Charles Sheffield – Feuerflut

2026 bringt eine Supernova die Apokalypse über die Menschheit. Wenige Überlebende rangeln um Restressourcen, während jene, die sich um globale Lösungen kümmern, von machtgierigen Egoisten sabotiert und verfolgt werden … – In epischer Breite entwirft Autor Sheffield das Bild einer „Post-Doomsday“-Erde, das naturwissenschaftlich korrekt aber inhaltlich erschreckend flach ist; Klischee-Figuren kämpfen sich durch Routine-Plagen, während der Leser gegen den Schlaf kämpft.

Das geschieht:

Im Jahre 2026 geht wieder einmal die Welt unter. Auslöser ist dieses Mal die Explosion einer Sonne im Sternsystem Alpha-Centauri. Supernova Alpha schießt einen gewaltigen elektromagnetischen Puls ins Weltall. Als der die Erde trifft, legt er sämtliche elektronischen Geräte lahm – ausnahmslos und dauerhaft. Da Versorgung, Transportwesen und Kommunikation zusammenbrechen, sterben die meisten Menschen. Um winzige Inseln des Überlebens, auf denen sich Nahrungs- und Treibstoffressourcen erhalten haben, wird gekämpft. Eine Epoche der Barbarei bricht an, die anhand dreier exemplarischer Handlungsstränge illustriert wird:

– US-Präsident Saul Steinmetz stemmt sich gegen die Anarchie, die das Land in die Knie zu zwingen droht. Wie sich herausstellt, ließen sich die schlimmsten Schäden beheben. Dies würde Zeit kosten, die dem Präsidenten jene nicht gewähren wollen, die den Umbruch nutzen wollen, um die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben und sich dabei wenig um Fairness oder gar Gesetze scheren.

– Das Raumschiff „Schiaparelli“ hat den Nachbarplaneten Mars erreicht, wo die siebenköpfige Besatzung nun auf sich gestellt ist. Ohne Hilfe ist an eine Rückkehr zur Erde nicht zu denken. Aber an Bord der „Schiaparelli“ befinden sich einige der klügsten Köpfe der Welt, und diese denken nicht daran, sich in ihr Schicksal zu fügen.

– Art Ferrand, Dana Berlitz und Seth Parsigian repräsentieren den durchschnittlichen US-Bürger, der sich in der Not auf alte Tugenden besinnt. Warm, satt & gut bewaffnet könnten sie in ihren Berghütten fernab der sündigen Großstädte auf bessere Zeiten warten, hätte ihnen Mutter Natur nicht einen bösen Streich gespielt: Art, Dana und Seth sind schwer an Krebs erkrankt. Eine Expedition zu jener Klinik, in der dem Trio bisher geholfen wurde, endet in einer Trümmerwüste. Doch da ist der geheimnisumwitterte Erfinder der Therapie, der womöglich einen Weg aus der Misere weiß. Dr. Oliver Guest könnte die Katastrophe sogar überlebt hat, hält er sich doch an einem denkbar sicheren Ort auf – in der Haftanstalt Q-5, wo er als 18-facher Kindermörder eine lebenslange Schlafstrafe verbüßt. Umgehend machen sich Art, Dana und Seth in diese Richtung auf …

Seitenstark geht die Welt zugrunde

Das klingt alles ziemlich vertraut, liebe Leser? Tja, genauso ist es auch: In Literatur und Film verläuft der Weltuntergang seit jeher nach festen Regeln, Charles Sheffield bemüht sich redlich, sie um kein Jota zu übertreten. Der große Knall fegt also die dünne Tünche der menschlichen Zivilisation hinweg, lässt nur die Tüchtigen überleben und führt zurück in die guten, alten Pionier- und Trapper-Tage, als Männer (und ein paar Frauen) von echtem Schrot und Korn und keine Wall Street-Yuppies oder Silicon Valley-Nerds das Sagen hatten. Weil die Welt bekanntlich groß ist, wird der Jüngste Tag auf Einzelschicksale heruntergebrochen. Das gibt jeder „Post-Doomsday“-Saga etwas Episodisches, erklärt aber die für dieses Genre typische Dickleibigkeit der entsprechenden Romane.

„Feuerflut“ entspricht inhaltlich wie formal dem gerade skizzierten Bild bis ins Detail – leider. Wenn man alle Weltuntergangs-Geschichten kennt, obwohl man nur eine gelesen hat, wünscht man sich schon ein wenig Abwechslung. Die bleibt jedoch aus. Stattdessen setzt Autor Sheffield eine Menge Energie ein, um sein Werk unter Berücksichtigung vieler Klischees möglichst stromlinienförmig und genrekonform zu gestalten.

Da Sheffield ein routinierter Erzähler ist, liefert er keinen wirklich schlechten Roman ab. Über weite Passagen liest sich „Feuerflut“ durchaus spannend, auch wenn die Handlung jederzeit überraschungsfrei bleibt. Tatsächlich ist die Einführung und vor allem das Überleben einer Figur, die als psychopathischer Kindesmörder ihr Unwesen treibt, die einzige Novität, mit der Sheffield aufwarten kann. Dass nach fast 700 Seiten nur dieses Detail im Gedächtnis haftet, sagt viel über die Qualität von „Feuerflut“ aus.

Helden und Schurken mit gemeinsamer Eigenschaft: flach

Ansonsten tummeln sich auf dem Papier die üblichen Verdächtigen: Helden und Retter, stramme Militärs, intellektuell fragwürdige Survivalisten, Schieber und Schmuggler, durchgeknallte Sektierer usw. Über allen weht das Sternenbanner, erklingt immer wieder (wenn auch nur vor dem geistigen Ohr) jene trommelwirbelnde Patrioten-Musik, mit der Hollywood geistig schlicht gestrickten bzw. US-affinen Kinobesuchern ebenso kalkuliert wie unfehlbar die Tränen der Rührung und des Stolzes in die Augen treibt.

Was uns direkt zu den Figuren unseres Dramas bringt. „Feuerflut“ beschreibt weniger die Apokalypse der Welt als die der Vereinigten Staaten von Amerika. Warum auch nicht? Dort kennt der Autor sich aus. Leider geht diese Fokussierung einher mit einer völligen Trivialisierung der Charaktere, die Sheffield zu Archetypen stilisiert. „Feuerflut“ ist trotz seines Umfangs und seiner (selbst formulierten) Ambitionen keine ‚große‘ Literatur, sondern pure und keineswegs qualitätvolle Unterhaltung; das Äquivalent zum dreist gepushten „TV-Ereignis der Woche“ oder ein maßlos aufgeblasener Heftroman oft an der Grenze zum Trash.

Ärgerlich ist dabei der ebenso plakative wie platte Symbolismus’, über den ein Schriftsteller-Profi wie Charles Sheffield eigentlich erhaben sein sollte. Art, Dana und Seth lassen sich charakterlich bereits an den Namen identifizieren: der brave Mann, das Weibchen und der Bösewicht. Saul Steinmetz ist weniger der „erste jüdische Präsident der USA“, sondern Jesus Christus II., viel zu gut für diese Welt und doch bemüht, ihr trotz permanenten Undanks das Heil zu bringen. Die „Schiaparelli“-Crew rekrutiert sich aus der Isaac-Asimov-Akademie für angewandte Banalität. Da haben wir u. a. die schöne/kluge Anführerin (Sheffields ziemlich missglückter Tribut an die emanzipierte Moderne), den nervenschwachen Verräter, den rational-kaltherzigen Technokraten und selbstverständlich das übliche, profillos bleibende Kanonenfutter, das hier herzergreifend in der Erdatmosphäre verglühen darf, damit das Überleben der Hauptdarsteller umso dramatischer wirkt.

Schlinger-SF mit Seifenoper-Spritzern

Thematisch konnte sich Sheffield nie zwischen einem Drama und ‚richtigen‘ Science Fiction-Roman entscheiden. Das Ergebnis ist eine halbherzige Mischung, wobei die SF-Elemente reichlich aufgesetzt wirken: So sinnieren die schlauen Köpfe um den Präsidenten darüber nach, ob womöglich böse Außerirdische für die so schwer erklärbare Supernova verantwortlich sind. Außerdem wird schon über den Bau einer gigantischen Partikelfalle im Weltall nachgedacht, mit deren Hilfe in recht naher Zukunft die zweite Welle der Nova-Strahlung abgefangen werden soll. Ansonsten unterscheidet sich die Welt von 2026 wenig von der unserer aktuellen Gegenwart, und damit liegt Sheffield wohl richtig.

Man sollte meinen, dass ein Roman dieser Seitenstärke seine Geschichte zu einem zufriedenstellenden Ende bringt. Bedauerlicherweise betrachtet Sheffield sein Werk nur als Auftakt zu einer ganzen Serie von Feuerfluten; er bricht quasi mitten im Wort ab und setzt auf den Cliffhanger-Effekt. „Starfire“, die direkte Fortsetzung, erschien in den USA bereits ein Jahr nach „Feuerflut“. Hierzulande als „Sternenfeuer“ durchaus angekündigt, blieb die Veröffentlichung aus. Man liegt sicherlich richtig, wenn man davon ausgeht, dass dem deutschen Publikum nach „Feuerflut“ der Appetit vergangen war.

Autor

Charles Sheffield wurde am 25. Juni 1935 in England geboren. Er studierte Mathematik und Physik an der Universität Cambridge, übersiedelte Mitte der 1960er Jahre in die USA und setzte sein Studium an American University in Washington fort, das er als Doktor der (Theoretischen) Physik abschloss. Er arbeitete u. a. für die NASA, als Gutachter für das US-Parlament und den Senat, als Dozent am „American Institute of Aeronautics und Astronautics“ und für die „Earth Satellite Corporation“, wo er es bis zum Vorstandsmitglied brachte.

Seit Anfang der 1960er Jahre veröffentlichte Sheffield eine lange Reihe (populär-) wissenschaftlicher Artikel sowie diverse Sachbücher. Als Larry Niven 1970 sein Meisterwerk „Ringworld“ (dt. „Ringwelt“) veröffentlichte, fühlte sich Sheffield von der Mischung aus Unterhaltung und harten, auf naturwissenschaftlicher Basis extrapolierten Fakten so stark angesprochen, dass er sich selbst als Autor versuchte. 1977 debütierte er mit der Kurzgeschichte „What Songs the Sirens Sang“. Weitere Storys folgten, und schon 1978 folgte ein erster Roman: „Sight of Proteus“, eigentlich eine Folge durch einen roten Faden thematisch verknüpfter Erzählungen, dem der Verfasser zwei weitere Teile folgen ließ. Sheffield beschrieb eine zukünftige Welt, deren Bewohner sich ihre Körper biotechnisch ‚aufrüsten‘ und ‚verbessern‘ lassen, was eine tiefe gesellschaftliche Kluft zwischen den ‚Normalen‘ und den ‚Veränderten‘ aufreißt. Für einen Naturwissenschaftlicher und Vertreter der „harten“ Science Fiction legte Sheffield stets großen Wert auf die Darstellung der sozialen und kulturellen Konsequenzen jener zukünftigen Fortschritte, deren möglichen Kehrseiten er nie verschweigen mochte.

Ende der 1980er Jahre stieg Sheffields literarische Produktion beträchtlich. Als Schriftsteller zunehmend erfolgreich, hatte er sich entschlossen hauptberuflich zu schreiben. In den nächsten anderthalb Jahrzehnten gewann er die meisten wichtigen SF-Preise. Von 1984 bis 1986 amtierte er als Präsident der Science Fiction Writers of America. 1998 heiratete er Nancy Kress (geb. 1948), selbst eine bekannte SF-Autorin. Im Sommer des Jahres 2002 wurde bei Charles Sheffield ein nicht mehr operabler Gehirntumor diagnostiziert, dem er bereits am 2. November desselben Jahres im Alter von 67 Jahren erlag.

Taschenbuch: 671 Seiten
Originaltitel: Aftermath (New York : Bantam Books 1998)
Übersetzung: Christine Strüh
Cover: Paul Youll
www.randomhouse.de/heyne

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