Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Stieg Larsson – Verblendung (Millennium 1)

Wenn man den Pressestimmen im Klappentext Glauben schenkt, dann dürfte „Verblendung“ von Stieg Larsson eine der vielversprechendsten Thriller-Veröffentlichungen des Jahres sein. Der kritische Leser mag da gleich entgegenhalten, dass ebendiese Pressestimmen allesamt von schwedischen Zeitungen mit unaussprechlichen und nach Ikea-Katalog klingenden Namen kommen, doch für den |Heyne|-Verlag war dies kein Hindernis, „Verblendung“ schon mal im Vorfeld als Thrillerveröffentlichung des Jahres zu lobpreisen. Ob das alles nur leere Versprechungen sind oder in dieser Lobhudelei wirklich ein Fünkchen Wahrheit steckt, soll der folgende Text klären.

Ganz beschaulich fängt der Roman an, als der Journalist Mikael Blomkvist den Auftrag erhält, eine Familienchronik im Auftrag des Patriarchen Henrik Vanger zu schreiben. Die Vangers stehen einem der größten schwedischen Konzerne vor, einem komplexen Familienimperium, das tief in der schwedischen Geschichte verwurzelt ist.

Für Mikael kommt dieser Auftrag gerade zur rechten Zeit, gibt er ihm doch die Möglichkeit, nach seiner Verurteilung wegen übler Nachrede aus dem Rampenlicht der Stockholmer Pressewelt abzutauchen. Mikael hatte in einem Artikel für sein Magazin „Millennium“ über zwielichtige Geschäfte des Großindustriellen Hans-Erik Wennerström berichtet, aber in der darauf folgenden Gerichtverhandlung den Kürzeren gezogen.

So richtet Mikael sich also auf der beschaulichen Insel Hedeby ein, um an Vangers Familienchronik zu schreiben. Was nur Henrik Vanger und er selbst wissen, ist, dass dies nur ein Scheinauftrag ist. In Wirklichkeit soll Mikael herausfinden, was aus Vangers vor vierzig Jahren verschwundenen Großnichte geworden ist. Harriet Vanger war in Henrik Vangers Augen eine wichtige Hoffnung für die Zukunft des Vangerschen Konzerns. Doch Harriet verschwand während einer Familienzusammenkunft auf der Insel unter mysteriösen Umständen. Seitdem hat sie niemand mehr gesehen. Henrik Vanger vermutet einen Mord.

Als Mikael nach einigen Wochen der Ermittlungen wider Erwarten eine erste Spur entdeckt, wird ihm die junge Ermittlerin Lisbeth Salander zur Seite gestellt. Lisbeth, die mit sehr eigenwilligen Methoden arbeitet und sich nie in die Karten gucken lässt, stellt sich als überaus pfiffige und kompetente Assistentin heraus. Gemeinsam kommen die beiden auf die Spur eines alten Familiengeheimnisses und bringen sich durch ihr Wissen schließlich selbst in Gefahr. Wie schwer die Wahrheit wirklich wiegt, die die beiden zutage fördern werden, ahnen sie dabei selbst noch nicht, aber sie werden sich wünschen, dieses grausige Geheimnis niemals aufgestöbert zu haben …

Der Handlungsabriss von „Verblendung“ verspricht schon außerordentlich spannende Lektüre. Obwohl Larsson den Handlungsbogen ganz gemächlich spannt, zieht er den Leser gleich tief in die Geschichte hinein. Er erzählt auf eine schlichte und lockere Art, schafft es aber, den Leser von Anfang an mitzureißen. „Verblendung“ ist ein Buch, das den Anschein erweckt, als würde es sich quasi von selbst lesen. Leichtfüßig huscht man mit den Augen über die Seiten und zieht dabei unmerklich mit der Zeit das Lesetempo an – bis man irgendwann an den Punkt kommt, dass man „Verblendung“ nicht mehr gerne aus der Hand legen mag.

Dabei ist es nicht einmal die Spannung, die den Leser von der ersten Seite gefangen nimmt. Vielmehr sind es die Figuren, mit denen man mitfiebert. Larsson widmet sich erst einmal in aller Ruhe dem Leben seiner beiden Protagonisten Mikael und Lisbeth. In aller Ruhe erzählt er ihre Vorgeschichte (die in beiden Fällen durchaus interessant ist) und sorgt damit für eine vergleichsweise enge Bindung zwischen Leser und Figuren. Larsson geht es ganz offensichtlich nicht einfach nur darum, oberflächliche Spannung zu erzeugen und den Leser in einem atemlosen Plot mitzureißen, er legt seine Geschichte auf etwas mehr Tiefe an.

Mikael und Lisbeth sind zwei Figuren, die für sich genommen schon reichlich unterhaltsam sind. Beide haben ihre ganz ureigenen Macken. Bei Mikael ist es ein permanentes, offenes Dreiecksverhältnis, das er nun schon seit Jahren mit Freundin und Chefredakteurin Erika pflegt. Bei Lisbeth ist es ihre mangelnde soziale Kompetenz. Lisbeth ist aktenkundig und wird betreut, ist in ihrem Job als Ermittlerin für eine Security-Firma aber unübertroffen. Mikael und Lisbeth sind in ihrer ganzen Art und Weise ein interessanter Gegensatz, und auch dieser ist es, der auf den Leser einen Reiz ausübt und ihn bei der Stange hält.

Mit dem Thrillerplot lässt sich Larsson dagegen Zeit, aber das kann er sich durchaus leisten, denn auch so bleibt die Geschichte stets interessant. Mikaels Arbeit gleicht der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Immer wieder geht er Akten und Polizeiberichte durch, die vor ihm schon andere zigmal durchgekaut haben. Natürlich ist dem Leser klar, dass Mikael irgendwann etwas finden wird, aber dadurch, dass Larsson diesen Moment hinauszögert, steigert er die Spannung.

Als Mikael dann die erste Spur entdeckt, beginnt Larsson kontinuierlich an der Spannungsschraube zu drehen. Mit viel Liebe zum Detail schildert er Mikaels mühselige Vorgehensweise zur Rekonstruktion der Geschehnisse von vor vierzig Jahren. Als dann die ersten Drohungen gegen das Ermittlerduo von unbekannter Adresse kommen, steigt die Spannung zu ihrem Höhepunkt an. Larsson enthüllt eine grausige Familiengeschichte, und das Wissen darum ist für beide Protagonisten gleichermaßen belastend.

Der Spannungshöhepunkt ist dann schon weit vor Ende des Buches erreicht. Schon 150 Seiten vor dem Ende des Romans ist der Fall geklärt – größtenteils schlüssig aufgelöst und bis auf in kleineren Details durchaus glaubwürdig. Doch auch nach diesem vermeintlichen Ende gibt es noch einiges Spannendes zu lesen. Auch wenn der Fall abgeschlossen ist, so gibt es für die Protagonisten doch noch Vieles zu tun. Auch hier steigt die Spannung zum Ende hin dann noch einmal gewaltig an und endet mit einem Tusch, der die Romankomposition wunderbar abrundet.

Vom Aufbau her kann man „Verblendung“ durchaus als sehr gelungene Spannungslektüre sehen. Der Plot ist dicht und fein gewoben, der Leser fiebert mit den Figuren mit und der Erzählstil ist so eingängig und leichtfüßig, dass man bei der Lektüre gerne mal die Zeit vergisst. Man bekommt einen Einblick in den Journalistenalltag und blickt den Figuren bei all ihren Aktivitäten stets über die Schulter. Man ist nah am Geschehen, schmunzelt und leidet mit den Protagonisten, die sehr bildhaft und trotz ihrer merkwürdigen Eigenarten lebensnah erscheinen.

„Verblendung“ ist der Auftakt zu Larssons „Millennium-Trilogie“. In Schweden hat sich der Roman so ordentlich verkauft, dass die Verfilmung offenbar bereits in Arbeit ist. Die Filmrechte hat sich übrigens die gleiche Produktionsfirma gesichert, die auch schon Mankells Wallander-Krimis verfilmt hat. Larsson ist mit „Verblendung“ für den „Gläsernen Schlüssel“, den schwedischen Krimipreis, nominiert worden. Larsson selbst war seines Zeichens Journalist und Herausgeber des schwedischen Magazins „EXPO“ – also selbst ein kleiner Mikael Blomkvist. Vielleicht wirkt auch deswegen das Leben von Blomkvist so authentisch. Larsson starb leider schon 2004 fünfzigjährig an den Folgen eines Herzinfarkts.

Kurzum: Mit „Verblendung“ ist Stieg Larsson ein überaus spannend erzählter Roman geglückt. Ob das Ganze nun wirklich die Thriller-Veröffentlichung des Jahres ist, werden wir wohl erst am Jahresende wissen. Dennoch kann man „Verblendung“ getrost weiterempfehlen. Man fiebert mit den Figuren mit, schließt sie in sein Herz und mag sie am Ende des Romans gar nicht mehr verlassen. Der Spannungsbogen strebt kontinuierlich aufwärts und trotzdem besitzt Larsson die Professionalität, seinen Roman gewissermaßen ruhig angehen zu lassen. Freunden spannender Lektüre absolut zu empfehlen, denn mit diesem Buch vergisst man die Zeit.

Kalla, Daniel – Pandemie

_Ein neues Virus_

Dr. Noah Haldane ist Spezialist für Infektionskrankheiten und neue Krankheitserreger. Als Mitarbeiter eines Expertenteams der Weltgesundheitsorganisation (WHO) folgt er einem Hilferuf der chinesischen Regierung und versucht die Ausbreitung einer neuen und sehr gefährlichen Grippevariante, die in der abgelegenen Provinz Gansu im Norden Chinas aufgetreten ist, zu verhindern. Die Erkrankung erhält das Akronym ARCS (Acute Respiratory Collapse Syndrome) da ein Viertel der Infizierten an einem Zusammenbruch der Atemfunktionen verstirbt.

Das Virus weckt bei Dr. Haldane Erinnerungen an die letzte große Grippepandemie von 1918, bei der mehr als 30 Millionen Menschen starben. Genau wie damals erkranken auch viele junge Erwachsene, während sich bei einer „normalen“ Grippe vor allem Immunschwache, besonders Alte und Kleinkinder infizieren. Dabei scheint jedoch dieses neue Virus, obwohl es zum Glück nicht ganz so ansteckend ist, um vieles tödlicher zu sein als das Virus vom Typ H1N1, welches damals als „Spanische Grippe“ grassierte. Durch sofortige Quarantänemaßnahmen und Massenschlachtungen von Hühnern und Schweinen in der gesamten Provinz gelingt es schließlich, eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die Gefahr einer Pandemie der „Gansu-Grippe“ scheint gebannt.

_In der Hand von Terroristen_

Doch während das Expertenteam um Dr. Haldane aufatmet, wird der Erreger der „Gansu-Grippe“ schon eifrig in einem geheimen Forschungslabor im Norden Somalias in Hühnereiern kultiviert. Noch vor der Ankunft der WHO-Experten in China gelang es zwei Malaien durch Bestechung des Stellvertretenden Klinikdirektors Ping Wu, zu einem der Infizierten vorzudringen und dessen virushaltige Körpersekrete aus China herauszuschmuggeln.

Der Drahtzieher hinter diesem „Diebstahl“ ist der einflussreiche ägyptische Zeitungsmagnat Hazzir Al Kabaal. Obwohl Kabaal in Europa studiert hat und durch sein ganzes Auftreten eine pro-westliche Haltung signalisiert, gehört er insgeheim einer radikalen muslimischen Vereinigung an. Durch den Angriff der westlichen Mächte auf den Irak verbittert und zu seinen islamischen Wurzeln zurückgekehrt, benutzt er schon seit längerem seine Zeitungen und sein Geld, um für den Islam einzutreten und heimlich verschiedene terroristische Bewegungen zu unterstützen.

Angestachelt durch die Reden von Scheich Hassan, des Vorstehers der Al-Futuh-Moschee in Kairo, sieht Kabaal seine Aufgabe darin, die amerikanischen Besatzungsmächte von islamischem Boden zu vertreiben. Dazu kommt ihm das Gansu-Virus gerade recht.

_Ein infernalischer Plan_

Während der Mikrobiologe Dr. Anwar Aziz mit dem Gansu-Virus an Schweinen, Affen und Menschen herumexperimentiert, um eine stärkere Ansteckungsrate zu erreichen, entsendet Kabaal infizierte Selbstmordattentäterinnen nach London, Hongkong und Vancouver, um dort an speziell ausgewählten öffentlichen Orten besonders viele Menschen zu infizieren. Den WHO-Experten wird schnell klar, dass die in diesen Städten auftretenden Grippe-Epidemien keine natürliche Ursache haben können.

Ihre Vermutung wird zur schrecklichen Wahrheit, als Kabaal über den Fernsehsender Al Dschasira im Namen der Bruderschaft der einen Nation ein Ultimatum an die westlichen Staaten sendet. Nur bei einem sofortigen Rückzug aller Koalitionstruppen von islamischem Boden würde die Bruderschaft von der Entsendung einer ganzen Armee von infizierten Selbstmordattentätern absehen. Damit beginnt für Noah Haldane und Gwen Savard, die Direktorin für Bioterrorismus Abwehr, ein Wettlauf gegen die Zeit. Fieberhaft beginnen die beiden mit Hilfe der CIA nach den Drahtziehern zu forschen.

_H5N1 lässt grüßen_

Passend zur derzeitigen Hysterie um eine mögliche Pandemie mit einem von Mensch zu Mensch übertragbaren Vogelgrippevirus vom Typ H5N1, wurde die Veröffentlichung von David Kallas Erstling „Pandemie“ vom April 2006 auf Dezember 2005 vorgezogen.

Es ist zurzeit wohl eine der größten Befürchtungen, dass das Vogelgrippevirus H5N1 im Schmelztiegel Asiens, wo Hühner, Schweine und Menschen auf engstem Raume zusammenleben, den Speziessprung zum humanen Grippevirus schafft. Kalla startet mit diesem äußerst beängstigenden, aber durchaus realistischen Szenario zur Entstehung einer neuen Pandemie. Doch obwohl „Pandemie“ ebenfalls von einem gefährlichen Grippevirus handelt, das den Speziessprung vom Vogel zum Mensch geschafft hat, kann die natürliche Ausbreitung dieses Virus durch schnell durchgeführte Quarantänemaßnahmen relativ früh gestoppt werden. Damit wäre die Gefahr einer Pandemie gebannt, gäbe es da nicht Hazzir Al Kabaal, der unter dem Deckmantel seines islamischen Glaubens das Virus künstlich in den Metropolen der westlichen Welt verbreitet und so hofft, einen Rückzug der Koalitionstruppen von islamischem Boden erzwingen zu können.

Hätte Kalla es mal lieber bei einer natürlichen Ausbreitung der Grippe belassen und sich nicht islamischer Terroristen bedient, um seinem Roman eine künstliche Spannung zu vermitteln. Leider fehlt es Kallas stereotypen Bösewichtern an einem wirklich nachvollziehbaren Beweggrund, neben dem typischen Hass der Extremisten. Zum Freisetzen eines tödlichen Grippevirus, für das es kein Heilmittel gibt, reicht es jedoch nicht aus, einen Hass auf die westliche Welt zu haben. Woher sollte Al Kabaal wissen, dass es den Engländern und Amerikanern wirklich gelingt, die Ausbreitung der Grippe zu verhindern? Die Möglichkeit, dass das Virus durch einen infizierten Touristen auch auf islamischen Boden gebracht werden könnte, ist nicht unbedeutend. Ist Kabaals Hass so groß, dass er eine potenziell tödliche Gefahr für ein Viertel aller Moslems völlig ignoriert?

Ein weiterer grober Fehler in der Handlung ist die Entführung des Virus aus Gansu. Woher hat Kabaal so schnell erfahren, dass es ein neues gefährliches Grippevirus in Gansu gibt? Die Inkubationszeit dieser Grippe beträgt nur vier Tage, also kann nach dem ersten Auftreten der Grippe und der Ankunft des WHO-Teams im besten Fall ein Monat gelegen haben. In diesem Zeitraum hat Kabaal von der neuen Krankheit erfahren, ihr tödliches Potenzial erkannt, einen infernalischen Plan geschmiedet und Leute beauftragt, das Virus zu stehlen. Abgesehen von der Zeit, die es dauert, ein gut ausgestattetes Labor zur Zucht und Veränderung von Viren einzurichten. Sollte sein Plan, ungeachtet aller Risiken, ein tödliches Virus zu benutzen, aber schon vor dem Auftreten der Gansu-Grippe existiert haben, gäbe es jede Menge anderer gut geeigneter Krankheiten, die durch infizierte Selbstmordattentäter unter die Leute gebracht werden könnten.

Doch trotz dieser Ungereimtheiten und flachen Charaktere ist „Pandemie“ spannend zu lesen, wenn auch nicht sonderlich anspruchsvoll. Vor allem die real existierende Bedrohung durch H5N1 trägt wohl dazu bei, dass man „Pandemie“ nicht wieder aus der Hand legen mag.

http://www.heyne.de

King, Jonathon – Schwarze Witwen

Er hält sich für unsichtbar. Und über die Jahre fällt er in seinem Viertel tatsächlich kaum jemandem mehr auf. Das ist eine optimale Voraussetzung, um den eigenen mörderischen Geschäften und Vorlieben nachzugehen. Wenn man sich dann im ‚richtigen‘ Viertel bewegt, einem Drogenumschlagplatz, um den herum ausschließlich Afroamerikaner leben, und man sich ‚unsichtbar‘ und geschickt verhält, wird eine Häufung von Verbrechen und Todesfällen kaum bemerkt. Zudem sind weder die Behörden noch die Polizei an Ermittlungen interessiert. Vor allem dann nicht, wenn es sich bei den Verstorbenen um über achtzig Jahre alte afroamerikanische Witwen handelt, die offensichtlich nach langer Krankheit eines natürlichen Todes gestorben sind. Erst bei genauerer Betrachtung der Hintergründe fällt eine weitere Überschneidung der Lebenssituationen der Verstorbenen auf: Alle Frauen hatten hohe Lebensversicherungen für ihre Familien abgeschlossen und sie vor nicht allzu langer Zeit überraschend an eine Investmentgesellschaft verkauft. Zwar ist diese Art von Geschäft völlig legal, allerdings ist ein baldiges Ableben der Versicherten für die Investoren wünschenswert, da sie die Policen bis zum Tode der Versicherten bezahlen müssen und erst danach ihre hohen Gewinne kassieren können.

Allein Rechtsanwalt Billy Manchester befürchtet, ausgehend von seinen Recherchen, dass ein Mörder im Auftrag der Investoren dem ’natürlichen Tod‘ der Versicherten ordentlich nachhilft. Mit dieser brisanten Theorie stößt er jedoch bei den Versicherungen wie auch bei der Polizei auf Gleichgültigkeit und Desinteresse. Daher wendet er sich an seinen besten Freund, den Ex-Cop Max Freeman. Doch selbst dieser ist mangels Indizien anfangs skeptisch. Da er sich aber Billy gegenüber verpflichtet fühlt, verlässt er notgedrungen seinen einsamen Unterschlupf in den Everglades, vorwiegend um Billy einen Gefallen zu tun. Als er in der Stadt auf die ersten Ungereimtheiten stößt und von seiner alten Bekannten Detective Sherry Richards erfährt, dass in dem besagten Viertel seit einiger Zeit brutale Vergewaltigungen, manche mit anschließendem Mord gemeldet werden, ist sein Spürsinn geweckt. Freeman, der nie mehr ermitteln wollte, steckt plötzlich mitten in einem höchst brisanten und vielschichtigen Fall.

Dass man ihn auch noch von ’seinem‘ geliebten Fluss in den Everglades vertreiben will, bereitet ihm zusätzlich Sorgen. Aber immerhin kommt er im Laufe der Zeit der ihm mehr als sympathischen Richards wesentlich näher …

Im Original lautet der exzellent gewählte, da für den englischsprachigen Leser mit vielen Assoziationen verbundene Titel „A Visible Darkness“. Das, was sich mit „Eine sichtbare Finsternis“ übersetzen ließe, klingt im Deutschen nicht ganz so elegant und verliert wohl auch seine implizierten Anspielungen. Warum sich jedoch der Verlag für den Titel „Schwarze Witwen“ entschieden hat, ist mir vollkommen schleierhaft, da die somit nahe gelegten Assoziationen von männermordenden Frauen völlig in die Irre führen.

Wie bereits im ersten Roman der Freeman-Serie, „Das Messer im Sumpf“, wird auch der Folgethriller „Schwarze Witwen“ aus der Ich-Perspektive des Max Freeman erzählt. Erweitert wird diese durch Kapitel und Abschnitte über den Mörder Eddie, der sich für unsichtbar hält (eine Anleihe bei Ellisons Klassiker „Invisible Man“). Dass der Mörder von der ersten Seite an bekannt ist, schmälert keinesfalls die Spannung. Ganz im Gegenteil hätte Jonathon King hier m. E. ruhig noch tiefer in die Seele des Mörders vordringen, seine Innenansicht ruhig als Spannungsmoment weiter ausbauen können. Persönlich gefallen mir dennoch diese Passagen über Eddie, ‚den Müllmann‘, mit am besten. Aber auch Natur- und Situationsbeschreibungen (hier setzt sich die professionelle Schreibe des Journalisten Jonathon King durch) gestaltet der Autor hervorragend. Vor allem, wenn er die Wildnis der Everglades einfängt. Im direkten Gegensatz hierzu sind auch die Darstellungen des Großstadtdschungels äußerst atmosphärisch gelungen. So wird u. a. das besagte afroamerikanische Viertel mit seinen kleinen gepflegten Häuschen, den dunklen Gassen und dem Drogenumschlagplatz derart realistisch geschildert, dass das kleinbürgerliche Milieu umgeben vom Drogensumpf überaus lebendig wird. Eine kleine Schwäche des Autors sehe ich in den Dialogen, von denen er selbst, einmal begonnen, gern wieder abschweift, um Hintergrundinformationen rein narrativ zu liefern. Interessant ist, wenn auch für den Fall relativ irrelevant, die eingeflochtene Historie des Sunshine-States. Insgesamt liegt die Stärke des Autors eindeutig in der beobachtenden Beschreibung und Darstellung, und daher halte ich die Wahl, Max Freeman als Ich-Erzähler durch die Handlung zu schicken, für nicht allzu glücklich gewählt. So sympathisch der koffeinsüchtige, traumatisierte Ex-Cop aus Philadelphia auch ist, bleibt er doch über dreihundert Seiten ziemlich durchschaubar und damit berechenbar. Er überrascht in keiner Szene und ist dazu noch gänzlich humorlos, was das Gesamtbild recht dröge werden lässt. Die nicht uninteressanten Figuren des Billy Manchesters und der Sherry Richards werden so zu Nebenfiguren mit großem, aber verschenktem Potenzial.

Dramaturgisch ist „Schwarze Witwen“ von der spekulativen These, ein Fall könne vorliegen, bis zu der Einsicht, dass neben den Morden in besagtem Viertel noch ganz andere Verbrechen geschehen, exzellent konstruiert. (Wenn auch die Täter ziemlich dusselig vorgehen, da die Spuren, die sie legen, recht simpel zurückverfolgt werden können. Doch das könnte, wenn man sich reale Verbrechen anschaut, ein überaus realistisches Moment der Handlung sein). Trotz der eigentlich feinen Dramaturgie stolpert der Rhythmus des Ganzen ein wenig vor sich hin, was m. E. daran liegt, dass Max Freeman zu oft durch Träume und Erläuterungen seiner traumatischen Erlebnisse seine Vergangenheit wie auch die Handlung des Erstlings „Das Messer im Sumpf“ rekapituliert. Rein inhaltlich ist an diesem traumatisierten, gebrochenen Helden nichts auszusetzen, obwohl nicht nur Max Freeman an diesem Zuviel an Vergangenheit leidet, sondern auch das Tempo des Thrillers arg gedrosselt wird.

Ähnlichkeiten übrigens zu James Lee Burkes Serie um den New Orleans Detective Dave Robicheaux sind nicht zufällig, sondern (als Hommage?) vom Autor King beabsichtigt. Insgesamt ist „Schwarze Witwen“ ein überaus passabler, nicht virtuoser, aber solider Thriller, der gut konstruiert mit toller Atmosphäre lediglich ein wenig an seinem Helden schwächelt, den ich mir (und das ist schließlich rein subjektiv) facettenreicher und mit einem Funken Humor, Sarkasmus etc. gewünscht hätte. Am Ende des Falles setzt der Rechtsanwalt Billy seinen Freund Max unter Zugzwang, so dass dieser sich um eine Lizenz als Privatdetektiv bemühen muss, wenn er seinen geliebten Unterschlupf in den Sümpfen behalten will. Somit sind zukünftige Fälle gesichert. Und schließlich steckt die Serie mit dem vorliegenden zweiten Roman ja immer noch in Baby-Schuhen (preisgekrönten übrigens!). Letztlich darf man gespannt sein, wie sich die Charaktere weiterentwickeln. Also lesen – und auf den nächsten Jonathon King warten! (Im März 2006 unter dem Titel „Nacht der Abrechnung“ bei Droemer/Knaur erschienen. Anm. d. Ed.)

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ veröffentlicht.|

Jacques Futrelle – Der überflüssige Finger

13 Fälle, zwischen 1906 und 1908 gelöst von Professor Van Dusen, der „Denkmaschine“:

– Die silberne Box („The Leak“/“The Silver Box“, 1907), S. 7-29: Ein Unsichtbarer spioniert die Geheimnisse des Börsenhais aus und kostet ihn Millionen. Van Dusen vermutet eher Köpfchen und Technik hinter diesem Rätsel …

– Das Motorboot („The Motor Boat“, 1906), S. 30-53: Ein toter Mann in Uniform braust am Steuer seines Boots in den Hafen von Boston. Nur van Dusen kann klären, was hinter diesem mysteriösen Auftritt steckt …

– Der überflüssige Finger („The Superfluous Finger“, 1906), S. 54-78: Warum lässt sich eine schöne Frau ihren völlig gesunden Finger amputieren? Dahinter verbirgt sich ein schlau eingefädeltes Verbrechen, ahnt van Dusen …

– Der unterbrochene Funktelegraph („The Interrupted Wireless“, 1907), S. 79-102: Auf hoher See stirbt der Funker mit einem Messer im Herzen, doch wer setzt in der Nacht seine Arbeit fort? Van Dusen findet die Erklärung, ohne einen Schritt an Bord zu setzen …

– Die drei Mäntel („The Three Overcoats“, 1907), S. 103-118: Was sucht ein fein gekleideter Meisterboxer und Einbrecher, der die übliche Beute verschmäht und stattdessen Mäntel aufschlitzt? Nur van Dusen fragt sich, was in diesen Mänteln steckte …

– Das Rätsel des zerbrochenen Armreifs („The Problem of the Broken Bracelet“, 1907), S. 119-144: Gleich mehrere Diebe raufen einfallsreich um ein scheinbar wertloses Schmuckstück; nur van Dusen entdeckt, dass es buchstäblich etwas in sich hat …

– Das Rätsel des Kreuzes („The Problem of the Cross Mark“, 1907), S. 145-161: Eine groteske Schauspielerscharade deckt van Dusen als Bestandteil einer tückisch ausgetüftelten Erbschleicherei auf …

– Das Rätsel der Ansichtskarten („The Problem of the Souvenir Cards“, 1907, S. 162-178:
Der Dieb stahl den großen Diamanten und irritiert dessen Eigentümer durch die Einsendung unverständlicher Kartenbotschaften, die für van Dusen natürlich nicht lange ein Geheimnis bleiben …

– Das Rätsel des verschwindenden Mannes („The Problem of the Vanishing Man“, 1907), S. 179-200: Ein Geschäftsmann betritt jeden Morgen sein Büro, um sich dort in Luft aufzulösen und feierabends wieder zu erscheinen; wie so etwas möglich ist, erklärt Professor van Dusen …

– Das Rätsel des Taxis („The Problem of the Auto Cab“, 1907), S. 200-216: Reporter Hatch sieht sich in einen Juwelenraub verwickelt und schätzt sich glücklich, ein Vertrauter der „Denkmaschine“ zu sein …

– Das Rätsel der versteckten Million („The Problem of the Hidden Million“, 1907), S. S. 217-232: Auf dem Totenbett verkündet der boshafte Millionär triumphiernd, wie er seine Schätze vor den Erben versteckt hat, aber er hat die Rechnung ohne seinen Papagei und Professor van Dusen gemacht …

– Das Roswell-Diadem („The Roswell Tiara“, 1906), S. 232-253: Wohin ist das berühmte Schmuckstück verschwunden? Van Dusen löst den Fall buchstäblich im Schlaf …

– Der verhexte Gong („The Haunted Bell“, 1906), S. 254-306: Er dröhnt ohne geschlagen zu werden und kündigt den Tod seines Besitzers an – reiner Humbug, so Augustus van Dusen, der diesen Worten eine spektakuläre Beweisführung folgen lässt …

|“In den Naturwissenschaften müssen wir exakt sein – und zwar nicht annähernd, sondern absolut. Wir müssen wissen. … Wissen ist Fortschritt, Wissen erlangen wir durch Beobachtung und Logik – unwiderlegliche Logik. Und die Logik sagt uns, dass zwei plus zwei vier ergibt, und zwar nicht nur manchmal, sondern immer.“| (S. 9)

Dies ist das Credo von Augustus S. F. X. van Dusen, der sich keinesfalls als Detektiv, sondern ausschließlich als Wissenschaftler versteht. Die oben zitierte Ansprache hält er kaum variiert jedem, den es mit einem „unmöglichen Fall“ oder einem „perfekten Verbrechen“ zu ihm treibt (was zwischen 1905 und 1912 immerhin fünfzigmal geschieht). Van Dusen ist die „Denkmaschine“; noch mehr als Sherlock Holmes beschränkt er sich auf die Ermittlung durch Nachdenken. Er ist der „armchair detective“ par excellence, die kaum mehr körperliche Geisteskraft, welche sich Furcht einflößend bemerkbar macht, wenn van Dusens gewaltige Stirn sich in unzählige Runzeln legt: Die „Denkmaschine“ läuft auf Hochtouren!

Für van Dusen gibt es keine Rätsel, sondern höchstens Fragen, auf die noch keine Antworten gefunden wurden. Er ist auch deshalb meist grämlich, weil er einfach nicht verstehen kann, wieso die Menschen um ihn herum dies einfach nicht begreifen. Immer wieder erläutert er sein Vorgehen, wenn er einen neuen Kriminalfall gelöst hat – es besteht darin, die vorhandenen Fakten zu sammeln, zu sichten und auszuwerten. Die Lösung ergibt sich dann automatisch.

Freilich wird sich van Dusen wohl bis an sein Lebensende ärgern müssen. Die Welt, in der er lebt, ist nur zum Teil die seine. In seinem mit Riesenbibliothek und Labor ausgestattetem Domizil brödelt er eigen vor sich hin. Gäbe es nicht seinen Watson – hier in Gestalt des rasenden Reporters Hutchinson Hatch – würde er wohl gar nicht das Haus verlassen und Wissen allein um des Wissens willen anhäufen: „Ph. D., LL. D., F. R. S., M. D., M. D. S.“ lautet die Liste seiner akademischen Titel, die damit wohl sämtliche Bereiche der Naturwissenschaft abdecken. Hatch ist es, der ihn ins Freie lockt und ihn sich praktisch betätigen lässt. Zwar lässt es sich van Dusen nie anmerken, aber geht man von der Bereitwilligkeit aus, mit welcher er sich stets von Hatch ‚verführen‘ lässt, hat die „Denkmaschine“ offensichtlich ihren Spaß an den sich daraus entwickelnden Abenteuern.

Frauen existieren für van Dusen selbstverständlich nur als wissenschaftlich definierte Wesen. Immerhin erkennt er: „Man kann nicht umhin, die Stärke von Frauen unter gewissen Umständen zu bewundern …“ (S. 65) In der Tat trifft die „Denkmaschine“ verblüffend oft auf Frauen, die kriminell, einfallsreich und skrupellos auftreten und sich zweifellos mit den männlichen Schurken messen können. Jacques Futrelle war in diesem Punkt – und nicht nur in diesem – wesentlich „moderner“ als beispielsweise Arthur Conan Doyle, dessen Sherlock Holmes nur „die eine Frau“ (Irene Adler) als gleichwertige Gegnerin akzeptierte.

Wobei Sherlock Holmes hier mit Absicht genannt wird. Augustus van Dusen verdankt ihm viel; die „Denkmaschine“ ist in gewisser Hinsicht ein – durchaus ironisch – überhöhter Holmes. Wie Doyle spielt Futrelle mit offenen Karten. Auch der verzwickteste Fall wird im Finale aufgedröselt. Es gibt keine Tricks oder doppelte Böden und erst recht keine Zauberei. Van Dusen liegt richtig: Wer die Augen offen hält und seine Indizien korrekt deutet, wird obsiegen. Das ist für ihn so selbstverständlich, dass er den Applaus seiner verblüfften Zeitgenossen ablehnt: Er hat doch nur nach der eigenen Maxime gehandelt und konnte deshalb nicht irren! Aus diesem Grund kann es durchaus vorkommen, dass er einen Fall löst und der Täter unbekannt bleibt: Dessen Identität blieb für die Klärung nebensächlich und interessierte van Dusen deshalb nicht.

Mit der Konstruktion seiner van-Dusen-Storys hat sich Jacques Futrelle große Mühe gegeben. Ihm fällt immer eine Ausgangssituation ein, die den Leser in den Bann zieht, wobei er oft auf eigene Spezialkenntnisse zurückgreift – er war u. a. Telegraphist und setzt diese zeitgenössische „Hightech“ gleich mehrfach in seinen Kriminalgeschichten ein. Einhundert Jahre später funktionieren manche Plots natürlich nicht mehr so gut wie einst. Der Nostalgiefaktor gleicht es aus, zumal Futrelle über einen feinen, trockenen Humor verfügt, der seinen Geschichten sehr gut bekommt. Damit einher geht ein Verzicht auf theatralische Gefühlsüberschwänge. Zwar fällt auch bei Futrelle manche feine Dame in Ohnmacht, wenn der Schreck sie überwältigt, doch nicht selten entpuppt sich das nachträglich als Trick einer gewieften Schurkin.

Während Jacques Futrelle im angelsächsischen Sprachraum längst für Augustus van Dusen als wichtiger und prägender Vertreter des frühen Kriminalromans gewürdigt wird, blieb er in Deutschland lange unbemerkt. Als der Durchbruch dann kam, erfolgte er erstaunlicherweise nicht im Buch, sondern im Radio. Zwischen 1978 und 1999 schreibt der Rundfunk-Journalist und Autor Michael Koser für den RIAS Berlin (ab 1993 DeutschlandRadio Berlin) insgesamt 79 Hörspiele um van Dusen und Hutchinson Hatch, die meist vom Verfasser neu erfunden wurden.

Im Druck ist hierzulande nur knapp die Hälfte der van-Dusen-Storys erschienen. Das Fehlen einer ordentlichen Gesamtausgabe ist sowohl ein Manko für den Freund klassischer Krimi als auch ein Ärgernis, denn hier harrt ein Autor seiner endgültigen Entdecker, der auch heute noch gut unterhalten könnte!

Jacques Heath Futrell wurde 1875 in Pike County im US-Südstaat Georgia als Sohn eines Lehrers geboren. Er wuchs mit vielen Büchern auf, die seine Eltern ihn zu lesen ermunterten. Vielleicht wäre Futrell als Literat ins Berufsleben gestartet, doch seine finanzielle Situation zwang ihn zu einer „vernünftigen“ Planung. Schon in seiner Schulzeit half er in einer Druckerei aus und absolvierte später eine Druckerlehre. Mit 18 Jahren ging Futrell zum „Atlanta Journal“, wo er u. a. die erste Sportseite aus der Taufe hob.

1895 heiratete Futrell Lillie May Peel; das Paar zog nach New York um, wo Jacques als Telegraf für den „New York Herald“ tätig wurde. 1904 rief ihn William Randolph Hearst nach Cambridge, Massachusetts, wo er für dessen neue Zeitung, den „Boston American“, arbeitete. Hier erschienen auch die ersten Kurzgeschichten um Professor Augustus Van Dusen, die „Denkmaschine“. Sein Erfolg als Schriftsteller ermöglichte es Futrelle, sich ab 1906 als hauptberuflicher Schriftsteller zu etablieren; nunmehr blieb ihm auch die Zeit für das Verfassen von Romanen, deren erster noch in diesem Jahr veröffentlicht wurde.

Jacques Futrelle wurde auch auf der anderen Seite des Atlantiks populär. Im Frühjahr 1912 begab er sich mit seiner Gattin May auf eine Reise nach England. Für die Rückfahrt beschlossen die Futrelles sich etwas zu gönnen, zumal sich eine einmalige Gelegenheit bot: Sie buchten eine Passage auf dem größten und prächtigsten Passagierschiff ihrer Zeit, der brandneuen und unsinkbaren „Titanic“ …

Das Drama im Nordatlantik überlebte in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912 nur May; ihr Ehemann versank in den Fluten, seine Leiche wurde niemals gefunden. Als Schöpfer der „Denkmaschine“ ging Futrelle in die Geschichte des Kriminalromans ein und gehört zu jenen frühen Vertretern, die das Genre formten und ihm entscheidende Impulse gaben.

(Über Jacques Futrelle informiert die Website www.futrelle.com. Sehr informativ ist die deutsche Site www.profvandusen.com/fut2.htm geraten, die sich außerdem mit der deutschen Hörspielserie um Van Dusen beschäftigt.)

Simon Beckett – Die Chemie des Todes

Das geschieht:

Einst war er einer der führenden forensischen Mediziner Englands: David Hunter hat sie alle übertroffen, wenn es galt, einem modernden Mordkadaver die Geheimnisse seines Todes zu entlocken. Dann kam seine Familie durch einen Unfall um, was Hunter beruflich und privat aus dem Gleis warf. Er floh aus der Großstadt und zog als einfacher Landarzt in dem kleinen Dorf Manham in der englischen Grafschaft Norfolk.

Die Tage des selbst gewählten Exils gehen zu Ende, als in einem Wäldchen die übel zugerichtete Leiche von Sally Palmer gefunden wird: traktiert mit scharfen Messern und mit Schwanenflügeln dort, wo eigentlich nur Schulterblätter sein sollten. Chief Inspector Mackenzie findet wenige Spuren aber David Hunter, der ihn bei seinen Ermittlungen unterstützen soll. Als dieser sich weigert, traktiert ihn der mürrische Polizist so lange, bis Hunter nachgibt.

Den Ausschlag dafür gibt das Verschwinden von Lyn Metcalf. Nicht nur Mackenzie fürchtet, dass der unbekannte Mörder die junge Frau in seine Gewalt gebracht hat. Ein Wettlauf auf Leben und Tod beginnt. Die Suche im dichten Wald um Manham ist gefährlich, denn der Kidnapper hat überall Schlingen aus- und Fallgruben angelegt. Im Dorf schwingt sich der fanatische Law-and-Order-Pfarrer Scarsdale zum Sprecher der Furchtsamen und Misstrauischen auf. Eine Bürgerwehr wird aufgestellt, die mehr Schaden anrichtet als zu schützen.

Für Dorffremde und Außenseiter wird das Leben in Manham ungemütlich, denn die braven Bürger suchen Sündenböcke. Alte Rechnungen werden bei dieser Gelegenheit gleich mit beglichen. Auch Hunter kommt ins Gerede, hält aber aus: Der Mörder hat sich ausgerechnet seine neue Freundin geschnappt, welcher das bekannte Ende droht, wenn es nicht endlich gelingt, die kärglichen Beweise so zu deuten, dass dem Täter Einhalt geboten werden kann …

Schon wieder der beste Thriller?

„Die Chemie des Todes“ ist als Roman nicht so interessant wie der Konflikt, der sich in der Kritik um ihn entzündet hat. Der nüchterne Tatbestand ist für den erfahrenen Krimileser rasch klar: Dies ist ein solider Thriller um bizarre Serienmorde und unterhaltsam dargebotene Ermittlungstechniken, der – verschnitten mit dem üblichen Quantum Seifenoper – dem Genre weder nützt noch schadet.

Ruhig und bei langsamem Aufbau der Spannung erzählt Autor Beckett eine Story, wie sie die Liebhaber klassischer britischer Krimis normalerweise lieben und die in jedem Jahr zu Dutzenden – meist als Taschenbuch mit gesichtslosem Bildstock-Einheitscover – auf den Buchmarkt geworfen werden.

Den Unterschied macht offensichtlich das Getöse der Werbetrommeln, die für „Die Chemie des Todes“ gerührt wurden. Längst sind bei den Verlagen sämtliche Hemmungen gefallen, noch der übelste Mist wird nicht nur gedruckt, sondern auch in Superlativen angepriesen. Man fällt als Leser darauf herein und ist verstimmt. Trotzdem ist es ungerecht, dass ausgerechnet der arme Simon Beckett die Zeche zahlen soll.

Der Tod kann sehr lebendig sein

Zur Klage gibt es selbstverständlich Anlass. Wieso wählt der Autor als Hauptfigur einen forensischen Anthropologen, wenn er für die Handlung recht wenig Kapital daraus schlägt? Oder sind wir Leser alle bereits so CSI- & Scarpetta-geschädigt, dass wir ohne Seziersaalbabbel und labortechnischen Overkill etwas vermissen? Beckett lässt Hunters Beruf sehr wohl in die Handlung einfließen: angenehm zurückhaltend allerdings und primär dort, wo seine Erkenntnisse zur Geschichte beitragen, wie der Verfasser entschied sie zu erzählen.

Dazu gehört auch der gemächliche Einstieg ins kriminalistische Geschehen. „Die Chemie des Todes“ ist einerseits kein Actionthriller und andererseits Auftakt zu einer Serie mit David-Hunter-Romanen. So nimmt sich Beckett die Zeit diese Figur und ihre von tiefen inneren Konflikten geprägte Geschichte sorgfältig aufzubauen bzw. zu erzählen, während sich der kriminalistische Handlungsstrang erst nach und nach in den Vordergrund schiebt. Selbstverständlich gehört die vorsichtige Annäherung ans weibliche Geschlecht zu Hunters Gesundungsprozess, und natürlich ist es das Objekt seiner neu erwachten Begierde, das dem Mörder in die Finger gerät: „Die Chemie des Todes“ ist wie schon angedeutet ein konventionell geplotteter Thriller.

David Hunter trägt zwar einen sprechenden Namen, benimmt sich jedoch ganz und gar nicht wie ein Jäger. Beckett schildert ihn als gebrochenen Mann, der nach einer persönlichen Tragödie aus seinem psychisch anstrengenden Job als Gerichtsmediziner aussteigt und in der Stille der Provinz einen Neuanfang versucht. Die damit verbundenen Schwierigkeiten schildert der Verfasser überzeugend aber ohne das Seelendrama neu zu erfinden.

Todes-Experte kehrt ins Leben zurück

Hunter ist kein Sherlock Holmes des 21. Jahrhunderts, der sich eifrig über faulige Leichen beugt, um sie unter Präsentation angenehm ekliger Überraschungen zu ‚lesen‘, sondern ein verstörter und störrischer Zeitgenosse, der sich zudem gegen die Rolle des zentralen Handlungsträgers sträubt. Tatsächlich wehrt er sich gegen alles, das den mühsam geschaffenen Panzer aus Routine und Gleichgültigkeit zerbrechen könnte. Eine blitzartige Wiedergeburt als spürgewaltiger Schnüffel-Forensiker wäre deshalb reichlich unglaubwürdig.

Beckett mag kein Neuerer sein aber er bemüht sich wenigstens, allzu ausgefahrene Geleise zu vermeiden. Sein Manham ist kein Sammelbecken ulkig-wirrer Dorftypen oder -trottel, die in so vielen „Whodunits“ den Hintergrundchor abgeben müssen. Das Verderben kommt über eine Gemeinde, der Harmonie stets ein Fremdwort war. In der Krise bildet sich keine Gemeinschaft; stattdessen bilden sich Gruppen, die einander argwöhnisch belauern und höchstens in ihrer Hatz auf verdächtige Außenseiter einig sind: Selbst die Bürger von Manham unterliegen im 21. Jahrhundert dem alten Irrglauben, dass auf dem Land Frieden dort herrscht, wo in der Stadt das Böse regiert.

Pfarrer Scarsdale ist das Sprachrohr für die gleichzeitig Ängstlichen und Aggressiven. Leider ist diese Figur Beckett zum Zerrbild missglückt. Er wirkt wie ein frühneuzeitlicher Hexenjäger, der im Namen des HERRN seinen persönlichen religiösen Fundamentalismus nährt. Selbst in der Provinz dürfte es indes kaum mehr möglich sein ‚normale‘ Menschen auf diese Weise in einen hysterischen Lynchmob zu verwandeln. Beckett merkt es selbst und lässt diesen Handlungsstrang unauffällig versanden.

Der Mörder muss einer der Manham-Bewohner sein – so verlangt es die Regel. Wer es sein könnte, dämmert dem Leser eventuell ein wenig zu früh; Beckett verteilt in dieser Hinsicht großzügig Hiebe mit dem Zaunpfahl. Ansonsten hält sich der Verfasser auch hier an die Konventionen, die einen Irrsinnigen fordern, der rasch und gnadenlos killt und erst im Finale vom Drang erfasst wird, sich dem Helden in einem wahren Redeschwall zu offenbaren. Kein Wunder, dass es so mit dem perfekten Mord nichts wird. Wiederum gilt freilich: Beckett mutet seinem Publikum nichts Schlimmeres zu, als es bereits gewöhnt ist. Wer sich ohne große Vorab-Erwartungen an die Lektüre begibt und die Dreist-Werbung ignoriert, wird durchaus seinen Lese-Spaß finden.

Autor

Simon Beckett (geb. 1968) versuchte sich nach Abschluss eines Englischstudiums als Immobilienhändler, lehrte Spanisch und war Schlagzeuger. 1992 wurde er freier Journalist und schrieb für bedeutende britische Zeitungen wie „Times“, „Daily Telegraph“ oder „Observer“. Im Laufe seiner journalistischen Arbeit spezialisierte Beckett sich auf kriminalistische Themen. Als Romanautor trat Beckett zuerst 1994 an die Öffentlichkeit, doch deren breite Aufmerksamkeit fand er erst mit den Romanen um den Forensiker David Hunter (ab 2006). Allerdings wurde Beckett bereits für „Animals“ (1995, dt. „Tiere“) mit einem „Raymond Chandler Society’s Marlowe Award“ für den besten internationalen Kriminalroman ausgezeichnet.

Mit seiner Familie lebt Simon Beckett in Sheffield. Über sein Werk informiert er auf dieser Website. Interessant ist, dass er seine vier zwischen 1994 und 1998 veröffentlichten (und inzwischen auch in Deutschland erschienenen) Romane unerwähnt lässt.

Taschenbuch: 431 Seiten
Originaltitel: The Chemistry of Death (London : Bantam Press 2006)
Übersetzung: Andree Hesse
http://www.rowohlt.de

eBook: 530 KB
http://www.rowohlt.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)

Thomas Pfanner – Gott will es!

Mit dem Aufdruck „rasante, actiongeladene Mischung aus Detektivgeschichte, Verschwörungsthriller und Kirchenkritik […] mit einer Prise Erotik und sehr viel schwarzem Humor“ macht der |Eldur|-Verlag auf dem Buchdeckel Werbung für den aktuellen Roman von Krimimann Thomas Pfanner, der mit „Gott will es!“ auf den Spuren eines Dan Brown wandelt und sich düstere Machenschaften innerhalb der katholischen Kirche zum Thema seines Romans gemacht hat…

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Schenkel, Andrea Maria – Tannöd

„Tannöd“ von Andrea Maria Schenkel ist schon ein recht ungewöhnliches Krimivergnügen. Mitten in den Fünfziger Jahren, mitten in der piefigen Provinz der Oberpfalz – klingt nicht gerade, als wären das Zeit und Ort für einen packenden Krimiplot. Doch wer sich jetzt schon wieder abwenden möchte, der verpasst etwas, nämlich einen schönen kleinen Krimi, mitten aus deutschen Landen, mitten aus dem Leben …

|Tannöd| – Der Name ist Programm auf dem Hof der Familie Danner. Ein einsames Gehöft vor einem dunklen Tannenwald, fernab der Dorfidylle von Einhausen in der Oberpfalz. Nach Tannöd verirrt sich so schnell niemand. Nicht nur, weil der Hof die letzte Bastion der Zivilisation vor der völligen Einöde der deutschen Provinz zu sein scheint, sondern einfach auch, weil den Hausherren Bauer Danner niemand so recht mag.

Er ist ein Eigenbrödler, der Tannöder, sagt man sich im Dorf, und ein Geizkragen obendrein. Und so dauert es halt auch ein paar Tage, bis die Dorfbewohner merken, dass dort oben auf Tannöd irgendetwas nicht zu stimmen scheint. Niemand hat die Familie in den letzten Tagen gesehen. Die Kinder waren nicht in der Schule und niemand hat am Sonntag die heilige Messe besucht.

Grund genug für ein paar Nachbarn, schließlich rauszufahren und nach dem Rechten zu sehen. Als die Männer auf dem Hof ankommen, machen sie eine grausige Entdeckung: Bauer, Bäuerin, Altbäuerin, Magd und die beiden Kinder – alle sind tot, von einem Wahnsinnigen grausam mit der Spitzhacke erschlagen …

Der Leser steht in Andrea Maria Schenkels Debütroman im Zentrum des Geschehens. Es ist, als würden die Leute aus dem Dorf ihm persönlich Bericht erstatten. Jeder weiß irgendetwas über den Tannöder und seine Familie zu berichten, und aus den verschiedenen Aussagen kann sich der Leser das Gesamtbild wie ein Puzzle Stück für Stück zusammensetzen.

Der Leser bekommt dabei tatsächlich das Gefühl, ganz nah an der Handlung zu sein. Man sieht die Dorfbewohner förmlich vor sich. Alte Frauen mit Kittelschürze und Kopftuch, Männer in ausgebeulten Hosen, auf eine Mistgabel gestützt – jeder der Dorfbewohner darf in seiner ihm eigenen Art berichten, egal ob mit Grammatikfehlern oder seltsamem Provinzkauderwelsch.

„Tannöd“ wirkt dadurch sehr authentisch und unverfälscht. Und tatsächlich beruht die Geschichte auf einer wahren Begebenheit. Diesen Fall hat es in sehr ähnlicher Form tatsächlich gegeben, wenngleich das schon in den Zwanzigerjahren war und nicht erst in den Fünfzigern. Doch der veränderte zeitliche Kontext hat auch sein Gutes. Der Krieg ist den meisten auftretenden Figuren noch sehr frisch im Gedächtnis, und so erinnert sich so manch einer auch der damaligen Taten anderer Dorfbewohner. So schürt Schenkel Verdächtigungen, die in vielfältige Richtungen deutbar sind. Sie lockt den Leser auf falsche Fährten und offenbart ihm den Mörder erst ganz am Ende – und das, obwohl der Leser seine Handlungen die ganze Zeit über schon mitverfolgen darf.

Man muss Frau Schenkel schon lassen, dass sie ihren Plot sehr gut konstruiert hat. Sie verrät nie zu viel, stellt immer wieder Fallen und erhöht durch ständige Handlungssprünge und Perspektivenwechsel die Spannung. Klein und kompakt erscheint das Buch mit seinen gerade einmal 125 Seiten, aber diese Seiten haben es in sich. Düster und abgründig offenbart sich die Realität hinter der bigotten Provinzidylle. Ungeahnte Tiefen tun sich auf und der Plot entwickelt, obwohl er ganz unscheinbar daher kommt, viel Spannung.

Ein wenig kann man „Tannöd“ auch als Spiegel der damaligen Zeit betrachten. Man hat das Gefühl, dass das Bild des deutschen Provinzlebens, das Schenkel skizziert, in der Art durchaus realistisch ist. Sie belebt die Fünfzigerjahre, die irgendwo zwischen der schweren Last der Kriegsschuld und dem Aufbruch zu einer neuen Epoche liegen, und macht damit für den Leser auch ein Stückchen Zeitgeschichte greifbar.

Bleibt unterm Strich ein sehr positiver Eindruck zurück, der sich auch mit dem ersten Platz der |KrimiWelt|-Bestenliste deckt. Die dortigen Juroren sehen Andrea Maria Schenkel quasi als die Hoffnung des deutschen Provinzkrimis, machen sie an ihr doch eine Wende aus, die weg vom |“drögen deutschen Regionalkrimi“| führt und hin zu mehr |“Sprache, Tiefe und Farbe“|.

Festhalten kann man in jedem Fall schon mal, dass Andrea Maria Schenkel ein auffälliges und interessantes Debüt abgeliefert hat, das den Leser auf einfache und bestechend klare Art zu fesseln weiß. Der Leser ist hautnah am Geschehen, die Figuren wirken wie mitten aus dem Leben und der Plot ist ausgesprochen klug konstruiert. Kurzum: Ein lesenswertes Kleinod deutscher Krimiunterhaltung, das hinter seinem schmalen Buchrücken eine erstaunliche Tiefe und Schwärze offenbart.

Edition Nautilus

Winter, Alex – Ein Gespür für Mord

In einer Zeit, in der legendäre Krimi-Spürnasen wie Sherlock Holmes ein schier unaufhaltsames Revival feiern, ist die moderne Literatur händeringend darum bemüht, neue Helden zu finden. Starke, gefestigte Charaktere mit dem besonderen Etwas sind gefragt; außergewöhnliche Fähigkeiten ebenso wie markante Macken. Dementsprechend viele neue Krimi-Serien gehen derzeit an den Start und jeder will die gesuchte Figur in seinem Roman gefunden haben.

Der schweizerische Schriftsteller Alex Winter kommt der Vorstellung von einer solchen Ikone schon ziemlich nahe. Daryl Simmons, sein Titelheld, ist nämlich ein sehr smarter Kerl, mit dem man sich auf Anhieb anfreundet, weil er einerseits ein gewiefter Ermittler ist, andererseits aber auch einen gewissen Charme ausstrahlt, der einem sehr schnell sympathisch ist. Und noch etwas: Simmons ist als Weißer bei den Aborigines aufgewachsen und stark in den Ursprüngen dieser Kultur verwurzelt. Das Wissen um die Traditionen seiner ‚Brüder‘ und natürlich sein cooles, herzliches Auftreten helfen ihm in seinem ersten literarischen Auftritt dabei, einen verzwickten Fall zu lösen.

_Story_

Daryl Simmons hat den Polizeidienst in Perth endgültig satt. Schon mehrfach hat er bei seinem Boss Garratt um eine Versetzung gebeten, und auch eine endgültige Beurlaubung hat er schon ins Auge gefasst. Eines Tages kommt dem Obersten dieser Drang zur Landflucht gerade recht: Ein Freund hat ihn um Hilfe gebeten, um einen mysteriösen Todesfall aufzuklären. Garratt schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen kann er seinen besten Mann zwangsbeurlauben und trotzdem weiterarbeiten lassen, und zum anderen kommen die Ermittlungen im Zuge des Todes von Floyd Butler auf einer Farm im Outback endlich ins Rollen.

Simmons hat es bei der Ankunft auf dieser Farm allerdings nicht leicht; hart muss er um die Akzeptanz der übrigen Mitarbeiter kämpfen, die dem verdeckt ermittelnden Kommissar sehr skeptisch entgegentreten. Erst nach und nach wird Daryl als echter Kerl akzeptiert und kann sich durch das neu gewonnene Vertrauen erste Informationen zu Butlers Tod erfragen. Obwohl er seinen Chef im Dunkeln tappen lässt, kommt langsam aber sicher Licht in die Sache – bis dann eine weitere Leiche gefunden wird und den Fall erneut zurückwirft. Doch Simmons gibt nicht auf, denn die Anzahl der Verdächtigen ist überschaubar und erste Vermutungen scheinen ihn auf die richtige Fährte zu führen. Nur die Motive der potenziellen Täter scheinen unklar. Als dann auch noch die beliebte Meena spurlos verschwindet und einen dubiosen Abschiedsbrief hinterlässt, gerät der Beamte in Zeitnot. Doch Daryl hat noch eine Geheimwaffe: das Wissen, das er aus der Lehre bei den Aborigines gesammelt hat, und welches ihm im direkten Umfeld eines weiteren Stammes nun entscheiden weiterhelfen soll …

_Meine Meinung_

Als absoluter Australien-Liebhaber war dieses Buch natürlich eine echte Pflichtlektüre, zumal Alex Winter die Kultur und die Landschaft des kleinen Kontinents immer wieder in die Geschichte integriert und ihr letztendlich auch eine entscheidende Bedeutung zuspielt. Allerdings kommt die Geschichte trotz aller interessanten Facetten nicht so richtig in Schwung. Bevor Simmons überhaupt mal richtig ins Geschehen eingreift, ist schon mehr als die Hälfte des Buches durch, denn statt die Seiten mit einem gewissen Spannungsaufbau zu füllen, verliert sich Alex Winter zunehmend darin, das Leben auf der Farm zu beschreiben. Die Geschichte ist dabei in einem Fluss geschrieben und lässt sich insgesamt auch sehr angenehm lesen, jedoch mangelt es ihr bisweilen an einer klar erkennbaren Struktur. In aller Seelenruhe erzählt Alex Winter, wie sich Daryl Simmons langsam aber sicher im Tross der Farmer einlebt und dort nicht immer auf Gegenliebe stößt, vergisst allerdings manches Mal, dass eigentlich die Morde und das Verschwinden von Meena im Mittelpunkt stehen. Viel zu spät besinnt sich der Autor darauf, für einen klaren Höhepunkt zu sorgen und diesen aufzubauen. Selbst wenn er am Ende mit einem ziemlich überraschenden Ende aufwarten kann, ist die Erzählung über weite Strecken eher unspektakulär und gewinnt nach sehr behäbigem und überaus langem Einsteig erst sehr spät an Fahrt.

Was mich weiterhin an „Ein Gespür für Mord“ stört, sind diese haltlosen Andeutungen. Nicht selten taucht irgendwo die Aussage auf, dass der verdeckte Ermittler in Gedanken bereits eine Spur verfolgt, die dann aber nicht benannt wird. Auf diese Weise Spannung zu schaffen, funktioniert beim ersten Mal noch ganz gut, wirkt aber auf die Dauer etwas einfallslos.

Dem entgegen sammelt Winter bei der Beschreibung von Landschaft, Menschen und Kultur wiederum mächtig Pluspunkte. Die Darstellung von traditionellen Bräuchen und kulturellen Eigenheiten zeugt von intensiver Recherche und verleiht dem Roman auch deutlich mehr Farbe als die recht simple und schwerfällig voranschreitende Story, und ich muss auch zugestehen, dass mich hier nicht selten das Fernweh gepackt hat. Das Problem an der Sache ist, dass die eigentliche Erzählung im Zuge dessen schon mal vernachlässigt wird. Es gelingt dem Autor viel zu selten, das Land Australien und den Roman „Ein Gespür für Mord“ zu einer Einheit zu verschweißen; irgendwie läuft beides nebeneinander her. Dass ich mich zum Schluss dann doch noch gut unterhalten gefühlt habe, liegt (neben den Rahmenbeschreibungen) in erster Linie an der sehr interessanten Wendung kurz vor Schluss, die den Verlauf der Geschichte noch mal ein wenig auf den Kopf stellt. Sowieso geizt Winter nicht mit guten Ideen, nur will vor lauter Harmonie und etlichen Annäherungsversuchen der Hauptdarsteller kein richtiges Krimi-Feeling entstehen.

Für kurzweilige Unterhaltung ist „Ein Gespür für Mord“ daher auch gut geeignet; als undurchschaubarer Thriller taugt das Ganze aber nur bedingt. Australien-Liebhaber sollten aber dennoch überlegen, sich dieses recht überschaubare Werk anzuschaffen, denn die genannten Qualitäten sollten dieses Klientel definitiv zufrieden stellen. Ansonsten gilt: Kann man lesen, tut man’s nicht, hat man kein herausragendes Buch verpasst.

Christa Bernuth – Innere Sicherheit

Literarisch betrachtet ist die Auseinandersetzung mit dem System der DDR noch recht wenig abgegrastes Territorium. Besonders in der Unterhaltungsliteratur muss dieses Thema eher selten als Romanszenario herhalten. Umso schöner und interessanter, mit „Innere Sicherheit“ von Christa Bernuth einmal einen Krimiplot vor dem Hintergrund des DDR-Regimes serviert zu bekommen, verspricht doch allein schon dieser Umstand Abwechslung vom sonst oft so üblichen Einheitsbrei des Krimigenres.

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Daniel Stashower – Sherlock Holmes und der Fall Houdini

Das geschieht

Im April des Jahres 1910 steht das britische Empire auf dem Gipfel seiner Macht. Doch die Regierung weiß um die anstehenden Umwälzungen, die vor allem das aufstrebende Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm II. in den Kreis der Weltmächte drängen lassen. Diplomaten und Spione geben sich im Parlament und bei Hofe die Klinke in die Hand. Zu allem Überfluss lässt der fragile Gesundheitszustand des Königs sein rasches Ende erwarten. Seinem Sohn ist Edward leider nur als Weiberheld ein Vorbild gewesen. Kronprinz George konnte sich keinen unpassenderen Zeitpunkt für seine Liason mit der deutschen Gräfin Valenka aussuchen. Er hat ihr allerlei Briefe geschrieben, die ihn, den baldigen König George V., zu kompromittieren drohen.

Denn man hat sie gestohlen – aus dem hermetisch verschlossenen Tresorraum von Gairstone House, einem Landsitz der Regierung außerhalb Londons! Für Scotland Yard, hier vertreten durch Inspektor Lestrade, steht der Täter fest: Im Savoy-Theater tritt der Illusionist Harry Houdini auf, der als Ausländer ohnehin verdächtig ist sowie sich als Entfesselungskünster weltweit einen Namen gemacht hat. Indizien lassen auf eine Täterschaft des Künstlers schließen. Also setzt Lestrade Houdini fest. Glücklicherweise hat dessen Gattin Beatrice kurz zuvor den bekannten Detektiv Sherlock Holmes engagiert. Daniel Stashower – Sherlock Holmes und der Fall Houdini weiterlesen

Grangé, Jean-Christophe – schwarze Blut, Das

Der französische Krimiautor Jean-Christophe Grangé zählt auch international zu den Erfolgsautoren; insbesondere sein Roman [„Die purpurnen Flüsse“ 936 verkaufte sich nicht nur in den Buchläden hervorragend, auch die Verfilmung wurde zu einem Verkaufshit an den Kinokassen. Nun hat Jean-Christophe Grangé seinen neuen Thriller „Das schwarze Blut“ vorgelegt, der ebenfalls eine hervorragende Drehbuchvorlage liefert, sodass wir diese Geschichte sicherlich in absehbarer Zeit auch auf der Kinoleinwand wiederfinden werden.

Im Zentrum des vorliegenden Thrillers stehen zwei männliche Protagonisten: Auf der einen Seite lernen wir den Sensationsreporter Marc Dupeyrat kennen, der seit Jahren fasziniert ist von Morden, Mördern und ihren Motiven. Ihm gegenüber steht der Freitaucher und Massenmörder Jaques Reverdi, der seine Faszination für das Morden auch in die Tat umsetzt.

Schon in seiner Schulzeit wurde Marc mit einem blutigen Selbstmord auf der Schultoilette konfrontiert, doch spätestens, seit seine Verlobte Sophie einem brutalen Verbrechen zum Opfer fiel, möchte Marc die Beweggründe eines Mörders verstehen. Als er nun die Chance wittert, mit dem mutmaßlichen Massenmörder Jaques Reverdi Kontakt aufzunehmen, verwandelt sich Marc in „Elisabeth Bremen“ und schickt dem Mörder unter diesem Pseudonym Briefe in ein malaiisches Gefängnis.

Mit diesen Briefen trifft Marc Dupeyrat einen Nerv bei Reverdi. Zunächst stellt dieser seiner Brieffreundin Elisabeth einige unangenehme Aufgaben, um ihre Vertrauenswürdigkeit zu testen. Doch als er beginnt, ihren Ausführungen zu glauben, schickt er sie los zu einer blutigen Schnitzeljagd, auf der sie die furchtbaren Geheimnisse des französischen Massenmörders ergründen wird.

Während Reverdi also in einem malaiischen Gefängnis auf seinen Prozess wartet, wandelt Marc auf Reverdis Spuren und findet sukzessive heraus, auf welch grausame Weise Reverdi seine Opfer ermordet hat. Nach und nach verwandelt Marc sich gedanklich dabei immer mehr in den Massenmörder, er versetzt sich in die Lage des Mörders und schleicht sich in dessen Gedanken ein, doch in seinen Briefen ist Marc wieder die bewundernde Elisabeth, nur sein eigentliches Ich rückt immer weiter in den Hintergrund.

Am Ende erkennt Marc das Geheimnis des schwarzen Blutes und möchte aus diesem Wissen Profit ziehen, doch ahnt er noch nicht, welche Folgen sein Handeln haben wird; denn Reverdi gelingt die Flucht aus dem Gefängnis und hiermit beginnt sowohl für Marc wie auch Khadidscha, die Pate gestanden hat für „Elisabeth Bremens“ Foto, ein Alptraum …

In routinierter Weise erzählt Jean-Christophe Grangé seine gut durchdachte Geschichte. Zunächst steht die Entwicklung der Hauptcharaktere im Mittelpunkt der Erzählung. Hier lernen wir auf fast hundert Seiten die beiden männlichen Hauptfiguren kennen, die auf den ersten Blick gar nichts gemeinsam zu haben scheinen, die sich dann aber doch ähnlicher sind, als den beiden bewusst ist. Grangé entwickelt hierbei interessante Charaktere und gibt ihnen einen persönlichen Hintergrund, der den Figuren Leben einhaucht und sie größtenteils glaubwürdig erscheinen lässt. Insbesondere der undurchschaubare und mutmaßliche Massenmörder Jaques Reverdi, der seine Opfer brutal misshandelt und ermordet, birgt eine unglaubliche Faszination. Reverdi ist leidenschaftlicher Freitaucher und erreicht größere Tiefen als alle seine Konkurrenten, er findet seine persönliche Erlösung in der [Apnoe,]http://de.wikipedia.org/wiki/Apnoe die auch bei seinen Mordritualen eine große Rolle spielt.

Der Beginn des Buches mutet zunächst etwas ziellos und gemächlich an, es kommt nicht so recht Spannung auf, außerdem bleibt unklar, worauf Grangé hinaus will; ganz langsam entwickelt er seine Geschichte und setzt Stein auf Stein, bevor er sein Erzähltempo anzieht und uns mitnimmt auf den Weg der Erkenntnis. Die ersten hundert Seiten lesen sich daher recht schleppend, doch dann reißt uns die Story mit und entführt uns an exotische Tatorte, die dem Leser einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Eins ist klar: Grangé verheimlicht nichts, er präsentiert uns haarklein die grausamen Mordrituale und beschönigt nichts.

In dem Moment, wo Marc sich auf die Reise nach Südostasien begibt, nimmt die Erzählung ein unglaubliches Tempo auf, das einen nicht mehr loslässt. Wir werden ähnlich gepackt wie Marc Dupeyrat und möchten unbedingt das Rätsel des schwarzen Blutes ergründen und erfahren, wie aus dem vaterlosen kleinen Jungen Jaques Reverdi ein kaltblütiger Killer werden konnte.

Jean-Christophe Grangé beweist nicht nur eine blühende und grausige Fantasie, sondern auch ein großes Erzähltalent, denn er schafft es, uns Personen und Situationen bildlich vor Augen zu führen. Wenn sich Marc im Unwetter auf eine kleine düstere Insel begibt und Reverdis Mordhütte aufsucht, wenn dort der Bambus raschelt und Marc im Dunkeln eine konservierte Leiche ausgräbt, bekommen wir eine Gänsehaut und sind hautnah dabei, wir können uns dieser Geschichte nicht mehr entziehen. Empfindliche Leser sollten daher von diesem Buch lieber Abstand nehmen und auf einen neuen Roman von Rosamunde Pilcher warten, doch Fans von Thomas Harris und Jonathan Nasaw werden hier auf ihre Kosten kommen, zumal Grangé einige deutliche Anleihen bei Harris vornimmt, wenn beispielsweise Reverdi zunächst in Elisabeth Inneres vordringen will, bevor er ihr selbst etwas anvertraut. Das Hannibal Lector’sche „quid pro quo“ wird hier zitiert, aber auch an anderer Stelle erinnert Grangé an „Das Schweigen der Lämmer“.

Der Spannungsbogen setzt zwar vergleichsweise spät ein, doch ist er durchaus gelungen, da er mitzureißen weiß. Nur am Ende übertreibt es Grangé; hier möchte er noch mal alles umkrempeln und greift einmal zu oft in die Trickkiste, sodass dem erfahrenen Thrillerleser beim Zuklappen des Buches doch ein müdes oder sogar genervtes Lächeln auf die Lippen kommt. Am Ende wird man das Gefühl nicht los, dass Grangé mit der Brechstange versucht hat, seinem Buch ein innovatives Ende zu geben, doch so ganz kann es einfach nicht überzeugen.

Auch einige logische Unstimmigkeiten trüben den Lesegenuss, denn Reverdi ist auf der einen Seite der eiskalte und überlegte Killer, der mit ausgefeilten Methoden arbeitet und nie Interviews gibt, doch dann verliebt er sich Hals über Kopf in eine fremde Brieffreundin und vertraut ihr seine innersten Geheimnisse an, er macht sie praktisch zu seinem Lehrling und schickt sie blindlings auf den Weg der Erkenntnis. Das nehme ich dieser Romanfigur einfach nicht ab. Auch Marc Dupeyrat offenbart eine nervtötende Naivität, wenn er nach seiner Rückkehr einen Bestseller über Reverdi verfasst und tatsächlich zu glauben scheint, dass niemand die Parallelen erkennen würde oder dass er mit seinen Holzfällermethoden den Killer überlisten könnte. Dem Ganzen die Krone setzt allerdings die Szene auf, in der Reverdi und Khadidscha schließlich vor Reverdi fliehen müssen und dabei die sicheren Mauern eines großen Hotels verlassen, um lieber zu Fuß des Nachts in einen dunklen Wald zu flüchten, obwohl dies bislang immer Reverdis liebste Mordkulisse war und ihr Auto direkt vor dem Hotel steht.

Doch wird sich „Das schwarze Blut“ sicherlich trotz dieser Schönheitsfehler blendend verkaufen und auch verfilmen lassen; vielleicht steht Jean Reno hier zur Abwechslung einmal Pate für den Killer Reverdi, die Rolle des Dupeyrat wird sich wohl kaum mit Reno besetzen lassen. Jean-Christophe Grangé ist mit diesem Thriller sicherlich kein großer Wurf gelungen, dafür leistet er sich zu viele Schnitzer, nichtsdestotrotz gefällt das vorliegende Buch ganz gut, vertreibt es einem doch auf unterhaltsame Weise die Zeit bis zum nächsten Nasaw oder einem besser durchdachten Grangé.

Cook, Thomas H. – Verhör, Das

Mit „Das Verhör“ hat sich Thomas H. Cook in die absolute Meisterklasse des abgründig düsteren Psychothrillers eingeschrieben, und wer gern Krimis mit dem freundlichen Prädikat „entspannende Unterhaltung“ liest, sollte besser die Finger davon lassen. Eine Ewigkeit ist das her, dass ich einen Krimi tatsächlich(!) nicht mehr aus der Hand legen konnte, z. B. als ich vor Jahren diese Schwäche für Danny Upshaw entwickelte. Danny Upshaw, der direkt aus James Ellroys L.A. der 50er kam (vgl.: „Blutschatten“), ist eine dieser Figuren, die man nicht vergessen kann, ebenso wenig wie die unbehaglichen, ja peinlichen Momente, die mit einer derartigen Lektüre einhergehen: Wenn man nämlich spät nachts anstatt endlich zu schlafen ins Dunkle hineinhorcht und plötzlich unzählige verdächtig knarrende Geräusche im stillen Haus wahrzunehmen glaubt.

Thomas H. Cooks Psychothriller „Das Verhör“ spielt ebenfalls in den 50er Jahren und ist ebenso fesselnd, so cool und düster beängstigend wie ein Ellroy – mit der Garantie, dass Cooks Figuren einen nicht so schnell wieder loslassen werden.

Es sind nur noch 12 Stunden, die der Polizei bleiben, um den Hauptverdächtigen, Albert Jay Smalls, des Mordes an einem achtjährigen Mädchen zu überführen. Gelingt es ihnen in diesen wenigen Stunden nicht, Smalls in einem letzten Verhör zu einem Geständnis zu bewegen, ist der völlig verwahrloste Obdachlose wieder ein freier Mann. Ein Bürger, der sich wieder im Park herumtreiben wird und der mit seiner Vorliebe für kleine Mädchen vielleicht jetzt schon sein nächstes Opfer in Gedanken vor sich sieht. Dem Polizeichef persönlich liegt viel an der Aufklärung des Falles, und so setzt er in dieser letzten Nacht seine besten Leute auf Smalls an, dem, sollte er im regulären Verhör die Tat nicht gestehen, ein Verhör der anderen Art droht. Doch zunächst versucht das eingespielte Team Norman Cohen und Jack Pierce den verschüchterten, schweigenden Verdächtigen, dem seine Schuld auf die Stirn geschrieben zu sein scheint, unter Druck zu setzen. Als dieser in einem unbedachten Moment ein Detail aus seiner Jugend preisgibt, verfolgt Pierce die Spur, die ihn in Smalls Vergangenheit führt, während Cohen das Verhör allein fortsetzt. Ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem nicht nur der Verdächtige bedrohlich nah an die Grenzen der nervlichen und körperlichen Belastbarkeit stoßen wird.

„Das Verhör“ ist (wie z. B. auch der gleichnamige Film mit Romy Schneider und Lino Ventura – ein Klassiker, der Cook als Vorbild gedient haben mag) ein großartig subtil gezeichnetes Psycho-Kammerspiel. Durch Rückblenden, Nebenschauplätze und einhergehende Handlungsstränge wird es jedoch aufgelockert, so dass die Action durchaus nicht zu kurz kommt. Dennoch sind es die finsteren Strömungen der Seele, die Abgründe der Psyche, die Cook nie aus den Augen verliert. Unterschwellig brodeln sie in jeder der Figuren, und dem Autor gelingt es exzellent, immer wieder das eine Thema der „Fehler und Irrtümer“ in zahlreichen Variationen an seinen ebenso unterschiedlichen wie überaus realistischen Charakteren durchzuspielen. Nach dem zwölfstündigen Verhörmarathon hat sich die ganz persönliche Verzweiflung fast jeder Figur offenbart. Ein Seelenstriptease, der immer neue Fragen aufwirft und der gerade, weil er lediglich mögliche Antworten und Erklärungen aufzeigen kann, im Laufe der Handlung immer spannender wird. Wie grausam und clever aber Cook seine Handlungsstränge wirklich verwoben hat, wird erst auf der letzten Seite deutlich, das ist absolut famos! Der Stil ist eigentlich leicht zu durchschauen: Eine einzige Suggestion ist es, der man sich jedoch nicht entziehen kann und die eine ungeheuer dunkle Atmosphäre schafft. Das Verhör ist äußerst beunruhigend, beklemmend. Es ist aber auch sehr urban, verdammt sexy. Ein absolutes Muss.

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Blaudez, Lena – Spiegelreflex. Ada Simon in Cotonou

Die Projektionsfläche, die Afrika, ‚der dunkle Kontinent‘, bietet, ist groß und scheint allzu häufig durch eine eher naive Faszination für das Exotische bestimmt. Nomaden, Naturvölker und natürlich auch Vodou; der direkte Kontakt zur Natur, zu Übersinnlichem und den Verstorbenen erscheinen ebenso verlockend wie beängstigend. Dazu gesellt sich eine grausame Geschichte, die in den Köpfen vorwiegend durch den immer wieder in Mode kommenden Kolonialstil und Hollywood-Verfilmungen präsent ist. Hinzu kommt, dass das weltpolitische Tagesgeschehen oft derart brisant scheint, dass Hungersnöte, Epidemien, Völkermorde und Diktaturen in Afrika schnell zur Randnotiz werden. Ein Kontinent, der im Chaos zu versinken scheint. Vor allem im frankophonen Raum Schwarzafrikas gibt es allerdings immer mehr hervorragende SchriftstellerInnen, die uns Europäern spannende, andere und ungeahnte Einblicke in das afrikanische Denken und Handeln geben könnten. Könnten, da viele Texte oft gar nicht erst ins Deutsche übersetzt werden. Weitaus angenehmer scheint es nämlich, sich dem Fremden, dem Exotischen über das Bekannte zu nähern. Und so stapeln sich die Werke überraschend vieler deutsch-afrikanischer schriftstellernder Prinzessinnen, Massais etc. in den Buchläden und finden reißenden Absatz.

Und jetzt also auch noch ein Krimi! Einer, der mitten in Westafrika, im kleinen Staat Benin, spielt. Von einer deutschen Autorin – die sich allerdings auszukennen scheint, die der erotischen Exotik nicht wirklich erliegt und deren Debütroman fast in jeder Hinsicht hinreißend und überzeugend gelungen ist.

Ada Simon, die Protagonistin in Lena Blaudez‘ „Spiegelreflex“, liebt Afrika, und insbesondere das westafrikanische Benin ist für sie zu einer zweiten Heimat geworden. Als Fotoreporterin hat sie das Land schon oft bereist und kennt sich für eine Europäerin hervorragend aus. Und da sich Fotos von Afrikanerinnen, die auf traditionelle Weise ihre Produkte herstellen, gut in die westlichen Industrienationen verkaufen lassen, kann sie hier bestens ihrem viel geliebten Beruf nachgehen. Dass derartige Reisen für eine |yovo|, ein Weiße also, nicht ganz ungefährlich sind, merkt Ada direkt nach der Ankunft am Flughafen. Denn anstatt sie zu ihrem Hotel zu fahren, entführt sie der Taxifahrer in einen dunklen Hinterhof, wo offensichtlich Menschen für den Vodou-Kult ‚gesammelt‘ werden. Als Europäerin hat Ada aber noch mal Glück, denn in Afrika ist ‚eine weiße Leiche eine besondere Leiche‘, und somit handelt man sich mit entführten, getöteten |yovos| nur unnötigen Ärger ein.

Am nächsten Morgen scheint das Leben wieder in Ordnung zu sein. Ada genießt die Atmosphäre und trifft ihren alten Freund Patrick in Papa Pauls |Champagner-Bar|. Die Freude über das Wiedersehen ist groß, zu erzählen gibt es viel. Ada schmiedet Pläne für ihre Fotoreise und knipst sich – wie Fotografen das nun einmal tun – durch die Bar, um das Flair festzuhalten. Als kurz darauf Patrick erschossen wird, ist bald klar, dass Ada den Mörder abgelichtet haben muss. Und dass ein derartiger Beweis von skrupellosen Mördern nicht hingenommen werden kann, versteht sich ebenfalls von selbst. Die Bedrohung wird überdeutlich, doch Ada macht sich trotz aller warnenden Einschüchterungsversuche auf ihre Reise durch das Land, beschützt nur durch ein Gris-Gris und eine Vodou-Zeremonie.

Wohl nicht ohne Hintergedanken lässt die Autorin Blaudez ihre Protagonistin Ada Simon während ihrer Reise immer wieder in Bulgakows „Der Meister und Margarita“ lesen. Handelt es sich doch hierbei um ein Hauptwerk russischer Literatur über Moral, Unterdrückung und Geldgier, in dem übrigens die Schwarze Magie keine unbedeutende Rolle spielt. Und zweifelsohne ist auch Spiegelreflex. Ada Simon in Cotonou ein Sittenbild nicht nur der afrikanischen Kultur. Ein spannendes Sittenbild voller Abenteuer, das Gut und Böse in vielerlei Schattierungen aufzeichnet und das Zeitgeschehen mit dem Übersinnlichen verflechtet. Das gelingt so faszinierend, dass es kaum stört, dass die eigentliche Krimihandlung etwas dürftig – dafür aber immerhin sehr realistisch anmutet. Korruption, Kredite, Spenden, Bodenschätze: Es sind das Geld und die Macht, die regieren, die ganz privaten Vorteile eines jeden. Und über allem regiert der Vodou, der Staatsreligion ist. Ada Simons Fotoreportage wird eine Reise von Projekt zu Projekt und niemanden scheint es zu stören, dass, sind die Gelder einmal geflossen, weitere Unterstützung, Ersatzteile etc. benötigt werden, um tatsächlich Hilfe zu leisten. Die Jagd nach den richtigen Fotos, der richtigen Kameraeinstellung wird mit der Zeit zunehmend zur Flucht vor Patricks Mördern. Ada Simon erscheint dabei ebenso professionell wie naiv. Extrem cool auf alle Fälle, wenn sie durch die Wüste rast, ohne Passierschein dazu gezwungen ist, Beamte zu bestechen, afrikanische Frauen beim Hirsestampfen fotografiert oder über afrikanische Märkte bummelt, um die Ingredienzien für eine Vodou-Zeremonie zu besorgen. Ada ist von dem Land, durch das sie fährt, das sie in Bildern dokumentiert, fasziniert. Sie lässt sich auf die Kultur ein, ohne den Anspruch, sie zu vollends zu verstehen. Vor allem aber lässt sie sich durch nichts so schnell beeindrucken.

Bemerkenswert an „Spiegelreflex“ ist vor allem der Stil. (Wenig ‚fraulich‘ soll er sein, was wohl heißen soll: Auch Männer dürfen sich an die Lektüre wagen?) Wie der Titel es vorgibt, erzählt Lena Blaudez wie durch die Perspektive einer Kamera reflektiert und distanziert, beschreibt mal schonungslos drastisch, mal liebevoll, fast immer amüsant in unendlichen Facetten den afrikanischen Alltag. Mal bietet sie mit dem Breitwinkel ein buntes Panorama, mal zoomt sie wie beiläufig dicht an Persönliches, Menschliches, Tragisches. Wir sehen einen Teil Afrikas durch Adas Linse, wir hören, riechen, fühlen und schmecken mit ihr – und das macht eindeutig Lust auf mehr! Und da der zweite Band schon geschrieben sein soll und Ada Simon auf den letzten Seiten von Spiegelreflex plant, nach Kamerun aufzubrechen, bleibt am Ende nur die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Vielleicht ja in Douala! Oder am Strand von Limbé?

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

John Sandford – Kalter Schlaf

Das geschieht:

Lucas Davenport, Ermittler in der Abteilung Öffentliche Sicherheit im Stab des Gouverneurs von Minnesota, wird gerufen, wenn sich ein Verbrechen ereignet, das sich nicht ins übliche kriminalistische Raster fügt. Der Mord an dem Russen Oleschew in der Stadt Duluth fällt in diese Kategorie, hat man ihn doch mit einer Waffe erschossen, die mehr als ein halbes Jahrhundert alt sein muss.

Hektik bricht aus, als sich herausstellt, dass der Ermordete der Sohn eines einflussreichen Geschäftsmanns ist, der es im neuen Russland zu Macht und Geld sowie besten Verbindungen zur Regierung gebracht hat. Außerdem werden ihm Verbindungen zur russischen Mafia nachgesagt. Der zornige Vater fordert Aufklärung, aus Russland schickt man die „Ermittlerin“ Nadeschda Kalin. Das ruft den US-Geheimdienst auf den Plan, der nicht ohne Grund vermutet, dass Kalin zur ‚Konkurrenz‘ gehört und mehr weiß als sie verlauten lässt. John Sandford – Kalter Schlaf weiterlesen

Jonathan Latimer – Rote Gardenien

Das geschieht:

Ein neuer Fall für William Crane, der in der Detektivagentur des knurrigen Colonel Black arbeitet. Der Industriemagnat Simeon March will den mysteriösen Tod seines Sohnes aufgeklärt wissen. John March wurde tot in der Garage gefunden, erstickt an den Abgasen seines Wagens, den er angeblich reparieren wollte. Leichtsinn, meint die Polizei, die nicht irritiert, das auch Johns Cousin Richard einem ähnlichen ‚Unfall‘ zum Opfer fiel.

Simeon March scheut den Skandal, den ein Mord in der Familie bedeuten würde. Er verdächtigt Carmel, seine Schwiegertochter, die mit John keine gute Ehe geführt hat. Auch mit Richard war sie sehr vertraut, und jetzt zieht sie die Aufmerksamkeit von Peter, dem jüngeren March-Sohn, auf sich. Zu denken gibt March sr. auch, dass über den Leichen von Richard und John deutlich der Duft von Gardenien schwebte, die in Carmels Lieblingsparfüm reichlich Verwendung finden. Jonathan Latimer – Rote Gardenien weiterlesen

Remin, Nicolas – Venezianische Verlobung

Nicolas Remin schaffte mit seinem Debütroman [„Schnee in Venedig“ 1987 auf Anhieb den Weg auf die deutschen Bestsellerlisten. Seine Erfolgsfaktoren waren sicherlich einmal sein sympathischer und verarmter Krimiheld Commissario Tron, aber auch Remins netter Schreibstil und die wunderbar romantische Szenerie haben sicherlich sehr zum Erfolg des Buches beigetragen. So verwundert es nicht weiter, dass Nicolas Remin in der „Venezianischen Verlobung“ auch wieder auf diese verkaufsträchtigen Komponenten zurückgreift, um seine Leser erneut gut zu unterhalten und mit seinem Roman in das Venedig des 19. Jahrhunderts zu entführen.

In Remins zweitem Roman dreht sich alles um die venezianische Verlobung zwischen Commissario Tron und seiner Angebeteten, der Principessa di Montalcino. Die beiden sind zwar offiziell ein Paar, doch wird die Hochzeit immer weiter aufgeschoben, sodass Trons Mutter es langsam mit der Angst zu tun kriegt. Der Palazzo Tron befindet sich in seiner Auflösung, es kann nicht mehr richtig geheizt werden und es regnet durch das undichte Dach hinein, sodass Trons Mutter keine andere Möglichkeit sieht, als Nutzen aus der geplanten Hochzeit zu ziehen und sich dadurch einen Kredit bei der Bank zu besorgen. Doch die Principessa plagen auch Geldnöte, wie sie ihrem Verlobten bald anvertraut. Helfen kann ihr wiederum der gute Name der Trons mitsamt der jahrhundertealten Tradition der Familie Tron.

Doch dies ist nur das schmückende Beiwerk, das die eigentliche Kriminalhandlung abrundet und das Buch noch unterhaltsamer macht. Im Zentrum der Geschichte steht der Mord an Anna Slataper, der politischen Hintergrund zu haben scheint, da Anna die Geliebte des Erzherzogs Maximilian war, also des Bruders des Kaisers von Österreich, der nun selbst Kaiser von Mexiko werden soll. Der Fall wirkt sonnenklar, denn Maximilian scheint sich seiner Geliebten entledigt zu haben, als sein eigener politischer Aufstieg bevorstand. Doch so geradlinig ist Remins Romanhandlung nicht, denn er fügt seiner Geschichte weitere Komponenten hinzu:

Wir lernen das arme Waisenmädchen Angelina Zolli kennen, das Commissario Tron zunächst bestiehlt, ihm dann aber aus Mitleid seine Geldbörse zurückgibt, weil Angelina merkt, dass er selbst nicht viel Geld besitzt. Angelina wird Zeugin des Mordes an Anna Slataper, erkennt von dem Mörder zunächst aber nur sein Hinken. Erst später kann sie sich an weitere Details erinnern und versucht auf eigene Faust, den Täter zu stellen. Im Laufe der Romanhandlung treffen wir auf zwielichtige Gestalten, die alle scheinbar etwas zu verbergen haben, auch Erpressung ist im Spiel, denn Anna Slataper hat zusammen mit einem berüchtigten Fotografen zusammen kompromittierende Fotos erstellen lassen, die nun zu Geld gemacht werden sollen. Aber was wirklich hinter dem Mord an Anna Slataper steckt, das erfahren wir erst ganz am Ende, wenn Nicolas Remin seine einzelnen Handlungsfäden für uns entwirrt.

In ähnlicher Manier wie auch schon in „Schnee in Venedig“ beweist Nicolas Remin erneut, dass er nicht nur über eine wunderbare Beobachtungsgabe verfügt, sondern auch über ein beachtliches Erzähltalent. Seine Dialoge wirken herzerfrischend und stecken voller Wortwitz, sodass wir beim Lesen nicht selten ein Lächeln auf den Lippen haben, weil wir uns die beschriebenen Situationen bildlich vorstellen und dabei einfach amüsiert sein müssen. Bis ins kleinste Detail entwickelt Remin seine Figuren und Szenerien, er erzählt uns von Commissario Tron, der die Zeitschrift mehrfach abonniert hat, die er selbst herausgibt, nur um den Verkaufserfolg voranzutreiben. Doch dann fällt seinem Vorgesetzten Spaur ein, dass er mit „selbst geschriebenen“ (also vielmehr abgeschriebenen) Gedichten seine Geliebte beeindrucken kann. So kommt es schließlich, dass Tron in seiner geliebten Zeitschrift, dem Emporio della Poesia, neben Gedichten von Baudelaire auch die zusammengestückelten Verse seines Chefs abdrucken muss. Zeitgleich muss Tron sich mit seiner Mutter herumquälen, die seine bevorstehende Hochzeit schamlos für ihren finanziellen Vorteil ausnutzen will und Tron damit in eine peinliche Situation zu bringen droht. Die gesamte Rahmenhandlung wirkt insgesamt sehr durchdacht und ausgefeilt; Nicolas Remin zeigt uns, dass ein Kriminalroman mehr ist als nur ein brutaler Mord mit einer anschließenden Hetzjagd.

Besonders Remins Charaktere gefallen äußerst gut. Die meisten von ihnen haben wir bereits in „Schnee in Vendig“ kennen gelernt, doch nun erfahren wir neue Facetten dieser Personen, außerdem kommen neue Figuren hinzu, die ebenfalls ihren Raum in der Geschichte erhalten. Remin füllt seine Figuren aus, haucht ihnen Leben ein und macht sie uns dadurch unglaublich sympathisch. Obwohl das gesamte Geschehen im 19. Jahrhundert spielt, ist Commissario Tron jemand, mit dem man gerne einen Kaffee trinken gehen würde, weil er einfach nett und freundlich auftritt.

Leider kann die eigentliche Krimihandlung nicht ganz mit der Rahmengeschichte mithalten. Während die Geschichte zunächst geradlinig beginnt und klar zu sein scheint, welche Motive und welcher Täter hinter dem Mord an Anna Slataper stecken, so kommen nach und nach immer neue Verdächtige ins Spiel, sodass sich die Spekulationen irgendwann ziemlich im Kreise drehen. Die Verdächtigungen werden wie ein Ball hin- und hergeworfen; hier kommt man gedanklich kaum hinterher, zumal man Remins Gedankengänge nicht immer nachvollziehen kann. Zum Ende hin scheint Nicolas Remin sich in einem unübersichtlichen Wust von gegenseitigen Verdächtigungen zu verlieren, der kaum entwirrbar scheint. Das Romanende wirkt daher alles andere als überzeugend, die Motive werden uns nicht ganz klar, sodass das befriedigende Aha-Erlebnis am Ende leider ausbleibt.

Dennoch kann Nicolas Remin auch mit seinem Folgeroman überzeugen, da er erneut beweist, dass er herrliche Charaktere und Dialoge voller Wortwitz und Situationskomik entwerfen kann. Das Lesen eines Remin macht einfach Spaß, sodass man dem Autor wieder einmal kleine logische Ausrutscher in der eigentlichen Krimihandlung verzeiht.

Asensi, Matilde – verlorene Ursprung, Der

Mit ihrem Verschwörungsthriller „Wächter der Kreuzes“ schaffte die spanische Autorin Matilde Asensi den internationalen Durchbruch. Mit dem „verlorenen Ursprung“ legt sie nun einen neuen Spannungsroman vor, der sich der geheimnisvollen Geschichte der Inkas angenommen hat. Auch in ihrem aktuellen Roman hat sich Asensi ein faszinierendes Thema herausgegriffen, das ein packendes und interessantes Buch vermuten oder zumindest doch erhoffen ließ. Leider kann Asensi diese Erwartungen mit dem vorliegenden Buch jedoch nicht erfüllen. Dabei beginnt „Der verlorene Ursprung“ zunächst äußerst viel versprechend:

Den Programmierfreak und Internetspezialisten Arnau Queralt („Root“) erreicht die Nachricht, dass sein Bruder Daniel mit merkwürdigen Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Daniels Frau Mariona ist verzweifelt, denn Daniel reagiert nicht mehr und bittet um seine eigene Bestattung, da er sich für tot hält. Auch die Ärzte wissen nicht, was mit Daniel los ist, seine Symptome entsprechen zwei verschiedenen, wenig untersuchten Krankheitsbildern. Als kein Medikament eine Verbesserung hervorruft und Daniel immer wieder unbekannte Worte von sich gibt, beginnt Arnau, eigene Nachforschungen anzustellen.

Von seiner Schwägerin Mariona lässt er sich zeigen, woran der Archäologieexperte Daniel vor Auftreten seiner Krankheit gearbeitet hat. Daniels Forschungsunterlagen führen Arnau auf die Spuren der Inkas und einer perfekten Sprache, dem Aymara. In seiner Verzweiflung wendet Arnau sich an Daniels Chefin Marta Torrent, die behauptet, Daniel habe die Aymara-Dokumente ohne ihre Erlaubnis entwendet. Arnaus Misstrauen wächst, da er seinen Bruder für absolut vertrauenswürdig hält, doch muss er im Laufe seiner Nachforschungen feststellen, dass er seinen Bruder wohl doch nicht so gut gekannt zu haben scheint …

Zusammen mit seinen engsten Mitarbeitern Marc („Jabba“) und Lola („Proxi“) findet Arnau immer mehr faszinierende Details über die Inkas heraus, die sein Weltbild ins Schwanken geraten lassen. Die Drei entdecken schier unglaubliche Dinge und Dokumente, die sie auf die Spur einer in Vergessenheit geratenen Zivilisation bringen. Schließlich fliegen die drei Computerspezialisten zusammen nach Bolivien, um ihre Entdeckungsreise im geheimnisvollen Tiahuanaco fortzusetzen. Dort begeben sich Arnau, Marc und Lola zum „Grab des Reisenden“, wo sie gefährliche Rätsel zu lösen haben, doch dann stellen sie fest, dass sie nicht die Einzigen sind, die das Rätsel um das Volk der Yatiri lösen wollen …

Im Grunde genommen hat sich Matilde Asensi vielversprechende Zutaten für ihren neuen Roman herausgesucht, die zusammen sicherlich ein packendes Ganzes hätten ergeben können, doch ist Asensis Mischung in diesem Fall nicht ganz gelungen. Dabei beginnt alles positiv und lässt auf einen spannenden Fortgang der Geschichte hoffen. Zu Beginn werden wir der Hauptfigur Arnau Queralt vorgestellt, der als erfolgreicher Jungunternehmer und Internetspezialist bekannt ist, sich in seiner Freizeit allerdings gerne zusammen mit Jabba und Proxi in fremde Rechner einhackt. Arnau wohnt in einer faszinierenden High-Tech-Welt, nämlich in einer Wohnung, in der er sprachgesteuert für seinen eigenen Luxus sorgen kann.

Spannend wird es, wenn diese technisierte Zukunftswelt zusammenprallt mit der alten Inka-Kultur, die viele tausend Jahre in die Vergangenheit zurückreicht und dennoch nicht minder perfekt und modern anmutet. So müssen schließlich Root, Jabba und Proxi im finsteren Dschungel Boliviens Abschied nehmen von ihren technischen Errungenschaften; dort beginnt Arnau schließlich, sein Leben und seine Einstellung zu überdenken, sodass er aus seinem spannenden Abenteuer fast schon als geläuterter Mensch hervorgeht. Dies ist auch bereits einer der wesentlichen Kritikpunkte, denn Asensis Romanfiguren bieten wenig Angriffsfläche, ihre Charaktere wirken glatt und oberflächlich. Allen voran wären hier die beiden so unterschiedlichen Brüder zu nennen: Auf der einen Seite steht der reiche und erfolgreiche Besitzer einer hochdotierten Internetfirma, auf der anderen sein nicht minder intelligenter Bruder, der sich als Dozent für Archäologie einen Namen gemacht hat. Doch schwelt die Eifersucht zwischen den Brüdern, da Daniel neidisch ist auf Arnaus finanziellen Erfolg. Dies ist abgesehen von Daniels plötzlicher Krankheit allerdings die einzige Gewitterwolke, die am Queralt’schen Himmel aufzieht.

Auch Arnaus Angestellte Jabba und Proxi wirken wenig authentisch, zu perfekt und mutig agieren sie, obwohl sie ihren Tag ansonsten vor dem Computermonitor verbringen und dem Dschungel vorher höchstens mit dem Finger auf der Landkarte näher gekommen sind. Dennoch meistern sie die Schwierigkeiten und Gefahren des Dschungels fast schon meisterhaft, was uns beim Lesen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann, wenn man sich den beleibten Jabba (der seinen Spitznamen aufgrund seiner Ähnlichkeit mit der bekannten Figur Jabba the Hutt aus „Star Wars“ erhalten hat …) vorstellt, wie er sich mit seiner Machete bewaffnet einen Weg durchs Dickicht freikämpft. Natürlich darf auch nicht die Liebesgeschichte fehlen, die sich im Dschungel zwischen zwei einstmals verfeindeten Menschen entspinnt, als sie erkennen müssen, dass doch alles ganz anders ist, als es zuvor den Anschein hatte.

Zentrum der Romanhandlung sind schließlich die gut recherchierten Informationen über die Inkazeit und die Dokumente der Yatiri und ihrer Sprache Aymara. Hier offenbart Matilde Asensi, dass sie sich wahrlich meisterhaft in das Thema eingelesen zu haben scheint. Doch ist hier das wohl größte Manko des vorliegenden Buches festzumachen, da Asensi eine wahre Informationsflut über ihre Leser ergießt und damit auch den ausdauerndsten Leser zwangsläufig überfordern muss. Wer nicht gerade die Inkazeit als persönliches Steckenpferd auserkoren hat und demnach besonderes Interesse an diesen Details mitbringt, wird bei der Lektüre des Buches mit ziemlicher Sicherheit oftmals gelangweilt sein. Fast die Hälfte des Buches handelt von den Yatiri und ihrer verlorenen Kultur, sodass die eigentliche Rahmengeschichte über weite Strecken so sehr in den Hintergrund tritt, dass man fast schon vergessen kann, dass man eigentlich kein Sachbuch liest, sondern einen Roman. Erst zum Ende hin fängt Asensi sich wieder, wenn sie von der Dschungelexpedition berichtet und ihre Romanfiguren wieder in den Mittelpunkt der Erzählung stellt.

Hinzu kommt, dass man lange Zeit nicht weiß, worauf Matilde Asensi eigentlich hinaus will; so liest man etwas ziellos weiter und vermisst leider auch einen Spannungsbogen. Die Geschichte fließt ziemlich zäh dahin und man muss immer wieder geduldig warten, bis man neue Informationshäppchen vorgeworfen bekommt, die nicht nur die historischen Ausführungen vorantreiben, sondern die eigentliche Romanhandlung. Zum Ende hin entwirft Asensi schließlich einige Ideen bzw. Theorien (Fantasien?) über die Entstehung des Lebens auf der Erde, die für meinen Geschmack doch etwas zu abenteuerlich ausgefallen sind.

Sprachlich dagegen gefällt Asensis aktuelles Buch wieder einmal sehr gut, denn die Autorin beweist, dass sie schreiben und wohlakzentuiert formulieren kann. Ihre Schreibweise wirkt auf den ersten Seiten zwar etwas schwerfällig, ist dann aber sehr angenehm zu lesen und positiv hervorzuheben, da Asensi nicht auf den Zug derjenigen Autoren aufspringt, die einem Hauptsatz allerhöchstens noch einen knappen Nebensatz widmen, um ihre Bücher bloß nicht zu kompliziert wirken zu lassen.

Insgesamt bleibt jedoch ein eher mittelmäßiger Eindruck zurück und vor allem Enttäuschung darüber, dass Asensi aus diesem spannenden und faszinierenden Thema nicht mehr herausgeholt hat. Und dabei hätte im Prinzip nicht viel gefehlt, um den „verlorenen Ursprung“ zu einem genialen Buch zu machen. Die Zutaten waren wirklich vielversprechend, doch hätte ich mir eine deutlich straffere Erzählweise in den historischen Exkursen gewünscht und dazu Romanfiguren mit Ecken und Kanten, denen man den Überlebenskampf im Dschungel auch abgenommen hätte. So aber hat Asensi leider viel Potenzial ungenutzt gelassen; vielleicht hätte sie ihre langen Inka-Ausführungen lieber für die besonders interessierten Leser in einen Anhang packen sollen, das hätte ihrem Roman sicher gut getan und vor allem auch dafür gesorgt, dass „Der verlorene Ursprung“ ein breiteres Publikum erreicht.

John Cassells – Der graue Geist

Ein englischer Landsitz wird zum Schauplatz von Erpressung und Morden, denen ein Ermittler von außerhalb ein Ende zu machen trachtet … – Band 10 der Superintendent-Flagg-Serie ist ein „Whodunit“ der reinen Form. Der Tatort bleibt abgeschottet, die Zahl der Verdächtigen überschaubar, das Spiel folgt den bekannten Regeln: John Cassells leistet er gute Arbeit und liefert keinen klassischen aber einen unterhaltsamen Krimi der alten, gemütlichen Schule.
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Thompson, Carlene – Frag nicht nach ihr

Eines Nachts verschwindet die neunzehnjährige Dara Prince aus ihrem Elternhaus. Alle paar Monate erhält ihr Vater Ames eine Postkarte mit spärlichen Informationen und klammert sich an die Hoffnung, dass seine Tochter noch lebt.

Drei Jahre später spült der Fluss nach Überschwemmungen eine in einen Plastiksack gehüllte Frauenleiche ans Land. Alles deutet darauf hin, dass es sich um Dara handelt und dass sie bereits in der Nacht ihres Verschwindens ermordet wurde. Der junge Deputy Michael Winter stößt bei seinen Ermittlungen in ein Wespennest:

Zur Familie gehören auch die Geschwister Christine und Jeremy, die nach dem Tod ihrer Eltern von Ames Prince als Mündel aufgenommen wurden. Der gut aussehende Jeremy ist zwar bereits einundzwanzig Jahre alt, steht geistig jedoch auf dem Stand eines zwölfjährigen Kindes. Während er Dara vergötterte, kam die vernünftige Christine nur schwer mit ihr aus. Auch Daras Stiefmutter Patricia, die Ames nach dem Tod seiner ersten Frau Eve heiratete, stand mit Dara auf Kriegsfuß. Ganz zu schweigen von all den Dorfbewohnern, die Dara hinter ihrem Rücken als Flittchen bezeichneten.

Im Gegensatz zu Ames war Christine schon lange von Daras Tod überzeugt. Als sie durch Zufall ihr Tagebuch findet, stellt sich heraus, dass sich Dara offenbar mehrere Liebhaber gleichzeitig hielt. War einer von ihnen der Täter? Gemeinsam mit Deputy Winter versucht Christine herauszufinden, welche Männer aus Daras Umfeld sich hinter den Codenamen ihrer Liebhaber verbergen könnten:

Da ist zum Beispiel der Außenseiter Streak, der seit seinem Vietnam-Trauma zurückgezogen lebt und Dara manchmal auf seinen nächtlichen Joggingtouren begegnete. Da ist Christines Ex-Verlobter Sloane, mit dem Dara kurz vor ihrem Tod heftig flirtete. Und da ist Daras Exfreund Rey, der immer noch an ihr zu hängen scheint. Aber es gibt auch eifersüchtige Frauen, die ein Motiv gehabt hätten, Dara aus dem Weg zu räumen. Als der Sheriff schließlich Jeremy verdächtigt, stellt Christine eigene Nachforschungen an, um ihren Bruder zu entlasten. Dabei bringt sie sich selber in höchste Gefahr …

Es sind bewährte Zutaten, auf die Carlene Thompson in ihrem Thriller zurückgreift: Eine verschwundene Frau, eine Leiche, eine Schar Verdächtiger im engsten Umfeld, Ermittlungen eines Außenstehenden, der sein Leben damit in Gefahr bringt. Der Plot ist weder neu noch sonderlich spektakulär, doch die Präsentation dieser Elemente ergibt einen spannenden Thriller, der ordentliche Unterhaltung von der ersten bis zur letzten Seite bietet.

|Auftakt nach Maß|

Bereits der Prolog zieht den Leser durch seine geschickte Aufbereitung in den Bann. Er erzählt von Daras Begegnung mit ihrem Mörder, ohne einen Hinweis darauf zu geben, um wen es sich dabei handeln könnte. Offensichtlich ist lediglich, dass es eine vertraute Person aus ihrem Umfeld ist – und damit fällt der Startschuss zum munteren Spekulieren, denn eine ganze Reihe von Leuten besitzt ein Motiv.

|Anschauliche Charaktere|

Im Zentrum des Geschehens steht eindeutig Christine, die von Beginn an als Sympathie- und Identifikationsfigur fungiert. Der frühe Tod ihrer Eltern und die Verantwortung für ihren leicht zurückgebliebenen Bruder Jeremy lassen sie zunächst als gefestigten und vertrauenswürdigen Charakter erscheinen. Im Laufe der Ereignisse offenbart sich nach und nach auch ihre sensible Seite. Christine ist ehrlich genug, sich selbst und anderen gegenüber einzugestehen, dass sie Dara nicht leiden mochte. Angesichts ihres schrecklichen Todes ist sie jedoch zu fast allem bereit, um den Mörder ihrer Stiefschwester zu entlarven und gleichzeitig ihren Bruder zu entlasten.

Wenn Christine schon eine Sympathiefigur ist, wird man Jeremy sofort ins Herz schließen. Der junge Mann mit dem kindlichen Gemüt und der typischen Begeisterungsfähigkeit eines Halbwüchsigen versteht es, nicht nur sein Umfeld, sondern auch den Leser mit seiner erfrischend offenen Art für sich einzunehmen. Immer wieder lockert er angespannte Situationen durch seine kindlichen Bemerkungen auf, bringt seine Schwester aber durch seine Offenherzigkeit auch ein ums andere Mal in Verlegenheit.

|Die üblichen Verdächtigen|

An Verdächtigen mangelt es in diesem Roman wahrlich nicht. Die leichtlebige Dara vergnügte sich gerne mit mehreren Männern gleichzeitig und für den Leser wie auch für für Christine und Michael Winter beginnt ein Rätselraten, wer sich hinter den mysteriösen Pseudonymen aus dem Tagebuch verbergen könnte. Alte Bekannte aus Christines Umfeld werden plötzlich zu Mordverdächtigen, fast jeder scheint ein Geheimnis zu verbergen. Außer Christine und dem ermittelnden Deputy steht so gut wie jede Figur zu einem Zeitpunkt der Handlung unter Verdacht. Sie alle besitzen ihre dunklen Seiten, doch einen Mord traut man wiederum keinem von ihm zu. Die Autorin versteht es, ein verzwicktes Geflecht aus Beziehungsdramen und Eifersüchteleien zu entwerfen, das sich unter einer glatten Oberfläche zu einem brodelnden Vulkan entwickelt.

|Vorhersehbare Lovestory|

Leichte Abzüge gibt es für die scheinbar unvermeidliche und von Beginn an sehr offensichtliche Lovestory, die sich zwischen Christine und dem Polizisten Michael entwickelt. Wie in so vielen Thrillern, ergibt sich auch hier wieder einmal die Kombination aus einer mutigen Frau, die auf eigene Faust Nachforschungen betreibt, und dem Ermittler mit dem Beschützerinstinkt. Dabei stört nicht die Tatsache an sich, dass es tatsächlich so kommt, sondern die sehr vorhersehbare Aufbereitung – denn bereits bei der ersten Begegnung der beiden ahnt der Leser, dass sich hier eine Liebesgeschichte anbahnen wird.

Ein bisschen mehr Innovation hätte auch dem Schluss nicht geschadet, der allzu konventionell daherkommt. An dieser Stelle wird das alte Klischee vom kaltblütigen Killer, der seinem letzten Opfer seine Motive und Vorgehensweisen in aller Ausführlichkeit erläutert, leider bis zum Letzten ausgereizt und überstrapaziert. Der Showdown ist angenehm realistisch gehalten und verzichtet auf den Versuch, sich unnötig spektakulär zu präsentieren. Dafür fällt das Ende insgesamt sehr knapp aus und kommt für meinen Geschmack etwas zu abrupt.

Davon abgesehen, versteht es der Roman, den Leser zu packen und ihm ein paar Tage fesselndes Vergnügen zu bereiten. Die flüssige Sprache stellt keine hohen Anforderungen, sondern macht das Buch zu einem idealen Schmöker für lange Ferientage am Strand oder auf dem Balkon. Es mangelt weder an falschen Fährten noch an weiteren Morden. Für Schockmomente ist ebenso gesorgt wie für einige rührende und gefühlvolle Augenblicke sowie auch – vor allem Dank Jeremy – amüsante Stellen, die die Spannung auflockern und dem Leser ein Grinsen bescheren.

_Unterm Strich_ ergibt sich ein konventioneller, aber durchgehend spannender Thriller mit einer sympathischen Protagonistin, die ins Visier eines kaltblütigen Mörders gerät. Wechselnde Hauptverdächtige, eiskalte Morde und falsche Fährten rufen ein Wechselbad der Gefühle hervor. Kein unbedingt atemberaubender, aber sehr solider Roman für alle Krimifreunde.

_Carlene Thompson_ wurde 1952 in West Virginia geboren. Sie arbeitete zunächst als Dozentin für englische Literatur an der Universität in Ohio. 1990 erschien ihr erster Roman „Schwarz zur Erinnerung“. Weitere Werke von ihr sind unter anderem: „Kalt ist die Nacht“, „Sieh mich nicht an“, „Im Falle meines Todes“ und „Glaub nicht, es sei vorbei“.

Grangé, Jean-Christophe – schwarze Blut, Das

|“Beginne nie eine Brieffreundschaft mit einem Serienkiller. Sobald er frei ist, wird er dich kennen lernen wollen…“|

Ein schlauer Ratschlag, den uns der |Ehrenwirth|-Verlag zum Roman des französischen Bestsellerautors Jean-Christophe Grangé mit auf den Weg gibt. Der Journalist Mark Dupeyrat hätte sich wohl auch besser an den Ratschlag gehalten, als ihm während seiner Recherchen in dem Fall Jacques Reverdi jemand den Tipp gab, dass nur eine Frau Reverdi sein Geheimnis entlocken könnte.

Reverdi, früher ein viel umjubelter Champion im Freitauchen, arbeitet seit seinem Rückzug aus dem Sport als Tauchlehrer in Asien. Eigentlich ist er unauffällig, doch die Fischer des kleinen Dörfchens Papan in Malaysia überraschen ihn eines Tages, als er gerade dabei ist, eine junge Touristin auf bestialische Art zu töten: Er lässt sie in einem luftleeren Raum ausbluten.

Nun wartet Reverdi in einem malaysischen Gefängnis darauf, zum Tode verurteilt zu werden, und Mark, der wittert, dass Reverdi seine Frage nach dem „Gesicht des Bösen“ beantworten kann, beginnt eine Brieffreundschaft mit dem eiskalten Mörder, indem er sich die Identität einer jungen Psychologiestudentin schafft. Sie schreibt an Reverdi, weil sie ihn zum Thema ihrer Diplomarbeit machen möchte, und trotz anfänglicher Skepsis gelingt es Mark, einen regen Kontakt zustande zu bringen. Er merkt dabei nicht, dass Reverdi ein perfides Spiel mit ihm spielt. Beinahe naiv folgt er seinen Anweisungen, als Reverdi ihn nach Asien dirigiert, damit er dort die Spur seiner blutigen Verbrechen nachvollziehen kann. Er füttert Mark mit kleinen Häppchen und es kommt zu einer Art Detektivspiel, das ein schlimmes Ende nimmt, als Reverdi sich eines Tages befreien kann. Denn nun ist nicht nur Mark in Gefahr, sondern auch das junge Model Khadidscha, dessen Foto er Reverdi geschickt hat, denn selbiger ist schon längst auf dem Weg nach Paris …

Was sich wie ein spannender Thriller anhört, ist auf weiten Strecken leider ziemlich vorhersehbar. Es ist klar, dass Mark mit dem Feuer spielt, doch anstatt sein Hauptaugenmerk darauf zu legen, erzählt der Autor Dreiviertel des Buches davon, wie der Kontakt zustande kommt und von Marks Reise entlang der „schwarzen Linie“. Dadurch geht eine Menge Spannung verloren, denn der Leser ahnt von Anfang an, worauf das Buch hinauslaufen wird.
Es geht also viel um das Motiv Reverdis, doch selbst dieses ist nicht besonders spannend und klingt wirklich sehr psychopathisch. Am Ende gelingt es Grangé durch eine überraschende Wendung für einen kurzen Moment Spannung aufzubauen, doch diese verflüchtigt sich zu schnell, denn auch über dieser Wendung liegt ein Hauch Irrealität, mit dem ich mich überhaupt nicht anfreunden konnte.

Dabei hatte alles sehr gut angefangen – nämlich in medias res. Der Leser wird anhand Reverdis Perspektive Zeuge, wie die Fischer ihn zusammen mit der halbtoten Frau in der luftleeren Bambushütte entdecken. Dadurch, dass der Mörder selbst nicht ganz bei Sinnen ist, wirkt dieses erste Kapitel sehr konfus, aber schmerzhaft authentisch. Es wird auf lange Erklärungen verzichtet, der Autor wirft nur ein paar Köder aus, die das Interesse wecken. Man möchte erfahren, was da los ist. Ist Reverdi Opfer oder Täter und was hat er überhaupt für eine Rolle in diesem Buch?

Im Gegensatz zu diesem kargen Anfang steht der Rest des Buches, der in einem dichten, flüssigen Stil geschrieben ist, der sehr viele ausschweifende Geschichtchen einwebt. Die beiden Protagonisten Mark und Khadidscha werden zum Beispiel gleich bei ihrem ersten Auftauchen zusammen mit ihrer Biografie vorgestellt. Wider Erwarten bekommt das Buch dadurch keine Längen, da Grangé seinen Charakteren viel Tiefe verleiht und einige ihrer Wesenszüge durch die Vergangenheit erklärt werden müssen.

Doch gut ausgearbeitete Charaktere alleine machen einen Roman, der sich Thriller nennt, leider nicht aus. Dazu gehören auch noch einige andere Dinge, vor allem Spannung, doch gerade das ist der Knackpunkt. Das Buch weist in dieser Hinsicht eine entscheidende Länge auf, und das ist die Suche nach dem Motiv Reverdis, die zwar interessant, aber nicht besonders spannend ist. Dadurch sind überraschende Wendungen stark nach hinten verlagert und zum großen Teil vorhersehbar. Das Ende weiß zwar noch einmal zu überzeugen, kann das Ruder aber natürlich nicht mehr herumreißen.

Deshalb ist „Das schwarze Blut“ in meinen Augen ein eher durchschnittlicher Thriller, dessen Stärken die Protagonisten und der Erzählstil sind.