Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Holmberg, Bo R. – Schneegrab

_Der Autor:_

Bo R. Holmberg wurde 1945 in Ådalen geboren. Er ist heute als Lehrer in Bredbyn im Ångermanland tätig, dort lebt er auch mit seiner Frau Dorotea und seinen drei Kindern. Bo R. Holmberg ist mit seinen Kinderbüchern auch in Deutschland sehr erfolgreich.
Sein erster Kriminalroman „Rabenseelen“ wurde von der Presse mit Begeisterung aufgenommen und mit dem Schwedischen Krimipreis ausgezeichnet.
Mehr Infos zum Autor findet man [hier.]http://www.schwedenkrimi.de/bo__holmberg__biografie.htm

_Story:_

Die kleine Pfarrei Anundsjö im Jahre 1849: Im selbst für die frostigen Witterungsverhältnisse ungewöhnlich tiefen Schnee wird eine Leiche entdeckt, deren Arm aus dem Schnee herausragt. Schon tagelang muss der erstochene, ziemlich große Mann unter der Schneedecke versteckt gewesen sein, bis er schließlich nach leichtem Abtauen gefunden wird.

Polizeiamtmann Harald Morell macht sich gemeinsam mit seinem jungen Helfer Johan Anundsson auf die Suche nach dem Mörder. Dabei stoßen sie nur auf wenige hilfreiche Informationen, weil die Spur des Täters ganz aus Anundsjö herauszuführen scheint. Dann verschwindet eines Tages die Altenpflegerin Greta Sigurdsdotter, und die Beamten vermuten das Schlimmste. Tatsächlich wird auch sie gefunden, nachdem die erneut heftigen Schneefälle nach acht Tagen endlich beendet sind. Die Art und Weise der schrecklichen Tat scheint ähnlich; auch Gretas Arm ragt aus dem Schnee empor, und auch sie hat Wunden, die auf Messerstiche schließen lassen.

Für Länsmann Morell, der sich gleichzeitig auch um seine zutiefst depressive Frau und seinen neugeborenen Sohn kümmern muss, steht fest, dass es zwischen den beiden Mordfällen einen Zusammenhang gibt, und als sie schließlich den Hauptverdächtigen Grels Persson gefangen nehmen, ist der Fall für Morell eigentlich schon abgeschlossen. Persson gesteht schließlich den ersten Mord und bezeichnet sein Handeln als Notwehr. Jedoch bestreitet er, auch Greta umgebracht zu haben, doch da Morell dem Verbrecher, der auch wegen verschiedener Raubdelikte angeklagt wird, nicht glaubt, bleibt dieser bis zur Verhandlung in Haft. Dann jedoch taucht die neue Altenpflegerin Lisbet im Hause Morells auf und erzählt ihm von ihren Beobachtungen und Vermutungen. Auf einmal zieht auch Morell die Unschuld Perssons in Erwägung, auch wenn die neue Wahrheit sehr seltsam klingt …

_Bewertung:_

„Schneegrab“ ist ein Krimi, der sich einfach liest, durch seine chronologische Abfolge stets nachvollziehbar bleibt und diesbezüglich auch wenig Tiefgang beinhaltet. Aber das ist auch nicht die Intention des Autors. Bo R. Holmberg hat nämlich eine Geschichte über ganz einfache Menschen geschrieben; Bauern, Mägde, Knechte und das arme Volk stehen im Mittelpunkt seines neuen Romans „Schneegrab“, und alleine aus der Stellung und der oftmals damit verbundenen Armut lassen sich für dieses Buch auch schon diverse Tatmotive ableiten, die man während der 350 Seiten immer wieder im Hinterkopf behalten sollte.

Doch „Schneegrab“ ist nicht ausschließlich Krimi, dieses Werk ist auch in gewissem Maße eine Beschreibung der bürgerlichen Gesellschaft Schwedens zur Mitte des 19. Jahrhunderts, und genau hierbei setzt Holmberg schließlich auch die Glanzpunkte. Holmberg beschreibt das simple Gefühl der Geborgenheit, erörtert die Schlichtheit der Liebe zweier ganz einfacher Menschen, er philosophiert über die Dunkelheit und den Winter in seiner Heimat und schlussendlich zeichnet er auch noch ein authentisches Bild der damaligen Umgangsformen nach, das einerseits erschreckend, andererseits aber auch erstrebenswert klingt. Die Charaktere in Holmbergs Roman geben sich mit dem wenigsten zufrieden, werden aber zu reißenden Tieren, wenn man ihnen ausgerechnet dies noch nimmt. Das Leben als Ein und Alles, so erfährt man es im Alten- und Armenhaus von Anundsjö, so verkörpern es einfache Mägde wie Lisbet, die Tochter des plötzlich verstorbenen Herrn Olofsson, die ermordete Greta Sigurdsdotter, der Polizeigehilfe Johan Anundsson samt seiner Verlobten Annika, aber auch der lediglich aus Überlebenstrieb stehlende Gauner Grels Persson.

Es gibt einige Momente im Buch, da vergisst man die grausamen Morde und taucht selber in diese Zeit ein, denkt dabei über sein eigenes Umfeld nach und beginnt zu hinterfragen, warum der Mensch eigentlich nie zufrieden ist. Dies ist ein Thema, das Holmberg unterschwellig (vielleicht sogar unbewusst) in den Kapiteln von „Schneegrab“ versteckt hat, das sich aber auch irgendwie als roter Faden durch das Werk zieht.

Davon einmal abgesehen, ist das Buch aber natürlich auch ein spannender Krimi, bei dem es um die Schicksale der Betroffenen geht. Da wäre der Komissar Harald Morell, dessen Frau nach drei Fehlgeburten endlich einen Sohn gebar, seitdem aber fast geistesabwesend in ihrem Bett liegt. Sie kann ihr Kind nicht stillen, so dass Harald eine Magd für diese Aufgabe hinzuziehen muss. Das Dilemma, eigentlich glücklich über das Kind, andererseits aber auch traurig über das geistige Ableben der eigenen Gattin zu sein, trägt Morell schließlich auch in sich, als er nach dem Mörder von Greta sucht. Als er glaubt, ihn gefunden zu haben, wird Harald aus Wut und Bosheit richtig aggressiv und brutal und schlägt wohl teilweise auch aus einer Verzweiflung heraus auf ihn ein.

Es sind diese Momente, die aus diesem Krimi eine ganz besondere Geschichte machen und mich schließlich doch zu der Aussage führen, dass Holmberg eine sehr tiefgreifende Story kreiert hat, zu der die simple Stilistik und das umgangssprachliche Schriftbild fast schon konträr sind. Dies hat jedoch auch eine ganz spezielle Wirkung, denn so findet man sich schnell in die Handlung ein, begreift aber dennoch, dass hinter „Schneegrab“ mehr als nur ein Kriminalroman steckt. Was soll ich sagen, mich hat das Buch auf eine ganz eigene, schwer zu beschreibende Art und Weise berührt. Ich liebe diese Geschichten, in denen ganz einfache Leute die Hauptrollen übernehmen, und in dieser Hinsicht ist „Schneegrab“ wirklich eine Ausnahmeerscheinung.

Der schwedische Krimi hat ja aufgrund der ureigenen Mentalität der dort lebenden Menschen ohnehin eine Sonderstellung inne, und mit diesem Buch hat er diese noch weiter ausbauen können.

Pearl, Matthew – Dante-Club, Der

|“Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
Und jede Feigheit sterb‘ an diesem Orte.
Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt,
Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
Für die das Heil des wahren Lichtes schwand.“|
(Dante – „Göttliche Komödie“)

[Dante]http://de.wikipedia.org/wiki/Dante__Alighieri hat mit seiner „Göttlichen Komödie“ ein eindringliches Höllen-Szenario heraufbeschworen, das nicht nur zur damaligen Zeit bleibenden Eindruck hinterließ. Die „Divina Commedia“, Dantes Lebenswerk, mit dem er Jahre seines Lebens verbrachte, ist nicht im heutigen Sinne eine Komödie, sondern eher ein Werk, dem es an einem tragischen Helden mangelt und das deswegen zu seinem Titel kam.

Dante beschreibt in seiner 1321 vollendeten „Göttlichen Komödie“ seine Reise (die er angeblichen im Jahr 1300 persönlich und tatsächlich angetreten haben will) durch die drei Reiche der Toten: die Hölle (Inferno), das Fegefeuer (Purgatori) und das Paradies (Paradiso). Dort begegnet Dante vielen berühmten Persönlichkeiten. Dantes Reisebegleiter durch die neun Kreise der Hölle und das Fegefeuer ist der römische Dichter Vergil.

Dantes Werk, das mittlerweile als absoluter Klassiker der Weltliteratur anzusehen ist, dürfte schon die Phantasie so mancher Autoren beflügelt haben. Einer, der das Thema Dantes in einen überaus spannenden historischen Thriller verpackt hat, ist der Amerikaner Matthew Pearl. Matthew Pearl entpuppt sich schon beim Blick auf seine Biographie als prädestiniert für einen solchen Roman, gingen seinem Debütroman „Der Dante Club“ doch wissenschaftliche Arbeiten über Dante voraus, die von der |Dante Society of America| ausgezeichnet wurden.

_“Lasst, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren“_

Boston 1865: Der Dichter Henry W. Longfellow arbeitet an der englischen Übersetzung von Dantes „Göttlicher Komödie“. Woche für Woche trifft er sich zusammen mit den übrigen Mitgliedern des frisch gegründeten Dante Clubs zum Diskutieren und Korrigieren seiner jüngst übersetzten Passagen. Zum Dante Club zählen neben Longfellow der Dichter und Harvardprofessor James Russell Lowell, der Autor und Professor für Anatomie Dr. Oliver Wendell Holmes, der alternde Reverend Greene und der einflussreiche Verleger J. T. Fields – allesamt Dante-Verehrer, die versuchen, Dantes Lebenswerk der amerikanischen Bevölkerung gegen die heftigen Widerstände aus Bostons traditionalistischen akademischen Kreisen zugänglich zu machen.

Gleichzeitig macht sich ein Unbekannter daran, Dante auf seine ganz eigene Art zu „übersetzen“ – wesentlich plastischer als es in der Studierstube Longfellows geschieht, aber dafür auch umso blutiger. Ein Serienmörder setzt eiskalt und geradezu detailbesessen die in Dantes „Inferno“ beschriebenen Höllenqualen in die Tat um. Einflussreiche Persönlichkeiten fallen seinen grausamen Taten zum Opfer und während die Stadt in Angst und Schrecken erzittert, ist die Polizei ratlos und tritt auf der Stelle.

Nur die Mitglieder des Dante Clubs durchschauen das Muster der Taten. Doch wie kommt der Täter an sein Wissen über Dante und das „Inferno“, wo die „Göttliche Komödie“ doch noch gar nicht übersetzt ist? Longfellow und seine Kollegen machen sich auf eigene Faust auf die Suche nach dem unbekannten Dante-Kenner …

_“Dahin, wo Stille lautem Tosen wich,
Und dorthin, wo nichts leuchtet, schritt ich weiter.“_

|“Raffinierte Handlung, klassische Motive, gelehrte Figuren … dieses Buch muss man einfach lieben!“| Mit solch überschwänglichen Worten lobt Dan Brown, Autor von [„Sakrileg“, 184 Matthew Pearl als |“den leuchtenden neuen Stern am Literaturhimmel“|. Etwas übertrieben mag das klingen, aber bei genauerer Betrachtung bleibt einem kaum eine andere Wahl, als Dan Brown, zumindest mit Blick auf den Roman, beizupflichten. „Der Dante Club“ ist in der Tat ein Thriller, der im Gedächtnis haften bleibt und der aufgrund seiner Vielschichtigkeit Eindruck schinden kann.

Pearls Roman liegt eine große Kennerschaft der historischen Umstände zugrunde. Seine Hauptfiguren sind reale historische Figuren und die Tatsache, dass Pearl englische und amerikanische Literatur in Harvard und Yale studiert hat, lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Mann weiß, wovon er spricht. Die Mitglieder des Dante Club (allesamt historische Figuren der amerikanischen Literatur) wirken allesamt sehr plastisch. Auch das gesellschaftliche Leben in den gelehrten Bostoner Kreisen sowie insbesondere das Innenleben des akademischen Apparates der Eliteuniversität Harvard werden sehr lebendig geschildert.

„Der Dante Club“ ist ein Sammelsurium vieler historischer und literaturgeschichtlicher Aspekte, die die Thrillerhandlung bereichern. Der Roman entwickelt dadurch neben einem spannenden Thrillerplot auch eine beachtliche Tiefe. Der Leser nimmt nach der Lektüre Wissen mit, das er vorher eventuell noch nicht hatte. Eine spannungsgeladenere und fesselndere Einführung in Dantes „Göttliche Komödie“ wird man wohl kaum finden, als man sie von Pearl präsentiert bekommt.

Während seine historisch verbrieften Protagonisten Zigarre rauchend vor dem knisternden Kamin über Leben und Wirken Dantes diskutieren und ihre Interpretation seiner „Göttlichen Komödie“ zum Besten geben, wird ganz nebenbei auch der Leser immer tiefer in den Plot hineingezogen. Pearl gelingt der Balanceakt zwischen der Vermittlung historischer und literarischer Hintergründe und einem nervenaufreibenden Thriller. Das Ergebnis ist gehaltvolle Spannungslektüre, an die man gerne zurückdenkt.

Dabei muss man Pearl als Leser zugegebenermaßen eine gewisse Aufbauphase für Hintergründe, Plot und Figuren zugestehen. Nach dem ersten Höhepunkt des „Eröffnungsmords“ widmet sich Pearl erst einmal ausgiebig seinen Protagonisten und dem Zwist zwischen den obersten Harvardvertretern und dem Dante Club um die Veröffentlichung der Übersetzung der „Göttlichen Komödie“. Mit dem nächsten Mord zieht Pearl dann kontinuierlich die Spannungsschraube an. Der Dante Club beginnt mit ersten Nachforschungen, die die Spannung stetig ansteigen lassen und in ein Finale münden, das in einem dramatischen Wettlauf zwischen dem Mörder und seinen Häschern gipfelt, und allerspätestens dann kann man das Buch nicht mehr zur Seite legen.

Der Leser tappt bei der Lösung weitestgehend im Dunkeln. Die Morde werfen eine Vielzahl offener Fragen auf und die Lösung, die Pearl am Ende präsentiert, beantwortet sie durchaus zufrieden stellend. Er setzt im Finale ein riesiges Puzzle zusammen, in dem jede Komponente des Romans ihren Platz findet. Jede Facette der Geschichte bekommt dabei ihre Bedeutung und man kommt nicht umhin, die Konstruktion des Plots zu loben. Pearl lässt sich so leicht nicht in die Karten gucken und hält dadurch die Spannung bis zum Finale aufrecht.

Was den Roman neben seinen realen historischen Hauptfiguren und dem Bezug zu Dantes „Göttlicher Komödie“ so interessant macht, ist die Atmosphäre des Jahres 1865. Boston ist gebannt von den Eindrücken des Sezessionskrieges, stetig strömen mehr irische Einwanderer in die Stadt und der öffentliche Nahverkehr kommt mit fortschreitender Geschichte durch eine grassierende Pferdeseuche fast vollständig zum Erliegen. Solche historischen Rahmenbedingungen prägen die Atmosphäre des Romans und sind die besondere Würze des Plots.

Sprachlich ist das Ganze recht leicht verdaulich. Pearls Stil lädt dazu ein, das Buch binnen kurzer Zeit zu verschlingen. Was den Lesefluss hin und wieder allerdings etwas ins Stocken bringt, ist das Fehlen von Absätzen. So nimmt man radikale Handlungssprünge teils nicht auf den ersten Blick wahr, einfach, weil der Text nach einem Zeilenumbruch einfach weiterläuft. Ob das ein Problem speziell dieser Ausgabe ist oder ein ganz allgemeines, vermag ich nicht zu beurteilen.

Auch der zeitliche Rahmen insgesamt droht einem während der Lektüre ab und zu mal ein wenig abhanden zu kommen. Pearl liefert insgesamt einfach zu wenig Indizien, anhand derer der Leser sich den gesamten zeitlichen Rahmen vor Augen führen kann, und so ist man manchmal überrascht, dass zwischen verschiedenen Ereignissen viele Tage oder nur wenige Stunden liegen. Aber das ist ein eher kleiner Schönheitsfehler, der lediglich zu Abzügen in der B-Note führt.

_“Nie ruht der Höllenwirbelwind vom Toben
Und reißt zu ihrer Qual die Geister fort“_

Alles in allem ist „Der Dante Club“ ein Roman, der sehr positiv im Gedächtnis bleibt. Der Plot ist sauber konstruiert, die Atmosphäre des Jahres 1865 wirkt sehr lebendig, ebenso wie Pearl seine historisch real existenten Protagonisten sehr glaubwürdig zum Leben erweckt. „Der Dante Club“ ist in jedem Fall ein Buch, das nicht nur unterhält, sondern dem Leser auch noch Wissen mit an die Hand gibt. Wer vorher noch nicht viel über Dante und seine „Göttliche Komödie“ wusste, erhält dank Pearls so unterhaltsam eingewobener Hintergründe zu diesem Thema eine ganz ordentliche Einführung.

Somit liefert Matthew Pearl mit seinem Debütroman außerordentlich lehrreiche und fesselnde Spannungslektüre ab. Wer „Die Einkreisung“ von Caleb Carr mochte, der wird Pearls „Dante Club“ lieben, denn Pearl erzählt straffer und weniger langatmig als Carr, aber ganz gewiss nicht weniger spannend: historisch, lehrreich, raffiniert und fesselnd.

[Die deutsche Übersetzung von Dantes „Göttlicher Komödie“ bei Wikipedia]http://de.wikisource.org/wiki/Dante__-__Goettliche__Komoedie

Website zum Roman: [thedanteclub.com]http://www.thedanteclub.com

[Unsere Rezension der Hörbuchfassung 406

G. M. Ford – Erbarmungslos

Kurz vor seiner Hinrichtung mehren sich die Zeichen, dass ein angeblicher Serienmörder unschuldig ist. Einem Journalisten und einer unkonventionellen Fotografin bleiben sechs Tage, die Wahrheit zu ermitteln, während das düpierte Gesetz mauert und die Medienkollegen nach der „Story“ schnappen … – Konventioneller Thriller mit wirklich allen Elementen des modernen Mainstream-Krimis. Mangelnde Originalität wird durch gelungenes Erzählhandwerk, Spannung und trockenen Witz wettgemacht: kein Muss aber ein unterhaltsames Kann.
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Wexler, Mark – Mr. & Mrs. Smith

„Mr. & Mrs. Smith“ – was hat dieser Kinostreifen in der Klatschpresse nicht alles ausgelöst. Die angebliche und stets abgestrittene Beziehung zwischen den beiden Hauptdarstellern Angelina Jolie und Brad Pitt wurde über Monate hinweg in sämtlichen Schmierheftchen dargestellt, und irgendwie interessierte sich ein großer Teil des Publikums im Nachhinein mehr für dieses Techtelmechtel als für den eigentlichen Film. Regisseur Doug Liman war das allerdings ziemlich egal; Hauptsache die Leute strömten in Massen ins Kino und schauten sich die gewagte Action-Komödie mit ihren pikanten Hauptfiguren an, und das taten sie dann auch – vielleicht nicht ganz wegen der Story, sondern schon eher wegen der Reize von Herrn Pitt und Frau Jolie. Verdenken kann man es keinem, aber vielleicht war das ja auch gerade der Grund dafür, dass die meisten doch recht enttäuscht aus der Vorstellung kamen, denn Liman hat aus der interessanten Geschichte einen typischen Hollywood-Reißer gemacht, dessen Besonderheit lediglich die Schauspieler waren. Irgendwie ging dem Streifen der Witz ab, und um dies zu kaschieren, lag die Betonung auf den zahlreichen Actionszenen. Schön und gut, ganz normales Bubblegum-Kino eben, aber richtig anspruchsvoll war das Ganze eben nicht.

Nun ja, es gibt aber noch eine zweite Chance, nämlich das Buch zum Film, und siehe da, dieses kommt wie so oft ein ganzes Stück besser weg, denn obwohl man die beiden Hauptfiguren Pitt und Jolie bildlich immer vor Augen hat, betrachtet man sie im Buch fernab vom übertriebenen Rummel, der um sie gemacht wird, und kann sich so voll und ganz auf die Story einlassen. Das Ende vom Lied: „Mr. & Mrs. Smith“ macht plötzlich doch noch eine Menge Spaß und begeistert durch eine intelligent arrangierte, von Autor Mark Wexler gut in Szene gesetzte Handlung.

_Story:_

Mr. & Mrs. Smith führen scheinbar eine Bilderbuch-Ehe: Sie sind attraktiv, gut situiert und wohnen in einem hübschen Haus vor den Toren New Yorks. Was aber niemand weiß, der Ehepartner eingeschlossen: Hinter der Fassade des bürgerlichen Lebens sind John und Jane als hoch bezahlte Auftragskiller für zwei verfeindete Organisationen tätig. Die ständige Heimlichtuerei hat ihre Ehe zu einer reinen Zweckgemeinschaft gemacht, in der beide eigentlich todunglücklich sind. Als sie bei einer Auktion ihrer Nachbarn vier Sitzungen beim Eheberater gewinnen, ist das die Chance, einander wieder näher zu kommen. Eines Tages holt sie jedoch die Realität des Killergeschäfts ein: Sie werden beide aufeinander angesetzt. Und so nimmt ein mörderisches Katz- und Maus-Spiel seinen Lauf, das beide mit voller Leidenschaft austragen.

_Bewertung:_

Auch wenn sich das Buch sehr stark am Film orientiert, so hat die Story hier insgesamt doch sehr viel mehr Freiräume, und ich behaupte einfach mal, dass man, wenn man den Streifen noch nicht im Kino gesehen hat, auch noch viel besser auf die cineastisch gezwungen wirkende Handlung eingehen kann. Die Angelegenheit beginnt mit den ersten beiden Sitzungen des Ehepaars, die quasi als Rückblick zu betrachten sind. Anschließend werfen beide individuell einen Blick auf die turbulenten Geschehnisse der letzten Wochen, Monate und Jahre, in denen das Drama um ihre Ehe langsam aber sicher ausgelöst wurde. So erzählen sowohl John als auch Jane, was ihnen widerfahren ist, wie es zu dieser Zweckgemeinschaft namens Ehe überhaupt kommen konnte und welche Beweggründe dazu führten, sich gegenseitig umbringen zu wollen. Besonders Jane erzählt sehr schön, wie aus einer unterbewussten Vorahnung (sie wusste zunächst natürlich nicht, dass der andere Agent ihr Mann ist) die Gewissheit wurde, dass sie ihr Privatleben und schließlich ihren Gatten für den Job opfern musste. Auf der anderen Seite steht schließlich John, der die Sache in dieser Form gar nicht wahrhaben wollte, sich aber irgendwann darauf eingelassen hat und schließlich ebenfalls die Bereitschaft erlangte, seine Frau zu töten, auch um sich selbst zu schützen.

Dadurch, dass hier auch die gesamten Gedankengänge der beiden Hauptpersonen viel besser beschrieben werden, geht die Handlung im Buch besonders bei den actiongeladenen Szenen über das pure Geballer des Films hinaus und bekommt, man glaube es oder nicht, stellenweise auch ein wenig Anspruch und Tiefgang, wobei der Wortwitz und der Komödien-Anteil natürlich weiterhin im Vordergrund stehen. Die Geschichte ist eben durch ihre seltsame Handlung auch witzig, und das kommt hier viel besser rüber als im Film.

Und das sollte dann auch die Hauptaussage dieser Rezension sein: Ein Film kann mit noch so vielen Stars, noch so viel Action und noch so viel Charme auftreten – sobald der zugehörige Autor des Begleitbuches auch nur über ein wenig Witz und Gefühl für seine Wortwahl verfügt, ist seine Version immer vorzuziehen. Und genau das ist bei „Mr. & Mrs. Smith“ der Fall. Den Kinofilm fand ich eher bescheiden, das Buch hingegen wirklich unterhaltsam und gelungen.

Rendell, Ruth – Wer Zwietracht sät

In der englischen Kleinstadt Kingsmarkham stehen die Zeichen auf Sturm: Eine neue Umgehungsstraße soll gebaut werden. Sie wird durch die Wälder des Framhurst Great Wood verlaufen. Bäume, Sumpfauen und Teiche müssen weichen, der Lebensraum vieler Tierarten wird vernichtet. Das ruft eine Reihe von Umweltschutz-Gruppen auf den Plan, die nach Kingsmarkham reisen und für Unruhe sorgen. Einige Aktivisten erweisen sich als recht militant. Ihr Widerstand ist nicht nur passiv, so dass die Situation außer Kontrolle zu geraten droht.

Chief Inspector Wexford von der Mordkommission verfolgt die Ereignisse zunächst aus der Ferne. Er wird indes bald in darin verwickelt, als bei einer der Protestaktionen im Wald eine Leiche gefunden wird. Rasch kann sie identifiziert werden: Die junge Studentin Ulrike Ranke aus Deutschland, zu Besuch bei einer englischen Freundin, wurde vergewaltigt und erdrosselt. Wexford und seine Leute nehmen die Ermittlungen auf. Der Mord ist jedoch noch ungeklärt, als in rascher Folge mitten in Kingsmarkham auf offener Straße fünf Menschen entführt werden. Zufällig befindet sich Wexfords Ehefrau Dora darunter. Zu der Tat bekennt sich eine Gruppe namens „Sacred Globe“. Sie fordert den sofortigen Stopp der Bauarbeiten und droht die Geiseln zu töten, wenn ihr dies nicht zugesichert wird. Man geht zunächst darauf ein. Die Kidnapper lassen Dora Wexford mit einer Botschaft frei: Der Bau der Umgehungsstraße soll offiziell und damit endgültig eingestellt werden. Erst dann wolle man auch die übrigen Geiseln freilassen.

Die Suche nach dem Versteck der Entführer beginnt. Bald gibt es Hinweise auf einige besonders fanatische Aktivisten, die bei ihrem Kreuzzug auch vor Gewalttaten nicht zurückschreckt. Dann findet die Polizei eine Leiche – dies scheint das erste Opfer der Gruppe zu sein, bis sich herausstellt, dass die junge Frau bei einem missglückten Fluchtversuch umgekommen ist.

Lange tappt die Polizei im Dunkeln. Die Lage ist ernst: Die Entführer scheinen nicht recht zu wissen, was sie eigentlich wollen. Andererseits sind sie sehr genau über die Fahndung informiert. Endlich findet Wexford eine Spur – und kommt auf die sehr ungewöhnliche Lösung des Falls …

Mit ihrem siebzehnten Wexford-Krimi (seit 1964) mutet Autorin Ruth Rendell ihren Lesern allerhand zu. Die Grundidee ist ausgezeichnet, aktuell und sprengt das Klischee der englischen Landhaus-Idylle, in der allzu viele Polizisten und Hobby-Detektive ihr Unwesen treiben. Rendell vermeidet auch den Fehler, die Sympathien auf eine Seite zu verlagern. Politisch korrekt wäre es vermutlich gewesen, die Umweltschützer als strahlende Engel und Opfer zugleich darzustellen. Stattdessen zeichnet die Autorin ein ambivalentes Bild und riskiert Ablehnung mit ihrer Botschaft, dass nicht alles, was Menschen aus Überzeugung für ein anerkannt hehres Ziel tun, tatsächlich rechtens und richtig ist. In Rendells Welt gibt es – wie in der Realität – auch „böse“ Umweltschützer.

Die Autorin hat sich seit jeher bemüht, Klischees zu vermeiden und gern heiße Eisen angefasst. Auch dieses Mal schildert sie anschaulich, wie schwierig es ist zu entscheiden, was „richtig“ und was „falsch“ ist. Die Zerstörung unberührter Natur durch den Bau einer Straße ist für den einen ein Tribut, den man dem Fortschritt oder wenigstens der persönlichen Bequemlichkeit zollen muss, für den anderen aber ein ökologisches Verbrechen, das profitgierige Geschäftsleute im Schulterschluss mit bestechlichen Politikern begehen. Wie weit dürfen beide Seiten gehen, um ihrem Standpunkt Ausdruck zu verleihen? Selbst Wexford ist im Zwiespalt; als Polizist ist es seine Pflicht, die viel beschworene Ruhe und Ordnung zu wahren, doch als Privatmann verabscheut er die Zerstörung jenes Waldes, den er seit seiner Kindheit kennt.

Eine wirkliche Lösung gibt es wohl nicht. Rendell verfolgt diesen Weg dann auch nicht weiter. Sie hat sich entschieden; „ihre“ Umweltschützer sind verblendete Fanatiker oder, wenn sie harmlos sind, seltsam und lebensfremd und in ihrer einfältigen Fixierung auf die Rettung von Mutter Natur das ideale Werkzeug für allerlei Übeltäter. Schwieriger fällt es allerdings, Rendells aberwitzige Allianz fanatischer Öko-Terroristen mit durchgedrehten Vorstadt-Spießbürgern nachzuvollziehen. Die Autorin ist berühmt dafür, einen Blick in die verborgenen seelischen Abgründe der Mittelschicht zu werfen, aber hier ist sie einen Schritt zu weit in Richtung Karikatur gegangen.

Einige Längen lassen sich zudem in der Handlung feststellen. Dora Wexfords Schilderung ihrer Erlebnisse als Gefangene von „Sacred Globus“ hätte eine Straffung vertragen, und zu überlegen ist auch, ob es wirklich notwendig war, mit dem Mord an der deutschen Touristin eine falsche Fährte zu legen. Insgesamt gehört „Wer Zwietracht sät“ nicht zu den Höhepunkten der Wexford-Reihe. Andererseits schwebt ein durchschnittlicher Ruth-Rendell-Roman immer noch ein gutes Stück über der Konkurrenz, was Spannung und Figurenzeichnung angeht.

Eine Anmerkung zum deutschen Titel dieses Romans: Im Original lautet er „Road Rage“, ein Wortspiel, das den Inhalt sehr treffend zusammenfasst, sich jedoch nur schlecht übertragen lässt. Wieso daraus „Wer Zwietracht sät“ wurde, bleibt allerdings rätselhaft. Der Titel erinnert sehr an einen Roman von Elisabeth George; vielleicht ist das der Grund: Man möchte die Leser der in Deutschland viel verkauften und wohl auch bekannteren „Konkurrentin“ von Ruth Rendell auf diese Weise ködern. Nun, wer sich dadurch verleiten lässt, kann nur gewinnen: Während Elisabeth George ihre Kriminalromane seit einigen Jahren auf immer groteskere Ausmaße anschwellen lässt – sieben- und achthundert oder mehr Seiten sind eher die Regel als die Ausnahme -, weiß Rendell, wann eine Geschichte erzählt ist.

Hoffman, Jilliane – Morpheus

Nach dem großen Erfolg ihres Debütwerkes [„Cupido“, 699 welches international die Bestsellerlisten erobern konnte, legt Jilliane Hoffman mit „Morpheus“ nun ihren zweiten Roman vor, der direkt an „Cupido“ und seine Erfolge anknüpfen soll und sich dabei inhaltlich so stark an seinem Vorgänger orientiert, dass der neue Thriller kaum als in sich abgeschlossene Fortsetzung gelten kann.

William Bantling sitzt seit inzwischen drei Jahren im Todestrakt und wartet auf seine Hinrichtung. C.J. Townsend arbeitet dagegen immer noch als Staatsanwältin, obwohl sie im Cupido-Fall Beweismittel unterschlagen hat und weiß, dass Bantling für Taten im Gefängnis sitzt, die er nicht begangen hat. Diese Gedanken verfolgen C.J. immer noch auf Schritt und Tritt, auch wenn sie im Grunde genommen sicher ist, dass sie das Richtige getan hat. Doch der Cupido-Fall holt C.J. bald ein, als nämlich in Miami nacheinander vier Polizisten brutal ermordet und verstümmelt werden. Bei diesen handelt es sich genau um diejenigen Beamten, die von der illegalen Fahrzeugkontrolle, die schließlich zu Bantlings Festnahme geführt hat, gewusst haben.

Obwohl C.J. seit drei Jahren glücklich mit Dominick Falconetti liiert ist und auch seinen Heiratsantrag angenommen hat, weiß Dominick immer noch nichts von den früheren Machenschaften seiner Freundin. Als C.J. eine Botschaft des Polizistenmörders, den die Presse |Morpheus| getauft hat, erhält, flieht sie in Panik und trennt sich von Dominick, weil sie ihm nicht die Wahrheit sagen möchte. Ihre Flucht führt sie zunächst zu Bantlings Anwältin Lourdes Rubio, die C.J. abfällig begegnet und eine Wiederaufnahme im Fall Cupido ankündigt. Tatsächlich dauert es nicht lange, bis C.J. nach Miami zurückgerufen wird, weil Bantlings neuer Anwalt Berufung eingelegt hat und den Fall mit neuen Beweismitteln neu aufrollen will.

C.J. ist in Panik: Auf der einen Seite fürchtet sie sich vor Morpheus, der nach und nach die damaligen Zeugen ermordet und sie als Nächste im Visier haben muss, und auf der anderen Seite möchte sie William Bantling nicht mehr unter die Augen treten. Doch es kommt zu einer neuen Anhörung und damit zu einer Konfrontation zwischen C.J. und ihrer Vergangenheit, die sie gerne vergessen möchte …

Genau nach ihrem altbekannten Schema erzählt Jilliane Hoffman auch ihren neuen Thriller; sie lässt ihre Leser nicht lange warten, sondern schildert zügig den ersten Mord. Victor Chavez, der aufgrund eines anonymen Anrufes im Cupido-Fall die illegale Fahrzeugkontrolle durchgeführt hat, ist dabei das erste Opfer des brutalen und rücksichtslosen Polizistenmörders. Doch dauert es nicht lange, bis weitere Opfer gefunden werden. Die Spur führt in das kolumbianische Drogenmilieu, denn einer der ermittelnden Beamten kann die Verstümmelungen der Leichen als so genannte Kolumbianische Krawatte identifizieren. Die Polizei weiß daraufhin schnell, wo genau sie zu suchen hat, zumal alle ermordeten Cops ihre Spuren im Drogenmilieu hinterlassen haben. Doch C.J. zieht ihre eigenen Schlüsse, denn nur sie weiß, dass alle Mordopfer ihre Mitwisser sind. Nach und nach werden die Zeugen ermordet, bis neben Lourdes Rubio nur noch C.J. übrig bleibt.

Die Handlung ist zweigeteilt. Zunächst erscheint uns „Morpheus“ wie ein normaler Thriller, es werden brutale Verbrechen geschildert und Spuren gedeutet, doch etwa ab der Hälfte geht es nur noch um pure Juristerei. Wir begleiten die ängstliche C.J. zu ihren Nachforschungen in der Bibliothek, zu ihren richterlichen Anhörungen und hoffen für sie, dass sie einer Neuauflage des Cupido-Falles entgehen kann. Detailliert erfahren wir alle juristischen Schritte und Feinheiten, alle Fehler, die im Cupido-Falle begangen wurden, und wir lernen die Möglichkeiten kennen, die Bantling noch für seine Berufung bleiben. Im zweiten Teil des Romans lässt Jilliane Hoffman durchblicken, dass sie sich auf diesem Gebiet gut auskennt, doch leider driftet sie mir dabei zu sehr ins Grisham-Genre ab. Die eigentliche Mordserie rückt hier komplett in den Hintergrund, um Morpheus geht es so gut wie gar nicht mehr.

Hoffmann orientiert sich meiner Meinung nach auch zu stark an ihrem Debütroman. Da „Cupido“ erfolgreich war, möchte sie offensichtlich genau dort wieder ansetzen, doch muss dies Bemühen zwangsläufig scheitern. Morpheus ist kein eigenständiger Roman, sondern eine direkte Fortsetzung, die viele Wiederholungen aus „Cupido“ enthält und somit oft auf der Stelle tritt. „Morpheus“ ist ohne Kenntnis des Vorgängerromans kaum lesbar und kündigt am Ende auch nicht gerade sehr subtil eine weitere Fortsetzung an. Wo „Cupido“ noch neu und spannend war, ist der vorliegende Roman nur vorhersehbar und abgekupfert. „Morpheus“ kann kaum mit neuen Aspekten dienen und ist in der zweiten Hälfte dank der ganzen Rechtsverdreherei kaum noch spannend, obwohl das Buch aufgrund der knappen Sprache schnell gelesen ist.

Auch in der Figurenzeichnung kann Hoffman nicht punkten. Alle auftretenden Figuren sind stereotyp und eindimensional. C.J. Townsend ist immer noch das arme Opfer, das nun nicht mehr nur unter seiner Vergewaltigung zu leiden hat, sondern auch unter der Misshandlung durch ihren ehemaligen Psychiater, der sie über Jahre hinweg als Schachfigur in seinem eigenen kranken Spiel eingesetzt hat. Dennoch ist C.J. natürlich beruflich erstaunlich erfolgreich und privat glücklich liiert, sodass bald die Traumhochzeit mit dem gut aussehenden Dominick Falconetti ansteht, der sie im letzten Buch noch vor dem sicheren Tod gerettet hat.

„Morpheus“ ist ein enttäuschender Abklatsch von „Cupido“, bringt kaum neue Erkenntnisse, sondern erzählt haargenau nach dem gleichen Schema viele bereits bekannte Dinge und wärmt den Bantling-Fall nochmals auf. Während das Buch zunächst rasant und spannend beginnt, hält sich Jilliane Hoffman ab der Hälfte lediglich mit langatmiger Juristerei auf und langweilt somit ihre treuen Leser. Auch die Auflösung des aktuellen Polizistenmordes mitsamt seinem Showdown weiß nicht zu überzeugen, zu konstruiert klingt der ganze Fall, zu unrealistisch wirkt es, wenn C.J. Townsend die x-te lebensgefährliche Situation nahezu unbeschadet übersteht. Mit dem Holzhammer kündigt Hoffman schließlich die nächste Fortsetzung an und verscherzt es sich dadurch gänzlich mit ihren Fans. Von „Cupido“ war ich sehr positiv überrascht und „Morpheus“ ist über weite Strecken alles andere als langweilig, dennoch finde ich es schade, dass Jilliane Hoffman ihre bereits bekannte Geschichte lediglich auf ein weiteres Buch ausgedehnt hat.

Paul Harding – Tödliches Rätsel

Das geschieht:

London im Sommer 1380: Geldverleiher Bartholomew Drayton liegt mit einem Armbrustbolzen in der Brust in seiner leer geräumten Schatzkammer. Mit eingeschlagenem Schädel treibt Schreiber Edwin Chapler in der Themse. Sein Kollege Luke Peslep endet, während er sich auf der Latrine der Schenke „Zum Tintenfass“ erleichtert, unter den Degenstichen eines Meuchlers.

Für die Ermittlungen in allen drei Fällen ist Sir John Cranston, der Coroner (= Untersuchungsrichter) der Stadt London, zuständig; eine Kriminalpolizei gibt es noch nicht. An seiner Seite arbeitet Athelstan, ein Bruder des Dominikanerordens, der sowohl als Cranstons Sekretär fungiert als auch auf Grund seiner kriminalistischen Fähigkeit ein wertvoller Assistent sowie ein geschätzter Freund ist. Paul Harding – Tödliches Rätsel weiterlesen

March, Hannah – Als wär\’s der Teufel selbst

_Die Autorin:_

Hannah March wurde in Peterborough am Rande der englischen Fens geboren und wuchs auch dort auf. Sie studierte an der University of East Anglia und absolvierte einen Magister-Studiengang „Creative Writing“ u. a. bei Malcolm Bradbury und Angela Carter. Inzwischen hat sie eine Reihe von Romanen veröffentlicht.

In „Das Lied der Ringeltaube“ hat Hannah March den jungen Gelehrten Robert Fairfax bereits schon einmal zur Hauptfigur eines ihrer Romane gemacht, und der aufgeweckte und lebendige Geist, den Fairfax in diesem Roman verkörpert, hat sie wohl selber so sehr beeindruckt, dass sie mit „Als wär’s der Teufel selbst“ einen zweiten Kriminalroman mit diesem als Protagonisten geschrieben hat, der für mich bislang zu den spannendsten Krimis gehört, die ich mir bis dato zu Gemüte durfte.

_Story:_

1761. Robert Fairfax, eigentlich Privatlehrer, bekommt vom angesehenen Sir Edward den Auftrag, die Bibliothek seines verstorbenen Vaters zu katalogisieren. Gereizt von dieser für ihn spannenden Aufgabe – man sagt sich, dass in dieser Bibliothek viele wertvolle Einzelstücke gelagert werden -, macht sich der Gelehrte auf den Weg nach Northamptonshire, wo er irgendwann eine schreckliche Entdeckung macht: Mitten auf dem Weg liegt eine Postkutsche im Straßengraben, deren Insassen allesamt brutal ermordet wurden. Der Kutscher kann bei Fairfax‘ Ankunft gerade noch das Wort „Straßenräuber“ über die Lippen bringen, ehe er seinen schweren Verletzungen ebenso wie seine Gäste erliegt.

Sir Edward, Fairfax‘ Auftraggeber, nimmt sich als Friedensrichter der Sache an und ist sich auch ziemlich sicher, dass der seit einigen Monaten auf dieser Strecke herumstreunende, noch namenlose Straßenräuber für diese Tat verantwortlich ist, auch wenn Mord bislang nicht zu der Liste seiner Verbrechen gehörte. Lediglich die Frage, wer dieser Mann ist, muss noch beantwortet werden.

Doch Fairfax vermutet, dass mehr hinter dieser Sache steckt, denn einfach zu viele Ungereimtheiten bringt dieser Überfall mit sich. Einer der Toten hatte sich vor Antritt der Fahrt als Bankier Twelvetree ausgegeben, doch keiner kann genau sagen, warum Tom Honeyman diese Maskerade vollzogen hat. Weiterhin ist einer der Toten der verwirrte Jonathan Griggs, der jahrelang in der Obhut einer Irrenanstalt gewesen ist und kurz nach seiner Flucht nun tot aufgefunden wurde. Warum hat man ausgerechnet diesen armen Geist getötet? Und was ist mit der verschwundenen vierten Person, Magaret Parry, geschehen, die bei der Abfahrt der Kutsche ebenfalls mit dabei war?

Fairfax begibt sich selber auf die Suche nach Hinweisen, verliert abei aber seinen eigentlichen Auftrag, sehr zum Unmut von Sir Edward, aus den Augen. Dennoch lässt sich Fairfax nicht davon abbringen, überall herumzuschnüffeln und malt sich immer neue Visionen von möglichen Motiven und Tathergängen aus. Jeder der Verdächtigen scheint etwas zu verbergen, aber irgendwie kommt auch keiner so richtig in Frage, diesen grausamen Überfall begangen zu haben. Da wäre zum einen Joseph Fox, der ganz offenkundig um die Witwe Honeyman wirbt, aber dem der Stempel des Mörders gar nicht passen würde. Oder der Methodist Griggs, der Gottes Wort predigt und seinen Bruder Jonathan bei diesem Anschlag verloren hat. Oder William Parry, dessen Frau nach wie vor verschollen ist. Oder die Witwe Honeyman selber, der man deutlich anmerkt, dass sie nicht mit der ganzen Wahrheit herausrückt. Oder aber der Bankier Twelvetree, der in Stamford ohnehin nicht sonderlich beliebt ist und aus Geldgier schier alles unternehmen würde. Aber hätte er so etwas bei seinen Möglichkeiten überhaupt nötig? Da kommt schon eher sein verhasster Stiefsohn in Frage, der Twelvetree immer noch für den Tod seiner Mutter verantwortlich macht und vor seinem Verschwinden vor einigen Monaten Rache geschworen hat.

All diese Menschen passen irgendwie in eines der Schemen von Fairfax hinein, dann aber wiederum auch nicht. Kein Wunder also, dass es am Ende eine Aneinanderreihung von Zufällen ist, die den freiwilligen Ermittler auf die richtige Fährte bringt …

_Bewertung:_

Es mag eine recht persönliche Ansicht sein, aber gerade nach diesem Roman hat sich in mir wieder die Meinung gefestigt, dass die mit Abstand besten Krimis immer wieder aus England kommen. Irgendwie hat dieses Land auch etwas entsprechend Geheimnisvolles an sich, gerade im Hinblick auf die eigene Geschichte, und dies ergibt schließlich auch immer wieder den Grundstoff und das Potenzial für solche enorm spannende Erzählungen wie „Als wär’s der Teufel selbst“.

Hannah March ist es wahrhaft mitreißend gelungen, den Leser direkt mitten ins Geschehen zu bringen, ihn immer wieder auf neue Fährten zu locken, neue, unerwartete Charakterzüge der Hauptdarsteller vorzustellen, die Motive und möglichen Hergänge immer wieder in ein neues Licht zu rücken und dann mit einem Ende aufzuwarten, das dem Fass den Boden ausschlägt – wohlgemerkt erst auf den letzten Seiten.

Es ist schon sehr erstaunlich, wie detailliert March uns die einzelnen Personen nahe bringt und das zudem irgendwie gleichzeitig. Erfährt man beispielsweise von der Witwe Honeyman, hat man auch zugleich wieder den verhassten Bankier Twelvetree und ihren seltsamen Freund Joseph Fox im Hinterkopf. Denkt man an den Prediger Henri Griggs, grübelt man über seinen verstorbenen Bruder, die Anschuldigen von William Parry, Griggs habe eine Affäre mit seiner Frau gehabt, usw. Bei wirklich jedem feinen Schachzug, den sich Hannah March ausdenkt, um die Geschichte mit neuen Entwicklungen voranzubringen, geraten hintergedanklich mehrere Denkmechanismen in Bewegung, und man spinnt selber auch immer wieder die verschiedenen Möglichkeiten durch bzw. versetzt sich in die Lage von Robert Fairfax, um genau herauszufinden, was denn jetzt wirklich mit der attackierten Postkutsche, dem Stamford Flyer, geschehen ist.

Doch nicht nur dadurch, dass March alle Möglichkeiten bezüglich des Attentats offen lässt, gewinnt „Als wär’s der Teufel selbst“ ungeheuer an Spannung; auch die Tatsache, dass sich wirklich alle Charaktere nach und nach völlig verändern und in ungeahnte Richtungen entwickeln, fördert dies. Schlussendlich bleibt man an diesem Buch wirklich kleben, zumal March es auch sehr schön gelungen ist, die Zeit und Kultur des 18. Jahrhunderts in ihren Roman mit einfließen zu lassen. Sitten und Bräuche, die Eigenheiten der Kastengesellschaft und schließlich die klare Rollenverteilung der verschiedenen Klassen wurden authentisch übernommen und sind für den Verlauf der Geschichte auch von enormer Bedeutung. So gelten zum Beispiel die Aussagen eines Dienstmädchens gegen William Parry nichts gegen sein eigenes Wort, usw. Hier hat die Autorin wie auch in den übrigen Bereichen ganze Arbeit geleistet.

Unterm Strich bin ich von diesem Buch schlichtweg begeistert: „Als wär’s der Teufel selbst“ besitzt sämtliche Elemente, die für einen historischen Kriminalroman erforderlich sind. Das Buch ist äußerst spannend, hat einen hohen Zeit- und Gesellschaftsbezug und präsentiert Charaktere, mit denen man sich als Leser sofort anfreundet. Liebhabern solcher Geschichten wird bei diesem Buch ganz sicher das Herz aufgehen!

Jim Kelly – Tod im Moor

In der englischen Provinz tauchen die bizarr zugerichteten Leichen nie gefasster Krimineller auf. Ein vom Leben gebeutelter Journalist und ein überforderter Polizeibeamter stoßen auf die Spur eines alten, nie geklärten Verbrechens, das zu neuem, gewalttätigem Leben erwacht … – Ausgezeichnetes Krimi-Debüt eines neuen Autoren; spannend und düster aber mit trockenem Witz erzählt und mit sympathischen, einprägsamen Figuren besetzt: ein Lese-Spaß ohne gravierende Einschränkungen.
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Fleming, Ian – James Bond: Casino Royale

_Das geschieht:_

Royale-les-Eaux war einst ein mondäner Ferienort an der französischen Kanalküste. Jetzt – d. h. Anfang der 1950er Jahre – ist nur noch das Casino einen Besuch wert. Viel Geld wechselt hier ohne besonderes Aufsehen den Besitzer: Dies ist ein Umfeld, nach dem Le Chiffre gesucht hat. Der hinterhältige Meisterspion der Sowjets hat sich mit einigen Nebenbei-Geschäften verspekuliert und dabei Geld aus der Portokasse genommen; sehr viel Geld, um genau zu sein, was für Le Chiffre ein Problem ist. Der russische Geheimdienst bringt sehr wenig Verständnis für solche Eskapaden auf und wird ihm womöglich die Terror-Truppe „Smersch“ auf den Hals hetzen, die vom Kurs abgekommene Kommunistenspitzel sehr rüde zu behandeln pflegt.

In seiner Not beschließt Le Chiffre, ein Vermögen am Spieltisch zu gewinnen. Auf diese Situation hat der britische Secret Service lange gewartet. Le Chiffre soll ruiniert und als Agent außer Gefecht gesetzt werden. Der richtige Mann dafür ist James Bond, dessen Kennziffer „007“ dem Eingeweihten verrät, dass dieser ungewöhnliche Staatsbeamte die Lizenz zum Töten besitzt. Das war bisher zweimal nötig, und auch sonst ist mit diesem Bond nicht gut Kirschen essen, denn er liebt seinen Job und hasst die Roten.

Umgehend macht sich 007 auf nach Royale. Dort trifft er die ihm zugewiesene Kontaktfrau Vesper Lynd, die recht unprofessionell wirkt aber immerhin ausgesprochen ansehnlich ist. Doch erst die Arbeit, dann das Vergnügen, so Bonds strenge Regel. In einem nervenaufreibenden Bakkarat-Duell mit Le Chiffre obsiegt Bond. Der Triumph lässt ihn unvorsichtig werden. Le Chiffres Schergen kidnappen Vesper und locken 007 in eine Falle. Sein Widersacher foltert ihn auf brutalste Weise, um sein Geld zu erpressen.

Aber Le Chiffre hat die Rechnung ohne den Smersch-Wirt gemacht, und Bond kommt an Leib und Seele schwer gezeichnet frei. Allerdings freut er sich zu früh, denn seine eigentliche Prüfung erwartet ihn noch …

_Hitzkopf für den Kalten Krieg_

„Casino Royale“ ist ein rasanter, lakonischer, gewalttätiger Thriller, der noch heute die Aufregung spüren lässt, die er 1953 bei denen hinterließ, die ihn unvorbereitet lasen. (Allerdings lag die Erstauflage bei gerade 4.750 Exemplaren.) Für die betulichen Fans von Edgar Wallace oder Agatha Christie muss damals das Ende der Welt nahe gewesen sein. Aber auch die Schnüffler vom Schlage eines Philip Marlowe oder Lew Archer sahen alt aus gegen James Bond, den Agenten des Secret Service, der finanziell und ausrüstungstechnisch üppig ausgestattet gegen die Feinde der westlichen Zivilisation zu Felde zog.

Dem ‚heißen‘ II. Weltkrieg folgte ab 1945 ein ‚kalter‘ Krieg der beiden Supermächte USA und UdSSR. Er wurde heimlich aber erbittert ausgefochten. Das Verbrechen gewann eine neue, politische Dimension: Nicht Raub oder Mord aus Gier oder Rache waren die Motive im „Großen Spiel“ der Regierungen. Die (angeblich) legitime Abwehr und Schwächung heimtückischer Feinde des jeweiligen Systems standen im Vordergrund. Menschen und Opfer wurden zu Spielfiguren und Zahlen. Unsicherheit bestimmte das Zwielicht hinter den Kulissen. Wer war Freund, wer Feind? Galten diese Klassifizierungen überhaupt noch?

Natürlich bot die Welt der Geheimdienste nur eine grobe Schablone, vor der Ian Fleming 1953 James Bond 007 agieren ließ. Zwar konnte der Verfasser (s. u.) auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, die er jedoch aufs Spektakuläre zuspitzen musste: Auch Agentenarbeit ist primär langweilige Routine. Als Schriftsteller war Fleming zudem Neuling. Das merkt man einer Geschichte an, die deutlich in drei Teile zerfällt: Bonds Vorbereitungen zum grandiosen Kartenspiel-Gefecht mit Le Chiffre im Casino Royale (sehr gelungen), die anschließende Gefangennahme, Folter und Rettung von Bond (unbehaglich intensiv) sowie schließlich der tragisch gemeinte aber recht missglückte, weil an einen bereits abgeschlossenen Spannungsbogen anknüpfen wollende Epilog vom großen Verrat der Vesper Lynd.

|Aller Anfang ist (erstaunlich) zäh|

Für Bond-verwöhnte Kinobesucher geschieht erstaunlich wenig in diesem Roman. Es gibt eine Bombenattacke, eine Autoverfolgungsjagd und eine ausgiebige Folterszene. Das war’s an Action. Raffinierte Agententechnik aus dem Hause Q glänzt durch Abwesenheit. Bond fährt einen Bentley Baujahr 1933 und benutzt eine Beretta Kaliber 25. (Später informierte ein Waffenexperte Fleming, dass diese als Damenpistole galt. Danach wechselte 007 schleunigst zur Walther PPK.)

Was „Casino Royale“ (neben nostalgischen Gründen) immer noch lesbar macht, ist Flemings offensichtliches Bemühen, dem Getümmel eine dritte Dimension zu verleihen. Auffällig sind die ausführlichen Beschreibungen von Kleidern, Speisen, Möbeln usw. Ian Fleming verstand sich als Mann mit Stil, und das gab er an seinen James Bond weiter. Diesen sah er darüber hinaus als Muster für den Menschen der Gegenwart und deshalb rasch und notgedrungen rücksichtslos im Denken und Handeln.

Vergessen ist spätestens seit der Ära des 007-Clowns Roger Moore, dass James Bond ein Produkt des II. Weltkriegs ist. Fleming geht mehrfach auf dessen prägende Kriegserlebnisse ein. (Dies brachte ihn später in Schwierigkeiten, da er Bond zunächst ’normal‘ und dann langsamer altern ließ, bis dieser eigentlich bereits als Schuljunge ins Feld gezogen sein musste, wenn man nachrechnete.) Auch deshalb ist der 007 aus „Casino Royale“ uns heute recht fremd.

|Das Bond-Universum in seiner Steinzeit|

Ian Flemings James Bond war lange ein vom Kino-007 völlig konträre Figur. Die beiden ersten Filme („James Bond jagt Dr. No“, 1961, und „Liebesgrüße aus Moskau“, 1963) mit Sean Connery kamen dem eiskalten, beinahe fanatisch auf sein Ziel fixierten und dabei buchstäblich über Leichen gehenden Bond aus „Casino Royale“ nahe.

Selbst Fleming milderte die schroffe Persönlichkeit seines Helden rasch ab; der spätere James Bond ist nicht milder im Handeln aber psychisch stabiler. Er wird weniger deutlich von gar zu offensichtlichen Selbstzweifeln und unterdrückten Emotionen bestimmt, die er hinter der Maske des 007 zu verbergen trachtet. Erst 2006 trat im „Casino-Royale“-Film – der gleichzeitig zum Reboot der 007-Saga wurde – dieser Aspekt wieder stärker in den Vordergrund.

Bonds Frauenbild ist ein unverfälschtes Spiegelbild seiner Zeit. Er lehnt weibliche Agenten ab, weil sie seiner Meinung nach niemals dieselbe Konsequenz wie ein Mann aufbringen können. Prompt versagt Vesper Lynd, und Bond flucht sie in die Rolle der Ehefrau und Mutter zurück. Schlafen will er aber unbedingt mit ihr, das steht auf seiner Liste – sobald er den Job erledigt hat: Diesen Bond kennen wir gut.

Allerdings verliebt sich 007 später in Vesper und macht ihr einen ernstgemeinten Heiratsantrag. Sogar aus dem Agentengeschäft will er sich zurückziehen. Aber Vesper ist eine Doppelagentin und die Welt schlecht. Damit sie nicht zu allem Überfluss rot wird, macht es in Bonds Hirn „Klick“. |“Das Biest [= Vesper] ist tot“|, wird nach London gemeldet, und dann wirft sich 007 wieder in den Kampf mit dem Reich des Bösen.

|Die Schöne und das Biest|

Vesper Lynd ist paradoxerweise emanzipierter als eigentlich alle Kino-Bond-Girls bis in die Gegenwart. Sie wirft sich weder bereitwillig in 007s starke Arme, noch wälzt sie sich (zuschauerfrei ab 12 Jahre) mit ihm auf einem Eisbärenfell. Ihre Vergangenheit ist tragisch, ihr Schuldgefühl echt, ihr Ende rührt, selbst wenn dieser Effekt von Fleming vor allem konstruiert wurde, um Bond noch einmal als harten Kerl dastehen zu lassen.

Le Chiffre ist bereits der erste der überlebensgroßen Bösewichter, die später typisch für den Bond-Kosmos wurden. Noch greift er nicht nach der Weltherrschaft, sondern ist mehr oder weniger Handlanger der (realen) Sowjetmacht. Aber in seinem Folterkeller legt er bereits die Bond-typische Mischung aus Sadismus und Größenwahn an den Tag. Sein Ende ist schrecklich gewöhnlich – ein Fehler, den Fleming und vor allem die Kinofilme später vermeiden werden.

Überhaupt hat Fleming den Löwenanteil seiner Fehler bereits in diesem ersten Bond-Roman begangen. Er lernte schnell und besserte nach, was er zu Recht negativ kritisiert fand. Schon „Live and Let Die“ (dt. „Leben und sterben lassen“), dem 1955 erschienenen zweiten Bond-Thriller, hatte das Zeug zum echten Klassiker.

_Autor_

Ian Fleming (1908-1964) blickte im „Casino Royale“-Jahr 1953 auf eine inspirierend abenteuerliche Vergangenheit zurück. Er war ein typisches Oberschicht-Gewächs des spätimperialistischen Großbritannien mit erstklassiger Schulbildung (Eton) und der sprichwörtlichen „steifen Oberlippe“. Im II. Weltkrieg lernte Fleming als Mitarbeiter des Marine-Geheimdienstes die geheimnisvolle Halbwelt kennen, die er später so effektvoll zu dramatisieren wusste. Einige wagemutige Kommandounternehmen im Mittelmeer werden ihm zugeschrieben. Den Globus hatte Fleming schon vor dem Krieg als Journalist (u. a. in Moskau) bereist, was er nach 1945 als Auslandskorrespondent der „Sunday Times“ fortsetzte. Er zog die Sonne dem englischen Regen vor und ließ sich an der Nordküste der damals noch britischen Inselkolonie Jamaica nieder.

1951 erschütterte der Cambridge-Skandal das Empire: Zwei hochrangige britische Diplomaten entpuppten sich als langjährige Spione im Dienst der UdSSR. Niemand hatte damit gerechnet, dass sich zwei „old boys“ dafür hergeben würden. Aber im Krieg der Spione gibt es weder Ehre noch Moral. Diese Erkenntnis beeindruckte Ian Fleming tief. Er hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, einen Roman zu schreiben und nun seinen Aufhänger gefunden. Im James Bond aus „Casino Royale“ hallt der Schock über den Verlust traditioneller Werte und die daraus resultierenden Unsicherheiten deutlich wider.

Den Namen „James Bond“ entlieh Fleming einem gleichnamigen Vogelkundler, der die gefiederten Bewohner der westindischen Inselwelt erforschte. Eine kluge Wahl, denn wer könnte – sehr ratsam für einen guten Spion – unauffälliger wirken als ein solcher Zeitgenosse?

Der eigentliche Erfolg des Schriftstellers Ian Fleming kam nur allmählich, der Quantensprung zum Superseller gelang erst in den 1960er Jahren, als der Kino-Bond zum modernen Mythos wurde. Damit hatte Fleming nur noch mittelbar zu tun. Er war gern gesehener Gast am Drehort und kassierte gutes Geld für seine Figur, die er in insgesamt zwölf Thrillern und zwei Kurzgeschichten-Sammlungen mehr oder weniger aufregende Abenteuer erleben ließ, wobei er (zum Unwillen der Leserschaft) durchaus mit seinem Helden experimentierte.

Nach 1960 begann Flemings Gesundheit zu verfallen. Er weigerte sich, seinen Lebensstil zu ändern, d. h. seiner Herzkrankheit entsprechend zu leben. Folgerichtig erlag er – immerhin stilvoll – auf dem Royal St. George’s Sandwich-Golfplatz in Kent am 12. August 1964 einem Herzinfarkt.

|Anmerkung|

„Casino Royale“ ist der erste der James Bond-Romane, die der Cross-Cult-Verlag anlässlich des 50. ‚Geburtstags‘ des Kino-Helden 007 neu übersetzt, ungekürzt und mit sehr schönen ‚Retro‘-Titelbilder herausbringt: eine gute Gelegenheit, den „Ur-007“ neu oder womöglich zum ersten Mal kennenzulernen.

|Taschenbuch: 240 Seiten
Originaltitel: Casino Royale (London : Jonathan Cape 1953)
Übersetzung: Stephanie Pannen/Anika Klüver
ISBN-13: 978-3-86425-070-5|
[Verlagshomepage]http://www.cross-cult.de

(Michael Drewniok)

Sara Paretsky – Die verschwundene Frau

Paretsky Verschwundene Frau Cover TB 2002 kleinDas geschieht:

Auf dem Heimfahrtüberrollt Privatdetektivin Vic Warshawski zu später Stunde in einem verrufenen Viertel ihrer Heimatstadt Chicago beinahe den leblosen Körper einer jungen Frau, die mitten auf der Straße liegt. Die Polizei scheint mit Warshawskis Schilderung zunächst zufrieden zu sein. Doch am nächsten Tag wirft man ihr plötzlich vor, den Tod verschuldet zu haben. Ganz offensichtlich sucht die Polizei einen Sündenbock. Die Leiche verschwindet, der Unfallbericht wird gefälscht. Der korrupte Detective Lemour wird Warshawski auf den Hals gehetzt, um sie einzuschüchtern.

Aus purer Not beginnt die Detektivin in eigener Sache zu ermitteln. Trotz der Verschleierungstaktik bringt sie in Erfahrung, dass es sich bei der Frau um die junge Immigrantin Nicola Aguinaldo handelt, die man fast tot geprügelt hatte, bevor man sie ihr vor das Auto legte. Nicola arbeitete als Kindermädchen für Robert Baladine, den Eigentümer von „Carnifice“, eines Sicherheitsdienst-Imperiums mit 3000 Beschäftigten, zu dem sogar eine eigene Haftanstalt vor den Toren der Stadt gehört. Hier saß Nicola als Gefangene ein, nachdem sie Eleanor, Baladines Gattin, ein wertvolles Schmuckstück gestohlen hatte. Auf mysteriöse Weise gelang es ihr später scheinbar zu fliehen. Sara Paretsky – Die verschwundene Frau weiterlesen

Preston, Douglas / Child, Lincoln – Burn Case – Geruch des Teufels

Der Teufel geht um in der Millionenstadt New York. So deuten jedenfalls fundamentalreligiöse Bunkerköpfe sowie die Medien verdächtige Spuren (Schwefel, Hufabdrücke), die auf und um die Leiche des berühmten aber verhassten, weil höchst gemeinen Kunstkritikers Jeremy Grove gefunden werden, als der eines schönen Tages ganz von selbst in Flammen aufgeht. Er bleibt nicht der einzige einflussreiche Fiesling, der auf diese spektakuläre Weise endet. Groß ist die Aufregung, denn die Opfer sind keine Durchschnittsbürger oder gar Unterschichtproleten, sondern mächtig und reich.

Mysteriöse Ereignisse der beschriebenen Art locken zuverlässig den unkonventionellen FBI-Agenten Aloysius Pendergast an den Ort des Geschehens. Er hat in seiner Laufbahn schon manchen Spuk erlebt, der sich bei näherer Betrachtung als Menschenwerk entpuppte. Auch hier gibt es durchaus einen Verdächtigen: den zwielichtigen Konzernmagnaten Locke Bullard, den der US-Geheimdienst verdächtigt, illegal Waffen-Hightech an die Chinesen zu verkaufen. Bullard verfügt indes über beste politische Beziehungen und dünkt sich über das Gesetz erhaben, wie Sergeant Vincent D’Agosta zu seinem Leidwesen erfahren muss.

Bullard lässt den erfahrenen Kriminalisten mehrfach ins Leere laufen. Erst als der sich mit Pendergast zusammentut, kommen die Ermittlungen in Gang. Sie nehmen freilich bald eine unerwartete Wendung: Was Bullard auch plant, es geht über Landesverrat weit hinaus. Hat der Philosoph und Theologe Friedrich von Menck Recht, wenn er verkündet, er habe in alten Prophezeiungen die Ankündigung entdeckt, dass New York bzw. seine Bewohner wegen ihrer Sündhaftigkeit noch im laufenden Jahr durch ein unlöschbares Feuer von der Erde getilgt würden? Luzifer bleibt jedenfalls sehr aktiv; Pendergast und D’Agosta müssen ihm um die halbe Welt folgen, um am Ball zu bleiben …

Preston & Child, die beiden unermüdlichen Handwerker der ganz leichten Unterhaltung, fabrizieren mit „Burn Case“ ihren alljährlichen Buchmarkt-Bestseller. Einmal mehr drehen sie beliebte oder gerade aktuelle Moden und Mysterys durch die Mangel, brechen sie auf Trivialniveau herunter und verschmelzen sie zu einem Garn, auf dessen Logik man lieber keinen Gedanken verschwenden sollte.

Was den Lesespaß an sich nicht beeinträchtigt. „Burn Case“ ist Thriller-Trash, der sich selbst niemals ernst nimmt, sondern einfach nur unterhalten will. Das ist eine ehrenhafte und höchst schwierige Aufgabe, wie jene beweisen, die von diesem Job rein gar nichts verstehen: Dan Brown, Scott McBain, Steve Alten und andere von der Werbeindustrie künstlich belebte und am Leben gehaltene Schreibkreaturen.

„Burn Case“ lebt von der flotten Handlung und uralten literarischen Tricks. Immer wieder stoßen unsere Helden auf Geheimnisse, hinter denen sich neue Rätselhaftigkeiten auftun – gut so, denn wirklich mysteriös kommt einem nicht vor, was sich das Autorenduo da ausgedacht hat. Der bewährte Cliffhanger kommt zu neuen Ehren: Mehrfach lassen uns Preston & Child auf dem Höhepunkt einer für unsere Protagonisten hoffnungslosen Situation zappeln. Erst später löst sich das Geheimnis, wie es z. B. D’Agosta gelingen konnte, mit nur einer Kugel im Lauf gleich drei Profikillern zu entkommen. Auch hier sind die Erklärungen nie überzeugend. Die Geschichte endet sogar mit einem Cliffhanger und leitet so über zur „Fortsetzung“; die 2005 unter dem Titel „Dance of Death“ erschien und den von den Toten auferstandenen Pendergast im Kampf mit seinem irren Bruder Diogenes zeigt, der in „Burn Case“ bereits Erwähnung findet.

Der Mystery-Boom der Millenniumsära hat sich allmählich verflüchtigt. Er wird nicht unmodern werden, denn die Menschen lieben das Geheimnisvolle. Doch auf die Dosierung kommt es an. Stets achten Preston & Child darauf, dem Seltsamen ein festes Standbein in der „Realität“ zu verschaffen. Es speist sich aus dem naturwissenschaftlichen Spezialwissen derer, die es auf die Welt loslassen. Glücklicherweise wissen die Verfasser hier mehr als die meisten Leser, so dass der Unfug, den sie verzapfen, zumindest glaubhaft klingt.

Für „Burn Case“ ist der Aufhänger das eigenartige Phänomen der „spontanen menschlichen Selbstentzündung“: Hier und da verbrennen Unglückspilze ohne ersichtliche Ursache offenbar aus sich selbst heraus, wobei unglaubliche Temperaturen entstehen. Die Wissenschaft ist außerordentlich skeptisch, die Anhänger des Unerklärlichen sind entzückt, zumal es eindrucksvolle Bilddokumente über solche flammenden Infernos gibt. (Bei Interesse & Kenntnissen der englischen Sprache bitte eine Suchmaschine der eigenen Wahl mit dem Begriff „spontaneous human combustion“ füttern – das Angebot entsprechender Websites ist beachtlich, was den unfreiwilligen Humorfaktor vieler durchaus ernsthaft gemeinter „Erklärungen“ einschließt.)

Da zwei Rätsel besser sind als eines, greifen Preston & Child auf einen weiteren, eher volkstümlichen Angsterreger zurück, der weniger gut belegt ist, aber Aufmerksamkeit garantiert. Dr. Faustus gilt als Prototyp jener Menschen, die auf dem Weg zu Ruhm, Macht und Vermögen eine fatale Abkürzung nehmen: Er verschrieb seine Seele dem Teufel, der ihm zunächst alles gewährte, was er forderte (den Ritt auf einem Weinfass eingeschlossen – spätmittelalterliche Scherze halt …), bis er ihn nach Ablauf der vereinbarten Frist um 1540 unter für Faustus sehr schmerzhaften Begleitumständen (die in „Burn Case“ eingehend beschrieben werden) und unter Hinterlassenschaft eindeutig satanischer Spuren holte.

So ein moderner Dr. Faustus ist Locke Bullard, der allmählich merkt, dass er in seinem Drang nach Geld und Einfluss zu weit gegangen ist. Seine Komplizen, die mit ihm den Teufelspakt schworen, hat es schon erwischt. Bullard hingegen versucht das Unmögliche: Er will Mephisto um seinen Lohn prellen und das Zusammengeraffte trotzdem behalten, was wie erwartet endet, denn: „Der Teufel ist ein Lügner und der Vater der Lügen“ (Johannes 8,44). Außerdem ist er schlau.

Wobei Satan in persona in „Burn Case“ durch Abwesenheit glänzt – schade eigentlich, denn sein Auftritt wäre in einem Märchenthriller wie diesem durchaus möglich gewesen. Wer sich wirklich hinter seinem Trugbild verbirgt, ahnt der erfahrene Leser ein bisschen zu früh, was zur Holzhammerdramaturgie des Werks freilich passt. Schließlich treten auch sonst nur Knallchargen auf. Bullard ist Bösewicht aus Passion – kein raffinierter Psychopath, sondern als Weltfeind Nr. 1 etwa so glaubhaft wie jeder beliebige James-Bond-Finsterling. Sehr passend umgibt ihn eine Horde von Schlägern und Mietmördern, deren Brutalität nur durch die Zuverlässigkeit übertroffen wird, mit der sie im entscheidenden Moment versagen und das Heldenduo Pendergast & D’Agosta aus todsicheren Todesfallen entwischen lassen.

Das ist ärgerlicher, denn beide sind als positive Hauptfiguren außerordentliche Nervensägen. Pendergast, die Denkmaschine, die alles weiß und kann und niemals zögert, die Leser mit der Vorführung beider Eigenschaften herzlich zu langweilen, ist eine erstaunlich unsympathische Gestalt. Immer noch wollen Preston & Child ihn uns als mysteriösen Mann aus dem Nichts verkaufen. Sind sie außerstande zu bemerken, wie ausgereizt und öde dieser Gag längst ist? Richtig gewirkt hat er nur in „Relic“ (1994; dt. „Das Relikt – Museum der Angst“), als uns Pendergast das erste Mal begegnete.

Seit „Cabinet of Curiosities“ (2002, dt. [„Formula – Tunnel des Grauens“) 192 beginnen die Autoren als buchübergreifende Nebenhandlung eine Pendergast-Familiengeschichte der kruden Art zu entwerfen. Auch hier sind Preston & Child seltsam geizig, beschränken sich auf Andeutungen – Versprechen, die bisher nie eingelöst wurden und einfach überflüssig sind, weil Aloysius Pendergast eine unerhört nichts sagende Figur ist.

Zusätzlich störend wirkt das Bestreben der Autoren, ihre Thriller quasi zu „vernetzen“: Immer wieder treten Figuren auf, die bereits in anderen Romanen Verwendung fanden. Das funktioniert mit dem bewährten D’Agosta, geht aber schief mit sinnfreien Gastauftritten: Weder Polizeifrau Laura Haywood noch Journalist Harriman bringen die Handlung voran. Stattdessen langweilen sie den Leser in einem isolierten Nebenstrang mit den Eskapaden eines selbst ernannten Neo-Heilands, der davon abgehalten werden muss, in New York einen Gottesstaat auszurufen: anscheinend musste „Burn Case“ als Buch nachträglich auf Länge gebracht werden.

Selbstverständlich sind den Autoren die Beschränktheiten ihres Personals bekannt. Deshalb gesellt sich ja der lebensnahe Watson Vincent D’Agosta zum unzugänglichen Holmes Pendergast. Leider erweist sich auch der Polizist als wandelndes Klischee: der wackere, vom Leben gebeutelte, fürs Grobe und – in Vertretung der Leserschaft – für das Stellen dummer Fragen zuständige Brummcop mit dem goldenen Herzen, der von den Vorgesetzten immer auf die Schnauze kriegt, von der Gattin verlassen wurde und sich ansonsten wie der Elefant im Porzellanladen zu benehmen hat.

D’Agosta ist es auch, der von Preston & Child in eine der peinlichsten und lächerlichsten Sexszenen gezwungen wird, die man sich vorstellen kann – oder eben nicht; man muss es einfach lesen und sich vor Lachen schütteln, wie der arme Vincent völlig unvermittelt über die schöne Kollegin Laura herfallen muss, die ansonsten die Alibifrau in unserer Geschichte mimt. (Die zeitgereiste Constance lassen wir außen vor; das ist eine weitere Figur ohne jede Bedeutung für die „Burn Case“-Story.)

Eine „Meisterleistung“ gelang dem deutschen Verlag übrigens wieder einmal mit der „Übersetzung“ des Originaltitels. „Brimstone“ bedeutet „Schwefel“, was angesichts der erzählten Geschichte Sinn ergibt. Dass „Burn Case“ – „Brandfall“? – als „Eindeutschung“ größere Klarheit schafft, kann nicht unbedingt behauptet werden.

Einmal mehr wird das Buch durch eine gut lesbare Schrift, einen kleinräumigen Satzspiegel und großzügige Ränder auf imposante Seitenstärke gebracht – eine weitere Unsitte moderner Veröffentlichungsfabriken, die von der Theorie ausgehen, dass zögernde Leser im Laden von möglichst dicken Büchern („Hier kriegt man was für sein Geld!“) magisch angezogen werden. Indes beträgt der Preis für „Burn Case“ nur 19,90 Euro, was für ein gebundenes Buch heutzutage wirklich günstig ist. Mehr möchte man für dieses kurzweilige, wegen seiner allzu offensichtlichen Schlampigkeit aber auch Ärgernis erregende Werk allerdings auch nicht anlegen.

Douglas Preston wurde 1956 in Cambridge, Massachusetts geboren. Er studierte ausgiebig, nämlich Mathematik, Physik, Anthropologie, Biologie, Chemie, Geologie, Astronomie und Englische Literatur. Erstaunlicherweise immer noch jung an Jahren, nahm er anschließend einen Job am American Museum of Natural History in New York an. Während der Recherchen zu einem Sachbuch über „Dinosaurier in der Dachkammer“ – gemeint sind die über das ganze Riesenhaus verteilten, oft ungehobenen Schätze dieses Museums – arbeitete Preston bei |St. Martin’s Press| mit einem jungen Lektor namens Lincoln Child zusammen. Thema und Ort inspirierten das Duo zur Niederschrift eines ersten Romans: „Relic“ (1994; dt. „Das Relikt – Museum der Angst“).

Wenn Preston das Hirn ist, muss man Lincoln Child, geboren 1957 in Westport, Connecticut, als Herz des Duos bezeichnen. Er begann schon früh zu schreiben, entdeckte sein Faible für das Phantastische und bald darauf die Tatsache, dass sich davon schlecht leben ließ. So ging Child – auch er studierte übrigens Englische Literatur – nach New York und wurde bei |St. Martins Press| angestellt. Er betreute Autoren des Hauses und gab selbst mehrere Anthologien mit Geistergeschichten heraus. 1987 wechselte Child in die Software-Entwicklung. Mehrere Jahre war er dort tätig, während er nach Feierabend mit Douglas Preston an „Relic“ schrieb. Erst seit dem Durchbruch mit diesem Werk ist Child hauptberuflicher Schriftsteller. (Douglas Preston ist übrigens nicht mit seinem ebenfalls schriftstellernden Bruder Richard zu verwechseln, aus dessen Feder Bestseller wie „The Cobra Event“ und „The Hot Zone“ stammen.)

Selbstverständlich haben die beiden Autoren eine eigene Website ins Netz gestellt. Unter http://www.prestonchild.com wird man großzügig mit Neuigkeiten versorgt (und mit verkaufsförderlichen Ankündigungen gelockt).

Michael Connelly – Die Rückkehr des Poeten

Acht Jahre konnte er seine Verfolger narren und galt als tot: Mehr als genug Zeit für den Ex-FBI-Agenten und Serienmörder Jim Backus, genannt „der Poet“, um ein neues Mordkomplott anzuzetteln. Bei seinem ersten Auftritt hatten ihn ein Journalist und seine Schülerin, die FBI-Agentin Rachel Walling, daran gehindert, sein sadistisches Spiel zum geplanten Ende zu bringen. Das will Backus nun wieder aufnehmen und sich gleichzeitig an Walling rächen.

Ebenfalls in sein Visier gerät der Ex-Polizist Terry McCaleb, der nach einer Herztransplantation „ehrenamtlich“ als Profiler arbeitet und dem Poeten dabei bedrohlich nahe gekommen ist. Als McCaleb nach einem Herzanfall stirbt, glaubt seine Witwe nicht an einen natürlichen Tod. Sie bittet den Privatdetektiv Hieronymus „Harry“ Bosch, einen Freund ihres Gatten, um Hilfe und Aufklärung.

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Mankell, Henning – Vor dem Frost

Nachdem seine erfolgreiche Krimireihe rund um Kurt Wallander mit der „Brandmauer“ seinen Abschluss gefunden hat und Mankell seine Leser in der „Rückkehr des Tanzlehrers“ mit dem Kommissar Stefan Lindman bekannt gemacht hat, ermittelt in „Vor dem Frost“ erstmals Linda Wallander, obwohl sie eigentlich noch nicht offiziell im Polizeidienst angefangen hat. Der Generationenwechsel in Ystad hat nun stattgefunden, und nach dem Erfolg des Krimis mit Stefan Lindman als Hauptfigur hat dieser nun auch seinen Einsatzort gewechselt und arbeitet fortan ebenfalls in Ystad an der Seite des alternden und immer noch schlecht gelaunten Kurt Wallander. Ob Henning Mankell seiner neuen Krimiheldin ein überzeugendes Debüt gewidmet hat, wollen wir uns nun näher besehen …

_Bitte melde dich!_

Frisch von der Polizeischule kehrt Linda Wallander zurück nach Ystad. Da sie noch auf eine eigene Wohnung warten muss, zieht sie zunächst zu ihrem Vater Kurt, auch wenn dies zu allerlei Schwierigkeiten führt, da beide sehr impulsiv reagieren und somit immer genug Zündstoff für Streitereien gegeben ist. Leider reicht das Geld bei der Polizei nicht aus, um Linda sofort einzustellen, sodass sie ungeduldig auf ihren Einsatz warten muss. In der Zwischenzeit baut sie zwei alte Freundschaften zu ihren Schulfreundinnen Zebra und Anna wieder auf. Doch eines Tages ist Anna verschwunden, obwohl sie sonst doch immer so pünktlich und zuverlässig war. Mit Hilfe eines Dietrichs verschafft Linda sich Zugang zu Annas Wohnung und beginnt auf eigene Faust, das Verschwinden ihrer Freundin zu untersuchen. Vater Kurt hat dafür allerdings gar kein Verständnis, da er nicht an ein Verbrechen glaubt, zumal auch Annas Mutter überhaupt nicht beunruhigt zu sein scheint.

Gleichzeitig geschehen noch weitere mysteriöse Dinge in Ystad: Über dem Marebosjö fliegen brennende Schwäne, kurze Zeit später berichtet ein Bauer, dass jemand eines seiner Kälber angezündet hat. Kurt Wallander befürchtet Schlimmstes, sein Gefühl sagt ihm, dass hier nicht nur ein verrückter Tierquäler am Werke ist, sondern dass diese Taten Auftakt sind zu mehr. Und wirklich, nahe von Schloss Rannesholm wird in einer versteckt liegenden Waldhütte eine brutal ermordete Frau gefunden, der Kopf und Hände abgeschlagen wurden. Neben den Leichenteilen entdecken die Polizisten auch eine Bibel, in die jemand eigene Gedanken und Interpretationen hineingeschrieben hat.

Zufällig findet Linda in Annas Tagebuch einen Hinweis auf die ermordete Frau aus dem Wald und schafft dadurch eine Verbindung zwischen Annas Verschwinden und dem Mord an Birgitta Medberg. Auch führt ein Hinweis die junge Polizeianwärterin nach Kopenhagen, wo sie von einem hageren Mann bewusstlos geschlagen wird. Ihr Vater ist außer sich und bezieht seine Tochter nun offiziell in die Ermittlungen mit ein. Doch die Zeit rennt den Polizisten davon …

_Alles neu macht der Frost_

Um Wiederholungen zu vermeiden, beendete Henning Mankell zur Trauer seiner treuen Leser die erfolgreiche Kriminalreihe um Kurt Wallander, nur um allerdings mit einem kleinen Trick Kurt Wallanders Tochter in das Zentrum des Geschehens zu rücken. Wollte Linda in den vergangenen Romanen noch Möbelpolsterin werden, so eröffnete sie ihrem Vater am Ende seines letzten offiziellen Kriminalfalles zu seiner großen Überraschung (aber auch Freude), dass sie den gleichen Weg einschlagen möchte wie er. Nun also begleitet der Leser Linda bei ihren Ermittlungen und Gedankengängen, während ihr Vater in den Hintergrund rückt.

Doch so ganz kann Mankell hiermit nicht überzeugen. Zunächst schafft er es nicht glaubwürdig, uns Lindas Entscheidung für die Polizeikarriere zu erklären. Zwar hatte Mankell bereits in den vergangenen Romanen immer angedeutet, dass Lindas Berufswünsche mehrfach wechselten, doch plötzlich scheint sie vollkommen überzeugt zu sein von ihrem (neuen) eingeschlagenen Weg. Darüber hinaus nimmt ihre Vorstellung zu viel Raum in diesem Buch ein. Ein großes Plus in Henning Mankells Büchern ist seine liebevolle Figurenzeichnung, die immer weiter chronologisch fortgesetzt wird, sodass uns seine Krimihelden richtig ans Herz wachsen. Doch da Linda bislang immer nur eine kleine Nebenrolle innehatte, muss Mankell fast von vorne beginnen. In der „Rückkehr des Tanzlehrers“ gelang ihm die Gratwanderung zwischen einer überzeugenden Charakterisierung und einer, die die Spannung zu sehr ausbremst, sehr gut. In seinem ersten Linda-Wallander-Roman verliert er allerdings oftmals den eigentlichen Kriminalfall aus den Augen.

Da Linda noch nicht offiziell als Polizeianwärterin arbeitet, ermittelt sie wie schon ihr Vater zuvor auf eigene Faust und eher am Rande der Legalität. An den eigentlichen Ermittlungen in dem Fall der brennenden Tiere und der brutal ermordeten Frau Birgitta Medberg nehmen wir daher kaum Anteil. Genau das war es allerdings, was mich bei den bisherigen Mankell-Krimis so fasziniert hat. Wir waren bei jedem Schritt der Polizei hautnah dabei, wir haben an den Besprechungen und an den leidigen Pressekonferenzen teilgenommen, wir haben Nybergs schlechte Laune und Kurt Wallanders Ungeduld gespürt, doch dieses Mal ist alles anders. Von Anfang an rückt Linda Wallander in den Mittelpunkt des Geschehens, wir erfahren einiges aus ihrer Vergangenheit, über ihre abgebrochenen und gescheiterten Selbstmordversuche, über die schlechten Launen und Wutausbrüche ihres Vaters und über ihre Freundschaft zu Anna und Zebra. Allerdings bekommen wir von der eigentlichen polizeilichen Ermittlung viel zu wenig mit. Die personelle Komponente überwiegt in weiten Teilen der Romanhandlung, sodass der Spannungsbogen in „Vor dem Frost“ erstmals nicht perfekt gelungen ist, wie wir das inzwischen von Henning Mankell praktisch erwarten.

Interessant dagegen ist es, die bereits bekannten handelnden Personen aus Lindas Blickwinkel kennen zu lernen. So erscheinen besonders ihre Eltern unter ganz anderem Licht, aber auch Ann-Brit Höglund lernen wir von einer neuen Seite kennen.

Manchmal fehlte mir der rote Faden, der durch das Buch führt. Zwischendurch wechselte häufiger die Perspektive; so haben wir nicht nur Linda bei ihren Nachforschungen begleitet, sondern auch Birgitta Medberg auf ihrem unbekannten Pfad, der geradewegs zu ihrem Mörder geführt hat, und auch einen Unbekannten, der in der Eröffnungsszene die Schwäne in Brand steckt und auch weitere Pläne und Gedanken kundtut. Darüber hinaus erschienen mir Lindas Ermittlungen oftmals wenig zielgerichtet und vor allem wenig vernünftig. Sie tappt blindlings in die eine oder andere Falle und verliert natürlich im entscheidenden Augenblick ihr Handy (dessen Akku selbstverständlich fast leer war). Stellenweise häufen sich die Zufälle etwas zu sehr, sodass der Roman an Glaubwürdigkeit verliert. Auch erschienen mir einige Situationen nicht schlüssig zu sein; so werden wir Zeuge, wie Linda Wallander aus Wut ihrem Vater einen Aschenbecher an den Kopf wirft, woraufhin eine Platzwunde seine Stirn ziert. Wenn Kurt allerdings wirklich solche Wutausbrüche hat und impulsiv handelt, wie uns vorher weisgemacht wurde, passt seine relativ gelassene Reaktion nicht zu seinem sonstigen Verhalten.

_Thematisches_

Wie gewohnt greift sich Henning Mankell ein heißes Thema heraus, um das er seine Romanhandlung herum aufbaut. In „Vor dem Frost“ spielen fanatische religiöse Gemeinschaften eine Rolle, die ihr ganz eigenes Ziel verfolgen. Darüber hinaus setzt die eigentliche Handlung Ende August 2001 ein und spielt sich somit kurz vor den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center ab. An Lindas erstem offiziellen Arbeitstag muss sie schließlich im Fernsehen die tragischen Bilder der Terroranschläge ansehen. Sehr bewusst legt Mankell hier seine eigene Romanhandlung parallel zu den damaligen Ereignissen an, sodass nicht nur die Mankell’schen Figuren gerade ihre Anschläge planen, sondern im wahren Leben die Terroristen ebenfalls.

Leider bleiben am Ende die wahren Gründe für die geplanten Anschläge der religiösen Fanatiker etwas im Dunkeln. Mankell deutet zwar eine schwache Begründung an, doch weiß diese nicht zu überzeugen. Gerade die Hintergründe und die Motivation der religiösen Gemeinschaft hätte Mankell noch weiter ausführen können, um ihr Tun und Handeln vielleicht in Ansätzen erklärbar zu machen.

_Altbewährtes_

Selbstverständlich bleibt Henning Mankell sich weiterhin treu; seinem Roman stellt er einen Prolog voran, der im Jahre 1978 spielt und zunächst keinen Zusammenhang zu den späteren Ereignissen hat. Erst nach knapp 200 Seiten erfährt der Leser die Verbindung zwischen den weit zurückliegenden Geschehnissen und dem aktuellen Kriminalfall. Hier führt Mankell seine Handlungsstränge zusammen und beantwortet mit einem Schlag zahlreiche Fragen. Doch das mindert die Spannung nicht im Geringsten, da die Polizei weiterhin im Dunkeln tappt und Linda gar nicht ahnt, welchen Gefahren sie sich aussetzt. Mit unserem Wissensvorsprung können wir Linda, ihrem Vater und seinen Kollegen also bei ihrer Arbeit zusehen und überprüfen, ob sie die richtigen Spuren verfolgen.

Obwohl die Handlung nicht so strafft erzählt ist wie gewohnt, ist auch der vorliegende Roman schwer aus der Hand zu legen. Nach einem gemächlichen Einstieg mit den brennenden Schwänen und der ausführlichen Vorstellung Linda Wallanders lässt Mankell seine Akteure auf den Plan treten. Zwar geschieht am Anfang kein brutaler (Menschen-)Mord, doch animieren auch die brennenden Tiere zum Mitfiebern, da bereits klar ist, dass sie nur Auftakt zu größeren Taten sein können. Doch dann dauert es auch nicht lange, bis Birgitta Medbergs Leichenteile merkwürdig drapiert entdeckt werden und Lindas Sorgen um Anna immer schwerwiegender werden.

_Nach dem Frost_

Obwohl „Vor dem Frost“ seine Erwartungen nicht alle erfüllen kann, ist es dennoch ein Krimi der Extraklasse. Lediglich verglichen mit Henning Mankells bisherigen Kriminalromanen fällt die Begeisterung etwas geringer aus. Fast alle bekannten Erfolgskomponenten des schwedischen Bestsellerautors finden sich hier wieder, nur Linda überzeugt als neue Krimiheldin (noch?) nicht ganz. Ihr Vorgehen ist zu unüberlegt und auch ihre Person wirkt nicht so sympathisch wie die ihres Vaters. Zeitweise hält Mankell sich zu sehr mit seinen Beschreibungen auf und bremst dadurch die Handlung aus, auch häufen sich die Zufälle manchmal zu sehr, wodurch die Glaubwürdigkeit etwas leidet. Lesenswert ist der erste Linda-Wallander-Fall allemal, doch muss sie sich ihre Lorbeeren erst noch verdienen.

Hill, Susan – Der Menschen dunkles Sehnen

Susan Hill, geboren 1942 in Scarborough, begann schon als junge Frau zu schreiben. Sie hat zahlreiche Romane, Jugendbücher, Hörspiele und Sachbücher veröffentlicht. Mit ihrer neuen Trilogie hochklassiger Kriminalromane erobert sie derzeit eine riesige Fangemeinde.
Susan Hill lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Landhaus in Gloucestershire.

_Inhalt:_

Im englischen Kathedralstädtchen Lafferton scheint die Welt noch in Ordnung. Familien gehen ihren Geschäften nach, der Kirchenchor und ein engagiertes Ärztepaar sorgen fürs Gemeindewohl, und über allem thront ein grüner Hügel, den Sportler und Flaneure zu fast jeder Stunde bevölkern. Als die alleinstehende, 53-jährige Angela Randall beim Joggen im Nebel verschwindet, will die Polizei den Fall schnell wieder zu den Akten legen. Ist sie nicht eine Erwachsene, die gehen kann, wohin sie will? Nur Kommissarin Freya Graffham hat ein ungutes Gefühl; vor allem, als sie im Küchenschrank der Vermissten einen seltsamen Brief findet.

Bald darauf kommt eine weitere Frau, die junge Debbie Parker, nicht mehr von ihrem Morgenspaziergang auf dem Hügel zurück. Die Polizeit fragt sich, ob dies nicht alles mit den seltsamen New-Age-Heilern und Esoterikern zusammenhängt, die seit einiger Zeit ihre Praxen im Nachbarort betreiben. Als schließlich weitere Menschen verschwinden, und die Hinweise auf einen teuflisch-raffinierten Täter, der die Wissenschaft vom Körper zu lieben scheint, sich mehren, wird die Polizeistation trotz gerade anhaltender Drogen-Razzien in Alarmbereitschaft gesetzt.

Ganz langsam kriecht das Böse in die heimeligen Gässchen Laffertons, und nahezu jeder käme als Schuldiger in Frage. Wenn man genauer hinsieht, hat jeder einzelne Charakter schicksalshafte Brüche in seinem Leben gehabt, selbst Polizeichef Simon Serrailler, in den Freya sich direkt beim ersten Treffen verliebt hat. Die junge und engagierte Kommissarin lässt schließlich auch nicht locker, bis sie entdecken muss, was all jene verbindet, die niemals von Laffertons idyllischem Hügel wiederkehren …

_Bewertung:_

„Der Menschen dunkles Sehnen“ ist nicht nur ein standesgemäßer Krimi, sondern zudem auch eine Erzählung von Menschenschicksalen, bei denen nicht selten der Tod eine große Rolle spielt.

Da wäre zum einen die beliebte Ärztin Cat Derborn, die fast tagtäglich mit schwer kranken Menschen zu tun hat, denen sie in ihrer letzten Stunde Beistand leisten muss. So zum Beispiel dem alten Harry, der zusammen mit seiner Frau Iris und der Doktorin die letzten Minuten verbringt, bis er schließlich dahinscheidet. Iris hingegen kommt mit dem Tod ihres Mannes nicht zurecht, entscheidet sich schließlich für die Teilnahme an einer Seance, kann aber niemandem mehr davon erzählen, weil sie anschließend nicht mehr gesehen wird. Dieses Schicksal teilt sie wiederum mit der unscheinbaren Angela Randall, einer Frau, deren Vergangenheit und deren ganzes Leben vollkommen ungewiss ist, weshalb ihr Verschwinden zunächst auch keine großen Nachwirkungen mit sich bringt. Die andere Leidtragende, Debbie Parker, lebt ebenfalls sehr zurückgezogen und hat enorme Probleme mit ihrem Äußeren. Auch sie sucht einen alternativen Therapeuten auf, um sich gegen Akne behandeln zu lassen, und kehrt eines Tages nicht zurück.

Dann wäre da die junge Kommissarin Freya Graffham: Nach ihrem unglücklichen und peinvollen Eheleben in London hat sie in Lafferton eine neue Heimat und neue Freunde gefunden, und der letzte Schritt zu ihrem Glück wäre eine Beziehung mit dem Polizeichef Simon Serrailler. Der hingegen ist eher scheu, was solche Beziehungen betrifft, und hat schon mehrere Frauen zurückgewiesen. Seine Mutter ist da das genaue Gegenteil; sie betätigt sich bei Wohltätigkeitsorganisationen, hilft, wo sie nur kann, und sieht entgegen ihrem Mann in Simon keinen Versager, bloß weil dieser sich wie der im Gegensatz zum Rest der Familie nicht für eine Arztkarriere entschieden hat – eben so wie seine Schwester Cat, mit der die Liste ja begonnen hat. Und dann wären da noch unzählige New-Age-Therapeuten, so genannte Quacksalber, die auch allesamt ihre Gründe haben, warum sie in der heutigen Zeit nicht als ‚echte‘ Äzrte praktizieren – und die sind ebenfalls in einer schicksalhaften Vergangenheit verankert …

Susan Hill leistet wirklich einzigartige Arbeit, indem sie die verschiedenen Charaktere und ihr gesamtes Leid, ihre schmerzvolle Vergangenheit, ihre Probleme, sich so richtig in die ’normale‘ Gesellschaft zu integrieren, und die möglichen Lösungsstrategien mit allen wichtigen Details beschreibt und dabei geschickt den Bogen zum unscheinbaren aber trügerischen Dorf Lafferton spannt, wo diese Menschen nun alle aufeinandertreffen. Jede Person scheint ein Einzelschicksal zu sein, doch irgendwie besteht zwischen alldem eine Verbindung, und genau diese stellt Susan Hill episodenhaft und unheimlich spannend über die Spanne von 550 Seiten dar. Ihr Hauptaugenmerk liegt dabei auf den düsteren Eigenschaften der menschlichen Seele, die vor allem bei den betroffenen und kranken Menschen sehr gut zur Geltung kommt. Im Detail geht sie hier spezifisch auf das Wechselbad zwischen Hoffnung und Verzweiflung ein, erforscht aber in ihren Schilderungen auch, wie sich diese beiden konträren Punkte letztendlich bedingen. Am besten gelungen ist dies bei der Freundin von Cat Deerborn, die an Krebs erkrankt ist, nach außen hin eine sehr starke Persönlichkeit verkörpert und glaubt, dass alternative Behandlungsmöglichkeiten sie von ihrem Leid befreien, obwohl sie andererseits fest weiß, dass sie ohne eine echte medizinische Therapie keine Chance gegen ihre Krankheit haben wird.

Die düstere Seite der Seele wird aber auch in den ‚bösen‘ Charakteren dieses Buches beschrieben. Nicht, dass man sofort wüsste, wer nun wirklich gut und böse ist (und das ist ein weiterer Geniestreich von Susan Hill), aber wenn ich nun rückblickend betrachte, wie Susan Hill hier langsam aber mit Bestimmtheit das Bild eines eigentlich unauffälligen Psychpathen entstehen lässt, dann kann ich vor diesem Meisterstück nur den Hut ziehen. Die Autorin ist diesbezüglich aber auch sehr einfallsreich und stellt den mutmaßlichen Täter von zwei Seiten vor: einmal aus der Ich-Perspektive, durch verschiedene zwischendurch eingefügte Kapitel in Form eines Tonbands, auf dem derjenige seine Beweggründe und Gedanken äußerst; und zum zweiten aus der Sicht der Bürger Laffertons und hier besonders Freya Graffham, die sich dieses mysteriösen Falles angenommen hat.

Letztendlich ist es aber auch eine Moral, die Susan Hill hier kreiert. Sie zeichnet nämlich das Bild eines völlig unauffälligen Menschen nach, der jedoch von inneren Zwängen so sehr vereinnahmt wird, dass er abseits seines Alltags zu Greueltaten fähig ist, die man ihm niemals zutrauen würde. Und weil diese Geschichte in einem ansonsten sehr ruhigen und geselligen Dörfchen spielt, zeigt Hill zudem auf, dass die düsteren Geheimnisse des menschlichen Antriebs überall versteckt sind, selbst in einem kleinen Ort wie Lafferton!

Schlussendlich bin ich von der Geschichte schwer beeindruckt, auch wenn die Autorin für meinen Geschmack mit manchen Hinweisen ein Stück zu früh herausrückt. Das Rätsel um das Verschwinden der verschiedenen Frauen bzw. darum, was oder wer genau dahintersteckt, wird nämlich ansatzweise schon nach der Hälfte des Buches aufgelöst. Trotzdem bleibt die Spannung bis zur letzten Seite aufrecht erhalten, denn Hill hat sich bis dorthin schon so viele Türen geöffnet und so viele Einzelheiten zu den verschiedenen Charakteren preisgegeben, dass man keine Ruhe hat, bevor man nicht wirklich jedes noch so winzige Detail erfahren hat. Hinzu kommt ein schier unvergleichlicher Schreibstil: kurz und prägnant, simpel und teilweise umgangssprachlich, aber nicht weniger fesselnd als so manch hochtrabender Roman – und somit auch sehr sympathisch. „Der Menschen dunkles Sehnen“ lebt von seinen meisterlich gezeichneten Charakteren und der intelligenten Herangehensweise von Susan Hill – und ist damit in Sachen Krimi/Thriller eines der besten Bücher, die derzeit auf dem Markt zu finden sind!

Connolly, John – Insel, Die

Dutch Island ist eine gar nicht so kleine Insel vor der Pazifikküste des US-Staats Maine. Knapp tausend Menschen leben hier und bilden eine geschlossene Gemeinschaft; für „Fremde“ vom Festland ist es schwer, Fuß zu fassen. Marianne Elliot kämpft als allein erziehende Mutter mit vielen Vorurteilen. Dennoch arrangiert sie sich, denn sie ist auf der Flucht vor ihrem Ex-Mann: Edward Moloch ist ein Psychopath, der sie voll irren Zorns sucht, seit sie sich mit Sohn Danny und viel Geld abgesetzt hat. Nach drei Jahren Haft ist Moloch gerade ausgebrochen. Mit sechs vertierten Killern zieht er auf der Suche nach seiner Familie und dem Geld eine blutige Spur durchs Land, während er sich Dutch Island bedrohlich nähert.

Dort beginnt Marianne gerade eine Beziehung mit dem depressiven Inselpolizisten Joe Dupree, genannt „Melancholie-Joe“. Der 2,15 m große Mann gehört einer der ältesten Familien von Dutch Island an. Er kennt und hütet die Geheimnisse der Insel, die einst „Sanctuary“ – „Zuflucht“ – hieß; ein wahrer Hohn, denn im Jahre 1693 hatten sich Siedler vom Festland auf die Insel zurückgezogen. Ein Verbannter aus den eigenen Reihen war zum Verräter geworden, hatte mit feindseligen Indianern paktiert und diese heimlich zur Siedlung geführt, die mit Mann & Maus ausgelöscht wurde.

Seither geht es um auf Dutch Island. Die Einheimischen wissen nichts Genaues und hegen ihre Unkenntnis sorgfältig. Belegt ist allerdings, dass die Geister der Insel von Gewalt magisch angezogen werden. Wer auf Dutch Island in dieser Hinsicht über die Stränge schlägt, schwebt in Lebensgefahr. Immer wieder verschwinden Säufer, Schläger und andere unerfreuliche Zeitgenossen spurlos im dichten Inselwald. Leider unterscheiden besagte Geister nicht zwischen Tätern und Opfern; sie fallen über beide her. Deshalb führt die Ankunft Molochs und seiner Spießgesellen zum Umkippen des sorgfältig austarierten Gleichgewichts und schließlich zur Katastrophe. Die Killer terrorisieren das Inselvolk und die Geister werden stärker und dreister, während ein Unwetter Dutch Island vom Festland und von jeder Hilfe isoliert …

Hannibal Lector X 7 in der Nacht der lebenden Toten: Auf sehr ungewöhnlichen Pfaden wandelt Thriller-Schwergewicht John Connolly, bekannt geworden durch seine hochklassigen Krimis um den Cop Charlie „Bird“ Parker, indem er „sein“ Genre mit der Phantastik mischt. So ungewöhnlich wie zunächst angenommen, ist dies freilich nicht. Der Blick auf Connollys [Website]http://www.johnconnollybooks.com verrät, dass der Autor im angelsächsischen Leserraum auch Geistergeschichten veröffentlicht hat.

Nach eigener Aussage ist für ihn die „Reinheit“ des Genres ohnehin nebensächlich. Eine möglichst spannende Geschichte möchte Connolly erzählen. Dafür ist ihm jedes Mittel recht. Hier kann man ihm nur zustimmen, doch das Ergebnis wirkt trotzdem leicht unausgegoren. „Die Insel“ ist zwar connollytypisch ein echter Pageturner, der indes einen ähnlichen Eindruck wie der Filmklassiker „From Dusk Till Dawn“ hinterlässt: Zu einer Einheit wollen sich Diesseitiges und Jenseitiges nicht wirklich verbinden.

Die Story ist actionorientiert. Hintergründigkeit wird vor allem in der Figurenzeichnung (s. u.) suggeriert, bleibt aber Behauptung. Der Plot ist denkbar schlicht. Dass dies in der Regel nicht unangenehm auffällt, verdanken wir Connollys schriftstellerischem Geschick. Er kennt die Tricks, um sein Publikum bei der Stange zu halten. Erschreckende aber nie direkt geschilderte Gewaltszenen wechseln mit quasi dokumentarischen Einblicken in das Alltagsleben auf einer abgeschotteten Insel. Auch der Humor kommt nicht zu kurz; Connolly gelingen vor allem kurze, trockene Einzeiler („In der Küche entdeckte er einen Stapel mit Fast-Food-Verpackungen, voll mit abgenagten Knochen jener winzigen Hühnchen, die Imbissketten auf irgendeinem verstrahlten Pazifikatoll züchteten …“ – S. 96)

Während man sich an den Auftritt von Gespenstern erst allmählich gewöhnt, ist Connollys detailliert gestaltete Rekonstruktion der fiktiven Inselhistorie reizvoll. Nordamerika ist ein Land mit einer Geschichte, die mehr als genug gruselige Episoden für ebensolche Storys bietet. In Neuengland konnten die Ureinwohner den europäischen Einwanderern zumindest im 17. Jahrhundert durchaus Paroli bieten. Wilde, grausame, oft vergessene Dramen spielten sich in dem weiten Land ab, wobei beide Parteien sich an Grausamkeit nichts schuldig blieben. Diese Vergangenheit weiß Connolly als Kulisse zu nutzen. Echte Spukstimmung kommt auf, wenn die Verdammten von Dutch Island des Nachts ihr Unwesen treiben. Zusätzlich baut Connolly eine weitere Handlungsebene auf, wenn er die Ereignisse der Vergangenheit in denen der Gegenwart spiegelt: Ohne es zu wissen, sind sowohl die toten als auch die lebenden Bewohner die Insel in einer Schleife gefangen, die zu einer Neuauflage des Massakers von 1693 auszuarten droht. Einige Beteiligte von damals mischen wieder mit, denn ihre Seelen kehrten nicht als Geister wieder, sondern reinkarniert in den Körpern verschiedener Figuren.

Wobei die Figurenzeichnung ohnehin dem hybriden Charakter des Werkes ausgiebig Rechnung trägt. Da haben wir u. a. einen melancholischen Riesen, sieben wahrlich böse Männer (obwohl eine Frau zu ihnen zählt, die allerdings eher Mannweib ist), eine einsame Mutter mit Kuckuckskind und viele böse Geister. Diese Aufzählung unterstreicht, dass sich der Krimifreund bei der Lektüre gewissen Herausforderungen stellen muss. Schon der Amoklauf von Moloch – welcher Name! – und seiner Natural Born Killers ist pure Übertreibung. Sie morden, vergewaltigen und verstümmeln voll angestrengter Bosheit, ohne dass sich das Gesetz blicken lässt. Als es dann endlich in Erscheinung tritt, manifestiert es sich in grotesker Gestalt.

Joe Dupree ist womöglich als zwiespältiger Charakter angelegt. Solche Tiefe verträgt „Die Insel“ anders als Connollys Parker-Romane indes nicht. Duprees Riesengestalt und die ihm daraus erwachsenen Probleme wirken aufgesetzt. Der Riesenkörper verbirgt den üblichen Klischee-Cop mit goldenem Herzen und schwieriger Vergangenheit. Folgerichtig treffen wir auf Dutch Island auch sonst die üblichen kauzigen Verdächtigen, die gut aus einem der üblichen Stephen-King-TV-Filme – der Gruselkönig residiert bekanntlich in Maine – rekrutiert worden sein könnten.

Dazu gibt es nicht nur eine, sondern gleich zwei starke Frauengestalten. Auch hier gilt es zu relativieren. Sharon Macy gibt den weiblichen „Rookie“ im Polizeigeschäft und muss sich im Kampf gegen zudringliche Männer und Kriminelle gleichermaßen behaupten. Marianne Elliot ist eine dieser vom Leben gebeutelten aber ungebrochenen Supermütter, die sich den Schrecken einer sorgsam verdrängten Vergangenheit stellen und gleichzeitig ihr Kind verteidigen, ohne die Opferrolle wirklich zu verlassen.

Das gilt erfreulicherweise nicht für die Dutch-Island-Wiedergänger. Connolly geht von der Theorie aus, dass Geister verlorene Seelen sind, die ein gewaltsames Ende in ein Zwischenreich versetzte, wo sie ohne Gefühl für die verstrichene Zeit oder die Veränderung ihrer Umgebung dazu verdammt sind, automatengleich und sinnlos die Lebenden zu piesacken; ein seltsames, ungerechtes Schicksal, denn sie sind an ihrem Tod schließlich unschuldig. Aber unterlassen wir solche Fragen – sie sind in einem Roman wie diesem völlig unangebracht. Akzeptieren wir Connollys Geisterbild, so wirkt es überzeugend: Die Seelen der Siedler sind als unausgesprochene Bedrohung ständig präsent. Sie nähren sich von negativen Emotionen und treten ausgesprochen mitleidlos auf den Plan, wo diese freigesetzt werden: Connolly-Geister lassen sich nicht durch eine gute Tat erlösen. Sie sind und bleiben böse, wobei sie – ein gelungener Kunstgriff – aufgrund ihrer sonderbaren Natur für ihr Tun nicht verantwortlich gemacht werden können.

Was nicht für den |Ullstein|-Verlag gilt, der aus der deutschen „Insel“-Ausgabe eines dieser künstlich aufgeblasenen Paperbacks – Blindenschrift auf Serviettenpapier – gemacht hat, aus denen sich offenbar mehr Geld herausschlagen lässt als aus einem „normalen“ Taschenbuch, das es auch getan hätte.

John Connolly ist – verblüffend genug – ein waschechter Ire, der nicht nur in Dublin geboren wurde (1968), sondern dort auch aufwuchs, studierte und (nach einer langen Kette von Aushilfsjobs, zu denen standesgemäß einer als Barmann gehörte) als Journalist (für „The Irish Times“) arbeitete; Letzteres macht er weiterhin, obwohl sich der Erfolg als freier Schriftsteller inzwischen eingestellt hat. Die amerikanischen Schauplätze seiner Charlie-„Bird“-Parker-Thriller kennt Connolly indes durchaus aus eigener Erfahrung; schon seit Jahren verbringt er jeweils etwa die Hälfte eines Jahres in Irland und den Vereinigten Staaten.

Verwiesen sei auf die in Form und Inhalt wirklich gute [Connolly-Website,]http://www.johnconnollybooks.com die nicht nur über Leben und Werk informiert, sondern quasi als Bonus mehrere Gruselgeschichten und Artikel präsentiert.

Franz, Andreas – Teuflische Versprechen

_Auf der Flucht_

Bei einem Einkaufsausflug kann die junge Maria ihren beiden Bewachern entkommen. Völlig orientierungslos läuft sie durch die Straßen und flüchtet sich in die Praxis einer ihr unbekannten Psychologin. Dort erzählt Maria einen Teil ihrer Lebensgeschichte. Mit 17 wurde ihr in ihrer Heimat Moldawien versprochen, dass sie in Deutschland als Aupairmädchen arbeiten könne. Doch zunächst wird Maria nach Jugoslawien verschleppt, wo sie Deutsch lernen muss und gefügig gemacht wird. Mehrere Männer vergewaltigen sie abwechselnd. Auch in Frankfurt arbeitet sie nicht als Aupairmädchen, sondern als Edelhure in einem geheimen Bordell, in welchem nur berühmte Männer verkehren, die in den höchsten Kreisen sitzen und als Politiker oder auch Anwalt bekannt sind.

Die Psychologin Verena Michel weiß sich keinen Rat und ruft noch spätabends bei ihrer besten Freundin Rita Hendriks an, von der sie sich Hilfe erhofft. Auch Rita ist entsetzt von der Geschichte, die Maria zu erzählen hat. Am nächsten Tag trifft sich Rita mit einem befreundeten Journalisten, der zur Zeit an einem Buch über das organisierte Verbrechen in Deutschland arbeitet. Dietmar Zaubel kennt sich aus in diesen Kreisen und verweist Rita an Hauptkommissarin Julia Durant. Doch leider erreicht Rita Hendriks telefonisch nur Julia Durants Kollegen und kann Julia lediglich eine Nachricht zukommen lassen. Bevor Rita sich mit Durant treffen kann, erhält sie Besuch von einem angeblichen Blumenboten, der sie zu Tode foltert, weil er Marias Aufenthaltsort erfahren möchte.

Am gleichen Tag findet man auch den Journalisten Zaubel ermordet auf. Da Julia Durant von Hendriks und Zaubels Bekanntschaft weiß, ahnt sie sofort eine Verbindung zwischen beiden Morden. Ritas letztes Telefonat führt die Polizei schließlich zu Verena und zu der verängstigten Maria. Julia Durant kümmert sich um Maria und besorgt ihr eine sichere Wohnung. Anschließend stellt sie sich dem Kampf gegen die organisierte Kriminalität, auch in dem Bewusstsein, dass sie diesen Kampf wohl nur verlieren kann, weil so hochrangige Persönlichkeiten darin verwickelt sind, dass keine Verfahren gegen sie eingeleitet werden können. Dennoch findet sich eine kleine Gruppe zusammen, die das geheime Bordell ausheben möchte. Um den Drahtziehern auf die Schliche zu kommen, macht Polizist Kullmer sich auf die Suche nach dem ominösen Marco Martini, von dem er angeblich 15 junge Frauen aus den Ostblockstaaten kaufen möchte. Das Spiel beginnt …

_Sodom und Gomorrha_

Andreas Franz fasst in seinem aktuellen Julia-Durant-Krimi ein heißes Eisen an, nämlich das organisierte Verbrechen, das sich hauptsächlich in den oberen Schichten der Gesellschaft abspielt und daher meist ungesühnt bleibt, weil immer jene Leute darin verwickelt sind, die alles vertuschen können. In seinem Roman zeichnet Franz ein düsteres Bild, das den Leser erschreckt und sicherlich auch erschrecken soll. Etwas paranoid beginnt man sich beim Lesen zu fragen, ob die Missstände in der heutigen Gesellschaft tatsächlich so groß sind und ob Macht und Ansehen wirklich reichen, um von Gefängnisstrafen verschont zu bleiben.

In der Person der Julia Durant bezieht Franz eindeutig Stellung zu diesem Thema und macht deutlich, dass es immer noch Menschen mit Idealen gibt, die nicht davor zurückschrecken, diesen aussichtslosen Kampf gegen die organisierte Kriminalität aufzunehmen. „Teuflische Versprechen“ zeigt, dass der Kampf zwar aussichtslos erscheint, aber die Mühen dennoch wert ist, auch wenn es vielleicht nur darum geht, ein Zeichen zu setzen. Inhaltlich gefällt „Teuflische Versprechen“ vom Grundkonzept daher sehr gut, an Düsternis und Hoffnungslosigkeit könnte der Krimi durchaus mit einem Mankellschen Roman konkurrieren, nicht jedoch, wenn es um die geschickte Inszenierung eines mitreißenden und ausgefeilten Plots geht. Hier offenbaren sich bei Andreas Franz einige Schwächen und Unstimmigkeiten.

So halte ich es für ziemlich unrealistisch, dass eine alleinstehende Frau sofort eine Wildfremde bei sich aufnimmt und gleich am ersten Abend sofort eine Vertrauensbasis zwischen den beiden Frauen zu spüren ist. Verena und Maria haben keine Scheu voreinander, entkleiden sich in Gegenwart der anderen Frau und bewundern gegenseitig ihre Figur, was ich doch etwas übertrieben finde. Auch dürfte so viel Hilfsbereitschaft, wie Verena Maria entgegenbringt, eher die ganz große Ausnahme sein. Aber hier setzt Franz dem Ganzen noch die Krone auf, als Rita Hendriks sich nämlich zu Tode foltern lässt, um nur nicht Marias Aufenthaltsort preiszugeben. Rita hat Maria nur ein einziges Mal getroffen und kennt sie kaum. Man kann wohl annehmen, kein normaler Mensch würde sich foltern lassen, um einen (fast) Unbekannten zu schützen.

Später inszenieren Julia Durant und ihre Kollegen schließlich eine Undercoveraktion, die mir wie eine ziemlich unüberlegte Hauruck-Aktion vorkommt; innerhalb weniger Tage wird ein Polizist in die Kreise des organisierten Verbrechens eingeschleust und hat sofort einen wasserdichten Lebenslauf parat, der jeglicher Überprüfung durch die Verbrecher standhält. Und obwohl bei dieser Aktion zahlreiche Menschen eingeweiht werden müssen, haben Durant und Co. so viel Glück, dass kein Verräter dabei ist (obwohl doch eigentlich überall die organisierten Kriminellen sitzen). Mir erscheint dies mehr als unwahrscheinlich, insbesondere vor dem Hintergrund der doch so ausweglos erscheinenden Situation. Auch das Buchende wirkt weichgespült, als hätte Andreas Franz den Mut verloren, seinem Kriminalfall ein angemessenes Ende zu verpassen.

Diese Unstimmigkeiten trüben den Gesamteindruck des Buches dann doch ein wenig, zumal gerade der Schluss nicht überzeugen kann.

_Krimihelden wie im Bilderbuch_

Auch die Figurenzeichnung macht einen schlichten Eindruck. Julia Durant erscheint zu perfekt, obwohl sie als alleinstehende und sich manchmal einsam fühlende Krimiheldin doch eigentlich recht realistisch wirken müsste. Aber auch hier relativiert Andreas Franz die negativen Seiten, fast als würde er seinen Lesern etwas anderes nicht zumuten wollen. So kommt Julia Durant mit einem pensionierten Pfarrer als Vater daher, der seine Tochter über alles liebt und der Meinung ist, dass Gott etwas ganz Besonderes mit seiner Tochter vorhat und sie daher aus gutem Grund Kriminalkommissarin geworden ist. Natürlich ist Julia Durant nicht einmal ansatzweise korrupt und umgibt sich auch nur mit vollkommen vertrauenswürdigen Kollegen, die sich ebenfalls ganz selbstlos in den Kampf gegen das organisierte Verbrechen stürzen. Am Ende greift Andreas Franz dann noch tiefer in die triefende Kitschecke und zerstört dadurch eigenhändig das vorher so düster beschriebene Bild.

Neben Julia lernen wir nur wenige Kollegen näher kennen, aber auch hier treffen wir nicht auf normale Alltagshelden, sondern auf Menschen, die selbst in großer Angst nie den Mut verlieren und immer den kühlen Überblick behalten. Die Klischees und Absonderlichkeiten setzen sich auch bei den anderen auftauchenden Personen fort, wie eben bei der völlig selbstlosen Rita Hendriks.

Leider wirken diese eindimensionalen Charaktere kein bisschen authentisch oder realistisch, sodass eine Identifikation nicht möglich wird und man sich auch nicht so recht in die Situationen einfühlen kann. Alles erscheint zu abstrus, als dass wir in die Geschichte eintauchen könnten.

_Pageturner par excellence_

Dem gegenüber muss man Andreas Franz zugute halten, dass er seine Leser dennoch fesseln kann. Besonders während der Einleitung der Undercoveraktion kann man das Buch kaum aus der Hand legen, weil die Ereignisse sich überschlagen und an mehreren Fronten gleichzeitig entscheidende Dinge passieren. Hier werden dann auch zwei Handlungsstränge zusammengeführt, sodass der Leser sich langsam ein klares Bild davon machen kann, was denn nun eigentlich vorgefallen ist und welche Verbrechen aufzudecken sind.

Andreas Franz‘ Schreibweise ist kurz und prägnant und trägt dadurch ebenfalls zum flüssigen Lesevergnügen bei. Der Roman ist kurzweilig und unterhaltsam, auch wenn sich die Unstimmigkeiten später immer mehr häufen.

Insgesamt bleibt ein mittelmäßiger Eindruck zurück. In Ansätzen gefällt „Teuflische Versprechen“ dabei wirklich gut. Anfangs zeichnet Andreas Franz ein düsteres Bild des organisierten Verbrechens und fesselt seine Leser durch die schrecklichen Dinge, die Maria hat erleiden müssen. Eigentlich hätte Franz daraus eine packende Geschichte schreiben können (müssen!), wenn er den Mut bewiesen hätte, nicht jede negative Seite durch positive Ereignisse zu relativieren. Ein weichgespültes Buchende passt so rein gar nicht in das Gesamtkonzept und wirkt ziemlich lieblos. Wäre dies nicht bereits der achte Krimi um Julia Durant und ihre Kollegen, würde ich behaupten, in der Figurenzeichnung wäre noch viel Raum für Weiterentwicklung, so allerdings empfinde ich diese eindimensionalen Charaktere als enttäuschend. Positiv fällt dagegen die flüssige Schreibweise auf, die dazu beiträgt, das Buch zu einem Pageturner zu machen.

Mosse, Kate – verlorene Labyrinth, Das

Um den Heiligen Gral ranken sich vielen Geschichten. Alles Mythen und Legenden, die zu den vielfältigsten Spekulationen einladen. War der Heilige Gral der Kelch, aus dem Jesus beim letzten Abendmahl getrunken hat? Ist er ein greifbarer, real existierender sakraler Gegenstand oder verbirgt sich dahinter eine tiefere Symbolik, die für etwas ganz anderes steht? Ist der Heilige Gral gar der Stein der Weisen, der ewiges Leben und Glückseligkeit verspricht? Der Heilige Gral ist noch immer ein großes Rätsel, das auf seine Entschlüsselung wartet.

Dass dieser Themenkomplex mit seinen vielen offenen Fragen und Legenden einen ausgezeichneten Stoff für spannende Romane hergibt, wird sich spätestens seit dem durchschlagenden Erfolg von Dan Browns Verschwörungsthriller [„Sakrileg“ 184 herumgesprochen haben. Monatelang Platz 1 der Bestsellerlisten – das weckt vermutlich sowohl bei Autoren als auch bei Verlagen das Bedürfnis, Herrn Brown als Nummer 1 im lukrativen Verschwörungsthrillersektor zu beerben. Kein Wunder also, dass mittlerweile immer mehr Spannungsromane, die Historie, Mythos und Thriller verknüpfen, auf den Markt drängen.
So auch die Engländerin Kate Mosse, die mit ihrem Roman „Das verlorene Labyrinth“ ein vielversprechendes Debüt abgeliefert hat. Welche Hoffnungen man im Hause |Droemer| an dieses Werk hängt, zeigt nicht nur die liebevolle Aufmachung des Buches, sondern auch die aufwendig gestaltete und äußerst informative Website zum Buch: [http://www.das-verlorene-labyrinth.de.]http://www.das-verlorene-labyrinth.de

Alles beginnt damit, dass Alice Tanner, die aufgrund ihrer Freundschaft zu der Archäologin Shelagh O’Donnell für ein paar Tage an einer Ausgrabung im Languedoc mitarbeitet, einen spektakulären Fund macht. In einer versteckten Höhle findet sie zwei Skelette und einen steinernen Ring mit einer Labyrinthgravur. Das gleiche Labyrinth entdeckt sie in der Höhle auch als Wandmalerei. Alice hat gleich ein ungutes Gefühl dabei. Sie ahnt, dass sie etwas gefunden hat, das besser im Verborgenen geblieben wäre, doch dazu ist es nun zu spät.

Die Polizei riegelt die Ausgrabungsstätte ab, und als dann auch noch Paul Authié auftaucht und alles auf etwas ruppige Art in die Hand nimmt, so dass selbst der diensthabende Inspektor Noubel machtlos ist, ist sich Alice sicher, dass hinter der Höhle und dem Ring ein großes Geheimnis schlummert. Auf eigene Faust stellt sie ein paar Nachforschungen an und begibt sich damit in große Gefahr …

Dies ist nur die eine Hälfte der Geschichte. Im zweiten Erzählstrang betrachtet der Leser den gleichen Ort, aber zu einer anderen Zeit. Es ist das Jahr 1209, ein Jahr, nachdem Papst Innozenz III. zum Kreuzzug gegen die [Katharer]http://de.wikipedia.org/wiki/Katharer im Languedoc aufgerufen hat. Zu dieser Zeit lebt die junge Alaïs in Carcassonne. Sie ist die Tochter von Bertrand Pelletier, der als Intendant im Dienste von Vicomte Trencavel steht, der im Frühjahr 1209 mit letzter Kraft einen Angriff der Kreuzritter durch Verhandlungen abzuwenden versucht.

In dieser heiklen Situation wird Bertrand Pelletier an eine weitere Pflicht erinnert, auf die er vor Jahren einen Eid geschworen hat. Er hütet ein Buch mit fremdartigen Zeichen, dessen Geheimnis um jeden Preis gewahrt werden muss. Es ist eines von drei Büchern der Labyrinth-Trilogie. Als Pelletier zu befürchten hat, dass ihm seine Loyalität zu Vicomte Trencavel keine Gelegenheit geben wird, seine zweite Pflicht zu erfüllen, zieht er Alaïs ins Vertrauen. Für sie beginnt ein Leben voller Intrigen, Gewalt und Leidenschaft, und sie versucht standhaft, das ihr anvertraute Geheimnis zu bewahren, in dessen Kern sich alles um den [Heiligen Gral]http://de.wikipedia.org/wiki/Heiliger__Gral dreht …

Die Mischung, die ein grober Handlungsabriss von „Das verlorene Labyrinth“ offenbart, erscheint auf den ersten Blick recht vielversprechend und schon der Handlungsrahmen, den Kate Mosse als Grundlage ihres Romans nimmt, ist relativ komplex. Es erscheinen unheimlich viele Figuren auf die Bildfläche, und so braucht der Roman eine ganze Weile, bis die Atmosphäre sich so richtig entfaltet und die Bühne für das große Stück bereitet ist. Versteht sich von selbst, dass man für eine Geschichte, die in zwei so unterschiedlichen Epochen spielt und so viele Figuren und Ereignisse vereint, eine gewisse Aufbauphase benötigt. Doch auch die hat durchaus schon ihren Reiz, wenngleich sie nicht frei von Makel ist.

Mosse springt stetig zwischen den beiden Zeitebenen hin und her, wobei die Häufigkeit der Sprünge mit wachsender Seitenzahl zunimmt. Anfangs ist man noch geneigt zu vergessen, dass es noch einen anderen Erzählstrang gibt, wenn sich Mosse über hundert Seiten der Geschichte der jungen Alaïs widmet. Zum Ende hin gehen die Sprünge dann so schnell, dass man nägelkauend weiterblättert und vor Spannung fast platzt. Mosse baut die Spannung ganz langsam und kontinuierlich auf, ohne dass es zwischendurch langweilig wird, denn bis die Spannung so richtig prickelnd und unerträglich wird, bekommt man stückchenweise einen historischen Roman vorgesetzt, der durchaus zu unterhalten weiß.

Mosse legt ein recht großes Gewicht auf die Atmosphäre. Sie widmet sich ausgiebigen Beschreibungen des mittelalterlichen Lebens in [Carcassonne,]http://de.wikipedia.org/wiki/Carcassonne__%28Frankreich%29 stets Alaïs als Mittelpunkt der Handlung im Auge behaltend. Einzige Schwäche, die insbesondere im mittelalterlichen Handlungsstrang auffällt, ist die Figurenzeichnung. Je weniger Gewicht Mosse auf den Spannungsbogen legt, desto mehr Raum bleibt den Figuren, und was sie in diesem Punkt auftischt, mag hier und da einfach nicht so recht schmecken. Teilweise sind die Figuren einfach zu klischeehaft skizziert. So fehlt die Tiefe, und die Handelnden zu durchschauen, gelingt recht schnell.

Der Gipfel der Klischeehaftigkeit sind Alaïs und ihre ältere Schwester Oriane. Die beiden sind in ihrer Gegensätzlichkeit ganz plump schwarz-weiß gezeichnet. Alaïs ist die gutherzige, edle, mutige Tochter, die den Vater ehrt, aus Kräutern Tinkturen braut, um den Kranken zu helfen und sich nicht zu schade ist, sich auch mal unter das gemeine Volk zu mischen. Oriane ist das Gegenteil. Eine durchtriebene Schlange, die stets nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht ist und sich beim Spinnen ihrer Intrigen ihrerseits nicht zu schade ist, dies auch mal auf Kosten der eigenen Familie zu tun.

So eine klischeehafte Gut/Böse-Skizzierung hätte vielleicht nicht unbedingt sein müssen. Sie bleibt in jedem Fall als unschöner Makel in einem ansonsten recht atmosphärisch und überzeugend inszenierten Mittelalterplot zurück. Die Spannung und Ungewissheit, die der Kreuzzug gegen die Katharer in das Leben in Carcassonne bringt, wird sehr schön greifbar. Mosses Beschreibungen sind sehr plastisch, ihr Stil hin und wieder ausschmückend, aber nicht hochtrabend. Alles in allem sehr flüssig lesbar, trotz Dialogen, die in einzelnen Worten hier und da mal auf Französisch und Okzitanisch wiedergegeben werden.

Während der mittelalterliche Handlungsstrang den Eindruck eines packend inszenierten historischen Romans vermittelt, setzt der Gegenwartsplot in erster Linie auf Thrillerelemente. Dass an Alices Leichenfund in der Höhle etwas merkwürdig ist, wird sofort klar, und so zieht Mosse in diesem Handlungsstrang den Spannungsbogen sinnigerweise gleich etwas straffer auf und heizt die Spannung durch immer wieder eingestreute Cliffhanger und Perspektivenwechsel an. Verfolgungen, anonym zugeschobene Hinweise und ein Mord – Mosse spickt die Thrillerhandlung mit allerhand spannungssteigernden Elementen. Alice fühlt sich verständlicherweise verfolgt, und die Suche nach der Wahrheit hinter dem Fund in der Höhle entwickelt sich mehr und mehr zu einem Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Alice nicht weiß, wem sie vertrauen kann und wem nicht. So ein Stoff hat „Pageturner“-Potenzial.

Doch auch der Gegenwartsplot kommt nicht ganz ohne Schelte aus. Was die Freude trübt, ist der etwas überstrapazierte Faktor Zufall. Es passiert nicht nur einmal, dass man über die Art und Weise, wie Mosse Verknüpfungen zwischen den Figuren herstellt, die Stirn runzeln mag. Manche Zufälligkeiten erscheinen einfach zu groß, fast schon wie mit der Brechstange herbeigeführt, als dass die Konstruktion der Geschichte bis ins Detail überzeugen könnte.

All das ist in der Praxis allerdings schnell vergessen, wenn Mosse im letzten Buchdrittel die Spannungsschraube dann so richtig anzieht. Die Ereignisse beginnen sich zu überschlagen und man hat als Leser allerhand zu tun, alle Ereignisse auf die Schnelle zu sortieren. Dennoch bleibt der Roman trotz der zahlreichen Figuren und Handlungsebenen gut überschaubar. Gewisse Dinge erscheinen für den kritischen Betrachter obendrein nicht wirklich unvorhersehbar. Mich persönlich hat die Auflösung somit auch nicht wirklich überrascht, wenngleich das Ende hochgradig spannend ist und man kaum eine Chance hat, das Buch zur Seite zu legen. Etwas kitschig mutet dann allerdings der Epilog an, der dem Finale die Krone aufsetzt. Was Mosse hier an Kitsch aus der Kiste zaubert, hätte auf den letzten Seiten dann vielleicht doch nicht mehr sein müssen.

Was sicherlich zwiespältige Meinungen hervorrufen wird, sind die eingestreuten mystischen Elemente. Immer wieder hat Alice Visionen, immer wieder gehen ihr fremde Erinnerungen durch den Kopf. Mosse setzt bei ihren beiden Hauptfiguren sehr stark auf Gemeinsamkeiten, die über die Zeit hinweg bestehen und eine Zusammengehörigkeit andeuten, die darin gipfelt, dass am Ende in beiden Handlungssträngen der Showdown am gleichen Ort stattfindet. Gerade diese Erinnerungsfetzen und Visionen mit ihrem übersinnlichen Touch werden nicht jedem gefallen – mir auch nicht unbedingt. Bei einer Thematik, die sich im Kern aber ebenfalls um einen Mythos wie den Heiligen Gral dreht, kann man solche mystischen Elemente dennoch halbwegs verzeihen.

Bleibt am Ende ein etwas durchwachsener Eindruck zurück. Dan Brown wird durch seine debütierende Kollegin Kate Mosse ganz sicher nicht vom Sockel gestoßen. „Sakrileg“ bleibt innerhalb des Genres und gerade auch mit Blick auf die artverwandte Thematik unerreicht. „Das verlorene Labyrinth“ liest sich zwar durchweg spannend, kann einige Schwächen aber nicht verbergen.

Dennoch lässt einen die nervenaufreibende Spannung während der Lektüre einige Schwächen erst einmal im Geiste beiseite schieben. Die Mischung aus historischem Roman und modernem Mysterythriller ist temporeich und macht trotz der Schwächen die ganze Zeit über Spaß. Die Thematik rund um den Heiligen Gral ist sicherlich nicht die Neuerfindung des Rades, aber dennoch interessant genug, damit sich daraus lesefreundliche Unterhaltungslektüre wie „Das verlorene Labyrinth“ zaubern lässt. Bleibt zu hoffen, dass Kate Mosse die Schwachstellen ihres Debütromans für die Zukunft ausmerzt. Vielleicht kratzt sie dann ja etwas erfolgreicher am Denkmal des Genreaushängeschilds Dan Brown. Potenzial wäre noch da.

Bryers, Paul – Winter des Bären

In Bridport, einem kleinen Ort im US-amerikanischen Staat Maine, nicht weit entfernt von der kanadischen Grenze, ist der erste Schnee des Jahres gefallen, als am Rande des dichten Waldes, der die Gemeinde umgibt, die Leiche einer jungen Frau entdeckt wird. Sie wurde fürchterlich zerfleischt und offensichtlich von einem Bären angefallen. Doch Detective Michael Calhoun von der Staatspolizei ist skeptisch, denn obwohl es in den Wäldern um Bridport tatsächlich Bären gibt, hat es mit ihnen noch niemals Ärger gegeben.

Madeleine Ross – so hieß die Tote – war erst vor wenigen Monaten mit ihrer zehnjährigen Tochter Freya aus England in die Vereinigten Staaten gekommen. Nach Bridport war sie offenbar auf den Spuren ihrer früh verstorbenen Mutter gereist, einer Indianerin vom Stamm der Souriquois, der hier seit jeher ansässig ist. Ihren Unterhalt hatte sie sich als Bedienung in einem Lokal und Helferin auf einer archäologischen Ausgrabung verdient: In Bridport stand einst Fort Winter, Anfang des 17. Jahrhunderts von den Franzosen erbaut und nach deren Rückzug von den Briten übernommen, eine der frühesten europäischen Siedlungen auf dem nordamerikanischen Kontinent.

So weit ist Detective Calhoun mit seinen Ermittlungen gekommen, als er etwas Interessantes herausfindet: Madeleine Ross hatte bis vor kurzem ein Verhältnis mit Innis Graham, dem Abkömmling einer im Holzgeschäft reich gewordenen, nun aber verarmten Bridporter Familie. Die Beziehung wurde offenbar im Streit und von Madeleine gelöst, während Graham die Trennung nicht hinnehmen wollte. Inzwischen ist im heimatlichen England Jessica, die ältere Schwester Madeleines, über deren Tod informiert worden. Sofort reist sie in die USA, um in Bridport Näheres über das Unglück in Erfahrung zu bringen und sich um ihre Nichte zu kümmern.

Ein weiterer archäologischer Fund sorgt hier derweil für eine Sensation: In einem Massengrab findet man die Überreste zahlreicher Siedler, die im 17. Jahrhundert offenbar von ihren indianischen Nachbarn massakriert wurden. Die Tragweite dieser Entdeckung ist enorm, denn die Souriquois haben gerade eine Klage gegen den Staat Maine angestrengt, der ihnen eine hohe Entschädigung für die Verfolgungen und Vertreibungen zahlen soll, denen sie durch die Siedler einst ausgesetzt waren. Sollten diese sich nun als eigentliche Opfer herausstellen, stünde es schlecht um die Chancen des Stammes, den Prozess zu gewinnen.

Detective Calhoun glaubt inzwischen nicht mehr daran, dass Madeleine Ross durch einen Bären zu Tode kam. Diese Vermutung wird zur Gewissheit, als die Leiterin der Ausgrabung einem Mordanschlag zum Opfer fällt. Während eines heftigen Schneesturms finden Calhoun und Jessica Ross unabhängig voneinander heraus, wer hinter den Morden steckt …

„Winter des Bären“ ist ein komplexes und mehrschichtiges Werk – ein sauber konstruierter Krimi mit einer ungewöhnlichen Auflösung; die Geschichte zweier höchst unterschiedlicher Schwestern, die nie miteinander ins Reine kommen können, bis es zu spät ist; ein Panorama des nur auf den ersten Blick idyllischen und hinterwäldlerischen Staates Maine und seiner Bewohner sowie ein historischer Abriss der weitgehend unbekannten, aber farbigen Vergangenheit Neuenglands, die auch dreieinhalb Jahrhunderte später nichts von ihrer Brisanz verloren hat.

Eine Menge hat sich der Autor also vorgenommen, und das Meiste gelingt ihm auch. Obwohl Paul Bryers in England geboren wurde und dort auch lebt, entwirft er ein einfühlsames Porträt des Staates Maine, der bisher dank seines prominentesten Bürgers, des Schriftstellers Stephen King, eher als Hort diverser Geister, Teufel und Untoter bekannt geworden ist.

Eine ganze Weile scheint es so, als wolle Bryers in dasselbe Horn stoßen, als er beginnt, in die Mythologie der indianischen Urbevölkerung einzutauchen. Glücklicherweise gerät er aber nie auf die Schiene jener heutzutage so beliebten, aber meist nur schwer verdaulichen Ethno-Thriller, deren um politische Korrektheit schwer ringende Autoren die in den Mittelpunkt der Handlung gerückten Minderheiten (ob es nun Indianer sind oder andere „edle Wilde“) als Gutmenschen und Bewahrer einer „besseren“, da näher am Busen der weisen Mutter Natur verbrachten Lebensart mit derselben dreisten Selbstverständlichkeit für sich vereinnahmen, mit der ihre Vorgänger diese einst als blutdürstige Unmenschen verteufelt haben.

Doch dann konzentriert sich Bryers glücklicherweise mehr auf einen Rückblick auf die frühe Siedlungsgeschichte Maines im 17. Jahrhundert. (Der Autor war Lehrer für Geschichte, er ehe zum Journalismus und zur Schriftstellerei wechselte.) Wer weiß heute schon, dass der Osten Nordamerikas zunächst nicht von den Briten, sondern den Franzosen (und in geringerem Umfang von den Niederländern) kolonisiert wurde, und dass um die Vorherrschaft in dieser Region anderthalb Jahrhundert erbittert gerungen wurde, bis sich der Konflikt im britisch-französischen Kolonialkrieg von 1754/55 bis 1763 entlud, der schließlich auf die Mutterländer und ihre Verbündeten übersprang und in Europa den Siebenjährigen Krieg (1756-1763) ausbrechen ließ. Erst der Friede von Paris (1763) brachte das Ende der französischen Vorherrschaft in Nordamerika. Bis zu diesem Zeitpunkt tobte im Osten der späteren USA und Kanadas ein schmutziger Guerilla-Krieg, den die verfeindeten Parteien größtenteils durch „Stellvertreter“ ausfechten ließen – die indianischen Ureinwohner, die für ihre Dienste mit Krankheiten, Alkoholismus, Landraub und Ausrottung „belohnt“ wurden. Diese traurige Tradition wurde später von den neuen amerikanischen Landesherren übernommen. Unter den Folgen leidet die Urbevölkerung bis heute, und obwohl es natürlich keine „Indianerkriege“ mehr gibt, blieben Spannungen zwischen den „alten“ und den „neuen“ Bewohnern Nordamerikas bis in die Gegenwart zurück. Die Illusion eines scheinbar harmonischen Miteinanders, das tatsächlich ein im besten Fall gleichgültiges Nebeneinander ist, bringt Bryers geschickt und wie beiläufig auf den Punkt.

Aus dem Gleis gerät der Roman nur, wenn Bryers die Geschichte von Madeleine und Jessica erzählt. Hier hat er die Handlung eindeutig überfrachtet; er führt sie immer wieder in Sackgassen, die sie nicht weiter bringen. „Winter des Bären“ basiert auf einer guten Ausgangsidee, die logisch entwickelt wird. Reflexionen über eine komplizierte Schwestern-Beziehung, die sich über die halbe Welt erstreckt, bis sie schließlich in Maine endet, stören den Rhythmus empfindlich. Das ist aber auch der einzige echte Einwand, der sich gegen dieses Buch (das im Übrigen auch noch von erfreulicher Kürze ist) erheben lässt.

Robert Goddard – Bedenke, dass wir sterben müssen

Fünf Geschwister sehen sich in die Rolle unfreiwilliger Schatzhüter versetzt und müssen den Kampf um eine kostbare christliche Reliquie gegen Feinde aufnehmen, die vor Mord keineswegs zurückschrecken … – Thriller mit allzu deutlich aufgesetzten History-Mystery-Elementen. Die ‚überraschenden‘ Wendungen sind ein wenig zu zahlreich und unlogisch. Recht hausbacken aber solide geschrieben rumpelt das Werk einem mauen Finale entgegen.
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