Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Thierry Jonquet – Die Unsterblichen

Es ist schon ein recht ungewöhnlicher Thriller, den der französische Krimiautor Thierry Jonquet mit „Die Unsterblichen“ abgeliefert hat. Eine Geschichte, die einen beim Lesen des Klappentextes oder beim Blick auf die Kurzbeschreibung im Internet erst einmal die Stirn runzeln lässt. Klingt irgendwie abgedreht. Doch der Roman, der sich dahinter verbirgt, ist überraschend bodenständig.

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Barry, Max – Logoland

Eine neue Welt, ganz vertraut.

Endlich! Die Steuern sind abgeschafft, die Regierung nicht mehr so wichtig. Sie muss sich für all ihre Aktivitäten jeweils gezielt von den Bürgern bezahlen lassen. Die Polizei ist auch nur eine Sicherheitsfirma, genau wie die |National Rifle Association|, NRA (derzeit noch amerikanischer Lobbyverein für Waffennarren). Rechtsprechung – eine Sache des Preises.
Dazu tragen die Leute praktischerweise gleich mal den Namen ihrer Hauptgeldquelle (i.d.R. der Arbeitgeber) als Nachnamen – oder gar keinen, wenn sie selbständig sind. Überraschend aber schon, dass bei all der vermeintlichen Freiheit von Staat und Verwaltung doch nur einige wenige amerikanische Konzerne die Welt dominieren – jedenfalls außerhalb Europas.
Australien, Japan, Südostasien und Russland haben sich mit den USA zu einem amerikanisch bestimmten Superstaat zusammengeschlossen – und überall sieht es gleich aus (identische Produkte, Malls, Wolkenkratzer).
Eine munter pseudoliberale Parallelwelt, in die Max Barry da führt. Und sie als „nahe Zukunft“ bezeichnet. Wie glaubwürdig der Weltentwurf auch sein mag, immerhin zieht er einige der beliebtesten Argumentationslinien der Globalisierungsgegner durchaus sorgfältig und mit viel Spaß am Detail nur ein ganz klein wenig weiter – und baut einen rasanten Krimi hinein.

|Max Barry|

… ist Australier, im März 1973 geboren, hat mal für |Hewlett Packard| Computer verkauft – und legt mit „Jennifer Government“, so der Original-Titel, nach „Syrup“ bereits seinen zweiten Roman vor. Gerne gibt sich der junge Bestseller-Autor aus Melbourne clever, heutig, frisch – und unverschämt. In diesem Jahr wird sein dritter Roman „Company“ erscheinen.

Autorenhomepage: http://www.maxbarry.com

|Logoland|

In der deutschen Übersetzung von Anja Schünemann ist „Jennifer Government“ als „Logoland“ noch im Jahre 2003 bei |Heyne| erschienen. Das Buch scheint sich in Deutschland steter Beliebtheit zu erfreuen. Womöglich liegt das auch an der gelungenen Übersetzung, die Geschwindigkeit und Frische zuverlässig übertragen soll (habe bislang nur das Original gelesen). Barry schreibt temporeich, wendig, einfach lesbar, und immer mit ironischem Nebenton.

_Der Plot_

Hank Nike, ein rechter Tropf und armer Tor in Diensten des niedrig beleumundeten Nike-„Merchandising“ wird von gleich zwei wichtigen John Nikes aus dem megawichtigen „Marketing“ für einen besonderen Job rekrutiert. Er soll ein mutiges Stück Guerilla-Marketing verantworten. Um zu sichern, dass der seit Monaten heftig beworbene, bisher aber nur in Minimalst-Auflagen an Prominente verteilte „Mercury“-Schuh sich richtig schnell zu einem maximalen Preis (2500 $) abverkauft, gilt es ihn bei der Primärzielgruppe unglaublich begehrt zu machen: Teenager. Dazu sollen beim großen Rollout am nächsten Wochenende zehn frischgebackene Käufer gleich beim Verlassen eines beliebigen Nike-Stores erschossen werden – So begehrt sollen die Schuhe erscheinen, dass dafür auch mal ein Mord begangen werden kann. Oder auch zehn davon.

Hank wird, tropfig wie er nun mal ist, erst nach Unterschrift unter den umfangreichen Vertrag zu dieser ehrenvollen Aufgabe klar, auf was er sich da wirklich eingelassen hat. Nach Rücksprache mit seiner energischen Freundin Violet (ohne Nachnamen) entschließt er sich, zur Polizei zu gehen.

Gerne hilft die Polizei – und präsentiert gleich mal die bestmögliche Lösungsalternative für Hanks Dilemma: Wir machen das für Sie! Natürlich nur gegen einen kleinen Obulus von 150.000 $. Verstört und recht aufgelöst willigt Hank ein. Die Polizei ihrerseits allerdings hat gerade ein Ressourcenproblem und beauftragt ein weiteres Subunternehmen, die National Rifle Association. Die kann nach Auflösung der meisten Regierungseinheiten immerhin die größte Armee der neuen großen Vereinigten Staaten aufbieten. Die Jungs von der NRA erledigen den Job, sogar besser als geplant: Gleich 14 Teens mit frisch gekauften Turnschuhen finden den schnellen Tod.

An einem der Schlachtpätze treten dann auch erstmalig zwei wichtige weitere Figuren auf:
Buy Mitsui, Flüchtling aus dem überregulierten Frankreich und Börsenmakler. Er wird einem Teenmädel, Opfer, kurz vorher das nötige Geld für den Erwerb der Mercurys schenken. Einfach so, hat er doch kurz zuvor mit einem hochriskanten Deal (nicht legal) seinen Job, seinen Bonus und sein Auskommen gerettet. Das Mädel wird in seinen Armen sterben, während er für den Callcenter-Menschen von der Ambulanz nach seiner Kreditkartennummer sucht.

Auftritt Jennifer Government, Titelheldin des Romans. Sie ist zufällig dienstlich in der Nähe und erwischt einen der NRA-Attentäter fast, bevor sie mit einem Schuss auf ihre selbst gekaufte Sicherheitsweste in die Windschutzscheibe eines zwei Stockwerke tiefer zu gewinnenden Mercedes katapultiert wird (natürlich muss die Regierung den Schaden am Auto ersetzen).
Jennifer, alleinerziehende Mutter, früher mal wichtig in der Werbebranche, wird die Verfolgung der Täter aufnehmen.

Die tödlichen und abstrusen Vorfälle häufen sich. Während der eine der bösen Marketing-Johns von Hanks Freundin mittels Toaster ins Koma befördert wird, steigt der andere in der Nike-Hierarchie weiter auf. Nike ist mit anderen Firmen in einem gemeinsamen Bonusprogramm („US Alliance“) verbunden. Und eigentlich gibt es nur noch ein einziges ernsthaft zur Rivalität fähiges Bonusprogramm: „Team Advantage“. John will Krieg – und den Gegner vernichten. Doch bevor es den Firmen-Gegnern an den Kragen geht, muss noch ein anderes lästiges Hindernis beseitigt werden: Die Reste der Regierung!
Schnell gedacht, konsequent gehandelt, ein Flugzeug mit den wichtigsten Ministern und dem Präsidenten wird (für gutes Geld) von der befreundeten NRA abgeschossen. Dann geht der Krieg der Bonusprogramme auf der Straße erst richtig los. Mitten drin Buy, Hank, Violet und Jennifer, die es nach etlichen Verwirrungen tatsächlich schafft, den ultrabösen John (nebenbei auch noch Vater ihrer Tochter) hinter Gitter zu bringen. Nach den zahlreichen Todesfällen wird es den anderen Chefs der Bonusprogramme nämlich doch etwas unsicher – und vor allem zu wenig profitabel.

Moral von der Geschicht: Ohne Regierung geht es nicht, aussteigende Börsenmakler geben gute Väter ab – und geschwängert verlassene Frauen sind auf Dauer unbezwingbar!

_Was es bringt_

Wenn auch die konzernkritische Grundstimmung manchmal arg platt vorgetragen wird – dieses Buch ist sehr unterhaltsam. Immer wieder erfreuen kleine Vignetten und Seitenhiebe auf den Konsum-Absolutismus amerikanisch-japanischer Prägung. Marketing-aktive Menschen mögen so manche Situation wiedererkennen – und konstatieren, dass die Überzeichnung oft nur gering scheint.
Zudem ist das Buch bis in die Nebenfiguren hinein (tumbe Scharfschützen, blöde Teenkälber, überambitionierte Softwareentwickler) farbig und erfrischend besetzt. Sicher sind einige Charaktere eher Schablonen denn wahrhaftige Menschen – aber in einem lustigen Actionkracher darf das auch mal sein. Zumal er gelegentlich auch ein wenig zum Weiterdenken anregt.

|In der Summe:| Spannende Unterhaltung mit anregender Wirkung, gut beobachtet, humorvoll und schnell lesbar: |JUST DO IT!|

Thomas Görden- Die Krypta

Die Verkaufsstrategie der „Krypta“ ist voll aufgegangen, der Buchtitel versprach einen spannenden Thriller religiösen Inhalts, an dem ich nicht vorbeigehen konnte. Der Inhalt des Buches ging allerdings leider in eine vollkommen andere Richtung …

Abenteuerliches über die Krypta

Eines Abends beobachten die beiden Obdachlosen Karla und Hannes, wie zwei dunkel gekleidete Gestalten eine Leiche vor dem Kölner Dom ablegen. Als sie die tote Person genauer untersuchen wollen, werden sie von einem Fremden angegriffen, wobei Hannes von dem nächtlichen Angreifer verletzt wird. Die Kriminalpolizei wird eingeschaltet und Susanne Wendland übernimmt den Fall des ermordeten Dompropstes Oster. Offensichtlich wurde Oster erschlagen, doch findet sich kein Blut am Fundort der Leiche, sodass der Tatort an anderer Stelle zu suchen ist. Um an die verstörte Karla heranzukommen, bittet Susanne die befreundete Schamanin Chris um Rat, von der sie sich erhofft, dass sie zu Karla vordringen kann. Und richtig, Chris bemerkt sofort das zweite Gesicht bei Karla und kann sie zum Reden bringen. Karla verspürt geheimnisvolle Kräfte und Vibrationen rund um den Dom herum, die auch Chris fühlen kann. Auch die vielen Tauben ziehen sich vom Dom zurück, weil sie die brodelnde Gefahr bemerken können.

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Reilly, Matthew – Operation Elite

Der Autor und studierte Jurist Matthew Reilly entdeckte schon früh seine Leidenschaft für das Bücherschreiben; so fertigte er seinen ersten Roman „Showdown“ (im Original „Contest“) schon während seines Studiums an und beendete ihn im Alter von nur 19 Jahren. Probleme ergaben sich allerdings bei der Veröffentlichung, denn sein Manuskript wurde zunächst überall abgelehnt, sodass Reilly die ersten tausend Kopien seines Buches auf eigene Kosten publizierte. Leider fand er später doch noch einen Verlag für seine Romane …

In Reillys neuestem Werk „Operation Elite“ steht erneut Shane M. Schofield, genannt „Scarecrow“ im Mittelpunkt des Geschehens. Die Majestic-12, eine Gruppe einflussreicher Milliardäre, haben eine Liste mit den Namen von 15 Personen ausgegeben, die zu liquidieren sind, auf jeden Kopf wurden stolze 18,6 Millionen Dollar ausgesetzt, sodass die Jagd der zahlreichen Kopfgeldjäger auf die gewinnbringenden Opfer der Liste rasant losgehen kann. Auch Schofields Name taucht auf der Liste auf, und so dauert es nicht lange, bis er in Sibirien in einen Hinterhalt gelockt wird und sich urplötzlich in Lebensgefahr befindet. Doch Schofield kann sich aus zahlreichen brenzligen Situationen retten, muss aber schnell erkennen, dass seine Feinde von seiner Liebesbeziehung zu Libby Gant wissen.

Während Schofield in Sibirien vor den Kopfgeldjägern flüchtet, befindet sich Gant zusammen mit Mother(fucker) in Afghanistan, um den letzten Terroristenunterschlupf der Al-Kaida in die Luft zu sprengen. Doch auch dort treffen konkurrierende Truppen aufeinander, die es einerseits auf Gant abgesehen haben, aber auch auf weitere Köpfe der Liste. Gant kann eine lasergesteuerte Bombe aktivieren, die die Terroristenhöhle in die Luft sprengen wird, gerät aber selbst in die Fänge eines gefährlichen Kopfgeldjägers, der es eigentlich auf Schofield abgesehen hat.

Zusammen mit Mother und dem gefährlichen Knight eilt Schofield sogleich zur Rettung seiner Liebsten, gerät aber auch hierbei von einer lebensbedrohlichen Situation in die nächste. Derweil versucht Schofields Gefährte Book herauszukriegen, was die Majestic-12 mit der Liquidierung der 15 Personen bezwecken wollen und entdeckt dabei Unglaubliches. Ein neuer Krieg entsetzlichen Ausmaßes soll ausgelöst werden und einzig Schofield ist noch in der Lage, diesen zu verhindern …

In einem kurzen ersten Kapitel erzählt Matthew Reilly von der Liste der M-12, auf der 15 Menschen stehen, die umgebracht werden sollen. Zunächst wird der Leser jedoch über den Sinn dieser Tötungsaktion im Dunkeln gelassen. Erst später kommen die Romanfiguren hinter den Plan der Majestic-12 und wissen, welches Unglück sie zu verhindern haben. Doch Reilly hält sich nicht lange mit diesen einleitenden Worten auf, sondern lässt Schofield schon bald blindlings in die erste lebensbedrohliche Situation spazieren. Schon nach wenigen Seiten befindet sich der Leser mitten in einer actiongeladenen Situation, in der Kopfgeldjäger, Söldner und andere gefährliche Schurken hinter Shane M. Schofield her sind. Dort werden hochtechnologische Waffen gezogen, mit denen Gebäude zum Einsturz gebracht oder Waffen unbrauchbar gemacht werden und auch welche, die Schofields Leben retten werden.

Überhaupt scheint Reilly eine blühende Phantasie und ein Faible für Technik zu haben, denn auf vielen Seiten erzählt er von neuartigen Erfindungen, von denen die Welt bislang nichts gehört hat. Eines der Flugzeuge ist beispielweise mit einem Schallwellenmanipulator ausgerüstet, mit dem sich der Überschallknall verhindern lässt. Auch von den Düppeln, unter denen man sich hier viskose Teilchen vorstellen muss, die in der Luft schweben und sich überall festsetzen können, hatte ich vorher noch nichts gehört; „Düppel“ bezeichnet herkömmlich ein Radartäuschungsmittel. Dabei scheinen gerade die Düppel doch sehr hilfreich zu sein, da sie auch den Lauf sämtlicher Gewehre blockieren können. Als besonders hilfreich erweist sich für Schofield immer wieder sein Maghook, welcher eine Art Fangleine darstellt, die ausgeworfen werden kann und die magnetisch (!) überall zu haften scheint. Praktisch an allen Gegenständen haftet der Maghook und selbst beim Autoabsturz in einer bergigen Gegend möchte Schofield seinen Maghook benutzen. Leider bleibt Reilly uns die Antwort schuldig, wo genau dort magnetische Teile zu finden sein sollen. In „Operation Elite“ kann sogar ein Jeep abheben, wenn er nur schnell genug wird. Warum Flugzeuge fliegen, Jeeps jedoch nicht, scheint Reilly leider nicht zu wissen. Nicht ganz klar geworden ist mir die Physik hinter all den beschriebenen technischen Errungenschaften, die wahrlich abenteuerlich sein muss … Einzig die erwähnten Mersenne-Primzahlen gibt es wirklich. Doch wird nicht mehr nach der 40. Primzahl gesucht, wie Reilly noch in seinem Buch behauptet, sondern bereits nach der 41., da Nummer 40 im Jahre 2003 entdeckt worden ist. Ich frage mich ernsthaft, woher Reilly seine abstrusen Ideen nimmt und wieso ein Mann, der Jura und Kunst studiert hat, sich technisch so weit aus dem Fenster lehnen muss …

Neben derlei Abstrusitäten erscheint mir Reilly darüber hinaus sehr waffenverliebt zu sein, denn sämtliche der auftauchenden Figuren sind waffentechnisch fantastisch ausgerüstet und tragen meist mehrere tödliche Gewehre mit sich herum, die allesamt aufgeführt und erwähnt werden müssen:

S. 28: |“Er war mit einer MP-7 von Heckler&Koch bewaffnet, dem Nachfolger der MP-5. Die MP-7 war eine kurzläufige Maschinenpistole, kompakt, aber gefährlich. Außerdem hatte Schofield noch eine halbautomatische Pistole vom Typ Desert Eagle dabei, ein K-Bar-Messer und in einem Rückenhalfter einen so genannten Maghook vom Typ Armalite MH-12 – eine magnetische Haftvorrichtung, die mit einem mit zwei Handgriffen ausgestatteten Gerät abgefeuert wurde, das Ähnlichkeit mit einer Pistole hatte.“|

Auch die Helikopter, Schiffe und sonstigen Fortbewegungsmittel werden in allen möglichen technischen und langweiligen Details vorgestellt, unter denen sich der normale Leser nicht wirklich etwas vorstellen kann. Zur Untermalung sind allerdings viele Gebäude und Orte in Form von Grafiken dargestellt, in welchen verschiedene markante Punkte eingezeichnet sind, an denen sich Schofield und Konsorten in der Geschichte herumtreiben müssen.

Die vorgestellten Charaktere sind farblos und klischeebesetzt. So ist Held Schofield natürlich unverwundbar und mit übermenschlichen Reflexen ausgestattet, die ihn besonders wertvoll machen. Seine Achillesferse findet sich in seiner Liebschaft zu Libby Gant, mit der er seit einem knappen Jahr zusammen ist und der er nach absolvierter Mission einen Heiratsantrag zu machen gedenkt. Schofield ist dermaßen übertrieben und heroisch dargestellt, dass man in keiner Situation mit ihm mitfiebert und sei seine Lage noch so aussichtslos, denn der Leser weiß ja ohnehin, dass sich Schofield retten kann. Besonders eindrucksvoll fand ich die Vorstellung Mothers, die sämtliche Klischees einer toughen Militärfrau in sich zu vereinigen scheint. Später stellt sich im Übrigen heraus, dass Mother verheiratet ist und zwei Kinder hat, die Britney Spears hören.

S. 90: |“Mit ihren einsachtundachtzig, ihrem rasierten Schädel, der Beinprothese und ihren herausragenden Killer-Fähigkeiten hatte Mothers Wort Gewicht. Ihr Spitzname sagte schon alles. Er war die Kurzform von ‚Motherfucker‘.“|

Im Prinzip stellt das Buch eine sinnlose Aneinanderreihung von Actionsequenzen dar. Eingeteilt ist es in sieben Kapitel, die die Angriffe auf den Superhelden Shane M. Schofield durchnummerieren. In jedem einzelnen Kapitel, welches wiederum unterteilt ist in zahlreiche kurze Abschnitte, findet sich der Leser konfrontiert mit einer eindrucksvoll bedrohlichen Situation, in der die guten Helden selbstverständlich immer weit in der Unterzahl sind, aber dennoch meist gegen die bösen Kopfgeldjäger und Terroristen zu gewinnen scheinen. Während von der M-12 Liste also immer mehr Menschen liquidiert werden, überlebt Schofield ein ums andere Mal die Angriffe auf seine Person. In diesem Buch spielen praktisch alle bekannten Geheim-Gruppierungen mit; so trifft der Leser auf Al-Kaida, Dschihad, Mossad, CIA, Marines und ähnliche Organisationen und Geheimdienste. Etwas weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen! Inhaltlich gesehen ist „Operation Elite“ mehr als dünn, die Geschichte um M-12, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen, wird größtenteils zu einer kleinen Randerscheinung degradiert, da sich Reilly fast ausschließlich auf die Actionsequenzen konzentriert. Luft holen kann man beim Lesen daher kaum, da die Szenenschauplätze so häufig gewechselt werden und immer wieder in einem Gemetzel enden, dass keine Ruhepausen auftauchen. Manch einen Geschmack mag diese stupide Actionbeschreibung treffen, ein wenig Story hätte dem Buch allerdings recht gut getan.

Sprachlich ist „Operation Elite“ eine reine Katastrophe und absolut dilettantisch geschrieben, viele Sätze sind nur unvollständig und kommen ohne ein Verb aus, auch Nebensätze sind eine seltene Erscheinung in diesem Buch – warum auch, man kommt offensichtlich sehr gut mit kurzen und abgehackten Hauptsätzen aus. Kompliziertere Satzkonstruktionen wird der Leser hier vergeblich suchen, auf sprachliche Schönheit und ausgewählte Wortwahl kommt es Reilly nicht an. Ganz im Gegenteil, geschmückt wird „Operation Elite“ von zahlreichen kursiv gedruckten Worten, die ich eigentlich nur aus Comics kenne. Reilly offenbart in „Operation Elite“ seine Vorliebe für Ausdrücke wie „wosch, wumm, krack, bläm, wopp, kreisch, wromm, klong, schmatz, schluck“ etc., die teilweise mitten in einem Satz auftauchen, oftmals aber auch völlig alleine dastehen.

S. 51: |“Der Bodyguard feuerte – Clark feuerte im selben Moment – der Bodyguard fiel mit dem Gesicht auf den Boden – Clark brach ebenfalls zusammen – dann zog Wexley die Pistole – während Schofield sich abrollte und zweimal seine Desert Eagle abfeuerte – Bäng! Bäng! Wexley wurde in die Brust getroffen und einen halben Meter zurückgeschleudert, prallte gegen die Wand des Verwaltungsgebäudes und brach zusammen.“|

An vielen Stellen verwendet Reilly Metaphern, die einfach nur unpassend wirken, wie beispielsweise: |“Der Kopf des Soldaten explodierte wie eine Büchse Tomatensuppe.“| (S. 129) Ahnlich ungeschickte Ausdrucksweisen finden sich häufig und wären besser dem Lektorat zum Opfer gefallen. Sehr bildhaft wird ein sich nähernder Helikopter durch die Aneinanderreihung von zahlreichen „Wopps“ angekündigt, die sich auf einer Länge von ganzen zwei Zeilen wiederfinden. Im Grunde genommen hat Reilly sein sinnfreies Buch so geschrieben, als wäre es in der Tat ein Comic. Ich persönlich stelle mir dabei eine Menge lustiger Bilder vor, in denen die Menschen mit Sprechblasen ausgerüstet werden und Geräusche mit derlei Begriffen wie oben aufgezählt erläutert werden. Sprechblasen bräuchte dieser Comic allerdings nur wenige, da Dialoge recht rar gesät sind in Reillys aktuellem Werk. Meist geht es ihm nur um rasante Szenen, in denen jedes Wort fehl am Platze wäre und in denen daher auch nicht viel geredet wird. Um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, spart Reilly nicht an Satzzeichen, in geradezu verschwenderischer Weise werden besonders dramatische Ausrufe mit gleich mehreren Ausrufezeichen versehen, damit auch der unaufmerksamste Leser bemerkt, dass etwas betont werden möchte. Auch die häufig kursiv gedruckten Passagen haben einen ähnlichen (und überflüssigen) Effekt.

Auf etwas über 500 Seiten kämpft sich der Leser durch sieben lebensgefährliche Szenen, in denen Shane M. Schofield sich seinen Gegnern stellt und schier ausweglose Situationen meistert. Immer wenn der Leser glaubt, dass Schofield sich nun wirklich nicht mehr retten könne, zaubert dieser ein weiteres Ass aus dem Ärmel, mit dem er wieder einmal seinen Kopf aus der Schlinge ziehen kann. Realistisch ist das Buch an keiner Stelle und auch spannend mag es nicht werden. Eher fühlt man sich genervt durch sinnfreie Ballerei und unglaubliche technische Erfindungen, die einzig der Phantasie des Autors entspringen. Sprachlich rangiert das Buch an unterster Stelle und ich bin mir fast sicher, dass ich noch nie so etwas Dilettantisches gelesen habe.

Blöd, wenn man einen Comic erschaffen will und nicht zeichnen kann – aber schreiben leider ebenso wenig …

Ben Elton – Tödlicher Ruhm

Elton Ruhm Cover kleinDas geschieht:

Auf BPK-TV, einem erfolgarmen Sender, dümpelte „Hausarrest“, ein Menschenzoo à la „Big Brother“, bisher ohne besondere Zuschauerresonanz dahin. Am 27. Tag ist einer der Insassen durchgedreht und hat eine Mitgefangene erstochen. Leider (und merkwürdigerweise) haben die sonst allgegenwärtigen Kameras zwar die Bluttat, aber nicht das Gesicht des Täters festgehalten.

Der Verdacht liegt nahe, dass es einem der anderen Teilnehmer gehört. Chief Inspector Coleridge von der Mordkommission sieht sich bei seinen Ermittlungen indes vor ein für ihn ganz neues Problem gestellt: Nachdem die Quoten durch die Schreckenstat plötzlich in die Höhe schnellten, wollen die Macher „Hausarrest“ ganz und gar nicht absetzen. Die Show wird weitergehen. Coleridge muss seine Verdächtigen ‚von außerhalb‘ überprüfen. Ben Elton – Tödlicher Ruhm weiterlesen

King, Stephen – Todesmarsch

Nachdem der allseits bekannte Autor Stephen King sich mit seinem Roman „Carrie“ und der zugehörigen Verfilmung einen Namen gemacht hatte, wollte er sich und anderen beweisen, dass sich seine Bücher auch ohne den berühmten Autorennamen verkaufen würden. Aus diesem Grund veröffentlichte er zwischen 1979 und 1984 fünf Bücher unter dem Pseudonym „Richard Bachman“. Durch einen Zufall flog diese Tarnung jedoch auf, sodass die Bachman-Bücher heutzutage meist unter dem Namen King verkauft werden.

_Marsch in den Tod_
Zu Beginn fährt Hauptfigur Ray Garraty in Begleitung seiner Mutter zum Großereignis des „Marsches“, bei dem Ray einer der Teilnehmer sein wird. Seine Mutter versucht noch verzweifelt, ihn in letzter Minute von diesem Todesmarsch fernzuhalten, doch Ray hat sich bereits zum Mitlaufen entschieden.

Insgesamt 100 Jungen unter 18 Jahren starten an diesem Morgen um 9 Uhr beim Todesmarsch, der von zahlreichen Soldaten begleitet wird, die peinlich genau die Laufgeschwindigkeit der Jungen messen werden. Denn sobald jemand unter eine Geschwindigkeit von vier Meilen pro Stunde fallen sollte, wird der Läufer verwarnt. Insgesamt drei Verwarnungen sind erlaubt, anstelle der vierten Verwarnung wartet die unangekündigte Exekution auf den jeweiligen Teilnehmer. Doch von bloßem Erschießen kann hierbei keine Rede sein, denn sollte jemand sich dabei gegen die Soldaten auflehnen, wird er regelrecht hingerichtet.

Ausgesprochene Verwarnungen können wieder abgearbeitet werden, wenn man eine Stunde lang ohne Verwarnung bleibt. Pausen gibt es keine, es wird so lange weitermarschiert, bis nur noch ein Junge übrig ist. Auf den Sieger des Marsches warten Geld, Ruhm und ein Preis, den der Junge sich selbst aussuchen kann. Doch muss der Sieger erst 99 andere Jungs überleben …

Vor Beginn des Marsches werden nochmals alle Namen der Teilnehmer aufgerufen und jeder bekommt eine Startnummer. Anschließend werden Verpflegungsgürtel mit Tuben voll Lebensmittelextrakten verteilt, die jeden Morgen um 9 Uhr ausgetauscht werden. Wasser bekommen die Jungs so viel sie wollen, sie müssen allerdings selbst darum bitten. Jedoch sind manche Jungen irgendwann körperlich und auch geistig so am Ende, dass sie es nicht mehr schaffen werden, selbst ihr Wasser zu erbitten.

Pünktlich um 9 Uhr beginnt der Marsch. Zunächst ist es nicht viel mehr als eine bloße Wanderung, doch spätestens nach den ersten erteilten Verwarnungen und dem Tod des ersten Jungen wird den anderen klar, worauf sie sich dabei eingelassen haben. Langsam wird auch Ray Garraty bewusst, dass wirklich Menschen erschossen werden, in seiner Phantasie hatte er sich vorgestellt, dass statt echter Kugeln aus den Gewehren der Soldaten nur ein lautes „Plopp“ erklingen würde, doch weit gefehlt! Es gibt keine Gnade, da stirbt ein Junge, weil er wegen eines Wadenkrampfes zu langsam wird, ein anderer bekommt schon am ersten Tag Blasen, der nächste Junge leidet an Durchfall. All diese Schicksale führen zum sicheren Tod.

Ray Garraty ist das Zentrum der Geschichte, um ihn dreht sich das gesamte Buch und der Leser ist dabei, wie Ray seine Kameraden besser kennen lernt und sogar Freundschaften schließt. Aber nach und nach wird die Gruppe seiner Freunde immer kleiner, denn am Schluss kann nur einer überleben …

_Nur eine makabre Geschichte?_
Obwohl auf der Handlungsebene nicht viel passiert, versteht es Bachman/King geschickt, seine Leser von der ersten Seite an in seinen Bann zu ziehen. Er beschreibt den Marsch und seine Teilnehmer mit einer solchen Intensität, dass man gefesselt ist von der Geschichte und das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann, sobald man die ersten Seiten gelesen hat. Im Mittelpunkt steht ganz klar Ray Garraty, der zur Identifikationsfigur und zum Sympathieträger schlechthin wird. Man wünscht ihm den Sieg und hofft für ihn, dass er seine Freundin Jan in Portland an der Straße sehen wird. Während des Marsches schließt Ray Freundschaften zu anderen Teilnehmern, obwohl diese doch keine Zukunft haben. Die Charakterzeichnungen im Buch sind besonders hervorzuheben, da die marschierenden Jungen mit ihren ganz eigenen Lebensschicksalen die Geschichte beleben. Im Laufe des Marsches erfährt man von vielen Jungen einen Teil ihrer Lebensgeschichte und auch ihre Gründe für die Teilnahme an dem Todesmarsch. Es wird dabei offensichtlich, dass den meisten nicht klar war, worauf sie sich überhaupt einlassen, denn sie hatten nicht realisiert, dass der Marsch den fast sicheren Tod für sie bedeuten würde.

Ein interessanter Punkt sind hierbei die aufkeimenden Freundschaften zwischen den Teilnehmern, die auf der einen Seite notwendig erscheinen, um den Marsch zu überstehen, um Ablenkung durch die Gespräche zu erhalten und auch Aufmunterungen, wenn ein Teilnehmer einen Einbruch erleidet, die aber auf der anderen Seite von vornherein ohne Zukunft sind, da den Marsch nur einer überleben kann. An einer Stelle rettet Ray seinem besten Freund das Leben, indem er diesen zum Weitermarschieren zwingt, später hilft auch dieser Ray in mehreren Situationen weiter, obwohl beide damit ihre eigenen Siegchancen verringern. Denn je schneller alle anderen tot sind, desto schneller kann man selbst gewinnen – ein faszinierendes menschliches Phänomen.

Die von Anfang an aussichtslose Situation treibt die Teilnehmer zu unmenschlichen Leistungen an, über Tage hinweg marschieren sie pausenlos weiter, getrieben durch ihre eigene Angst. Die Jungen erleiden schier unglaubliche Qualen und überleben nur, indem sie sich auf völlig andere Dinge konzentrieren. So erhält Ray Garraty der Gedanke an seine Freundin Jan aufrecht, die in Portland auf ihn warten wird. Ihr Wiedersehen kostet ihn dann schließlich fast sogar sein Leben. Ein anderer Teilnehmer hat zu Hause eine schwangere Freundin, für die er überleben möchte, doch wird auf derlei persönliche Hintergründe natürlich keine Rücksicht genommen.

King schreibt so ergreifend, dass man sich in die Jungen hineinversetzen und ihre Qualen miterleben kann und muss. Wir sind hautnah dabei und Teil der Geschichte, begleiten Ray nach Maine auf seinem Todesmarsch. In diesem Buch konzentriert sich King auf einen nicht ganz alltäglichen Horror, der von den Soldaten ausgeübt wird. Im Mittelpunkt stehen menschliche Schicksale von Jungen, die sämtlich noch nicht volljährig sind und eigentlich noch ihr ganzes Leben vor sich hätten. Doch die Aussicht auf Reichtum und Ruhm treibt sie zu diesem todbringenden Marsch. Der Autor zeichnet eine erschreckende Zukunftsvision von einer Welt, in der Zuschauer am Rande der Straße stehen und mit fiebrigen Augen auf eine Hinrichtung warten. Der Marsch ist ein riesiges Publikumsereignis, das natürlich auch im Fernsehen übertragen wird und zu dem unzählige Menschen strömen, nur in der Erwartung, einem Jungen beim Sterben zusehen zu können. Verliert ein Junge seine Schuhe, so kann er sicher sein, dass diese nicht lange auf der Straße liegen bleiben, denn sie werden schnell als Souvenir eingesammelt. Selbst die verrichtete Notdurft wird von den Zuschauern aufgelesen.

Obwohl nichts weiter als der Marsch beschrieben wird, zählt „Todesmarsch“ zu den spannendsten und mitreißendsten Büchern, die ich je gelesen habe. Die Faszination liegt in der intensiven Charakterbeschreibung der Teilnehmer, die einem dadurch ans Herz wachsen. Zahlreiche Fragen werden aufgeworfen, die zum Nachdenken anregen: Was bringt die Jungs dazu, an diesem Marsch teilzunehmen? Was sind das für Menschen, die eine solche Aktion zulassen und dabei auch noch sensationslüstern zuschauen? Was sind das für Menschen, die die Jungs eiskalt hinrichten, nur weil diese am Rande ihrer Erschöpfung zusammenbrechen? Das sind nur einige Fragen, die während des Buches auftauchen und die man sich als Leser stellen wird. „Bachman“ setzt nicht auf den Horror des frühen Stephen King, sondern auf „Psychospiele“ und die detaillierte Beschreibung der Hauptcharaktere. Ihre persönlichen Ängste, Nöte und ihre Gedanken stehen dabei im Vordergrund. Das macht „Todesmarsch“ zu einem einmaligen Leseerlebnis!

Homepage des Autors: http://www.stephenking.com

_Stephen King bei |Buchwurm.info|_ (Auswahl):

[„Brennen muss Salem – Illustrierte Fassung“ 3027
[„Friedhof der Kuscheltiere“ 3007 (Audio)
[„Puls“ 2383
[„Trucks“ 2327 (Audio)
[„Colorado Kid“ 2090
[„The Green Mile“ 1857 (Audio)
[„Das Leben und das Schreiben“ 1655
[„Atemtechnik“ 1618 (Audio)
[„Todesmarsch“ 908
[„Der Turm“ 822 (Der Dunkle Turm VII)
[„Der Sturm des Jahrhunderts“ 535
[„Tommyknockers – Das Monstrum “ 461
[„Achterbahn“ 460
[„Danse Macabre – Die Welt des Horrors“ 454
[„Christine“ 453
[„Der Buick“ 438
[„Atlantis“ 322
[„Das Mädchen“ 115
[„Im Kabinett des Todes“ 85
[„Duddits – Dreamcatcher“ 45

Giles Blunt – Blutiges Eis

Das geschieht:

In Algonquin Bay, einer Kleinstadt in der kanadischen Provinz Ontario, staunt man über einen ungewöhnlich milden Januar. Für einen US-amerikanischen Urlauber war dies fatal; man findet seine von hungrigen, vorzeitig aus dem Winterschlaf erwachten Bären zerfetzte Leiche. Detective John Cardinal und seine Kollegin Lise Delorme stellen allerdings fest, dass der Pechvogel schon tot war, als ihn sein Schicksal ereilte; tatsächlich ist er ermordet worden.

Die Polizisten verdächtigen einen Trapper, dem sie Verbindungen zur örtlichen Unterwelt nachsagen. Längst hat die Mafia ihre Tentakel bis Kanada ausgestreckt. Allerdings gibt es eine weitere Spur: Der inzwischen identifizierte Tote erweist sich als ehemaliges Mitglied der CIA, das vor vielen Jahren unrühmlich mit dem „Canadian Security Intelligence Service“ (CSIS) zusammenarbeitete. Dieser gedenkt keineswegs, sich von zwei Außenstehenden in die Karten schauen zu lassen, und bemüht sich nach Kräften Cardinal und Delorme in die Irre zu führen. Zudem scheint es um die Vertuschung eines Skandals aus den frühen 1970er Jahren zu gehen, als diverse kanadische Separatistengruppen systematisch aber nicht immer gesetzkonform infiltriert und provoziert wurden. Giles Blunt – Blutiges Eis weiterlesen

Jean-Claude Izzo – Total Cheops

„Strahlend und verdreckt, edel und käuflich, sinnlich und verwelkt, brüderlich und hasserfüllt.“ So beschreibt „Le Monde“ im Klappentext von „Total Cheops“ das Marseille von Jean-Claude Izzo. Und trifft damit den Nagel auf den Kopf.

„Total Cheops“, der Auftakt zu Izzos viel gelobter Marseille-Trilogie (deren zweiter Teil immerhin mit dem Deutschen Krimipreis 2001 ausgezeichnet wurde), erzählt von Fabio Montale. Er ist Polizist in den nördlichen Vierteln Marseilles, einem sozialen Brennpunkt. Bandenkriminalität, Drogenhandel, Prostitution: So sieht dort der Alltag aus und Montale versucht dazwischen immer wieder auf der richtigen Seite zu stehen. Er hat ein großes Herz für die Bewohner dieses Schmelztiegels, egal ob Araber, Italiener, Spanier oder Franzosen, und er liebt gutes Essen, Musik und Wein. Zum Abschalten vom Polizeialltag fährt der Einzelgänger mit seinem Boot zum Angeln aufs Meer hinaus.

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Hewson, David – Semana Santa

In David Hewsons Thriller „Semana Santa“ dreht sich die Handlung um eine mysteriöse Mordserie während der Karwochen-Feierlichkeiten in der spanischen Hafenstadt Cadíz. Verfilmt wurde das Ganze auch schon, allerdings sollen Bücher ja grundsätzlich besser sein – ob das so stimmt, wollen wir nun einmal am Exempel prüfen.

_Hasta la vista, Baby – Zur Story_
Mit „Semana Santa“ bezeichnet man in Spanien die feierlichen Massenumzüge in der gesamten Karwoche vor Ostern, bei dem jede Gemeinde einer Stadt mit ihrer eigenen Madonnenfigur an der Kathedrale vorbeidefiliert und die ihren Abschluss (Gründonnerstag) in einer „Corrida“ findet, dem traditionellen Stierkampf. Wir befinden uns im Cadíz der Jetztzeit, der berühmten südspanischen Hafenstadt, wo eine ganze Woche lang pseudoreligiöses Highlife herrscht, was die örtliche Polizei jedes Jahr aufs Neue vor schier unlösbare Probleme stellt. Im Schutze des quasi unbeherrschbaren Trubels dieser Woche finden seltsame und bestialische Morde statt.

Als Erstes erwischt es ein verschrobenes Bruderpaar, das augenscheinlich neben seiner provokanten künstlerischen Arbeit und ebenso schrägen Lebensart auch Kontakte zur Homosexuellenszene hatte. Man hat die Leichen der beiden schön barock herausgeputzt und nach Art eines alten Bildes von Leál drapiert. Gespickt sind die Leichen der Angel-Brüder mit bebänderten Pfeilen, wie sie auch beim Stierkampf verwendet werden, um den Stier zu triezen. Auch die eigentliche Mordwaffe passt ins Bild: Ein Degen, der für den finalen Tötungsakt in der Arena benutzt wird. Ist der Killer also ein durchgeknallter Torrero?

Zentrale Figur der Geschichte ist Maria Guitterrez, die eigentlich nichts mit Kriminalistik am Hut hat, doch mit ihren 33 Jahren schon einen Universitäts-Professorentitel aufweisen kann. Sie wurde vom Innenministerium nach Cadíz geschickt, um sich die Polizeiarbeit näher anzuschauen und eventuell Optimierungsmöglichkeiten herauszuarbeiten. Eher widerwillig schleppen die Beamten sie zunächst mit an die Tatorte, sie halten sie für einen berichteschreibenden Spitzel und eine Belastung bei den Ermittlungen, doch gelingt es ihr nach und nach, einige wichtige Puzzleteile zusammenzufügen und den „Kollegen“ des eingesetzten, männlichen Ermittlerteams Respekt abzuringen.

Doch auch der Killer ist von ihr sehr angetan, was sie unweigerlich in sein Fadenkreuz und somit in Gefahr bringt. Doch was sind die Motive des – eine rote Büßerkutte tragenden – Kapuzen-Mörders? Religiös verbrämte Rache? Oder einfach nur Spaß daran, zu töten wie ein Torrero und dabei die Polizei durch geschickte Winkelzüge zum Narren zu halten? Der Schlüssel zur Lösung liegt weit in der Vergangenheit, genauer gesagt in den Wirren des frankofaschistischen, spanischen Bürgerkriegs im Jahre 1936 und dem gefürchteten Gefangenenlager „La Soledad“ … Wer in der Gegenwart überleben will, muss die Vergangenheit aufarbeiten und sich auch seinen persönlichen Teufeln stellen.

_Olé! – Meinung_
Klerikal angehauchte Kriminalgeschichten haben Hochkonjunktur. Hewson („Das Blut der Märtyrer“) zu unterstellen, er würde auf der Welle mitschwimmen, zieht in diesem Falle nicht, denn als das Buch 1996 veröffentlicht wurde, war man von dem heutigen Hype, der dieses Genre umweht, noch weit entfernt. Zudem ist der religiöse Touch auch nur vordergründig und dient als Kulisse für die Geschichte, die Wahrheit liegt tiefer verborgen. Bis die Tarnung auffliegt, fabriziert er einige recht unerwartete Wendungen, was den Spannungsbogen generell nicht abflachen lässt.

Lediglich die oft verwendeten Flashbacks in die Vergangenheit sind mir mitunter etwas zu langatmig, selbst wenn sie dazu dienen, das Motiv langsam herauszukristallisieren und am Ende Licht ins Dunkel zu bringen. Das hätte Hewson ein wenig straffen können, doch ist dies nur ein eher schwacher Kritikpunkt, erfüllt diese Vorgehensweise doch den Zweck, die Pro- und Antagonisten besser auszuarbeiten. Die haben es zum Teil auch echt nötig, aufgepeppt zu werden.

Die Charakterzeichnung leidet nämlich ein wenig unter dem Wechselspiel zwischen Rasanz und den eher ruhigen Ermittlungspassagen, sodass die verwendeten Figuren häufig etwas klischeehaft daherkommen. Da wäre die fähige, intelligente aber zunächst geschnittene Provinz-Polizistin, die sich innerhalb der von Männern dominierten Welt der spanischen Polizei erst ihre Sporen und den Respekt ihrer chauvinistischen Macho-Kollegen verdienen muss. Die entsprechen im Endeffekt auch großteils dem typischen Bild: harte Schale, weicher Keks … Verzeihung: Kern. Stilistisch nicht gerade berauschend neu und in etlichen anderen Romanen auch schon so – oder so ähnlich – praktiziert. Kalter Kaffee.

Dass die Protagonistin dann schlussendlich auch in den sexuellen Fokus des Serienkillers (und somit in Lebensgefahr) gerät, konnte man sich schon fast denken – den Ausgang im Groben auch. Interessant, dass gerade (in den von mir oben leicht bekrittelten) Flashbacks und ihren Personen dieses Stereotyp nicht gepflegt wird und literarische Vielschichtigkeit durchblitzt. Ob dieser Gegensatz gar beabsichtigt ist, sei dahingestellt, er ist in jedem Falle ausgesprochen augenfällig.

Wie es sich für einen Vertreter der Serial-Killer-Fraktion geziemt, kommt diesem Part natürlich ein besonderes Augenmerk zu. Detailliert beschreibt Hewson die vermeintlichen Ritualmorde und aufgefundenen Leichen am Tatort. Zeitweise vermeint man den Verwesungsgeruch in der Nase zu haben. Ab und zu darf der Leser auch „live“ dabei sein, wenn der große Unbekannte auf die Jagd geht, was einen Einblick in seine Psyche gewährt, jedoch dankenswerterweise seine Identität zunächst nicht enthüllt.

Erst gegen Ende des Katz-und-Maus-Spiels lichtet sich der Schleier um die Person des Täters und Hewson gibt dann offener etwas mehr über ihn preis. Alles Finte? Viele der Spuren erweisen sich tatsächlich als Sackgassen und Tricksereien seitens des Autors. Selbst wenn man meint, jetzt wäre es gelaufen, fehlen immer noch einige Puzzleteilchen, die das Motiv vollständig erklären. Und dingfest gemacht ist der Schuft damit erst recht noch nicht. Das behält Hewson sich für den fulminanten Showdown vor, wenn aus dem Psychothriller eine hektische Hetzjagd wird. Bis es dazu jedoch kommt, erlebt der Leser eine Menge spanischer Kultur, extremen Katholizismus, Pädophilie und soziologische Ränkeschmiede in blutiger Form.

_Psychoanalyse – Fazit_
Psychothriller mit Serienmördern stammen aus Amerika und spielen auch dort. Ein Trugschluss. Auch in Europa ist es durchaus möglich, einen guten Thriller zu schreiben und ihn auch dort stattfinden zu lassen – dachte sich Hewson und liefert einen atmosphärisch dichten Roman mit leichten Schwächen ab. Trotz seiner versuchten Verschleierungstaktik ist die Handlung oft vorauszusehen bzw. zumindest zu erahnen. Die Idee, das Motiv so weit in der Zeit zurückzuverlegen, ist nicht übel, hat aber streckenweise einige Längen. Langweilig ist das Buch indes nicht, hätte an einigen Punkten aber weniger Belanglosigkeiten gut vertragen können.

Der Plot an sich ist schlüssig, logische Lücken finden sich keine, obwohl es sicher nicht einfach war, die Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart vernünftig und nachvollziehbar miteinander zu verknüpfen. Wären nur die Figuren und deren Handeln nicht so berechenbar und genretypisch ausgefallen, hätt’s durchaus auch für eine bessere Beurteilung meinerseits gelangt. So bleibt ein solider Roman mit ordentlichem Unterhaltungswert. Trotz blutigem Verwirrspiel aber ziemlich leichte Kost für eingefleischte Krimi- und Thrillerfreunde, die den Schinken innerhalb kürzester Zeit durch haben dürften. Lesenswert, aber ohne Chance auf Kultstatus. Übrigens ist das Buch um Klassen besser als die Verfilmung.

Pelecanos, George P. – große Umlegen, Das

Washington D. C. 1946: Ein Jahr ist vergangen, seit Peter Karras heimkehrte. Seine Welt – das war und ist das „Griechische Viertel“ der Hauptstadt der USA. Unter den Arbeitern, kleinen Händlern, Krämern und Kneipenbesitzern ist er zu Hause; sein Vater Dimitri betreibt einen Obst- und Gemüsestand. Karras ist bekannt und geachtet, im Pazifikkrieg hat er sich als Angehöriger des Marine Corps hervorgetan. Nun ist er verheiratet, hat Freunde, die er schon seit Kindertagen kennt – ein geordnetes Leben auf den ersten Blick, doch Risse tun sich auf, deren Wurzeln tief in die Vergangenheit reichen. Karras ist unruhig. Er stellt höhere Ansprüche an das Leben als sein Vater und er möchte es weiter bringen als dieser, aus dem die Jahre harter, nie wirklich einträglicher Arbeit einen verbitterten Trinker gemacht haben. Mit der „alten Heimat“ Griechenland und den Idealen seiner Eltern weiß Karras wenig anzufangen. Er gehört zur ersten Generation der Immigrantensöhne, die versuchen, sich anzupassen und tatsächlich heimisch zu werden in den USA.

Karras versucht sich als Handlanger eines örtlichen Gangsterbosses und Kredithais. Burke verleiht Kredite zu Wucherzinsen und erpresst „Schutzgelder“ von den Ladenbesitzern in „seinem“ Viertel. Joe Recevo, Karras‘ bester Freund, hat ihn Burke empfohlen. Doch Karras bringt es nicht fertig, säumige Schuldner mit brutaler Härte an ihre Zahlungsverpflichtungen zu erinnern. Burke beschließt ihn fallen zu lassen. Doch zuvor will er Karras eine Lektion erteilen und ihn von seinen Schergen verprügeln lassen. Recevo wird zum Judas, als er den arglosen Freund in eine sorgfältig vorbereitete Falle führt, denn er kennt die ungeschriebenen Gesetze der Unterwelt: Bekommt Burke nicht seinen Willen, ist Karras ein toter Mann. Aber die Sache gerät außer Kontrolle, als der sadistische Reed, ein weiteres Mitglied der Gang, endlich die Chance sieht, sich an Karras, der seiner Meinung nach den nötigen Respekt ihm gegenüber vermissen lässt, zu rächen. Vorsätzlich zertrümmert er Karras‘ Knie und macht ihn zum Krüppel.

Drei Jahre später: Karras hat seine Träume von einer besseren Zukunft begraben. Er ist als Koch bei seinem Freund Stefanos in dessen Kneipe „Nick´s“ untergekommen. Doch die Vergangenheit holt ihn auch in der Küche schließlich ein. Burke will seinen Einflussbereich ausdehnen. Er hat ein Auge auf „Nick´s“ geworfen und fordert ein hohes monatliches Schutzgeld. Stefanos weigert sich zu zahlen. Burke schickt seine Schläger, doch Stefanos gelingt es mit Karras‘ Hilfe, die Gangster auszuschalten. Karras weiß nur zu gut, dass Burke bald zurückschlagen wird …

Eine kaltherzige Welt und ihre auf Gedeih und Verderb miteinander verbundenen Bewohner; ein um sich selbst kreisender Mikrokosmos, der scheinbar neben der „realen“ Welt existiert, bevölkert von nur scheinbar starken Männern und schwachen Frauen, die wie von unsichtbaren Fäden gezogen auf ihr Verhängnis zusteuern; Menschen in der Krise, Menschen auf der Schattenseite des Lebens, die versuchen, sich ihr Stück vom Kuchen zu holen, und die doch am Ende mit leeren Händen dastehen – wenn sie denn noch stehen können! Keine Frage: Wir befinden uns in der Welt der „Schwarzen Serie“, in der sich die Hoffnung auf ein besseres Leben oder gar Glück stets als grausam enttäuschte Illusion erweist.

Noch bekannter als die Romane der „Schwarzen Serie“ ist ihr Pendant auf der Kinoleinwand geworden: der „Film Noir“ ist ein seltenes Beispielen dafür, dass Hollywood manchmal originell sein kann. Das Genre entstand in der Umbruchphase nach dem für die USA zwar gewonnenen, an der „Heimatfront“ aber mit tief greifenden gesellschaftlichen Verwerfungen einhergehenden II. Weltkrieg und brachte einige der größten Filmklassiker überhaupt hervor.

Die Zeit des „Film Noir“ (ver-)endete in der bleiernen Eisenhower-Ära der 1950er Jahre. Die Romane der Schwarzen Serie überlebten, wenn auch nur in einer kleinen Nische am Rande der Krimiszene. George P. Pelecanos gelingt nun das Kunststück, das Genre neu zu beleben und auf den aktuellen Stand zu bringen. Den gleichen Dienst konnte er einer anderen Gattung erweisen: der „Privat-Eye-Novel“ und jenen Geschichten, in denen sich ein notorisch erfolgloser, aber aufrechter Privatdetektiv (inzwischen ruhig auch weiblichen Geschlechts) einsam und trotzig daran macht, einen hoffnungslosen Fall zu klären. Pelecanos gewinnt auch diesem Klischee neue Seiten ab, indem er aus seinem „Helden“ den vielleicht ersten authentischen „proletarischen“ Detektiv macht.

„Das große Umlegen“ ist der erste Teil einer Trilogie, die sich mit der „kriminellen Geschichte“ Washingtons kurz vor und vor allem nach dem II. Weltkrieg beschäftigt. Die Hauptstadt der USA bringt man gemeinhin nicht mit dem „gewöhnlichen“ Verbrechen in Verbindung. Thriller-Autoren lassen hier gern Bösewichte in feinen Nadelstreifenanzügen in Pentagon und Weißem Haus welterschütternde Verschwörungen ausbrüten. Darüber gerät leicht in Vergessenheit, dass Washington jenseits seiner politischen Arenen eine moderne Großstadt mit den üblichen Alltagsproblemen ist. Konflikte zwischen ethnischen Gruppen und die Machenschaften des organisierten Verbrechens sind dafür nur zwei Beispiele, die indes eng miteinander verzahnt sind.

Die USA galten lange als „gelobtes Land“ für Auswanderer aus Europa, die den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zwängen ihrer alten Heimat entfliehen wollten. Jenseits des Großen Teiches mussten sie indes rasch erkennen, dass sie auch hier nicht mit offenen Armen empfangen wurden. Zum Kulturschock kam die Sprachbarriere. So ist es kaum verwunderlich, dass die Emigranten unter sich blieben. Bald gab es in den großen Städten Nordamerikas regelrechte „italienische“, „russische“ oder „deutsche“ Viertel. Ihre Bewohner blieben mit ihrer Sprache, ihren Sitten und Gebräuchen unter sich, wo sie sich heimisch fühlten. Auf der anderen Seite isolierten sie sich auf diese Weise vom übrigen Amerika, in dem sie als schlecht verdienende Kleinstunternehmer und Hilfsarbeiter eine Nische nur am Rande der Gesellschaft fanden. Einen Weg aus diesem Mikrokosmos, der gleichzeitig ein Teufelskreis war, gab es nur für jene, die dem „Ghetto“ dank einer guten Ausbildung und eines Quäntchens Glück den Rücken wenden konnten.

Eine überschaubare Welt, abgeschottet und außerhalb der „normalen“ amerikanischen Gesellschaft stehend, bevölkert von Menschen, die Vertretern von Gesetz und Ordnung mit Misstrauen begegneten – das ist eine Welt, die als Opfer für das organisierte Verbrechen prädestiniert ist. Auf der einen Seite scheinbare Volksnähe demonstrierend und den Einwanderern auf „unbürokratischem“ Wege Kleinkredite gewährend, auf der anderen „Schutzgelder“ erpressend, halten die Banden Einzug auch in das griechische Viertel Washingtons, in dem George P. Pelecanos die Familie Karras angesiedelt hat. Die Gangster leben gut und müssen sich nicht sieben Tage in der Woche für einen Hungerlohn krumm legen. Da liegt es für viele Jugendliche des Viertels nahe, auf dem Weg zum Wohlstand eine Abkürzung zu versuchen. Für den, der bereit ist, die Drecksarbeit für die Bosse zu erledigen, gibt es immer etwas zu tun. Pete Karras, gerade zurückgekehrt aus dem Krieg, wo er jenseits seines bisher beschränkten Horizontes eine ganz neue Welt kennen gelernt hat, wird für einen besonders perfiden Job angeheuert: Er soll von den eigenen Landsleuten rückständige Wucherzinsen eintreiben. Aber er, der anständige Proletarier, kann nicht heraus aus seiner im Grunde ehrlichen Haut. Der Preis, den dafür bezahlt, ist hoch, aber er hat seine Lektion gelernt – auch wenn er dies letztlich nicht überleben wird.

George Peter Pelecanos kennt die Stadt Washington und ihre Geschichte; die hellen wie die dunklen Seiten. Als Sohn griechischer Einwanderer 1957 geboren, ist er als echtes Kind der Arbeiterklasse aufgewachsen. Die gesamte Familie schuftete in der Billiggastronomie, und ab seinem zehnten Lebensjahr war auch George dabei. Bis zu seinem 32. Lebensjahr verdiente er sein Geld als Bauarbeiter, Barmann, Schuhverkäufer und in anderen Jobs, konnte aber nebenbei immerhin studieren.

1989 verwirklichte er sich seinen lang gehegten Traum und schrieb einen Roman, der zum ersten Teil einer Trilogie um den Privatdetektiv Nick Stefanos wurde. „A Firing Offense“ stellte gleichzeitig den Auftakt zu Pelecanos‘ ehrgeizigem Projekt dar, die Geschichte Washingtons im 20. Jahrhundert „von unten“ zu be-schreiben. Acht Romane umfasst es; alle sind zumindest locker miteinander verwoben, und gemeinsam bilden sie so etwas wie ein Sittenbild der Stadt und ihrer Bewohner. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen nach der Bedeutung von Herkunft und Freundschaft bzw. Solidarität. Wie weit kann oder muss sie gehen? Darf sie die Grenze zwischen „Gut“ und „Böse“ ignorieren? Für Pelecanos ist die Entscheidung klar, aber er verschleiert nie, dass der „richtige“ Weg dem, der ihn geht, erst recht ins Verderben führen kann.

Obwohl Pete Karras das Finale von „Das große Umlegen“ nicht überlebt, setzte Pelecanos die Trilogie fort. In [„King Suckerman“, 671 der in der Woche der Zweihundertjahrsfeiern 1976 spielt, tritt Karras‘ Sohn Dimitri an die Stelle des Vaters. „The Sweet Forever“, der abschließende Band, berichtet davon, wie er und sein Freund Marcus Clay im Jahre 1986 in einen Drogenkrieg verwickelt werden. Beide Romane spinnen nicht einfach die Vorgeschichte routiniert weiter, sondern gehen inhaltlich wie formal völlig eigene Wege – auch das ein Beleg dafür, dass der moderne Kriminalroman mit George P. Pelecanos eine ebenso kritische wie talentierte Stimme gefunden hat.

2001 begann Pelecanos mit einer neuen Reihe um den (schwarzen) Privatdetektiv Derek Strange und seinen Partner Terry Quinn. Sie spielt im Washington der Gegenwart und wirft kritische Blicke auf den Drogenkrieg im Schatten des Weißen Hauses. Außerdem beschäftigt sich der Verfasser gewohnt intensiv mit dem immer noch aktuellen Problem der Rassendiskriminierung. Hier gehen ihm, der sonst mit einer glasharten, klaren Prosa und mitreißenden Plots glänzt, indes manchmal die Pferde durch – Pelecanos hebt den Zeigefinger und predigt statt zu erzählen. Das ist freilich der einzige Vorwurf, den man ihm manchmal machen muss.

Hierzulande bleibt Pelecanos ein Geheimtipp. Das „verdankt“ er in erster Linie einer unglücklichen Veröffentlichungsgeschichte. Der Verlag, der seine Werke nach Deutschland brachte, ließ beim „Aufbau“ des noch fremden Autors die notwendige Kontinuität vermissen und stellte seine Thrillerreihe zudem bald ein. Mit der Strange/Quinn-Reihe wird nun ein neuer Anlauf genommen. Die älteren Titel bleiben allerdings weiter ohne Übersetzung.

Homepage von George Pelecanos: http://www.georgepelecanos.com.

Crichton, Michael – Welt in Angst

Seit dem Tsunami-Unglück in Asien zu Weihnachten letzten Jahres kommt Michael Crichtons neuem Roman mehr Aktualität und Brisanz zu, als der Autor sich dies je hätte vorstellen können. Einen knappen Monat, nachdem eine riesige Flutwelle – ausgelöst durch ein Seebeben der Stärke 9.0 auf der Richterskala im indischen Ozean – für eine Katastrophe in weiten Teilen von Asiens Küsten gesorgt hat, erscheint „Welt in Angst“, das sich schwerpunktmäßig genau mit derlei Umwelt- und Naturkatastrophen beschäftigt. Fast schon unheimlich erscheint dieser mysteriöse Zusammenhang, der nahezu bedrohlich wirkt, wenn man das Buch gelesen und all die Dinge konsumiert hat, die aus Crichtons Fantasie entstanden sind …

In Paris wird ein junger englischer Physiker ermordet, dessen Fachgebiet die Erforschung von Meereswellen und speziell Tsunamis ist. In Malaysia werden riesige Kavitationsgeneratoren verkauft, die mit Hyperschall arbeiten. Kurze Zeit später holt in Shad Thames ein amerikanisch aussehender Mann einhundertfünfzigtausend Meter dünnen Führungsdraht ab, der für Panzerabwehrraketen eingesetzt werden kann. In Tokio lässt sich der geheimnisvolle John Kenner vorführen, wie per Internet gezielt Extremisten verfolgt und überprüft werden. In Kanada möchte ein angeblicher Erdölgeologe ein U-Boot mieten, um Messgeräte in großer Meerestiefe aufzustellen. All diese Vorgänge hängen miteinander zusammen, doch wie?

Der Multimillionär George Morton möchte mit einer Spende von insgesamt zehn Millionen Dollar die sogenannte Vanutu-Klage unterstützen, bei der der pazifische Inselstaat Vanutu die Umweltschutzbehörde der USA verklagen will. Denn die USA sind bekanntlich der größte Umweltsünder weltweit und rufen daher die globale Erwärmung hervor, die die Erdgletscher abschmelzen lassen wird, wodurch Vanutu überflutet würde. Doch dann erfährt Morton, dass ein Teil seines Geldes fehlgeleitet wurde, er wird misstrauisch. Allerdings bleibt ihm nur noch wenig Zeit zum Handeln, denn bei einem Autounfall in seinem neuen Ferrari verunglückt Morton tödlich.

Seine Assistentin Sarah Jones und sein Anwalt des Vertrauens, Peter Evans, sind geschockt. Kurz darauf werden ihre beiden Wohnungen durchsucht und verwüstet und auch in George Mortons Haus wird eingebrochen, seine sämtlichen Safes stehen offen. In diesem Moment erinnert sich Evans an den letzten Satz, den Morton vor seinem Tode zu ihm gesprochen hat, dieser führt Sarah, ihn und den ominösen Wissenschaftler Kenner zu einer Liste mit geografischen Orten. Doch gefährliche Leute sind ihnen auf der Spur und sie planen Furchtbares, ein Wettlauf mit der Zeit beginnt …

In typischer Crichton-Manier muss der Leser nicht lange warten, bis die Geschichte ins Rollen kommt und man völlig in der Erzählung versinkt. Zu Beginn des Romans werden so viele Handlungsebenen eröffnet, dass man lange nicht ahnt, wie diese zusammenhängen, weitergeführt und miteinander verknüpft werden. Auch die Guten und die Bösen haben sich uns noch nicht offenbart, sodass man im Dunkeln tappt und auf die Katastrophe wartet. Der Einstieg ist nicht gerade rasant, macht allerdings Lust auf mehr und fesselt den Leser schnell an die Story. Nach George Mortons Auftauchen wird sofort klar, dass er eine zentrale Rolle einnehmen wird, doch dauert es recht lange, bis Crichton aufklärt, welches Unglück der Menschheit droht.

Die Rollen der Guten und der Bösen werden schon auf den ersten einhundert Seiten verteilt, ungewiss ist lange Zeit lediglich, was die Bösen im Detail planen, doch voreilige Leser, die den Fehler gemacht haben, zuvor den Klappentext zu lesen, wissen längst, was die Extremisten vorhaben und worauf das Buch hinauslaufen wird. Um sich diese Spannung zu bewahren, kann ich nur dringend dazu raten, sämtlichen Text auf dem Buchumschlag zu ignorieren und den Umschlag am besten weit weg zu legen! Baut Crichton zu Beginn mehrere Handlungsebenen auf, so führt er diese schnell zusammen, sodass sich die Geschichte danach linear weiterentwickelt und es keine Sprünge zwischen verschiedenen Handlungssträngen mehr gibt.

Mehrere Katastrophen sind im Laufe des Buches zu verhindern, sodass eigentlich kaum Ruhepausen auftauchen dürften, doch leider nimmt Crichton immer wieder selbst Tempo aus seiner Geschichte heraus. Kaum ist ein Unglück abgewendet, kommen Sarah, Peter Evans und Kenner zur Ruhe und haben Zeit, sich auf die nächste Schreckensnachricht einzustellen. Überbrückt wird diese Zeit meist durch wissenschaftliche Diskussionen rund um die globale Erwärmung. Genau an dieser Stelle sehe ich das größte Problem des Buches, denn es baut auf dem Thema der globalen Erwärmung auf und spielt mit dem Wissen und vor allem dem Unwissen der Leser. Der informierte Leser findet seine Identifikationsfigur in John Kenner, der die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben scheint, während der unwissende Leser sich hervorragend wiederfindet im skeptischen Peter Evans oder später im Schauspieler Ted Bradley. Kenner ist derjenige, der seine uninformierten Begleiter durch wissenschaftliche Belege von der Nichtexistenz der globalen Erwärmung zu überzeugen versucht. Diese wiederum spielen ihm mit ihrer Skepsis und Unwissenheit immer wieder Bälle zu, die Kenner freudestrahlend aufgreift. In zu vielen Szenen spielt er besserwisserisch seine Informationen aus, die der Leser bereits nach der ersten Diskussion aufgenommen hat. Manchmal habe ich mich gefragt, ob Crichton seine Leser für dumm verkaufen will, denn zu häufig wiederholen sich die wissenschaftlichen Diskussionen, in denen Crichton in der Person des Kenner mit seinem Wissen beeindrucken möchte. Schon in den zahlreichen Wortgefechten zwischen Kenner und Evans habe ich mich gefragt, wie ein 28jähriger Staranwalt wie Evans so verstockt sein kann, dass er mehrfach über die aktuelle Klimaproblematik belehrt werden muss, bevor er endlich einsieht und versteht, dass die globale Erwärmung vielleicht doch nicht so dramatisch existent ist, wie er bislang gedacht hat. Doch kaum hat Kenner sein erstes Opfer überzeugt, taucht das nächste in Form des naiven Schauspielers Bradley auf. Diese zahlreichen Diskussionen gehen uns nicht nur relativ schnell auf die Nerven, sondern sie sorgen auch für einen abrupten Spannungsabfall, weil die eigentliche Erzählung unterbrochen wird, um dem Leser erneut etwas über die aktuelle Klimaforschung zu erzählen.

Positiv zu nennen sind die Zitate, die jede wissenschaftliche Aussage begleiten und auch unter den Temperaturgraphen und anderen Bildern zu finden sind. Hierdurch weist Crichton auf seine intensive thematische Vorbereitung zu diesem Buch hin. Rein fachlich kann er also auf publizierte Artikel bauen, die ich zwar nicht kontrolliert habe, die ich ihm aber durchaus glaube, weil ich in letzter Zeit selbst viel über dieses Thema gelesen habe. Mit seinen Aussagen zur Umweltpolitik lehnt Crichton sich hier zwar sehr weit aus dem Fenster, stützt sich aber immerhin auf wissenschaftliche Beweise, die er zu diesem Zwecke auslegt. Obwohl Michael Crichton in einem Nachwort nochmals seinen Standpunkt zu umweltpolitischen Themen deutlich macht, kann man diesen mehr als nur zwischen den Zeilen auch aus dem Buch selbst herauslesen. Über diese Einstellung kann man diskutieren, aber sie steht hier nicht zur Debatte.

Sprachlich und stilistisch ist sich Crichton wie immer treu geblieben, denn kurze Kapitel reihen sich aneinander, immer nur kurze Szenen in knappen Sätzen sind zu lesen, bevor der nächste Schnitt kommt und eine neue Situation beschrieben wird. Wie auch schon in [„Timeline“ 360 verliert sich Crichton allerdings etwas zu häufig in wissenschaftlichen Erläuterungen.

Die Charakterisierungen haben mich einmal mehr nicht wirklich überzeugt. Keiner der Charaktere ist authentisch, alle wirken völlig künstlich, da sie entweder zu perfekt oder zu fehlerhaft sind. Da ist beispielsweise John Kenner, der alles zu wissen scheint und zu jeder Aussage das passende Paper zitieren kann. Darüber hinaus ist er natürlich erfolgreicher Wissenschaftler vom MIT (Massachusetts Institute of Technology), der auch hervorragend mit Waffen umgehen kann und eine Nichte hat, die als Anwältin an der Vanutuklage mitarbeitet und ebenfalls perfekt informiert ist über umweltpolitische Fragen. Auch sie zeigt im Dschungel im Kampf mit Rebellen erstaunliche Fähigkeiten, die ich einer Anwältin an sich nicht ohne Weiteres zutraue. Alle auftauchenden Frauen sind selbstverständlich hübsch, so auch die große blonde Sarah, die überaus sportlich ist. Peter Evans stellt den jungen Lieblingsanwalt des steinreichen George Morton dar, der es zwar früh zu etwas gebracht hat, aber dennoch nicht viel über das Thema Klima zu wissen scheint und auf diesem Gebiet auch schwer belehrbar sein muss. In den umweltrelevanten Diskussionen zeigt sich Evans uneinsichtig, doch später hat auch er von Kenner gelernt. Während er Sarah anfangs noch zur Last fällt, mutiert Evans im weiteren Verlauf des Buches gleich zum zweifachen Lebensretter. Das wirkt leider alles wenig realistisch, sodass es lange dauert, bis einem die Charaktere ans Herz wachsen und man mit ihnen mitfiebert, wenn sie wieder gegen die Extremisten kämpfen und in aussichtslose Lagen geraten. Ein leidlich gutes Bild kann man sich auch nach etwa 550 Seiten nur von sehr wenigen Personen machen.

Im Kampf gegen die Bösen greift Crichton ähnlich wie Dan Brown in [„Meteor“ 155 ein wenig in die Trickkiste, denn Sarah, Peter und John meistern schier ausweglose Situationen; so erwartet man das von wahren Helden. Gerade aber diese rasanten und gefahrvollen Szenen sind es neben der faszinierenden Klimathematik, die das Buch ausmachen und dazu führen, dass es mitzureißen versteht. Ein anderes wichtiges Thema, das Crichton aufgreift, ist die gezielte Manipulation der Menschen durch die Medien, wie sie gerade in den USA nicht unüblich ist. In „Welt in Angst“ wird der Bevölkerung die nahende Klimakatastrophe vorgespielt, damit sie spendet und der stattfindenden Klimakonferenz besondere Aufmerksamkeit schenkt. Doch in Wahrheit ist alles ganz anders oder aber zumindest nicht halb so schlimm. Die interessante Thematik rund um das Klima, das jeden Menschen etwas angeht, genau wie der Umweltschutz, aber eben auch die fragwürdige Politik von Umweltschützern machen das Buch zu einem interessanten Leseerlebnis, bei dem man durchaus noch etwas lernen kann. Durch die im Anhang befindliche kommentierte Bibliografie ermöglichst Crichton seinen Lesern weitere Recherchen anhand der ausgewählten Literatur. Auf diese Weise verpackt Michael Crichton sein angelesenes Wissen in eine spannende Geschichte, wobei er sich manchmal allerdings in zu vielen Details zur Klimaproblematik verliert. Dennoch wird das Buch dadurch zu etwas mehr als bloßer Unterhaltungsliteratur, da die Geschichte in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken anregt.

Insgesamt gefällt das Grundkonzept des Buches äußerst gut, und ganz ungewollt hat Crichton sich ein Thema herausgesucht, wie es aktueller nicht sein könnte. Die Geschichte ist spannend, leidet allerdings ein wenig unter den Spannungseinbrüchen durch die wiederkehrenden Erörterungen zu Umweltfragen. Die Charakterisierungen bleiben etwas zu sehr an der Oberfläche und zeichnen sich durch recht viele Übertreibungen aus, die die Figuren künstlich wirken lassen, nichtsdestotrotz kann man sich von den Hauptcharakteren ein recht gutes Bild machen. Punkten kann Crichton durch seine ausführliche Literaturrecherche, die ihm dieses interessante Buch erst ermöglicht hat. So ist Michael Crichton mit „Welt in Angst“ sicherlich kein Meisterwerk gelungen, aber doch ein spannendes und vielleicht auch lehrreiches Buch.

|Originaltitel: State of Fear (Dezember 2004)
Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann|

White, Gillian – Peststein, Der

Scheinbar seit Anbeginn der Zeit stellt er das natürlich Zentrum des kleinen englischen Dörfleins Meadcombe dar: der Peststein, ein gewaltiger Megalith, fest und unverrückbar in der Erde verankert. Von den Touristen wird er bestaunt, von den Bürgern, die in seinem Schatten leben, eher gefürchtet. Schon immer galt der Peststein als Quelle übernatürlicher Kräfte. In vorchristlicher Zeit wurde er als Heiligtum verehrt, und selbst als die Missionare die alten Naturgeister vertrieben hatten, schlichen des Nachts die Menschen zum Stein, der angeblich die Macht hat, geheime Wünsche zu verwirklichen. Dass noch jede Person, die es versucht hat, ihren Weg bitter bereuen musste, ist hoch im rationalen 20. Jahrhundert in Vergessenheit geraten. Geblieben ist ein dumpfes Unbehagen – und manchmal der Wunsch, in auswegloser Lage den Peststein zu beschwören und darauf zu pfeifen, ob sich eine Gottheit oder der Teufel in seinem Inneren verborgen hält.

Tiefe Verzweiflung eint drei ansonsten sehr unterschiedliche Frauen, die in einer düsteren Oktobernacht die Macht des Steins versuchen. Marian Law hat gerade ihren geliebten Gatten bei einem tragischen Verkehrsunfall verloren. Stattdessen blieb ihr die ungeliebte Schwiegermutter, die in den letzten Monaten zunehmend senil geworden ist und Marian das Leben zur Hölle macht. Die 14-jährige Melanie Tandy wünscht sich sehnlich, die Schule, ihre verhasste Familie und Meadcombe überhaupt verlassen zu können. Die verwöhnte Oberschicht-Lady Sonia Hanaford sieht sich vor einem Leben in Schande und Armut, weil die Galerie ihres nichtsnutzigen Ehemanns vor dem Bankrott steht.

Der Peststein hört, der Peststein hilft – stumm aber effektiv und auf seltsam krummen Pfaden. Als die drei Frauen am nächsten Morgen erwachen, ist Marians Schwiegermutter in der Nacht plötzlich verstorben, Melanie spurlos verschwunden, und Sonia hat einen Weg gefunden, dem reichen Schwiegervater ein Darlehen abzupressen. Erleichterung stellt sich ein, aber sie schwindet rasch, als sich herausstellt, dass jeder in Erfüllung gegangene Herzenswunsch eine Kette verhängnisvoller Reaktionen in Gang setzt, die sich unaufhaltsam zu einer finalen Katastrophe wahrlich apokalyptischen Ausmaßes aufschaukeln …

Nichts ist schlimmer als das Grauen, das der Mensch selbst heraufbeschwört. Sollte es tatsächlich Gespenster oder Dämonen in einer Twilight Zone irgendwo da draußen geben, müssten sie sich eigentlich neidvoll mit einer Zuschauerrolle begnügen, denn sie wären wohl kaum in der Lage, ihren Opfern so erfinderisch das Leben sauer zu machen wie dies unseren drei weiblichen Hauptpersonen im „Peststein“ ohne jenseitige Unterstützung gelingt.

Auch mit der Äußerung von Herzenswünschen sollte man vorsichtig sein: Sie könnten in Erfüllung gehen, ohne dass darüber Probleme und Sorgen verschwänden. Auch in unserem Fall wird deutlich, dass die eigentlichen Ursachen des Unglücks, über das die drei scheinbar braven Bürgerinnen Meadcombes klagen, wesentlich tiefer in der eigenen Vergangenheit wurzeln und buchstäblich hausgemacht sind. Folgerichtig bricht erst dann die Hölle auf, als sich das alltägliche Elend als Puffer auflöst: Dem reinen, unverschnittenen Grauen aus der eigenen Psyche sind die Frauen nicht gewachsen.

Der allmähliche Verfall wird von Gillian White meisterhaft geschildert. Geradezu genial muss man dabei den Einsatz des Peststeins nennen: Er ist einfach nur da, findet hin und wieder Erwähnung, greift nie aktiv in die Handlung ein, indem ihm etwa des Nachts finstere Dämonen als dienstbare Geister des Bösen entschlüpfen. Trotzdem legt sich sein Schatten über die gesamte Handlung, und der Leser vergisst ihn nie. Das ist auch gut so, denn das bemerkenswerte Finale stellt klar, dass der Peststein sehr wohl übernatürliche Kräfte besitzt. Jetzt erklären sich auch die Einschübe, in denen ein namenlos bleibender Gutachter die Geschichte des uralten Felsens aufrollt – er hat schon oft Unheil über die Bürger von Meadcombe gebracht, aber dabei stets jene Geduld an den Tag gelegt, die man einem Stein gern zubilligt. An der Schwelle zum 3. Jahrtausend sind seine Untaten wieder einmal in Vergessenheit geraten; das ist seine Chance, und er nutzt sie.

Dem Leser bleibt überlassen, ob er sich auf diese Auflösung der vertrackten Geschichte einlässt. Es stimmt schon, Marian, Melanie und Sonia brauchen den Peststein gar nicht, um sich ins Unglück zu stürzen. Der Plot würde auch ohne ihn funktionieren. Aber Gillian White hat sich nun einmal entschlossen, einen Psycho-Thriller mit phantastischen Elementen zu schreiben, und dabei leistet sie hervorragende Arbeit. Wenn es etwas wirklich zu kritisieren gilt, so ist es die inhaltliche Nähe zu ihren anderen Romanen. Hier sei besonders an „Veil of Darkness“ (1999, dt. [„Das Hotel bei den Klippen“, 876 Goldmann TB Nr. 44540) erinnert, der über weite Strecken wie ein literarisches Remake des „Peststeins“ anmutet, nur dass der Spuk dieses Mal außen vor bleibt. Menschen in der Krise zu schildern, die eine verlockende Abkürzung auf dem Weg aus dem Unglück entdecken, der sich als Highway in die Hölle entpuppt: Das ist offenbar Whites Passion oder Spezialität, die allerdings zu einer Masche zu gerinnen droht.

Gillian Whites Biografie weist gewisse Berührungspunkte zum Schicksal der jungen Melanie Tandy auf, die sich hier ebenso (un-)heimlich wie wirkungsvoll für erlittene oder eingebildete Schmähungen rächt. Zwar stand die Autorin nicht mit dem Teufel im Bunde, aber schon die beeindruckende Zahl der Schulen, die sie aufgrund fortwährender Verstöße gegen Regeln und Vorschriften verlassen musste, lässt deutlich werden, dass hier ein Freigeist im Kampf gegen das Establishment heranwuchs. Sobald es gesetzlich möglich war, machte sich White nach London auf, das damals ganz im Zeichen der „Swinging Sixties“ stand. Drei turbulente Jahre später heuerte sie bei einer Zeitung in Essex an und wurde (scheinbar) bürgerlich. Sie heiratete, setzte vier Kinder in die Welt und erwarb eine kleine Farm in Cornwall. Als die alte Schule ihres Heimatortes geschlossen wurde, rief White kurzerhand in ihrem Heim eine neue ins Leben. Das Projekt überlebte wider Erwarten bis auf den heutigen Tag. Quasi nebenbei begann Gillian White in den 80er Jahren zu schreiben. Mehr als ein Dutzend Romane hat die fleißige Autorin bisher verfasst, die in England Bestsellerstatus erreichten und von denen die BBC bisher vier verfilmt hat.

White, Gillian – Hotel bei den Klippen, Das

Drei junge Frauen haben genug von ihrem alten Leben – Kirsty von ihrem brutalen Ehemann, der ihr und ihren Kindern die Hölle auf Erden bereitet, Avril von ihrer tyrannischen Familie und Bernadette von ihrem Ex-Freund Dominic, der sie eiskalt abserviert hat. Sie ziehen – oder fliehen – für eine Saison nach Cornwall ins „Burleston“, ein einsames Hotel an der Meeresküste, um dort einen Neuanfang zu versuchen. Die drei Frauen schließen (scheinbar) Freundschaft, aber ansonsten ist der Alltag ernüchternd. Colonel Parker, der Hotelbesitzer, und Mrs. Stokes, seine Wirtschafterin, führen ein hartes Regiment, und die Arbeit ist hart und langweilig.

Eines Tages findet Kirsty in der Bibliothek ein altes Buch, das sich als wahres Zauberwerk erweist. „Magdalena“, geschrieben 1913 von einer Ellen Kirkwood, ist die (fiktive?) Biografie einer Frau in Bedrängnis, die ihr Leben entschlossen in die Hand nimmt, ihr Schicksal meistert und sich nicht scheut, dabei wenn nötig über Leichen zu gehen. Die drei Freundinnen berührt das Buch sehr. Darüber hinaus erkennen sie sein Bestseller-Potenzial. Nicht gerade mit besonderen Geistesgaben gesegnet beschließen sie, „Magdalena“, das offensichtlich nur als Privatdruck in kaum erwähnenswerter Auflagenhöhe erschienen ist, als ihr Werk auszugeben und zu veröffentlichen, um auf diese Weise ein wenig Geld aus ihrem Fund zu schlagen. Damit setzen sie eine verhängnisvolle Folge unvorhergesehener Ereignisse in Gang. Das Manuskript gerät in die Hände der egozentrischen und ehrgeizigen Lektorin Candice Love, die schon lange ein Buchprojekt sucht, das ihrer dahindümpelnden Karriere den ersehnten Schub verschaffen kann. Love will „Magdalena“ groß herausbringen – und zwar weltweit!

Das literarische Meisterwerk einer bisher völlig unbekannten Autorin schlägt ein wie eine Bombe – und stellt seine „Schöpferinnen“ vor gewaltige Probleme: Wie sollen sie, die ihre Autorenschaft nur spielen, vor der Presse und vor der Literaturkritik bestehen, wie die vom Verlag geforderten Änderungen und Korrekturen ausführen? Bernadette, die von ihren Freundinnen als „Strohfrau“ vorgeschickt wird, ist ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Sie hält die zunehmend ungeduldige und misstrauisch werdende Candice Love ungeschickt hin, verstrickt sich in Widersprüche und verliebt sich zudem noch in den charismatischen Leiter des Verlags, der indes in der jungen Frau nur eine Starautorin sieht, die zuvorkommend behandelt werden sollte.

Kirsty treiben andere Sorgen um. Der Ruhm käme ihr nicht zupass, muss sie doch fürchten, die unerwünschte Aufmerksamkeit ihres Noch-Gatten Trevor zu erregen. Dieser ist tatsächlich eifrig damit beschäftigt, Kirstys Spur zu verfolgen, und träumt bereits davon, ihr eine „Lektion“ zu erteilen, die sie mindestens ins Krankenhaus bringen dürfte. So hält sich Kirsty im Hintergrund und schrubbt weiter Toiletten im „Burleston“, während Avril und Bernadette es sich in der Prominentensuite gut ergehen lassen. Will man sie etwa ausbooten? Kirsty wird argwöhnisch, fühlt sich hingehalten, während das ersehnte große Geld auf sich warten lässt.

Avril entwickelt psychotische Züge. Sie hat sich auf eine Affäre mit dem windigen Edward Board, dem Golflehrer des „Burleston“ eingelassen, der die Gefühle der unerfahrenen Frau ausnutzt und auf sein Stück vom Kuchen hofft. Die verhassten Eltern suchen sie im „Burleston“ auf, um die Kontrolle über ihre Tochter zurückzugewinnen. Dank der stetigen Präsenz in der Presse lässt auch Avrils krimineller Bruder Graham nicht lange auf sich warten. Gerade aus dem Gefängnis entlassen, hat er bei einem missglückten Raubüberfall eine alte Frau umgebracht. Nun befindet er sich auf der Flucht und braucht Geld. Vor der großen Präsentation von „Magdalena“ ist dies nicht die Publicity, die verlagsseitig gewünscht ist. Schlimmer noch: Trevor ist kaum in Cornwall eingetroffen, da taucht Boards Leiche mit eingeschlagenem Schädel auf dem Hotelgelände auf. Die Polizei glaubt nicht an einen Zufall und nimmt Avril in die Zange, nachdem Trevor gefasst wurde und prompt seine Schwester als Alibi angegeben hat …

An dieser Stelle soll es genug sein mit der Inhaltsangabe. Wer aber glaubt, der Rezensent hätte bereits viel zu viel verraten, sei eines Besseren belehrt: Die oben geschilderten Ereignissen stellen höchstens so etwas wie eine Ouvertüre zu dem dar, was sich auf dem Weg zum großen Finale (plus einem unerwarteten Schlussgag) noch ereignen wird! Denn was nach einem Blick auf den Klappentext zunächst einen pseudo-unheimlichen, gefühlsduselig-schwülstigen „Frau in Gefahr“-Thriller à la Mary Higgins Clark befürchten lässt, entpuppt sich als zunehmend vertrackter Psycho-Grusler, der geschickt die Klaviatur menschlicher (Ur-)Ängste zu bedienen weiß und nach einem trügerisch hausbackenen Start in der zweiten Hälfte ständig an Tempo (und Gemeinheit) zulegt. Natürlich wird mit der Konstellation treuloser/prügelnder/gefühlloser etc. Mann (= „das Monster“) gegen schwache, aber entschlossene Frau/en das literarische Rad nicht gerade neu erfunden, doch verlässlich in Schwung gebracht und gehalten. Besonders im zweiten Teil schlägt die Handlung immer neue Haken. Die Ereignisse überschlagen sich, ohne dass die Logik darunter leidet. Stattdessen bewahrheit sich die alte (Binsen-)Weisheit, dass ein Geist schwer wieder eingefangen werden kann, ist er erst einmal seiner Flasche entwischt. Die Schlag/Gegenschlag-Dramaturgie von „Das Hotel bei den Klippen“ beschwört das Bild einer Reihe hintereinander aufgestellter Dominosteine herauf; kippt der erste, kommen auch alle übrigen unerbittlich zu Fall.

Die Charakterisierung der Protagonisten (von „Helden“ kann man hier wahrlich nicht sprechen!) ist hart, aber gerecht. Drei vom Leben betrogene Frauen haschen nach ihrem Zipfel der Wurst und versuchen es dabei mit einer Abkürzung. Das geht fürchterlich schief, wobei die Autorin erfreulicherweise nie ins Moralisieren gerät; im Gegenteil: Für Kirsty, Bernadette und Avril lässt sich schwer echte Sympathie entwickeln. Aber auch die (selbst-)gerechte Strafe bleibt aus; für das, was es anrichtet, kommt das Trio zwar gerupft, aber mit verhältnismäßig heiler Haut (besonders Kirsty dürfte dem zustimmen) davon.

Die deutsche Ausgabe von „Das Hotel bei den Klippen“ gibt zu keinen Klagen Anlass. Was sich der Verlag allerdings bei der Wahl des Titels gedacht hat, bleibt wieder einmal rätselhaft. Das „Burleston“ steht zwar einsam auf seiner Klippe, ist aber höchstens ein düsteres, keinesfalls aber ein unheimliches Haus. Der Roman „Magdalena“ ist ein ganz normales Buch, in dessen Seiten nicht der Teufel nistet, und die böse Ellen Kirkwood spukt ebenfalls nicht als Geist umher, wie der (absichtlich?) missverständliche Klappentext andeutet. Das ist schade, denn wer sich dadurch abgeschreckt fühlt, wird eines echten Lesevergnügens beraubt. Der „Schleier der Dunkelheit“, von dem der Originaltitel zutreffender spricht, bedeckt die endlosen Übeltaten der weiblichen wie männlichen Protagonisten dieses Romans, dem es gelingt, in Sachen absichtlicher wie beiläufiger Bosheit ganz neue Dimensionen zu erschließen!

Gardner, Lisa – Schattenmörder, Der

Bakersville im US-Staat Oregon ist ein kleiner, beschaulicher Ort. Die Menschen sind friedlich, was sich auch daran messen lässt, dass nur zwei Polizeibeamte – Sheriff „Shep“ O’Grady und Officer Lorraine „Rainie“ Conner – hauptamtlich das Gesetz vertreten. Deshalb schlägt es wie eine Bombe ein, als in der örtlichen Grundschule ein Schüler Amok läuft und eine Lehrerin sowie zwei Mädchen erschießt. Rainie kann den Täter stellen – schockiert erkennt sie Danny, den Sohn des Sheriffs!

Ein gefundenes Fressen für die Medien, was die Justiz nervös werden lässt. Rainie, welche die Ermittlungen in diesem Fall leitet, wird hart bedrängt. Vor allem der ehrgeizige Detective Sanders fällt ihr immer wieder in den Rücken. Da ist die Hilfe des an den Ort des Geschehens geeilten FBI-Spezialisten Pierce Quincy willkommen. Dieser hat sich einen Namen als Profiler gemacht, der sich in Massen- und Serienmörder „hineindenken“ und oft Schlüsse ziehen kann, die zu Festnahmen führen.

Die eigenbrötlerische Polizistin und der unverbindliche FBI-Agent raufen sich allmählich zusammen. Das nutzt der „Schattenmörder“ aus, dessen Wirken Rainie bereits vermutet hatte: Die Spuren weisen auf die Anwesenheit eines zweiten Mörders und eigentlichen Anstifters hin! Dieser ist wie viele Psychopathen ein Meister der Tarnung und der Manipulation. Der Anschlag auf die Schule war nur ein Aspekt seines Plans, denn im Visier hat der Mörder auch Rainie, die er aus Gründen, die nur seinem kranken Hirn schlüssig sind, leiden sehen möchte. Während Rainies Vorgesetzte und Kollegen dieser Theorie skeptisch gegenüber stehen und der Presse schier der Schaum vorm Mund steht, begeben sich Cop und Quincy auf die mühsame Suche nach dem Mann im Hintergrund. Dieser hat freilich den Vorteil auf seiner Seite und lauert nur auf den Moment, da ihm seine Häscher zu nahe kommen werden …

Die Inhaltsangabe macht es deutlich: Hier lesen wir keinen Thriller, der das Genre revolutioniert. Konfektionsware legt uns Lisa Gardner vor, die indes sehr sauber gearbeitet ist. Lassen wir uns nicht vom scheinbar „aktuellen“ und „brisanten“ Thema „Gewalt an US-amerikanischen Schulen“ täuschen. Obwohl die Autorin sich immer wieder in „Erklärungen“ versucht (dies sind die Passagen, die man überspringen bzw. nicht übel nehmen sollte), bleibt die Amok-Episode vor allem Aufhänger für die eigentliche Story. Die ist recht einfach, wird aber routiniert, wenn auch mit vielen Seifenoperelementen abgewickelt, die immerhin meist unaufdringlich bleiben.

Der geniale Psychopath, der übermächtig aus dem Hintergrund die Fäden zieht, an denen seine Opfer wie seine Jäger zappeln, ist ebenfalls eine (allzu) bekannte Figur. Wenn er so schlau ist, wieso wird er letztlich immer erwischt? Das Gute siegt im Mittelklasse-Thriller, auch wenn es dabei – so viel Konzession an die raue Realität ist möglich – ordentlich Federn lassen muss.

Hinein mischt sich viel angelesener Alltag aus dem Polizeimetier. Gardners Hommage an das klassische oder zeitlose „police procedural“ ist allerdings nie Selbstzweck, sondern der Handlung geschuldet. Abgerundet wird das Geschehen durch Raufereien mit dummen Politikern, geilen Mediengeiern, tückischen Vorgesetzten, Action an den richtigen Stellen & ein bisschen Herzeleid: Die Teile dieses Krimipuzzles sind wie gesagt wohl bekannt, aber seine Entstehung zu beobachten macht trotzdem Freude.

Schwer ist das Haupt, das die Krone trägt … Dieses alte Sprichwort lässt sich leicht auf die Helden des modernen (Polizei-)Krimis anwenden. Stets stehen sie unter Druck, sind überarbeitet, bekommen Ärger im Job, haben noch mehr Ärger daheim, wo die vernachlässigte Familie oder der Partner quengeln. Rainie Conner fügt sich exakt in dieses Muster (bzw. Klischee). Als Kind misshandelt, die Mutter eine Säuferin & Schlampe, deren verstümmelte Leiche die Tochter finden musste, als Polizistin = Frau im Visier der misstrauischen Bürger von Bakersville, als Privatfrau kontaktscheu und einsam.

Gleichzeitig ist Rainie selbstverständlich eine Zierde ihres Berufs, in dem sie sogleich Führerqualitäten an den Tag legt, als sie endlich einen großen Fall übernimmt. (Genauso selbstverständlich ist der Auftritt jener, die ihr den Erfolg neiden oder sie als Sündenbock bei möglichem Misserfolg verheizen wollen.) Es wird sogar noch besser (wenn auch nicht für Rainie): Der Vater des mutmaßlichen Amokläufers ist ihr Freund und unmittelbarer Vorgesetzter! Auch dieser Sheriff O’Grady hat seine Päckchen zu tragen. Mit der Ehe steht es keineswegs zum Besten, er erscheint verdächtig früh am Tatort und könnte Beweismaterial gegen seinen Sohn beseitigt haben.

Dann ist da Profiler Quincy, der den genialen FBI-Spezialisten gibt. Kühl ist er und beherrscht, aber auch ihn hat des Schicksals Blitzstrahl getroffen: Das Töchterlein liegt auf dem Sterbebett, die Gattin ist eine Ex-, das Privatleben liegt auch sonst danieder, so dass Quincy sich mit der manischen Energie von Sherlock Holmes & Gil Grissom in und auf seine Fälle stürzt. Die Qualitäten der spröden, aber tüchtigen und hübschen und deshalb begehrenswerten Rainie bleiben dem klugen Mann trotzdem nicht lange verborgen, so dass die Handlung nun doch mit einer Portion Schmalz (glücklicherweise nur Magerstufe) geschmiert wird.

Der „Schattenmörder“ tückt wie jeder anständige Psychopathenstrolch mächtig bedrohlich im Hintergrund umher. Identität und vor allem Motiv bleiben so lange wie möglich unerwähnt, was gut ist, da die Auflösung wieder einmal dem Aufwand nicht gerecht wird. So lange man jedoch nicht weiß, wer er ist und was er will, funktioniert der „Schattenmörder“ als Bösewicht zufrieden stellend.

Lisa Gardner (geb. 1971) ist trotz ihrer jungen Jahre als Schriftstellerin eine Veteranin. Freilich ist wenig bekannt, dass sie ihre Karriere nicht 1998 und im Thrillergenre startete, sondern bereits sechs Jahre früher – als Alicia Scott, die tagsüber einem „richtigen“ Bürojob nachging und sich nach Feierabend insgesamt 13 Liebesschnulzen aus dem Hirn wrang.

Nach eigener Auskunft hatte sie schließlich genug von dieser Fron (was leicht nachvollziehbar ist) und versuchte sich mit einem Thriller. „The Perfect Husband“ markiert gleichzeitig das Debüt von Pierce Quincy, der damals nicht als Serienheld geplant war und für den ersten Roman der Quincy/Conner-Reihe („The Third Victim“) vorsichtig „serientauglich“ gemacht werden musste, d. h. um der zwischenmenschlichen Verwicklungen willen eine Ehegattin und Familie erhielt.

Der Erfolg übertraf Gardners Erwartungen. Sie schwenkte endgültig auf die neue Linie ein und schreibt seitdem ausschließlich rasante Thriller, die zwar nur bekannte und bewährte Plots und Figuren aufgreifen, dies aber gekonnt und unterhaltsam. Mit Ehemann und Kind lebt die Autorin in New Hamphire und offenbar im Paradies auf Erden, wenn man ihren enthusiastischen Äußerungen auf der Website http://www.lisagardner.com Glauben schenken mag; diese fällt freilich zwar durch professionelle Gestaltung, noch mehr aber durch Geschwätzigkeit auf: Gardner erzählt viel, aber wenig Substanzielles.

Die Pierce-Quincy/Lorraine-Conner-Serie erscheint im |Blanvalet|-Verlag:

1. The Perfect Husband (1998; noch kein dt. Titel)
2. Der Schattenmörder (2001; „The Third Victim“)
3. Der nächste Mord (2001; „The Next Accident“) – TB Nr. 35631

Reginald Hill – Die rätselhaften Worte

Das geschieht:

Mid-Yorkshire in der gleichnamigen englischen Grafschaft zum Schau- und Spielplatz des bizarren und in Serie mordenden „Wordman“. So nennen die Journalisten mit der für ihre Spezies typischen Begeisterung jenen offenbar geistesgestörten aber wohl organisierten Unhold, der damit beginnt, die örtliche Prominenz nach einem seltsamen Schema auszurotten. Zunächst bringt niemand den ersten „Dialog“ mit dem ungeklärten Tod eines Handwerkers in Verbindung, der offenbar einem Unfall zum Opfer gefallen ist. Der Text liegt in einem prall gefüllten Postsack, der in der Mid-Yorkshire-Stadtbibliothek eintrifft. Dort hat man die einheimischen Freizeit- und Nachwuchs-Literaten aufgefordert, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Gesucht wird die beste Kurzgeschichte, und das hat den Wordman auf den Plan gerufen.

Erst Mord Nr. 2 ruft Detektiv Superintendent Andrew Dalziel, Chief Inspector Peter Pascoe und Sergeant Edgar Wield vom Mid-Yorkshire Criminal Investigation Departments auf den Plan: Jax Ripley, Nachrichtenredakteurin eines regionalen Senders, wird zur Hauptperson seines zweiten „Dialoges“, was für die ehrgeizige Frau das Todesurteil bedeutet. Reginald Hill – Die rätselhaften Worte weiterlesen

Arnaldur Indriðason – Todeshauch [Erlendur 4]

Am Rand von Reykvavík, der Hauptstadt von Island, wird eine vor vielen Jahren verscharrte Leiche entdeckt. Die Aufklärung dieses Falls gestaltet sich für die Männer und Frauen um Kommissar Erlendur schwierig, doch Stück für Stück kommt eine alte Familientragödie zum Vorschein, die es schwerfallen lässt, Tätern von Opfern zu unterscheiden … – Ausgezeichneter Thriller, der dem in Deutschland beliebten, aber inzwischen arg strapazierten „Skandinavien-Krimi“ neuen Glanz verleiht. Indriðason gelingt das Kunststück, eine an sich bedrückende Geschichte spannend und sogar mit trockenem Witz zu erzählen: die beste Begründung dafür, wieso der Verfasser längst kein Geheimtipp mehr ist. Arnaldur Indriðason – Todeshauch [Erlendur 4] weiterlesen

Kastner, Jörg – Engelsfluch

Auch nach der Aufregung um das vom Geheimorden |Totus Tuus| verübte Attentat auf den neu inthronisierten Papst Custos hält dieser an seinem radikalen Kurs fest: Der Heilige Vater räumt mit verstaubten Traditionen auf und versucht, die katholische Kirche trotz anhaltender Widerstände aus konservativen Kreisen auf einen neuen, modernen Kurs zu bringen. Allerdings hat niemand damit gerechnet, dass die seinen revolutionären Bestrebungen entgegenschlagende Ablehnung in einem extrem radikalen Akt kulminieren würde – ein Teil des Klerus sagt sich von Rom los und gründet die „Heilige Kirche des wahren Glaubens“, welche über ein eigenes geistliches Oberhaupt (einen Gegenpapst) verfügt. Ein neuzeitliches Schisma spaltet also die katholische Gemeinschaft. Unsicherheit darüber, wer die richtige Lehre vertritt, greift unter den Gläubigen um sich.

Die innerkirchlichen Turbulenzen werden noch durch grausame Priestermorde angeheizt, die Rätsel aufgeben. Der ehemalige Schweizergardist Alexander Rosin und Commissario Donati, die beide Custos schon früher zur Seite standen, werden mit den Ermittlungen beauftragt. Rosin arbeitet inzwischen als Journalist und bildet zusammen mit der Reporterin Elena nicht nur im Privatleben ein Paar. Alexander, Elena und Donati versuchen Licht ins Dunkel der Gewalttaten zu bringen. Eine Spur, ein am Tatort aufgefundenes Silberkreuz, lässt vermuten, dass erneut – wie bereits beim Attentat – Mitglieder der Schweizergarde beteiligt sind. Ist Totus Tuus gar nicht zerschlagen? Ist die Garde wieder von dieser Organisation unterwandert? Hat der Geheimorden mit den Morden ein neues Zeichen gesetzt und steckt er vielleicht sogar hinter dem Schisma?

Als Elena in Borgo San Petro, dem Geburtsort des Gegenpapstes, recherchiert, trifft sie auf den Deutschen Enrico Schreiber, der dort nach seinem ihm unbekannten Vater sucht. Kurz nach ihrer Ankunft geschieht auch hier ein blutiges Verbrechen und die beiden werden in einen Strudel seltsamer Ereignisse hineingezogen. Übernatürliche Heilkräfte, ominöse Prophezeiungen sowie uralte etruskische Hinterlassenschaften spielen dabei eine Rolle. Und dann sind da noch Enricos ständig wiederkehrende Albträume, in denen ihn eine Zwittergestalt aus Dämon und Engel quält. Schließlich stellt sich heraus, dass ein Geheimnis von geradezu monströsen Dimensionen hinter all dem steht und dass die Tage der Welt, wie wir sie kennen, gezählt sein könnten …

Wie der kurzen Inhaltsangabe zu entnehmen ist, greift das kleine Wörtchen „Thriller“ auf dem Buchcover zu kurz, um diesen Roman korrekt zu charakterisieren. Die Bezeichnung „Phantastischer Thriller“ trifft den Sachverhalt schon besser. Für Krimi- & Thrillerleser, die es gerne halbwegs bodenständig und realistisch haben, ist dieses Buch daher weniger empfehlenswert. Eine weitere Einschränkung ergibt sich daraus, dass der „Engelsfluch“ die Fortsetzung von „Engelspapst“ ist. Deshalb empfiehlt es sich, zuerst letzteres Werk zu lesen. Prinzipiell ist zwar der besprochene Roman auch ohne Kenntnis des (in sich abgeschlossenen) Vorgängerbandes problemlos zu verstehen, weil dessen Inhalt zusammengefasst präsentiert wird. Falls man allerdings nur das aktuell besprochene Buch zu lesen beabsichtigt und dann vielleicht Lust auf den ersten Teil bekommt, birgt dieser keinerlei Überraschungen mehr in sich.

Die Leserschaft von „Engelspapst“ wird rasch erkennen, dass Jörg Kastner sein bewährtes Rezept beibehalten hat: Es gibt als Aufhänger ungeklärte, spektakuläre Mordfälle im Umfeld des Vatikans, eine kräftige Prise alter Rätsel mit übersinnlichem Inhalt, Intrigen und Täuschungsmanöver, eine zweite Erzählebene mit alten Aufzeichnungen, eine problematische Vater-Sohn-Beziehung etc. Es kommt also das gleiche Strickmuster zum Einsatz, nur will leider diesmal der berühmte Funke nicht so recht überspringen, vielleicht gerade weil die einzelnen Bestandteile und das Prinzip ihrer Verknüpfung bereits vertraut sind. So kann jeder, der ein bisschen aufmerksamer liest und sich seine eigenen Gedanken macht, viele Enthüllungen vorhersehen. Aus diesem Grund – und weil echte dramaturgische Höhepunkte über weite Strecken rar gesät sind -, kommt erst im letzten Viertel so richtig Spannung auf. Ein Grund für dieses Dahintreiben der Handlung könnte im Fehlen von eindrucksvollen Gegenspielern der Helden liegen. Die böse Macht im Hintergrund ist unfassbar und anonym, lange verleiht ihr niemand ein Gesicht, wodurch sie seltsam leblos und uninteressant bleibt (als der Oberschurke dann endlich in dieser Rolle die Bühne betritt, mangelt es ihm auch noch eklatant an Charisma). Außerdem wird leider die Schisma-Thematik überhaupt nicht vertieft und bleibt somit ein reiner Plakativ-Effekt.

Trotz der aufgezählten Schwachpunkte ist „Engelsfluch“ mit seinen fast fünfhundert Seiten ein angenehm zu lesender Schmöker, der einen zwar über weite Strecken nicht vor Spannung an den Fingernägeln knabbern lässt, aber dennoch diesseits der Grenze zur Langeweile bleibt. Wer sich ohnehin nur für einige Stunden in eine Welt der phantastischen Abenteuer entführen lassen will, ohne dabei alles kritisch zu hinterfragen, kann diesem Buch mit Sicherheit mehr abgewinnen als der Rezensent.

_Martin Weber_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Ellery Queen – Drachenzähne

Das geschieht:

Den Juli des Jahres 1939 wird Kriminalschriftsteller und Privatdetektiv Ellery Queen sicherlich nicht vergessen. Da ist der geplatzte Blinddarm, der ihn ins Krankenhaus und fast auf den Friedhof bringt. Mit der Verfolgung von Übeltätern ist erst einmal Schluss. Das ist ärgerlich, denn just hat sich Ellery eines ausgesprochen interessanten Falls angenommen. Der schwerreiche, arg verschrobene Cadmus Cole wurde auf einer seiner ausgedehnten Schiffsreisen angeblich vom Schlag getroffen. Kurz zuvor hatte er Queen engagiert, um sein sehr seltsames Testament vollstrecken zu lassen, und ließ dabei durchblicken, dass man ihm womöglich nach dem Leben trachte, wollte Queen aber keine Details verraten. Ellery Queen – Drachenzähne weiterlesen

Daschkowa, Polina – Für Nikita

Von den derzeit so erfolgreichen russischen Krimiautoren schreibt Polina Daschkowa wohl am überzeugendsten und spannendsten über das „real existierende“ Verbrechen im postsowjetischen Russland. Mit ihrem neuesten Roman „Für Nikita“ beweist sie zudem, wie sehr man sich in Menschen täuschen kann und wie schnell man von ihnen getäuscht wird. Der ganze Roman besteht schließlich aus mehr oder minder geschickt geplanten und ausgeführten Täuschungsmanövern, in deren Mittelpunkt der berühmte Kriminalautor Viktor Godunow alias Nikita Rakitin steht.

Dessen ehemaliger Freund, der zukünftige Gouverneur eines sibirischen Bezirks, Grigori Russow, beauftragt ihn mit der Abfassung seiner Biographie. Doch die beiden verbindet nicht nur eine Freund-, sondern auch eine Nebenbuhlerschaft. Russows Frau Nika war nämlich Nikitas erste und einzige große Liebe, die lange Zeit auf Gegenseitigkeit beruhte. Eine belastete Vergangenheit also, unter der jeder der beiden noch immer leidet. Russow, weil seine Ehefrau den Schriftsteller nie ganz vergessen konnte, und Nikita, weil er Nikas Verlust durch sein egomanisches Verhalten verschuldet hatte und dies noch immer bereut.

Das bis aufs Äußerste gespannte Verhältnis reißt in dem Moment, als Nikita bei seinen Recherchen nicht nur auf die Ruhmestaten, sondern auch auf die Schandtaten seines Auftraggebers stößt. Der sibirische Gouverneur ist skrupellos genug, um Nikita dafür „von finsteren Gesichtern“ töten zu lassen. Nikita soll bei einem inszenierten Wohnungsbrand ums Leben kommen und sein Geheimnis mit ins Grab nehmen. So identifiziert schließlich eine sehr gute Freundin die total verbrannte Leiche Nikitas an einer Halskette. Nun erst treten aus den unterschiedlichsten Winkeln und Gründen die eigentlichen Totengräber aus dem Schatten der Vergangenheit. Doch dieses Mal sind es die Totengräber des Provinzpolitikers, der sich einen ehemaligen Schulkameraden, die organisierte Kriminalität und am Schluss sogar seine Frau zum Feind macht. Und der Schleier über seine menschenverachtenden Geschäfte beginnt sich dank Daschkowas genialer Dramaturgie nur langsam zu lüften.

Fast keiner ihrer Figuren, egal ob Täter oder Opfer, gewinnt sie nur positive oder nur negative Seiten ab. Und genau das macht ihre Figuren so lebensnah und glaubwürdig in ihrem Handeln und Denken, das auf gesellschaftlich desaströsen Verhältnissen beruht. Diese sozialen und psychologischen Mechanismen weiß Polina Daschkowa ebenso eindringlich zu schildern wie Einzelheiten über den Einfluss krimineller Sektenführer auf die Politik und den perfekt ausgeführten Auftragsmord.

Wollen wir hoffen, dass Frau Daschkowa als Journalistin und Kriminalschriftstellerin nicht ähnlich realen Verbrechen auf der Spur ist wie ihr alter ego Viktor Godunow alias Nikita Rakitin. Denn wie eng erzählerische Phantasie und brutale Wirklichkeit miteinander zusammenhängen, hat sie uns mit diesem Roman abermals eindrücklich gezeigt.

|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Allan Folsom – Des Teufels Kardinal

Ein größenwahnsinniger Kardinal will einen katholischen Gottesstaat errichten. Er setzt Terror und Mord ein, doch es gibt eine undichte Stelle: Ein idealistischer Geistlicher weiß von der Intrige. Er taucht unter und ruft seinen fernen Bruder zur Hilfe. Gemeinsam flüchtet man vor den Schergen des Kirchenfürsten und sammelt Beweise, um dessen Komplott auffliegen zu lassen … – Um jeglichen Realitätsbezug bereinigtes, im Dan-Brown-Kielwasser mitschwimmendes mit Mord und Todschlag nie geizendes Thriller-Garn hart an der Grenze zum Trash. Allan Folsom – Des Teufels Kardinal weiterlesen