Archiv der Kategorie: Zeitgeschichte & Gesellschaft

Cohen, Rich – Murder Inc. oder Nicht ganz koschere Geschäfte in Brooklyn

Dies ist erneut eine dieser Geschichten, die so abenteuerlich klingen, dass sie nur erfunden sein können. Doch es ist die reine Wahrheit: In den 1930er Jahren existierte in New York ein lockerer Verbund mehr oder weniger begabter, aber entschlossener Killer, die im Auftrag der großen Unterweltbosse unerwünschte Konkurrenten, Spitzel und Verräter aus dem Weg räumten. „Murder Inc.“ nannte man sich selbst mit gewissem Stolz, und selbstverständlich wurde dieser Name von der Presse dankbar aufgegriffen. In den etwa zehn Jahren ihres Bestehens war „Murder Inc.“ verantwortlich für den Tod mehrerer Dutzend Personen; die genaue Anzahl der Opfer konnte nie festgestellt werden – aus leicht nachvollziehbaren Gründen wurde kein Buch geführt …

Die Geschichte von „Murder Inc.“ wurde in der Vergangenheit schon mehrfach erzählt. Zu bizarr ist der Gedanke an eine organisierte Mördertruppe, einer Firma quasi, deren Mitglieder nach Dienstplan töteten, als dass sich nicht zahllose Legenden darum ranken würden. Auch Rick Cohen ist weniger an den nackten Fakten interessiert. Ihn fasziniert die Tatsache, dass in der „Murder Inc.“ fast ausschließlich Juden zusammenfanden.

Die Existenz einer jüdischen Mörderbande stellt ein unerwartetes Problem dar. Spätestens nach den Gräueln des „Dritten Reiches“ sieht die (schuldbewusste) Welt die Juden mehrheitlich in einer Opferrolle. „Böse Juden“ gibt es daher nicht, hat es nie gegeben, darf es nicht geben! Besonders in den USA, wo die Anhänger des „politisch Korrekten“ gern regelrechte Feldzüge gegen jene führen, die in ihren Augen ethnische, religiöse oder andere Minderheiten unterdrücken oder mindestens beleidigen, ist es nicht ungefährlich, sich diesem kollektiven Zwang entziehen zu wollen.

Nun ist Rich Cohen selbst Jude und damit über solche Kritik erhaben – sollte man meinen, aber wie er schlüssig darlegt, ist dem keineswegs so! Fakt ist, dass selbst den amerikanischen Juden die Existenz von „Murder Inc.“ großes Unbehagen bereitet. In den USA war die Mehrheit der Juden der Meinung, dass sie, die wegen ihres Glaubens in Europa verfolgt und in Amerika diskriminiert wurden, sich das Wohlwollen ihrer nichtjüdischen Nachbarn am besten durch Gesetzestreue und einen unauffälligen Lebensstil bewahren könnten. Doch „Murder Inc.“ ist der unwiderlegbare Beweis dafür, dass es Juden gab, für die Ruhe eben nicht die erste Bürgerpflicht war. Die vielleicht einzigen Juden, die wirklich emanzipiert waren im Amerika vor dem Zweiten Weltkrieg, waren ausgerechnet Berufsmörder – Juden, die sich nichts gefallen ließen.

So lässt sich leicht nachvollziehen, wieso Rich Cohen das Thema fasziniert hat. Er befragte während der Recherchen für dieses Buch zahlreiche jüdische Zeitgenossen der „Murder Inc.“ und machte dabei immer wieder die Erfahrung, dass diese das Wissen um die Existenz eines organisierten jüdischen Verbrechens schlichtweg abstritten. Dieses Leugnen objektiv historischer Fakten interessierte Cohen mindestens so sehr wie die eigentliche Geschichte der „Murder Inc.“, und zwischen diesen beiden Polen entwickelte er sein gleichnamiges Buch.

„Murder Inc.“ ist auf mehreren Ebenen provokant. Cohen entreißt nicht nur eine für viele Juden peinliche Episode ihrer Geschichte der Vergangenheit – er macht auch keinen Hehl aus seiner persönlichen Bewunderung für Männer wie Louis Lepke, Abe Reles, Pep Strauss oder Buggsy Goldstein. „Murder Inc.“ ist keine historische Darstellung; die Geschichte ist für Rich Cohen in erster Linie eine Kulisse, in der er die Requisiten nach seinen Vorstellungen, die mit der Realität nicht zwingend übereinstimmen müssen, auf- und umstellt. Immer wieder füllt Cohen blinde Flecken in der Chronologie der „Murder Inc.“ mit fiktivem Material auf, das sich spannend liest, ohne den Anspruch auf Wahrhaftigkeit erheben zu können. Manchmal ist es schwierig, Wahrheit und Legende voneinander zu trennen, obgleich die Eckdaten natürlich stimmen.

„Murder Inc.“ ist schließlich eine weitere Etappe auf Rich Cohens Weg, sich seiner großen und nicht unkomplizierten Familie schreibend zu nähern. Seit Jahren schon beschäftigt er sich immer wieder mit dem Cohen-Clan, besonders aber mit seinem Vater Herbie, einem wahrlich farbigen Charakter, der es in New York auch ohne Mitwirkung seines Sohn zu Wohlstand und Prominenz gebracht hat. Herbie und seine Eltern lebten in Brooklyn und in einer Zeit, in der dort die großen Gangster das Sagen hatten, und obwohl sie sich der Unterwelt fern hielten, hat sie das nach Cohens Ansicht nachhaltig geprägt. In einem ausführlichen und sehr persönlichen Epilog, der in seinem Buch dem eigentlichen Ende der „Murder Inc.“ folgt, geht der Autor dem nach.

So beschreibt der Originaltitel „Harte Juden, Väter, Söhne und Gangsterträume“ Cohens eigentümliche Mischung aus Wahrem, Erfundenem und Reflektiertem wesentlich treffender als der dümmliche deutsche Untertitel „Nicht ganz koschere Geschäfte in Brooklyn“. Auch hierzulande scheint es heute nicht opportun (oder verkaufsförderlich) zu sein, die Worte „Jude“ oder „jüdisch“ im Titel eines Werkes erscheinen zu lassen, das kein Sachbuch ist und wissenschaftlichen Anspruch erheben kann. Das ist schade, denn „Murder Inc.“ wurde ansonsten hervorragend übersetzt; der Autor bestätigt es selbst und dankt Bernhard Robben im Nachwort für seine „wunderbare“ Arbeit.

Ergänzt wird der Text durch eine Reihe gut ausgesuchter Bilder, die ihrerseits noch einmal bestätigen, was Cohen im Laufe seiner Nachforschungen klar geworden ist: Zwischen den Gangstern der „Murder Inc.“, seinem Großvater, Vater und dessen zahlreichen Freunden gibt es im Grunde keine echten Unterschiede. Ein kleiner Anstoß hätte womöglich genügt, einen der männlichen Cohens in die Reihen der jüdischen Banden zu bringen – und auf den schmutzigen Boden eines Frisörsalons oder einer düsteren Bar, wo viele endeten, die sich auf diese einträgliche, aber in der Regel kurze Laufbahn begaben.

Hanif Kureishi – My Beautiful Laundrette (Mein wunderbarer Waschsalon)

Wir würden weiße Wäsche waschen …

Hanif Kureishis Script des Films „My Beautiful Laundrette“ (dt. „Mein wunderbarer Waschsalon“) modernisierte in den Achtzigerjahren das englische Kino, indem es beispielsweise soziale Randgruppen in den Mittelpunkt der Handlung und Szenen ohne fließende Übergänge nebeneinander stellt, oder indem es aufzeigt, dass sich die englische und pakistanische Identität neu definieren müssen.

Der Plot

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Knopp, Guido – Hitlers Manager

Professor Guido Knopp, seines Zeichens der Haus-Historiker des ZDF, ist durch seine zahlreichen Fernsehdokumentationen zur deutschen NS-Zeit ein feststehender Begriff in der TV-Landschaft geworden. Zu nahezu allen Dokus sind auch aber auch jeweils Printausgaben als Begleitbücher erschienen, und das ist mittlerweile eine erkleckliche Menge. Mit Filmen wie „Der Untergang“ und nicht zuletzt wegen des kürzlich stattgefundenen 60. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs hat der NS-Themenkomplex spürbar wieder Konjunktur in der Öffentlichkeit und den Medien.

Der Fokus liegt bei diesem Buch nicht – nimmt man Speer mal aus – auf den prominenten, immer schon im Rampenlicht stehenden und bekannten Galleonsfiguren, wie etwa Himmler, Goebbels oder Göring, sondern zielt eher in Richtung der zweiten Garnitur, eine subtile Ebene darunter. Nichtsdestoweniger handelt es sich um ebenso wichtige Gestalten und Gestalter hinter den Kulissen des „Dritten Reichs“. Verblendete Mitläufer oder gar willige Werkzeuge? Dieser Frage geht Knopp im vorliegenden Buch nach.

_Albert Speer – Der Architekt_

„Wenn Hitler einen Freund gehabt hätte, dann wäre ich es gewesen“. So lautet eins seiner berühmten Zitate. Sein Architekt Speer sollte sie bauen, seine Vision einer neuen Welt. Der Workaholic ergreift die Chance, die ihm Hitler bietet, seine Träume von monumentalen und gigantomanischen Bauten auszuleben, als sehr junger Mann. Der eifrige Günstling ist die eigentliche unangefochtene Nummer Zwei im Staat und kann bis zum Ende des Regimes – neben seiner Haupttätigkeit als Architekt – auf ein sehr umfangreiches Aufgabengebiet zurückblicken. Er war Rüstungsminister und später – ab 1942 – auch für das Ressort „Bewaffnung und Munition“ verantwortlich. An dieser Position ist er federführend für die Arbeitseinteilung von KZ- Häftlingen und Zwangsarbeitern aktiv, um den kriegszehrenden Moloch kräftig weiter zu füttern. Dass Deutschland den Krieg nicht gewinnen konnte, dürfte dem als intelligent bekannten Speer jederzeit bewusst gewesen sein.

Als er 1946 von den Allierten zu 20 Jahren Haft verdonnert wird, ist er grade mal 41 Jahre alt. Er bekennt sich in Nürnberg für schuldig und kommt vergleichsweise billig weg. 1966 wird er wieder auf freien Fuß gesetzt und hat in der Zwischenzeit seine Memoiren geschrieben, worin er zwar von einer „Gesamtschuld“ spricht, seine persönliche Rolle jedoch Zeit seines Lebens relativiert und herunterspielt. Die Mär vom „guten“ Nazi setzt sich fest. Eine Litanei, die Knopp im Gegensatz zur Mehrzahl Speers weiterer Biographen nicht nachbetet. Sein berechtigter Vorwurf: Als zentrale Figur in der Schaltstelle der Macht, und eingedenk der Tatsache, dass Speer alles andere als auf den Kopf gefallen war, wusste er stets genau, was er tat – und nahm alles billigend in Kauf, was seiner und seines „Führers“ Sache nützte. Sein freimütiges Geständnis entsprang wohl vielmehr Kalkül und/oder einem verzerrten Selbstbild. Wirkliche Reue oder gar Verantwortung hat Speer auch später nie gezeigt

_Alfred Jodl – Der Militär_

Hitlers Stabschef war ein Offizier der alten Schule, der noch im kaiserlichen Heer groß geworden ist – eine mögliche Erklärung dafür, warum General Jodl vielleicht aus falsch verstandenem, soldatischem Ehrgefühl heraus dem Diktator die Treue hielt. Auch wenn dieser seine Stabschefs – auch Jodl – immer wieder lautstark entließ, sobald sie seine verschrobenen Taktikeinschätzungen nicht teilten oder sogar wagten, dem „GröFaZ“ zu widersprechen. Nach den Hire-and-Fire-Prinzip wurden die Befehlshaber dann wieder generös reaktiviert, wenn es dem Choleriker erneut in den Kram passte. Jodl, der Mitläufer, machte dieses Spielchen bis zum Showdown im Führerbunker nicht gänzlich kritiklos mit. Doch Befehl ist nun mal Befehl. Sein krampfhaftes Ignorieren der Realität und Festhalten an Hitler hat ihm schlussendlich den Tod gebracht. Er wurde in den Nürnberger Prozessen verurteilt und hingerichtet.

_Wernher von Braun – Der Raketenmann_

Der Koryphäe im Bereich der Strahltriebwerkstechnik wird auch immer ein Saubermann-Image attestiert. Immerhin adelte ihn die USA mit der Einbürgerung, was ja für sich genommen schon einem generellen Persilschein gleichkommt. Zum Dank dafür brachte Professor Braun die Amis auf den Mond und gerne schmückte sich auch Nachkriegsdeutschland mit den Lorbeeren, dass es ein Deutscher war, der den Wettlauf mit den Russen entschied. Braun behauptete immer, höchst unpolitisch gewesen zu sein und nur seine Arbeit gemacht zu haben. Es trifft zu, dass Braun weder ein NS-Parteibuch besaß noch sich von Himmler vor den nationalsozialistischen Karren spannen und als Ehrenmitglied in die SS integrieren lassen wollte (weswegen er vom derart Düppierten sogar zeitweise inhaftiert wurde). Das spricht für ihn und wird gerne als weiterer Beweis herangezogen, dass Braun nichts mit den Nazis zu tun haben wollte. Doch ganz so rein ist seine Weste nicht.

Man darf nicht vergessen, dass der geniale Tüftler für tausendfachen Tod allein durch seine in Peenemünde entwickelten V1- und V2-Raketen verantwortlich ist. Dies ließe sich vielleicht noch mit der obligatorischen „Es war Krieg“-Phrase halbwegs glaubhaft entschuldigen. Übersehen werden dafür die unwürdigen Umstände, unter denen die Raketenanlage errichtet, ausgebaut und betrieben wurde. Hier kamen auch verstärkt Zwangsarbeiter und Häftlinge zum Einsatz, deren kalkulierter Tod durch Arbeit und grausige Hygienezustände niemanden zu stören schien. Alles geschah mit Brauns Wissen und seiner Billigung, wie Knopps Quellen belegen. Braun hat die Zustände demnach nicht nur gekannt, nach Methode Zweck-heiligt-die-Mittel hat er seine Animositäten mit Himmler zurückgestellt und sogar explizite Unterstützung bei diesem angefordert. Und der war der Herr über die Konzentrationslager, sprich: die Quelle für Brauns Arbeitskräfte. Ein Pakt mit dem Teufel.

_Ferdinand Porsche – Der Ingenieur_

So wie Wernher von Braun der Vater des Raketentriebwerks ist, so ist Porsche der Vater des Volkswagen-Konzerns. Die Vision des Autonarren aus Österreich, nämlich nach dem Vorbild von Ford hochqualitative und für die „Volksgenossen“ erschwingliche Autos in Massen herzustellen, war Triebfeder für den Autobahnbau. Doch in dem in Wolfsburg aus dem Boden gestampften Industriekomplex lief der berühmt gewordene „Käfer“ erst nach Kriegsende in nennenswerten Stückzahlen vom Band. Vorher wurden die Produktionsstätten – natürlich, muss man fast sagen – für non-zivile Gimmicks missbraucht. Porsche entwickelte so einige kriegerische Gerätschaften, darunter den berüchtigten „Tiger“-Panzer, aber auch eine ganze Latte Fehlkonstruktionen. Dem Tüftler waren keine Grenzen gesetzt, Hitler unterstützte seinen Landsmann nach Kräften. Unnötig zu erwähnen, dass auch hier verstärkt Zwangsarbeiter aus KZ und Kriegsgefangenschaft tüchtig verheizt wurden, sowohl beim Ausbau des Werkes als auch beim Flugzeugmotorenbau und der Munitionsherstellung.

_Alfried Krupp zu Bohlen und Halbach – Der Industrielle_

Der Millionen schwere Erbe und Gründer des Thyssen-Konzerns leitete die Waffenschmiede des Nazi-Reiches, mitten im deutschen Kernland – dem Ruhrgebiet. Kohle und vor allem Stahl waren sein Geschäft. Bei ihm gewinnt man den Eindruck, als lebte er die ganze Zeit in seiner eigenen schönen Feudalwelt, fernab von den Sorgen und Nöten der damaligen „Normalos“. Er wurde aber spätestens bei Kriegsende in die Realität zurückgeholt, als ihn die GIs straight away vor seiner noblen Essener „Villa Hügel“ verhafteten, um ihn in Nürnberg vors Tribunal zu schleifen. Da fiel er geradezu aus allen Wolken, denn als praktizierenden Nazi hat er sich nicht gesehen. War er auch nicht, wenngleich er aus Profitgründen der NSDAP angehörte und als Förderer der SS auftrat.

Hitlers Avancen, sich mit dem Adligen zu schmücken, wich er jedoch meist geschickt aus und beschränkte Kontakte auf das Nötigste. Dennoch hielt ihn das nicht ab, lukrative Geschäfte mit dem Regime zu machen, denn ohne seinen Stahl und die Produkte, wie Kanonenrohre oder Panzerplatten sowie diverse Maschinenteile, wäre die deutsche Kriegsmaschinerie letztlich nicht sehr erfolgreich gewesen. Seine Maxime, dass Politik vor dem Werkstor ende, erwies sich als sehr blauäugig – spätestens als auch er auf die billigen menschlichen Ressourcen aus KZs und Kriegsgefangenenlagern angewiesen war, um die geforderte Produktion aufrecht erhalten zu können. Krupp kam mit einer geringen Haftstrafe noch verhältnismäßig glimpflich davon.

_Hjalmar Schacht – Der Banker_

Schacht ist der Einzige aus dieser Riege, der den Absprung irgendwie doch schaffte, wenn auch nicht aus ideologischen Gründen. Dabei haben die Finanzkünste des heute wenig bekannten Finanzministers mit dem auffälligen Vornamen (seine Familie stammt aus Skandinavien) den Aufstieg des „Dritten Reiches“ erst möglich gemacht. Hätte er nicht so gekonnt mit den so genannten MEFO-Wechseln jongliert, wäre die Kriegskasse schon weit vor dessen Ausbruch nicht mehr so prall gefüllt gewesen. Der Freimaurer Schacht hat mit allerlei Buchungstricks die schwarzen Konten prächtig gefüllt und das Wiedererstarken des Militärs finanziell auf stabile Beine gestellt – ohne dass die Alliierten davon Wind bekamen, denn eigentlich war es Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg durch horrende Reparationszahlungen theoretisch unmöglich, genug Mittel für solche Eskapaden aufzubringen, selbst wenn man es gewollt hätte.

So hatten es sich die Siegermächte damals jedenfalls gedacht. Ein Irrtum, dank Schachts Finanzgenie. So kam es, dass sich Hitlerdeutschland klammheimlich wieder aufrüsten konnte und sich schließlich über das verhängte Verbot, schwere Waffensysteme zu besitzen, eigenmächtig hinwegsetzte. Als Schacht dann später realisierte, dass Hitler überhaupt nicht vorhatte, die faulen Wechsel rückzuführen, zog er die Konsequenz und trat zurück. Da sich das Regime jedoch keinen so hochrangigen Mitwisser erlauben konnte, landete Schacht unvermittelt dort, wo man unliebsame Zeitgenossen für gewöhnlich entsorgte: im KZ. Dieser Umstand wusch ihn später zwar nicht vollständig rein, erleichterte ihm allerdings die Phase der Entnazifizierung ungemein. Als ehemaliger KZ-Häftling konnte er glaubhaft machen, dass er mit den Machenschaften in dieser Form nichts zu tun haben wollte.

_Zwischenbilanz_

Eher unauffällige Männer, die aber aufgrund ihrer teils willigen Mitarbeit das braune Regime erst möglich machten. Sie sind Hitlers mächtige Manager aus der zweiten Reihe, vielfach ohne aktive nationalsozialistische Vita, zum Teil sogar gänzlich ohne Parteibuch. Und doch waren sie höchst wichtige Rädchen im Getriebe. Sechs ganz unterschiedliche Charaktere mit ebenso unterschiedlichen Hintergründen, Motivationen und Visionen. Mancher glaubte sich nach eigenem Bekunden in den Nürnberger Prozessen (und auch danach) unwissend und unschuldig an den Verbrechen, die im Dritten Reich verübt wurden. Mitgefangen – mitgehangen.

Doch so ahnungslos waren sie alle nicht, spätestens als zum Ausgleich für die schwindenden Arbeitskräfte KZ-Häftlinge unter erbärmlichen Verhältnissen für den „Endsieg“ vor ihren Augen durch Arbeit systematisch vernichtet wurden, hätten die Industriellen wach werden müssen. Für Jodl gilt im übertragenen Sinne das Gleiche, als das militärische Fiasko und Hitlers Wahnsinn immer deutlicher zu Tage traten. Zum Teil regte sich auch halbherziger Widerstand, doch schien es den meisten von ihnen opportun, weiter mitzuschwimmen – der eine mehr, der andere weniger. Das untere Ende der Sechs markiert Hjalmar Schacht, der die Notbremse zog. Das obere Ende der Skala besiedelt Albert Speer als Hitlers bestes Pferd im Stall. Auch wenn dieser seine Rolle zeitlebens gern verharmloste und herunterspielte.

_Das Buch_

Gegliedert ist das knapp 416 Seiten starke Werk aus dem Hause |Bertelsmann| in sechs Kapitel, entsprechend den Hauptakteuren, auf die hier eingegangen wird. Auflockerung erfährt der Leser durch Bilder und eine Vielzahl gesondert ausgeklinkter Originalzitate aus unterschiedlichen Quellen, entweder von den Protagonisten selbst oder ihnen nahe stehenden Personen über sie. Das stört den Lesefluss zuweilen, da es bei dem kompakten Layout des Textes schwer fällt, abzusetzen, die Aufmerksamkeit auf ein Zitat zu richten, das eventuell nicht mal unbedingt etwas mit dem soeben Gelesenen zu tun hat, und hernach wieder den Faden aufzunehmen. Interessant sind die Statements aber, ZU interessant, um sie gegebenenfalls einfach zu ignorieren.

Für den Stoff muss man schon ein wirkliches Interesse mitbringen, und selbst dann handelt es sich großteils um recht trockene Materie. Zum Glück ist das Werk in recht lockerer und verständlicher Sprache – ja beinahe Plauderton – geschrieben und doziert nicht auch noch. Das wäre auch zu viel des Guten gewesen, wo das Thema an sich bereits ziemlich zäh ist. Knopp bereitet die Lebensläufe der Protagonisten auf und versucht zu ergründen, ab welchem Zeitpunkt jeder von ihnen den |point of no return| erreichte und warum die Zivilcourage dann doch nicht ausreichte gegenzusteuern. Natürlich erscheint es von der heutigen Warte aus einfach, ein Urteil zu fällen, doch so leicht macht Knopp es sich nicht. Zu groß ist die Gefahr, in eine gewisse Apologetik abzurutschen oder – dem Gegenteil – sie allesamt in Bausch und Bogen zu verdammen.

Die Mischung aus sachlicher Kritik und Fürsprache ist Knopp gelungen, dabei handelt es sich bei den Kapiteln allenfalls um Streiflichter und nicht um vollständige Biographien, die jeden Aspekt der entsprechenden Charaktere aufs i-Tüpfelchen auszuleuchten vermögen. Das ist auch gar nicht nötig, um eine nüchterne Analyse anzustellen, was genau die Beweggründe jedes Einzelnen gewesen sein könnten. Selbstverständlich eignen sich die Angesprochenen nicht gerade als Sympathieträgern und dennoch haben sie (wie jeder Mensch) nicht nur schlechte Seiten gehabt. Trotzdem verwundert es, diese Menschlichkeit auch tatsächlich so zu lesen zu bekommen – eben differenziert und nicht pauschalisiert. Der Grundton ist verständlicherweise kritisch gefärbt, wenn auch nach menschlichem Ermessen einiges klarer wird über die unterschiedlichen Motivationen, die Hitlers Manager umtrieben haben mögen.

_Fazit_

Lesenswert und weit entfernt vom um Aufmerksamkeit heischenden Boulevard- und Sensationsjournalismus, der dieser Tage ja gern mit allerlei „neuen“ Enthüllungen und ebenso „neuen Farbbildern“ um die Gunst der Leser bzw. Zuschauer buhlt, kommt Guido Knopps Analyse der Männer aus der zweiten Reihe angenehm sachlich daher, so wie wir es aus dem ZDF bereits kennen. Ohne viel Firlefanz, dafür aber für manchen sicherlich noch zu trocken. Kein Buch für Gelegenheitsleser und nur schwach am Thema Interessierte, so viel ist sicher, denn mit einem recht satten Preis von 24,90 Euro überlegt man es sich in diesem Personenkreis sicherlich zweimal, ob sich die Investition tatsächlich lohnt; da sind die TV-Reportagen wesentlich verdaulicher und kosten lediglich die GEZ-Gebühren, die man ohnehin (gezwungenermaßen) entrichten muss.

Corinne Maier – Die Entdeckung der Faulheit

Mit dem Aufdruck „Dolce Vita am Arbeitsplatz: das Kultbuch über die Kunst des Nichtstuns im Büro“ macht das Buch auf seinem Rücken Werbung für sich selbst. Wer träumt nicht davon? Tagsüber nicht arbeiten und einen faulen Lenz schieben, aber am Monatsende doch bezahlt werden, das wäre schön. Wie die Autorin Corinne Maier es selbst hält, bleibt dem Leser leider vorenthalten, nur eines ist klar, ihr Arbeitgeber, der große französische Energiekonzern EDF (Electricité de France) war nicht erfreut über die Veröffentlichung der polemischen Bücher seiner Mitarbeiterin.

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Hartmann, Christian / Hürter, Johannes – letzten 100 Tage des Zweiten Weltkriegs, Die

„Die letzten 100 Tage …“ bietet „Geschichte light“, d. h. als Mischung historischer Fakten und persönlicher Zeitzeugenberichte – leicht verständlich, mit „menschlichem Gesicht“, reich bebildert. Die Darstellung hakt nicht die üblichen „wichtigen“ Ereignisse ab, sondern schildert die letzten Kriegsmonate unter Berücksichtigung aller Beteiligten, Täter wie Opfer, Mitläufer wie Regimegegner, Befreier wie Befreite: ein sinnvoller Einstieg in eine komplexe Materie.

Chronologisch nähert sich die Darstellung ausgehend vom 30. Januar dem Kriegsende am 8. Mai 1945. In fünf Großkapitel gliedert sich der Text (Januar 1945, Februar usw.), von denen die Kapitel „Januar“ und „Mai“ naturgemäß recht kurz ausfallen. Jedes Großkapitel wird durch einen Text eingeleitet, der kurz das Gesamtgeschehen im jeweiligen Monat erläutert und Zusammenhänge herstellt. Jedem Einzeltag sind anschließend zwei Buchseiten gewidmet; dieses Schema wird streng durchgehalten.

Die Einzeltag-Einträge bilden in ihrer Gesamtheit keinen einheitlichen Überblick, denn die Spannbreite der angesprochenen Themen soll möglichst groß sein; sie schließt deshalb das militärische und politische Geschehen ein, berücksichtigt aber stets auch Kunst, Kultur oder Sport. Dem „großen“ Ereignis wird ebenso viel Raum gewidmet wie dem Alltäglichen und dem Einzelschicksal. Zu Wort kommt weniger zeitgenössische Prominenz, sondern der „kleine Mann“ bzw. die „normale Frau“ im Getriebe der Kriegsmaschinerie: der Flakhelfer, die Hausfrau, der KZ-Häftling, die Flüchtlingsfrau, der Kriegsgefangene u. a. Im individuellen Erleben spiegelt sich so der „Endkampf“ wider: primär als Kampf um das nackte Leben, als undurchschaubares Tohuwabohu auch aus alliierter Sicht, als Katastrophe auf allen Ebenen, die selbst den Beteiligten unbegreifbar erschien.

Unterhalb des Textblocks läuft über jede Doppelseite ein „Nachrichtenticker“: Weitere wichtige Ereignisse des Tages, die keine Berücksichtigung im Haupttext finden konnten oder sollten, werden hier im Telegrammstil aufgelistet. Selbst Hitlers Ende im „Führerbunker“ findet nur hier Erwähnung – es bildet nur einen der unzähligen Mosaiksteine, aus denen sich der Leser ein Bild von den letzten 100 Tagen des Zweiten Weltkriegs zusammensetzen muss.

Illustriert wird dieses Buch mit über 160 oft großformatigen Bilddokumenten und Karten, gedruckt auf qualitätsvolles Kunstdruckpapier und deshalb von bemerkenswerter Eindringlichkeit.

Zum 60. Mal jährt sich das Finale des II. Weltkriegs. Eigentlich endete dieser ja zweimal: am 8. Mai in Europa, am 2. September in Asien. Hartmanns & Hürters 100 letzte Tage beschränken sich indes auf den europäischen Schauplatz, was angesichts der Fülle des Materials sowie der Beschränkung auf einen historischen Überblick akzeptabel ist.

Denn „Die letzten 100 Tage …“ ist ein Sachbuch im klassischen Sinn: geschrieben nicht für Spezialisten, sondern für den Laien, der sich für die Geschichte interessiert, aber nicht durch allzu offensichtliches Fachlatein abgeschreckt werden möchte. Schon die historisch sinnfreie Begrenzung auf ausgerechnet 100 letzte Tage ist ein Zugeständnis an die Leserschaft. In diesem Sinne vermitteln die Autoren Wissen auf denkbar moderne Weise: Sie bieten „historische Häppchen“ an, die auch den intellektuell stets fluchtbereiten Mitgliedern der multimedialen MTV/Pisa-Generationen X, Y und Z munden dürften.

Wobei dies keineswegs ein Kniefall vor einer traurigen Realität, sondern eine geschickte Anpassung an das moderne Leseverhalten ist. Wenn der „Lehrer“ gut vorarbeitet, ist es durchaus möglich, sich ein Thema quasi selbst zu erarbeiten, aus Facetten ein Gesamtbild zu verschaffen. Was sogar von Vorteil ist, da es „das“ Bild vom Zweiten Weltkrieg wahrscheinlich gar nicht gibt.

Hartmann & Hürter legen in kurzen Einstiegskapiteln Zusammenhänge offen. Dann gehen sie in Details. Bei näherer Betrachtung lassen sie freilich die Zeitzeugen nicht einfach nur sprechen. Ihre Äußerungen werden von den Autoren ausgewählt, in ein übergeordnetes Gerüst gebettet, kommentiert, interpretiert, wenn nötig korrigiert, da solche Zeugnisse aus der Vergangenheit trotz (oder wegen) ihrer Unmittelbarkeit nicht zwingend der Wahrheit entsprechen müssen.

Die ein- und überleitenden Texte sind mit großer Sorgfalt verfasst. Gerade in der Beschäftigung mit dem „Dritten Reich“ wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Historikerkollegen, die Medien und selbst berufene Tugendwächter läuten gern die Pestglocke – dies vor allem, wenn sie Relativierungen des NS-Unrechts wittern. Auch wenn hier immer wieder über das Ziel hinausgeschossen wird, so fördert die Gewissheit, von scharfen Kritikeraugen beobachtet zu werden, auf der anderen Seite die Sorgfalt von Autoren, die sich der thematischen Herausforderung stellen. Hartmann & Hürter wagen es und gewinnen. Auch in der erforderlichen Verkürzung achten sie auf historische Präzision.

Ausgewogenheit ist ein weiteres Merkmal ihres Werks. Zu Wort kommen sie alle: die „guten Deutschen“, die „bösen Nazis“, die Mitläufer; die Übergänge sind da fließender als den meisten Zeitzeugen selbst oder den Nachgeborenen klar ist. Die Opfer des Naziterrors werden nicht verklärt, sondern behandelt, wie sie es verdient haben: als ganz normale Menschen, die wegen einer kriminellen Wahnidee buchstäblich aus ihrem Leben gerissen wurden. Die schwer oder gar nicht begreifbare Selbstverständlichkeit und Alltäglichkeit, mit der dies anscheinend möglich war, wirkt viel erschreckender als jedes pathetische Zwangsgedenken, bei denen mit der Gnade der späten Geburt gesegnete Politiker betroffene Minen aufsetzen, Kränze austeilen & „Nie wieder!“-Reden schwingen.

Die letzten 100 Kriegstage werden selbstverständlich auch aus der Sicht der alliierten sowie der sowjetrussischen Zeitzeugen kommentiert. Hier schlägt das noch heute nachwirkende Unverständnis darüber durch, wieso die Deutschen, die selbst am besten wissen mussten, dass für sie der Krieg verloren war, den Kampf bis zum bitteren Ende nicht aufgaben. US-Amerikaner, Briten, Franzosen, Russen – sie alle kamen nicht nur in ein feindliches, sondern in ein zutiefst fremdes Land. So geht es uns Lesern von Heute ebenfalls, zumal der Verdrängungsprozess in Deutschland – die Autoren gehen auch darauf ein – bereits in diesen 100 letzten Tagen mächtig einsetzte.

Schon angesprochen: die Qualität der Bilder, die zudem gut ausgewählt, d. h. nicht tausendfach gesehen wurden und den Text illustrieren, ergänzen, kommentieren. Ein Bild sagt in der Tat oft mehr als tausend Worte. Absurdität und Agonie des „Drittes Reichs“ werden selten so offensichtlich wie in jenem Bild, das Adolf Hitler im Februar 1945 weiterhin in Großmachtsträumen schwelgend tief versunken beim Anblick eines bizarren Metropolis-Modells der geplanten „Führerstadt“ Linz zeigt („Tag 34“). Der Krieg ist längst mehr als verloren, aber er läuft wie geschmiert weiter – man beginnt zumindest zu ahnen wieso.

Christian Hartmann und Johannes Hürter arbeiten als Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München. Dort forschen sie seit Jahren über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Die Ergebnisse geben sie einerseits als Dozenten an der Universität der Bundeswehr München weiter, während sie andererseits für eine Fülle von Publikationen zum Thema verantwortlich zeichnen. Hartmann wirkte außerdem als wissenschaftlicher Berater bei dem Aufsehen erregenden Filmwerk „Der Untergang“ mit.

Andreas von Bülow – Die CIA und der 11. September

Der 11. September 2001 – so ganz werden wir wohl nie fassen können, was an diesem Tag geschah. Fast zeitgleich werden vier Passagierflugzeuge entführt. Zwei stürzen in die Türme des World Trade Centers in New York, eines rast in das Pentagon in Washington und ein weiteres bohrt sich in der Nähe von Shanksville, Pennsylvania, in den Boden.

Doch dem Schock folgten Fragen, den Fragen folgten erste Zweifel: Wie kann es sein, dass ein Land, das über einen so gut ausgebauten geheimdienstlichen Apparat verfügt, nichts von den Vorbereitungen eines so groß angelegten Terroraktes mitbekommt? Und wie kann man dann aus dieser Ahnungslosigkeit heraus innerhalb von nur drei Tagen schon alle 19 Täter ermittelt haben? Wieso funktionierte die perfekt trainierte Luftabwehr der Amerikaner nicht einmal ansatzweise?

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Annette Rehrl – Die Diamantenkinder

Sierra Leone, das Land mit dem niedrigsten Entwicklungsstand in der gesamten Welt, eine Nation, die nur noch von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft am Leben gehalten wird. Korrupte Politiker, massive Armut und die Folgen eines grausamen Bürgerkrieges bestimmen den Alltag in diesem westafrikanischen Staat, und auch wenn die dort lebenden Menschen alles dafür täten, um dem Land zum Aufschwung zu verhelfen, so sehen die realistischen Aussichten auf eine bessere Zukunften nicht gerade rosig aus. Zu sehr haftet die Vergangenheit noch an den Bürgern von Sierra Leone, zu sehr sind sie noch von den Greueltaten ihrer eigenen Landsmänner betroffen, und so gerät selbst das alltägliche Zusammenleben zu einem schwer zu überbrückenden Hindernis.

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Trimondi, Victor / Trimondi, Victoria – Hitler – Buddha – Krishna. Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute

Ein weiteres Buch zur rechten Szene und ihrer Verflechtung mit dem Spirituell-Religiösen. Ernst genommen zu werden scheint es nach den Berichten aus jenen Lagern, die eine Einschätzung erlauben, erstaunlicherweise eher nicht. Nach dem Tag des Erscheinens brachte die BILD-Zeitung eine halbseitige „War Hitler Buddhist?“-Schlagzeile mit Fotos und dementierte das auch gleich mit einer Befragung des Hitler-Biografen Joachim C. Fest. Die linke Tageszeitung „Taz“, von der man hätte eher annehmen können, dass sie auf das Buch eingehen würde, hatte nur wenige abfällige Sätze dafür übrig und ordnete die Neuerscheinung als „Gurke des Tages“ ein. Damit machen es sich beide Lager allerdings zu leicht.

Die Trimondis, ein Pseudonym für den ehemaligen linken |Trikont|-Verleger Herbert Röttgen und seine Frau Marianna Röttgen, gehören nicht zu den niveaulosen Enthüllungsautoren, von denen man die Plattitüden und schlechten Recherchen sonst so kennt. Dies zeigten sie bereits in ihrem ersten ebenso umstrittenen Buch „Der Schatten des Dalai Lama“ über ähnliche Verstrickungen und „wahre“ Absichten des tibetischen Buddhismus. Natürlich wäre es ein Leichtes, dieses Werk abzutun, indem man oberflächlich auf einige Unwesentlichheiten eingeht; z. B. steht natürlich am Rande impliziert auch, dass alle Vegetarier, alle Bergsteiger potenziell für den Faschismus gefährdet seien und auch, dass wohl alle Nazis, die ihre Partei ernst nahmen, die Bhagavadgita in der Tasche ständig mit sich trugen. Das ist natürlich ziemlich platt.

Aber solche Plattheiten treten in den sonst mehrheitlich tiefgründigeren Recherchen in den Hintergrund. Was die beiden da an neuen Informationen bieten, hat es bisher in solcher Form noch nicht gegeben. Es ist hochinteressant, sich damit zu beschäftigen. Nach Ansicht der Autoren beruhte der Nationalsozialismus im Inneren auf einer neuen Religion, die nicht, wie immer noch behauptet wird (und was derjenige, der sich intensiver damit befasst, auch weiß), auf heidnischem Germanentum beruhte, aber auch nicht (was man eigentlich vermuten sollte) auf der christlichen Kultur und einer Kollaboration mit dem katholischen Vatikan, sondern er orientierte sich an den asiatischen Religionen und drückte dies auch in einer sehr intensiven Zusammenarbeit mit den dortigen spirituellen Kräften aus. Basis dabei ist der gemeinsame Ursprung der arischen Kultur im japanischen Zen, indischen Yoga-Disziplinen, dem japanischen Samurai, den Kriegerlehren der Bhagavadgita, der indischen Kastenlehre und ihren Göttern.

Ich halte das dennoch für überzogene Paranoia, zumindest was da alles so über die NS-Zeit vor 1945 aufgedeckt wird. Natürlich ist das überaus interessant zu lesen: über das Denken Heinrich Himmlers, die ganzen führenden Kräfte im SS-Ahnenerbe und ihr Umfeld und welche Kontakte sie zu den genannten asiatischen Traditionen pflegten. Aber es stellt sich – wie auch heute noch (man gerät ganz schnell ins diffamierende Fahrwasser) – doch die Frage, wie man sich überhaupt solchen Unterstellungen entziehen könnte. Jeder Mensch, der einigermaßen weltoffen und interessiert ist an den Dingen, die so geschehen, wird in seinem Leben immer alles Mögliche mal lesen, Kontakte haben, da man ja kommuniziert, und ein solches Leben dauert nun einmal recht lange und danach ist sehr viel rekonstruierbar, das dann auch glaubwürdig und beweisfähig genug erscheint. Um sich vor solcher Diffamierung zu schützen, müsste man wohl schon, autistisch entfernt von der Welt, sein Leben lang sprachlos einsam in einem Zimmer verbringen. Dies betrifft jetzt nur die Fakten, die da geboten werden, und ist nicht in dem Sinne angedacht, Faschisten im Nachhinein reinzuwaschen. Wobei auch diese einzelnen Strömungen natürlich sehr differenziert zu beurteilen wären, was aber – wenn es in anderer Weise geschieht als in der Zuordnung der Röttgens – auch heute noch in Deutschland ein Tabubruch wäre und einen Skandal darstellte, der unter Umständen sogar strafrechtliche Konsequenzen haben dürfte.

Was für die Zeit der „Neuen Rechten“ und ihren Allianzen für die Zeit nach 1945 bis heute dargestellt wird, hat natürlich anderen überprüfbaren Gehalt. Die „Stars“ – ich scheue mich nicht, das so zu nennen, weil es auch entsprechend rüberkommt, wenn halt auch eher als „Anti-Stars“ – sind da vor allem Savitri Devi (die Prophetin Hitlers), Miguel Serrano (Esoterischer Hitlerismus), Rudolf J. Mund, Wilhelm Landig und seit kurzem auch richtig legendär das „Multi-Talent“ Jan van Helsing. Über Shoko Asahara und den in Deutschland tätigen Dänen Ole Nydahl geht es dann direkt bis zum Dalai Lama und setzt an das vorherige Enthüllungsbuch der Röttgens nahtlos an.

Teilweise haben die Röttgens in ihrer Ansicht natürlich vollkommen Recht, was die richtig „fiesen“ Machenschaften angeht. Man kann sich schon streiten, ob Asahara nicht ein Opfer von Geheimdienstpolitik gewesen sein könnte, wie es Verschwörungstheoretiker verbreiten und vehement gegendiskutieren, dass van Helsing ein lieber, weltoffener, hochspiritueller Neuling in der Szene ist, der keinesfalls zum rechten Faschismus zu zählen wäre und auch, dass es dieses weltweit umspannte hochgefährliche Neonazi-Netzwerk der „Schwarzen Sonne“ überhaupt nicht gibt, sondern dass das nur eine merkwürdig gut laufende Merchandising-Kiste ist, mit deren tieferen Inhalten sich eine Auseinandersetzung durchaus lohnt. Man kann den Autoren in anderen Fällen auch vollkommen zustimmen, z. B. in der Beurteilung des militaristischen, ausländer- und frauenfeindlichen Ole Nydahls, der aufgrund seines persönlichen Charakters darüber hinaus aber sicherlich auch zu keiner übergeordneten Neonaziorganisation gehören dürfte. Das tut aber alles nichts wirklich zur Sache. Es geht um etwas anderes, denn politisch gesehen scheint das Buch, wie anfangs erwähnt, überraschenderweise nicht ernst genommen zu werden.

Worum es eigentlich geht, ist die tiefe Enttäuschung und Wut, die die Röttgens über ihren eigenen Werdegang verspüren. Mit diesem Werk sind sie endlich zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Zu linker revolutionärer Politik, gut gemeint und im Sinne des gesunden Menschenverstandes der Bevölkerung dieses Planeten. Das waren sie in den 68ern und sie hatten damals den führenden linken |Trikont|-Verlag, der Ende der 70er und in den 80er Jahren einen tiefen Wandel zur Esoterik vollzog und fortan als |Trikont-Dianus| Flagge zeigte. Dies war eigentlich auch ein nachvollziehbarer und notwendiger Schritt, der sich nicht wirklich von den ursprünglichen Idealen unterschied, aber spirituelle Ökologie, Naturverbundenheit und alte Traditionen in Deutschland aufleben ließ. Bücher über indianische Traditionen und deren Visionen machten den Schwerpunkt aus, der Bioregionalismus wurde etabliert, die Schamanen entdeckt, die „Wiederverzauberung der Welt“ propagiert und diese Aktivitäten machten es tatsächlich erst möglich, dass diese ganze Bewegung danach überhaupt erst in den größeren Verlagen kommerzialisiert werden konnte. Ein großes Verdienst der Röttgens. Sie veranstalteten Keltenkongresse und Begegnungen zwischen Tibets Dalai Lama und Hopi-Indianern.

Durch den Dalai Lama aber, für den sie einen Großteil des Managements erledigten, bevor dieser überhaupt irgendwann mal so bekannt war, dass er den Friedensnobelpreis erhielt und der tibetische Buddhismus so richtig „in“ wurde, wurden sie aber rigoros „entzaubert“. Und das ist die eigentlich Krux an der ganzen Geschichte. Was sie da zu sehen bekamen, ließ ihr Weltbild, in das sie so verliebt waren und an das sie so sehr glaubten, völlig zusammenbrechen. So etwas tut nicht gut, aber die Röttgens sind zu gut, als dass sie es dabei belassen würden. Mit ihnen muss man anders umgehen, denn sie verfügen über Kraft, Intellekt, Wissen und immer noch ungebrochene Visionen, die sich aus dieser persönlich erlebten Enttäuschung in Wut und leider auch in projektiv übersteigerte Paranoia umwandelte. Sie klären jetzt auf und glauben völlig an das, was sie entdeckt zu haben meinen. Das wird zu einer fanatischen Lebensaufgabe. Und Krieger genug sind sie selber, auch wenn sie das als faschistisch in anderen entdecken und sich sicherlich so im eigenen Spiegel längst nicht ansehen werden.

Das Spiel „Alle gegen alle“ ist eine traurige Erscheinung der gegenwärtigen Zeit. Der Ausweg daraus verlangt einfach eine Rückkehr zum Vertrauen, zur Kommunikation untereinander. Es gibt doch nicht wirklich die Bösewichte, aber wenn man sich in Lager positioniert, dann ist Reden miteinander weniger angesagt. Klar ist das verständlich, auf Enttäuschung folgen Traumata und nach der Traumatisierung gibt es kein Vertrauen mehr. Nur noch Misstrauen. Sicher gibt es Faschismus und menschenverachtende Kräfte und Interessen. Aber nicht auf solch breit angelegter Linie. Stattdessen Verwirrung, die sich verbreitet und Faschisten erschafft, auch dort, wo gar keine gewesen waren, hätte man nur miteinander geredet. Und dass das Ganze eigentlich auch für Röttgens eine Attraktion ist, dass sie an diese ganze Magie und Mystik glauben – nur jetzt eben wieder auf der anderen Seite stehen – zeigt sich z. B. daran, dass sie (wo sie doch das ganze Kalachakra als Kriegsszenario sehen und nicht als Friedensabsicht) am Ende des Buches feststellend darauf hinweisen, dass doch im World Trade Center und gleich daneben – zweimal also – ein Kalachakra-Yantra installiert gewesen sei und dieses dort auch zelebriert wurde. Dass das nicht schützte, sondern zerstörte, dient ihnen als Beweis ihres Glaubens, dass es nichts Friedensbringendes sei, sondern sich die dämonischen, zerstörerischen Resultate letztlich auch darin ausdrücken. So weit ist es gekommen.

Es kann alles durchaus sein, muss aber auch nicht. Das ganze Buch entspricht dieser Aussage, die der Dalai Lama auch gern auf Fragen antwortet, was sie neben vielem anderen so furchtbar an ihm nervt. Das Buch sollte man nicht abtun und verwerfen. Es ist hochinteressant und lesenswert und auch die Autoren sollte man nicht zu schnell in ein Lager stecken. Sie sind durchaus niveauvoll, glauben an ihre „Mission“ und sind noch nicht so verbohrt, dass man nicht mehr kommunizieren könnte. Und Kommunikation tut immer allen gut.

Scholl-Latour, Peter – Fluch des neuen Jahrtausends, Der

Und immer noch lässt uns alle die weltpolitische Lage nicht los. Während sich Michael Moore mit der transatlantischen Gemengelage auf humorige Weise beschäftigt, gehört Scholl-Latour zu der ernsthaften Literatur, die sich mit dem globalen Dilemma befasst, in welchem auch wir Europäer zwangsläufig mit drinstecken. Der mittlerweile zweite Irak-Krieg kam alles andere als unvorhergesehen und kann bei weitem noch nicht als beendet angesehen werden, trotz alle Beteuerungen aus Übersee und seines nunmehr für eine Amtszeit wiedergewählten Kriegs-Präsidenten Bush. Wenigstens ein Kenner der weltpolitischen Bühne hat schon lange darauf hingewiesen, dass es dazu kommen würde. Peter Scholl-Latour, seines Zeichens deutsches Journalismus-Urgestein und Globetrotter in Sachen Recherche, der Hardy Krüger der deutschen Presse sozusagen, hat es vorausgesehen und wurde nicht müde, das kundzutun.

In diesem vorliegenden Werk, welches Ende 2001 abgeschlossen wurde, zieht er bereits Bilanz über das noch recht junge Jahrtausend. Wiewohl eines, das aber bereits sehr kriegerisch beginnt. Die Brandherde sind mannigfaltig und scheinen nur auf den ersten Blick grundverschieden, doch einen sie mehrere Parallelen: Immer wieder sind die letzte Supermacht USA, der angebliche fundamentalistische Islam und natürlich auch die NATO und die UNO darin verwickelt. Selbst Deutschland steckt trotz der ehemals ach-so-pazifistischen Koalition aus Rot-Grün bis über beide Ohren im Schlamassel des vorgeblichen „Human Rights“-Wahns.

Dass dieses bigotte Streben nach wirtschaftlicher und politischer Macht nicht erst seit der Bush-Regentschaft gepflegt wird und dass so manche UN-Resolution aus ethnischer Sicht gefährlicher Nonsens ist, versucht Scholl-Latour mit „Fluch des neuen Jahrtausemds – Eine Bilanz“ zu verdeutlichen. Er begibt sich auf Spurensuche vom Balkan über den Kaukasus bis zum Hindukusch und der immer noch heißumkämpften Zone am persischen Golf. Überall dort befinden sich die vermeintlichen „Schurkenstaaten“, wobei die einen verdammt, die anderen hingegen beinahe hofiert werden vom großen Weltsheriff. Mit wechselnder Sympathie der USA mal für den einen, dann wieder für den anderen.

_Der Autor_
Peter Scholl-Latour stammt aus Bochum, wurde im Jahre 1924 geboren und kann heute somit auf ein 80-jähriges, äußerst erlebnisreiches Leben zurückblicken. Heute wird die Ikone der deutschen Presse gerne in diversen Talkshows und anderen Sendungen zu seiner Expertise über die derzeit herrschende Politik zwischen der westlichen und der islamischen Welt befragt. Vor allem |n-tv| wird in den letzten Wochen nicht müde, ihn zu diversen Sendeformaten einzuladen. Doch wer ist Peter Scholl-Latour eigentlich? Nun, nicht immer war er Publizist bzw. Reporter – neben seinem Studium an der Sorbonne in Paris, wo er in Politikwissenschaften promovierte, legte er noch einen nach und erwarb in Beirut das Diplom für Islam-Studien. Bevor seine journalistische Zeit 1950 anbrach, diente er in Indochina sogar für die französische Fremdenlegion. Bekannt wurde er jedoch in den Siebzigern, als er damals zusammen mit einer US-Marines-Einheit durch den Dschungel Vietnams krauchte, in der Funktion eines Kriegsberichterstatters (Heute würde man „embedded reporter“ sagen) für das ZDF.

Sein weiterer Werdegang ließ ihn Programmdirektor beim WDR und auch Herausgebers des „Stern“ werden. Sein Fachgebiet ist jedoch stets die Politik respektive der Orient/Islam geblieben, dessen Länder er auch heute noch regelmäßig bereist. Kein Wunder, dass seine fundierte Meinung zum tagesaktuellen Geschehen gerade im Irak-Krieg derzeit so hoch im Kurs steht. Kaum ein westlicher Berichterstatter ist in seinem Leben so weit herumgekommen oder hat eine solche Nähe auch zu den so genannten „Schurkenstaaten“ wie Scholl-Latour – der dort wegen seiner kritischen, aber ehrlichen Sichtweise ebenfalls hoch geschätzt wird und Interviews erhält, wo anderen Journalisten die Türen vielleicht verschlossen bleiben.

_Zum Inhalt_
Scholl-Latour stellt von 1997 bis 2001 beinahe monatlich, manchmal sogar täglich (je nachdem, ob seiner Meinung nach irgendetwas Berichtenswertes vorfiel) seine Gedanken und Reportagen zusammen und präsentiert sie uns Lesern in chronologischer Reihenfolge. Lediglich das Vorwort und das erste Kapitel tanzen aus dieser Zeitlinie, sie sind etwas wie ein Vorgriff auf die folgenden Beiträge, welche er jedoch allesamt seit ihrer Niederschrift unverändert gelassen hat. Zum Teil sind dies wirklich Berichte und Reportagen, die veröffentlicht wurden, andere wiederum basieren auf persönlichen Notizen, die er zu exakt dieser Zeit niederschrieb, als bestimmte Ereignisse ihm ins Auge sprangen. Diese Abschnitte „Kapitel“ zu nennen wäre übertrieben, meist beschränken sich die einzelnen Segmente (versehen mit Überschrift und Datum) auf zwei Seiten pro entsprechendem Datum, selten überschreiten sie sechs oder mehr Seiten.

Die Ausnahme bilden die Abschnitte über das Kosovo bzw. den Balkan-Konflikt, diese gehören grundsätzlich zu den längeren Passagen. Dem Balkan und seiner speziellen Problematik wird ohnedies sehr viel Raum gewidmet, offenbar liegt ihm dieser Krisenherd – den er gerne als „Eiterblase“ bezeichnet – im Kernland Europas sehr am Herzen. Stück für Stück ergibt sich aus vielen kleinen Mosaiksteinchen ein grausiges Gesamtbild unseres Planeten, in welchem es eigentlich nur noch um Machterhalt durch große Konzerne und ihren „Wildwest“-Kapitalismus geht, den fast alle Staaten mit Hurra-Geschrei als Globalisierung bejubeln. Jedenfalls solange man kräftig mitverdient und das Deckmäntelchen der „Human Rights“ gewahrt bleibt – da man bei Nordkorea auf Seiten der Amerikaner generös von Drohgebärden absieht (die haben schließlich Atomwaffen), wird stattdessen kräftig auf die kleinen „Schurkenstaaten“ eingeprügelt. Von Afrika und dem immer wieder entflammenden Kriegen und schweren Menschenrechtsverletzungen dort schweigt des Dichters Höflichkeit (und auch das Gros der Presse) geflissentlich.

Der Wettlauf in Übersee und Russland um die globalen Ressourcen wird anderswo unerbittlich ausgefochten, doch deutlich zeigt sich die Unfähigkeit Europas und der UNO, dem Moloch USA und seinem Hunger nach Allmacht entgegenzutreten. Der schwächelnde, aber unter Wladimir Putin – welchen er gern mit Zar Peter dem Großen vergleicht – wieder erstarkende russische Bär ist als „Evil Empire“, sprich: als Feindbild im Westen weggebrochen und daher müssen jetzt „fundamentalistische“ Islam-Staaten herhalten. Russland kann nicht mehr mithalten und holt sich derweil im Kaukasus eine blutige Nase, beim Geschacher um die Öl- und Gaspipelines, während die Clinton- und später die Bush-Administrationen intrigant und geschickt den Nahen und Mittleren Osten manipulieren, um sich die Ressourcen zu sichern.

Dabei wird die Türkei ebenso geködert wie zunächst der Irak gefördert, beide Staaten wären (und sind geopolitisch) ein exzellenter Brückenkopf und zudem ein Garant dafür, dass die angrenzenden arabischen Staaten es sich zweimal überlegen, das US-Protektorat Israel weiter zu bekämpfen, wenn „Big Brother“ direkt vor ihrer Haustüre campiert. Doch wenngleich man sich den Irak und somit auch den Iran gefügig machen will – auf der anderen Seite der Welt gibt es noch weitere Staaten mit Großmacht-Gelüsten: China, Nordkorea und die so genannten „Tigerstaaten“ in denen es auch brodelt und die endlich auch ein Stück vom Wohlstands-Kuchen haben wollen. China und Nordkorea haben zur Durchsetzung ihrer Ansprüche sogar Nuklear-Potenzial zur Verfügung. Wo wir grade bei Nuklear-Technik sind: Auch Indien, Pakistan und vermutlich der Iran sind im Besitz von Kernwaffen. Armut und religiös angestrichene Machthaber – ein extrem explosives Gemisch: Die Lunte brennt bereits …

_ Meinung_
Hilflos muss die Staatengemeinschaft, allen voran die Institutionen der UNO, immer häufiger zusehen, wie die US-Administration den Ton angibt und fast alle anderen blind – sei es aus wirtschaftlichen Überlegungen oder vor Konformismus – folgen bzw. zwangsläufig folgen müssen. Dies ist seit langen Politik in Washington, doch kaum jemand kann sich gegen diese Vormachtstellung der letzten großen Weltmacht behaupten, Europa schon gar nicht, wie wir in den zurückliegenden Monaten eindrucksvoll miterleben durften.

Schon die Begebenheiten rund um den geschilderten Kosovo-Konflikt ließen laut Scholl-Latour auf die heutige Entwicklung schließen und viele seiner Bedenken, die er damals bereits in sein Tagebuch schrieb, geben ihm heute Recht. Hierbei beweist er aber sein Gespür für ethnische Zusammenhänge, die selbst der UN und auch all den anderen staatlichen Regierungen entgehen oder geflissentlich ignoriert werden. Zu behaupten, dass die derzeitige Weltlage ein „Kampf der Kulturen“ oder gar ein verkappter Glaubenskrieg ist, trifft nur bedingt zu, im Hintergrund stehen – wie meistens – vorrangig wirtschaftliche Interessen.

Obwohl der (Unter-)Titel eindeutig von einer „Bilanz“ spricht, ist dieses Buch eher eine „Never Ending Story“ aneinander gereihter Streiflichter und Gedanken, die Peter Scholl-Latour in die richtige zeitliche Reihenfolge gebracht hat, sich aber beliebig mit aktuellen Geschehnissen fortführen lässt. Da das Buch Ende 2001 / Anfang 2002 herauskam, erscheinen heute viele der Prognosen (auch laut Covertext) „visionär“, dem möchte ich widersprechen, denn eine Vision als solche kommt aus heiterem Himmel und davon kann bei Scholl-Latour wirklich nicht die Rede sein. Vielmehr hat er über viele Jahre – ja, Jahrzehnte – hinweg die weltpolitische Lage und speziell die Lage in den islamischen Staaten unter Beobachtung gehabt und „nur“ die richtigen Schlüsse gezogen: Konsequent, schonungslos und überaus kritisch.

Das Buch dürfte für manchen schwer zu lesen sein, es strotzt vor Fremdworten und Phrasen, die – jedenfalls bei den Kiddies heute – kaum mehr in Gebrauch sind, darunter auch einige geflügelte Worte und Aphorismen in anderen Sprachen, welche manchmal nicht gesondert übersetzt sind. Das gilt im Besonderen für das Französische, welchem sich der Autor immer wieder gerne bedient und zuwendet. Diese leicht archaische Art des Sprachgebrauchs ist sicher nicht jedermanns Sache, passt aber zu seinem Stil und verdeutlicht seinen Standpunkt durch Wortspiele und -wahl.

Es wirkt nicht so, dass Scholl-Latour damit „von oben“ herab missionieren oder belehren will – es ist ganz einfach die Sprache seiner Generation. Als Kenner gerade der islamischen Welt, dem meist sogar bei Diktatoren die Türen für Interviews offen stehen, berichtet er quasi direkt von der „Front“ und das überaus kritisch und mit großer Sachkenntnis der tieferen Zusammenhänge – wenngleich nicht immer sehr distanziert, man merkt, dass ihm die besuchten Länder ans Herz gewachsen sind.

Was mich anbelangt, so kann ich mir förmlich vorstellen, wie Scholl-Latour mit seiner markanten, leicht nasalen Stimme diese Reportagen vorträgt, wie er es seinerzeit im ZDF beim „Länderspiegel“ immer tat und auch heute zum Teil noch in diversen Beiträgen auf verschiedenen Sendern tut. Dadurch, dass es sich streng genommen um Einzelbeiträge handelt, die nicht für ein Buchprojekt wie dieses angepasst wurden, wiederholen sich manche Sätze zwischendrin immer wieder mal fast wortwörtlich. Gerade diese Passagen fallen dem aufmerksamen Leser sehr ins Auge und beweisen rückblickend, dass eben jene Punkte und Einschätzungen, die ihm augenscheinlich so wichtig erschienen, von der Realität heute tatsächlich beinahe Wort für Wort eingeholt wurden.

_Fazit_
Es gibt leider nicht mehr viele Journalisten wie ihn, was teilweise an seinem Alter liegen mag; er hat während seiner langjährigen Karriere die ganze Welt bereist und kann dadurch auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen, der vielen der heutigen Reporter abgeht. Das Buch ist sicher kein leichter Lesestoff (nicht nur wegen der streckenweise archaischen Sprache) und richtet sich eindeutig an Leute, die sich auf der weltpolitischen Bühne, im Bereich der Allgemeinbildung und mit den handelnden Personen auskennen.

Bedauernswerterweise sind für Einsteiger in die Materie keinerlei Karten enthalten, so bleibt dem ambitionierten Nichtkenner der geopolitischen Lage nur der eventuelle Griff zum hoffentlich vorhandenen Atlas. Schade, ein wenig Kartenmaterial hätte dem lesenswerten Werk noch den allerletzten Schliff gegeben, wer allerdings ein wenig im Feuilleton der Presse heimisch ist, kommt auch ohne aus. Die Gliederung und die häppchenweise Präsentation machen es leicht, mal zwischendrin abzusetzen, man findet selbst dann problemlos wieder hinein. Am Stück gelesen, brauchen geübte Bücherwürmer etwa sechs bis sieben Stunden Lesezeit. Insgesamt betrachtet ein Exkurs internationaler Zusammenhänge und ethnisch-politischer Bildung, den man gelesen haben sollte, um die heute vorherrschende Lage auf der Weltbühne besser verstehen zu können.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Titel: „Der Fluch des neuen Jahrtausends – Eine Bilanz“
Erscheinungsjahr: 2002 (Bertelsmann)
Format: Hardcover m. Schutzumschlag / 320 Seiten
oder: Taschenbuch / 352 Seiten (Goldmann / Mai 2004)
ISBN: 3-570-00537-2 (HC)
ISBN: 3-442-15272-0 (TB)
Preis: ab 9,95 (TB), 22 Euro (HC)

Woodward, Bob – Bush at War

Wohl kaum etwas hat die Weltgemeinschaft im noch sehr jungen Jahrtausend so in helle Aufregung versetzt wie der Anschlag auf die „Twin Towers“ des |World Trade Center| am Nine-Eleven. Dies war der Auftakt zu einer Kampagne von Feld- oder sollte man besser sagen |Kreuz|zügen?, die uns Bewohner dieses durchgeknallten Planeten sicher noch viel länger beschäftigen wird, als uns allen lieb (und einigen bewusst) ist – ausgelöst durch die letzte verbliebene Supermacht und selbst ernannten Weltsheriffs, die nun endlich die Möglichkeit und Legitimation sahen, ganz mächtig – und entgegen dem geltenden Völkerrecht – loszuschlagen.

Da die „Beweise“ für einen muslimischen Terrorakt mittlerweile immer zweifelhafter erscheinen, brauchte man wohl ein wenig Propaganda, daher bedient sich die Machtzentrale wohl nun auch des berufenen Mundes Bob Woodwards (Pulitzer-Preisträger und zusammen mit seinem Kollegen Bernstein der journalistische Enthüller der Watergate-Affäre, die seinerzeit Richard Nixon zu Fall brachte). Woodward gilt als Number One unter den investigativen Vertretern der Journallie und auch sein deutscher Verlag (der ehrenwerte |SPIEGEL|-Buchverlag) spricht vom Namen her für ein kritisches Sachbuch über die ersten 100 Tage nach den Anschlägen – Wollen wir mal sehen, was davon zu halten ist …

_Worum geht’s? – Zum Inhalt_

Woodward ist seit jeher bei der angesehenen Tageszeitung „Washington Post“ beschäftigt und wird seit 1972 als |der| kritische Beobachter der amerikanischen Innenpolitik gefeiert (die oben erwähnte Watergate-Affäre). Ein richtiger Wadenbeißer möchte man meinen, vor dessen Feder die Mächtigen der USA zittern. Dennoch gelingt ihm der Coup, an die geheimen *hust* Protokolle des Sicherheitsrates zu gelangen, die Nine-Eleven und den anschließenden Afghanistan Feldzug beinhalten – beinahe freiwillig habe man sie (ausgerechnet ihm!) zugänglich gemacht und auch von Seiten der Behörden und sogar der Regierung (sic!) war man gern bereit, ihm für Interviews Rede und Antwort in dieser Sache zu stehen.

Der Junta-Chief himself kommt übrigens auch oft zu Wort und wird fleißig zitiert, komischerweise jedoch nicht seine bekannten markig-lächerlichen und sinnentleerten Sprüche, die uns auch aus seinen hochnotpeinlichen TV-Auftritten bestens bekannt sind, sondern allerhand extrem fragwürdiges pseudo-intelligentes Zeug, was er Woodward gegenüber in seinen Interviews zum Besten gegeben haben soll. Woodward rekapituliert diese hundert Tage, als wäre er förmlich bei den zum Teil hochgeheimen Treffen der US-Machtzentrale persönlich anwesend gewesen. Was er nachweislich ja nicht kann, ergo ist er auf das angewiesen, was ihm diejenigen, die dort teilnehmen durften/mussten, an Informationsbrocken vor die Nase setzen.

Die hauptsächlich handelnden Personen sind hierbei: Möchtegern-Präsi George Walker Bush, Sicherheitsbelaberin Condolezza Rice, Außenscherge Colin Powell, Pentagramm-Vorstand Donald Rumsfeld, Vize-Wäre-Gern-Präsi Richard „Dick“ Cheney, CIA-Chef-Terrorist Tenet und deren Vertreter. Ach ja. Ein paar vom Fußvolk des CIA dürfen in Afghanistan auch ein paar Warlords schmieren und sich an der Frontlinie irgendwie nützlich machen. Vor allem aber ein vor Pathos nur so triefendes Ende verursachen. God bless America! Oder so.

_Wer’s glaubt, wird selig – Meinung_

Was augenscheinlich wie der große journalistische Wurf anmutet, besteht schon im Vorwort keinen zweiten Blick, denn wie Woodward dort bereits andeutet, habe man zwar von offizieller Stelle sein Buchmanuskript durchgesehen und zum Teil auf „Irrtümer“ hingewiesen, es sei jedoch nicht zensiert worden. Da er von vorneherein so vehement auf diesen Umstand pocht, kommt mir automatisch der alte Sinnspruch in den Kopf, dass wer sich vorweg ungefragt, pauschal und ohne erkennbaren Anlass verteidigt, etwas im im Schilde führt. Es riecht also bereits auf den ersten Seiten bei der Lobhudelei auf die tolle, kooperative CIA verdächtig und ganz extrem nach Schwefel – Hier ist also buchstäblich schon irgendwas im Bush, dabei hat das Buch noch nicht mal richtig angefangen und mir sträuben sich bereits die Nackenhaare.

Auf den ersten 100 Seiten erfahren wir nun wer, wo, was, wann gesagt und getan haben soll, als das WTC attackiert wurde, hier hebt Woodward mindestens drei Mal hervor, dass der „gewählte“ Präsident dieses oder jenes zu einer bestimmten Zeit unternahm oder anordnete. Es ist nicht nötig extra zu erwähnen, dass ein Präsident gewählt wird, das ist in der Regel nun mal so (außer eben bei diesem), also wie soll man diese auffällige Hervorhebung dann interpretieren – Ironie seitens des Autors?

Ich könnte jetzt in nicht enden wollende Dauerlästerei verfallen und fast jede Seite mit Gegenargumenten und Quellen belegen, doch dann kann ich gleich selbst ein ganzes Buch schreiben – ich überlasse in diesem Fall mal der Presse das Wort und kommentiere anhand der drei auf dem Buchrücken abgedruckten Statements deutscher Pressestimmen:

|“Wer Woodward gelesen hat, wird glauben, bei Bush und den Seinen dabei gewesen zu sein.“ (DIE ZEIT)|

Kommentar: Na klar, |Glaube| trifft es ziemlich gut, Glaube ist der Mangel an Wissen und selbst heute glauben noch viele an die Unbefleckte Empfängnis und daran, dass Schokoriegel gesund sind. Lieber Kritiker von |DIE ZEIT|, es muss richtig heißen: „Wer Woodward gelesen hat, |soll| glauben, bei Bush und den Seinen dabei gewesen zu sein“ oder wie es der Sportsender DSF in seinem Werbeslogan so trefflich ausdrückt, ist es besser „mittendrin statt nur dabei“ zu sein. In diese Sitzungen hat man ihn (aus nachvollziehbaren Gründen) aber nicht vorgelassen und ihn stattdessen mit äußerst dubiosen Protokollen gefüttert, die meine Oma hätte ebenso verfassen können – und die arbeitet (zumindest meines Wissens nach) nicht für die CIA.

Der Autor versucht eine gewisse Nähe zwischen der Leserschaft und den Protagonisten zu schaffen, indem er den Handelnden Emotionen wie „sie oder er dachte“ oder „empfand dies und das“ zuordnet, nur fließt die Gedanken- und Gefühlswelt bekanntermaßen nicht dergestalt in Protokolle eines Sicherheitsrates ein und muss daher reine Spekulation bleiben. Nur selten verweist er auf von ihm oder anderen geführte Interviews, aus denen er die verwendeten Informationen bezieht (allerdings sind auch alle Zitate weitgehend ohne Quellenangabe, was den Autor nicht glaubwürdiger macht).

|“Um zu verstehen, wie die Bush-Administration ihre weltpolitische Bedeutung und ihre geopolitischen Möglichkeiten einschätzt, ist das Buch von fundamentaler Bedeutung.“ (SÜDDEUTSCHE ZEITUNG)|

Kommentar: Hat fundamental nicht etwas mit fundamentalistisch zu tun? Na egal, da in dem Werk keinerlei Hinweise zu den massiv bestehenden Verknüpfungen der einzelnen Kabinettsmitgliedern zu wichtigen Firmen in der Kriegs- und Ölmaschinerie (nicht zu vergessen die innige Connection zwischen der bin-Laden-Familie und dem Bush-Clan) hergestellt werden, ist dies allenfalls ein unvollständiges und lückenhaftes Bild – um zu verstehen, was wirklich an unglaublicher Perfidität hinter den Machtinteressen der amerikanischen Führungs-Elite steckt, muss man wesentlich tiefer graben, als Woodward es gewagt hat (oder wagen durfte?) – Ein schwaches Bild für einen angeblichen Schnüffel-Journalisten, die solcherlei Angriffspunkte schon von Berufs wegen doch liebend gern weidlich ausschlachten.

Doch nichts davon wird auch nur ansatzweise aufgegriffen! Weder Haliburton noch Carlyle oder ähnlich dubiose von US-Politikern geführte bzw. mit ihnen verbundene Firmen werden auch nur mit einer Silbe erwähnt. Außerdem wird ziemlich schnell klar, dass Osama nicht das eigentliche Ziel der Vergeltungsschläge ist – zunächst wird dieser Eindruck zwar erweckt, doch schon bald ist vom angeblichen Schreckgespenst Al Qaida und dergleichen nichts mehr zu lesen, sondern nur noch von den Taliban, denen man auf deutsch gesagt um jeden Preis den Arsch aufreißen will. Natürlich spielen geopolitische Interessen eine Rolle, aber ganz andere, als hier geschildert – dass von Streubomben und ähnlichem Zeugs auch kein Sterbenswörtchen fällt, dürfte klar sein und spätestens jetzt niemanden mehr wundern … Die „Daisycutter“-Bomben werden zwar am Rande angerissen, aber derart, dass man glaubt, es wäre nur gerecht, sie zu abzuwerfen.

|“Woodward gelang ein Coup: Er konnte die Sitzungsprotokolle des Nationalen Sicherheitsrates an Land ziehen. Aus ihnen ergab sich die einzigartige Perspektive des Buches.“ (DER SPIEGEL)|

Kommentar: Oh, diese Formulierung ist geschickt und kann doppeldeutig gelesen werden, die Jungs und Mädels vom |SPIEGEL| sind nicht doof, man kann schon von einer einzigartigen Perspektive sprechen, ich würde das aber eher als ein|seitige| Sicht der Bush-Krieger bezeichnen, die Woodward brav nachbetet. Ob diese Protokolle vollständig (und wahrheitsgemäß) sind, darf anhand einiger fehlender Begebenheiten, die nachträglich öffentlich wurden, arg bezweifelt werden. So manche Passage aus dem Buch ist durch wirklich investigative Journalisten mittlerweile |ad absurdum| geführt und als Propaganda-Mär entlarvt worden.

Ebenso wie viele Äußerungen der amerikanischen Regierung zum Fall des WTC und des Afghanistan-Feldzugs. Insofern ist die Authentizität der ach-so-geheimen Protokolle doch stark anzuzweifeln, denn wenn sich viele Punkte als faustdicke Lüge herausstellen, darf man davon ausgehen, dass der Rest ebenso fragwürdig ist. Es handelt sich hierbei nämlich lediglich um die enttarnten Flunkereien – aber mit aller Wahrscheinlichkeit sind das noch längst nicht alle. Inwieweit die Protokolle den Tatsachen entsprechen, wird wohl nie ganz geklärt werden können, eines steht auf jeden Fall fest: Sie wurden massiv getürkt.

_I want to believe – Das Fazit_

Dies ist kein „Enthüllungs“-Buch, denn es leiert nur die Propaganda und Bettelei um Verständnis für den Einsatz in Afghanistan herunter. Dabei ist nicht einmal geklärt, ob die Selbstmordattentäter überhaupt welche waren. Zumindest bestehen in einigen wichtigen Punkten berechtigte Zweifel, ob nicht der Regierungsapparat selbt mit Hilfe des CIA und anderen ein wenig nachgeholfen hat, um die Legitimation, andere Staaten mit Krieg zu überziehen, zu erhalten. Wie dem auch sei, dieses Buch ist weder sachlich noch lesetechnisch auf der Höhe. Wenn ich statt Condoleeza (Rice) wiederholt „Condi“ lesen muss (die Anführungszeichen sind von mir, Woodward setzt dort keine!), keimt in mir der Verdacht auf, dass hier eine Verniedlichung und subtil eingefädelte Solidarisierung herbeigeführt werden soll – traurig, dass sich ein solches Urgestein offenbar so ohne Weiteres vor den Karren spannen ließ, diese Fabeln zu verbreiten.

Für einen ausgezeichneten Pulitzer-Reporter geht mir das kritische Hinterfragen vollkommen ab stattdessen dümpelt der Autor beim Weglassen des ganzen Firlefanzes tatsächlich nur an der Oberfläche. Die Intention dieses Buches mag falsch verstandener Patriotismus sein, oder ein weiteres denkbares Szenario wäre, dass Woodwards Arbeitgeber, die „Washington Post“ (wie übrigens auch der Nachrichtensender ABC) fest in der Hand des Bush-Clans ist. Ein Schuft, wer jetzt denkt, dass Woodward diese Hände nicht beißt, die ihn füttern. Ohne in Verschwörungstheorien abgleiten zu wollen, aber hier stimmt was nicht. Dennoch lassen sich zwischen den Zeilen einige Infos extrahieren, die interessant sind, wenngleich wohl nur ungewollt preisgegeben. Allerdings muss man sich dafür schon stark interessieren oder durch Zugriff auf andere Literatur quer lesen, damit man dem Puzzle einige weitere Stückchen hinzufügen kann. Man kann sich das Propaganda-Werk |just for show| mal geben, der Preis für die Restexemplare ist laut |amazon.de| mittlerweile auf 4,95 statt 25 Euro runtergegangen.

Wisnewski, Gerhard – Mythos 9/11

Kritische Betrachtungsweisen zum 9/11 gibt es wie Sand am Meer. Kurioserweise schießen sie stets vor dem betreffenden Datum aus der Deckung hervor und zurück in die Köpfe der Gesellschaft. Gerhard Wisnewski legt nach seiner letzten Publikation [„Operation 9/11 – Angriff aus den Globus“ 678 mit „Mythos 9/11 – Der Wahrheit auf der Spur“ sein mittlerweile zweites Buch zum Thema vor, bei dem der Cover-Aufdruck „neue Enthüllungen“ verspricht. Unterstützt wird er bei der Publikation von Willy Brunner, mit welchem er schon die WDR-Dokumentation „Aktenzeichen 9/11 ungelöst“ produzierte, die 2003 einige Wellen schlug. Aufgrund eben jenes Beitrags wurden sie beim Westdeutschen Rundfunk geschasst und mit einem Beschäftigungsverbot beim öffentlich-rechtlichen TV belegt. Man kann nach der bewegten Vorgeschichte des Autors also davon ausgehen, im vorliegenden Werk auf einigen Zündstoff zu stoßen. Oder auch nicht?

_Offizielle contra Verschwörungstheorie_
In der öffentlichen Meinung wird der 11. September gerne kollektiv wie eine heilige Kuh behandelt. Obwohl an der offiziellen Version des Attentats so manches Teil nicht passt. Demzufolge entschied sich ein gewisser Herr Osama bin Laden, 19 Terrorpiloten auszusenden, um das Wirtschaftszentrum der Welt (das WTC), das Weiße Haus und das Pentagon empfindlich zu treffen. Vier gekaperte zivile Verkehrsmaschinen sollen die mutmaßlichen Entführer dafür in ihre Gewalt gebracht und als lebende Bomben in die betreffenden Ziele gelenkt haben. Im Falle von UA 93 ging es daneben, sie erreichte ihr Ziel (mit großer Wahrscheinlichkeit das Weiße Haus) in Washington nicht, sondern crashte vorgeblich bei Shanksville / Pennsylvenia in den Acker. Nebenbei eine „schöne“ Mär von Heldenmut und tapferen Passagieren.

Soweit die hinlänglich bekannte Version, welche über die Medien permanent verbreitet wurde und wird, in deren Konsequenz eine gefährliche Kettenreaktion ausgelöst wurde, die bis heute andauert: Der Afghanistan-Feldzug und in (bisher) letzter Instanz der Irak-Krieg. Die Anschläge mussten seither für eine Menge Repressalien und Einschränkungen in der Freiheit herhalten – alles mit dem Totschlagargument des „Kampfes gegen den Terrorismus“. Der beinahe in Nullzeit eingeführte „Patriot-Act“ ist nur ein einzelnes und prominentes Beispiel dafür, wie man sein Staatsvolk gängeln und die Verfassung aushebeln kann. Man gewinnt den Eindruck, dass genau ein solcher Fall von langer Hand vorbereitet wurde. Selbst hierzulande sind die Ausläufer des Innere-Sicherheit-Bebens mit Epizentrum in den USA spürbar. Unlängst knickt auch das alte Europa zunehmend ein. Mehr noch. Dank 9/11 schwelt es auf unserem Planeten nicht mehr, es brennt sogar schon lichterloh.

Auch wenn einige es immer noch nicht verstanden haben: Wir stehen mitten in einem weiteren Weltkrieg, ein Krieg, der jedoch auf subtilerer Ebene ausgefochten wird als seine beiden Vorgänger. Das macht ihn nicht weniger real oder vielleicht weniger tödlich für die Partizipanten, bekam aber das Label eines „gerechten“ Krieges. Dabei haben sich alle zur Rechtfertigung herangezogenen und vorgebrachten „Beweise“ für die militärischen Interventionen bislang als fadenscheinig, nicht haltbar und völkerrechtlich höchst bedenklich herausgestellt. Dass Dank des Schaffens von Fakten auch handfeste geopolitische und wirtschaftliche Interessen quasi im Handstreich durchgepeitscht wurden, wird gerne übersehen oder als „pietätlos“ wegzudiskutieren versucht. Das wirft vor diesem Hintergrund natürlich die Frage auf, was an der Geschichte des alles auslösenden Schlamassels denn nun wirklich wahr und was davon praktikable Dichtung ist.

Fest steht, dass die Ungereimtheiten des 9/11 unübersehbar sind und es allerorts mit viel Schlamperei, wenn nicht sogar Manipulation zuging. Aufklärung – so scheint es – wird nicht gewünscht; auch wenn so manche berechtigte Kritik geäußert wird, finden sich diejenigen, die sie vorgebracht haben, entweder als Terrorsympathisanten oder spinnerte Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt und ins Abseits gestellt wieder. Gruppenzwang auf amerikanisch – „Wer nicht unserer Meinung ist, kann nur ein Feind sein“. Dieser gefährlich pauschalisierte Automatismus ist unlängst in Gang gesetzt eine gern verwendete Waffe und probates Mittel, Kritiker kalt zu stellen und unangenehme Fragen zu unterbinden. Wie man an der Vielzahl von Websites und anderen Publikationen sieht, zieht diese Masche aber nicht überall.

_ Zum Buch_
Soweit also zur Ausgangslage, die auch dem Grundtenor des Buches entspricht. GW konzentriert sich aber nicht so sehr auf New York. Er verbeißt sich stattdessen verstärkt in die vermeintlichen Nebenkriegsschauplätze bei Shanksville und Washington, welche im Bewusstsein der Öffentlichkeit nicht ganz so präsent sind wie die bildtechnisch besser dokumentierten Vorgänge um den Einsturz der WTC-Tower. Das ist seiner Ansicht nach der Grund, warum an diesen beiden Orten, die nicht unter so vielen Zeugen getroffen wurden, auch keine Verkehrmaschinen einschlugen und es sich bei den Kratern nicht um Folgeschäden von Verkehrs-Linern, sondern um etwas anderes gehandelt haben kann/soll. Raketenbeschuss oder das Auftauchen eines Kampfflugzeugs vom Typ A-10 „Warthog“ bzw. einer mit Sprengstoff beladenen Drohne hält er für möglich, gestützt auf Augenzeugenberichte, Fotos und Filmaufnahmen direkt nach dem Desaster. Er kommt zu dem Schluss, dass es sich hier um eine lupenreine Inszenierung gehandelt hat – und eine schlampige noch dazu.

Anhaltspunkte für diese Theorie liefert ihm dabei nicht nur das, was man auf den Fotodokumenten und den vom FBI freigegebenen Bildern einer Überwachungskamera sieht, sondern auch das, was NICHT sichtbar ist: Flugzeugtrümmer nämlich, die zu den entführten Maschinen passen. Die offizielle Darstellung lautet: Sowohl die Boeing, die in das Pentagon einschlug, als auch jene, welche bei Shanksville den Boden umpflügte, seien vollständig „pulverisiert“ worden. Kurioserweise ist das einmalig in der Geschichte der Luftfahrt, da man bei ähnlichen Unfällen und Abstürzen doch bislang immer erkennbare Teile eines Flugzeugs dieser Größenordnung finden kann. Diese beiden Maschinen jedoch sind die Ausnahmen und das sogar an einem einzigen Tag. Zudem fehlen beim besagten Pentagon-Crash-Video urplötzlich elementare Passagen des Einschlags (erkennbar am Time-Stamp). Andere Videos von diversen Überwachungskameras wiederum sind hochoffiziell konfisziert und auf Nimmerwiedersehen im Orkus der Behörden verschwunden. Offizielle Begründung: „Nationale Sicherheit“ und „Pietät gegenüber den Angehörigen der Opfer“.

Dies sind aber nicht die einzigen Seltsamkeiten, die GW wirksam plakativ an den Leser bringt, es gibt durchaus noch mehr Aspekte, bei denen man staunend den Kopf schüttelt. Ferngesteuerte Drohnen, welche die „richtigen“ Maschinen ersetzten, sowie das unglaublich erscheinende Einstürzen gleich beider Tower in New York (was laut einiger Fachleute ziemlich unmöglich und unwahrscheinlich ist) sind nach seinem Dafürhalten keine Präzedensfälle. Sowohl Hollywood als auch schon vorherige Regierungen haben qua CIA und anderer Behörden ein solches Szenario mehr als einmal durchgekaut und in Betracht gezogen. Hinter vorgehaltener Hand natürlich. Bekannt wurde eine Aktion in den sechziger Jahren, die nach gängiger Meinung im Kennedy-Attentat gipfelte: „Operation Northwoods“ bzw. „Mongoose“. Hier sollten Kuba mit ganz ähnlichen Methoden wie heute der Islam diskreditiert und das amerikanische Volk mental auf eine Invasion vorbereitet werden. Somit wäre der Tenor der Bush-Administration „Wir haben das nicht gewusst/ahnen können“ äußerst scheinheilig. Das Drehbuch lag schon lange vor.

Gescholten werden auch die merkwürdigen Ermittlungsmethoden der US-Behörden und selbstverständlich die Journallie. Auch (und gerade) die deutsche. Logisch, denn mit dieser haben GW und WB auch hinreichend schlechte Erfahrungen gemacht und ihre Jobs beim WDR verloren. So nimmt es nicht wunder, dass die beiden Autoren hier keilen und Schienbeintritte verteilen. Im Fokus steht wieder einmal ganz besonders das Nachrichtenmagazin |“Der Spiegel“|, was für manch einen sicher einer glatten Majestätsbeleidigung gleichkommt. Das renommierte Hamburger Magazin muss sehr häufig stellvertretend als Buhmann für die ganze Zunft herhalten und sich wohl seinen Zorn zugezogen haben. Es wird ohnehin viel Werbung in eigener Sache gemacht und die Opferrolle anscheinend doch irgendwie genossen. Zwar mündet das nicht in absoluter Selbstbeweihräucherung oder -bemitleidung, jedoch ist es schon etwas auffällig, dass immer wieder von eben jenen kritischen Organisationen die Rede ist, in denen GW – zum Teil – führendes Mitglied ist.

Neu sind die Vorwürfe, dass am 9/11 ein Riesenschwindel stattgefunden hat, hingegen alle nicht. Die diversen Nutznießerschaften verschiedener neokonservativer Gruppen aus einem solchen Anschlag sind schon des Öfteren diskutiert worden – sowohl in den hier attackierten „konformen“ Medien, als auch in „konspirativen“ Kreisen. Über die möglichen Motive herrscht also weitgehend Einigkeit. Wer sich mit dem Thema etwas auseinander gesetzt hat, wird das alles irgendwie schon einmal gehört haben. Die Verbindungen der Saudis (speziell derer bin Ladens) zum Bush-Clan, die vollkommen dilettantisch-überdeutliche (und somit fragwürdige) Spurenlage, die ausgerechnet 19 nachweisliche Fliegerei-Nieten als Hauptschuldige darstellt. Die de facto nicht wirklich durchgeführten Untersuchungen der Behörden, das ausweichende Schweigen der Regierenden zu unangenehmen Fragen mit dem Universal-Argument „Nationale Sicherheit“, kurzum: all die „Schludrigkeiten“ und kalkuliert verbreitete Desinformation der Bush-Administration sind ja mittlerweile schon legendär.

_Fazit_
In der Hauptsache werden hier unlängst zuvor geäußerte Theorien und Spekulationen sowie die (großteils berechtigte) Kritik an unserer Medienlandschaft noch einmal aufgekocht. Dabei können weder die unscharfen Bilder, noch die scharfe Zunge Wisnewskis – übrigens ebenso wenig wie die offizielle Version – letztendlich zweifelsfrei beweisen, was am 11. September 2001 nun wirklich geschah. Was bleibt, ist die Frage nach der Motivation dieses Buches. Frust auf die Medien? Bitterkeit wegen des Rauswurfs beim WDR? Ich vermeine das zwischen den Zeilen und in bestimmten Formulierungen ein wenig herauszulesen, doch letztendlich weiß das nur der Autor selbst. Der Schreibstil jedenfalls ist gefällig und nicht frei von einem unterhaltsamen, ironisch-sarkastischen Unterton, was die ganze Sache süffig und flott lesbar macht. Mir entlockt der reißerische Aufdruck: „Neue Enthüllungen!“ trotzdem nur ein halbherziges Gähnen.

Ich zähle mich selbst zu den Zweiflern, stehe also dem Gedankengut per se nicht grundsätzlich negativ gegenüber, dass der 9/11 und das Drumherum ganz anders abgelaufen sind, als man uns von offizieller Seite und den Massenmedien her Glauben machen will. Wisnewski benutzt als Aufhänger bevorzugt den Pentagon- und Shanksville-Crash, leider sind gerade diese Fälle, wegen der spärlich verfügbaren und streckenweise dubiosen Informationsquellen, besonders schwer auf ihren Wahrheitsgehalt hin verifizierbar. Nichts Genaues weiß man nicht. Als Nachschlagewerk für gestandene Verschwörungstheoretiker bietet „Mythos 9/11“ sicherlich zu wenig Neues und für Neueinsteiger in die Materie nur einen (zu) kleinen Ausschnitt des Gesamtbildes, als dass man sie damit überzeugen könnte, dass die bisher verbreiteten Geschichten Mumpitz sind. Ohne Zusatzliteratur wird man als Laie in der Thematik schwerlich alles nachvollziehen können. |Summa summarum| eine unterhaltsame Lektüre, doch alles andere als eine Offenbarung.

Bibliographie des Autors:
Das RAF-Phantom (1992 als Co-Autor)
[Operation 9/11 678 (2003)
Mythos 9/11 (2004)

Weiterführende Informationen:
www.operation911.de (Website des Autors)
www.unansweredquestions.org (Website der Hinterbliebenen-Organisation)

Bitte beachtet zu dieser Thematik auch unseren Gastbeitrag von Mathias Bröckers:
[Fiktion & Wahrheit – Verschwörungstheorien als moderne Mythen.]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=24

Wisnewski, Gerhard – Operation 9/11 – Angriff auf den Globus

Was passierte am 11.September 2001? Jeder weiß es … oder glaubt es zu wissen. Zwei Flugzeuge schlagen in die Tower des World Trade Centers ein. Es ist gebannt auf unzähligen Aufnahmen. Das ist Fakt. Aber die gesamte restliche Geschichte verschwimmt, wohlwollend ausgedrückt, hinter einem Vorhang aus nationaler Sicherheit und geheim geführten Ermittlungen.
Durch die Beeinflussung der Medien wurde der Weltöffentlichkeit eine Geschichte aufgetischt, die irgendwie nicht ganz plausibel klingt. Wenn jeder mal ehrlich zu sich selbst ist fällt auf, dass niemand wirklich an genau diesen Ablauf jenes denkwürdigen Tages glaubt, der als offiziell gilt. Nur fehlte bisher eine Art Bündelung aller Zweifel. Viele kleine Hinweise, die letztlich etwas Handfestes bilden. Und eben dies ist das Buch „Operation 9/11 – Angriff auf den Globus“ von Gerhard Wisnewski. Es ist die erste ernst gemeinte, distanzierte, nüchterne Auseinandersetzung mit den Geschehnissen jenes Tages. {Ergänzung des Editors: Auch [„Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.“ 103 von Bröckers & Hauß darf in diese Kategorie gezählt werden.} Es ist ein „Hexenhammer des Guten“.

Natürlich lässt sich dieses Buch leicht als eine von vielen Verschwörungstheorie abtun, doch wer einen Blick hinein riskiert, der stellt fest, dass sich zwei Drittel des Buches lediglich mit der Widerlegung der als Tatsachen verkauften Behauptungen der US-Regierungsbehörden beschäftigen. Erst auf den letzten Zentimetern der Buchbreite wird eine Gegendarstellung gewagt.
Wisnewski sagt einen sehr schönen Satz in seinem Vorwort, der bezeichnend ist für die Art der Recherche seines Buches: „(Sein Buch) wirkt der Mutter aller Verschwörungstheorien entgegen, nämlich der abenteuerlichsten These, am 11. September 2001 sei es einer Handvoll Arabern gelungen, im Herzen der Militärmacht Nr. 1 das perfekte Verbrechen zu verüben.“

Danach beschäftigt man sich provokant sachlich mit jedem kleinen Detail, das den 11. September umgibt und ihn schon nach wenigen Seiten des Lesens als eine große Farce hinstellt. Und genau hier geht die Macht der Beurteilung zu Ende, denn was Wisnewski hier aufführt, sind einfach nur schlichte Fakten, garniert mit einigen Fingerzeigen, die lediglich die Schlussfolgerungen wiedergeben, die sich im Kopf des Lesers ohnehin längst ergeben haben.
Auffällig ist besonders, dass Wisnewski hauptsächlich mit allgemein gekannten Fakten arbeitet. Er hatte für seine Recherchen keinen Mittelsmann bei der CIA oder sonst irgendeiner Organisation, nein, er arbeitet hauptsächlich mit den Fakten, die über den Äther kamen, und fügt diese lediglich zusammen.

Aber was steht denn nun wirklich in diesem Buch?
Gerade darüber sollte man nicht zu viel sagen. Nicht, weil es da nichts zu sagen gäbe, sondern weil man sich in der Vielzahl der Details verliert. Zu fast jeder Begebenheit, die in Verbindung mit den Anschlägen steht, stellt das Buch eine zerstörerische Frage, hinterleucht die Idiotie der bisherigen Vermutungen und gibt einleuchtendere Lösungsansätze. Hier gilt allerdings die Regel: „Wenn der Inhalt nicht von dem Buch selbst erzählt wird, dann verliert er durch das Weglassen wichtiger Details seine Glaubwürdigkeit.“ Soll heißen: Man muss es einfach selbst gelesen haben!

Umso weiter man liest, umso mehr entsteht der Eindruck, als gehe der Autor immer risikoreicher vor. Das Buch schmeißt dem Leser nicht einfach alle Fakten und Argumente an den Kopf, sondern führt ihn vielmehr auf einen Weg der Mündigkeit. Denn um das Gegenteil glauben zu können, muss man zunächst den Glauben an die bisherige Version verlieren.

Um aber nicht gänzlich um den heißen Brei herum zu reden, möchte ich zumindest eines der eindruckvollsten Beispiele schildern, an denen das Buch beweist, dass alles anders ist, als man glaubt. Der Autor beschäftigt sich beispielsweise eingängig mit den Flugrouten der Maschinen. Dies sind Details, die hier in Deutschland nie aufgegriffen wurden, obwohl sie eine völlig neue Geschichte erzählen. So flogen die Flugzeuge, bevor sie zu ihrem phänomenalen Todesstoß ausholten, noch eine Weile lustig in der Gegend herum, weitab von irgendeinem vorgegebenen Kurs. Und dies führt schließlich zu einem der härtesten Argumente: So überraschend und genial es zunächst wirkte, Passagierflugzeuge als fliegende Bomben einzusetzen, so wenig überraschend ist doch die Situation vor den Einschlägen für die Luftfahrt der USA. Man hat lediglich ein paar Flugzeuge in der Luft, die fliegen, wie sie wollen und noch dazu keinen Funkkontakt mehr halten. In den USA sind in solchen Fällen innerhalb von drei Minuten Abfangjäger bei diesen Ausreißern. Nicht, weil sie eine Entführung vermuten, sondern weil diese ganz einfach eine Gefahr für den gesamten umliegenden Luftraum darstellen. Und dann will man uns verkaufen, dass gleich vier Maschinen mehr oder weniger gleichzeitig über eine halbe Stunde ausgerechnet auch noch teilweise über dem extrem dichten Flugraum von New York machen, was sie wollen, ohne überwacht zu werden?

Nach unendlich vielen weiteren einschlägigen Argumenten, die durch eine Vielzahl von Expertenaussagen gestützt werden, aber auch nur vermutend logischen Erkenntnissen folgen, der Teil „Hintergründe“. Leider gerät das Buch auf dieser Schlussgeraden dann doch zu einer Art Verschwörungstheorie-Doku. Wisnewski lehnt sich meiner Meinung nach zu weit aus dem Fenster, als er sogar Verbindungen zwischen Hollywood und der US Army zieht. Sicherlich ist diese immer bemüht, in Hollywood-Produktionen gut auszusehen, aber solch ausartende Verbindungen, wie sie hier gezogen werden, sind wohl übertrieben. Zwar ist der Rest der Antithese des Buches ganz akzeptabel, besonders der sehr aufschlussreiche Zusammenhang zwischen den Familien Bush und Bin Laden, doch hat Wisnewski uns gerade noch gelehrt, sich nicht von allem einwickeln zu lassen. Deshalb sollte man diese Theorien ebenso distanziert und kritisch sehen, wie das Buch die Ereignisse um den 11. September behandelt. Ganz großes Plus der Wisnewskischen Behauptungen ist allerdings eine geheime Akte namens „Operation Northwoods“. Diese wurde jahrelang auf höchster Geheimhaltungsstufe von der US-Regierung gebunkert. Und sie schildert auf erschreckende Art und Weise einen Bauplan des Terrors, der perfekt auf das Schema der Flugzeugentführungen vom 11. Semptember passt und sodann blutige, wahnsinnige Realität wurde. Damals sollte durch einen inszenierten Flugzeugabschuss ein Krieg gegen Kuba heraufbeschworen werden. Haarklein werden Flugzeugaustausch und Dronenflug beschrieben. Besonders alarmierend: welche Möglichkeiten der Technik können heute schon genutzt werden, wenn man damals bereits unbemannte, ferngesteuerte Flüge vornehmen konnte.

Vielleicht empfand es Wisnewski als Pflicht, wenn er schon alle Fakten außer Kraft setzt, auch eine plausible Gegendarstellung abliefern zu müssen, aber ich persönlich halte das nicht für nötig. Es ist völlig egal, mit welchen Gedanken man an dieses Buch herangeht, man wird geläutert werden. An was man anschließend glaubt, ist jedem selbst überlassen. Nur eines ist ganz sicher: Man glaubt nicht mehr, dass irgendwelche Hobby-Terroristen das Unmögliche geschafft haben. Man fühlt sich ein ganzes Stück mündiger in einer Welt aus medialem Trug und Halbwahrheiten. Zumindest zwei Drittel dieses Buches sollten als eines der wichtigsten Werke neo-historischer Aufklärungsschriften gelten, denn was sie darlegen, ist die Realität, in der wir leben, und die wir schon kaum noch sehen können.

Webseite des Autors: http://www.operation911.de/

Koff, Clea – Knochenfrau, Die

Clea Koff ist seit jeher eine „Knochenfrau“. Schon als junges Mädchen sammelt die Tochter die Überreste überfahrener oder anderweitig umgekommener Tiere, um sie intensiv zu studieren. 1992 liest sie ein Buch über forensische Pathologie und erkennt ihren Lebenstraum: Sie möchte lernen, aus Menschenknochen die Geschichte verstorbener Menschen zu „lesen“ bzw. zu rekonstruieren.

Für diesen Job gibt es reichlichen Bedarf. Jedes Skelett, das nicht auf einem regulären Friedhof ruht, könnte das Relikt eines Verbrechens sein. Ganz sicher trifft dies auf sorgfältig verborgene Massengräber zu, welche die kriminelle Diktatoren dieser Welt mit Leichen füllen, als habe es den Terror der Nazis und andere Schreckensherrschaften niemals gegeben.

Im afrikanischen Ruanda ermordeten 1994 die Hutu binnen eines Monats in einer Orgie der Gewalt 800.000 Tutsi. Der systematische Massenmord an völlig unschuldigen Menschen, die bisher Nachbarn, nicht selten sogar Verwandte waren, war dem herrschenden Regime außerordentlich unangenehm, denn der Zorn derer, die dieses Verbrechen nicht ungeahndet sehen wollten, konnte sich nachteilig auf zukünftige Auslandsgeschäfte und Entwicklungsgeldzahlungen auswirken. So durften anderthalb Jahre nach dem Gemetzel Ermittler der Vereinten Nationen einreisen. Sie exhumierten und obduzierten halb verweste Leichen, um Beweise gegen die Anstifter des Massenmordes zu sammeln.

Unter ihnen: Clea Koff, gerade 24 Jahre alt, die einen buchstäblich knochenharten Einstieg in ihren Traumjob erfährt. Ihr wissenschaftliches Interesse und der Drang, den Opfern für ihre ratlosen, verzweifelten Angehörigen und die Gerichte wieder ein „Gesicht“ zu geben, lassen sie trotz des enormen Stresses, den der grausige „Job“ mit sich bringt, nicht nur durchhalten, sondern sich bewähren: Koff entwickelt sich zu einer „Spezialistin“ für Massengräber.

Deshalb wird sie nach ihrem Ruanda-Einsatz zu einer Stätte gerufen, die ihr und den Kollegen Arbeit für viele Jahre garantieren wird: Im ehemaligen Jugoslawien hetzten dubiose „Führergestalten“ ihre Landsleute zum systematischen Massenmord auf. In Serbien, in Kroatien, im Kosovo ließen sie Menschen, die sie zu „feindlichen Soldaten“ oder „Partisanen“ erklärten, wegen ihres Glaubens hassten oder weil sie sich schlicht ihren Besitz aneignen wollten, zusammentreiben, abschlachten und in anonymen Großgräbern verschwinden. Aber die Rechnung geht nicht auf: Die in Afrika „geschulten“ UN-Ermittler finden die Toten und fördern sie, die zum Schweigen gebracht werden sollten, wieder ans Tageslicht, wo sie endlich ihr Recht fordern können.

Dieser Drang zur postumen Gerechtigkeit (oder wenigstens ihre Möglichkeit, denn tatsächlich können sich Diktatoren und Massenmörder gute Anwälte leisten …) gibt Clea Koff denn auch die Kraft zum Durchhalten. Die wünscht man ihr wirklich, wenn man zunehmend fassungslos ihre Schilderungen verfolgt. Außerdem ist es wichtig zu verstehen, wieso es Menschen wie Koff gibt, die eine Arbeit leisten, die ganz und gar menschenwürdig und deren Sinn zunächst schwer zu verstehen ist.

Denn wie schafft es ein Mensch, täglich und immer wieder einen Berg fauliger Leichen abzutragen? Die abstrakte, wissenschaftliche Faszination, welche der Forensik innewohnt, ist da verständlicherweise nur bedingt hilfreich. Immer wieder schildert Koff daher Momente, in denen die furchtbare Realität den Schutzpanzer forscherlicher Objektivität durchbricht. Dann müssen andere Argumente die Kraft zum Weitermachen liefern.

Clea Koff und ihre Kolleginnen und Kollegen sehen sich auf einer Mission. Sie tun einen Job, von dem die Massenmörder glaubten, dass niemand ihn leisten würde. Ermorde die Menschen, die dir lästig sind, und lasse sie von der Bildfläche verschwinden, dann hast du deine Ruhe und kannst behaupten, sie seien „untergetaucht“ und an unbekannter Stelle noch am Leben, bis im wahrsten Sinn des Wortes Gras über die Sache gewachsen ist: Es hätte klappen können, wenn es die UN-Forensiker nicht gäbe. Sie entreißen der Erde ihre schmutzigen Geheimnisse und liefern Beweise, die vor Gericht standhalten. Eine Liste derjenigen Verbrecher, die sich sicher wähnten und doch überführt wurden, legt Koff als Anhang vor; prominente „Politiker“ sind darunter, die letztlich doch überführt und bestraft wurden.

Nicht nur die Gerichte warten auf Beweise. Die Ermordeten standen selten allein auf der Welt. Sie sind verschwunden und ließen verzweifelte Hinterbliebene zurück, die nur ahnen konnten, was mit ihnen geschah. Clea Koff begegnet immer wieder Eltern, Kindern, Ehegatten, die um den Leichnam oder wenigstens einen Knochen ihres Angehörigen bitten, um etwas beisetzen und betrauern zu können. Aus einer Forensikerin musste zwangsläufig eine Therapeutin werden – eine schwierige Aufgabe, für die sie nicht geschult war und die den so dringend notwendigen Abstand zur Arbeit zu zerstören drohte.

Die schwierige, weil abschreckende Geschichte, die Koff erzählen will, gibt sich betont sachlich – eine gute Entscheidung, weil die Fakten für sich selbst sprechen. Aufgesetzter Grusel wäre fehl am Platze und würde die Leser wohl auch verschrecken: Zwar ist es wichtig, um die traurige Realität von modernen Massenmorden zu wissen, doch ist niemand verpflichtet, wie Koff dem unverhüllten Grauen entgegen zu treten. Deshalb wurden auch die Fotos sehr sorgfältig ausgesucht. Sie verhüllen nichts, aber sie schwelgen nie in Details; ohnehin sind sie kaum erträglich.

Koff macht keinen Hehl daraus, dass die Welt der UN-Forensiker keine heile ist. Das liegt zum einen an der enormen seelischen Belastung, die eine solche Arbeit – zudem in der Regel unter primitiven Bedingungen und nur mit viel Improvisation durchzuführen – mit sich bringt. Andererseits sind auch Wissenschaftler nicht über Konkurrenzdenken, akademischen Futterneid und andere allzu menschliche Schwächen erhaben. Geöffnete Massengräber werden von den Medien gern zur Kenntnis genommen, Politikprominenz schätzt sie ebenfalls, weil an der Grabkante getätigten Äußerungen mehr Aufmerksamkeit als üblich gezollt wird. Auch für die an den Grabungen beteiligten Wissenschaftler fällt ein wenig Ruhm ab, den so mancher eifersüchtig für sich beansprucht, um sich als „Fachmann“ zu profilieren. Ein solcher Ruf lässt sich durchaus kommerziell nutzen.

In gewisser Weise stellt Clea Koff keine Ausnahme dar. Sie hat ein Tagebuch über ihre Einsätze geführt, das die Grundlage für „Die Knochenfrau“ darstellt. Dieses Buch erscheint zeitgleich in sieben Ländern. Dass Koff jung und ausgesprochen ansehnlich ist, schadet auch nicht. Sie taucht nun vermehrt in der Presse und im Fernsehen auf, ist selbst in den kleinen Kreis prominenter Forensiker aufgestiegen, die sie einst aus der Ferne bewunderte.

Freilich ist dies eine eher moralphilosophische Deutung. Ruhm führt zu Aufmerksamkeit, aus Aufmerksamkeit kann Unterstützung erwachsen. Clea Koff steht zudem weiterhin ihre Frau in übel riechenden Massengräbern. Für allen Ruhm der Welt möchte man nicht mit ihr tauschen. Ohnehin gibt es kein „Happy-End“, wie die Verfasserin keineswegs verschweigt: Zwar konnte dank Clea Koff und anderer UN-Ermittler so manche Massenmörder überführt und verurteilt werden. Doch auch Diktatoren sind lernfähig: Sie morden wie eh’ und je, nur dass sie heute dazu übergehen, ihre Opfer nicht mehr einfach zu begraben. Die Leichen werden verbrannt oder aufwendig anderweitig vernichtet, um den lästigen Clea Koffs dieser Welt einen Strich durch die Rechnung zu machen. Aber diese stellen sich auch darauf ein und werden nicht nachlassen, ihrem schwierigen, furchtbaren, wichtigen Job nachzugehen.

Clea Koff wurde 1972 als Tochter eines englischen Vaters und einer ostafrikanischen Mutter geboren. Ihre Eltern sind bekannte Dokumentarfilmer, so dass sie schon als Kind ständig auf Reisen war. Sie lebte in Ostafrika, Europa und in den USA, wo sie ihr Studium (Anthropologie/forensische Anthropologie) absolvierte. Ab 1996 arbeitete sie für das UN-Kriegsverbrechertribunal in Bosnien, Kroatien und im Kosovo. Bis heute war Clea Koff – die abwechselnd in Los Angeles und Melbourne, Australien, lebt – an sieben Einsätzen beteiligt.

Ursula Spuler-Stegemann (Hrsg.) – Feindbild Christentum im Islam. Eine Bestandsaufnahme

Die „Feindbild Christentum im Islam“ herausgebende Professorin lehrt Islamwissenschaften an der Universität Marburg und hatte zuvor bereits mit „Muslime in Deutschland“ das wohl beste Werk über die ausländischen Islam-Angehörigen in unserem Land vorgelegt. In diesem Band hat sie nun eine ganze Reihe von Fachleuten versammelt, die sich dem interreligiösen Dialog widmen, der seit dem 11. September 2001 mit größerem Interesse als zuvor in der Bevölkerung wahrgenommen und beobachtet wird.

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Parry, Dan – D-Day: 6.6.44. Entscheidung in der Normandie

Im Jahre 1940 jagten die nazideutschen Truppen, die in einem beispiellosen „Blitzkrieg“ Westeuropa unter ihr Joch gezwungen hatten, die englischen Truppen schmachvoll über den Kanal zurück auf ihre Insel. An der Westfront herrscht seitdem ein Patt: Die Briten verfügen nicht über die Ressourcen, den Krieg zurück auf den Kontinent zu tragen. Hitlers Soldaten schaffen es andererseits nicht, England zu erobern. Außerdem sind sie an der Ostfront mehr als beschäftigt; seit Stalingrad sind die Sowjets auf ihrem unerbittlichen Vorstoß gen Deutschland.

1944 kehren die Briten – inzwischen Verbündete der US-Amerikaner und Kanadier – ins direkte Kriegsgeschehen zurück. Sie sind festen Willens, die Nazis zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen. Mit amerikanischer Unterstützung haben sie in den vergangenen Jahren eine beispiellose Kampfmaschine aufgebaut. Diese ist endlich bereit zur Errichtung einer „zweiten Front“ im Westen Europas.

Die Deutschen wissen um die Gefahr einer Invasion. Doch wo werden die Alliierten angreifen? Sie kommen von Westen, werden an der englischen Südküste starten und den Kanal überqueren, das ist klar. Aber steuern sie direkt auf die französische Küste zu? Oder suchen sie sich eine andere Stelle, wo die deutsche Verteidigung nicht mit ihnen rechnet?

In der Tat spielen die Alliierten ein gewagtes Spiel. Die Invasion soll in der Normandie erfolgen. Dort gibt es Küstenstriche, die eine Landung von mehr als 150.000 (!) Soldaten zu Wasser und aus der Luft ermöglichen. Allerdings gehört die Normandie zum Kommandogebiet der deutschen Armeegruppe B, dem der gefürchtete Feldherr Erwin Rommel vorsteht.

Sein Gegenüber ist der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte: General Dwight D. Eisenhower, weniger ein genialer Schlachtenlenker als ein besonnener Organisator, dem es zugetraut werden kann, ein so gewaltiges Unternehmen wie den „D-Day“ zu realisieren. Die Herausforderung ist enorm; noch niemals ist eine Invasion dieser Größenordnung geplant worden.

Die größten Gefahrenquellen sind Ort und Datum ihres Stattfindens, da dies den Deutschen die Gelegenheit für Gegenmaßnahmen gäbe. Also muss die Invasion geheim gehalten werden. Unter strengsten Sicherheitsmaßnahmen werden in England alliierte Soldaten für den großen Tag ausgebildet. Agenten spielen den Deutschen gefälschte Nachrichten zu. Überall im Land werden Flugzeug- und Panzerattrappen aufgebaut. In Frankreich bereitet sich der Widerstand – die |Résistance| – darauf vor, durch Sabotage ihren Teil zur Invasion beizutragen.

Unendlich viele Pannen und Katastrophen später ist es am 6. Juni 1944 soweit: Die Invasionsflotte setzt über den Kanal und geht an fünf Stränden an Land. Der „längste Tag“ hat begonnen – sein Ausgang entscheidet über den Ausgang des II. Weltkriegs!

Nun, wir wissen, wie es ausgegangen ist. Liest man freilich Bücher wie dieses, kann man sich schon ein wenig darüber wundern. Mit bemerkenswerter Offenheit schildert der Autor die Geschichte eines Unternehmens, das sich durchaus als Kette menschlichen Versagens und unglücklicher Zufälle deuten lässt. Andererseits wird genauso deutlich, dass es anders wohl gar nicht kommen konnte. Ein Unternehmen wie die Invasion der Normandie war gewaltig, nie zuvor da gewesen, dazu abhängig von deprimierend vielen Faktoren.

Das wurde von der Geschichtsschreibung lange verschwiegen bzw. nicht gerade betont. Wer beispielsweise das Filmepos „The Longest Day“ (1961, dt. „Der längste Tag“) verfolgt, erlebt eine Invasion, die zwar organisatorisch komplex und leichenreich, aber grundsätzlich generalstabsmäßig abläuft.

So war es nicht, und es war höchste Zeit, diese Tatsache in die Darstellung einzubeziehen. Dies gilt um so mehr, als die Zeitzeugen, die es am besten wissen, allmählich knapp werden, um es salopp auszudrücken: Der 60. Jahrestag des „D-Days“ war wohl der letzte „runde“ Jubiläum, an dem Veteranen in nennenswerter Zahl teilgenommen haben – ihre Lebenszeit beginnt abzulaufen. Mit ihnen sterben die unmittelbaren Erinnerungsträger, die ein historisches Ereignis den Nachgeborenen noch nahe bringen können. Quellen und Fotos in allen Ehren: Ein Mensch, der dabei war, wird auch den Laien in seinen Bann ziehen können.

Besagter Jahrestag war auch der Anlass für die BBC, eine TV-Dokumentation zur Invasion zu drehen. Wie das meist üblich ist für diesen Sender, scheute man weder Kosten noch Mühen, arbeitete mit Historikern, Kriegsveteranen aller beteiligten Armeen und fähigen Filmemachern zusammen. Das Ergebnis ist Geschichte auf angelsächsische Art: umfassend und ausgewogen, aber gleichzeitig unterhaltsam und leicht verständlich. Dieselbe Qualität besitzt der Textbildband von Dan Parry, der an der Fernsehproduktion mitgearbeitet hat und auf dieses Material zugreifen konnte.

192 Seiten nur ist sein Werk stark, wobei der Anteil der Abbildungen beträchtlich ist. Der Spezialist wird diverse Details womöglich vermissen, doch der historische Laie darf sicher sein, die komplexe Geschichte der Invasion in der Normandie nach der Lektüre verstanden zu haben, ohne auf niedrigem Niveau mit Teilwissen abgespeist zu werden.

Wobei Parry den „D-Day“ schon mit seinen Vorbereitungen beginnen lässt. Die Vorgeschichte ist mindestens ebenso interessant wie das eigentliche Geschehen. Niemals zuvor war ein solches Unternehmen geplant und realisiert worden. Wieso eine Invasion dieses Umfang überhaupt nötig wurde, verdeutlicht Parry durch eine knappe, aber ausreichende Status-Quo-Schilderung der Kriegssituation in Europa.

Was in Deutschland, Frankreich und England 1944 vor sich ging, betrachtet Parry bevorzugt durch die Augen der Beteiligten. Soldaten, Seeleute, Widerstandskämpfer, Zivilisten – sie alle haben etwas zu erzählen. Wir lernen sie kennen, zumal Parry sie uns mit Bild und Kurzvita vorstellt. Der Krieg bekommt ein „Gesicht“ – und wir lernen, dass er in der Tat von Menschen geführt wurde – auf allen Seiten: Die bemerkenswert wertfreie Sicht auf die deutschen Aggressoren kündet von dem Bemühen einer objektiven Geschichtsschreibung; die traurigen Fakten sprechen ohnehin für sich.

Trotz des nur begrenzten Raumes ist stets Raum für Episoden und sogar Anekdoten. Viel bisher Geheimes oder in den Archiven Verschüttetes kam ans Tageslicht. Wer hat zuvor von dem dramatischen Zwischenfall einer völlig schief gelaufenen Landungsübung gehört, die schon vor dem „D-Day“ mehr als 700 Soldaten das Leben kostete? Oder wer kennt den Meisterspion „Garbo“, der scheinbar für die Deutschen arbeitete, diese tatsächlich jedoch als Doppelagent mit getürkten Depeschen an der Nase herumführte und zu den unbesungenen Helden des II. Weltkriegs gehört?

Im Mittelteil schildert Parry das eigentliche Kampfgeschehen an den Stränden der Normandie – eine schwierige Aufgabe, da es dort lange Zeit drunter und drüber ging. Auch hier kann der Verfasser einzigartige Bilddokumente präsentieren. Der weltberühmte Kriegsberichterstatter Robert Capa und andere unerschrockene Reporter zogen mit den Soldaten in den Krieg; was sie erlebten und im Bild festhielten, wird sich jede/r vorstellen können, der die erste halbe Stunde von Stephen Spielbergs Kriegsepos „Der Soldat James Ryan“ gesehen hat.

Auch nach dem „D-Day“ ging der Krieg weiter. Parry skizziert diese Fortsetzung auf der Basis der Invasion. Es wird deutlich, dass dies – nach Stalingrad – wirklich jene Schlacht war, die das Finale einläutete. Für viele Teilnehmer ist sie niemals zu Ende gegangen. In einem ungewöhnlichen Kapitel erzählt Parry die Lebensgeschichten jener Männer und Frauen, die den 6. Juni 1944 überlebten. Sie sind nicht selten vor ihrer Zeit gestorben oder blieben an Leib und Seele gezeichnet. Andererseits haben sich genau diese Männer, die einst aufeinander schossen, im Alter oft zusammengefunden und angefreundet; Parry lässt sie selbst erklären, wie so etwas möglich ist.

„D-Day: 6.6.44“ ist als Sachbuch ein gelungener Einstieg in ein zentrales Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte. Gestaltung und Inhalt sind ausgelegt, auch den historischen Laien zu locken. Diese Taktik ist völlig legitim, zumal sie hier den Fakten jederzeit Gerechtigkeit widerfahren lässt. Nur selten schießt Parry über das Ziel hinaus. So wirken die Bilder aus der TV-Rekonstruktion des „D-Days“ jederzeit deplatziert zwischen den authentischen Fotos, von denen man sich mehr gewünscht hätte. Auch die Info-Boxen, die in Layout und Schriftbild zeitgenössischen Telegrammen, Tagesbefehlen und anderen Dokumenten nachempfunden wurden, sind Geschmackssache. Das sind freilich nur marginale Einwände gegen ein ansonsten empfehlenswertes Sachbuch.

Picciotto, Richard – Paisner, Daniel – Unter Einsatz meines Lebens. Ein New Yorker Feuerwehrmann im World Trade Center

Es ist ein Arbeitstag wie so viele andere im Berufsleben des Feuerwehrmanns Richard Picciotto. In 28 Jahren hat er sich bis zum Battalion Commander des FDNY (Fire Department of New York) Battalion 11 empor gearbeitet – ein hoher Posten mit viel Verantwortung, der dem „Chief“ jedoch die Möglichkeit bietet, gemeinsam mit seinen Männern vor Ort Brände zu bekämpfen.

Dieser 11. September 2001 führt Picciotto und seine Gefährten in das „ganz Große“, jenes gefürchtete, halb mythische Feuer, dem sie womöglich nicht gewachsen sind: Terroristen haben eine Verkehrsmaschine in den Südturm des „World Trade Center“-Komplexes gelenkt. Das mehr als 400 Meter hohe Gebäude steht in Flammen. Kurze Zeit darauf rammt ein weiteres Flugzeug den Nordturm.

Aus ganz Manhattan, dann aus ganz New York eilen Feuerwehrleute an den Ort des Geschehens. Auch Battalion 11 ist, obwohl eigentlich nicht zuständig, zur Stelle. Picciotto stürmt mit seinen Männern in den Nordturm. Apokalyptische Szenen spielen sich hier ab, die Menschen oberhalb der Feuergrenze sind verloren. Unterhalb macht die Räumung Fortschritte, als der Nordturm einstürzt.

Die Feuerwehrleute wissen nun, dass auch sie in Lebensgefahr schweben. In Windeseile beginnen sie den Nordturm zu evakuieren, als das Befürchtete eintritt und auch dieser in sich zusammenbricht. Noch immer sind überall Feuerwehrleute im Gebäude. Auch Picciotto und einige Kollegen geraten in den Sog des Untergangs.

Wie durch ein Wunder werden sie bei dem Einsturz nicht zermalmt wie 343 andere Feuerwehrleute, sondern in einen Treppenhaus-Hohlraum gewirbelt. Unter dem Schuttberg des gigantischen Nordturm finden sie sich lebendig begraben wieder. In dem Chaos nach dem Inferno ist die Angst berechtigt, dass niemand sie finden oder auch nur suchen wird. Also beginnen die geschockten, verletzten Überlebenden, verzweifelt nach einem Ausweg zu suchen …

Eine Gruppe gut ausgebildeter, erfahrener Profis gerät in eine Krise, die sie in völlige Hilflosigkeit stürzt: Das ist eine Geschichte, die es zweifellos wert ist erzählt zu werden. Zwar wurde uns über den Terroranschlag auf die „Twin Towers“ in den vergangenen Jahren mehr als genug Lesestoff geboten. „Unter Einsatz meines Lebens“ bietet jedoch in doppelter Hinsicht eine ungewöhnliche Perspektive: Zum einen schrieb dieses Buch ein Mann, der buchstäblich „vor Ort“ war und dessen Erfahrungen unmittelbar sind. Zum anderen entstand Picciottos Bericht kaum drei Monate nach den Ereignissen, die hier noch „frisch“ und weitgehend ohne den Filter nachträglicher Interpretation rekonstruiert werden.

Richard Picciotto ist kein Schriftsteller; er spricht es selbst immer wieder an. Das hat seine Vorteile, weil er so schreibt, wie er vermutlich auch seine Einsatzberichte als Feuerwehrmann verfasst: nüchtern, den Blick auf Abläufe gerichtet, die minutiös beschrieben werden. (Um die Lesbarkeit des Ergebnisses zu garantieren, wurde mit Daniel Paisner ein Profi als Co-Autor engagiert.) Weil er nach knapp drei Jahrzehnten seinen Job in- und auswendig kennt, gibt es viele interessante Fakten und Interna über die militärähnlich strukturierte New Yorker Feuerwehr zu erfahren.

Weniger sachlich bzw. fachbezogen sind Picciottos Erinnerungen an den 11. September 2001. Schock und Stress trüben verständlicherweise das Bild, doch seine Schilderungen sind trotzdem von großer Bedeutung: Es gibt kaum Zeugen, die sich bis zuletzt in den beiden Türmen aufhielten und dies überlebten, um dann darüber berichten zu können.

Sehr anschaulich und fesselnd beschreibt Picciotto die Mischung aus Professionalität und Todesangst, die ihn wechselweise „funktionieren“ ließ und dann wieder lähmte. Als Leser fragt man sich natürlich, wie man selbst in einer solchen Situation reagieren würde. Picciotto macht deutlich, dass jede Vorstellungskraft versagen kann. Ständig erinnert er sich an sein Unvermögen, den Umfang der Katastrophe tatsächlich zu begreifen. Mitten in New York hielt er sich auf und kam sich doch vor wie gestrandet auf einem fremden Planeten. Wie Picciotto es in Worte fasst, glaubt man ihm das.

Bewusst beschränkt sich der Verfasser darauf, von „seinem“ 11. September 2001 zu berichten. Wie gesagt entstand „Unter Einsatz meines Lebens“ nur kurze Zeit später. Über die Hintergründe der Untat war da noch nicht viel bekannt. Um diese geht es auch gar nicht in Picciottos Buch. Er bedient diejenigen Leser, die es drängt, dem Unglück ein „Gesicht“ zu geben. So monumental war die Katastrophe jenes Septembertags, dass eines manchmal in Vergessenheit gerät: Jedes Opfer war ein Individuum, nicht nur Beiwerk eines schrecklichen Spektakels.

Ein lesenswertes Buch und auf seine Weise keinen „literarischen Schnellschuss“ auf der Jagd nach dem raschen Dollar hat Picciotto also verfasst. Einwände lassen sich dennoch gegen dieses Werk erheben. Aber „darf“ man das denn überhaupt? Gilt es nicht ehrfürchtig zu schweigen, wenn ein echter Held davon erzählt, wie er und seine Kumpels ihren „Job“ taten und dabei nicht nur an sich selbst, sondern vor allem an die ihnen zur Rettung anvertrauten Mitbürger dachten? „Sie nennen uns Helden, aber wir tun nur unsere Arbeit.“ – statt einer Widmung leitet dieses Zitat das Buch ein; derartig zur Schau gestellte Bescheidenheit kann durchaus als Koketterie ausgelegt werden. Am 11. September taten die Feuerwehrleute von New York weit mehr als ihre „Arbeit“.

Weiterhin berichtet der Autor vom Ende des World Trade Centers, jenes Gebäudekomplexes, der nach einem hochkriminellen Akt unentschuldbaren Terrors in Trümmer fiel und dessen „Ground Zero“ in einem zweiten Schritt – hier betreten wir den unsicheren Boden zwischen Sachlichkeit und wogenden Gefühlen – zur nationalen Weihestätte erhoben wurde.

Viel Schindluder wurde seither bekanntlich mit „11/9/2001“ getrieben. Jene, die trotz des Schocks zu Mäßigung bzw. Nachdenken rieten, wurden niedergeschrieen oder als „Landesverräter“ eingeschüchtert. Zusammen mit der Ungeheuerlichkeit des Geschehens entwickelte sich eine Art Reflex, der bei der Nennung von Reizworten wie „World Trade Center“ oder „Ground Zero“ zu bestimmten Reaktionen zwingt. Dazu gehört die Unterdrückung kritischer Fragen. „Unter Einsatz meines Lebens“ ist kein Produkt, sondern ein Bestandteil dieser Entwicklung. Als Picciotto schrieb, formierten sich die Fronten erst. Wir hören einen noch nicht indoktrinierten „WTC“-Zeugen. Das macht seine Worte besonders wertvoll.

Obwohl sich Picciotto um Sachlichkeit bemüht, misslingt es ihm – aber es misslingt ihm interessant bzw. viel sagend. Da ist auf der einen Seite das Zusammengehörigkeitsgefühl der Feuerwehrleute – sehr leicht nachvollziehbar, weil diese regelmäßig in Situationen geraten, die es lebenswichtig erscheinen lassen, sich auf die Kollegen verlassen zu können. Dieser Teamgeist wird indessen von Picciotto geradezu hollywoodlike überhöht. Eine New Yorker Feuerwache funktioniert wie ein Uhrwerk, der Vorgesetzte ist Kumpel, aber doch immer geachteter Chef. Feuerwehrleuten sind harte Jungs mit goldenen Herzen, die in ihrer Wache wohnen, schon Stunden vor dem Dienst dort erscheinen, eigentlich nur nach Hause fahren, um dort ihren Familien liebevoller Ehegatte und Vater zu sein, und sich auf jedes Feuer stürzen wie einst die US-Kavallerie auf widerspenstige Rothäute.

So geht es recht märchenhaft immer weiter. Picciotto übertreibt es völlig unnötig, denn die Taten der New Yorker Feuerwehrleute während des „World Trade Center“-Brandes sprechen eindeutig für sich und sie. Deshalb muss man wohl davon ausgehen, dass die Verklärung Absicht ist.

Mit Kritik hält sich Picciotto dagegen lange und überhaupt zurück. Man muss schon genau lesen, um zu erfahren, dass doch nicht alles Gold ist im US-Feuerwehr-Imperium. Die Männer sind schlecht bezahlt und unzureichend ausgerüstet, ihre Einsatzkoordination ist mangelhaft. Aber auch hier stützt sich Picciotto auf simple Schwarz/Weiß-Bilder: Während „an der Front“, d. h. in den Wachen und auf der Leiter, trotz aller Schwierigkeiten perfekte Arbeit geleistet wird, sitzt der „Feind“ – die Bürokratie – weit ab von jedem Feuer am Schreibtisch und zählt ohne Wissen und Verstand Erbsen, statt Entschlossenheit zu zeigen und die Geldbörse zu zücken. Wen präzise er damit meint, verrät uns Picciotto leider nicht; sein Mut reicht zwar aus, sich in ein brennendes Gebäude zu stürzen, aber mit der Stadtverwaltung legt er sich lieber nicht an.

So mischen sich mehr und mehr propagandistische Töne in Piciottos Schilderung. Er will mit seinem Bericht nicht nur informieren, sondern etwas erreichen: ein höheres Budget, mehr Entscheidungsfreiheit, weniger Gängelei. Das ist in Ordnung und wird zudem so offen und naiv vorgetragen, dass sich kein Leser manipuliert fühlen dürfte.

Dasselbe gilt für die unbeholfenen Patriotismen, die offenbar zur US-Mentalität gehören. Ein Feuer ist kein Feuer, sondern ein „Feind“, dessen unheilvolles Wirken Piciottos Mannen sehr persönlich nehmen. Lauter Individualisten verwandeln sich zu seiner Bekämpfung – und auch diese Bezeichnung ist hier ganz wörtlich zu nehmen – in ein Team, das alle an einem Strang ziehen lässt. Man kann das begeistertes Engagement nennen, man darf aber (ohne sich als europäischer Zyniker abqualifizieren zu lassen) auch leise Zweifel anmelden, ob dieses markig-idyllische Idealbild der Wirklichkeit entspricht.

Hoffmann, Arne – Lexikon der Tabubrüche, Das

Der sehr erfolgreiche Journalist Arne Hoffmann, der schon in vorherigen Büchern mit besonders Grenzen aufbrechenden Themen wie Sadomasochismus oder gar dem Sexismus durch Frauen Aufsehen erregte, legte 2003 ein Lexikon der zeitgenössischen Tabus vor. Wenn man sich die scheinbare sexuelle Freizügigkeit in den Medien unserer Gesellschaft ansieht, denken viele sicherlich, wir lebten eigentlich schon heute in „Sodom und Gomorra“ – aber dabei ist auch unsere jetzige Welt alles andere als tabulos, wie uns „Das Lexikon der Tabubrüche“ unterrichtet.

In seiner Einführung erklärt Hoffmann, was ein Tabu ist und woher der Begriff überhaupt stammt, welche Tabus es bei uns gab und wie sie sich immer mehr verschoben haben. Danach beginnt das spannende Lexikon von A – Z, wobei auch immens viele Fernsehserien und Filme aufgelistet werden. Vieles ist – um ein solches Lexikon zu füllen – natürlich eigentlich eher unwesentlich und harmlos. Erstaunlich finde ich, wie viel Aufmerksamkeit auf jede Andeutung von Homosexualität und lesbische Liebe in überzogen wirkender akribischer Weise in Film und Fernsehserie gelegt wird.

Wirklich interessant dagegen sind die vielen Verschiebungen gesellschaftlicher Ansichten, z. B. bei Sex mit Minderjährigen und Pädophilie, die in den 70er Jahren durchaus ausgewogen diskutiert werden konnten, als eine breite Bevölkerungsschicht noch für die völlige Abschaffung der Altersbegrenzungen eintrat, wogegen heute deutlich die Mehrheit Sex mit Kindern völlig verachtet. Im Großen und Ganzen wird Sex in jeder Art ansonsten fast komplett toleriert, auch extreme Gewaltdarstellungen im Kino. Die Realität solcher Behörden wie FSK und Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften – eine bundesdeutsche Absurdität, welche sich durch völlige Unqualifiziertheit und Zufallsbewertungen äußerst blamabel zu künstlerischer Freiheit und Verstümmelungen hervortut – wird letztlich zu Recht in Frage gestellt und ihre endgültige Abschaffung gefordert.

Aufschlussreich sind die Tabus, die heutzutage zu politischen Themen stattfinden. Angefangen mit dem Irak-Krieg und dem Anti-Amerikanismus bis hin zu den immer stärker auftretenden Distanzierungen und Skandalen wegen angeblichen Antisemitismus‘, wo z. B. die Möllemann-Affaire mit dessen Freitod endete und sein Widersacher, der in Frauenhandel und Prostitution verstrickte Michel Friedman, relativ ungeschoren aus den Skandalen herausgelangen konnte. Einige solcher Fälle mehr werden ausgiebig dargestellt. Sogar eine politische Diskussion wie eine mögliche rot-rote SPD-PDS-Regierung zählte zu den absoluten Tabus unserer Gesellschaft.

Natürlich haben auch Satanismus (und sein medienbekanntestes Beispiel, die Rudas), Vampirismus, Zoophilie, Kannibalismus (der Kannibalenmord per Internet) und Nekrophilie größere Beiträge innerhalb des Lexikons. Kannibalismus gibt es eigentlich kaum und wird kulturgeschichtlich relativ neutral bewertet, ohne völlig verurteilt zu werden. Auf mich persönlich schockierender wirken interessanterweise die beiden Beiträge zu Nekrophilie und zu Zoophilie, weil beide Artikel sich lesen wie eine praktische Anleitung zum Nachvollziehen. Ausführlich wird erklärt, wie man Leichenwürmer vermeidet – Nekrophilie geschieht viel häufiger als man annehmen würde – und auch eine ganze Reihe sodomistischer Ratschläge wird sehr konkret gegeben, welche Tiere auf welche Art zu nutzen sind und worauf genau geachtet werden müsste.

Das sind dann auch tatsächliche Highlights, wobei es verwundert, dass diese zu beschreiben erlaubt ist und das Tabubuch deswegen nicht schon selber indiziert wird. Aber das kann ja noch kommen. Natürlich ist die Auswahl, die ich in dieser Besprechung jetzt traf, sehr subjektiv hervorgehoben. Selbstverständlich wird jeder Leser seine eigenen ihn besonders interessierenden Beiträge finden. Ich bin der Ansicht, dass dies ein lohnenswertes Buch ist, in das man immer wieder hineinschauen wird und aus dem man sich sicherlich auch dieses Buch oder jenen Film, die dort erwähnt werden, unbedingt mal besorgen wird.

Verlagsinformation zum Autor: |Tabubrüche sind ein Leitmotiv in den bisherigen Veröffentlichungen Arne Hoffmanns. Sie finden sich sowohl in SM-Erotika wie »FOX« (Marterpfahl-Verlag 2002) als auch in Sachbüchern wie dem »Lexikon des Sadomasochismus« sowie dem jetzt schon berühmt-berüchtigten »Sind Frauen bessere Menschen?«, in dem er sich mit häuslicher und sexueller Gewalt durch weibliche Täter auseinandersetzte und den Feminismus demontierte (Schwarzkopf & Schwarzkopf und Lexikon Imprint Verlag, 2001).
Hoffmann ist nicht-praktizierender Bisexueller und wandte sich im Herbst 2001 einer Schauspielerkarriere zu, als deren erster Höhepunkt er im Dorftheater seines Heimatortes die Titelrolle in »Warten auf Godot« verkörpern durfte. Wenige Monate später begann er seine Arbeit an einer Novelle, die zentrale Elemente von Shakespeares »Cardenio« sowie Büchners »Pietro Arentino« aufgreifen wird. Ostern 2002 ernannte sich Arne Hoffmann ex cathedra zum evangelischen Papst und gilt seitdem als unfehlbar. Versuchen Sie mal, ihn davon abzubringen … |

Speziell bei |wikipedia|: http://de.wikipedia.org/wiki/Sexualmoral

Ilya Zbarski / Samuel Hutchinson – Lenin und andere Leichen

Zbarski Lenin Cover kleinEin Leben im Dienst eines Toten

Nachdem im Jahre 1991 die Sowjetunion ihr Ende fand, haben viele Erinnerungen an die Jahre hinter dem „Eisernen Vorhang“ den Weg in die Buchläden gefunden. Darunter befinden sich wichtige historische Grundlagenwerke ebenso wie eher kuriose, dem Sensationellen verhaftete Elaborate, die auf den schnellen Rubel (besser aber Dollar) zielen.

„Lenin und andere Leichen“ tendiert mal in die eine, mal in die andere Richtung. Der Verfasser Ilya Zbarski ist grundsätzlich ein Mann der Wissenschaft, der auf seinem Spezialgebiet, der Biochemie, viel geleistet hat. Andererseits war er aber auch 18 Jahre Mitglied in einem Arbeitsteam, das sich unter Einsatz von Fachwissen und viel Geld sowie mit Leib und Seele einem bizarren Auftrag widmete. Ilya Zbarski / Samuel Hutchinson – Lenin und andere Leichen weiterlesen