C. J. Cherryh – Pells Stern. Ein Alliance-Union-Roman (Pell 01)

Absprung ins Allianz-Union-Universum

Das 24. Jahrhundert: Die Raumstation im Orbit von Downbelow, einem Planeten des Sterns Pell, liegt als bislang neutraler Punkt zwischen den Einflusssphären der Erde und der Union, einer Föderation ehemaliger Kolonien der Erde. Pells Stern ist der Schlüsselpunkt im Konflikt des Einflussbereiches der Erde und ihrer Flotte einerseits und den rebellischen Unions-Kolonien andererseits. Pells Station ist der Schlüssel zum Verteidigungsgürtel der Erde und der Absprungpunkt eines irdischen Angriffs auf die Unions-Kolonien. Pell will in diesem Konflikt auf jeden Fall neutral bleiben, doch der Preis ist hoch.

Die Raumflotte der Erde unter der Führung Conrad Mazians besetzt die Station, um ein letztes Bollwerk gegen die heranrückende Flotte der Union zu bilden. Doch eine Erdflottenkapitänin wird von Gewissensbissen geplagt und desertiert, um mit Pells Station und der Händlervereinigung eine dritte Macht im Universum der Menschen zu bilden: die Allianz.

„Pells Stern“ („Downbelow Station“, 1981) ist eine überzeugende, detailliert geschilderte Vision von der Zukunft des Menschen, der Auftakt zu Cherryhs Schilderung des Allianz-Union-Universums und der Company-Kriege ab dem Jahr 2352 (siehe Liste unten). Das in jeder Hinsicht anspruchsvolle Buch gewann 1982 den |HUGO Award| als bester SF-Roman des Jahres. Mit „Pells Ruf“ („Finity’s End“) schrieb Cherryh 1997 eine indirekte Fortsetzung. Beide Romane erschienen bei |Heyne|.

Die Autorin

Caroline Janice Cherryh, geboren 1942 in St. Louis, ist von Haus aus Historikerin und lebt in Oklahoma. Sie erhielt schon 1980 ihren ersten Science-Fiction-Preis für ihre umwerfende Novelle „Kassandra“*. 1983 folgte der erste |HUGO Award| für „Pells Stern“, später ein weiterer für „Cyteen“. Beide Romane gehören zu ihrem Allianz-Union- bzw. PELL-Zyklus, der eine Future History darstellt, wie sie schon von anderen Größen des Science-Fiction-Feldes geschaffen wurde, darunter Robert A. Heinlein oder Isaac Asimov.

*: Die Story ist im Sammelband „The short fiction of C. J. Cherryh“ (Januar 2004) zu finden.

Wichtige Romane und Trilogien des Allianz-Union- bzw. PELL-Zyklus:

„Alliance Rising“ (unübersetzt): PELL 0 (Prequel)
„Downbelow Station“ („Pells Stern“): PELL 1
„Merchanter’s Luck“ („Kauffahrers Glück“)  PELL 2
„40.000 in Gehenna“ (dito): PELL 3
„Rimrunners“ („Yeager): PELL 4
„Heavy Time“ („Schwerkraftzeit“): PELL 5
„Hellburner“ („Höllenfeuer“): PELL 6
„Finity’s End“ („Pells Ruf“): PELL 7
„Tripoint“ (dito): PELL 8

„Cyteen“ (3 Romane im Sammelband „Geklont“)
„Serpent’s Reach“ („Der Biss der Schlange“)
„Cuckoo’s Egg“ („Das Kuckucksei“)
Die DUNCAN-Trilogie: „Die Sterbenden Sonnen“: „Kesrith“; „Shon’jir“; „Kutath“.
Der CHANUR-Zyklus: „Das Schiff der Chanur“; „Das Unternehmen der Chanur“; „Die Kif schlagen zurück“; „Die Heimkehr der Chanur“; „Chanurs Legat“.

Außerdem auf Buchwurm.org:

„Stein der Träume“
„Der Baum der Schwerter und Juwelen“
„Das Tor von Ivrel“

Hintergrund und Vorgeschichte des Alliance-Union-Universums

In „Pells Stern“ (PELL 1) schildert die Autorin, wie es zur Entstehung von Kauffahrer-Allianz und Kolonien-Union kam. Die Union besteht aus selbständig gewordenen Kolonien, die sich gegen die Flotte der Erde zur Wehr setzen, welche die |Earth Company| gegen die abtrünnigen Kolonien in Marsch gesetzt hat. Der Verlauf des Konflikts erinnert in bestimmten Merkmalen an den Unabhängigkeitskrieg der amerikanischen Kolonien gegen das Mutterland England.

2005 bis 2352 n. Chr.

Im 21. Jahrhundert hatte die Earth Company nur eine Station nach der anderen gebaut, die um andere Welten nach dem Vorbild der erdnahen |Sol Station| kreisten. Die einen großen Kreis fliegenden Frachter versorgten die Stationen mit Waren, die nur die Erde herstellen konnte, vor allem Lebensmittel. Sie lieferten dafür Rohstoffe, vor allem Erze. An den Profiten wurde die Company fett, satt und träge. Dann gewannen die Isolationisten großen Einfluss, die der Company den Einfluss neideten. In der Folge entfremdeten sich die Stationen von der Company, umso mehr, nachdem eine lebensfreundliche Welt entdeckt worden war: Pells Welt, die von den Stationsleuten „Downbelow“ genannt wird.

Mit Pell und seiner Station änderten sich die Regeln des Spiels. Denn nun konnten sich die Stationen selbst versorgen und waren nicht auf Nachschub von der Erde angewiesen. Einige schlossen sich zur „Union“ zusammen, insbesondere auf Betreiben der Regierung, die auf der neu entdeckten und autarken Welt Cyteen herrschte und Unmengen von Klonen herstellte, um die umliegenden Welten und Stationen zu bevölkern (man lese dazu die „Cyteen“-Trilogie). Pell gehört nicht zur Union und deshalb sehr begehrt – von allen Seiten. Hier regiert die Familie Konstantin: Angelo und und Alicia sowie ihre Söhne Damon und Emilio.

Die auf Pells Welt lebenden Fremdwesen, die sich „hisa“ nennen, sind friedliche Kreaturen auf der Stufe von intelligenten Primaten. Sie stellen keine Gefahr dar, und ein Vorarbeiter namens Bennett genießt ihr Vertrauen ebenso wie die Konstantins. Pells Welt lässt sich daher – bislang – leicht ausbeuten. Weil man auf Cyteen auch die Raumsprung-Technologie erfunden hatte, ließen sich die Reisezeiten von Jahren auf Monate, Wochen oder gar Tage reduzieren. Das Draußen rückte enger zusammen.

Die Earth Company sah nun ihre Felle davonschwimmen. Zuerst versuchte sie es mit Steuern, genau wie seinerzeit die Engländer des 18. Jahrhunderts. Und manche Stationen und Kauffahrer zahlten, doch andere, rebellischere, weigerten sich. Also baute die Earth Company eine Kriegsflotte. Die „America“, die „Europe“, die „Australia“ und die „Norway“ waren die größten ihrer Schlachtkreuzer, allesamt Sprungschiffe. Die erdnahen Stationen zahlten Steuern nun wie einen Tribut, doch die rebellische Union breitete sich immer weiter erdabgewandt aus und verweigerte die Zahlungen. So manches ungeschützte Ziel wurde abgeschossen.

Dann änderte sich die Erdpolitik abermals, und die Earth Company stellte die Unterstützung für ihre eigene Flotte ein: Sie war ihr zu teuer geworden. Der erneute Isolationismus zwang die Flotte, sich selbst zu versorgen, und aus 50 Schiffen wurden nur noch fünfzehn, die sich als Piraten betätigten. Nach einem ihrer Befehlshaber, Conrad Mazian, wurden sie Mazianni oder Mazianer genannt. Sie verbreiten Furcht und Schrecken, wo sie auftauchen.

Und nun hebt sich der Vorhang: Im Raum über Pells Station erscheint aus dem Nichts die |AS Norway| unter ihrer taffen Kommandantin Signy Mallory. Was will sie hier?

Handlung

Die Raumstation bei Pells Stern, der von den Stationsbewohnern nur „Downbelow“ genannt wird, befindet sich im Jahr 2352 zwischen den Frontlinien eines interstellaren Krieges – zwischen der Union der besiedelten Welten und der mächtigen Erdflotte, den Mazianni (siehe oben). Zunächst begehen keine Schlachtkreuzer Gewaltakte gegen die neutrale |Pells Station| der Konstantin-Familie. Stattdessen treibt ihr Krieg die Siedler auf vielen Stationen – Russell’s, Fargone, Pan-Paris – dazu, ihre kleine Welt zu verlassen und in Frachtschiffen nach Pells Station zu fliehen.

Die |AS Norway| eskortiert eine Reihe von Frachtern, die aber nicht wie sonst Waren nach Pell bringen, sondern Menschen: rund 7000 Flüchtlinge, die von den zerstörten Unions-Stationen Mariner und Russell’s geflohen sind. Die ersten sterben bereits, weil die Lebenserhaltungssysteme ausgefallen sind. Schiff um Schiff treffen Tausende von Flüchtlinge auf der Station ein. Kommandantin Signy Mallory bittet für die Flüchtlinge um Asyl auf Pells Station.

Die Station

Notgedrungen muss Stationvorsteher Damon Konstantin es gewähren. Er und seine schwangere Frau Elene Quen, eine frühere Kauffahrerin, leiten die riesige Station. Bislang konnten sie ihre politische Neutralität zwischen Earth Company und Rebellen-Union wahren. Doch was wird jetzt? Schon protestieren Sicherheitsvertreter der Company gegen den Flüchtlingskonvoi. Was fürchten sie?

Auf Pells Station herrschen die sozialen Regeln, welche der dominante Clan der Konstantins aufgestellt hat. Die Regeln sind für ein angenehmes und gewaltfreies Miteinander in relativem Wohlstand geschaffen und befolgt worden. Diese Bedingungen brechen unter dem Ansturm des Flüchtlingsstroms zusammen, doch zunächst sind die Konstantins zu blind oder zu sturköpfig, um ihre Regeln zu ändern.

Die Unterbringung von 7000 zusätzlichen Menschen auf einer vollbesetzten Station erweist sich als keine einfache Sache. Zwei komplette Sektoren (die auf der beigefügten Karte genau zu finden sind) müssen von ihren Bewohnern und Gästen geräumt werden; man nennt sie einfach Q für Quarantäne. Die angedockten Kauffahrer sollen auf ihre Schiffe zurückkehren.

Immer mehr Schiffe mit Flüchtlingen lassen Sektor Q bis zum Bersten anschwellen. Weitere Sektoren müssen freigeräumt werden, denn auch die Stationen Esperance und Pan-Paris wurden geräumt, so dass weitere Zehntausende von Flüchtlingen unterzubringen sind. Die Panik wird von Terroristengangs ausgenutzt und von den Sicherheitskräften der Station niedergeknüppelt. Bis schließlich Vassily Kressich gewählt wird, die Flüchtlinge in Q zu vertreten. Er wird im Stationsrat gehört, denn er war früher bereits Rat auf Russell’s Station.

Jon Lukas

Jon Lukas hat jahrelang die Operationen auf dem Planeten Downbelow (Pell) geleitet und ist nun endlich in Würde an Bord der Pell-Station aufgenommen worden. Der Stationsrat ruft Lukas auf die Station, um seine Ratschläge zu erhalten, wie man der Krise begegnen kann. Endlich werden seine Verdienste um Pell anerkannt und er darf im innersten Zirkel des Rates seinen Platz einnehmen. Er rät dazu, viele der Flüchtlinge auf den Planeten zu schaffen und sich dort einrichten zu lassen. Das würde die Station erheblich entlasten. Doch Vassily Kressich wendet ein, dass dies die Flüchtlinge komplett entwurzeln würde. Lukas sieht schwarz für die wachsweiche Politik des Konstantin-Clans, dem die Station gehört. Er ist ein Anhänger der harten Faust.

Jon Lukas hat noch ein Hühnchen mit den Konstantins zu rupfen. Sie schickten ihn drei Jahre lang in eine menschenfeindliche Umwelt, wo er die Bodenbasis für Pells Station errichten musste – eine Art Verbannung. Nun sieht er seine Chance gekommen. Je unangemessener die Stationsregeln werden, desto schlimmer werden Chaos und Gewalt in den beengten Quartieren des bewohnbaren Torus der Station, besonders aber in Q. Und hier gibt es nicht nur treue Allianz-Leute, sondern auch Unionsagenten mit einer geheimen Agenda.

Gleichzeitig aber schickt er einen seiner Männer zur Viking-Station, um dort seine Besitzungen zu retten und Leute zu rekrutieren, die ihm helfen sollen, wenn die Pell-Station den Bach runtergehen sollte – und das dürfte nicht mehr allzu lange dauern, denkt er. Außerdem hält er sich ein Hintertürchen offen: Er wartet still und leise darauf, dass die Konstantins den entscheidenden Fehler machen, der die Krise auf der Station zu einer Frage des Überlebens für alle verschärfen wird. Deshalb nimmt er auf der Viking-Station heimlich Kontakt mit der Union auf. Das ist natürlich Verrat.

Die Union

Lukas staunt nicht schlecht, als plötzlich ein Agent der Union in sein Büro spaziert. Dieser Mr. Jessad, offensichtlich ein Klon, will alles für die Invasion durch die anrückende Unionsflotte vorbereiten. Und da Lukas seine Zukunft bei der Union sieht, muss er den Mann beschützen, aber er hat nicht vor, sich in dessen Abhängigkeit zu begeben. Immerhin erfährt er von ihm, dass die Flotte der Union im Anflug auf Pell sei. Lukas bereitet die Erstürmung der Kommandozentrale vor. Was er seinen Männern nicht sagt: Er will Angelo Konstantin, seinen alten Feind, töten.

Mazians Flotte

Als Conrad Mazians Flotte von Schlachtschiffen der Earth Company unvermittelt im Pell-Sektor auftaucht, bleibt den Kommandanten der Pell-Station nichts anderes übrig als zu kooperieren. Die Schlachtschiffe dürfen andocken, die Kapitäne zu einer Konferenz an Bord von Mazians AS Europe zusammenkommen. Dort offenbart Mazians seinen Kollegen, dass die Earth Company sie verraten hat. Er hat einen Funkspruch von deren Vize erhalten, welcher der Flotte empfiehlt, sich der Union anzuschließen. Verrat! Mazian für seinen Teil hat nicht vor, dem Befehl Folge zu leisten, sondern will sich selbständig machen. Mallory von der Norway und alle anderen Kapitäne schließen sich ihm an. Doch wie soll sich die Flotte jetzt die Vorräte verschaffen, die sie braucht, um funktionstüchtig zu bleiben?

Die Antwort liegt direkt vor ihrer Nase: Pell und seine Station! Gegen die Proteste der Konstantins übernehmen die Mazianer die Kontrolle. Gleichzeitig schlägt Jon Lukas los und übernimmt die Kommandozentrale. In einer konzertierten, von der Union gestarteten Aktion entlässt Kressich die Flüchtlinge aus Sektor Q und verursacht damit ein heilloses Durcheinander. Menschen kommen. Damon und sein Freund Josh Talley kommen fast unter die Räder, können sich aber verstecken. Elene Quen, Damons schwangere Frau, kann sich auf einen der Frachter retten: Neiharts Finity’s End bringt Elene in Sicherheit. Für Damons Vater kommt jede Rettung zu spät, und dessen Frau Alicia ist so bettlägerig, dass sie keine Gefahr darzustellen scheint. Das ist ein Irrtum, der sich an Jon Lukas rächen wird.

Zeitgleich wird auch der Planet Downbelow übernommen, doch wo sind Emilio Konstantin und seine Arbeiter? Sie haben sich in Sicherheit gebracht und auf einem Versammlungsplatz der eingeborenen hisa zusammengefunden. Zehntausende von Wesen sitzen hier im Schatten von hisa-Statuen, und die Menschen sind von den hisa kaum zu unterscheiden. Dort werden sie allerdings leicht entdeckt. Emilio ergibt sich. Er weiß, dass man ihn nur als Arbeitskraft braucht. Und er weiß, wo die Ersatzteile für die Maschinen sind. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Seine Geliebte Miliko soll das Kommando übernehmen, während er für die Mazianni schuftet. Aber die hisa haben ihre eigenen Pläne …

Das Faustpfand

Nach einer furiosen Raumschlacht gegen die Union vergehen Wochen und Monate, in denen die Flotte ihr Vorräte ergänzt. Als Signy Mallory erkennt, dass Mazian vorhat, die Erde anzugreifen, wird ihr mulmig. Denn zuvor will er Pell vernichten, um es nicht der Union intakt zu überlassen: 14.000 Menschenleben sind ihm völlig egal. Als Damon Konstantin, der Stationschef, und Josh Talley, ein ehemaliges Crewmitglied der Norway, endlich gefangen genommen werden, erfährt Signy, was die Union vorhat und was auf der Station wirklich vorgeht.

Das gibt für sie den Ausschlag zur Rebellion. In einem unerwarteten Kaltstart reißt sie die Norway ohne Vorwarnung aus dem Dock und rast davon, verfolgt von den wütenden Mazianni.

Was hat Mallory vor? Spielt sie der Union in die Hände? Oder will sie Pell retten?

Mein Eindruck

Im Grunde geht es in den ersten drei von fünf Buchteilen vor allem um zwei Handlungsstränge: um den der Konstantins auf der Station und um ihren Widersacher, den Verräter Jon Lukas. Um diesen Kern herum sind mehrere Nebenstränge gewoben, darunter die |Norway|, die |hisa| auf dem Planeten und auf der Station und natürlich mehrere Nebenschauplätze, die als Illustration und Spiegelung dienen. Hat man diese zentrale Struktur erst einmal begriffen, ist es einfach, der zentralen Story des komplexen Romans zu folgen. Im den letzten beiden Teilen nimmt die Spannung deutlich zu, um schließlich in einem fantastischen Finale zu gipfeln.

Ist die erste Hälfte des Buchs, wenn alle Figuren vorgestellt werden, ein wenig langsam, so überschlagen sich in der zweiten Hälfte die Ereignisse – man kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen!

Der Leser bekommt bereits im ersten Kapitel den vollen Überblick über die Lage, so dass er nicht das Gefühl hat, etwas verpasst zu haben. Ich habe dieses erste Kapitel oben als Hintergrund und Vorgeschichte zusammengefasst. Wer eine akribisch genaue Darstellung dieses Ablaufs sowie eine Chronologie sucht, wird auf Cherryh Homepage [www.cherryh.com]http://www.cherryh.com fündig. Am Schluss verbindet Cherryh alle Handlungsfäden zu einem plausiblen Ende mit einer Überraschung.

Am Anfang des Romans sind Risszeichnungen der Pell-Station und eines Sternenschiffes vom Typ der Norway abgedruckt. Im ersten Titelbild des Originals sind beide Konstruktionen vierfarbig vor dem Hintergrund von Pells Welt Downbelow zu sehen.

Figuren

Die lebhaft gezeichneten Charaktere haben sich meinem Gedächtnis derart gut eingeprägt, dass ich sie selbst nach 20 Jahren noch als alte Bekannte begrüßt habe. Darunter befindet sich beispielsweise Josh Talley, den die Norway von Russell’s Station nach Pell gebracht hat. Josh hat psychische Probleme, traumatisiert von der Erfahrung auf Russell’s und der Norway, doch die Medikamente halten seine Albträume in Schach. Nach einer Konditionierung durch Pells Station hat er Schwierigkeiten, sich an seine eigene Vergangenheit zu erinnern und ist entsprechend unsicher.

Damon Konstantin behandelt ihn sehr freundlich und hilft ihm zurechtzukommen. Die beiden werden in der Zeit, da sie vor den Mazianni im Untergrund leben müssen, unzertrennliche Freunde. Doch als er dann mit Jessad, dem Unions-Klon, zusammentrifft, offenbart dieser ihm seine wahre Identität. Die Wahrheit ist schrecklicher, als sich Josh je hätter vorstellen können. Er und Jessad alias Gabriel arbeiteten zusammen in einer Spezialeinheit. Ihre Mission: die Zerstörung von Raumstationen. Josh ist ein Kuckucksei …

Aber auch Emilio ist ein bemerkenswerter Charakter. Der Konstantin-Mann hat die Treue seiner Geliebten Miliko, der Arbeiter sowie die Loyalität der Downbelow-hisa. Auf dem Planeten lernt er die Kultur der Eingeborenen eingehender kennen als bisher, als er sich mit seinen Leuten und den Flüchtlingen auf den Exodus macht, um den Mazianni zu entgehen.

Immer deutlicher stellt sich im Verlauf der Handlung heraus, wie wichtig die anscheinend so friedliebenden und harmlosen hisa sind: für das Funktionieren der Station ebenso wie für den Widerstand gegen die Besetzung. Als die Union die Station übernehmen will, gibt es ein Problem: Hisa blockieren den Zugang zur Kommandozentrale. Wer hat sie bloß dorthin kommandiert?

Vorhersagen

Der 1981 veröffentlichte Roman „Pells Stern“ ist in der SF ein Meilenstein, ein Einschnitt: das Ende der Mythologie-Ausbeutung durch Zelazny und Co., die Ablösung der Veteranen aus der Campbell-Ära (Heinlein, Asimov usw.) und der Beginn der echten taffen Hard-Science-Fiction. So banal es klingen mag: „Pells Stern“ ist auch eine sehr realistisch gestaltete Vision der nächsten Zukunft, genauer gesagt: ab dem Jahr 2005.

Als Vision enthält der Roman entsprechende Vorhersagen, die nicht nur technische Entwicklungen betreffen. Sprungschiffe? Ein alter Hut in der SF. Raumstationen über jedem menschenfreundlichen Planeten? Gibt’s ja schon, zumindest über der Erde: die ISS. Aber es gibt auch zwei Neuerungen, die schon jetzt Realität sein und die Gesellschaft bis ins Mark treffen könnten.

1) Klone

Die erste Neuerung lernen die Abgesandten von Pell-Station auf der Viking-Station und später auf Cyteen selbst kennen – dies ist der Einflussbereich der Union. Die Rede ist von geklonten Menschen. In ihrem preisgekrönten Roman „Cyteen“ nennt die Autorin sie „Azi“: Sie werden binnen weniger Jahre künstlich gezüchtet, mit Tiefschlaf-Lehrbändern geprägt und für einen spezifischen Zweck unterrichtet. Dass sie alle gleich aussehen, wenn sie aus der gleichen Produktionsserie stammen, versteht sich von selbst.

Was die Abgesandten verblüfft: Diese Soldaten sind alle gleich schön, mit edel geschnittenen Model-Gesichtern (daher wäre der Begriff „new model army“, den einste Gen. Kitchener prägte, sehr passend). Das kommt dem irdischen Betrachter ganz schön unheimlich vor. Und wenn Schönheit so verbreitet ist, verliert sie den Wert des Besonderen. Plötzlich sind die Schönen und Gleichen Träger von Masken. Was sich dahinter verbirgt, ist der Wille ihrer Hersteller und Befehlshaber … Es erinnert ein wenig an die Androiden in „Blade Runner“.

Bis April 2008 haben wir noch keine Nachricht über den ersten geklonten Menschen erhalten, obwohl schon mehrmals der Anspruch darauf erhoben wurde, diese „Leistung“ erzielt zu haben, unter anderem von obskuren Sekten und koreanischen Wissenschaftlern. Möge es weiterhin so bleiben. Eine Heidi Klum reicht völlig, wir brauchen keine 1000 davon. Denn 1000 Heidi Klums haben dann genauso viel Wert wie 1000 Lieschen Müllers.

2) Spezialbehandlung („Konditionierung“)

Die zweite Neuerung ist sogar noch beunruhigender in ihren Konsequenzen. Josh Talley ist ein junger Mann, der mit dem Flüchtlingsstrom im Sektor Q der Pell-Station angespült wurde. Weil er sich bei den Schlägereien gewalttätig verhalten hat, wurde er der Spezialbehandlung unterworfen, die dies in Zukunft verhindern soll.

Die Spezialbehandlung geht weiter als eine Gehirnwäsche, wie man sie aus [„Der Manchurian-Kandidat“ 1069 kennt. Diese Behandlung umfasst auch eine Löschung der bisherigen Persönlichkeit. Danach erwacht Talley und kann sich an kaum noch etwas erinnern, das zu seiner Persönlichkeit gehört hat. Verschwommen erinnert er sich, Damon Konstantin, den Kommandeur der Station, schon einmal gesehen zu haben, als dieser ihn in seiner Zelle besucht.

Beide Techniken – Gehirnwäsche und „Persönlichkeitslöschung“ – betrachten das menschliche Gehirn wie eine Festplatte, die man nach Belieben beschreiben und wieder löschen kann, um sie wieder mit anderen Inhalten aufzufüllen. Die Haltung dahinter widerspricht allen Rechtsgrundlagen des westlichen Rechtsbewusstseins, wonach das Individuum unantastbar ist, weil es seine Seele direkt von Gott bekommen hat. Die neue Haltung betrachtet Azis lediglich als Produkte. Man strengt sich an, sie „menschlich“ zu machen. Die Persönlichkeitslöschung hingegen stößt bei den Konstantins noch auf große Bedenken, aber je mehr die Gewalt an Bord der Station zunimmt, desto mehr werden diese Bedenken in den Hintergrund treten.

Die Autorin hat es bei diesen Neuerungen belassen, obwohl es sicherlich noch mehrere andere Themen gäbe, etwa Kyborgs und feindliche Aliens. Dies ist die realistische SF mit einer harten „Oberflächengestaltung“: Die Sprache der Erzählerstimme ist hart, die Sätze sind kurz und knapp gehalten, als handle es sich um einen militärischen Bericht. Nur in Dialogen scheint Individualität auf, so etwa die von Josh oder die der hisa. Die Sprache der hisa ist nicht die der Menschen und somit gewöhnungsbedürftig. Das sollte man aber bewältigen können.

Die Übersetzung

… von Walter Brumm ist leider kein Glanzpunkt. Am besten liest man diesen Roman im Original. Aber selbst dann muss man erst einmal das harte erste Kapitel bewältigen. Der Rest ist dann – ein wenig – einfacher zu lesen. Kein Wunder, dass sich der Übersetzer daran die Zähne ausgebissen hat.

Was soll sich ein Laie bloß unter „FTL“ vorstellen? Nur Science-Fiction-Freaks und Astrophysiker wissen sofort, um was es geht: „faster than light“, also um Flüge mit einem Antrieb, der eine Geschwindigkeit über der des Lichtes erlaubt. Bei Cherryh sind dies die oben in der Vorgeschichte beschriebenen „Sprünge“. Sie spielen in jedem Science-Fiction-Roman Cherryhs eine wichtige Rolle. Durch den außerordentlichen psychischen Zustand während und nach dem Sprung stehen die Protagonisten unter immensem Stress, der sich nur mit Medikamenten bewältigen lässt. Man lese beispielsweise dazu auch „Kauffahrers Glück“.

Unterm Strich

Auch wenn große Zahl der Romanfiguren, zu denen es keine Liste gibt, und die zahlreichen Nebenhandlungen reichlich verwirrend sein können, so stellt der Roman – neben „Cyteen“ – den besten Einstiegspunkt in das Union/Allianz-Universum von Cherryh dar. In „Pells Stern“ wird die Allianz nämlich gegründet: von Pells Station, den Kauffahrern und AS Norway – eine recht unwahrscheinliche Kombination.

Ich fand den Roman sowohl anstrengend als auch lohnend. Anders als in „Star Trek“ und „Star Wars“ wird nicht auf Action Wert gelegt. Die Raumschlachten sind so schnell vorüber, dass kaum ein paar Seiten dafür aufgewendet werden. Aber sie sind nicht weniger spannend. Lohnender ist das Miteinander der unterschiedlichen menschlichen Kräfte und die Interaktion mit den hisa. Dabei schafft es Cherryh in ihrem unnachahmlichen Stil, sowohl das Innenleben einer Figur glaubwürdig darzustellen als auch deren äußere Umgebung. Schwächere Autoren machen es genau umgekehrt und konzentrieren sich auf Äußerlichkeiten. Dementsprechend unplausibel erscheint ihre Story dann auch.

Hinweis

Ganz am Rande der Erzählung ist von einem Jungen die Rede, der auf Pells Station verschwindet. Er gehört zu Neiharts Kauffahrerschiff Finity’s End. Das ist der Originaltitel der Fortsetzung von „Pells Stern“. Der deutsche Titel lautet „Pells Ruf“ und das Buch erschien ebenfalls bei Heyne.

Taschenbuch: 569 Seiten
Originaltitel: Downbelow Station, 1981
Aus dem US-Englischen übertragen von Walter Brumm
www.heyne.de

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