweise auch keine Bemühungen erkennen lässt, daran etwas zu ändern, könnten vielleicht tatsächlich Mächte am Werke sein, wie Soininvaara sie im finnischen Quartett aufdeckt. Eins hat Soininvaara also definitiv geschafft: Sein Buch wird nicht einfach durchgelesen, zugeklappt und aus dem Gedächtnis gelöscht – nein, man beginnt sich zu fragen, ob solche Verschwörungen in unserer Welt nicht wirklich passieren könnten …

Trotz kleiner „handwerklicher“ Schwächen hinterlässt „Finnisches Quartett“ einen positiven Gesamteindruck. Taavi Soininvaara beweist erneut, dass er ähnlich wie Henning Mankell nicht einfach nur leicht vergängliche Spannungsliteratur schreibt, sondern Kriminalromane, die zum Nachdenken anregen und Konflikte aufdecken wollen, die vielleicht tatsächlich so passieren könnten. Für den vierten Soininvaara-Krimi würde ich mir allerdings wünschen, dass der sympathische Arto Ratamo wieder mehr ins Zentrum der Geschichte rückt!

Lee Child – Sein wahres Gesicht

Das geschieht:

Jack Reacher, ehemaliger Elite-Soldat und Militär-Polizist, ist auf seiner ziellosen Reise durch die USA in Key West, Florida, gelandet. Dort verdingt sich nach Feierabend als Leibwächter in einer Oben-ohne-Bar, wo ihn Privatdetektiv Costello anspricht, der ihn im Auftrag einer „Mrs. Jacob“ aus New York finden soll. Reacher hat keine Ahnung, wer dies ist, und hält sich daher im Hintergrund, was klug ist, denn Costello hart auf den Fersen sind zwei Schläger, die dem Detektiv auflauern, ihn nach Reacher ‚befragen‘ und, als er nichts preisgeben kann, brutal umbringen.

Reachers Ermittler-Instinkte brechen wieder durch. Er reist nach New York, wo er feststellt, dass „Mrs. Jacob“ Jodie Garber ist, die Tochter seines verehrten militärischen Lehrmeisters und väterlichen Freundes General Leon Garber, der gerade einem Herzleiden erlegen ist. In den letzten Lebenswochen beschäftigte ihn der Victor Hobie, der vor fast dreißig Jahren als hoch dekorierter Helikopter-Pilot im Vietnamkrieg verschollen ist. Das Militär mauerte, und Garber wollte den Grund herausfinden. Er konnte noch in Erfahrung bringen, dass Hobie bei einem Absturz schwer verletzt und verstümmelt wurde. Er desertierte aus dem Lazarett, tötete dabei einen Kameraden und verschwand mit viel Geld, das er durch allerlei krumme Geschäfte ergaunert hatte. Ein Mustersoldat als übler Gauner: Dies war dem Militär so peinlich, dass es Hobies Akte einfach schloss. Lee Child – Sein wahres Gesicht weiterlesen

MacLeod, Charlotte – Rolls Royce und Bienenstiche

Wie in jedem Jahr richtet das Millionärs-Ehepaar Nehemiah und Abigail Billingsgate für seine Familienmitglieder, Verwandten und Freunde auf dem Gelände seines Anwesens vor den Toren der US-Metropole Boston (Massachusetts) ein prunkvolles Renaissance-Fest aus. Unter den zahlreichen Gästen tummeln sich auch Max und Sarah Bittersohn, die heuer nicht nur zur Feier eingeladen wurden, sondern außerdem einen peinlichen Diebstahl aufklären sollen. Die Bittersohns arbeiten als Privatdetektive, und der Hausherr setzt größeres Vertrauen in sie als in Chief Grimpen, den ebenso aufgeblasenen wie unfähigen Polizeichef, dem dennoch noch reichlich Gelegenheit geboten wird, sich tüchtig zu blamieren.

Seit Jahrzehnten sammelt die Familie Billingsgate Luxus-Automobile der Marke Rolls Royce. Der Wert dieser Oldtimer ist enorm, so dass große Aufregung entsteht, als ein Modell „New Phantom“, Baujahr 1927, aus der als Museum eingerichteten und gut gesicherten Großgarage verschwindet. Für das Fest wurden deshalb besondere Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Der alte Hausdiener Rufus bewacht die fest verschlossene Wagenhalle, und regelmäßig schaut Max Bittersohn nach dem Rechten.

Dennoch geschieht das Unfassbare: Auf einem seiner Kontrollgänge findet Max den Wachposten verlassen vor. Nach kurzer Suche entdeckt er den scheinbar saumseligen Rufus: Er hängt mit einem Seil um den Hals hoch im Wipfel eines Baumes! Man hat ihn erst ermordet und dann mit einem Flaschenzug dort hinaufgezogen. Gleichzeitig ist wieder einer der wertvollen Rolls Royces verschwunden – und Boadicea Kelling, eine der zahllosen Tanten Sarahs, die anscheinend den Dieben und Mördern zufällig über den Weg lief und von diesen verschleppt wurde.

Die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Da ist zum einen der unausstehliche Grimpen, der nichts lieber täte, als den Fall unter fadenscheinigen Gründen zu den Akten zu legen. Auf der anderen Seite müssen die Billingsgates und die Bitterbaums sich eingestehen, dass der oder die Täter wohl im Kreise der Gäste gesucht werden müssen; eine peinliche Situation, da die Anwesenden nicht nur mit den Gastgebern und untereinander verwandt sind, sondern einander schon seit Jahrzehnten kennen …

Der achte Band der „Boston“-Serie, die sich lose um die kriminalistischen Abenteuer der Amateur-Detektivin Sarah Kelling-Bitterbaum rankt, vermittelt seinen Lesern schon auf den ersten Seiten das beruhigende Gefühl, durch nichts Neues verschreckt zu werden. Seit jeher steht für Charlotte MacLeod weniger der Thrill, d. h. das Verbrechen und seine Aufklärung, im Mittelpunkt, sondern die Beschwörung einer guten, altmodischen, heilen Welt, bevölkert von liebenswerten und skurrilen Gestalten, denen ein Mord auch nicht dramatischer erscheint als ein Familienskandal, der sich vor fünfzig oder mehr Jahren abgespielt hat.

So schlägt MacLeod in der „Boston“-Serie einen Großteil ihres Witzes aus dem unglaublich verzweigten Clan der Kellings, einem genealogischen Albtraum hart an der Grenze zur Inzucht, der quasi die Bevölkerung eines ganzen Landstriches stellt und dem Verschrobenheit offensichtlich schon in die Wiege gelegt wird. Nach sieben Bänden hat sich die daraus erwachsende Komik allerdings ziemlich abgenutzt, doch der wahre (meist weibliche) MacLeod-Fan sieht das natürlich ganz anders und kann gar nicht genug von immer neuen Kellings mit ulkigen Namen und ebensolchen Gewohnheiten in märchenhaft-traulicher Landhaus-Atmosphäre lesen. Weit, weit weg ist die grausame Realität, vor der sich auf diese Weise vortrefflich fliehen lässt. Allzu spannend darf und soll es in dieser gemütlichen Nische nicht zugehen: „Cozys“ nennt man solche baldrianischen Krimis im Angelsächsischen mit gutem Grund. Alles wird schließlich immer wieder gut, während mindestens ein unverheirateter Großonkel zwölften Grades für kauzige Komplikationen sorgt; im vorliegenden Band ist er zwar nicht mehr am Leben, was aber nebensächlich ist, da für die Kellings Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowieso nahtlos ineinander übergehen und in diesem zeitlosen In-sich-selbst-Ruhen selbst tote Verwandte stets präsent bleiben.

Schwierigkeiten mit dem Kelling-Clan kennt die treue MacLeod-Leserschaft nicht. Die Autorin lässt einmal eingeführte Figuren immer wieder die Handlung bereichern, bis sie sich in der ständigen Wiederholung dem Publikum eingeprägt haben. Ansonsten sind sie austauschbar, was die eigentlichen Hauptpersonen nicht ausschließt: Sarah und Max Bittersohn sind liebenswerte Gutmenschen, die als Überdosis genossen durchaus Brechreiz hervorrufen können. In inniger Liebe einander zugetan, gesegnet mit einem gar niedlichen Kindelein und verschont von profanen Sorgen, gehen sie einem (im MacLeodschen Sinn) aufregenden Beruf nach und verkörpern damit, wonach sich viele Leser/innen mindestens unterschwellig sehnen.

Das muss man sich vor Augen führen, wenn man als Neuling in die „Boston“-Welt stolpert. Charlotte MacLeod ist mit ihren Cozys jedenfalls gut gefahren. Im reifen Alter von 57 Jahren erst ist sie 1979 auf die „Boston“-Goldader gestoßen. Noch drei weitere Serien derselben Machart sicherten ihr (mildes) Kritikerlob und ein treues Publikum, das die fleißige Autorin über mehr als zwei Jahrzehnte zuverlässig mit immer neuen Variationen der alten Melodie bei Stimmung hielt.

Nach 1990 verlangsamte sich MacLeods Arbeitstempo merklich. Zum Kummer ihrer zahlreichen deutschen Fans war mit „Der Mann im Ballon“ nicht nur das Dutzend voll, sondern das Ende der Serie erreicht. Weitere Kriminalromane aus der Feder Charlotte MacLeods gab es nicht mehr. Die inzwischen 80-jährige Autorin litt an der Alzheimerschen Krankheit, an deren Folgen sie 2005 starb. Die absolut hirnrissige, geradezu peinliche „Auflösung“, die MacLeod sich für „Rolls Royce und Bienenstiche“ hat einfallen lassen, führt allerdings zu der Frage, ob der geistige Verfall nicht schon ein Jahrzehnt früher eingesetzt hat.

Die „Boston“-Serie:

01. Die Familiengruft (1979; „The Family Vault“) – DuMonts KB Nr. 1019
02. Der Rauchsalon (1980; „The Withdrawing Room“) – DuMonts KB Nr. 1022
03. Madame Wilkins‘ Palazzo (1981; „The Palace Guard“) – DuMonts KB Nr. 1035
04. Der Spiegel aus Bilbao (1983; „The Bilbao Looking Glass“) – DuMonts KB Nr. 1037
05. Kabeljau und Kaviar (1984; „The Convivial Codfish“) – DuMonts KB Nr. 1041
06. Ein schlichter alter Mann (1985; „The Plain Old Man“) – DuMonts KB Nr. 1052
07. Teeblätter und Taschendiebe (1987; „The Recycled Citizen“) – DuMonts KB Nr. 1072
08. Rolls Royce und Bienenstiche (1988; „The Silver Ghost“) – DuMonts KB Nr. 1084
09. Jodeln und Juwelen (1989; „The Gladstone Bag“) – DuMonts KB Nr. 1092
10. Arbalests Atelier (1992; „The Resurrection Man“) – DuMonts KB Nr. 1097
11. Mona Lisas Hutnadeln (1995; „The Odd Job“) – DuMonts KB Nr. 1104
12. Der Mann im Ballon (1998; „The Balloon Man“) – DuMonts KB Nr. 1110

http://www.dumontliteraturundkunst.de/

le Carré, John – Geheime Melodie

_Handlung_

Der Spitzendolmetscher Bruno Salvador, Sohn eines weißen Missionars und einer schwarzen Stammestochter, wird vom Britischen Geheimdienst aufgrund der Empfehlung seines Mentors zu einem Auftrag beordert. Er soll bei einer wichtigen Konferenz, bei der über die Zukunft seines Heimatlandes Kongo entschieden wird, offiziell den Übersetzter geben. Inoffiziell ist ihm aber aufgetragen worden, die verschiedensprachige Truppe in ihrer Freizeit abzuhören und ihre Worte zu übersetzten. Und was er da hört, sagt ihm überhaupt nicht zu.

_Schreibstil_

Ich muss gestehen, dass dies mein erster John le Carré ist, aber mit Sicherheit nicht mein letzter. In einfacher Sprache wird hier eine gelungene Atmosphäre kreiert; angefangen beim plötzlichen Fallenlassen in die Spionagewelt über den Einsatz bei der Konferenz bis zum Entschluss Salvadors, das schreckliche Ausmaß der Konferenz zu beeinflussen – man fühlt mit dem Protagonisten und glaubt zu wissen, was jeweils in ihm vorgeht.

Was ebenfalls genial an John le Carrés Buch ist, sind die Charaktere, die bis zur kleinsten Nebenfigur hervorragend ausgearbeitet sind und nicht dem Standardbuch der Charaktergenerierung entspringen. Angefangen beim von seinen Fähigkeiten eingenommenen Protagonisten über seine karrieregeile Ehefrau bis hin zur Familienfreundin, einer leicht überdrehten Psychologin, ist ein breites Spektrum an Charakteren verteten. Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass Bruno Salvador lieber nach seinem Charakter handelt und nicht so, wie eine schnelle Handlungsauflösung es verlangen würde. Dadurch bringt er sich in einige Probleme, klar; er ist schließlich nicht als Spion geboren worden, und zum Glück benimmt er sich wie ein Held aus Zwang, und nicht, weil es ihm Spaß macht.

Auch der politische Hintergrund ist schlüssiger als viele Weltuntergangsprophezeiungen von Tom Clancy. Auf der einen Seite gibt es Leute, die dem Kongo wieder Einigkeit und Frieden schenken wollen, andere wiederum sind mit diesem Lösungsweg nicht einverstanden, und alle wollen einen möglichen Profit herausschlagen. Jeder in der Konferenz hat seine eigenen Motive, und jedes läuft auf die eigene Ansicht hinaus, wie seine Haut und sein Heimatland zu retten ist, und nicht etwa, persönliche Rachegelüste zu stillen.

_Fazit_

Dass John le Carré einer der ganz großen Schreiber von Spionageromanen ist, sollte bekannt sein. Mit „Geheime Melodie“ unterstreicht er dies auf eindrucksvolle Weise. Realistisch, nachvollziehbar und absolut spannungsgeladen, entwickelt sich das Buch zu einem absoluten Pageturner, den man so schnell nicht aus der Hand legen will. Erstens, weil Vorhersehbarkeit überhaupt nicht le Carrés Ding ist, und zweitens, weil einfach alles um ein Vielfaches nachvollziehbarer ist als vieles, was im Genre anderweitig herausgebracht wird. Auch das Afrikaszenario ist weitaus frischer als die üblichen Streiterein Russland gegen Amerika und somit auch weitaus gewinnbringender zu lesen.

http://www.ullsteinbuchverlage.de/listhc/

Littell, Robert – Company, Die

Der letzte Tag des Zweiten Weltkriegs leitete zugleich den Dritten ein, sprach einst ein Zyniker, der aber kein Dummkopf war. Nazi-Deutschland wurde zerschlagen, was weltfremde Träumer zu der Annahme verleitete, die Geschichte beginne wieder bei null und bringe nun Frieden und Einigkeit über die Menschheit. Stattdessen begann der Kalte Krieg, der diese Erde in zwei supermächtige Blöcke zerfallen ließ. Der „freie Westen“, mehr oder weniger offen unter dem Primat der USA, stand gegen die UdSSR und den „Ostblock“. Getrennt wurden beide Sphären durch den „Eisernen Vorhang“, den Stalin niedergehen ließ. Nie hatte sich der sowjetische Diktator davon abhalten lassen, die Welt unter das kommunistische Joch zu zwingen. Unverhohlen nutzte er ab 1945 den Kriegssieg dazu, seinen Einflussbereich in Europa und Asien auszudehnen.

Lange wollten die einstigen Verbündeten USA dies nicht wahrhaben, aber dann lernten sie schnell: 1947 versprach die Truman-Doktrin allen freien Völkern der Welt den Beistand der USA im Kampf gegen jeglichen Totalitarismus. Amerikanische Auslandspolitik wurde zukünftig von umfangreichen Geheimdienstaktivitäten begleitet: Die „Central Intelligence Agency“, kurz CIA, führt seitdem einen Untergrundkrieg gegen ihren mächtigen Gegner, den sowjetischen KGB, in dem sich beide Parteien nicht das Geringste schuldig bleiben.

Macht korrumpiert; eine alte Weisheit: Wie ein Moloch breitet sich die CIA aus, als der Kalte Krieg zu eskalieren beginnt – und sie macht sich selbstständig. Anfang der 50er Jahre zeichnet sich die Gefahr eines atomaren Schlagabtausches immer deutlicher ab. Dem glaubt die CIA nur durch eine intensivierte Unterwanderung der UdSSR und ihrer Trabantenstaaten begegnen zu können. Dazu braucht es mehr Personal – nicht mehr nur ehemalige Soldaten, Schnüffler der alten Schule oder sogar wendehalsiger Nazi-Agenten, sondern junge, ausgebildete Männer und Frauen, die sich nicht scheuen, sich im Dienst der vorgeblich guten Sache die Finger schmutzig zu machen.

Auf Jack McAuliffe und Leo Kritzky trifft dies zu; sie sind idealistisch und patriotisch, d. h. vor allem stramm antikommunistisch. Der dritte im Bunde ist der russische Austauschstudent Jewgeni Alexandrowitsch Tsipin, den es indes bald zur Konkurrenz zieht. Während Jack und Leo von der CIA angeheuert werden, wird Jewgeni ein „Schläfer“, der in den USA lebt und auf seine Einsätze wartet. Im nächsten halben Jahrhundert werden sich die Wege dieser drei Männer immer wieder kreuzen. Das Katz-und-Maus-Spiel wird sie um den gesamten Globus führen – und Opfer kosten, Unschuldige, scheinbar Schuldige und manchmal einen echten Übeltäter.

Der Korea-Krieg, der Volksaufstand in Ungarn, das Desaster in der Schweinebucht, die Watergate-Affäre, der Bürgerkrieg in Afghanistan und schließlich Glasnost und Perestroika sind die Stationen dieses Agenten-Krieges, der zugleich die jüngere und jüngste Weltgeschichte widerspiegelt – bis der Zusammenbruch der Sowjetunion der CIA ihres wichtigsten Gegners und ihrer Legitimation zu berauben scheint. Aber viele Jahrzehnte des heimlichen Krieges haben die Beteiligten gelehrt, dass es irgendwo auf der Welt immer eine Bedrohung geben wird – und wenn man sie selbst ins Leben rufen müsste.

Ein nicht nur im Umfang gewaltiges Werk legt Politthriller-Routinier Robert Littell hier vor. „Die Company“ ist sicherlich das ehrgeizigste Projekt seiner langen Schriftsteller-Karriere. Unerhörte Arbeit hat er investiert, bis ins Detail recherchiert, und unabhängig von der Frage, ob er stets historische Präzision für sich beanspruchen kann (um es vorweg zu nehmen: kann & will er nicht), hat er auf jeden Fall einen Grad der Stimmigkeit und Atmosphäre erreicht, die viele Seiten (trotz eines gewissen Hangs zur historischen Predigt) wie im Fluge verstreichen lassen.

Dabei hat Littell bei allem Aufwand beileibe das Rad nicht neu erfunden. Ein Stilist ist er nie gewesen. Auch „Die Company“ ist denkbar einfach, fast altmodisch strukturiert. Da haben wir eine Reihe von Hauptfiguren, denen wir immer wieder begegnen, und eine Chronologie, die von der Weltgeschichte vorgegeben wird. Die Werbung zitiert Mario Puzos [„Der Pate“ 2767 als Vergleich und tut dabei, als sei dies ein bemerkenswert gutes Buch gewesen, was keineswegs zutrifft.

Tatsächlich steht „Die Company“ als eine Art dramatisiertes, d. h. um fiktive und narrative Elemente ergänztes Geschichtsbuch, das freilich keinen Anspruch auf historische Genauigkeit erheben kann, eher in der Tradition von James Michener (1907-1997), der seinen Ehrgeiz daran setzte, die Geschichte möglichst vieler US-Staaten von der Entstehung der Erde bis in die Gegenwart nachzuerzählen, wobei alle Protagonisten irgendwie miteinander verwandt sind und stets an historischen Brennpunkten auftauchen, so sehr dies die Gesetze der Wahrscheinlichkeit auch strapazieren mag. Die Lücken zwischen dem Weltbewegenden werden mit seifenoperlichen Intermezzos gefüllt, was emotionale Tiefe suggeriert, die indes meist eher Versprechen bleibt und zum gefühlsduseligen Klischee gerinnt. Auch Littell ist in dieser Beziehung kein Meister und beschränkt derartige Anwandlungen klugerweise auf ein Minimum; der Auftrieb geplagter, aber geduldiger und zum Wohle ihres Landes alle Fährnisse (mehr oder weniger) still erleidender Ehefrauen, Mütter etc. ist trotzdem noch groß genug.

Die Handlung als solche zerfällt in voneinander mehr oder weniger unabhängige Episoden, die der Verfasser hintereinander schalten konnte. „Die Company“ umfasst viele hundert Seiten, doch Littell hätte ohne Schwierigkeiten noch einige Kapitel einschieben können. Trotzdem gibt es so etwas wie einen roten Faden. Das Buch erzählt die Geschichte einer Gruppe von Idealisten, die im Dienste einer guten Sache ein ehrgeiziges Projekt verwirklichen, das eine ungute Eigendynamik entwickelt, sie verformt und korrumpiert, ohne dass sie selbst dies zu bemerken scheinen.

Übrigens bleibt fraglich, ob Verfasser Littell sich dieser Interpretation anschließen würde. Er ist eher ein Falke als eine Taube, eindeutig rechts der politischen Mitte, ganz sicher nicht liberal, und das schimmert in seinem Werk nicht nur durch, sondern wird deutlich und markig thematisiert. Hier ist es z. B. die Figur Leo Kritzky, die aufgrund eines Versehens in die Mühlen der eigenen „Firma“ gerät und dabei mit kalter Berechnung genauso übel gefoltert wird, wie dies den teuflischen KGB-Teufeln angelastet wird. Aber was geschieht, als sich Kritzkys Unschuld herausstellt? Weil’s letztlich für Uncle Sam war und jeder schließlich mal irren kann, reiht sich der Geschundene sogleich wieder in Schar seiner Mitstreiter ein und geht wacker erneut auf Kommunisten- und Terroristenhatz. (Zu Littells Ehrenrettung sei erwähnt, dass er nachträgliche Verklärungen ablehnt; sein Porträt des US-Präsidenten Ronald Reagan ist höchst boshaft und ziemlich erschreckend.)

Freilich ist „Die Company“ auch der Versuch, die ganz besondere Geisteshaltung in Worte zu fassen, von der die CIA mindestens bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion geprägt war. Littell zeichnet sehr schön eine ganz eigene Welt, deren Regeln von Paranoia und Misstrauen bestimmt werden – und bestimmt werden müssen, da hinter jedem Ereignis auf dieser Welt „der Feind“ stecken kann, der mit unfassbarer Raffinesse versucht, seinen Gegner zu überlisten. Das prägt und hinterlässt Spuren bei denen, die sich dem „Großen Spiel“ widmen, bis sich CIA und KGB so sehr gleichen, dass man sie für Spiegelbilder halten könnte (was beide Parteien allerdings vehement abstreiten würden).

Überhaupt wirkt der Krieg der Geheimdienste tatsächlich wie ein globales Spiel, das seine Teilnehmer süchtig werden lässt. Kim Philby, der berühmte britische Spion, fasst dies sehr schön in Worte, als er trotz drohender Entdeckung die Flucht in das Land verweigert, für das er viele Jahre spioniert hat: Die UdSSR schätze er ideologisch, meint er da, aber lieber aus der Ferne, denn leben wolle er dort lieber nicht. Geheimdienstler neigen folglich zur Schizophrenie; auf jeden Fall stehen sie unter Dauerstress, was wohl auch die erstaunliche Häufung von Saufexzessen erklärt, die Littell in diesen politisch korrekten Zeiten in sein Werk einflicht. Hinzu kommen die unerhörten Möglichkeiten, die eine mit Macht und Geld genudelte Organisation wie die CIA ihren meist jungen und begeisterten Mitgliedern bietet: Auf Staatskosten bereisen sie die ganze Welt, jagen die Bösen und drehen mit am Rad der Geschichte, was sonst der großen Politik und der Wirtschaft vorbehalten bleibt.

Spätestens in den 1960er Jahren verkam die CIA, die einst gegründet wurde, um taktisch bedeutende Informationen für die US-Regierung zu sammeln, zu einem obskuren Staat im eigenen Staate, der unter Brechung praktisch sämtlicher Gesetze selbst offensive Politik zu treiben begann (und sich dabei denkbar ungeschickt anstellte). Auch dies wird vom Verfasser offen angesprochen, doch wiederum kann man nicht von Objektivität sprechen: Littells CIA war, ist und bleibt im Kern gut und notwendig; ihre hehren Ziele verliert sie womöglich manchmal aus den Augen, aber das ist stets nur einigen Verblendeten, vor allem jedoch notorisch feigen Politikern anzulasten, die den Schwanz einziehen, wo Härte und Rückgrat gefragt wären.

Daher verwundert es nicht, dass der Verfasser das moderne Russland mit denselben misstrauischen Augen betrachtet wie die alte Sowjetunion. Spione werden immer Konjunktur haben, so lautet Littells – durchaus überzeugendes – Resümee, aber nichtsdestotrotz schießt er hier über sein Ziel hinaus: Welt, sei wachsam & lass’ die CIA ihre heilige Arbeit tun, denn der Feind ist noch lebendig und stark; er hat nur seine Methoden geändert. Dass Russland, wirtschaftlich marode, von politischen Krisen und sogar Bürgerkriegen geschüttelt, zur Zeit über die Ressourcen verfügt, das „Große Spiel“ im großen Stil fortzusetzen, mag der Leser nicht ernsthaft glauben, aber das ist ja genau der Anschein, den der böse Iwan erwecken möchte, um uns einzulullen – und mit dieser Erkenntnis haben wir wohl Littells Aufnahmeprüfung in den Club der Paranoiker mit Glanz bestanden … Und schließlich gibt es im Nahen Osten oder mit Nordkorea immer neue Schurkenstaaten, die es unter sorgfältiger Beobachtung zu halten gilt.

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Nesbø (Nesboe), Jo – Fährte, Die

Ein psychopathischer Bankräuber, genannt der „Exekutor“, terrorisiert die norwegische Stadt Oslo. Obwohl er seine Beute ohne Zwischenfälle einkassieren konnte und keine Spuren am Tatort hinterlassen hatte, erschoss er scheinbar ohne Grund eine junge Angestellte. Seitdem hat der hervorragend organisierte Täter noch weitere Verbrechen begangen, die durch ihre kaltblütige Planung und Durchführung auffallen. Für die Presse ist diese Serie ein gefundenes Fressen, was die Politik nervös werden lässt, gilt es doch, das Bild einer vorbildlich regierten Stadt zu wahren, damit dahinter die bekannten Spielchen um Macht und Geld ungestört weiterlaufen können.

Im Polizeidezernat für Gewaltverbrechen ging der „Exekutor“-Fall an den ehrgeizigen aber unfähigen Dezernatsleiter Ivarsson. Als dieser keine schnellen Ergebnisse vorweisen kann, übernimmt Harry Hole, ein Ermittler, der durch seine bemerkenswerten Fahndungserfolge bekannt und wegen seiner alkoholbedingten Ausraster berüchtigt ist. Dank seiner unkonventionellen Methoden und unterstützt durch eine neue Kollegin, die mit dem perfekten Personengedächtnis ausgestattete Beate Lønn, kann Hole trotz der miserablen Indizienlage bald erste Teilergebnisse erzielen.

Allerdings ist Hole abgelenkt. In Abwesenheit seiner Lebensgefährtin Rakel hatte er eine Affäre mit der ehemaligen Geliebten Anna begonnen und war dabei erneut dem Alkohol verfallen. Als er mit Filmriss aus seinem aktuellen Rückfallrausch erwachte, fand man Anna erschossen in ihrem Bett. Die Spuren deuten auf Selbstmord hin. Harry ist sich da nicht sicher. Was ist in der Nacht geschehen, die in seinem Gedächtnis fehlt? Als Polizist schweigt er, der als Hauptverdächtiger gelten würde. Doch Anna ist tatsächlich ermordet worden: Der Täter nimmt Kontakt zu Harry auf und quält ihn mit E-Mails, in denen er droht, die Polizei zu informieren. Harry muss unauffällig nach dem Mörder suchen und gleichzeitig im vollen Rampenlicht nach dem „Exekutor“ fahnden – ein Drahtseilakt, der nicht lange gut gehen kann und nicht nur für Harry in einem Desaster endet …

Wenn man den Drang verspüren sollte, „Die Fährte“ in eine Schublade zu stecken, so könnte man dieses Buch als einen derjenigen Thriller bezeichnen, die Jeffery Deaver – stets vergeblich – zu schreiben versucht. Gemeint ist diese besonders vertrackte Art von Thriller, deren Plot sich dreht und windet wie ein schlüpfriger Aal, seinen Lesern dabei immer wieder zwischen den Fingern durchschlüpft, um im Finale dort zu landen, wo niemand ihn vermutet hätte. Kurz und gut: „Die Fährte“ ist ein Krimi, der sein Publikum gleich mehrfach täuscht und mit neuen Wendungen verblüfft, ohne es durch aus dem Hut gezauberte, quasi übernatürliche Wendungen vor den Kopf zu stoßen. Die atemberaubende Story schlägt ihre Haken sogar, ohne dass ihr die Logik darüber jemals verloren ginge.

Das verwundert durchaus, da „Die Fährte“ ein an Klischees überaus reiches Werk ist. Auch in Nesbøs Skandinavien gibt es offensichtlich keinen Sommer. Harry Hole ermittelt in einem Oslo, das düster und regnerisch ist. Dieses Klima gilt gleichzeitig als Metapher für die gesellschaftliche Kälte: Die Polizei ist kaum mehr Ordnungsmacht, sondern tanzt am Gängelband von Politik und Medien. Streber und Karrieristen geben den Ton an; sie drängen diejenigen Kollegen, die sich auf ihren Job konzentrieren, an den Rand und lassen sie desillusioniert und verbittert zurück. Auch sonst ist die Welt schlecht, d. h. geprägt von Unvernunft, Habgier, Fremdenfeindlichkeit usw. usf. Doch Nesbø übertreibt es nicht und findet ein Gleichgewicht zwischen diesen Unerfreulichkeiten, die einen als Leser deshalb nicht bedrängen oder sich gegenseitig erschlagen, sondern ihren Teil zur Handlung beitragen.

Die Kunst des Jo Nesbø manifestiert sich vor allem in der Figur des Harry Hole: Wie viele einsame, dauerdeprimierte Ermittler, die an der Flasche hängen, verträgt der Krimileser? Hole scheint exakt in diese schon viel zu tief ausgehauene Kerbe zu stolpern. Dennoch schafft er es, Individuum zu bleiben: Harry ist kein Super-Detektiv und privat ein schwacher Mensch. Nesbø findet den schmalen Grat zwischen Routine und Übertreibung und lässt seinen menschlichen Helden dort mit traumwandlerischer Sicherheit meist waghalsige Kunststücke treiben. Zur Spannung der Krimi-Handlung kommt deshalb stets die bange Frage, ob er sich auch dieses Mal halten kann oder endgültig stürzen wird.

Bei seinem Seiltanz hilft Harry mehr als ein Quäntchen eistrockenen Humors. Hole wälzt sich – anders als z. B. ein literarisch ungleich erfolgreicherer Kollege aus dem schwedischen Ystad – nicht stellvertretend für die enttäuschten Gutmenschen dieser Welt leidend im Sumpf der Gemeinheiten & Scheußlichkeiten, die ihre Artgenossen sich einander antun. Zwar kann sich auch Nesbø einige allzu aufdringliche Verweise in diese Richtung nicht verkneifen – Harry verfolgt mehrfach am Fernseher den Stand des US-amerikanischen „Befreiungskrieges“ im Irak und denkt sich seinen Teil -, doch letztlich konzentriert er sich wieder auf den aktuellen Fall, der es so in sich hat, dass sein Verfasser auf den erhobenen Zeigefinger leicht verzichten kann.

Hole fügt der langen Liste seiner persönlichen Verfehlungen dieses Mal gleich mehrere Neueinträge an. Er verfällt abermals seinem persönlichen Dämon, dem Alkohol, lässt sich von einer ehemaligen Geliebten umgarnen, obwohl er inzwischen neu verbandelt ist, und setzt zu einem wahren Kamikazeflug gegen seine ohnehin wenig von ihm eingenommenen Vorgesetzten an. Doch Harry wächst in der Krise über sich hinaus; er scheint den Druck zu benötigen, der den sechsten Sinn des guten Fahnders stimuliert. Zudem kann er sich auf einige wenige treue Freunde verlassen, die wie er zu den Außenseitern gehören und kein Problem damit haben, Gesetze und Regeln ein wenig großzügiger auszulegen, als dies gestattet bzw. toleriert wird.

Das ist nur gut so, denn den Schurken, die uns Nesbø in „Die Fährte“ vorstellt, lässt sich schwerlich unter getreuer Beachtung der Dienstvorschrift beikommen. Da ist zunächst der eiskalte „Exekutor“, der seinen Häschern mehr als ein gelungenes Rätsel aufgibt. Hole speist mit dem Teufel, um ihn zu fassen, wobei er bald merkt, dass der Löffel, den er benutzt, nicht lang genug ist: Raskol Baxhet, ein Bankräuber, der sich aus unerfindlichen Gründen selbst stellte, ist wahrlich ein zwielichtiger Charakter. In einem Augenblick lässt er sich von Hole als „Berater“ in Sachen „Exekutor“ anheuern, im nächsten bedroht er dessen kleine Familie, um sich an einem alten Feind rächen zu können. Aber Harry zeigt sich auch dieser Herausforderung gewachsen: Nicht durch Gewalt kommt er Baxhet bei, sondern indem er dessen Intrigenspiel noch besser spielt als dieser – gerade noch, denn sein Gegner ist ein Meister!

Innerhalb der Polizei kämpft Hole offene und verborgene Schlachten aus. Dezernatsleiter Ivarsson repräsentiert das Establishment, das Quertreiber und interne Kritiker wie Harry hasst und mobbt. Nesbø gönnt uns den Genuss zu beobachten, wie Ivarsson sich selbst demontiert. Aber er bleibt Harrys Vorgesetzter und wird seine Zeit abwarten, um sich zu rächen. Ebenfalls präsent ist Tom Waaler, der die weitaus größere Gefahr darstellt. Sein infamer Feldzug gegen Hole, der ihn des heimtückischen Mordes an einer Kollegin zumindest verdächtigt, ist an Spannung kaum zu überbieten. Waaler nutzt geschickt die Animositäten zwischen Harry und Ivarsson, während er gleichzeitig Beweise manipuliert, die auf Hole als Drahtzieher hinter dem „Exekutor“ hinweisen. Auch dies kann Harry abwehren; er geht sogar einen Schritt weiter und intensiviert seine Ermittlungen gegen Waaler – dieser Subplot wird auch im nächsten Band der Serie eine wichtige Rolle spielen.

Jo Nesbø wurde 1960 in Oslo geboren. Er war zunächst als Finanzanalytiker und Ökonom für die norwegische Handelshochschule in Bergen tätig, arbeitete aber nebenberuflich als Journalist, bevor er sich als Schriftsteller selbstständig machte. Schon für seinen ersten Kriminalroman – „Flaggermusmannen“ (dt. „Der Fledermausmann“) bekam Nesbø 1997 den Preis für den besten Krimi des Jahres. Hier schildert der Autor die Erlebnisse von Kriminalkommissar Harry Hole auf einer verhängnisreichen Dienstreise nach Australien.

Ebenfalls subtil, aber trotzdem volkstümlich ist die Pop-Band „Di Derre“: Frontmann, Vokalist und Komponist Jo Nesbø ist auch ein anerkannter Musiker, der nach Auskunft der Kritik gute Texte mit schwungvollen Popmelodien verbindet.

Kaes, Wolfgang – Herbstjagd

Martina Hahne, alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern, hat kein Glück mit Männern. Nach der Geburt ihrer Tochter verlässt sie ihr Mann, auch alle weiteren Beziehungsversuche enden in einer Enttäuschung. Tochter Jasmin will um jeden Preis Model werden, der ältere Boris rebelliert, die harte Arbeit im Supermarkt reibt die gestresste Mutter auf. Da gibt ihr eine Kollegin den Tipp, sich per Internet eine Bekanntschaft zu suchen. Auf diesem Weg lernt sie Mario kennen, einen reichen Kölner Unternehmer, der sie mit Komplimenten und Aufmerksamkeiten überschüttet. Die ersten Treffen verlaufen zaghaft, erst nach und nach werden sie intim miteinander. Dabei verlangt Mario von Martina so genannte „Liebesbeweise“, die immer demütigender für sie werden. Martinas Liebe verwandelt sich in Angst. Als es ihr zu viel wird, trennt sie sich per E-Mail von ihrem einstigen Traummann. Mario verkraftet das Aus nicht und stellt ihr mit Anrufen und drohenden E-Mails nach.

An einem regnerischen Septembertag verschwindet Martinas Tochter Jasmin. Die Fünfzehnjährige kehrt nicht von der Schule heim. Gegen Mitternacht verständigt Martina die Polizei. Zur gleichen Zeit wird auch die vierzehnjährige Anna vermisst gemeldet. Anna stammt aus gutem Haus und kennt Jasmin nicht, doch bei beiden lässt der Täter den Eltern ein Foto der Mädchen zukommen, aufgenommen nach ihrer Entführung. Anhand eines der Bilder gelingt es der Polizei, die beiden Mädchen in einem Naturschutzgebiet zu finden – aber nur eines von ihnen lebt noch.

Der rauhe Bonner Hauptkommissar Jo Morian und seine junge, burschikose Kollegin Antonia Dix übernehmen den Fall. Obwohl sie in alle Richtungen ermitteln, steht der mysteriöse „Mario“ auf ihrer Verdächtigenliste ganz oben. Doch die Nachforschungen erweisen sich als problematisch. Zeugenaussagen ergeben zwei völlig unterschiedliche Phantombilder von „Mario“ und dem Entführer, wichtige Spuren wurden verwischt und einige Polizeimitarbeiter halten die Stalking-Theorie für unglaubwürdig. Auch persönlicher Druck lastet auf dem Duo – Antonia Dix wird wegen ihrer Unerfahrenheit längst nicht von allen Kollegen respektiert. Morian dagegen fühlt sich gegen seinen Willen zu Annas Lehrerin Dagmar, selbst ein Stalking-Opfer von „Mario“, hingezogen. Für die Ermittler beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn niemand weiß, wann der Täter wieder zuschlägt …

Nach „Todfreunde“ und „Die Kette“ bekommen die Leser nun einen dritten Fall von Kommissar Morian präsentiert, der sich nach Kindesmissbrauch und Terror mit dem Thema Stalking befasst. Auch hier beweist der Autor wieder einmal sein Gespür für brisante Themen und liefert einen äußerst spannenden und gelungenen Thriller ab.

|Charakterstarkes Ermittler-Duo|

Serienermittler gibt es in der Krimi- und Thrillerwelt mittlerweile wie Sand am Meer. Schwer genug für einen Autoren, einen Ermittler zu erschaffen, der sich von seinen zahlreichen Kollegen, heißen sie nun Wallander, Cross, Wexford oder Pitt, abhebt und dem Leser einprägt. Mit der Figur des Kommissar Josef Morian ist ihm so ein Charakter gelungen. Dabei ist Morian, wie ihn fast alle Kollegen nennen, eigentlich ein Durchschnittstyp und gewiss nicht fehlerlos, was ihn aber gerade so sympathisch macht. Der ehemalige Amateurboxer hat mittlerweile an Gewicht zugelegt, lebt nach seiner Scheidung alleine, hat zu wenig Zeit für seine beiden Kinder, schweigt mehr als dass er redet und ist bekannt für das Vertrauen, das er gegenüber Zeugen ausstrahlt. Morian ist kein makelloser Superman, der jedes Verbrechen im Handumdrehen löst, doch er ist ein zuverlässiger Kollege, der mit viel Herzblut an seinen Fällen arbeitet und in seiner aufreibenden Arbeit seine Berufung gefunden hat. Kollegin Antonia Dix bietet den perfekten Gegenpol. Erfreulicherweise bilden die beiden kein Liebespaar, sondern stehen vielmehr in einer Art leicht distanziertem Vater-Tochter-Verhältnis zueinander. Antonia ist knapp dreißig, verbirgt ihre rassige Schönheit hinter einem raspelkurzen Haarschnitt und burschikosen Auftreten inklusive stämmiger Kickboxerin-Figur und Militär-Jacke. Morian schätzt die scharfsinnige und ehrgeizige Ermittlerin und verspürt des Öfteren einen Beschützerinstinkt in ihrer Nähe. Ganz anders sieht es dagegen Oberstaatsanwalt Arentz, der, wie auch einige der Polizeimitarbeiter, der Jugend und der Unerfahrenheit von Antonia skeptisch gegenübersteht. Vor allem Arentz nutzt jede Gelegenheit, um die junge Frau zu diskriminieren und ihr offen zu widersprechen. Bei den Ermittlungen lastet nicht nur der Druck der Öffentlichkeit auf Antonia, sondern der Fall weitet sich für sie zu einer Bewährungsprobe aus. Gerade unter diesem Druck unterlaufen der sonst so gefassten Kriminalbeamtin kleine Schnitzer, die sie noch verletztlicher und menschlicher wirken lassen. Auch das Privatleben der beiden wird gestreift, angenehmerweise aber nie zum Hauptthema erhoben. Antonia ist einsamer Single, Morian wehrt sich gegen seine Gefühle für die Zeugin Dagmar Losem; beide haben mit ihren privaten Empfindungen zu kämpfen, doch im Fokus steht zu jeder Zeit die Jagd nach dem psychopathischen Stalker.

Unterstützung erhält Morian dabei wie schon in den vorherigen Bänden von seinem Freund Max Maifeld, einem ehemaligen Journalisten, der nach den Rachedrohungen eines Schwerkriminellen in Köln-Mülheim untergetaucht ist und nun als Detektiv schwierige Fälle übernimmt. Mit dabei ist der durchtrainierte Schwarzamerikaner Hurl, Max Maifelds Partner, der nicht viele Worte verliert, dafür aber mit bestechender Verlässlichkeit selbst gefährlichste Einsätze übernimmt. Morian, Antonia, Max und Hurl bilden ein buntes Quartett, das sich trotz oder gerade wegen seiner Gegensätzlichkeit als ein nahezu unschlagbares Team präsentiert. Hin und wieder gibt es trotz aller Aufregung und der Ernsthaftigkeit des Themas bei Max und Hurl sogar amüsante Erlebnisse – denn obwohl sie die perfekte Zusammenarbeit liefern, ist vor allem Max zeitweise genervt von den unterschiedlichen Lebensvorstellungen innerhalb der Zwangs-WG.

|Spannung und Dramatik bis zum Schluss|

Über 500 Seiten umfasst der Schmöker, doch beachtlicherweise wird der Spannungsfaktor von der ersten bis zur letzten Seite konstant hochgehalten. Viele Fragen warten auf die Beantwortung: Werden sie dem Internet-Stalker das Handwerk legen? Wird es bis dahin noch weitere Opfer geben? Wer ist der Informant, der die Presse immer wieder mit vertraulichen Polizei-Interna über den Fall versorgt? Glaubwürdig werden Höhen und Tiefen der Ermittlungsarbeit aufgezeigt. Morian und seine Helfer verzeichnen wichtige Erfolge, die sie dem Täter näher bringen, doch es gibt auch zahlreiche Rückschläge – entweder, weil Fehler passieren oder weil „Mario“ ihnen intellektuell gewachsen ist. Positiv ist zudem, dass der Autor sich nicht scheut, Charaktere sterben zu lassen oder lieb gewonnenen Figuren Enttäuschungen geschehen zu lassen. Bereits vor den letzten Seiten ahnt man, dass den Leser hier kein geschöntes Hollywood-Ende erwartet, sondern dass Wolfgang Kaes es durchaus wagt, auch hier konsequent zu sein und die harte Realität einfließen zu lassen, in der nicht alle Konflikte eine ideale Lösung erfahren. Bis zum Schluss heißt es bangen um die Protagonisten und die Nebencharaktere – und hoffen, aber nicht wissen, dass die Gerechtigkeit siegen wird.

Den ganzen Roman über ist offensichtlich, dass der Autor lange Jahre als Polizei- und Gerichtsreporter tätig war. Detailgenau und immer verständlich bringt er Einblicke in die Ermittlungsarbeit, sodass man spürt, dass hier ein Experte über Dinge schreibt, die er selber erlebt hat, nicht bloß über angelesenes Bücherwissen. Gleiches gilt für das ausgeprägte Lokalkolorit. Bewohner des Köln-Bonner Raums werden nicht nur zentralen Örtlichkeiten, die auch flüchtige Besucher der Gegenden kennen, begegnen, sondern auch unscheinbaren Straßen und Ecken, die zeigen, dass hier ein Einheimischer seine Kenntnisse spielen lässt.

|Nur kleine Mankos|

Schwächen besitzt dieser Roman nur wenige. Eine davon liegt in der Fülle von Handlungssträngen, die das Werk äußerst komplex machen. Die Schauplätze wechseln häufig; am meisten steht natürlich Morian im Zentrum, aber es wird auch zu Antonia, zu Max und Hurl, zu Stalking-Opfer und Zeugin Dagmar Losem sowie auch zum Täter selbst übergeblendet. Bei manchen Absätzen muss man sich erst ein paar Sätze lang einlesen, ehe man weiß, in welchem Handlungsstrang man sich gerade befindet. Die vielen Schicksale, darunter natürlich auch die der Familien der Opfer, bilden ein miteinander verbundenes Netzwerk. Zum Schluss laufen tatsächlich alle Fände zusammen – doch bis dahin ist es zeitweise mühsam, den Überblick zu behalten, wer in welcher Form mit dem anderen verbunden ist. Auch der Zufall wird hier manches Mal zu oft bemüht. Ein paar der Verbindungen sind nicht naturgegeben, sondern entstehen durch unvorhersehbare Ereignisse, die dafür sorgen, dass sich die Wege mancher Personen kreuzen. Das macht es Morian und seinem Team mehrmals zu einfach, eine Spur zu verfolgen. Während in der ersten Hälfte viele Untersuchungen im Sande verlaufen und die Jagd nach „Mario“ phasenweise fast aussichtslos erscheint, fallen vor allem im letzten Drittel den Ermittlern einige Erkenntnisse durch Zufälle oder Dummheit der Täter in die Hände.

Nicht abschrecken lassen darf man sich vom Stil, der einem auf der ersten Seite entgegenspringt: In der hektischen Erzählweise der erlebten Rede, sogar bis hin zu Anklängen an den Bewusstseinsstrom, werden hier stakkatoartige Sätze verwendet, die oft nur aus einem Wort und aus inhaltlichen Gedankensprüngen bestehen. Allerdings zeigt sich bald, dass dieser Stil nur bei „Marios“ Perspektive zum Einsatz kommt und selbst dort nie mehr so penetrant wie auf der ersten Seite. Zwar durchzieht gründsätzlich ein nüchterner Stil mit kurzen Sätzen den Roman, der sich aber flüssig lesen lässt.

_Unterm Strich_ bleibt ein hochspannender Thriller über das brisante Thema „Stalking“, das durch ein sympathisch-interessantes Ermittlerduo, überraschende Wendungen und Dramatik bis zum ungewissen Ende besticht.

_Der Autor_ Wolfgang Kaes, geboren 1958 in der Eifel, arbeitete nach seinem Studium der Politikwissenschaft, Kulturanthropologie und Pädagogik viele Jahre lang als Journalist. Er schrieb unter anderem als Polizei- und Gerichtsreporter für den |Kölner Stadt-Anzeiger|, für den |Stern| und als Lokalchef der |Rhein-Zeitung| in Bonn. 2004 erschien sein erster Roman „Todfreunde“, 2005 der Nachfolger „Die Kette“, beide mit dem Ermittler Kommissar Morian. Mehr über ihn gibt es auf seiner Homepage http://www.wolfgang-kaes.de.

http://www.rowohlt.de

Ruth Rendell – Das Verderben

Rendell Wexford Verderben Cover TB 2004 kleinJunge Frauen werden entführt, ein Kind verschwindet, ein Familientyrann wird ermordet: In einer englischen Kleinstadt schürt die Angst die Aufregung zur Lynchstimmung, während die Polizei unter Zeitdruck die wirren Tatfäden zu entwirren versucht … – Der 18. Wexford-Krimi präsentiert einen Plot, der einerseits beliebig und andererseits übertrieben wirkt; besonders logisch ist das Geschehen zudem nicht, weshalb vor allem die Routine einer erfahrenen Autorin für Lektüre-Unterhaltung sorgt.
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Stuart MacBride – Die dunklen Wasser von Aberdeen

Ein perverser Kindermörder sorgt in der schottischen Stadt Aberdeen für Aufruhr. Polizist McRae ermittelt im verzweifelten Wettlauf mit der Zeit, denn der Täter wird wieder töten, während zornige Bürger zur Selbsthilfe bzw. Hexenjagd rüsten … – Auf den Spuren von Ian Rankin wandelt Stuart MacBride, der die Ekelschraube noch ein wenig schärfer anzieht als sein ‚Kollege‘ und einen zwar nicht originellen aber sauber geplotteten, spannend und mit trockenem Witz erzählten, atmosphärisch dichten und somit lesenswerten „Tartan Noir“-Thriller als Start einer neuen Reihe vorlegt.

Das geschieht:

Nach krankheitsbedingter Arbeitspause kehrt Detective Sergeant Logan McRae in den Dienst der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen zurück. Bereits am ersten Tag muss er einen grausigen Mordfall übernehmen: In einem Graben fand man den Körper des erst dreijährigen David Reid. Seit drei Monaten wurde das Kind vermisst. Sein Mörder hat ihn erdrosselt. Schlimmer noch: Er ist offensichtlich zur Leiche zurückgekehrt und hat sich „Souvenirs“ abgeschnitten.

Wie sein Chef, der aufbrausende Detective Inspector Insch, schließt McRae aus dem planvollen Vorgehen des Mörders, dass David womöglich nicht dessen erstes Opfer ist. Außerdem ist davon auszugehen, dass er seine kranke Fantasie an einem weiteren Kind ausleben wird. Und tatsächlich verschwindet kurz darauf der fünfjährige Richard Erskine. Die schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten, als auf einer Müllhalde eine Kinderleiche gefunden wird. Allerdings handelt es sich um den Körper eines drei- oder vierjährigen Mädchens, das niemand als vermisst gemeldet hat.

Alle Beamten der Grampian Police ermitteln intensiv in diesen Fällen von Mord und Entführung. Die Öffentlichkeit ist aufgestört, die Medien fachen den die Auflage stärkenden Volkszorn gezielt an. Auch die Politik wird aufmerksam und setzt Insch und seine Leute publicitywirksam unter Druck. McRae muss sich nicht nur um die unbekannte Kinderleiche kümmern. Man überträgt ihm auch einen Mordfall, dessen Opfer man ohne Kniescheiben aus dem Hafenbecken gezogen hat. Es handelt sich um einen engen ‚Mitarbeiter‘ des Gangsters Malcolm McLennan, genannt „Malk the Knife“, der aus Edinburgh in die Unterwelt von Aberdeen drängt. Es wird eng für die Polizei. Immer neue Verdächtige tauchen für alle Fälle auf. Nur langsam klärt sich das Durcheinander; es verschafft dem Kidnapper die Zeit, sich ein weiteres Kind zu schnappen …

Tartan Noir – etwas grobmaschiger

Breit ist der Schatten, den Ian Rankin als Krimiautor über Schottland wirft. Seit er den unvergleichlichen Inspektor John Rebus in ebenso tragische wie bizarre Fälle verwickelt, hat sich für diese nordenglische Variante des Thrillers sogar ein eigener Genrebegriff namens „Tartan Noir“ eingebürgert. Er beschreibt sehr gut ein bestimmtes literarisches Webmuster, das Rankin vorbildhaft vorexerzierte: Düstere Mordfälle geschehen in einer rauen (Stadt-) Landschaft, die von ebensolchen Bewohnern bevölkert wird. Die Stimmungs-Tonart ist (wie das Wetter) Moll, wobei die „skandinavische Tristesse“, die spätestens seit den Wallander-Romanen des Henning Mankell als Markenzeichen für den sozialkritischen europäischen Krimi der Gegenwart gilt, durch einen ruppigen, trockenen Humor angenehm gebrochen wird: Die Welt ist schlecht, aber das muss uns nicht auch noch den Leseabend verderben!

Nun tritt Stuart MacBride in Rankins Fußstapfen – die Parallelen sind unübersehbar. Sie werden vom Verfasser auch gar nicht geleugnet, sondern in einem hübschen In-Joke auf S. 421 angesprochen. „Die dunklen Wasser von Aberdeen“ liest sich wie ein Rebus-Roman, was zunächst einmal als Lob zu verstehen ist. Der Plot ist angenehm vertrackt und wird sauber entwickelt, die Ermittlungen sind spannend geschildert, die Schauplätze plastisch beschrieben, die Figuren wirken lebendig.

Und doch ist da zweierlei, das irritiert. Die Übereinstimmung zwischen Rankin und MacBride ist manchmal allzu auffällig; man spricht nicht nur dieselbe Sprache, sondern auch mit derselben Zunge, wobei Rankin ‚unverdächtig‘ dasteht – John Rebus ermittelt schon seit den 1990er Jahren. (Der deutsche Goldmann Verlag unterstreicht die ‚Verwandtschaft‘ übrigens durch eine Buchgestaltung, die sich eng an die der Rankin-Bestseller anlehnt; hier sollen Leser ‚umgeleitet‘ werden.)

Brachiale Taten, gebeutelte ‚Helden‘

Zweitens missvergnügt MacBrides Versuch, sich durch noch größere Originalität in der Schilderung perverser Gewaltverbrechen zu etablieren. Der Autor setzt hier auf ein Mehr an Blut, Verwesung und Pathologen-Gemetzel. Gleichzeitig nagt er wie ein politisch unkorrekter Biber am ohnehin morschen Stamm eines Tabus: Er lässt seinen Serienmörder auf kleine Kinder los, die er als Opfer unter getreuer Schilderung aller grässlichen Details quasi instrumentalisiert. Dies wäre nicht nötig; ein Irrer, der sich an Erwachsenen vergreift, hätte es genauso getan. MacBride setzt hier unverhohlen auf den unvergleichlichen Schrecken, den das Kapitalverbrechen am ‚unschuldigen‘ Kind auslöst; ein Trick, den man übel nimmt, weil es kalkuliert wirkt.

Ist Logan McRae ein bisher unbekannt gebliebener Bruder von John Rebus? Auch hier sind die Ähnlichkeiten frappant, nur dass das Geschick dem Kollegen aus Aberdeen deutlich heftiger mitgespielt hat – ein weiteres „Mehr“, aber nicht unbedingt „Besser“, das MacBride seinem Helden angedeihen lässt. McRae ist ganz genretypisch ein guter Polizist, was von den bornierten Vorgesetzten natürlich nicht zur Kenntnis genommen wird, dazu ein sperriger Charakter, von Natur aus sogar für einen Schotten ein wenig eigenbrötlerisch, und die Kollegen meiden ihn fast abergläubisch, seit ihn – jetzt dreht MacBride mächtig an der Schicksalsschraube – ein 15-facher Frauenmörder bei einem Kampf auf Leben & Tod mit dem Messer beinahe ausweidete. „Lazarus“ nennt man ihn nun im Revier, ist er doch dem Sensenmann nur knapp entronnen und muss für den Rest seines Lebens mit Narben und Schmerzen leben.

Privat sieht es auch nicht rosig aus. Natürlich – auch hier regiert das Klischee – hat ihn die Freundin verlassen, die ihm indes – Stoff für allerhand zukünftige Verwicklungen ist garantiert – als Arbeitskollegin verbunden bleibt. McRae bläst nach Feierabend ordentlich Trübsal, schaut zu tief in die Flasche, verstrickt sich ungeschickt in perspektivenlose Liebeshändel. Glücklicherweise ist Constable Watson, McRaes Partnerin, recht bodenständig. Sie erdet den manchmal allzu sehr von seiner Inspiration mitgerissenen McRae und vermittelt darüber hinaus dem Leser pflichtschuldig die übliche Palette chauvinistischer Ungerechtigkeiten, denen auch die Polizeibeamtin von Heute ausgesetzt ist.

Debüt als Petrischale

McRaes Vorgesetzter bleibt eine prägnante Nebenrolle als großer Exzentriker. Detective Inspector Insch ist ein poltriger Dickwanst, der pausenlos Gummibärchen, Lakritz und anderen Geleekram mampft. Selbstverständlich verbirgt sich hinter dieser Fassade nicht nur ein wacher Verstand, sondern auch ein mitfühlendes Herz, sodass McRae und Insch sich in jenen Ritualen ergehen können, die in einer wahren Männerfreundschaft sentimentale Sympathiebekundungen ersetzen.

MacBride besetzt viele Rollen seines Krimis geschickt mit überzeichneten Figuren. Hart an der Grenze zum Klischee agieren abgebrühte Polizisten, wüste Ganoven, dreiste Reporter. In der doch sehr düsteren Geschichte sorgen trockene Wortwitze für notwendige humoristische Momente, ohne dadurch den Plot zu unterminieren. In diesem Punkt kann MacBride Ian Rankin übrigens mühelos das Wasser reichen, so dass der Kreis sich schließt: Dieser „Tartan Noir“ kann empfohlen werden, auch wenn er direkt am Webstuhl neben dem Original entstanden ist.

Ein Blick in die Zukunft sei an dieser Stelle gestattet: Rasch emanzipierte sich der Autor von seinem Vorbild. Die Logan-McRae-Serie fand ihr Publikum und wird bis heute regelmäßig fortgesetzt. Dabei hat MacBride seinen eigenen Weg gefunden. Die Routinen des Polizeialltags wichen mehr und mehr dem alltäglichen Irrsinn. Immer abgedrehter wurden die Figuren. MacBride wich vom Konzept des zentralen Falls ab und ließ seine Romane immer episodischer ablaufen. Im Finale werden die Fäden zusammengefasst. McRae ist wesentlich umgänglicher geworden, und seine Verletzung findet kaum mehr Erwähnung. Obwohl Krimi-Puristen murren, kann diesen Romanen weder Spannung noch Unterhaltungswert abgesprochen werden: Logan McRae hat sich freigeschwommen, und wie es aussieht, wird er den Kopf noch eine ganze Weile über den Wasser von Aberdeen & Co. halten können!

Autor

Stuart MacBride wurde am 27. Februar 1969 im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.

Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website, die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.

Taschenbuch: 544 Seiten
Originaltitel: Cold Granite (London : HarperCollins UK 2005)
Deutsche Erstausgabe: Oktober 2006 (Wilhelm Goldmann Verlag/TB Nr. 46165)
Übersetzung: Andreas Jäger

eBook: 1310 KB
ISBN-13: 978-3-641-12238-6
http://www.randomhouse.de/goldmann

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Kent, Christobel – Ein Sommer in Ligurien

Rose Fell ist Anfang vierzig, als ihr Mann sie wegen einer jüngeren Frau verlässt. Während er seine neue Freundin heiratet, bricht für Rose eine Welt zusammen. Um wieder auf die Beine zu kommen, beschließt sie, ein radikal neues Leben zu beginnen. Sie verlässt England und kauft sich ein kleines Haus an der ligurischen Küste. In der Abgelegenheit eines ländlichen Dorfes richtet sie sich ihr neues Zuhause ein und geht ihrem Beruf als freie Journalistin nach. Doch die Eingewöhnung fällt nicht leicht. Für die überwiegend älteren Dorfbewohner bleibt sie eine Außenseiterin, eine Ausländerin mit fremder Kleidung und fremden Einstellungen. Ihre Tochter Jess lebt ein Studentenleben und meldet sich nur selten, die alten Freunde kommen sie nicht besuchen. Nur der wortkarge Gennaro, der im Dorf kaum weniger als Außenseiter gilt als sie, sucht ihren Kontakt. Rose droht zu vereinsamen, ehe sie per Zufall den reichen und attraktiven Engländer Richard Bourn kennenlernt.

Unweit von Rose lebt die einstige Leinwandschönheit Elvira Vitale, von den Bewohnern wegen ihrer früheren Ehe mit einem Grafen „Contessa“ genannt. Vor vielen Jahren war sie ein gefeierter Star, doch heute lebt sie zurückgezogen mit ihrem Mann Jack auf ihrem Anwesen. Während Elvira unter ihrem Alter leidet, vergnügt sich ihr Mann auf Partys mit jüngeren Frauen. Als Rose davon erfährt, dass Elvira in ihrer Nähe wohnt, hofft sie auf ein Interview mit der Diva. Ein Regisseur, den sie aus einer früheren Zusammenarbeit kennt, soll Elvira eine Empfehlung über Rose vermitteln.

Gerade als Rose sich einzuleben beginnt, erschüttert ein Mordfall das Dorf. Am Strand wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die erst erwürgt und dann aus einem fahrenden Zug geworfen wurde. Der ermittelnde Commissario Cirri erinnert sich an den Mord an einer Prostituierten im vergangenen Jahr, der bis heute nicht geklärt wurde. Besteht etwa ein Zusammenhang? Auch die Bevölkerung zeigt Unruhe, im Dorf wird viel geredet. Rose reagiert vorsichtig auf Richard Bourns Einladungen, obwohl sie sich zu dem interessanten Mann hingezogen fühlt. Elviras Haushälterin, die junge Ania, verschwindet in diesen Tagen und die Contessa erstattet eine Vermisstenanzeige. Nach und nach kreuzen sich die Wege der beiden Frauen Rose und Elvira, trotz ihrer unterschiedlichen Schicksale …

|Interessante Charaktere|

Das malerische Ambiente der italienischen Küstenstadt Levanto bildet den trügerisch-idyllischen Schauplatz für eine Mixtur aus Krimi und Frauenroman. Im Mittelpunkt steht die knapp vierzigjährige Rose, die misstrauisch beäugte Ausländerin, die sich fern von ihrer Heimat England ein neues Leben aufbaut. Die ganze Handlung über bleibt Rose eine sympathische Bezugsperson für den Leser.

Dafür ist vor allem die Ausgewogenheit ihres Charakters verantwortlich: Einerseits fühlt man mit der verlassenen Frau, die weder Familie noch Freunde in ihrer Umgebung hat und auch nach einem Jahr noch verletzt und deprimiert an ihre gescheiterte Ehe zurückdenkt. Andererseits aber präsentiert sie sich als Kämpfernatur, trotzt der Ablehnung, die ihr in Italien entgegenschlägt, und bemüht sich beharrlich darum, endlich den Touristinnen-Status unter den Einwohnern abzulegen.

Ihre Unsicherheiten sind glaubhaft geschildert; die Einsamkeit hat Rose sichtlich vorsichtig gemacht. Sowohl gegenüber dem charmanten Richard als auch gegenüber ihrem entfernten Nachbarn Gennaro wahrt sie Distanz, grübelt über deren Absichten nach, schwankt zwischen Freude über die Zuwendung und Zurückhaltung. Unsicherheit kennzeichnet auch den ehemaligen Filmstar Elvira Vitale, eine fast gebrochene Frau, deren Mann sie mit Tabletten ruhigstellt und sie gerne in der Öffentlichkeit blamiert. So verschieden Rose und Elvira auf den ersten Blick auch sind, ihre Empfindungen gleichen sich und man erwartet gespannt ihr erstes Zusammentreffen.

Ebenfalls gelungen und interessant sind die Nebencharaktere, die in den Leben der beiden Frauen eine Rolle spielen. Da ist der undurchschaubare Richard Bourn, den Rose von Beginn an anziehend findet und bei dem sie doch Vorsicht walten lässt. Eine erste Einladung schlägt sie aus, recherchiert lieber zunächst im Internet über den wohlhabenden Engländer, den eine dunkle Vergangenheit einzuhüllen scheint. Da ist der mysteriöse Gennaro, immer freundlich und zuvorkommend gegenüber Rose, aber gleichzeitig auf eine subtile Art zu aufdringlich in ihren Augen. Auch Commissario Cirri ist mehr als der formelle Ermittler, sondern eine mitfühlende Person mit menschlicher Wärme, der sich mit Gespür und scharfer Logik immer weiter an den Mörder herantastet.

|Psychogramm und Krimi|

Auch wenn schon recht bald am Anfang der Mord geschieht, steht vor allem in der ersten Hälfte weniger die Kriminalistik im Vordergrund. Stattdessen präsentiert sich dem Leser ein Psychogramm zweier Frauen, die, jede auf ihre eigene Weise, unter Vereinsamung leiden und ihrem Leben dringend eine neue Wendung geben müssen. Beiden Frauen wünscht man Erfolg bei ihren Bemühungen, sodass die Mördersuche phasenweise in den Hintergrund tritt. Ihre Schicksale sind ein zusätzlicher Interessenpunkt, auf eigene Art ebenso spannend wie die Frage nach dem Täter und geschickt miteinander verwoben.

Obwohl die Autorin im Vorwort erklärt, dass Roses Heimatdorf Grosso fiktiver Natur ist, entsteht beim Leser ein detailliertes Bild dieses beschaulichen Örtchens. Genau wie Rose empfindet man die beruhigende Idylle dieses Schauplatzes, parallel dazu aber auch die Fremdheit, die von der italienischen Mentalität ausgeht. Auf der einen Seite stehen gemütliche Wärme, wilde Natur, ungestörte Ruhe und ein enttechnologisiertes Leben, auf der anderen Seite lähmende Hitze, misstrauische Nachbarn, tuschelnde Dorfbewohner, ungewohnte Sitten und Einsamkeit. Noch nach einem Jahr tritt Rose in Fettnäpfchen, was die italienische Lebensart angeht, und alle Schönheit des Ortes täuscht nicht darüber hinweg, dass sich Rose ihr Paradies hier erst verdienen muss.

In dieser scheinbar friedfertigen Umgebung wirken die grausamen Morde besonders grotesk. Für die Einwohner kommt nur ein Durchreisender, ein Ausländer, als Täter in Frage, doch die Ermittlungen legen nahe, dass sich bereits seit langer Zeit ein Wolf im Schafspelz unter den Einheimischen aufhält und nicht zum ersten oder letzten Mal seinen Morden nachgegangen ist …

|Kleine Schwächen|

Gerade in der Mischung aus Frauenroman und Krimi liegen leider auch strukturelle Schwächen des Romans. Vor allem im ersten Drittel liegt der Spannungsfaktor noch sehr niedrig. Das hat seine Ursache zum einen in den zu ausführlichen Beschreibungen, die das Lesetempo deutlich verlangsamen. Bereits die ersten zwei Seiten bestehen fast ausschließlich aus Ortsschilderungen. Minutiös wird die Lage des Dorfes geschildert, anschaulich genug für einen Reiseprospekt, aber viel zu ausufernd für einen Roman, der möglichst von Beginn an fesseln sollte.

Auch im weiteren Verlauf wird immer wieder in dieser Ausführlichkeit auf Nebensächlichkeiten eingegangen, die zwar den poetischen Leser angenehm einlullen mögen, gerade die Krimihandlung jedoch zum Stagnieren bringen.

Zum anderen übertreibt es die Autorin mit Szenenwechseln und einer Fülle von Handlungssträngen. Die Geschichte spielt hauptsächlich bei Rose und an zweiter Stelle bei Elvira, doch auch zum Familienleben des Commissario und zum Schicksal der entführten Ania wird immer wieder übergeblendet. Bei zahlreichen neuen Absätzen ist nicht sofort klar ersichtlich, an welchem Schauplatz die Handlung gerade stattfindet, sodass man sich erst ein paar Sätze lang einlesen muss, ehe die Situation geklärt wird.

Lobenswerterweise laufen alle Handlungsfäden am Schluss zusammen, ohne wichtige offene Fragen zu hinterlassen, doch bis dahin erfordern die vielen Schicksale, die zunächst gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, eine gewisse Konzentration.

_Unterm Strich_ bleibt ein lesenswerter Krimi, der gleichzeitig auch die Schicksale zweier Frauen behandelt. Interessante Charaktere lassen den Leser von Beginn an mitfühlen, die Spannung stellt sich jedoch erst im späteren Verlauf ein. Trotz einer leicht überbordenden Fülle an Handlungssträngen und Szenenwechseln ein lesenswerter Roman, der vor allem Frauen anspricht.

_Die Autorin_ Christobel Kent wurde 1962 in London geboren, wohnte zeitweise in Florenz und lebt heute mit ihrer Familie in Cambridge. 2003 erschien ihr Debütroman „A Party In San Niccolo“.

Connelly, Michael – Vergessene Stimmen

Nach drei Jahren Pension nimmt Hieronymus „Harry“ Bosch wieder den Dienst für das Los Angeles Police Department auf. Nachdem sich seine ehemalige Partnerin Kizmin Rider eindringlich für ihn eingesetzt hatte, holte ihn der neue Polizeichef zurück. Bosch und Rider arbeiten nunmehr für „Offen-Ungelöst“, eine Unterabteilung der Mordkommission, die sich mit ungelösten Kapitalverbrechen der Vergangenheit beschäftigt. 8000 Mordfälle blieben seit 1960 im Großraum Los Angeles ungesühnt – eine Zahl, die Bosch tatendurstig zu senken gedenkt.

Sein erster Fall scheint einfach: 1988 wurde die 16-jährige Rebecca Lost erschossen in der Nähe ihres Elternhauses gefunden. Die Tatwaffe lag neben der Leiche; der Hahn hatte ein Stückchen Menschenhaut abgerissen, die möglicherweise dem Mörder gehörte, was mit den zeitgenössischen Untersuchungsmethoden indes nicht hatte geklärt werden können. Seither hat die Kriminalistik vor allem im Bereich der Identifikation per DNS gewaltige Fortschritte gemacht. Die konservierte Probe wurde neu untersucht, die Ergebnisse durch neue Datenbänke gejagt. Ein Name wurde ausgespuckt: Der Hautfetzen gehört Roland Mackey, einem kleinkriminellen Drogenabhängigen mit reicher Knasterfahrung, die indes Gewalt bisher nicht einschloss.

Bosch hat kein gutes Gefühl; nach seiner Erfahrung passt Mackey nicht ins Täterprofil. Stattdessen lässt die Ermittlung einen monströsen Fall von „High Jingo“ zu Tage treten: eine Verschwörung krimineller Polizisten in hohen Rängen, unter denen sich ausgerechnet Chief Deputy Iverson, Boschs alter Intimfeind, befindet. Als der längst begraben geglaubte Lost-Fall in gesamter Breite aufgerollt wird, reagiert man ‚oben‘ erst nervös und beginnt dann, die ganze Macht des Departments gegen Bosch aufzuwenden …

Wird ein Mordfall nicht binnen möglichst weniger Tage gelöst, beginnen die Spuren sich abzukühlen, die Ermittlungen geraten in Gefahr abzuirren und müssen schlimmstenfalls eingestellt werden: Der Fall ist „kalt“ geworden, die Beweismittel verschwinden in einer großen Kiste und verstauben in einem Lager, wo in Sachen Gerechtigkeit die Zeit buchstäblich stehen bleibt. Die Polizei hasst diese Fälle, denn nehmen sie an Zahl allzu stark zu, erregen sie die Aufmerksamkeit nicht unbedingt wohlmeinender Kritiker.

In seinem neuen Fall öffnet nun ausgerechnet Harry Bosch eine dieser „kalten“ Zeitkapseln. Wie sich herausstellt, ist dieser Temperaturangabe keineswegs zu trauen: Ein Mord beendet zwar das Leben eines Menschen, doch sind da die Familie, Freunde, Kollegen. In Fällen gewaltsamen Todes konservieren die Hinterbliebenen Empfindungen wie Entsetzen, Trauer und Zorn perfekt unter einer dünnen Schicht seelischer Asche. „Vergessene Stimmen“ schildert nicht nur die Geschichte einer kriminalistischen Ermittlung, sondern thematisiert auch die Folgen einer Tragödie, die eben nicht vergessen wird: Die Toten sprechen mit den Stimmen derjenigen, die sie zurücklassen.

Zuverlässig verschmilzt Michael Connelly die beiden Komponenten zu einem rasanten Thriller mit Tiefgang. Nachdem der Autor zuletzt mit seinem Helden experimentierte, indem er u. a. die Erzählperspektive wechselte (s. u.), kehrt er zur bewährten Form zurück. „High Jingo“ heißt ein Großkapitel des vorliegenden Romans. Dies ist Polizeijargon für ein Komplott in der Führungsspitze: Hochrangige Beamte missbrauchen ihre beträchtlichen Kompetenzen, um eigene Verbrechen oder kriminelle Taten politischer Verbündeter zu decken.

Ermittlungen in diese Richtung sind für einen Detective wie Bosch, der recht weit unten in der Hierarchie steht, verständlicherweise eine brandgefährliche Sache. Korrupte Polizisten müssen besonders harte Strafe gewärtigen, was sie antreibt, bis zum Äußersten zu gehen, wenn sie aufzufliegen drohen. Verfügen sie gleichzeitig über entsprechende Macht, brechen für den Ermittler harte Zeiten an. Harry Bosch ist notgedrungen ein „High Jingo“-Experte. Schon mehrfach hat er sich den Zorn krimineller Vorgesetzter zugezogen, waren Karriere und sogar Leben in Gefahr. „High Jingo“ war mit ein Grund für Boschs Kündigung.

In gewisser Hinsicht wiederholt sich die Geschichte also. Trifft dies auch auf Connellys Bosch-Serie zu, die immerhin in die elfte Runde geht? Glücklicherweise nein, denn die Zeit ist nicht stehen geblieben. Der Kunstgriff, Bosch für einige Jahre aus dem Polizeidienst zu nehmen, gestattet die Konfrontation des Helden mit einem System, das sich entwickelt hat. Das „neue“ LAPD muss Harry Bosch – zusammen mit dem Leser – erst kennen lernen; geschickt baut Connelly einige Szenen in die Handlung ein, die den Detective merken lassen, dass er Rost angesetzt hat.

Dennoch ist Harry Bosch definitiv zurück – nicht nur als zentrale Figur einer der besten Serien des modernen angelsächsischen Kriminalromans, sondern vor allem als Cop mit Dienstmarke und –waffe. Drei Jahre bzw. zwei Romanlängen war Bosch „draußen“; zermürbt von polizeiinternen Querelen und ausgebrannt von zu viel hautnah miterlebter alltäglicher Gewalt. Doch rasch wurde ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Zwar ging er als Privatdetektiv weiterhin auf Mörderfang, aber er vermisste die Vorrechte und Möglichkeiten, die ihm der Polizeidienst sicherte. Ohne blieb er eingeschränkt und angreifbar – ein zahnloser Tiger, dem mehr als genug Zeit blieb, sich seinem komplizierten Privatleben zu widmen.

Der Harry Bosch dieser Phase berichtete in der „Ich“-Form über seine Erlebnisse. So erhielten die Leser auch einen tieferen Einblick in das Seelenleben dieser Figur, was ihr nicht zwangsläufig gut bekam, weil darüber verloren ging, was die eigentliche Attraktivität der Harry-Bosch-Reihe ausmacht: die Verzahnung zwischen Polizeiarbeit und aktuellem Tagesgeschehen, wobei ein Mordfall als roter Faden dient, der tief in gesellschaftlichen und menschlichen Abgründen ausläuft.

Auch in der Welt des Hieronymus Bosch heilt die Zeit manche Wunde. Ein neuer Besen kehrt im LAPD, und für Bosch, den Ermittler mit eindrucksvoller Erfolgsquote, gibt es eine ideale Aufgabe – er versucht sich an Fällen, die nie geklärt werden konnten; ein angenehmer Nebeneffekt, so denkt der Polizeichef, ist die Tatsache, dass Bosch bei diesen Ermittlungen niemandem auf die Füße treten kann.

Womit er sich natürlich getäuscht hat, was er nach seinem einleitenden Vortrag selbst hätte wissen müssen, hat er doch selbst betont, dass die Stimmen der Toten nicht überhört werden können. Bosch nimmt ihn beim Wort, gräbt gewohnt tief – und fördert zu Tage, was mancher Zeitgenosse buchstäblich begraben glaubte und gern weiterhin begraben sähe. So beginnt der alte „High Jingo“-Tanz erneut, den Bosch mindestens ebenso liebt wie die Polizeiarbeit: der Kampf mit dem Apparat bzw. mit denen, die das System korrumpieren und unterminieren.

Die Randfiguren erleben neuerlich einen Wechsel. Bosch-Kumpel Edgar, der sich ihm in den Jahren als Privatdetektiv eng angeschlossen hatte, rückt in den Hintergrund. Kiz Rider, die weiblich, schwarz und lesbisch und auf diese Weise gleich dreifach diskriminierenden Attacken ausgesetzt ist, steht Bosch dagegen wieder zur Seite (soweit dies möglich ist; Bosch wird nie wirklich ein Teamspieler sein). Dieser Aspekt ist deshalb von Bedeutung, weil es in „Vergessene Stimmen“ auch um das hässliche Thema Rassismus geht. Bosch gerät tief in den Sumpf faschistoider „Kämpfer für ein weißes Amerika“, die in ihrer bornierten Bösartigkeit vor keinem feigen Anschlag auf alle, die nicht „arisch“ sind wie sie, zurückschrecken.

Viel Arbeit also für Harry Bosch. Nur halbwegs spöttisch nennt er sich einen „Missionar“ und „Kreuzritter“. In gewisser Weise ist er das wirklich. Dass er in dieser Rolle nicht lächerlich wirkt, verdankt er seiner Aufrichtigkeit, die verknüpft ist mit persönlichen Schwächen. Nach vielen Jahren ist in Bosch immer noch der Soldat, der voller Angst aber entschlossen in den Erdhöhlen des Vietcong um sein Leben kämpfte. Er wird es hoffentlich noch weitere Jahre bleiben.

Michael Connelly wurde 1956 in Philadelphia geboren. Der „Entdeckung“ der Bücher von Raymond Chandler verdankte der Journalismus-Student der University of Florida den Entschluss, sich selbst als Schriftsteller zu versuchen. Zunächst arbeitete Connelly nach seinem Abschluss 1980 für diverse Zeitungen in Florida. Er profilierte sich als Polizeireporter. Seine Arbeit gefiel und fiel auf. (2006 erschien eine Auswahl in Buchform unter dem Titel „Crime Beat. A Decade of Covering Cops and Killers“ – ein Werk, das übersetzt hoffentlich ebenfalls seinen Weg nach Deutschland findet.) Nach einigen Jahren heuerte die |Los Angeles Times|, eines der größten Blätter des Landes, Connelly an.

Nach drei Jahren in Los Angeles verfasste Connelly „The Black Echo“ (dt. [„Schwarzes Echo“), 958 den ersten Harry-Bosch-Roman, der teilweise auf Fakten beruht. Der Neuling gewann den „Edgar Award“ der „Mystery Writers of America“ und hatte es geschafft.

Michael Connelly arbeitet auch für das Fernsehen, hier u. a. als Mitschöpfer, Drehbuchautor und Berater der kurzlebigen Cybercrime-Serie „Level 9“ (2000). Mit seiner Familie lebt der Schriftsteller in Florida. Über das Connellyversum informiert stets aktuell die Website http://www.michaelconnelly.com.

Kuhn, Krystyna – Fische können schweigen

Was haben Fische und Tote gemeinsam? Sie können nicht reden. Und wer das nicht glaubt, der sollte Berit fragen, die Heldin aus Krystyna Kuhns Debüt „Fische können schweigen“.

Berit ist eine junge Illustratorin, die in Frankfurt wohnt und ihre Zeit momentan damit verbringt, ein dickes Fischlexikon mit Bildern zu versehen. Ein wenig Ablenkung von Fischmäulern und glitzernden Schuppen bietet eine Nobelparty bei ihrer Freundin Marlene. Deren Mann ist Leiter des Instituts für Biotechnologie Rhein-Main und dementsprechend sieht die Gesellschaft auf der Feier aus. Berits einziger verbündeter ist Ron, der so gar nicht wie ein Polizeikommissar wirkt, aber tatsächlich einer ist. Schwarze Haare, grüne Augen und ein Körper wie ein Gott – zu gerne lässt sie sich nach der Feier von ihm nach Hause chauffieren.

Doch auf halbem Wege bekommt Ron die Nachricht, dass am Mainufer eine Leiche gefunden wurde, und sie fahren dort vorbei. Berit kennt den Toten nicht, aber dieses Erlebnis lässt sie nicht los. Um ihren Frieden zu finden, fertigt sie eine Zeichnung des Toten an. Ron ist begeistert von ihrem Talent und benutzt das Bild, um es potenziellen Zeugen zu zeigen. Dadurch wird Berit in die Lösung des Mordfalls praktisch involviert. Zuerst hält sie es für eine nette Abwechslung (mit netten Nebenwirkungen namens Ron), doch als Ewa, Marlenes Hausmädchen, mit dem Berit sich angefreundet hat, ermordet in einem Hotelzimmer gefunden wird, wird aus Spaß Ernst. Ewa hat Berit vor ihrem Tod noch ein paar rätselhafte Bilder anvertraut, und auch wenn Ron anderer Meinung ist, aber Berit glaubt, dass diese Bilder der Schlüssel zum Täter sind …

Kuhns erster Kriminalroman, dem mittlerweile weitere gefolgt sind, ist eine echte Überraschung. Die Protagonistin hat Tiefgang und ist sehr interessant. Man trifft schließlich nicht alle Tage jemanden, der ein Fischlexikon illustriert. Berit ist frech, neugierig und hat einen Hang, ihre Bilder zu spät abzugeben. Das alles macht sie sehr sympathisch, genau wie ihre Schwäche für Ron, der dafür, dass er Nebencharakter ist, auch sehr schön ausgearbeitet wurde.

Die Ich-Perspektive sorgt dafür, dass Berits Persönlichkeit dem Leser so nahe gebracht wird, dass man sie bereits vermisst, wenn man die letzte Seite gelesen hat. Dass ein Charakter so beeindruckt, ist selten und sollte der Autorin hoch angerechnet werden.

Zu diesem Phänomen trägt sicherlich der kesse Schreibstil bei, der stellenweise etwas an die einschlägige Frauenlektüre à la von Kürthy erinnert. Allerdings bringt Kuhn einen so schwarzen Humor ins Spiel, dass dieser Eindruck schnell verfliegt. Sicher und mit vielen Metaphern, von denen allerdings leider nicht alle gelungen sind, schreibt die Autorin, auch wenn sie sich an der einen oder anderen Stelle etwas zu sehr mit unnötigen Einzelheiten aufhält, wie der Art und Weise, wie Berit ihre Zeitung liest.

Die Handlung weiß trotz der Dichte an Ereignissen und Spannung nicht ganz zu überzeugen. Gerade am Ende fährt sie doch etwas zu sehr in den Gewässern des Banalokrimis. Berit findet heraus, wer der Täter ist, und als sie nach Hause kommt, steht er in ihrem Zimmer, natürlich bewaffnet, und sie muss ihn so gut wie möglich ohnmächtig schlagen. So einen Abschluss hätte das Buch wirklich nicht nötig gehabt. Wie wäre es stattdessen mit einer kleinen Verfolgungsjagd durch Frankfurt gewesen? Ich bin mir sicher, dass sie sehr spektakulär geworden wäre, denn Kuhn lässt eine Menge Lokalkolorit in die Geschichte einfließen, was dem Buch einen authentischen Sockel verpasst.

Krystyna Kuhns Debüt macht Hunger auf mehr. Eine hochsympathische Protagonistin, frech und mit einer guten Portion Humor ausgestattet, trifft auf eine Kriminalhandlung, die spannend, gegen Ende aber ein wenig unglaubwürdig ist. Gewürzt mit dem Flavour Frankfurts entwickelt „Fische können schweigen“ einen Charme, dem man sich trotz der kleinen Schönheitsfehler nicht entziehen kann.

Vargas, Fred – schöne Diva von Saint-Jacques, Die

Was ist eigentlich so besonders an Fred Vargas? |Le Monde| sagt, es ist die „Magie Vargas“, aber vielleicht sollten wir mit einer viel banaleren Sache anfangen, denn Fred ist weiblich, auch wenn der Name es nicht vermuten lässt, und zudem eine der wohl interessantesten Krimiautorinnen aus Frankreich.

Grund dafür sind ihre Bücher, die nicht in staubigen Polizeibüros spielen, sondern im normalen Leben mit normalen Protagonisten, die die Autorin von der Straße weggefangen zu haben scheint.

In „Die schöne Diva von Saint-Jacques“ sind ihr drei Historiker ins Netz gegangen, die zusammen mit dem pensionierten Polizisten Vandoosler, dem Onkel des Mittelalterspezialisten Marc, in einem heruntergekommenen Haus in Saint-Jacques wohnen. Dort verbringen sie ihre Zeit mit Renovierarbeiten und den Streitereien, die nun mal entstehen, wenn Mittelalter, Vorgeschichte und Erster Weltkrieg aufeinander treffen und jeder seine Epoche für die einzig wahre hält.

Eines Tages geschehen im Garten ihrer Nachbarin, der schönen Sophia, einst eine gefeierte Opernsängerin, komische Dinge. Plötzlich steht dort ein Baum und niemand will ihn gepflanzt haben. Sophia ist beunruhigt und bittet die drei Evangelisten, wie Vandoosler die drei Historiker wegen ihrer Namen (Marc, Lucienne, Matthias) nennt, darunter zu graben. Sie finden nichts, doch wenig später ist Sophia verschwunden. Es sieht ganz danach aus, dass sie ermordet wurde. Die Wohngemeinschaft beginnt, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, und stößt dabei auf Ereignisse in Sophias Vergangenheit, die bis heute nicht an Bedeutung verloren haben …

Zu Vargas‘ größten Stärken gehört die Entwicklung skurriler Charaktere. In diesem Fall ist das die historische WG. Die Wissenschaftler sind so von ihren Fachgebieten durchdrungen, dass sie einen ständigen Krieg führen und sich beleidigen, was geradezu köstlich ist. Der Weltkriegsexperte Lucienne spricht zum Beispiel zumeist in Weltkriegsmetaphern, von Schützengräben und feindlichen Fronten, was wunderbar amüsant ist.

Der nachdenkliche Vandoosler, der ein wenig die Rolle des im Hintergrund agierenden Charlies übernimmt, tut das Seinige, indem er die drei als Evangelisten Markus, Lukas und Matthäus bezeichnet, was diesen nicht unbedingt schmeckt. Das zwischenmenschliche Geflecht in dem Roman ist folglich dicht und von kleinen, entzückenden Streitereien umsponnen.

|“Hör auf zu schreien, heiliger Markus, das ist schlecht für die Heiligsprechung, und unterbrich mich nicht ständig.“| (Seite 133)

Dank des bissigen Humors, der das ganze Buch durchwebt, sind die Dialoge entsprechend knackig und schlagfertig. Der Schreibstil ist ebenfalls immer für eine humorvolle Überraschung gut und unterhält den Leser brillant. Vargas verzichtet dabei auf Abschweifungen, sondern bringt alles auf den Punkt – im Hintergrund immer präsent: der trockene Humor, der nicht nur dem Buch, sondern auch den Charakteren sehr viel Tiefe verleiht, ohne kindisch zu werden.

Die Handlung ist geprägt von einem krimiuntypischen Vorgehen. Es ist nicht das übliche Schema mit Leiche, Ermittlungen, Ermittlungen stecken geblieben, neue Leiche, falsche Person verdächtigt, im richtigen Moment unschuldige Person vor richtigem Täter gerettet. Vielmehr gibt es gar keine richtige Kriminalhandlung. Die Evangelisten beobachten, Marc sitzt, von seinem Onkel beauftragt, am Fenster und notiert, wer vorbeiläuft, und manchmal setzen sie sich in die Küche, Lucienne schneidet Brot (zur Entspannung) und sie tragen ihre Gedanken zusammen. Gegen Ende kommt dann immer mehr Bewegung ins Spiel, was in der temporeichen Auflösung des Falls liegt, die gut ins Gesamtkonzept des schrulligen Buches passt, aber alleine betrachtet schon ein wenig unlogisch ist.

Doch dieser Makel kann diesem Buch, dem das Attribut „köstlich“ perfekt steht, nicht schaden. Wie auch? Die Charaktere sind fantastisch, der Humor ist fast noch fantastischer und der Schreibstil hält alles zusammen. Spannend? Ja, auch, aber vor allem sehr amüsant zu lesen. Vor allem das …

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