Suzy McKee Charnas – Alldera und die Amazonen (Motherlines 2)

Wege zu einer feministischen Utopie

Dieser Post-Holocaust-Roman ist ein weiteres Experiment in Sachen alternativer Geschichte aus feministischer Sicht – eine Tradition, die Ursula K. LeGuin („Winterplanet“) und Joanna Russ („Planet der Frauen“) in den Siebzigern begannen. „Alldera“ ist die Fortsetzung von „Tochter der Apokalypse“ („Walk to the End of the World“, 1974) und erweckt den Eindruck, es handele sich um den Mittelteil einer Trilogie, von welcher der dritte Band nie geschrieben wurde. Doch keine Angst: Auch so liest sich „Alldera“ spannend, interessant und unterhaltsam. Das Buch wird jedoch die (meist) männlichen Erwartungen nach Action und Kampf nicht erfüllen.

Die Autorin

Suzy McKee Charnas, geboren 1939, war zunächst Lehrerin und lebt heute als Schriftstellerin in Albuquerque. Sie machte 1974 mit „Walk to the End of the World“ auf sich aufmerksam und schrieb 1978 die Fortsetzung „Motherlines“. 1980 veröffentlichte sie den enorm erfolgreichen Roman „The Vampire Tapestry“ („Der Vampir-Baldachin“, Knaur). Die Kurzgeschichte „Unicorn Tapestry“, auf welcher der Roman beruht, gewann 1980 den Nebula Award.

1986 erschien die Geistergeschichte „Dorothea Dreams“, in der sie die Protagonistin das revolutionäre Frankreich des 18. Jahrhunderts erleben lässt. 1985 bis 1989 erschien die „Sorcery Hill“-Trilogie. Die Jugendfantasy besteht aus den Bänden „The Bronze King“ (1985), „The Silver Glove“ (1988) und „The Golden Thread“ (1989).

1) Walk to the End of the World (1974, „Tochter der Apokalypse“)
2) Motherlines (1978, „Alldera und die Amazonen“)
3) The Furies (1994, unübersetzt)
4) The Conqueror’s Child (1999, unübersetzt)

Handlung

Nach der großen Verheerung hat sich (auf dem amerikanischen Kontinent) eine neue Gesellschaft gebildet: Die Männer haben die Kontrolle und die Frauen keinerlei Rechte – das ist das Setting in „Tochter der Apokalypse“. In der Festung Haltfeste, einer der wenigen verbliebenen Menschensiedlungen, fristen die „Weiber“ ein trostloses Sklavendasein. Doch Alldera ist es gelungen, sich Intelligenz und den Willen nach einer besseren Zukunft zu erhalten. Unterwegs mit einer kleinen Reisegruppe, überwindet sie eine Reihe von Gefahren. Doch wirklich gefährlich wird es erst dann, als sie ihre Chance nützt und flieht.

Anfang des zweiten Bandes: Alldera schlägt sich durch die Wild- und Ödnis, trifft monatelang keine Menschenseele – und ist schwanger. Sie ist fast verhungert, als sie auf seltsame Spuren stößt. Zu erschöpft fast, sich zu fürchten, wird ihr klar, dass sie die Freien Frauen gefunden hat – die Legende, die ihr bislang Mut eingeflößt hatte, ist also wahr.

Die freien Reiterfrauen ziehen mit ihren Pferdeherden von Weide zu Weide, leben von Jagen und Sammeln und kommen völlig ohne Männer aus. Dennoch sieht Alldera eine Menge Kinder. Sie erlebt eine neue Welt der Fürsorge und Zuwendung, nachdem sie in einen der Clans aufgenommen worden ist – aber auch Auseinandersetzungen und Machtkämpfe, nicht nur mit anderen Stämmen.

Als sie sich von den Fortpfanzungsgewohnheiten der Freien Frauen abgestoßen fühlt, schließt sie sich einer weiteren Gruppe unabhängiger Frauen an. Diese sind jedoch im Gegensatz zu den Freien Frauen ehemalige „Weiber“ der Feste, mit einem eigenen Lebensstil, der von einer Hierarchie geprägt ist, an deren Spitze eine fette Ausbeuterin steht. Alldera, die am untersten Ende der Hühnerleiter-Hackordnung steht, wird ausgenutzt und misshandelt. Sie flieht.

Bei einer fahrenden Händlerin erholt sie sich von ihren Wunden, fängt Pferde ein und reitet sie zu. Kurzum: Sie gründet ihren eigenen Clan, dem sich weitere entflohene „Weiber“ anschließen. Sie schließt sich wieder den Freien Frauen an, die mit den „Weibern“ so ihre Mühe haben: Sie stehlen und haben ganz andere Moralbegriffe. Allderas Tochter muss sich für einen der beiden Clans entscheiden.

Mein Eindruck

Der „Motherlines“-Zyklus ist inzwischen ein klassisches Beispiel für die Ablehnung und Überwindung eines männlich-chauvinistisch geprägten Gesellschaftsmodells. Während im ersten Roman das dystopische Bild einer Kultur der männlichen Unterdrücker gezeichnet wird, die sich an den „Weibern“ (fems) für ihr eigenes Versagen rächen, steht dem im zweiten Roman das Panorama mehrerer Modelle der feministischen Utopie ohne Männer gegenüber.

Doch erst Alldera verschmilzt die Kulturen der Freien Frauen – die Männer nicht kennen – und der entkommenen „Weiber“, die sich wiederum an den Männern rächen wollen, zu einer neuen Synthese zusammen. Dies bedeutet eine Überwindung des alten Gegensatzes zwischen den Geschlechtern. In „The Furies“ und „The Conqueror’s Child“ führte die Autorin diese Entwicklung mit den nächsten Generationen zu einem befriedigenden Abschluss.

Taschenbuch: 255 Seiten
Originaltitel: Motherlines, 1978
Aus dem US-Englischen von Thomas Ziegler
www.droemer-knaur.de